31


Barbara Martinez war frisch frisiert, parfümiert und in ein Abendkleid gehüllt, das mehr gekostet hatte, als sie in einem Jahr verdiente. Ihr Begleiter war ebenfalls formell gekleidet. Er saß neben ihr auf dem Rücksitz eines von einem Chauffeur gesteuerten Wagens und blickte aus dem Fenster auf die Straßen der Altstadt von Manhattan hinaus.

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich das alles verstehe, Mr. Smith«, sagte Barbara, die endlich den Mut aufgebracht hatte, den Mann anzusprechen, der sie zehn Minuten zuvor abgeholt hatte.

Er blickte sie kurz an. »Hat man Sie nicht informiert, bevor Sie die Station verlassen haben?«

»Nein, Sir. Man hat mich in eine Orbitalfähre gesetzt und mir gesagt, ich würde bei der Ankunft informiert werden. Während der letzten zwei Stunden hat mein Kopf in einer Frisierhaube gesteckt.«

Smith seufzte und lehnte sich in der vornehmen Polsterung zurück. »Es ist im Grunde ganz einfach. Uns ist aufgetragen worden, Carlos Sandoval die Neuigkeiten bezüglich Avalon zu überbringen.«

»Sandoval?«

»Er ist der Geschäftsführer von System Resources, Südafrika. Ihnen gehört Avalon. Elspeth Edwards gibt heute Abend eine Party für ihn. Constance Forbin dachte, es wäre weniger auffällig, wenn ich ihn bei einem gesellschaftlichen Anlass kontaktieren würde. Sie sind mit dabei, um die technischen Details zu erläutern, und zur zusätzlichen Tarnung. Haben wir uns nicht schon einmal irgendwo gesehen?«

»Ich glaube nicht.«

»Natürlich haben wir!«, sagte er, sich plötzlich erinnernd. »Sie kamen in New Mexico aus dem Büro des Direktors, als ich dort zu Besuch war. Sie machten diesen mitgenommenen Eindruck wie jeder, der zum ersten Mal über Donnerschlag informiert wurde.«

»Ach ja, ich erinnere mich ebenfalls«, sagte sie. »Sie waren im Vorzimmer des Direktors.«

»Genau.«

»Warum diese Scharade, Mr. Smith?«

»Da wir nun schon einmal ein Rendezvous miteinander haben, sollten wir da nicht besser zum Du übergehen? Ich heiße Halver. Meine Freunde nennen mich Hal.«

»Warum diese Scharade … Hal?«

»Aus einer Reihe von Gründen. Erstens wissen die Lunarier über Avalon Bescheid. Es war nicht zu verhindern, aber es wirft einige schwerwiegende politische Probleme auf. Wenn jemand von Constance Forbins Leuten mit Sandoval Kontakt aufnimmt, könnten die Lunarier dahinterkommen und ihre Schlüsse daraus ziehen. In diesem Fall lägen sie damit ganz richtig.

Zweitens habe ich die Aufgabe deshalb übernommen, weil wir Erzrivalen sind. Er ist ein arroganter Bastard, und wenn sich jemand anders an ihn wenden würde, könnte es leicht sein, dass er ihm die kalte Schulter zeigt. Du kannst dich darauf verlassen, mich wird er nicht abblitzen lassen. Du bist meine Rückversicherung. Sandoval hat einen gewissen Ruf als Frauenheld. Er wird gerne bereit sein, sich anzuhören, was auch immer ihm eine hübsche Señorita erzählen mag. Er wird nicht unbedingt einverstanden sein, aber er wird dir zuhören.«

»Nun, jedenfalls danke für das Kompliment, Hal!«

»De nada.«

Es dauerte noch zehn Minuten, bis sie das Sandstein-Reihenhaus erreicht hatten, in dem die Party stattfand. Smith nahm Barbaras Arm und geleitete sie nach innen. Sie betraten einen Lift und wurden zum obersten Stockwerk befördert. Der Partylärm schlug ihnen entgegen, sobald sich die Aufzugtüren geöffnet hatten. Smith zuckte merklich zusammen, als sie in die Vorhalle hinaustraten, wo ihnen eine dichtgedrängte Menge von Nachtschwärmern den Weg versperrte. Sie bahnten sich einen Weg durch das Menschengewirr, wobei sie darauf achteten, niemanden anzurempeln und keine Drinks zu verschütten. Nachdem sie ein paar davon nur knapp verfehlt hatten, erreichten sie die offene Tür des Penthouses hoch über Manhattan.

»Wen seh ich denn da? Halver! Also, Sie hätte ich ja als Allerletzten auf einer meiner Partys erwartet!«

Er lächelte und streckte eine Hand aus. »Hallo, Elspeth. Danke für die Einladung.«

»Ist mir ein Vergnügen!«, säuselte die Gastgeberin. »Und wer ist das?«

»Darf ich Ihnen Miss Barbara Martinez vorstellen? Barbara, Elspeth Edwards, die gesuchteste Gastgeberin auf zwei Kontinenten.«

»Hallo, Barbara«, sagte Elspeth, indem sie sich vorbeugte und ihren Gast auf die Wange küsste. »Wie haben Sie es bloß geschafft, diesen Einsiedler hierherzubringen? Ich lade ihn schon seit Jahren zu meinen Partys ein.«

»Eine Frage der Überredungskunst«, antwortete Barbara.

»Das kann ich mir vorstellen. Halver, haben Sie abgenommen?«

»Ein wenig«, sagte er grinsend. »Mein Arzt hat mich auf eine Spezialdiät gesetzt.«

»Sie sehen auch gut aus. Kennen Sie unseren Ehrengast?«

»Sandoval?«, fragte er. »Wir sind uns bisher noch nicht begegnet. Aber natürlich kenne ich ihn.«

»Klar, Sie sind doch beide in derselben Branche, nicht wahr?«

»Kann man so sagen. Seine Gesellschaft ist dabei, einen Asteroiden in eine Erdumlaufbahn zu bringen, um dem Felsen Konkurrenz zu machen.«

»Rieche ich da nicht den Braten? Sie sind nicht zufällig hier, um Carlos zu treffen?«

»Warum sollte ich?«

»Spielen Sie doch nicht den Spröden. Ich glaube, jemand, der wüsste, dass Sie beide heute Abend hier sind, hätte morgen auf dem Aktienmarkt gute Chancen. Das heißt, wenn er einen Hinweis bekäme, in welche Richtung es mit den Kursen geht.«

Er zuckte mit den Achseln. »Wenn ich den Aktienmarkt verstehen würde, brauchte ich nicht so viel Zeit an meinem Schreibtisch zu verbringen.«

»Wie steht es mit Ihnen, Barbara? Haben Sie ein wenig Mitleid mit einer alten Frau?«

»Wenn Sie etwas herausbringen, Elspeth, dann hoffe ich, dass Sie es mir verraten.«

»Ich sehe schon, dass ich hier nicht weiterkomme. Geht los und amüsiert euch, ihr beiden. Rechts findet ihr die Bar, die Toiletten sind geradeaus durch die Diele. Sandoval ist im Salon, wenn es Sie auch kaum interessieren dürfte.«

Smith nahm Barbaras Arm und führte sie zur Bar. Sie bestellten Drinks und beobachteten, wie der Barkeeper ihre Bestellungen tatsächlich von Hand mixte, auf die altmodische Art. Während sie warteten, wandte Smith seine Aufmerksamkeit einer kleinen Gruppe von Leuten zu, die in der Nähe standen. Ein Mann tat sich dadurch hervor, dass er lautstark verkündete, was seiner Meinung nach mit dem Kometen getan werden sollte. Seit Wochen schon gab es auf Cocktailpartys kaum ein anderes Gesprächsthema.

»Ich finde«, rief der rotgesichtige Mann, »es ist schon ein starkes Stück, dass die Techniker ein Komma übersehen haben, als sie die Sprengung versucht haben. Das Letzte, was wir wollen, ist, diesen verdammten Meteor zu bewegen.«

»Wissen Sie mehr als wir?«, fragte ein anderer Mann. »Oder haben Sie etwa noch nichts davon gehört, dass er mit der Erde zusammenstoßen wird?«

Der rotgesichtige Mann antwortete mit einem verächtlichen Schnauben. »Ich habe mit einer Reihe von Wissenschaftlern gesprochen, die mir gesagt haben, dass es physikalisch unmöglich ist. Schließlich hat ja auch der Halley’sche Komet nie die Erde getroffen, und bedenken Sie doch, wie oft er schon wiedergekommen ist!«

Barbara wollte etwas dazu sagen, doch Smiths Hand auf ihrem Arm hielt sie zurück. Sie entspannte sich und hörte weiter zu.

»Aber warum sollte man uns belügen?«, fragte eine der Frauen in der Nähe des Sprechers.

»Ja, warum wohl? Wer steckt dahinter?«

»Der Systemrat natürlich.«

»Sie sagen es. Wer hat ihn denn zum Erretter der Welt gemacht? Diese Masche ist so alt wie die Politik. Zuerst versetzt man die Leute wegen irgendwas in Panik, dann erscheint in letzter Minute ein weißer Ritter, der die Rettung bringt. Anschließend kann der weiße Ritter tun und lassen, was immer er möchte.«

»Es können nicht alle Wissenschaftler Betrüger sein«, beharrte die Frau.

»Ich bezweifle, dass es mehr als eine Hand voll sind«, erwiderte der Mann. »Mehr sind gar nicht nötig. Gucken Wissenschaftler eigentlich nicht mehr durch ihre Teleskope? Zum Teufel, nein! Sie bekommen ihre Daten vorgekaut aus dem Observatoriumscomputer. Dort liegt die Kontrolle. Genau das haben eine Reihe von Leuten vor meinem Komitee bezeugt.«

Durch diese Bemerkung auf die richtige Spur gebracht, erkannte Barbara endlich den Sprecher. Er war einer der prominenteren nordamerikanischen Abgeordneten, ein Mann mit einem Hang dazu, sein Gesicht vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Plötzlich war sie froh, dass Smith sie davor bewahrt hatte, in die Kontroverse hineingezogen zu werden.

»Aber was soll’s«, fuhr der Mann fort. »Gehen wir mal davon aus, dass es mit dieser Angelegenheit durchaus seine Richtigkeit hat. Dann wollen wir trotzdem nicht, dass alle Welt an diesem verdammten Kometen herumpfuscht.«

»Warum nicht?«

»Weil der verfluchte Eisbrocken – wenn die Wissenschaftler Recht behalten – kommenden Juli in den Indischen Ozean fallen wird. Bis zum Indischen Ozean ist es weit. Sie wollen doch wohl nicht im Ernst behaupten, dass ein Eisklumpen, der auf der anderen Seite der Erde runterplumpst, Nordamerika irgendetwas anhaben kann, oder? Oh, wir werden vielleicht ein paar kalte Winter und eine Zeit lang bedeckten Himmel haben, aber es ist doch nicht so, als ob er aus Eisen wäre.

Aber was ist, wenn die Eierköpfe ihn aus der Umlaufbahn zu schubsen versuchen? Dann wird er irgendwo anders als bei Indien runterkommen. Ich bleibe dabei, dass er uns überhaupt nicht treffen wird, aber falls doch, wäre es dann nicht eher das Problem der Inder als unseres?«

Der Barkeeper stellte ihre Drinks auf die Theke. Smith reichte einen von ihnen Barbara und bugsierte sie in den nächsten Raum. Als sie außer Hörweite von den Debattierenden waren, flüsterte sie: »Das meint er doch bestimmt nicht im Ernst!«

»Ich fürchte doch«, erwiderte Smith bitter. »Es liegt in der Natur des Menschen, eine unangenehme Tatsache, mit der er konfrontiert wird, zu leugnen. Seitdem die Ablenkung von Donnerschlag gescheitert ist, gibt es eine Menge Leute, die sich weigern zu glauben, dass der Komet die Erde überhaupt treffen wird.«

Sie fröstelte. »Wie überzeugen wir sie bloß von der Wahrheit?«

Smith zuckte mit den Achseln. »Das können wir nicht. Wir retten sie trotzdem. Wir tun es, weil es die einzige Möglichkeit ist, uns selbst zu retten.«

Smith führte sie zu einer Gruppe von Leuten, die um einen kleinen, korpulenten Mann mit einem herabhängenden schwarzen Schnurrbart versammelt waren. Der Südamerikaner blickte auf, als sie sich durch den Ring seiner Bewunderer drängten. Sein Blick glitt von Barbara zu deren Begleiter. Sie bemerkte sein plötzliches Interesse, als er Smith erkannte.

»Na, wenn das nicht mein hochgeschätzter Konkurrent ist!«, sagte Sandoval und streckte eine Hand aus. »Ihre Fotos werden Ihnen nicht gerecht.«

»Das Gleiche könnte ich von Ihnen sagen«, erwiderte Smith. »Nun treffen wir uns einmal doch. Ich fing bereits an zu glauben, Sie wären eine südamerikanische Fata Morgana.«

»Und ich habe mich gefragt, ob Sie nicht ein Produkt einer Werbekampagne der Sierra Corporation wären!« Sandoval gab ein kehliges Lachen von sich. »Was machen Ihre Orbitalunternehmungen?«

»Die Sierra Skies hat sich im letzten Quartal alle Ehre gemacht.«

»Sie wissen, was ich meine«, sagte der Latino. »Verläuft bei der Erschließung des Felsen alles nach Plan?«

»Im Großen und Ganzen. Und bei Ihrem Avalon?«

»Wir werden in Kürze unser erstes Eisen auf den Markt bringen. Das wussten Sie natürlich bereits.«

»Natürlich. Ich werde jede Woche über die Fortschritte Ihrer Erztransporte informiert.«

»Da möchte ich drauf wetten! Dieses Eisgewinnungsunternehmen hat sich nicht ganz so entwickelt, wie von Ihnen geplant, nicht wahr?«

»Das ist wohl etwas untertrieben. Ich wollte ein wenig Asteroideneis mit zurückbringen, jetzt ist es allerdings etwas mehr geworden.«

»Nett gesagt.« Sandoval lachte leise in sich hinein. Er wandte seine Aufmerksamkeit Barbara zu. »Wer ist diese reizende junge Dame?«

»Entschuldigen Sie. Barbara Martinez, Carlos Sandoval.«

»Buenas noches, señorita.«

»Señor Sandoval.«

»Barbara arbeitet bei Sky Watch. Sie war an dem Versuch beteiligt, einen Brocken aus Donnerschlag herauszusprengen.«

»Eine Schande, dass es nicht geklappt hat.«

»Ja, das ist es«, stimmte Barbara zu.

»Besitzen Sie irgendwelche Informationen darüber, wie der nächste Schritt aussehen wird?«, fragte sie der Südamerikaner.

»Interessieren Sie sich dafür?«, fragte Smith.

»Natürlich. Die Sierra Corporation hat viel zu viele Verträge mit dem Systemrat abgeschlossen. Sie verkaufen ihnen Antimaterie, Sie leihen ihnen Schiffe, Sie stellen ihnen technisches Gerät zur Verfügung. Ich wäre ein armseliger Geschäftsmann, wenn ich nicht versuchen würde, meinem Unternehmen nicht zumindest einen Teil des Geschäfts zu sichern.«

»Vielleicht könnten wir irgendwo hingehen und uns in Ruhe darüber unterhalten.«

»Ist das Ihr Ernst?«

»Ja.«

»Sehr gut. Elspeth hält die Türen zur Bibliothek für gewöhnlich verschlossen. Ich glaube nicht, dass sie etwas dagegen hätte, wenn wir sie benutzen.«

»Ausgezeichnet«, erwiderte Smith.

»Wird uns Señorita Martinez begleiten?«

»Sie wird.«

Sie zogen sich alle drei in die Bibliothek zurück. Smith schloss die Tür ab, damit sie auch unter sich blieben.

Der Südamerikaner holte eine übergroße Zigarre hervor und zündete sie an. »Na schön, erzählen Sie mir, was der Systemrat diesmal vorhat«, sagte er und füllte den Raum mit blauem Rauch.

»Barbara.«

Barbara schilderte Sandoval kurz die Avalon-Option. Sie erzählte ihm von dem Plan, den Asteroiden dazu zu benutzen, Donnerschlag auf Luna abzulenken, und erklärte, dass die beiden Transporter unverzüglich nach Avalon geschickt werden würden. Sandoval hörte kommentarlos zu. Als Barbara geendet hatte, paffte er noch einmal an der Zigarre, dann blickte er Smith finster an.

»Sind Sie derjenige, der sich das ausgedacht hat, Smith?«

»Das war einer meiner Leute.«

»Sehr klug von ihm. Sie entledigen sich Ihrer einzigen echten Konkurrenz und heimsen obendrein die Anerkennung dafür ein, die Erde gerettet zu haben. Was immer Sie ihm zahlen, es ist nicht genug.«

»Glauben Sie wirklich, dass es darum geht? Um ein geschäftliches Manöver?«

»Was soll ich denn sonst glauben? Sie lassen den Systemrat mir mein Eigentum rauben, während Ihres unbehelligt bleibt.«

»Ihre Bilanz, Mr. Sandoval, kann Ihnen doch kaum wichtiger sein als die Sicherheit der Erde!«

Der Südamerikaner wandte sich an Barbara. »Arbeiten Sie wirklich für Sky Watch, Señorita?«

»Ja.«

»Dann erkläre ich Ihnen etwas, das ich für einen von Mr. Smiths Handlangern niemals tun würde. Ich habe mich meinen Investoren gegenüber zu verantworten. Wir haben eine Menge Geld in das Einfangen von Avalon investiert. Es unwiederbringlich zunichte gemacht zu sehen, das ist hart. Im Grunde wird von mir verlangt, dass ich für die gesamte Menschheit die Zeche zahlen soll.«

»Sie werden selbstverständlich entschädigt werden!«

»Von wem? Vom Systemrat kaum. Der Rat lebt von den Beiträgen der Staaten. Jetzt versprechen sie alles Mögliche, aber was ist hinterher? Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass die verschiedenen Körperschaften bessere Verwendungen für ihre Mittel finden werden, wenn die Gefahr erst einmal gebannt ist. Ich werde von Glück sagen können, wenn ich für jeden Nuevopeso ein Zehntel wiederbekomme.«

»Welche andere Wahl bleibt Ihnen? Wenn Sie nicht kooperieren, wird man Sie womöglich lynchen. Davon abgesehen, kann man Ihnen den Asteroiden einfach gewaltsam wegnehmen.«

»Da bin ich mir nicht so sicher, Señorita. Zum einen besteht dafür keine gesetzliche Grundlage.« Sandoval paffte erneut an seiner Zigarre und betrachtete durch das Fenster nachdenklich die Skyline von Manhattan. »Jedenfalls sollten wir hier in diesem Raum in der Lage sein, das Problem aus der Welt zu schaffen.«

»Wie?«, fragte Barbara.

»Ich schlage einen Handel vor. Ich werde Mr. Smith Avalon zur beliebigen Verwendung überlassen. Er wird mir dafür den Felsen geben. Auf diese Weise kann ich meinen Aktionären eine funktionierende Mine präsentieren, während er zum Retter der Menschheit wird.«

»Genial«, erwiderte Smith, »aber nicht praktikabel. Mein Aufsichtsrat würde niemals zustimmen. Ebenso wie Sie hätten sie Bedenken wegen der Auswirkungen auf die Investoren. Jedenfalls teile ich Ihren Pessimismus hinsichtlich der Dankbarkeit der Menschheit, nachdem wir den Kometen aufgehalten haben, nicht.«

»Dann übernehmen Sie das Risiko, mein Freund!«

»Das werde ich. Wenn Sie bei der Verlagerung von Avalon kooperieren, werde ich veranlassen, dass sich Constance Forbin damit einverstanden erklärt, die bis jetzt entstandenen Kosten zu erstatten, zuzüglich eines beträchtlichen Bonus, um Ihre Aktionäre zufriedenzustellen. Für die Vereinbarung garantiere ich persönlich.«

»Wie?«

»Wenn sich die Staaten weigern sollten, zu zahlen, werde ich Ihre Klage vor dem Internationalen Gerichtshof unterstützen. Wenn die Gerichte gegen Sie entscheiden, trete ich die Hälfte des Felsen an System Resources ab.«

»Sie schlagen eine Fusion zwischen unseren beiden Gesellschaften vor?«

»Keineswegs. Wir konkurrieren wie bisher. Wir beuten lediglich das gleiche Vorkommen aus. Es wird nicht anders sein, als wenn Sie Avalon tatsächlich in einen Parkorbit geschafft hätten.«

»Ist es Ihnen ernst damit?«

»Ja.«

Eine Minute lang herrschte Schweigen. Schließlich streckte Sandoval seine Hand aus. »Ich werde meine Leute die notwendigen Schriftstücke aufsetzen lassen. Sie können Mrs. Forbin sagen, dass sie über einen Asteroiden verfügt, mit dem sie nach Belieben verfahren kann.«

Nach einigen Minuten weiterer Diskussion gingen sie alle drei zur Party zurück. Carlos Sandoval kehrte zum Kreis seiner Bewunderer zurück, während Smith und Barbara umherwanderten. Smith hielt einen vorbeieilenden Ober an, der ein Tablett mit Drinks dabeihatte, und fragte Barbara, ob sie einen wolle.

»Nein, danke.«

»Was ist los? Reicht Ihnen schon einer?«

»Ich trinke nicht gern auf leeren Magen.«

»Wollen Sie damit sagen, dass Sie noch nichts gegessen haben?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nur einen Snack auf dem Hinflug.«

»Dann entschuldige ich mich dafür, Sie nicht vorher gefragt zu haben. Was halten Sie davon, wenn wir uns hier verabsentieren und irgendwo einen Happen essen?«

»Ich möchte nicht, dass Sie wegen mir die Party verlassen.«

»Ich hasse diese Veranstaltungen. Der einzige Grund, warum ich heute hier bin, ist das Geschäft, das wir eben abgeschlossen haben.«

»Wenn es so ist, dann würde ich wirklich gern mit Ihnen zusammen essen.«

»Ich suche nur noch schnell unsere Gastgeberin, damit wir uns entschuldigen können. Ich kenne ein nettes kleines Bistro ganz in der Nähe, wo man eine wirklich gute Bouillabaisse bekommt.«


Wilhelm von Stiller war der Botschafter des Vereinten Europas bei der Republik Luna und der Doyen des diplomatischen Korps von Luna City. Der Posten war mehr eine Sinekure, da die Aufgaben vorwiegend zeremonieller Natur waren. Die wenigen anstehenden Probleme betrafen Handelsangelegenheiten und die Nutzung europäischer Ökopatente seitens der lunaren Industrie. Stiller hatte nie damit gerechnet, dass er es einmal mit einer echten diplomatischen Krise zu tun haben würde. Es war kaum fassbar, dass er mit dem Oberbefehlshaber der Friedenstruppe an seiner Seite durch die unterirdischen Tunnel schritt, die zum Privatbüro des Premierministers führten. Ein Kreuzer der Friedenstruppe hing über ihnen im Orbit. In von Stillers Kuriertasche befand sich eine Botschaft, die sehr wohl den Beginn des ersten interplanetarischen Kriegs der Menschheit bedeuten konnte.

Während er mit einem für einen Mann von siebzig Jahren beeindruckend raumgreifenden Schritt dahineilte, dachte von Stiller daran, dass er immer von einer bedeutenden diplomatischen Mission geträumt hatte. Jetzt, da es so weit war, sehnte er sich nach den Tagen zurück, da sich alles um Visaprobleme und Empfänge für Würdenträger gedreht hatte. Sich ein wenig Aufregung in seinem Leben wünschend, hatte von Stiller die klassische Definition des Abenteuers vergessen: eine schlimme Zeit für jemand anderen, der sich weit weg befand!

Von Stiller und der Admiral gelangten zum Eingang, vor dem zwei Polizisten Wache hielten. Sie zeigten ihre Ausweise vor und wurden hineingeleitet. Sie fanden John Hobart und einen engen Beraterkreis um einen Konferenztisch versammelt vor. Zwei Plätze dem Premierminister gegenüber waren frei geblieben.

»Willkommen, Sir«, sagte der Premierminister, indem er sich von seinem Platz hinter dem Tisch erhob. Er sah abgezehrt aus, aber seine Stimme war fest.

»Bürger remierminister«, grüßte von Stiller mit einer knappen Verbeugung. »Darf ich Ihnen Admiral Sutu Praestowik Suvanavum von der Friedenstruppe vorstellen?«

»Admiral Suvanavum«, sagte der Premierminister. »Wir haben die Ankunft Ihres Schiffes mit besonderem Interesse zur Kenntnis genommen. Ich hoffe, seine Anwesenheit bedeutet keine schlechten Nachrichten.«

»Es ist nicht unsere Absicht, Luna zu provozieren, remierminister«, erwiderte der Australasier. »Die Avenger war lediglich die schnellste Möglichkeit für mich, zu diesem Treffen nach Luna zu kommen.«

Hobart nickte und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf von Stiller. »Was haben Sie für uns, Herr Botschafter?«

»Ich wurde beauftragt, Ihnen dies hier auszuhändigen«, antwortete der Europäer, indem er eine versiegelte diplomatische Note aus seiner Kuriertasche holte. Die Note war ihm eine Stunde zuvor von General Suvanavum persönlich überreicht worden. Von Stiller reichte sie dem Premierminister.

Hobart nahm das dünne Bündel Papier und begann zu lesen. Seine Fortschritte waren an seinem Gesichtsausdruck abzulesen. Gegen Ende der ersten Seite hatten sich seine Ohren zu röten begonnen. Nach der zweiten hatte sein Gesicht eine bedrohliche Färbung angenommen. Nach der dritten begann von Stiller sich zu sorgen, dass Hobart ein Blutgefäß platzen könnte.

»Was soll dieser Quatsch bedeuten?«, fragte der Premierminister mit rauer Stimme, als er fertig war.

»Meine Regierung hat mich beauftragt, Ihnen diese Note zu überbringen, Bürger Premierminister. Sie gibt die übereinstimmende Meinung aller größeren Nationen der Erde wieder. Die Nationen glauben, es läge in ihrem vitalen Interesse, dass mit den Maßnahmen zur Verlagerung des Asteroiden Avalon augenblicklich begonnen wird. Allen nterventionsversuchen seitens Lunas wird mit militärischen Aktionen begegnet werden.«

»Dann haben Sie also beschlossen, Luna dem Kometen zu opfern!«

»Nein, Sir. Wir glauben nur, dass es klug ist, uns alle Optionen offen zu halten. Ich bin gebeten worden, Ihnen ausdrücklich zu versichern, dass wir für den Fall, es ergibt sich irgendeine praktikable Alternative, alle Maßnahmen hinsichtlich Avalon augenblicklich einstellen werden. Ich möchte klarstellen, dass Avalon bis eine Woche vor dem Zusammenstoß jederzeit wieder aus der Flugbahn des Kometen herausgebracht werden kann.

Außerdem wurde ich autorisiert, Gespräche hinsichtlich der Evakuierung von Luna einzuleiten. Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine Vorsichtsmaßnahme. Die Erde wird weder Kosten noch Mühen scheuen, um sicherzustellen, dass kein Lunarier Schaden erleidet, falls es sich als notwendig erweisen sollte, Donnerschlag auf Farside abzulenken.«

Als von Stiller geendet hatte, herrschte langes Schweigen. Es wurde von Alex Sturdevant gebrochen, Hobarts Chefberater und einer der engsten Freunde von Stiller auf Luna. »Ich glaube, deine Vorgesetzten auf der Erde haben unsere Entschlossenheit nicht begriffen, Willy.«

»Ich versichere dir, Alex, dass sie es tun. Ich flehe Sie an, die tiefe Verantwortung anzuerkennen, aus der heraus wir handeln.«

»Ein Dutzend unserer Schiffe sind bereit, nach Avalon zu starten, Admiral«, sagte Sturdevant und wandte seine Aufmerksamkeit dem Begleiter Sturdevants zu. »Wie viele haben Sie aufzubieten?«

»Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind zwei unserer Kriegsschiffe im Erde-Mond-System einsatzbereit. Wir haben sechs weitere in Rückrufweite. Sie können innerhalb eines Monats hier eintreffen.«

»Ziemlich verstreut, nicht wahr?«, fragte Harold Barnes.

»Ja«, stimmte Admiral Suvanavum zu. »Die Friedenstruppe war nie eine Militärmacht im herkömmlichen Sinn. Wir sind eher eine Polizeitruppe, die auf Abruf bereitsteht.«

»Eines dieser Schiffe ist die Avenger, die sich innerhalb der Reichweite unserer Bodenwaffen befindet, Admiral. Wir könnten sie innerhalb von Sekunden herunterschie ßen. Dann bliebe Ihnen nur noch ein einziges einsatzfähiges Kriegsschiff im Erde-Mond-System.«

»Das ist richtig.«

»Wie, zum Teufel, wollen Sie uns dann mit einem einzigen Schiff auf Avalon schlagen?«

»Wir haben nicht vor, es zu versuchen«, erwiderte Suvanavum geschäftsmäßig. »Wenn Sie beim Asteroiden intervenieren, dann habe ich Anweisung, Luna City zu bombardieren.«

»Das würden Sie nicht tun!«

»Doch«, erwiderte von Stiller grimmig, »das würden wir. Wir sprechen hier über das Überleben der Menschheit, meine Herren. Und eins kann ich Ihnen versichern: Luna wird die Erde nicht überdauern. Wenn Sie uns die einzige Möglichkeit, die Erde zu retten, zunichtemachen, dann lassen wir Sie mit uns untergehen.«

»Vielleicht sollten wir die Hälfte unserer Schiffe hierbehalten, um der armseligen Streitmacht des Admirals zu trotzen.«

»Das wird Ihnen nichts helfen, Bürger«, erwiderte Suvanavum. »Der Systemrat hat diejenigen Nationen, die noch über Nuklearwaffen verfügen, darum gebeten, ihre weitreichenden Abschusssysteme auf Luna auszurichten. Es gibt mehr als genug Sprengköpfe, um Ihre Abwehr zu durchdringen. Seien Sie versichert, dass die Erde bei jeder Art von useinandersetzung die Vorteile auf ihrer Seite hat. Vergeltung zu üben ist die einfachste aller militärischen Operationen.«

»Würden Sie uns wirklich bombardieren?«, fragte Hobart. Während der letzten Minuten, als ihm die Implikationen dessen, womit die Erde drohte, aufgegangen waren, hatte sich seine Gesichtsfarbe von rot zu aschfahl verändert.

»Nur wenn Sie uns dazu zwingen«, erwiderte von Stiller. »Wir haben weder die Absicht, einen Völkermord zu verüben, Premierminister, noch beabsichtigen wir zu sterben. Wenn die einzige Möglichkeit, den Kometen aufzuhalten, darin besteht, dass wir ihm mit Luna den Weg versperren, dann werden wir das tun. Wir würden es vorziehen, wenn dabei keiner sterben müsste. Unser Angebot steht. Wir werden die Avalon-Option nur als letzte Möglichkeit nutzen und, falls nötig, jeden einzelnen Lunarier evakuieren und zur Erde umsiedeln.«

Von Stiller blickte sich am Tisch um. »Die Entscheidung liegt bei Ihnen, meine Herren. Wir können zusammenarbeiten, oder wir können kämpfen. Wenn Sie mit uns kooperieren, finden wir gemeinsam vielleicht eine bessere Lösung. Falls nicht, wird zumindest die Menschheit gerettet, die zehn Millionen Einwohner Lunas eingeschlossen. Es wird unbequem für Sie sein, aber es braucht niemand zu sterben.

Wenn Sie sich für den Kampf entscheiden, dann stirbt die Erde beim Zusammenstoß mit dem Kometen, und Luna stirbt unter einem Bombenhagel. Ich biete Ihnen das Leben an oder den Tod. Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen.«


Wie John Hobart schlief auch Constance Forbin neuerdings schlecht. Das Gleiche galt für die meisten der erantwortlichen auf der Erde. Die Nationen dazu zu bringen, sich auf eine gemeinsame Antwort auf das Ultimatum Lunas zu einigen, hatte einen sehr großen Kraftaufwand erfordert. Erst nachdem mehrere Länder gedroht hatten, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, war eine Verständigung zustande gekommen.

Es war Constance Forbins Idee gewesen, ihre Forderungen durch einen Kreuzer der Friedenstruppe überbringen zu lassen. Eine Flotte wäre ihr lieber gewesen, aber es gab keine. Kanonenbootpolitik als Mittel der Staatskunst hatte man lange Zeit missbilligt. Aber manchmal war sie offenbar unumgänglich.

Die hefkoordinatorin saß an ihrem Schreibtisch und versuchte sich auf die vor ihr liegende Arbeit zu konzentrieren. Sie sah eine Reihe von Berichten durch, während sie auf Nachrichten von Luna wartete. Halver Smith hatte über sein Treffen mit Sandoval berichtet. Wenigstens das war gut verlaufen. Andere Berichte befassten sich mit den möglichen Folgen des Zusammenstoßes von Donnerschlag und Luna. Die Erde würde durch die Trümmer, die bei der Kollision entstünden, immer noch erheblich gefährdet sein. Einige Wissenschaftler schätzten, dass das in eine Mondumlaufbahn und weiter hinauf geschleuderte Material ein Prozent der Gesamtmasse des Mondes ausmachen würde! Was für ein kosmischer Witz wäre es doch, dachte sie, wenn sie den Kometen überlebten, nur um von einem Hagelschauer von Meteoren getötet zu werden.

Ihre Gedanken wurden durch das plötzliche Summen der Sprechanlage unterbrochen. »Ja?«

»Botschafter von Stiller aus Luna City ist am Apparat«, sagte ihre Sekretärin.

»Stellen Sie ihn durch!«

Auf Constances Bildschirm erschien das finstere Gesicht von Wilhelm von Stiller. Er blickte geradeaus mit dem starren Blick eines Mannes, der auf seine Verbindung wartet. Wenige Sekunden später kam Leben in sein Gesicht.

»Sind Sie es, Constance Forbin?«

»Ja, ich bin es. Wie ist die Lage, Herr Botschafter?«

Es dauerte eine weitere kleine Ewigkeit, bis sich von Stillers Schnurrbart in einem schwachen Lächeln hob. »Sie haben akzeptiert! Der Premierminister hat seine persönliche Zusicherung gegeben, dass Luna nicht intervenieren wird. Er bittet darum, so bald wie möglich ein Treffen anzuberaumen, um die Evakuierung vorzubereiten, falls sie sich als notwendig erweisen sollte.«

Constance gab einen tiefen Seufzer von sich. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass sie den Atem angehalten hatte. »Sehr schön, Herr Botschafter. Sagen Sie dem remierminister, dass wir unverzüglich mit dem Bau einer Evakuierungsflotte beginnen werden. Die von ihm gewünschte Konferenz wird innerhalb von zehn Tagen einberufen werden. Und übermitteln Sie ihm meinen persönlichen Dank. Er hat die richtige Entscheidung getroffen!«


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