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Professor Barnard wusste von einem Landeplatz am Südostrand von Luna City, wo MoonJumper verschiedener Firmen stationiert waren. Diese Fluggeräte waren bei den Minengesellschaften beliebt, deren Geschäfte sie überallhin führten, wo Eis gefunden wurde. Hüpfer stellten oft die einzige Möglichkeit dar, zu entlegenen Minen zu gelangen.

Der erste Erkundungstrupp sollte aus fünf Leuten bestehen: Barnard, Thorpe, Amber, Jamie Byrant und Allison Nalley. Der Voraustrupp plante, sich einen MoonJumper zu verschaffen, mit dem sie zum Denkmal hinausfliegen wollten, um den havarierten Frachter zu inspizieren. Falls er reparabel war, würden sie im Hotel anrufen und eine Liste der benötigten Teile und Materialien durchgeben. Der Rest ihrer Gruppe würde aufzutreiben versuchen, was gebraucht wurde, und sich dann mit dem Voraustrupp am Friedensdenkmal treffen.

Die ganze Woche über hatte es Berichte über Einzelpersonen und Pärchen gegeben, die von umherstreifenden Gangs überfallen worden waren, deshalb erhielt jedes Mitglied des Erkundungstrupps ein langes Messer aus der Hotelküche als Bewaffnung. Thorpe und Jamie Byrant trugen zusätzlich schwere Eisenrohre, die sie als Knüppel einsetzen konnten. Ihre Marschroute würde sie bis weit hinter die Grenzen der sicheren Enklave führen. Thorpe erwartete nicht, dass sie Schwierigkeiten bekommen würden, wollte es aber nicht darauf ankommen lassen. Damit sie die Hände freibehielten, hatte jeder seinen Raumanzug auf dem Rücken befestigt.

Ihr Weg durch die Stadt führte geradewegs durch den nördlichen Radialtunnel, durch den Großen Verteiler und über die südöstliche Speiche nach außen. Als sie das Stadtzentrum erreicht hatten, fanden sie die große Höhle verlassen vor. Die spiralförmige Galerie wurde noch immer von der künstlichen Sonne erhellt, die in nur einhundert Metern Höhe über ihren Köpfen strahlte, als sie vorsichtig eine der filigranen Brücken überquerten. Wenn er hinunterblickte, konnte Thorpe am äußersten Rand der spiralförmigen Terrasse bis zum Boden der Höhle hinabsehen. Aber nirgendwo entdeckte er irgendwelche Anzeichen von Menschen. Es schien, als wären sie die letzten Menschen auf dem Mond.

Der Gedanke faszinierte ihn. Neil Armstrong war der erste Mensch auf dem Mond gewesen. Jemand anderer würde der letzte sein müssen. Thorpe fragte sich, wer das wohl sein würde. Wenn Halver Smiths Vermutung richtig war, würde diese Ehre mehr als 100.000 Menschen zuteil. Würden zwei von ihnen Thomas Thorpe und Amber Hastings sein? Falls ja, würde man sich an ihre Namen so lange erinnern, wie man sich an Neil Armstrong erinnerte?

Er schüttelte den morbiden Gedanken ab und konzentrierte sich auf das Nächstliegende. Während sie sich vom Gleitweg nach Südosten tragen ließen, erhaschten sie zweimal einen Blick auf andere. Beim ersten Mal stießen sie auf drei schmuddelige Männer, die in einem Seitenkorridor herumlungerten. Das Trio beobachtete apathisch und stumm, wie sie vorüberglitten. Ein paar Minuten später entdeckte der rkundungstrupp einen Mann und eine Frau, die vor ihnen davonliefen. Jede Begegnung verstärkte Thorpes Unbehagen. Luna City war zu einem Grab geworden, und nur allzu leicht gewann seine Phantasie über ihn die Oberhand.

Sie erreichten das Landefeld, zehn Minuten nachdem sie den Großen Verteiler verlassen hatten. Thorpe ließ Byrant und Allison Nalley Wache stehen, während der Rest die Anzüge anlegte. Dann wartete er mit Barnard zusammen im Korridor, während die beiden Techniker in ihre Anzüge schlüpften. Die ganze Prozedur dauerte eine Viertelstunde, während der es zu keinen Zwischenfällen kam. Sobald sie alle ihre Anzüge angelegt hatten, machten sie die Oberflächenschleuse ausfindig und begaben sich nacheinander ins Vakuum hinaus.

Das Landefeld erinnerte Thorpe an den Schrottplatz, wenn man davon absah, dass die in mehreren Reihen säuberlich geordneten Schiffe neu waren. Es waren allesamt MoonJumper – echte Raumfahrzeuge gehörten nicht dazu – von der Größe einsitziger Modelle bis zu achtsitzigen Bussen. Der Mangel an größeren Maschinen war ein weiterer Hinweis auf die Gründlichkeit, mit der die Mondregierung die leistungsfähigeren Hüpfer in Orbitalfähren umgebaut hatte.

Eine rasche Überprüfung der nächsten Hüpfer ergab, dass jeder über volle Brennstofftanks und für mehrere Flüge ausreichende Antimaterieladungen verfügte. Sie wählten eine der größeren Maschinen aus, und Byrant machte sich daran, die Sperrmechanismen des Armaturenbretts zu umgehen. Thorpe beobachtete ihn bei der Arbeit; als das Licht in der Kabine anging, blickte der junge Techniker auf und grinste.

»Das habe ich in meiner vergeudeten Jugend gelernt«, erklärte er.

»Erinnern Sie mich daran, dass ich Ihrem Bewährungshelfer ein Anerkennungsschreiben schicke.«

»Fertig zum Start«, sagte Byrant und schlüpfte auf den Pilotensitz. »Holen wir sie an Bord.«

Thorpe befahl alle in den Hüpfer. Er und Amber nahmen das dritte Paar Sitze und schnallten sich an. Als Thorpe durch die Kugelkabine des Hüpfers zur Schleuse hinübersah, entdeckte er zu seiner Überraschung drei Köpfe, die sich vor dem Licht abhoben, das durch das Schleusenfenster strömte. Wer immer sie waren, sie schienen zufrieden damit, hinauszusehen und ihre Nasen gegen das Panzerglas zu drücken.

Der Hüpfer hob ab und flog, stark krängend, Richtung Osten davon. Wie bei jedem ballistischen Flug zwischen zwei festen Punkten arbeiteten die Triebwerke nur einige Sekunden, bevor sie wieder verstummten; dann stiegen sie antriebslos weiter auf. Es dauerte zwanzig Minuten, bis sie den Scheitelpunkt ihrer Bahn erreicht hatten, dann begann der Abstieg. Der Hüpfer fiel bis einen halben Kilometer über dem Mare Tranquillitatis, bis seine Triebwerke wieder ansprangen.

Sie setzten einhundert Meter vom beschädigten Frachter entfernt auf, der seinerseits nah der Südkante von dem geodätischen Gerüst des Denkmals lag. Nachdem sie die Sicherheit der Anzüge eilig überprüft hatten, stiegen sie aus und gingen zu dem Schiff hinüber, das ihre Rettung sein sollte.

Der Frachter war die Neaptide, stellte Thorpe fest, als er die Außenleiter hochkletterte. Er betrat die Notschleuse auf halber Höhe der voluminösen Kugel und wartete, bis ihn Amber und Barnard erreicht hatten, ehe er den Schalter betätigte. Der auptschleusenmechanismus war ausgefallen, deshalb schaltete er auf den Notstromkreis um. Der Schaden an den Schleusenkontrollen kümmerte ihn wenig. Sie würden sich sogar mit größeren Schäden im Innern abfinden, solange die Triebwerke einsatzfähig waren. Thorpe interessierte allein, ob das Schiff abheben konnte und genug Treibstoff enthielt, um es bis in den Orbit zu schaffen. Es wieder zu landen war nicht das Problem.

Als sich die Schleuse mit Luft gefüllt hatte und die Innentür aufschwang, blickten sie auf ein Schlachtfeld. Es sah aus, als habe eine Massenschlägerei stattgefunden. Als Thorpe seinen Helm abgenommen hatte, nahm er in der abgestandenen Luft den Geruch nach verbrannter Isolation sowie andere, weniger leicht identifizierbare Gerüche wahr. Sie kletterten die Leiter zum Kontrollraum hinauf. Der Schaden dort war erheblich. Jedes Instrument schien zertrümmert zu sein. Glasscherben bedeckten das stählerne Deck und knirschten unter ihren Füßen. An einigen Stellen des Decks und auf den Schotten waren dunkle Flecken zu sehen, von denen Thorpe vermutete, dass es sich dabei um Blut handelte.

»Was für ein Durcheinander«, sagte Amber neben ihm.

»Hier ist nichts mehr zu retten«, sagte er mit einem Blick auf die Verwüstung. »Kein Wunder, dass das Schiff total abgeschrieben wurde. Als die Leute nicht die Kontrolle übernehmen konnten, müssen sie hier ihren Frustrationen Luft gemacht haben.«

»Heißt das, dass wir es nicht brauchen können?«

Er zuckte mit den Achseln. »Wir könnten es vom Maschinenraum aus fliegen, falls er noch intakt ist. Du weißt ja, dass wir nur den Orbit erreichen müssen.«

»Dann sehen wir uns mal die Triebwerke an.«

Sie lagen vier Decks tiefer und waren über eine lange Leiter zu erreichen, die sich über die ganze Länge des Schiffs erstreckte. Auch hier entdeckten sie Hinweise darauf, dass ein verzweifelter Kampf um die Kontrolle über das Schiff stattgefunden hatte, ein Kampf, bei dem es nur Verlierer gegeben hatte. Wie auch immer, die Schäden in den Durchgängen waren nicht annähernd so groß wie im Kontrollraum.

Der Maschinenraum war unbehelligt geblieben. Seine glänzenden Armaturen sahen so sauber aus, als wären sie eben geputzt worden. Der Schiffsingenieur, erkannte Thorpe, musste den Tumult gehört und sich vor dem Eintreffen des Mobs eingeschlossen haben.

Thorpe sprang die letzten drei Meter auf das Deck hinunter und untersuchte die Triebwerkskontrollen. Die Instrumente einzuschalten war die Arbeit weniger Sekunden. Er brauchte jedoch nur eine einzige Sekunde, um festzustellen, dass all ihre Mühe umsonst gewesen war.

»Scheiße!«

»Was ist los?«

»Die Abschirmung ist abgeschaltet. Wir haben keine Antimaterie mehr an Bord. Nicht mal ein Mikrogramm.«

»Vielleicht können wir irgendwo welche bekommen.«

»Wo?«, fragte er. »Außerdem, wenn sie die Ringkernspule abgeschaltet haben, kannst du darauf wetten, dass sie auch die Reaktionsmassetanks entleert haben.«

Er schaltete rasch die Anzeigen ein, die den Treibstoffvorrat des Schiffes anzeigten, und war nicht überrascht, als die Anzeige für die Reaktionsmasse auf null stehenblieb. Die Tanks waren so trocken wie die Mondebene ringsum. Zweifellos hatte längst irgendein anderes Schiff den Treibstoff und die Reaktionsmasse der Neaptide für die Evakuierung gebraucht.

»Das wär’s dann. Kehren wir nach Luna City zurück.«

»Vielleicht können wir irgendwo neue Reaktionsmasse bekommen, Thomas.«

»Ja, schon«, sagte er. »Doch selbst wenn es uns gelänge, bräuchten wir einen Tanker, um sie hierher zu schaffen. Wenn wir einen Tanker hätten, könnten wir natürlich gleich damit in den Orbit fliegen und diesen Kahn hier vergessen.«

Es war eine iedergeschlagene Gruppe, die in den Hüpfer kletterte und sich Richtung Westen auf den Weg nach Luna City machte. Ihr Kurs über Grund war der gleiche wie beim Hinflug, auch wenn sich ihr Ziel geändert hatte. Nachdem er die Gesichter im Schleusenfenster gesehen hatte, hatte Thorpe vorgeschlagen, nicht wieder zu dem Landefeld zurückzukehren. Stattdessen würden sie in der Nähe des Schrottplatzes aufsetzen und über sicheres Gebiet in ihr Hotel zurückkehren.

Während der Hüpfer seiner niedrigen ballistischen Flugbahn Richtung Luna City folgte, blickte Thorpe auf die größte Mare-Landschaft Lunas hinunter. Die Vorstellung fiel ihm schwer, dass dieses unveränderliche Naturwunder bald so zerschmettert werden würde, dass sie nicht mehr wiederzuerkennen sein würde. Wieder hatte er einen morbiden Einfall. Wenn sie es nicht rechtzeitig schaffen sollten zu fliehen, dann würde es sich wohl lohnen, mit einem MoonJumper aufzusteigen, kurz bevor Donnerschlag auf Farside einschlug. Auf diese Weise würden sie ein paar Sekunden lang die Zerstörung des Mondes mitansehen können, ehe sie das Inferno erreichte und verschlang. Er verdrängte den Gedanken gewaltsam. Aus solchen Gedanken entstand Defätismus, und dafür war es noch viel zu früh.

Sie erreichten den Gipfel der Flugbahn und begannen wieder hinabzusinken. Als der Kopernikus-Krater in Sicht kam, suchten Thorpes Augen nach der geraden Linie, die den Massebeschleuniger Lunas darstellte. Bei seinem Anblick regte sich etwas tief in seinem Innern. Der Gedanke gewann Konturen. In diesem Augenblick stieß Amber einen Schrei aus, der jedermann in der Kabine zusammenfahren ließ.

»Was ist denn?«, fragte Thorpe, der den Schrei fälschlicherweise für den Ausdruck von Angst hielt.

»Das ist es!«, sagte Amber und deutete aufgeregt aus der Blase.

»Das ist was?«

»Der Massebeschleuniger! So machen wir es. Wir verpacken uns in einem Frachtcontainer und katapultieren uns in den Raum!«

Thorpe dachte eine Sekunde lang darüber nach. Es wäre riskant und es würde eine Menge Arbeit erfordern, aber eigentlich müsste es klappen. Frachtcontainer waren nicht zur Beförderung von Menschen gedacht. Sie brauchten mindestens eine Sauerstoffversorgung und ein Funkgerät, außerdem eine Vorrichtung, die die Passagiere vor der brutalen Beschleunigung beim Start schützte. Immerhin blieben ihnen noch achtundvierzig Stunden bis zum Eintreffen Donnerschlags. Doch mit etwas Glück würde es reichen.


»Der Massebeschleuniger? Unmöglich!«

Felix Dornier starrte Amber entsetzt an. Sie hatten sich wieder im Hotel in der Suite der Graysons versammelt. Amber hatte ihnen ihre Idee erläutert, und obwohl Dorniers Reaktion die vernehmlichste gewesen war, stand er mit seinem Urteil nicht allein.

»Warum unmöglich, Dr. Dornier?«, fragte Amber.

»Der Massebeschleuniger beschleunigt das Frachtgut mit dreißig g! Kein Mensch kann das überleben!«

»Dreißig g ist der Spitzenwert, Dr. Dornier«, sagte Thorpe. Er hatte die Arbeitsweise des Massebeschleunigers studiert, als er sich in die ökonomischen Grundlagen des Eisbergbaus eingearbeitet hatte. »Und man kann ihn herunterfahren, wissen Sie.«

»Wie weit, wenn man noch Fluchtgeschwindigkeit erreichen will?«

Thorpe zuckte mit den Achseln. »Vielleicht bis auf zehn g

»Das würde uns immer noch umbringen.«

»Nein, würde es nicht«, sagte Amber. »Kampfflugzeugpiloten haben routinemäßig neun g ausgehalten.«

»Vielleicht bin ich selbstsüchtig, aber mit größter Sicherheit würde es mich umbringen, junge Dame. Ich bin kein junger Mann mehr.«

»Es wäre ein Risiko dabei«, gab Amber zu. »Aber es gibt Beschleunigungsmedikamente, die wir einnehmen könnten. Wenn Sie genügend weich gebettet sind und unter Drogen stehen, dann besteht eine gute Chance, dass Sie den Start überstehen.«

»Überstehen, wozu? Um im Raum zu treiben, bis uns die Luft ausgeht?«

»Das ist das Problem«, räumte Thorpe ein. »Wir werden sicherstellen müssen, dass wir genügend Atemluft an Bord haben, um so lange zu überleben, bis wir gerettet werden. Wir werden auch ein Funkgerät brauchen, damit man uns von den Trümmern unterscheiden kann, die durch die Kollision hochgeschleudert werden. Wir wollen schließlich nicht, dass uns das Meteoriten-Schutzsystem abschießt.«

»Immer noch besser, als in Luna City zu sein, wenn der Komet eintrifft, finden Sie nicht?«, fragte Amber.

»Eins zu null für Amber, Felix«, sagte Niels Grayson.

Barnard und mehrere andere nickten.

»Da ist noch ein Problem«, sagte Dornier unbeeindruckt.

»Welches?«

»Der assebeschleuniger ist eine Sicherheitseinrichtung. Wie wollen Sie sich Zugang dazu verschaffen?«

»Ganz einfach«, sagte Amber. »Wir sagen John Malvan, dass wir sein schmutziges kleines Geheimnis kennen und dass wir uns selbst retten wollen.«

»Nein, das tun wir nicht«, sagte Thorpe. »Wenn bekannt wird, dass wir Frachtcontainer in Rettungskapseln umbauen, fällt der Mob über uns her.«

»Haben wir überhaupt das moralische Recht, das für uns zu behalten?«, fragte Margaret Grayson.

»Schauen Sie«, knurrte Thorpe, der sich selbst für das hasste, was er sagte, »nicht jeder wird es schaffen, von Luna wegzukommen. Das steht fest. Wir sind hier noch zu viele, um alle evakuiert zu werden. Das sind die Fakten. Ich wünschte, wir könnten alle mitnehmen, aber das können wir nicht. Deshalb behalten wir unseren Fluchtweg so lange für uns, bis wir in der Lage sind, ihn zu benutzen.«

»Was ist, wenn noch jemand auf die gleiche Idee kommt?«

»Dann heißen wir sie willkommen, zeigen ihnen, wo sie ihre eigenen Frachtbehälter finden können und helfen ihnen, so gut wir können, ohne unsere eigenen Arbeiten zu verzögern.«

»Dem stimme ich zu«, sagte Niels Grayson. »So unangenehm die Tatsachen auch sind, wir müssen uns ihnen stellen. Es bleibt aber immer noch das Problem, was wir den Behörden sagen.«

»Die Spiegel!«, rief Amber und schnippte mit den Fingern. »Wir sagen Malvan, dass wir den assebeschleuniger brauchen, um die Spiegel hochzuschießen.« Sie berichtete eilig von dem Plan, den sie und Thorpe bei ihrem ersten Besuch auf dem Schrottplatz besprochen hatten.

»Er wird uns nicht glauben«, sagte Barnard. »Die Spiegel befinden sich beim Farside-Observatorium. Wir sollen in weniger als zwölf Stunden evakuiert werden.«

»Das gilt nicht mehr«, sagte Grayson zu ihm. »Es wurde bekanntgegeben, dass alle ihr Eintreffen am Raumhafen um vierundzwanzig Stunden verschieben sollen. ›Technisch bedingte Verzögerungen‹ wurden dafür verantwortlich gemacht, und man hat uns versichert, dass noch genug Zeit bliebe, um wegzukommen.«

»Wann war das?«

»Vor ungefähr zwei Stunden. Ich hatte noch keine Gelegenheit, es Ihnen zu sagen.«

»Damit hat sich das Problem erledigt«, fuhr Amber fort. »Wir können ihnen sagen, wir würden die übrige Zeit darauf verwenden, so viele Spiegel wie möglich von Farside zu holen. Denken Sie daran, wenn die Evakuierung hinter dem Zeitplan herhinkt, wird er sich um das, was wir tun, nicht kümmern. Seine einzige Sorge wird sein, so lange wie möglich den Deckel auf dem Topf zu halten. Wenn er sich uns vom Hals halten kann, indem er uns den Schlüssel zum Massebeschleuniger aushändigt, wird er es wahrscheinlich tun.«

Grayson dachte gut eine Minute lang über den Plan nach. Dann nickte er. »Es könnte klappen.«

»Ich weiß, dass es klappen wird«, beharrte Amber, die immer noch unter Adrenalin stand. »Wenn wir erst einmal Zugang zum Massebeschleuniger haben, können wir im Angesicht Gottes und der Welt mit dem Umbau eines Containers beginnen. Man wird lediglich glauben, wir seien verrückt.«

»Zwei Container«, sagte Thorpe. »Wir sind fünfzehn. Wir werden Luftflaschen, Funkgeräte, Nahrung, Beschleunigungsgurte und Gott weiß was noch alles brauchen. Und wir werden nicht alle in einen einzigen Container hineinpassen.«

Amber näherte sich ihm und legte einen Arm um ihn. Jetzt, da es nach so vielen Enttäuschungen wieder Anlass zur Hoffnung gab, war ihr nach Feiern zumute. »Also gut. Nehmen wir zwei. Solange wir beide mit dem gleichen Container starten, soll es mir egal sein.«


Wie Amber vorausgesagt hatte, hatten sie mit ihrer Masche problemlos Erfolg. Als Niels Grayson an der Spitze seiner Delegation besorgter Astronomen bei ihm eintraf, begrüßte John Malvan seine chiffskameraden wie alte Freunde. Wenn er beunruhigt darüber war, dass ihn ein grausames Universum zum Tod verurteilt hatte, so zeigte er es nicht. Da er die letzten Stunden damit verbracht hatte, Tausende von aufgebrachten Umsiedlern zu besänftigen, konnte John Malvan sein Bedauern leicht hinter seiner mitgenommenen Erscheinung verstecken. Er war nur allzu glücklich, den Astronomen den Zugangscode zum Kontrollraum des Massebeschleunigers zu überlassen.


Was Thorpe am Raumhafen sah, überzeugte ihn davon, dass Halver Smith Recht gehabt hatte. Als sie durch den Raum kamen, wo sie sich für die Evakuierung hatten registrieren lassen, war er verlassen. Zu diesem Zeitpunkt hatte jeder, der sich noch auf Luna befand, seinen Flugschein bereits erhalten. Diejenigen, die keinen Schein hatten, waren solche, die sich entschlossen hatten, mit ihrer Welt zusammen zu sterben. Was Thorpe auffiel, war das Fehlen jeglicher Ordnungskräfte. Abgesehen von einem Streifenkommando am Eingang der Einschiffungshalle hatte die Polizei sich zurückgezogen. Ihr Verschwinden sagte ihm, dass unentbehrliches Personal zu den Schiffen hinausgeschafft wurde, um die Beendigung der Evakuierungsmaßnahmen vorzubereiten. Wann immer das letzte Schiff das Landefeld verlassen haben musste – der Zeitpunkt rückte rasch näher.

Sie kehrten zum Hotel zurück und packten ihre Taschen. Der große Korridor, der zum Massebeschleuniger führte, war für die Beförderung von Frachtgut gebaut worden. Er wurde durch eine hohe Drucktür abgeschlossen. Grayson tippte die Kombination ein, die er von Malvan erhalten hatte. Als die Notschleuse aufschwang, blickten sie in einen dahinterliegenden Hohlraum. Die kleine Gruppe der Flüchtlinge ging hinein.

Der Hohlraum war einen iertelkilometer lang und einen halben Kilometer breit. Er erinnerte Thorpe an Bilder einer Flugzeugfabrik, die er einmal gesehen hatte. Ein großer freier Raum von hundert Metern Höhe. An der Decke hing ein riesiger beweglicher Kran, mit dem man schwere Lasten transportiert hatte. Sie entdeckten leere Container, die säuberlich in Reihen gestapelt waren. Am gegenüberliegenden Ende des Raumes befand sich ein langes Förderband, das nach oben verschwand. Dort waren die vollen Container in den Massebeschleuniger gehievt worden. Auf der Oberfläche angelangt, wurden die Container in das Startgeschirr eingehängt und von einem starken Magnetfeld in den Raum beschleunigt.

Thorpe, Amber und Barnard gingen zu einem Personenlift an einer der Seiten der Höhle hinüber. Sie fuhren mit dem Lift zum Kontrollraum des Massebeschleunigers hoch, der sich dicht unter der Oberfläche befand. Er erinnerte Amber an den Kontrollraum des Großen Auges. Auch hier verschafften Oberflächenkameras der Bedienungsmannschaft einen Überblick über die ganze Länge der gigantischen Anlage, die sie steuerten. Amber schaltete das Bild von einem Beschleunigerturm zum nächsten um. Alles machte einen intakten und funktionsfähigen Eindruck. Als Nächstes schaltete sie mit einem von Graysons Codes das Steuerpult ein. Ein großer Bildschirm wurde hell, auf dem das computergenerierte Bild der Flugbahn zu sehen war, die ein gestarteter Container mit den gegebenen Einstellungen verfolgen würde.

»Kannst du das bedienen?«, fragte Thorpe.

Sie nickte. »Wenn ich mich ein bisschen eingearbeitet habe. Das Pult dort drüben ist für die Überwachung der Energieversorgung. Sieh mal, es zeigt den Ladezustand der Kondensatorbatterien an. Dieser Schalter ist für die Stärke, die Dauer und die zeitliche Koordinierung der Stromstöße. Wenn ich den Dreh erst einmal raushabe, kann ich die Anlage auf minimale Startbeschleunigung umprogrammieren.«

»Gut. Wir brauchen einen Fluchtorbit, der um die Erde herumführt, damit wir eine möglichst große Chance haben, aufgesammelt zu werden.«

»Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte sie.

Thorpe ließ Amber weiter über den Kontrollen brüten und begab sich wieder in die Höhle hinab. Den assebeschleuniger so umzuprogrammieren, dass er in rascher Folge zwei Container startete, war die leichtere Aufgabe. Jetzt mussten sie zwei Container herrichten, Kapseln, die sie so lange am Leben erhalten würden, bis sie gerettet wurden.


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