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BERICHT NR. 165B

PHYSIKALISCHE PARAMETER DES KERNS

DES KOMETEN HASTINGS

… der Kern hat einen Äquatorialdurchmesser von 496 km und einen Poldurchmesser von 475 km, die Rotationsdauer beträgt 16 Stunden, 49 Minuten und 7 Sekunden. Seine Masse wurde auf 6,0212 x 1016 Tonnen berechnet. Die Oberflähengravitation beträgt zwischen 0,662 % g am Pol und 0,605 % g am Äquator.

Die hervorstechendste geologische Struktur ist das große Aufschlagbecken, genannt Ground-Zero-Krater (GZK). (Siehe Bericht Nr. 122D, ›Topografische Eigennamen auf dem Kern des Kometen Hastings‹.) Die innere Ringwand von GZK misst 125 km im Durchmesser und erhebt sich 0,7 km über das Niveau des Kraterbodens. Diese iedergefrorene Ebene ist typisch für die Kraterbildung auf überwiegend aus Eis bestehenden Himmelskörpern. Wie im Falle der Eismonde des Jupiter und des Saturn, weist der Boden von GZK eine scheinbare Ringstruktur auf, welche die verschiedenen Erstarrungsperioden im Oberflächeneis kennzeichnet. Hinter der Wand von GZK befinden sich wahrscheinlich eine Reihe von konzentrischen, an Risse erinnernde Verwerfungen, die auf den bei niedrigem Sonnenstand aufgenommenen Fotos als scharfrandige Schatten erscheinen. Spektrografische Analysen der aus diesen Brüchen austretenden Gase deuten darauf hin, dass im Kerninneren tatsächlich ein Erwärmungsprozess vonstatten geht. (Siehe Bericht Nr. 97A, ›Interne Erwärmung des Kerns aufgrund von Gezeitenspannungen während des Vorbeiflugs an Jupiter‹.)

Zu den anderen Makrostrukturen in der Topografie des Kerns zählen zwei Erhebungen aus Gesteinsmaterial. Diese wurden Kleine Alpen (KA) und Low Sierra Mountains (LSM) getauft. Die KA dominieren die westliche Hemisphäre (die GZK gegenüberliegende Halbkugel) und die LSM die östliche. Die KA-Verwerfung reicht 5 km in die Wand von GZK hinein. Bis jetzt gibt es keine ausreichende Erklärung für diese enge Nachbarschaft.

Die hohe Zahl der Krater entspricht der für Eismonde gültigen Norm. Die Verwitterung sämtlicher Krater tritt deutlich zu Tage und lässt sich auf das wiederholte Eintreten des Kerns ins mittlere Sonnensystem im Verlauf seiner Perihelpassagen auf seinem ursprünglichen Orbit zurückführen. Das Ausmaß des ›Abrutschens‹, das bei Kraterwänden zu beobachten ist, kann zur exakten Berechnung des Krateralters innerhalb ± eines Kometenumlaufs (± 9 Millionen Jahre) benutzt werden. Diese Berechnungen lassen darauf schließen, dass GZK der wahrscheinlich älteste Krater auf der Kometenoberf läche ist.

Des Weiteren lässt sich aufgrund der ausgeprägten antipodischen Frakturen genau gegenüber von GZK darauf schließen, dass das Kerninnere bei der ursprünglichen Kollision in beträchtlichem Maße beschädigt wurde. Dies wird untermauert durch …

Zusammenfassung erarbeitet von:


L. T. Chen, Astrogeologe

C. J. Barnard, Chefastronom

A. E. Hastings, Astronomin

2. Februar 2086

Tom Thorpe lag auf der Beobachtercouch im Kontrollraum der Admiral Farragut und betrachtete den Kometen Hastings auf der Panoramakuppel über sich. Der Kern war größer, als er ihn je zuvor gesehen hatte. Was einmal ein winzig kleines Lichtpünktchen gewesen war, füllte jetzt, während das Habitatmodul mit gletscherhafter Langsamkeit auf seinen Landeplatz zufiel, den halben Himmel aus. Thorpe wusste, dass ein langsamer Anflug am sichersten war, aber die erzwungene Untätigkeit machte ihm zu schaffen. Er brannte darauf, an die Arbeit zu gehen, nachdem sie zehn Tage damit verbracht hatten, jeden einzelnen Quadratzentimeter der Kernoberfläche zu kartografieren.

Das Schiff hatte ursprünglich 2000 Kilometer über der sonnenzugewandten Seite des Eisasteroiden geschwebt. Von ihrem Beobachtungsposten aus hatten sie das Bugteleskop und zwei Panoramakameras auf das Ziel gerichtet. Die nächsten vier Tage über – sechs volle Umdrehungen des Kerns lang – hatten sie die Oberfläche in sichtbarem Licht und mehreren verschiedenen Wellenlängen des Ultravioletten und Infraroten kartografisch erfasst. Während sie den Kern unter sich rotieren sahen, war ihnen allmählich zu Bewusstsein gekommen, wie groß diese Welt in Wirklichkeit war. Bei einem Durchmesser von angenähert fünfhundert Kilometern besaß der Eisasteroid eine Oberfläche von 250.000 Quadratkilometern – womit er größer war als etwa Rumänien oder Idaho. Auf dem Hinflug war es Thorpe zur Gewohnheit geworden, von ihm in den gleichen Begriffen zu denken, wie er es vom Felsen tat. Doch eine solche Entsprechung existierte nicht. Die größte Abmessung des Felsen betrug ein Hundertstel des Kometendurchmessers.

Nach Ablauf von vier Tagen hatten sie ihre Daten über eine abgesicherte Verbindung zur Erde gesendet und anschließend das Schiff in eine Position genau über dem Südpol des Eisasteroiden gebracht. Dort hatten sie eine weitere Umdrehung lang geschwebt, während sie die Südpolregion fotografiert hatten. Dann hatten sie ihre Untersuchungen über dem Nordpol wiederholt.

Der Landeplatz, den die Erde schließlich ausgewählt und genehmigt hatte, befand sich zehn Kilometer innerhalb des Ground-Zero-Kraters. Der glatte Boden dort lud nicht nur zum Landen ein, sondern die Entstehung des Kraters war auch die letzte Katastrophe in der Geschichte des Eisasteroiden gewesen. Tatsächlich war ein großer Teil seiner gegenwärtigen Struktur Folge der Kollision, die ihn ursprünglich aus der Oort-Wolke hinausgeworfen hatte.

Die Stelle lag zudem in der Nähe des ›Ödlands‹, einer Gegend, die für Professor Chen von besonderem Interesse war. Das Ödland war eine Gegend voller Verwerfungen, wo die Low Sierra Mountains bis nah an die Kante des Ground-Zero-Kraters vorsprangen. Den beiden ungleichartigen Gebieten waren, Ring auf konzentrischen Ring folgend, Bodenfehler und Brüche überlagert. Aus diesen tiefen Rissen kochte der unsichtbare Wind hervor, der die umgebende Koma stetig vergrößerte.

Als alles so weit war, hatte Kapitän Olafson das Habitatmodul herausgelöst, es in sicherer Entfernung vom verbliebenen Schiff geparkt und dann den Vorgang mit dem Frachtmodul wiederholt. Als alles überprüft und gegengeprüft war, hatte sie den langsamen Abstieg zur Oberfläche hinunter begonnen.

Während Thorpe auf seiner Couch lag, wurde er auf eine Leuchterscheinung hoch über sich aufmerksam. Er ließ seinen Beobachtungsschirm auf diese Himmelsregion ausrichten und wurde mit dem Anblick des fassförmigen Frachtmoduls belohnt, das sich von der Schwärze des Weltraums abhob. In Abänderung des Plans hatte man beschlossen, das Frachtmodul vor ihnen hinunterzuschicken. Es würde etwa eine Minute vor dem Habitatmodul Bodenberührung haben und verifizieren, ob der Boden des Ground-Zero-Kraters so fest war, wie es den Anschein hatte.

»Krater in Sicht«, meldete Emilio Rodriguez dem Kontrollraum, als die ringförmige Wandung über dem Horizont auftauchte.

»Ich sehe ihn«, antwortete der Kapitän. »Annäherung fortsetzen.«

Karin Olafson klang entspannter, als sie sich auf ihrer Beschleunigungsliege fühlte. Ihre Augen musterten die Anzeigen in rascher Folge, während sie einen Nebenregler in ihrer rechten Hand hielt, bereit, augenblicklich die Kontrolle vom Autopiloten an sich zu reißen, falls sich das als nötig erweisen sollte.

»Irgendwas Gefährliches zu sehen, Erster Ingenieur?«, fragte sie einige Minuten später, als der Krater die Panoramakuppel über ihren Köpfen füllte. Während des Abstiegs zeigte die Kuppel das Bild unter dem Habitatmodul.

Kyle Stormgaards Stimme kam aus einem Lautsprecher an der Decke. »Das Ding gefällt mir, Captain. Ist so glatt wie ein Babypopo.«

Der Erste Ingenieur trug einen Raumanzug und befand sich in einer offenen Schleuse. Er hatte eine Handsteuerung dabei und würde das Schiff übernehmen, falls die Schiffskameras während der kritischen Landephase ausfallen sollten. Er musterte den Landeplatz durch hochverstärkende Ferngläser und hielt Ausschau nach Gefahren.

»Mr. Rodriguez, können Sie das bestätigen?«

»Bestätigt, Kapitän. Das Radar zeigt eine Eisoberfläche an mit Ebenheit 0,04 und einer Dicke von mindestens mehreren Hundert Metern. Die thermische Messung ergibt eine Oberflächentemperatur von durchweg 124 Kelvin.«

»Sehr schön. Achte auf die Staubentwicklung, wenn das Frachtmodul aufsetzt, Kyle. Wir schwenken vielleicht besser ab, wenn die Sicht zu stark abnimmt.«

»Verstanden, Kapitän«, kam die rasche Antwort.

Während Thorpe weiter die Panoramakuppel beobachtete, fiel das Frachtabteil die letzten Dutzend Meter in Richtung Oberfläche. Ein kurzes Aufflackern seiner starken Korrekturdüsen genügte, um sein Abwärtsgleiten zum Stillstand zu bringen. Es schwebte lange Sekunden im Vakuum, bis es schließlich die letzten drei Meter auf den Boden hinabgesunken war. Das große Modul federte langsam mehrere Male in seinen Landestützen und stabilisierte sich dann.

»Frachtmodul sicher gelandet. Keine Anzeichen von Oberflächenstaub.«

»Weitermachen, Leute, wir gehen runter!«

Der Rest der Landung war ein Kinderspiel. Das riesige, kugelförmige Habitatmodul hallte wider von einigen kurzen Stößen der Steuerdüsen, dann war es still. Fast eine halbe Minute später fühlte sich Thorpe sanft in seinen Sitz gedrückt. Nach allen Seiten hin breitete sich ein seltsam braungrauer Boden aus, während darüber eine geschrumpfte Sonne aus einem pechschwarzen Himmel auf ihn erunterstarrte. Kapitän Olafson begann augenblicklich mit dem Aufrufen der Abschlussprozeduren.

Thorpe atmete hörbar aus. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er den Atem angehalten hatte. Nachdem er eine Weile den Kuppelhorizont gemustert hatte, begann er seine Gurte abzustreifen, plötzlich begierig darauf, wieder frei zu sein. Nach acht Monaten und fast einer Milliarde zurückgelegter Kilometer war die Admiral Farragut endlich am Ziel!


»Sie sind unten«, gab Franklin Hardesty bekannt.

»Sind Sie sicher?«, fragte Constance Forbin.

Der Direktor von Sky Watch nickte. »Newton Station hat soeben die Bestätigung von Kapitän Olafson erhalten. Das Habitat-und das Frachtmodul sind beide erfolgreich gelandet, und man ist gerade dabei, sie im Eis zu verankern.«

»Gute Neuigkeiten«, sagte die Chefkoordinatorin.

»Verdammt gute Neuigkeiten!«, erwiderte Hardesty.

Beide befanden sich in einem abgeschirmten Konferenzsaal im New Ridderzaal Tower, wo sie eine Zusammenkunft der größeren Nationen der Erde moderierten. Die Nordamerikanische Union und das Vereinte Europa waren vertreten, die Democracia du Sud America, die Afrikanische Union, Großchina und Australasien. Constance Forbin hatte das Geheimnis des eigensinnigen Kometen am ersten Versammlungstag enthüllt. Zu ihrer Überraschung hatten die versammelten Repräsentanten die Nachricht mit relativer Ruhe aufgenommen. Ob ihre Reaktion auf ihr mangelndes Verständnis der drohenden Gefahr zurückzuführen war, oder ob ihre Spionagedienste den Sicherheitsrat infiltriert hatten, wusste sie nicht zu sagen. Außerdem hielt sie diese Frage für unbedeutend. Das Geheimnis hatte bestenfalls vorübergehend gewahrt werden können. Die Dinge hatten sich so weit entwickelt, dass die Öffentlichkeit informiert werden musste. Wenn es gelingen sollte, den Kometen abzulenken, dann würde man Vorbereitungen in einem Maßstab zu treffen haben, die für jedermann erkennbar waren.

»Da Ihre Leute nun gelandet sind, was schlagen Sie vor, was geschehen soll?«, fragte der nordamerikanische Vertreter. Er war ein hochgewachsener Mann mit einem permanent finsteren Blick.

»Erkundungen durchführen, natürlich. Es gibt eine Menge, das man nur durch Vor-Ort-Untersuchungen herausfinden kann.«

»Zu welchem Zweck?«

»Wenn wir den Kometen beschleunigen und dazu bringen sollen, dass er die Erde verfehlt, dann müssen wir wissen, an welcher Stelle wir zu schieben haben. Das erfordert eine genaue Kenntnis seiner inneren Struktur. Wir hätten nichts davon, wenn er beim ersten Schub auseinanderfallen würde.«

Die Vertreterin des Vereinten Europa war eine kleine Frau mit einer Zahnlücke, die sich beim Sprechen zeigte. »Ich hätte mir gedacht, dass wir genau das tun würden. Zerblasen wir ihn in Atome, sage ich!«

Franklin Hardesty schüttelte den Kopf. Er war neben Constance Forbin an der Mitte des Konferenztisches platziert. »Der Kern ist zu groß, um ihn mit Sprengladungen zu zerstören. Einmal gibt es dafür wahrscheinlich im ganzen Sonnensystem nicht genug Antimaterie. Zum zweiten, selbst wenn wir die Möglichkeit dazu hätten, würden wir ihn dennoch nicht zertrümmern wollen. Das würde ihn in eine Milliarde Brocken von der Größe kleiner Berge zerrei- ßen. Können Sie sich vorstellen, was mit der Erde geschehen würde, wenn uns einer dieser Brocken treffen sollte?«

»Und stattdessen warten wir darauf, dass er in einem Stück auf uns herunterfällt?«

»Die Arbeitsgruppe in New Mexico ist dabei, das Problem zu analysieren«, versicherte ihr Constance Forbin. »Dort hat man sämtliche Fernbeobachtungsdaten der Admiral Farragut. Sie werden eine Empfehlung vorlegen, wie man in ein paar Wochen am besten weiter vorgeht.«

»Und was passiert unterdessen mit all diesen Frachtschiffen, für die wir bezahlen sollen?«, fragte der indische stellvertretende Minister für Weltraumangelegenheiten, Mr. Jaharawal, ein kleiner, dunkler Mann.

»Was ist mit ihnen?«

Der erste Konferenztag war mit einer Übersicht über die Daten begonnen worden, aus denen hervorging, dass der Komet die Erde treffen würde. Am zweiten waren Pläne zum Umbau dreier großer Schüttgutträger in Schwerguttransporter entwickelt worden. Die Schiffe würden mit Hochleistungstriebwerken, voluminösen Tanks und genügend Reaktionsmasse ausgestattet werden, dass sie den Orbit des Kerns in nur drei Monaten erreichen konnten.

»Wir wissen nicht, wofür diese teuren Schiffsumbauten notwendig sind«, fuhr der stellvertretende Minister fort. »Ohne einen konkreten Plan weiterzumachen, ist Geldverschwendung.«

»Die Notwendigkeit zur Beförderung schwerer Lasten ist offensichtlich«, erwiderte Frank Hardesty. »Wollen Sie, dass wir so lange warten, bis jedes Detail ausgearbeitet ist?«

Der stellvertretende Minister ließ sich nicht einschüchtern. »Mein Land verfügt nicht über die Mittel, um den Systemrat beziehungsweise Sky Watch mit einem unbeschränkten Budget auszustatten. Wir können es uns nicht leisten, dass Sie mit Geld um sich werfen wie ein betrunkener Raumfahrer.«

»Darf ich meinen geschätzten Kollegen daran erinnern, dass der Komet voraussichtlich tausend Kilometer vor Ihrer Küste auftreffen wird?«, fragte der Vertreter des Vereinten Europa.

»Das dürfte für den Durchschnittsinder bei der nächsten Wahl keinen Unterschied machen. Man murrt jetzt schon über die Kosten dieses internationalen Debattierclubs, den Mrs. Forbin leitet. Wie viele Rupien wollen Sie für Ihre theoretischen Studien denn noch an sich rei ßen?«

»So viele, wie benötigt werden, um die Erde zu retten, Sir. Was die Transporter betrifft, wenn wir mit der Arbeit nicht augenblicklich beginnen, werden sie nicht rechtzeitig fertig werden, um uns überhaupt etwas zu nützen.«

»Ob wir Erfolg haben«, sagte der dunkelhaarige, aschblonde Vertreter von Australasien, »hängt davon ab, dass wir die öffentliche Meinung wirkungsvoll kontrollieren. Welche Fortschritte wurden bei der Vorbereitung der öffentlichen Bekanntgabe gemacht?«

»Beträchtliche«, antwortete Constance. »Wir haben eine weitere Arbeitsgruppe gebildet. Sie besteht aus Experten für Massenpsychologie. Das Hauptproblem, glauben sie, besteht darin, den Grad der öffentlichen Aufmerksamkeit zu steigern, ohne sie zu ängstigen. Es wurde vorgeschlagen, dass wir nicht die ganze Wahrheit auf einmal sagen.«

»Und haben sie einen Vorschlag, wie das zu bewerkstelligen ist?«

»Ja, das haben sie. Tatsächlich haben sie sich etwas ziemlich Geniales einfallen lassen.«


AUSZUG AUS Die Nachrichten der Woche mit Ric Thompson, TRANS-EARTH COMMUNICATIONS NETWORK, 12. FEBRUAR 2086



(Das Logo von Trans-Earth Network verblasst und geht in die Nahaufnahme von Ric Thompson, dem Nachrichtensprecher, über.)

THOMPSON: Guten Abend, meine Damen und Herren. Hier ist Ric Thompson mit den Nachrichten der Woche, ihrer Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse. Dies war die Woche, in der der Systemrat erklärt hat, dass die spektakuläre Erscheinung des für nächstes Jahr erwarteten Kometen Hastings noch viel spektakulärer ausfallen könnte als allgemein erwartet. Der Komet, so scheint es, wird die Erde auf seinem Weg zurück in die Tiefe des Weltalls sehr nah passieren. Obwohl erwartet wird, dass uns der Kopf des Kometen um mehrere Tausend Kilometer verfehlen wird, weisen die issenschaftler darauf hin, dass ihre Berechnungen mit einer gewissen Fehlerspanne behaftet sind.

Der Systemrat hat angekündigt, dass er als Vorsichtsmaßnahme ein Programm zur Vorbereitung einer Reihe von Nuklearladungen durchführen wird, um damit den Kometen zu zerstören, falls es sich als notwendig erweisen sollte. Um über diese Dinge zu diskutieren, bringen wir heute Abend ein Interview mit der Entdeckerin des Kometen, Miss Amber Hastings. Ehe wir damit beginnen, ist zu dem Interview eine Erklärung angebracht.

Miss Hastings befindet sich an Bord des Forschungsschiffes Admiral Farragut, das kürzlich auf dem Kometen gelandet ist. Da die Zeitverzögerung beim Funkverkehr mit dem Kometen immer noch gut vierzig Minuten beträgt, war es nicht möglich, das Interview in Realzeit durchzuführen. Deshalb übermittelten wir eine Reihe von Fragen, die Miss Hastings über Computersimulation gestellt wurden. Die Simulation passte sich im Folgenden an die Antworten an, genauso, wie es ein menschlicher Interviewer tun würde. Ich muss betonen, dass sie die Fragen nicht im Voraus kannte. Auf diese Weise haben wir die gleiche Reaktion erhalten, als wenn wir uns mit Miss Hastings im selben Raum befunden hätten. Miss Hastings Antworten wurden dann mit meinen Fragen zusammengeschnitten, woraus sich das folgende Interview ergeben hat.



(Das Bild wechselt; man sieht Ric Thompson nun halb von hinten. Er schaut auf einen Bildschirm, aus dem Amber Hastings herausblickt.)


THOMPSON: Guten Abend, Miss Hastings. Ich hoffe, wir haben Sie nicht zu einem ungünstigen Zeitpunkt erwischt.

HASTINGS: Ganz und gar nicht, Ric. Ich bin gerade dabei, meinen Raumanzug anzulegen und mit den für heute vorgesehenen Untersuchungen zu beginnen, aber für die Presse habe ich immer Zeit.

THOMPSON: Wie sieht es auf einem Kometen aus?

HASTINGS: Der Kern erinnert mich stark an meine Heimat Luna. Das Eis ist graubraun von dem kosmischen Staub, den es auf seiner Umlaufbahn um die Sonne im Laufe der Jahrmilliarden aufgesammelt hat. Wir befinden uns hier ziemlich nahe am Ringwall des größten Kraters, und man kann seine Kante im Norden über dem Horizont erkennen. Die Sonne ist ein heller Stern am Himmel. Ihr Anblick wird durch die Kometenkoma ein wenig getrübt.

THOMPSON: Koma?

HASTINGS: Die Hülle aus Gas und Staub, die den eigentlichen Kern umgibt. Die Koma ist die helle rundliche Wolke, die Sie auf Abbildungen von Kometen sehen.

THOMPSON: Wie man hört, handelt es sich bei dem Kern um eine Art von verirrtem Meteoriten, der die Erde Ende nächsten Jahres nahe passieren wird. Ist das richtig?

HASTINGS (nickt): Unsere Berechnungen lassen es als wahrscheinlich erscheinen, dass es dazu kommen wird. THOMPSON: Wie nahe wird er uns kommen?

HASTINGS (zögert einen Moment): Diese Frage ist schwer zu beantworten. Es sind dabei eine ganze Reihe von Unwägbarkeiten im Spiel. Wir nehmen an, dass der Komet sich der Erde mindestens bis auf einen Planetendurchmesser nähern wird.

THOMPSON: Wie viel ist das in Kilometer ausgedrückt?

HASTINGS: Ein Planetendurchmesser, das sind rund 12.500 Kilometer.

THOMPSON (lacht): Nun, das klingt gar nicht so schlecht. Ich wünschte, ich könnte meiner Schwiegermutter so weit aus dem Weg gehen!

HASTINGS: Im Maßstab des Sonnensystems ist das sehr nahe.

THOMPSON: Ja, das glaube ich Ihnen. Ihr Astronomen seid an den Umgang mit großen Zahlen gewöhnt, nicht wahr? Ich nehme an, der Systemrat arbeitet Pläne aus, um den Kometen zu sprengen, falls er zu nahe kommen sollte. Können Sie dazu einen Kommentar abgeben?

HASTINGS: Diese Frage müssen Sie schon dem Rat stellen. Es ist schon fast neun Monate her, dass ich das letzte Mal auf der Erde war, und wie Sie sich denken können, bin ich nicht mehr ganz auf dem Laufenden.

THOMPSON: Da ist noch eine Sache, die ich Sie gerne fragen würde, Miss Hastings. Ich nehme an, der Komet wird große Zerstörungen anrichten, falls er die Erde treffen sollte.

HASTINGS: Sehr große, Ric.

THOMPSON: Es wäre in etwa vergleichbar mit der Explosion einer Atombombe, nicht wahr?

HASTINGS: Ja.

THOMPSON: Ich frage mich … Wie würde es sich anhören?

HASTINGS (zwinkert verblüfft): Ich bitte um Verzeihung?

THOMPSON: Nun, ich habe gehört, dass manche Meteore einen Überschallknall hervorrufen, wenn sie die Atmosphäre durchfliegen. Andere erzeugen ein Geräusch wie reißendes Metall. Wenn Ihr Komet nun in irgendeinem Vorgarten landen sollte, worauf müssten unsere Zuschauer dann horchen?

HASTINGS: Es würde schwierig sein, es nicht zu hören, Ric. Der Einschlag eines Meteors von der Größe des Kometen Hastings würde das Geräusch von etwa einer Milliarde Donnerschläge hervorrufen!

THOMPSON: Und einschlagen wie ein Blitz, wie? Dann hoffen wir am besten, dass es nicht dazu kommt. Ich danke Ihnen, Miss Hastings. Und jetzt unterbrechen wir für eine Werbung.



(Nahaufnahme von Ric Thompson. Abblende zu Werbespot)

Amber und Tom Thorpe lagen nebeneinander auf dem Boden ihrer Kabine. Auch wenn die Schwerkraft des Kerns weniger als ein Prozent g betrug, war es doch zu viel, als dass sie wie unter Schwerelosigkeit an einem Haken an der Wand hängen konnten. Wer in der Vertikalen zu schlafen versuchte, dessen Schlaf wurde von Fallträumen heimgesucht. Sie sahen sich die Aufnahme von Ambers Interview mit TECN an. Als Thompson bei der Frage angelangt war, wie sich der Kern wohl anhören würde, wenn er auf die Erde stürzte, kam von Amber ein erstickter Laut.

»Das sollten sie doch herausschneiden!«, rief sie, als die Frage des Interviewers und ihre Antwort in den Äther hinausgingen. »Der Rat hat uns angewiesen, die Möglichkeit einer Kollision herunterzuspielen.«

»Ich schätze, da war jemandem ein gutes Interview wichtiger, als sich an die Anweisungen zu halten.«

»Verdammter Mist«, fluchte sie. »Dieser Computer hat mir bestimmt hundert Fragen gestellt. Ich fing an, müde zu werden, und konnte nicht glauben, dass man so albern fragen kann, wie es sich wohl anhören würde! Ich habe einfach mit dem Erstbesten zurückgeschossen, was mir in den Sinn gekommen ist.«

»Das ist nicht deine Schuld. Die sind es, die’s verbockt haben. Ich wette, der Systemrat springt im Dreieck.«

»Die werden mir bestimmt den Hintern versohlen wollen dafür!«

Thorpe lächelte und fuhr sich mit der Hand zärtlich über das erwähnte Körperteil. »Da bekommen sie es aber mit mir zu tun.«


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