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»Achtung, an alle Passagiere! Sonnenaufgang in dreißig Sekunden. Bitte treffen Sie alle nötigen Vorkehrungen.«

Die Ankündigung hallte durch die Einschienenbahn, während die Kette der gedrungenen Zylinder durch die Dunkelheit der langen Mondnacht schoss. Tom Thorpe suchte den Horizont nach einem Anzeichen der bevorstehenden Dämmerung ab. Zunächst war hinter dem dreiwandigen Fenster nichts als Dunkelheit. Einen Moment später hatte die Bahn den höchsten Punkt der Steigung erreicht, die sie hinaufgeklettert war, und die Sonne stand eine Handbreit über dem Horizont. Der Übergang von tiefster Schwärze zu blendender Helligkeit vollzog sich beinahe unvermittelt.

Thorpe stöhnte vor Schmerz, als sich zwei Dolche in seine Augen bohrten. Er wandte rasch den Blick ab, doch nicht schnell genug, als dass nicht grüne Nachbilder in seiner Sicht geschwommen wären. »Verdammt, das ging aber schnell!«

»Deshalb wird man ja vorgewarnt«, sagte neben ihm Amber. »Ich hätte etwas sagen sollen. Ich habe Sie aus dem Fenster starren sehen, aber mir ist nicht aufgefallen, dass Sie sich nicht darüber im Klaren waren, was Sie zu erwarten hätten. Ich dachte, Sie kennen die Gefahr, weil Sie auf dem Felsen arbeiten.«

Anders als auf der Erde, wo die Dämmerung von einem allmählichen Hellerwerden des östlichen Himmels angekündigt wird, war der Sonnenaufgang auf einem atmosphärelosen Himmelskörper eher ein gewaltsamer Vorgang. Man wurde nur dann vorgewarnt, wenn die Sonne größere Erhebungen beschien. War nichts dergleichen in Sicht, begann der Tag so abrupt, als würde ein Licht eingeschaltet, zumal wenn man sich mit dreihundert Stundenkilometern fortbewegte.

Thorpe spähte zwischen den Augenlidern hervor, dann öffnete er langsam die Augen. Nachdem er seinen Handrücken angestarrt hatte, ließ er den Blick durch das Innere der Passagierkapsel schweifen. Einzig das Fenster und die erhitzte Landschaft dahinter sparte er aus. Wenn er nur daran dachte, tränten ihm bereits die Augen. »Ich glaube nicht, dass ich mich verletzt habe.«

»Ich kann den Steward um eine Eispackung bitten, wenn Ihnen der Kopf wehtut.«

»Nicht nötig. Übrigens, so schnell würde ich ihm gegenüber ein solches Kunststück auch nicht zugeben. Er könnte mich für einen Touristen halten.«

Sie lachte. »Ein Schicksal schlimmer als der Tod!«

Als das Geschäft mit dem Farside-Observatorium abgeschlossen war, hatte Thorpe eine Fahrt mit dem Vor-Sonnenaufgangs-Rolligon nach Hadley’s Crossroads gebucht. Zu seiner Überraschung hatte er Amber Hastings bereits an Bord vorgefunden, als er durch die offene Luke in die große Passagierkabine des Fahrzeugs geklettert war.

»Was tun Sie denn hier?«, hatte er gefragt, als er neben ihr Platz genommen hatte.

»Ich gehe auf Heimaturlaub!«

»Richtig. Sie haben das mal erwähnt, nicht wahr?«

Sie hatte genickt, was durch den Helm ihres Vakuumanzugs kaum zu erkennen gewesen war. »Ich habe bis spät in die Nacht gearbeitet, um die offenen Fragen bezüglich des Kometen aufzuarbeiten. Ich wollte nicht wieder zwei Wochen bis zur nächsten Schicht warten.«

»Freut mich, dass Sie mitfahren. Wenn ich mich mit jemandem unterhalten kann, werde ich von Varls Fahrweise abgelenkt.«

Thorpe fand bald heraus, dass Amber ihn tatsächlich von der Fahrt ablenkte. Er wurde von ihrer Gesellschaft so in Anspruch genommen, dass er es kaum bemerkte, als sich der Rolligon für fast fünf Sekunden in ein Flugmobil verwandelte.

Ihre Unterhaltung beschränkte sich zunächst auf Smalltalk, doch bald schon wurden die Themen persönlicher. Thorpe erzählte ihr sozusagen sein Leben. Sie konterte mit ihrer Jugend im unterirdischen Labyrinth von Luna. Anschließend saßen sie lange Zeit schweigend da, bis die waghalsigen Manöver des Rolligonfahrers ihnen eine Reihe von Scherzen entlockten. Als sie Hadley’s Crossroads erreichten, wären sie vor Lachen in ihren Anzügen beinahe erstickt.

Sie hatten Glück, dass sie nur zwei Stunden auf die Einschienenbahn nach Luna City zu warten brauchten. Eine Viertelstunde hinter Hadley’s überquerte die dahinrasende Bahn den Terminator und erteilte Thorpe seine schmerzhafte Lektion. Zehn Minuten darauf zeigte Amber auf einen zerklüfteten Berg, der gerade über dem Horizont auftauchte.

»Sehen Sie diese Bergspitze dort drüben?«

Thorpe blickte über die öde Landschaft hinweg zu dem entfernten Gipfel und nickte.

»Das ist die Teufelshöhe. Dort kam kurz nach der Jahrhundertwende eine Forschungsexpedition um. Fünf Männer verschwanden damals spurlos.«

»Wie kann denn auf dem Mond etwas verschwinden? Sie müssen doch Spuren hinterlassen haben.«

Sie schüttelte den Kopf. »Sie haben einen MoonJumper benutzt. Ihre letzte Meldung war, dass sie nahe der Höhe niedergehen würden.«

»Landeunfall?«

»Möglicherweise.«

Thorpe nickte. Er hatte die Raketen gesehen, die hier die gleiche Aufgabe erfüllten wie die Flugzeuge auf der Erde. Ein MoonJumper sah anders als aus die Apollo-Mondlandefähre oder die Fähre, die Thorpe zum Raumhafen von Luna City transportiert hatte. Vier in Plattfüßen endende Beine umgaben einen Raketenantrieb mit einer Druckluftkabine an der Spitze. Die Hüpfer flogen nicht wie ein Flugzeug. Sie beförderten sich vielmehr in eine ballistische Bahn und bremsten ihren Fall später bei der Landung ab.

»Und es wurden keinerlei Überbleibsel gefunden?«

Amber schüttelte den Kopf. »Keinerlei Spuren. Manche Leute glauben, sie könnten auf einem Abhang aufgesetzt und einen Erdrutsch ausgelöst haben, der sie begrub. Ich frage mich oft, ob sie nicht einfach noch immer dort drau ßen sitzen und darauf warten, dass jemand vorbeikommt. Vielleicht in einer Million Jahren …«

»Ich nehme an, Luna ist nicht besonders gut erforscht«, sagte Thorpe.

»So gut wie gar nicht. Besonders hier auf Farside nicht. O ja, wir haben Fotos aus dem Orbit, das schon. Das ist aber nicht dasselbe wie Bodenerkundung. Erinnern Sie sich, die Oberfläche des Mondes beträgt achtunddreißig Millionen Quadratkilometer. Das ist kaum ein Viertel der Landfläche der Erde. Unsere Bevölkerung beträgt zehn Millionen. Da liegt das Problem.«

»Sie haben es erstaunlich weit gebracht, wenn man den Zeitraum bedenkt, den der Mond von Menschen besiedelt ist. Nehmen wir die Erde. Es ist erst wenige Hundert Jahre her, dass ihre Erforschung abgeschlossen wurde. Sogar heute noch gibt es Meerestiefen, die noch nie jemand besucht hat.«

»Die Erde«, sagte Amber wehmütig. »Eines Tages würde ich sie gerne sehen. Besonders die Meere. Es muss faszinierend sein, wenn einem das Wasser buchstäblich über den Kopf geht!«

»Sie werden vielleicht schon bald die Möglichkeit haben, es selbst herauszufinden.«

»Warum sagen Sie das?«

»Sie sind die Entdeckerin von Komet P/Hastings, oder etwa nicht?«

Amber stöhnte auf. »Bitte, dieser Scherz ist nicht lustig!«

»Es ist kein Scherz. Ich habe vor unserer Abfahrt mit Niels Grayson gesprochen. Er sagte mir, die Astronomische Vereinigung habe sich vorläufig für diesen Namen entschieden. Ich nehme an, dass es eine lange Tradition hat, Kometen nach ihren Entdeckern zu benennen.«

»Ich bin nicht der Entdecker! Der Observatoriumscomputer hat das verdammte Ding gefunden. Alles, was ich getan habe, war, ein paar Knöpfe zu drücken.« Sie berichtete ihm von ihren Problemen, als sie gebeten worden war, dem Kometen einen Namen zu geben.

»Man kann nichts dagegen machen, das wissen Sie.«

»Wogegen?«

»Ruhm und Reichtum. Die Medien lassen es nicht zu. Ich sehe schon die Überschriften vor mir: ›Gutaussehende junge Astronomin entdeckt aufsehenerregenden neuen Kometen! ‹«

»Das ist genau der Grund, weshalb ich das verdammte Ding nicht nach mir benannt haben will«, sagte Amber. »Man wird einen Zirkus darum veranstalten, sobald man erkannt hat, wie spektakulär es möglicherweise ist. Für jemanden, der so neu im Beruf ist wie ich, ist eine solche Bekanntheit schädlich. Nehmen wir nur mal Clyde Tombaugh. Als er den Pluto entdeckte, war er in meinem Alter, und dann veröffentlichte er einige wirklich erstklassige Arbeiten über Galaxienhaufen. Niemand erinnert sich an diese späteren Arbeiten. Alles, woran man sich bei seinem Namen erinnert, ist der Pluto!«

»Vielleicht entpuppt sich der Komet als ein Flop«, sagte Thorpe scherzhaft. »Dann wird sich keiner darum kümmern.«

Amber schüttelte den Kopf. »Es wird schwer sein, ihn nicht zu bemerken, Tom. Mit dieser Masse wird er einen Schweif von einer Million Kilometern Länge hinter sich herziehen. Schlimmer noch, die Umlaufperiode wird weniger als zehn Jahre betragen. In den Jahren, wo er sich nahe der Erde bewegt, wird er sich über den ganzen Himmel erstrecken!«

»Wie nahe wird er ihr eigentlich kommen?«

Sie zuckte mit den Achseln. »Das kann man erst sagen, wenn er den Jupiter hinter sich hat.«

»Ist wohl wenig wahrscheinlich, dass ihm etwas Wichtiges in die Quere kommt, oder?«

»Völlig ausgeschlossen«, sagte sie lachend. »Ein Planet ist einfach ein zu kleines Ziel.«

»Wie erklären Sie dann all die Sternschnuppen, die man über das Jahr am Himmel über der Erde sieht?«

»Ganz einfach. Es gibt so schrecklich viele davon! Die Ebene der Ekliptik ist ziemlich vollgestopft mit den Überbleibseln aus der Zeit, als sich das Sonnensystem gebildet hat. Das meiste von diesem Müll ist zu klein, um gefährlich zu sein. Die Erde wird alle Million Jahre einmal von etwas getroffen, das größer als einen Kilometer ist.«

»Aber der Komet Hastings wird sich in der Ekliptik bewegen.«

»Nahe der Ekliptik«, erwiderte Amber, plötzlich wieder ernst geworden. »Sobald die Neigung seiner Umlaufbahn plus oder minus drei Tausendstel Grad beträgt, kann er nie und nimmer mit der Erde zusammenstoßen. Und behaupten Sie bloß nicht, er könnte es doch, nicht einmal im Scherz! Jeder Reporter im Sonnensystem wird meine Meinung über die drohende Apokalypse hören wollen.«

»Ich verspreche es«, sagte Thorpe und hob seine Hand mit dem Dreifinger-Zeichen der Pfadfinder. Amber konnte nicht mehr an sich halten vor Lachen. Thorpe stimmte in ihr Gelächter ein. Plötzlich kam ihnen ihre Unterhaltung während der letzten paar Minuten unglaublich lächerlich vor.


Der Hauptverkehrsknotenpunkt von Nearside war der Raumhafen von Luna City. Er war nicht nur Startpunkt für Fernflüge und das Zentrum des örtlichen suborbitalen Verkehrs, sondern hier liefen auch alle Oberflächenrouten zusammen. Der Hauptbahnhof der mondumspannenden und der Tycho-Einschienenbahn war ein ausgedehnter Gebäudekomplex im Nordosten des Raumhafens. Der Zug, mit dem Tom Thorpe und Amber Hastings angekommen waren, passierte die große Luftschleuse von Luna City Station runde neunzehn Stunden nach seiner Abfahrt in Hadley’s Crossroads. Zwölf Stunden davon war er gefahren. Die restliche Zeit hatten zahlreiche Aufenthalte in Anspruch genommen, bei denen Passagiere aus-oder zugestiegen waren und Ladung aufgenommen oder entladen worden war.

Im Gegensatz zu den Hochgeschwindigkeitszügen auf der Erde fehlte der Einschienenbahn jede aerodynamische Glätte. Ihre Form wurde nicht vom Fahrtwind diktiert, sondern entsprach den Erfordernissen der Zuverlässigkeit und Wartungsfreundlichkeit. Nicht einmal die Ingenieure, die die Bahnmodule entworfen hatten, hielten das Resultat für schön. In Thorpes Augen sah die Reihe der Wagen wie sechs Bierdosen aus, die ein ziemlich betrunkener Bastler zusammengefügt hatte.

Als die Bahn am Luna-City-Raumhafen ankam, waren Thorpe und Amber mehr als fünfundzwanzig Stunden zusammen gewesen. Das schloss die sechs Stunden ein, die sie sich unter eine gemeinsame Decke gekuschelt und zu schlafen versucht hatten. Es gab nur wenige bessere Möglichkeiten, einen anderen Menschen kennenzulernen, zumal wenn es sich um einen Vertreter des anderen Geschlechts handelte.

»Endlich wieder zu Hause, Thomas!«, sagte Amber, als sie das ferne Geräusch von expandierender Luft durch die Kabinenhülle erreichte. Gleichzeitig schlug ein Schwall von Expansionsdampf an die Fenster.

Thorpe zeigte offen seine Bewunderung für ihre Figur, als sie sich von ihrem Sitz erhob und sich streckte, um die Verspannungen in ihren Muskeln zu lösen. Anschließend wandte sie sich dem Gepäcknetz zu, wo sie ihr Handgepäck verstaut hatte.

»Lassen Sie mich Ihnen dabei helfen«, sagte Thorpe, indem er sich rasch erhob. Sie reichte ihm zwei Koffer und seine Aktentasche mit der bereits teilweise rechtsgültigen Absichtserklärung. Er jonglierte mit den drei Gepäckstücken, bis sie bequem zu tragen waren, dann folgte er ihr zur Schleuse an der Rückseite der Kabine.

Die Luft draußen hatte den für Hochdruckspeicherung typischen kalten, metallischen Geschmack. Amber wies den Weg zu einem Lift, der in einem schräg ansteigenden Schacht verschwand. Nach einer halben Minute betraten sie eine große Halle, an deren Rand Fenster angebracht waren. Thorpe war schon einmal hier gewesen – es war die Hauptdurchgangshalle von Luna City.

Auf dem Weg zur Gepäckausgabe führte Amber Thorpe an eines der Fenster und zeigte auf eine lange Reihe von Türmen, die sich über die Mondoberfläche erstreckte.

»Der Massebeschleuniger«, sagte sie. »Mein Vater hat mich immer hierher mitgenommen, um mir die Frachtbehälter zu zeigen. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie etwas sich so schnell bewegen sehen. Da kommt gerade einer!«

Ein stumpfer Zylinder tauchte in der Ferne auf, schoss durch die Lücke zwischen zwei Türmen und raste zum nächsten. Bei jedem Turm nahm seine Geschwindigkeit zu. Innerhalb von Sekunden hatte er die Strecke bis zur Durchgangshalle zurückgelegt, war vorbeigeschossen und wieder verschwunden.

Thorpes Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, als er Willem Grandstaffs Spiegelbild im Fenster bemerkte. Der Mondrepräsentant von SierraCorp tauchte gerade aus einem Tunnel auf, der zum U-Bahnhof von Luna City führte. Grandstaff hielt an, musterte die Menge, entdeckte Thorpe und winkte. Thorpe winkte zurück, und Grandstaff begann den zwischen ihnen liegenden freien Raum zu durchqueren.

Thorpe wandte sich wieder Amber zu. »Gilt unsere Verabredung für heute Abend noch?« Amber hatte einen zwölfstündigen Aufenthalt zwischen der Ankunft der Einschienenbahn und dem Abflug des Mondhüpfers nach Miner’s Luck.

»Das lasse ich mir doch nicht entgehen! Mit Abendkleid?«

Er zuckte mit den Achseln. »Wie Sie möchten.«

»Dann also ja. Ich treffe Sie in der Lobby Ihres Hotels um zwanzig Uhr.«

»Ich kann Sie abholen.«

Amber schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle, dass Sie das Apartment meiner Freunde finden würden«, sagte sie. »Sie leben in einem dieser neuen Wohnringe auf Ebene Sechs. Sie würden sich bestimmt verlaufen. Nein, ich hole Sie in Ihrem Hotel ab.«

In diesem Moment hatte Willem Grandstaff die beiden erreicht. Thorpe stellte ihn Amber vor und sorgte dafür, dass Grandstaff erfuhr, wer die Entdeckerin des Kometen war.

»Guten Tag, Bürgerin«, sagte Grandstaff, sich tief verbeugend. »Ich habe gehört, bei Ihrer Entdeckung handelt es sich um ein ziemlich großes Ding.«

»Es ist riesig!«, antwortete Amber mit einem Lachen. »Wie geeignet es für Ihre Zwecke ist, kann ich allerdings nicht sagen. Ich hoffe nur, Halver Smith wirft sein Geld nicht zum Fenster raus.«

Grandstaff lachte. »Mr. Smith verschwendet selten Geld. Jedenfalls kennt man ihn als jemand, der einige langfristige Investitionen getätigt hat.«

Thorpe sah auf die Uhr, die von der Decke der Halle hing. Es war Freitagnachmittag, fünfzehn Uhr. Ihr Termin bei Rektor Cummings war um sechzehn Uhr. Wenn sie sich verspäten würden, könnte es noch bis Montag dauern, bis er seine Absichtserklärung unterzeichnet bekam.

»Wir sollten uns besser beeilen«, sagte er zu Grandstaff. »Wir sind in einer Stunde verabredet.«

»Noch jede Menge Zeit«, erwiderte Grandstaff. »Mit der U-Bahn sind es bis zur Universität nur fünfzehn Minuten.«


Amber blieb auf dem Bahnsteig der U-Bahnstation stehen, während Grandstaff und Thorpe einen der kleinen Wagen betraten, die zwischen dem Raumhafen und Luna City verkehrten. Sie winkte, als sich der Wagen mit zunehmender Geschwindigkeit vom Bahnsteig entfernte und in einem hellerleuchteten Tunnel verschwand. Thorpe winkte zurück und drehte sich dabei auf seinem Sitz herum. Er blickte zurück, bis er sie nicht mehr sah, dann drehte er das Gesicht wieder nach vorn.

»Irgendwelche Neuigkeiten von der Erde?«

»Mr. Smith hat ein paar Berechnungen angestellt, nachdem Sie ihm Bericht erstattet hatten. Er ist deswegen sehr aufgeregt. Sobald wir die Nutzungsrechte unter Dach und Fach haben, wird er mit den Vorbereitungen zur Ausgabe neuer Aktien der Sierra Corporation beginnen.« Grandstaff fuhr fort, Smiths Pläne zur Verbesserung der Finanzlage zu erläutern. »Ich würde mich nicht wundern, wenn Smith Ihnen die Leitung der Expedition anbieten sollte!«, schloss er.

Grandstaffs Äußerung überraschte Thorpe. Er hatte seit der Nacht, als er vom Observatorium aus angerufen hatte, nicht mehr mit Smith gesprochen. Thorpe hatte sowohl mit Erleichterung als auch mit Freude darauf reagiert, dass der Präsident von SierraCorp seine Unterschrift unter die Absichtserklärung gebilligt hatte. Er hatte angenommen, Smith würde das gleiche kommerzielle Potenzial darin sehen wie er selbst. Es erschütterte ihn zu hören, dass der große Boss die zukünftige Berühmtheit des Kometen dazu benutzte, Aktien zu verkaufen. War das nicht genau das, was er dadurch, dass er Thorpe auf den Mond geschickt hatte, hatte verhindern wollen?

»Wissen Sie das alles genau?«

Grandstaff nickte. »Ich habe gestern ein langes verschlüsseltes Telex bekommen. Mr. Smith war sehr darauf aus, dass wir die Option so rasch wie möglich bekommen. Er hat uns autorisiert, falls nötig die Zahlung zu verdoppeln. Stimmt irgendetwas nicht?«

»Nein«, erwiderte Thorpe. Er lehnte sich im Sitz zurück, um darüber nachzudenken, wie er Smith am besten klarmachen sollte, dass der Komet Hastings viel mehr war als nur eine gewinnbringende finanzielle Masche. Wenn man es richtig anfing, konnten in wenigen Jahren riesige Berge von Eis nach Luna und zu den Raumkolonien unterwegs sein.

Zehn Minuten nachdem sie den Raumhafen verlassen hatten, fuhr der Wagen in den Bahnhof der Universität ein. Der Wagen hielt an einem Bahnsteig, und Thorpe stieg aus, während Grandstaff noch seine Rechnung bei dem Automaten beglich.

Auf dem Weg vom Bahnhof zum Büro des Rektors begegneten sie ernst blickenden Studenten, die von einer Vorlesung zur anderen eilten. Auf halbem Weg gelangten sie zu einem großen Hohlraum in der Mitte des Universitätskomplexes. Er erschien Thorpe wie eine Miniaturausgabe des Großen Verteilers. Eine kleine künstliche Sonne hing von der Decke und beleuchtete eine grüne Wildnis, die sich zu beiden Seiten die Wände hinaufzog. Das Büro des Rektors lag nicht weit von der Höhle entfernt.

Bei ihrer Ankunft wurden sie von einer Sekretärin hineingeführt.

»Ah, Mr. Thorpe, willkommen wieder zu Hause!«, sagte Cummings, als er das Zimmer durchquert hatte, um Thorpes Hand zu schütteln. »Wie ich hörte, hatten Sie eine erfolgreiche Reise!«

»Mit Sicherheit eine interessante, Mr. Cummings.«

»Sie haben die Absichtserklärung bestimmt mitgebracht.«

Thorpe holte den Vertrag aus seinem Aktenkoffer und reichte ihn über den Schreibtisch. »Es fehlt bloß noch Ihre Unterschrift, dann können wir den Betrag auf das Bankkonto der Universität überweisen.«

»Es scheint alles damit in Ordnung zu sein«, sagte Cummings, nachdem er das Dokument eine volle Minute lang studiert hatte. Er griff jedoch nicht nach einem Kugelschreiber.

Grandstaff versuchte sanft nachzuhelfen. »Wenn Sie nun Ihre Unterschrift daruntersetzen möchten, Herr Direktor, werden wir Ihre wertvolle Zeit nicht weiter in Anspruch nehmen.«

»Ich würde das wirklich sehr gerne unterschreiben, Willy. Die Universität braucht das Geld. Leider kann ich es nicht.«

»Ich verstehe nicht«, sagte Thorpe.

»Meine Herren, ich habe heute Morgen erfahren, dass im Parlament ein Notstandsgesetz eingebracht wurde, durch das die Erstentdeckerrechte am Kometen Hastings Eigentum der Republik werden. Unter diesen Umständen kann ich die Veräußerung dieser Rechte wohl kaum unterzeichnen. Dies zu tun, könnte mich meine Rektorenstelle kosten.«

»Wieso interessiert sich überhaupt das Parlament dafür?«, fragte Grandstaff. »Wer hat das Gesetz vorgelegt?«

»John Hobart. Er hat Pläne mit dem Kometen. Anstatt ihn zur Gewinnung von Organika zu benutzen, schlägt er vor, ihn als Ganzes nach Luna zu schaffen und unsere Wasserknappheit damit zu lindern.« Cummings zuckte mit den Achseln. »Sie sehen also, meine Herren, dass mir die Hände gebunden sind.«

Thorpe und Grandstaff fragten den Rektor noch weitere zehn Minuten lang aus, bevor sie sich entschuldigten. Beide Männer verbargen ihre Enttäuschung, bis sie den Universitätsbereich verlassen hatten.

»Nun, was, glauben Sie, ist passiert?«, fragte Grandstaff.

»Jemand hat herausgefunden, was wir vorhaben, und hat Hobart davon unterrichtet.«

»Jemand vom Observatorium?«

»Wer sonst?«

»Irgendeine Idee?«

Thorpe zuckte mit den Achseln. »Es könnte so gut wie jeder sein.«

»Miss Hastings?«

»Das bezweifle ich«, sagte Thorpe. »Wenn sie ihre Hand dabei im Spiel gehabt hätte, dann würde sie mir während der Fahrt hierher einen Hinweis gegeben haben. Nein, das war vermutlich Direktor Meinz oder Niels Grayson. Sie müssen angefangen haben, in nichtastronomischen Begriffen zu denken, und darauf gekommen sein, wie wertvoll eine solche Menge Eis sein könnte.«

»Mr. Smith verlässt sich darauf, dass wir ihm die Rechte verschaffen. Was wir brauchen, das ist ein Weg, einen rechtskräftigen Anspruch auf den Kern zu erheben. Es müsste kein besonders überzeugender Anspruch sein, nur einer, der ausreicht, um die Republik vernünftigen Argumenten zugänglich zu machen.«

Thorpe dachte einen Moment lang nach, dann hellte sich seine Miene auf. »Ich glaube, ich hab’s!«


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