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Hätte man Luna City vom Raum aus sehen können, hätte die Stadt an nichts so sehr wie an ein gigantisches Bullauge erinnert. Da sie sich jedoch unter der Erde befand, fiel ihre Form nur jemandem auf, der sich die Zeit nahm, einen Stadtplan zu betrachten. Tom Thorpe tat genau dies, als er den Weg von seinem Hotel zu John Hobarts Wohnung suchte.

Luna City lag zweihundert Kilometer südwestlich des Kopernikus-Kraters. An dieser Stelle war im Jahre 2005 zunächst eine der frühen lunaren Siedlungen der Vereinigten Staaten errichtet worden. Die Kolonie hatte sich ein Jahrzehnt später nach der Entdeckung unterirdischer Eisvorräte ausgedehnt. Später hatten automatisch arbeitende Tunnelbohrer fünfhundert Meter unter der Oberfläche sechs konzentrische Ringe ausgehöhlt. Sobald ein Tunnel versiegelt und mit Atmosphäre versehen war, hatten ihn neue Einwanderer von der Erde besiedelt.

Als die Bevölkerung wuchs, hatte man diese ersten sechs Tunnel erweitert, untereinander vernetzt und neue hinzugefügt. Schließlich wurden fünf zusätzliche Wohnebenen in das Mondgestein gegraben. Jede neue Ebene wurde hundert Meter unter der letzten und mit ein oder zwei zusätzlichen konzentrischen Ringen angelegt. Die sechste und neueste Ebene bestand aus insgesamt zwölf Ringen.

Tom Thorpe stand vor einem öffentlichen Monitor und gab sein Ziel ein. Eine purpurrote Linie markierte den Weg bis zu Hobarts Wohnung. Nach kurzer Zeit hielt er einen dreidimensionalen Stadtplan in der Hand, auf dem die abgestumpfte Kegelform der Stadt deutlich zu erkennen war. Zuversichtlich, dass er sein Ziel nun würde finden können – oder wenigstens den Rückweg zum Hotel, falls er sich verlaufen sollte -, trat er auf den Großen Verteiler hinaus.

Der Große Verteiler war eine spiralförmige Galerie, die in die Seitenwand der künstlichen Höhle geschnitten war, die das Stadtzentrum beherrschte. Die zylindrische Höhlung maß mehr als hundert Meter im Durchmesser und erstreckte sich fünfhundert Meter vom Boden bis zur Decke. Die Höhle diente der Stadt als Luftreservoir und als sozialer Mittelpunkt. Am Scheitelpunkt des Kegels war eine künstliche Sonne aufgehängt, während sich einen halben Kilometer darunter das Grün eines Parks erstreckte. Entlang dem langen Spazierweg befanden sich die Theater, Restaurants, Hotels, Spezialitätenläden, Bars und Straßencafés. Der Große Verteiler hob sich mit jeder Windung zwanzig Meter und beschrieb zwischen den Hauptebenen jeweils fünf Windungen.

Es war genau neunzehn Uhr, als Tom Thorpe aus der Lobby seines Hotels in den Verteiler trat. Die künstliche Sonne war zu einem blassen Blau heruntergeschaltet worden, um eine irdische Dämmerung zu simulieren. In einer Stunde würde sie das tiefere Blau der Nacht annehmen. Verschiedenfarbige Lampen waren an den Seiten der spiralförmigen Rampe angeschaltet worden, welche die dünnen Wolken, die durch den Hohlraum schwebten, im Zwielicht fluoreszieren ließen. Ein zweifacher Strom von Lunariern bewegte sich treppauf und treppab, während junge Paare und Familien an den Schaufenstern der Geschäfte entlangschlenderten.

Thorpes Hotel lag auf der Mitte zwischen Ebene Vier und Fünf auf der Westseite der zentralen Höhle. John Mahew Hobarts Wohnung befand sich auf Ebene Drei, hundertfünfzig Meter weiter oben, im nordöstlichen Quadranten des vierten konzentrischen Rings. Thorpe hatte mit dem Gedanken gespielt, über den Verteiler zu Ebene Drei hinaufzugehen, hatte den Plan jedoch fallengelassen, als er nach kurzem Überlegen feststellte, dass der Weg über die Spirale länger als zwei Kilometer war. Sein verletztes Bein hatte wie immer gegen Abend zu schmerzen begonnen, und selbst bei der niedrigen lunaren Schwerkraft bezweifelte Thorpe, ob er sich den Aufstieg zutrauen konnte.

Stattdessen machte er einen öffentlichen Airlift ausfindig und ließ sich in den vertikalen Schacht hineinfallen. Die aufsteigende Luft zerrte an seinen Kleidern. Hätte er sich auf der Erde befunden, wäre er auf die Schaufelräder zweihundert Meter unter ihm hinabgestürzt. Mit einem Sechstel des normalen Körpergewichts jedoch wurde er von der hochbeschleunigten Luft in die Höhe getragen. Er schwankte von einer Seite zur anderen bei dem Versuch, die richtige Haltung zu finden – mit gespreizten Beinen, gekrümmtem Rücken, den Bauch so weit wie möglich herausgedrückt. Die leuchtenden Nummern der Ebenen zogen an ihm vorbei. Als er Ebene Drei erreicht hatte, griff er nach dem polierten Geländer, das an der Schachtwandung entlanglief, und verfehlte es fast. Sobald er es einmal gepackt hatte, schwang er sich aus dem Luftstrom heraus und landete sanft auf dem Treppenabsatz der dritten Ebene. Anschließend durchquerte er einen kurzen Korridor und betrat wieder den Verteiler. Auch als er die Liftanlage bereits hinter sich gelassen hatte, klangen ihm von dem Lärm immer noch die Ohren.

Beim Studieren des Stadtplans erkannte Thorpe, dass er sich immer noch auf der falschen Seite der zentralen Höhlung befand. Er entdeckte eine der Fußgängerbrücken, welche die Stadtplaner über den Abgrund gespannt hatten. Die Brücke schien nicht stabil genug, das Gewicht eines Mannes zu tragen, ganz zu schweigen von dem Menschenstrom, der sich stetig darüber ergoss. Trotz all der Jahre, die er auf dem Felsen verbracht hatte, fühlte sich Thorpe beklommen, als er die gemächlich schwingende Brücke betrat. Er überquerte sie, ohne nach unten zu blicken.

Zehn Meter oberhalb der Brücke entdeckte er einen breiten Korridor mit einem Schild, auf dem in leuchtend weißen Buchstaben NORDOSTRADIUS stand. Er trat auf einen der beiden Gleitwege und ließ sich davontragen. Der vierte Ring der Peripherie lag einen Kilometer vom Gro- ßen Verteiler entfernt. Er erreichte ihn in zehn Minuten. Dort angelangt, hielt er eine Passantin an und fragte sie nach der Wohnung von John Mahew Hobart. Fünf Minuten später befand sich Thorpe in einem kurzen Seitenkorridor, dessen Ausstattung diese Gegend als eine der wohlhabenderen der Stadt auswies.


»Ah, Mr. Thorpe, es freut mich, dass Sie kommen konnten!«, rief Hobart, als er den Repräsentanten der Sierra Corporation an der Tür begrüßte.

»Ich komme ein wenig früh«, erwiderte Thorpe. »Ich bin extra früh aufgebrochen, für den Fall, dass ich mich verlaufen sollte.«

»Machen Sie sich nichts draus. Schön, dass Sie da sind. Es gibt hier Geschichten von Touristen, die tagelang verschollen waren. Treten Sie ein und lassen Sie sich mit meiner Frau und den anderen Gästen bekanntmachen.«

Hobarts Wohnung war so geformt, dass sie einer natürlichen Höhle auf der Erde ähnelte. Hauptsächlich bestand sie aus freiem Raum, mit Sitzgruppen über mehrere natürlich wirkende Nischen verteilt, die durch künstliche Stalaktiten und Stalagmiten voneinander abgeteilt wurden. Ebenso waren die Durchgänge zu den anderen Räumen als natürliche Öffnungen getarnt. Ein weiches, indirektes Licht, das aus den gewölbten Wänden kam, erhellte den Raum. Hobart führte Thorpe an einem kleinen Teich voller Lilien und Goldfische vorbei zu einer Gruppe von Leuten, die sich um die gutsortierte Bar drängten.

»Thomas Thorpe, ich möchte Sie mit meiner Frau Nadia bekanntmachen. Nadia, das ist Mr. Thorpe, Einsatzleiter auf dem Felsen

»Hallo, Mr. Thorpe«, sagte Mrs. Hobart und streckte ihre Hand aus. Sie war eine hübsche Frau in den späten Vierzigern. Ihr schwarzes Haar war graugesträhnt, aber sonst hätte sie durchaus als zehn Jahre jünger durchgehen können. Ihr Abendkleid zeigte mehr Haut, als es verbarg, war nach Mondmaßstäben jedoch konventionell. »Ich freue mich, dass Sie kommen konnten.«

»Ich möchte Ihnen für die Einladung danken«, erwiderte Thorpe.

Hobart besorgte ihm einen Drink und stellte ihn den anderen Gästen vor. Ihm wurde bald klar, dass es sich hier um eine Zusammenkunft der Nationalpartei von Luna und ihrer Anhänger handelte. Gerade als die Vorstellung beendet war, erklang eine leise Glocke, und Hobart entschuldigte sich, um die Tür zu öffnen.

»Sie waren also am Einfangen des Felsens beteiligt?«, fragte einer von Hobarts Gästen. Thorpe wandte sich dem Mann zu, der ihm als Harold Barnes, Vorstandsmitglied der Bank von Luna vorgestellt worden war.

Thorpe nickte. »Vom ersten Erkundungsflug an bis vor sechs Wochen, als ich bei einem Unfall verletzt wurde.«

»Ja«, sagte die Frau des Bankiers, »John hat uns erzählt, was passiert ist. Es muss schrecklich für Sie gewesen sein!«

»Als es passierte, nicht. Ich erinnere mich noch, dass ich mir wegen des Produktionsausfalls Sorgen machte.«

»Wie tapfer!«, säuselte die Dame.

Thorpe lachte. »Seitdem hatte ich aber mehr als einmal den Tatterich, das können Sie mir glauben.«

»Und wie viel hat es Sie denn nun gekostet, den Felsen zu bewegen?«, fragte Barnes.

»Eine Menge!«, antwortete Thorpe. »Nach der genauen Summe müssten Sie allerdings Halver Smith fragen.«

»Ich bezweifle, dass er sie mir nennen würde.«

»Das bezweifle ich auch«, stimmte Thorpe zu.

Die Antwort ließ Barnes unbeeindruckt. »Meine Bank hat sich mit der Kostenseite des Asteroidenfangs befasst. Man schätzt die Kosten als zehnmal so hoch ein wie bei einem ähnlichen Projekt auf Luna. Warum ist das so?«

»Aus einer Reihe von Gründen«, antwortete Thorpe. »Die Masse des Felsen beträgt etwa dreihundert Milliarden Tonnen. Ein Antriebssystem, das einen solchen Brocken bewegt, kommt nicht gerade billig. Es hat vier Jahre gedauert, wie Sie wissen. Dazu kommen Finanzierungskosten, Versicherung, Gehälter. Schließlich noch die Brennstoffkosten. Wir haben fast zehn Kilogramm Antimaterie gebraucht, um den Felsen in die Erdumlaufbahn zu befördern.«

»Zehn Kilogramm, sagten Sie? Das ist eine ganze Menge, nicht wahr?«

Thorpe nickte. »Ungefähr die Zweijahresproduktion eines der großen Energiesatelliten.«

»Mein Eindruck war, dass der Felsen ziemlich nahe an der Erde vorbeigeflogen ist. Dass er fast mit ihr zusammengestoßen ist, um genau zu sein! Warum so viel Antimaterie?«

»Es stimmt, dass der ursprüngliche Orbit den Felsen ziemlich nahe an die Erde herangebracht hat. Jedenfalls hatte er ebenfalls eine Neigung von zehn Grad gegenüber der Ekliptik.«

»Der was?«

»Die Ebene der Umlaufbahn der Erde. Eine Korrektur dieser Ebene ist das kostspieligste aller Manöver im Weltraum. Achtzig Prozent der verbrannten Antimaterie dienten dazu, die Rotationsebene des Felsens neu auszurichten. Danach war die Umstellung vom solaren auf den terrestrischen Orbit ein Kinderspiel.«

»In unserer Branche, Mr. Thorpe, werden wir oft darum gebeten, die Finanzierung derartiger Unternehmungen zu beurteilen. Würden Sie ein solches Projekt empfehlen?«

»Als Erstes würde ich mir die betreffende Orbitalmechanik ansehen. Wie groß muss Delta V – das ist die Geschwindigkeitsänderung – in welcher Zeit sein? Dann würde ich das technische Gutachten der Firma genau unter die Lupe nehmen. Schließlich …«

»Harold Barnes!«, sagte jemand hinter Thorpe. »Bohrst du unseren Gast etwa um kostenlosen Rat an?«

Als Thorpe sich umwandte, sah er Mrs. Hobart hinter sich stehen. Sie trat näher und ergriff sanft seinen Arm. »Sie müssen ihn entschuldigen, Tom. Im Vergleich zu einem Lunarier ist ein Schotte ein Verschwender, und unsere Banker sind die schlimmsten von allen. Harold würde Sie den ganzen Abend mit Beschlag belegen, wenn Sie ihn nur ließen. Harold, noch ein Fehltritt, und ich muss dich von meinen Partys verbannen.«

Barnes verneigte sich vor seiner Gastgeberin. »Ein Schicksal schlimmer als der Tod, Nadia. Ich werde mich an dein Verbot halten.«

»In der Zwischenzeit muss ich mir deinen Gesprächspartner ausleihen.« Sie führte Thorpe zu einer Stelle, wo sie auf einer Parkbank in der Nähe des Zimmerteichs sitzen konnten. »Bitte verzeihen Sie, dass ich das nicht schon früher gesehen habe. Luna ist immer noch so etwas wie ein Grenzland, fürchte ich, und manche gesellschaftlichen Gepflogenheiten gehen uns einfach ab.«

Thorpe lächelte. »Nicht so sehr Grenzland wie der Ort, von dem ich komme. Ihre Wohnung ist bezaubernd.«

»Danke. John hat sie extra anfertigen lassen. Ich bin auf der Erde geboren, und während der ersten Jahre unserer Ehe habe ich mich darüber beklagt, in einer Höhle leben zu müssen. Das hier …« – sie umfasste mit einer ausholenden Geste die belebte Szenerie – »ist seine Rache.«

»Es ist trotzdem bezaubernd.«

»Uns gefällt es. Möchten Sie noch einen Drink?«

»Vielleicht ein Glas Wein. Ich muss heute noch zu meinem Hotel zurücknavigieren.«

Nadia Hobart stand auf und kehrte mit einem Glas Weißwein zurück, dann fragte sie Thorpe, wie ihm Luna City gefalle. Er erklärte ihr, dass er noch nicht viel davon gesehen habe, doch dass ihm noch ein paar Tage für Besichtigungen blieben. Sie schlug ihm eine Reihe von Sehenswürdigkeiten vor und empfahl ihm einen Führer, der ihn zum Friedensdenkmal bringen würde. Sie sprachen immer noch über die lokalen Sehenswürdigkeiten, als der Koch bekanntgab, dass das Essen serviert würde.

Nach dem Essen lud Hobart Thorpe mit zwei anderen Männern in sein Arbeitszimmer ein. Einer von ihnen war Harold Barnes, der Bankier.

»Bourbon, Mr. Thorpe?«

»Nur einen kleinen.«

»Er ist ziemlich gut«, sagte der Parlamentarier, während er ein kleines Glas füllte, das besonders hoch war, um die Flüssigkeit bei der niedrigen Mondschwerkraft unter Kontrolle zu halten. »Wir destillieren ihn selbst. Er würde sich hervorragend zum Export eignen, wenn nicht gewisse reaktionäre Elemente auf der Erde dagegen wären.«

Thorpe nickte. Die Importbeschränkungen der Erde bedeuteten für alle Niederlassungen im Raum ein Ärgernis. Von einem unerschöpflichen Vorrat an Vakuum umgeben, war die Vakuumdestillation für sie leicht und billig. Aus Angst vor der Konkurrenz hatten sich die Destillateure auf der Erde zusammengetan und den Import extraterrestrischer Spirituosen verbieten lassen.

Als jeder der Männer ein Glas in der Hand hielt, wandte sich John Hobart an seinen Gast. »Wie kommen Sie mit dem Kometenkauf voran?«

»Wie bitte?«, erwiderte Thorpe mit einem möglichst unbeteiligten Gesichtsausdruck.

Sein Versuch, unberührt zu erscheinen, begegnete einem breiten Lächeln. »Kommen Sie, Mr. Thorpe. Sie werden anerkennen müssen, welche Möglichkeiten mir hier zur Verfügung stehen. Ihre Verabredung mit Rektor Cummings wurde im Universitätscomputer verzeichnet. Ich musste nicht erst lange danach suchen. Anschließend rief ich den Rektor einfach an und fragte ihn danach, was Sie von ihm wollten. Erzählen Sie mir von diesem Kometen.«

Thorpe präsentierte den Lunariern dieselbe Geschichte, die er dem Rektor erzählt hatte.

»Glauben Sie wirklich, dass sich dieser Irrläufer aus der Tiefe des Alls zum Abbau eignet?«, fragte Hobart.

Thorpe zuckte mit den Achseln. »Das werden wir erst sagen können, wenn wir die endgültigen Orbitaldaten vorliegen haben. Außerdem müssen wir seine Zusammensetzung und seine Größe kennen. Jedenfalls besteht eine ausreichend hohe Wahrscheinlichkeit, dass Mr. Smith ihn sich nicht wird entgehen lassen wollen.«

»Ich hatte den Eindruck, Willy Grandstaff war überrascht darüber, dass ich Sie für heute Abend eingeladen habe.«

»Er meinte, eine solche Einladung sei höchst ungewöhnlich.«

»Das ist sie in der Tat. Ich hätte sie beinahe nicht ausgesprochen. Ich war schon in der U-Bahnstation am Raumhafen, dann machte ich wieder kehrt, um Sie zu suchen. Meine Freunde und ich, wir befassen uns seit einiger Zeit mit einer bestimmten Idee. Wir würden gerne Ihre Meinung dazu hören.«

Hobart lehnte sich auf dem Sofa zurück und verschränkte die Hände vor dem Bauch. »Manche Leute haben Luna mit einem riesigen Bergwerkskonzern verglichen. Wir graben überall Tunnel. Wir graben nach Eislagern, höhlen andauernd neuen Lebensraum aus und schürfen nach den Metallen, die wir für unsere Industrie benötigen. Unser Metall stammt aus der gleichen Quelle wie das der Sierra Corporation. Wir beuten dafür Asteroiden aus. Der Unterschied besteht darin, dass Ihr Asteroid frei im Raum fliegt, während unsere vor Jahrmilliarden auf den Mond gestürzt sind.

Wegen all dieser Tunnelarbeiten herrscht bei uns permanenter Mangel an schwerem Abbaugerät. Obwohl wir alle Anstrengungen unternehmen, scheinen die Maschinenhersteller nie Schritt halten zu können. Als Folge davon müssen wir die Geräte für den Eisbergbau, den Wohnungsbau und die Metallextraktion rationieren. Um die Produktion in dem einen Bereich zu steigern, müssen wir sie in den anderen beiden herunterfahren.

Eis ist für uns von ausschlaggebender Bedeutung, Mr. Thorpe. Unser ökonomisches Wohlergehen hängt davon ab. Es liefert uns Wasser, Luft und einen Großteil unserer chemischen Grundstoffe. Im Moment behindert unsere Unfähigkeit, die Eisgewinnung auszuweiten, unser ökonomisches Wachstum.«

»Bauen Sie mehr schweres Gerät.«

»Das erfordert zusätzliche Fabriken, die wiederum zusätzliche Ressourcen erfordern, über die wir nicht verfügen. Und was fangen wir so lange an, während wir die Fabriken bauen? Nein, wir brauchen etwas, das die Eisgewinnung kurzfristig ankurbelt und uns Zeit für längerfristige Investitionen lässt.«

»Eine gute Sache, wenn Sie das schaffen.«

»Wir glauben, wir haben eine Lösung gefunden«, fuhr Hobart fort. »Wir sind darauf gekommen, dass wir diese Anlagen im Eisbergbau einsetzen könnten, wenn wir die Metallgewinnung vollständig einstellen sollten.«

»Aber dann würden Sie eine andere Quelle für Metalle brauchen.«

»Es wurde der Vorschlag gemacht, dass der Felsen diese Quelle sein könnte.«

»Sie möchten, dass wir Sie ebenso beliefern, wie wir die Erde beliefern?«, fragte Thorpe.

»Genau. Und wir werden für das Metall mit Eis bezahlen.«

»Zu welchem Wechselkurs?«

»Darüber wäre zu verhandeln«, schaltete Harold Barnes sich ein. »Zehn Tonnen Eisen für eine Tonne Eis wäre ein vernünftiges Verhältnis.«

»Sie sprechen von hunderttausend Tonnen Eis pro Jahr. Der Felsen benötigt nicht so viel. Was machen wir mit dem Überschuss?«

»Verkaufen Sie ihn an die anderen Raumkolonien«, sagte Barnes. »Glauben Sie mir, es würde ein hübscher Nebenverdienst dabei herausspringen.«

»Was ist mit Ihren eigenen Eisexporteuren? Das würde sie aus dem Geschäft hinausdrängen.«

»Wir werden dafür sorgen, dass sie für ihre Verluste entschädigt werden.«

»Das ist ein verlockendes Angebot«, sagte Thorpe. »Es gibt dabei nur ein Problem.«

»Welches?«, fragte der vierte Mann. Thorpe erinnerte sich daran, dass er ihm als Funktionär der Bergbaugewerkschaft vorgestellt worden war.

»Wie schaffen wir das Eisen zu Ihnen runter? Wir bremsen die Lieferungen für die Erde aerodynamisch ab. Da Luna keine Atmosphäre besitzt, funktioniert das nicht. Wir können die Fracht auch nicht mit Raketen landen. Es würde sich nicht rentieren.«

»Wir haben eine Menge ungenutztes Land, Mr. Thorpe«, sagte der Gewerkschaftsfunktionär. »Warum sie nicht einfach in einen verlassenen Krater plumpsen lassen?«

»Sie wissen nicht, was Sie da vorschlagen«, erwiderte Thorpe. »Man kann nicht einfach eine Million Tonnen Eisen, die sich mit einer Geschwindigkeit von mehreren Kilometern pro Sekunde bewegen, auf den Mond fallen lassen! Die Mondtrümmer würden überallhin verstreut, ganz zu schweigen von den Stücken, die in einen Orbit gehen würden.«

»Wie wäre es, wenn Sie die Erzfracht in tiefen Regolith fallen lassen würden? Wäre das nicht vergleichbar mit einer Wasserlandung?«, fragte Hobart.

»Jedenfalls dann, wenn das Material eine geringe Dichte aufweisen würde, vermute ich. Wir könnten die Frontfläche der Erzcontainer vergrößern, um die Last weiter zu verteilen. Aber wo würden Sie sie fallenlassen?«

»Sagt Ihnen das Orientbecken etwas?«

»Ich habe davon gehört.«

»Das Becken ist ein großes Mare am Westrand des Mondes. Vor vier Milliarden Jahren ist dort ein großer Meteor eingeschlagen. Da das Orientbecken nie von Magma überflutet wurde, besteht der Boden aus den staubförmigen Überresten des Aufpralls. An manchen Stellen beträgt die Tiefe vier Kilometer. Der spezifischen Dichte nach sollte er sich bei einem solchen Zusammenprall ähnlich wie eine Flüssigkeit verhalten.«

»Was ist mit dem dabei hochgeschleuderten Material?«, fragte Thorpe. »Bei Ihrer schwachen Gravitation kann niemand sagen, wo das lose Gestein niedergehen würde.«

»Das muss natürlich noch im Detail untersucht werden«, stimmte Hobart zu. »Ist SierraCorp an einem solchen Vorhaben interessiert?«

»Mehr als interessiert«, antwortete Thorpe. »Hören Sie, ich werde Mr. Smith von dieser Unterredung unterrichten und Sie nach meiner Rückkehr vom Farside-Observatorium wieder aufsuchen. Einverstanden?«

»Einverstanden, Mr. Thorpe. Wir unsererseits werden so lange davon Abstand nehmen, den Plan mit Señor Sandoval von System Resources zu erörtern, bis wir von Ihnen wieder etwas hören. Schließlich ist ein Asteroid vor Ort mehr wert als einer in der Überführung. Noch einen Bourbon?«

Thorpe blickte in sein Glas, das beinahe leer war. »Vielleicht noch einen, Bürger Hobart. Trinken wir auf ein erfolgreiches Geschäft für alle Beteiligten!«

»Nein, Mr. Thorpe«, sagte Hobart. »Trinken wir auf die Republik Luna. Auf dass sie immer stark bleibe!«


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