17


Jupiter war achtern noch fast als ganze Scheibe zu erkennen, während der Komet vor ihnen ein verschwommener Nebelfleck war. Seit drei Wochen jagte die Admiral Farragut dem Dunstschleier hinterher und sah ihn kontinuierlich größer werden, während sie sich dem fliegenden Felsbrocken immer weiter näherten.

Thorpe spähte zu dem Nebel hinüber, als er aus der Luftschleuse Eins hinausschwebte, dann konzentrierte er sich darauf, sich an einer Reihe von Handgriffen entlangzuziehen, die an der Außenhülle festgeschweißt waren. Als er sein Ziel erreicht hatte, befestigte er seine Sicherheitsleine an einer Öse, dann schwenkte er herum, um seine Schülerin bei ihrem ersten Ausflug zu beobachten.

»Okay«, rief er über Helmfunk. »Sie können jetzt herauskommen. Achten Sie immer darauf, dass Sie am nächsten Handgriff guten Halt haben, bevor Sie den letzten loslassen.«

In der offenen Schleuse erschien ein limonengrüner Arm und tastete nach einem Griff. Als die behandschuhte Hand festen Halt gefunden hatte, folgten ein Helm und ein panzerbewehrter Rumpf.

»Wie stelle ich mich an?«, fragte Hilary Dorchester, während sie sich dorthin zog, wo Thorpe am Ende seiner icherheitsleine baumelte.

»Nicht schlecht«, gab er widerwillig zu. »Denken Sie daran, diese Leine einzuklinken, ehe Sie loslassen. Freies Manövrieren lernen wir später. Ich möchte keinen Treibstoff dadurch vergeuden, dass ich Sie zurückhole, wenn Sie vom Schiff wegtreiben sollten.«

»Jawohl, Chef!«

Hilary Dorchester war die Tieftemperatur-Chemikerin der Expedition. Die dralle Brünette Anfang dreißig hatte man als Letzte aufgeweckt, nachdem Callisto erreicht worden war. Trotz ihrer Stellung als ›Schlusslicht‹, oder vielleicht gerade deswegen, hatte sie keine Zeit verloren, Thorpe klarzumachen, dass er in ihrem Bett als Dauergast willkommen wäre. Thorpe hatte die Einladung höflich abgelehnt, und Hilary hatte seine Entscheidung mit erfreulich guter Haltung akzeptiert. Daraufhin hatte sie ihre freie Zeit zwischen Leon Albright, dem Expeditionsgeologen, Dieter Schmidt von der Besatzung der Farragut und zuletzt John Malvan aufgeteilt.

Solche Gelegenheitsbeziehungen waren im Raum ziemlich häufig, und in der Tat hatte Thorpe sich mit Nina Pavolev eines ähnlichen Arrangements erfreut. Zwei Menschen taten sich normalerweise zusammen, um die ständige Gefährdung ihres alltäglichen Lebens abzuwehren. Manchmal wurde Liebe daraus, manchmal nicht. In jedem Fall stellte es, solange es andauerte, eine gute Anpassung an eine fremde Umwelt dar. Angesichts der Tatsache, dass es auf der Expedition nur zwei unverheiratete Frauen gab, wäre es Thorpe schwergefallen, seine Zurückweisung der einen von beiden zu erklären. Hätte man ihm stärker zugesetzt, würde er gestammelt haben, dass Amber niemals damit einverstanden gewesen wäre.

»In Ordnung«, sagte er, als sich Hilary mit der Schiffshülle verbunden hatte. »Wir beginnen mit ein paar grundlegenden Übungen. Ich möchte, dass Sie sich an die Anstrengung gewöhnen, die die Fortbewegung in einem Raumanzug erfordert. Denken Sie daran, das ist kein leichtes Sommerkleid, was Sie da tragen!«

Sie grinste hinter ihrem Helmvisier. »Ich hätte mir auch nie ein Kleid ausgesucht, das mich so dick macht!«

Kaum hatte die Admiral Farragut ihre letzte Runde um Jupiter beendet, als Kapitän Olafson angeordnet hatte, dass alle außer den Astronomen beim Auswechseln der Strahlungsgeschädigten Module helfen sollten, von denen eine Anzahl entlang des Stützrahmens des Frachters untergebracht waren und nur von außen erreicht werden konnten. Es wurde rasch klar, dass die Expedition empfindlichen Mangel an Leuten litt, die sich im Vakuum bewegen konnten. Während sie dem Kometen interherflogen, hatte Kapitän Olafson deshalb ihren Mann und Tom Thorpe gebeten, die Frischlinge mit den Grundlagen des Verhaltens und des Arbeitens unter Schwerelosigkeit in einem belüfteten Ballon vertraut zu machen.

In den vergangenen zwei Wochen hatte Thorpe insgesamt acht Ausflüge nach draußen durchgeführt. Sein Vorgehen war immer das gleiche. Zwei Stunden Unterricht drinnen, gefolgt von einem behutsamen Ausstieg auf die Hülle, dann eine halbe Stunde des Eingewöhnens. Sobald sich ein Schüler in seinem Anzug wohl fühlte, führte ihn Thorpe dann am Habitatsmodul entlang nach hinten zur Frachtzelle. Dort öffneten sie eine der überdimensionalen Luken und stiegen in die unbeleuchtete zylindrische Höhle hinab. Sich einen Weg durch das Wirrwarr dunkler Laderäume zu bahnen war eine gute Vorübung für die Arbeit auf der Nachtseite des Asteroiden. Diese Erfahrung würde sich als nützlich erweisen, wenn seine frischgebackenen Weltraumaffen ihre Untersuchungen auf dem Kometenkern aufnahmen.

Später wollte er ihnen das Fliegen beibringen.

»Wie geht’s, Mr. Malvan?«, fragte Kyle Stormgaard, als er sich neben dem Exbergmann anschnallte. Der Erste Ingenieur und der Repräsentant der Republik Luna hatten sich während der Betankungsarbeiten auf Callisto kennengelernt. Malvan hatte sich für Außenarbeiten gemeldet, war jedoch aufgrund seines Handicaps zurückgewiesen worden. Trotzdem hatte er den Raumarbeitern beim An-und Ausziehen der Anzüge geholfen und ihnen auch sonst einen Teil der Last von den Schultern genommen. Bei dieser Arbeit hatten er und Stormgaard ihre gemeinsame Leidenschaft für Bridge entdeckt. Wann immer sie konnten, spielten sie zusammen eine Partie. Bei anderen Gelegenheiten maßen sie ihre Kräfte beim Schach.

»Hallo Kyle!«, antwortete Malvan, indem er den kleinen Schachcomputer am Tisch der Messe der Admiral Farragut sicherte. »Sind Sie bereit, sich vom Brett fegen zu lassen?«

»An dem Tag, an dem mich ein einarmiger Mondmensch vom Brett fegt, gebe ich mein Ingenieursdiplom zurück!«

»Das ist aber schade. Ich weiß wirklich nicht, was wir ohne Sie den Rest der Fahrt über anfangen werden.«

Als das Spiel begann, hörte das Geplänkel auf. Beide Männer spielten konzentriert die Eröffnungen, wobei jeder ohne Bedenkpause zog. Erst als sich jeder unwiderruflich für eine Strategie entschieden hatte, brach Malvan das Schweigen.

»Ich habe schon öfters darüber nachgedacht, Kyle. Warum habt ihr, du und Karin, euch eigentlich für diese Expedition gemeldet?«

Der Ingenieur überlegte, ob er einen seiner Springer gegen Malvans Läufer tauschen sollte, entschied sich dafür und machte seinen Zug, bevor er antwortete. »Das bringt gutes Geld, und Halver Smith hat vor dem Start eine Generalüberholung finanziert. Davon abgesehen, wollten Karin und ich noch etwas anderes tun, ehe wir uns zur Ruhe setzen.«

Malvan lachte in sich hinein. »Habt es aus Abenteuerlust getan, wie?«

»Kann schon sein. Vielleicht benennen die issenschaftler einen Krater nach uns. Und Sie?«

»Ich?«, fragte Malvan. »Ich bin nur ein Bürokrat, der sich gesagt hat, dass es für seine Karriere besser ist mitzufliegen, als zu Hause zu bleiben.« Malvan berichtete von den Begleitumständen von Hobarts Anfrage, ob er Lunas Repräsentant sein wolle. Während sie im Kälteschlaf gelegen hatten, war Hobart zum Premierminister der Republik gewählt worden.

»Sie haben es bestimmt auch selbst gewollt, zumindest ein bisschen.«

»Der Vorschlag hatte schon was für sich«, gab der Lunarier zu. »Ich habe meine Arbeit als Wirtschaftsprüfer nie so richtig gemocht.«

Der Erste Ingenieur zog einen Bauern, um Malvans Dame zu bedrohen. Wie erwartet, überlebte der Bauer nicht lange, doch sein Opfer ebnete Stormgaards Turm den Weg für ein tiefes Eindringen. »Sind Sie Ihren Bericht heute losgeworden?«

Malvan nickte. »Pünktlich wie immer.«

Jeden Montagmorgen Schiffszeit verlangte Malvan eine sichere Sprechverbindung nach Luna. Jedes Mal übermittelte er einen verschlüsselten Bericht, in dem die Ereignisse der vergangenen Woche aufgeführt waren. In der Woche nach dem Abflug von Callisto berichtete er von seinem Verdacht, SierraCorp könnte einen Teil des Kometen absprengen und in einen Erdorbit bringen. Bis jetzt hatte Luna auf seine Berichte lediglich mit routinemäßigen Empfangsbestätigungen reagiert.

»Rodriguez hat mir gesagt, Sie hätten heute Morgen zwanzigtausend Bytes gesendet«, sagte Stormgaard. »Kapier ich nicht, wie Sie über eine Woche so viel erzählen können.«

Malvan zog seine Dame und bedrohte damit Stormgaards Turm, und der Ingenieur zog ihn rasch drei Felder zurück. »Bleibt einem auf diesem Pott ja auch nicht viel anderes übrig als Berichte zu schreiben. Trotzdem frage ich mich manchmal, ob ich jemals werde etwas wirklich Wichtiges zu berichten haben.«

»Keine Angst«, antwortete der Ingenieur. »Irgendwas passiert schon. Im Raum passiert immer etwas.«


Nach drei Wochen vor dem Monitor ihres Computers empfand Amber neuen Respekt vor den früheren Astronomen, die am Himmel die Bahnen der Kometen beobachtet hatten. Drei Sichtungen, ein Bleistift und Papier hatten ihnen genügt, um die Wiederkehr eines Kometen achtzig Jahre in der Zukunft vorauszusagen. Dazu war eine Rechnung erforderlich, die in der Theorie einfach, in der Praxis jedoch nervtötend kompliziert war. Selbst mit Computern erforderte die Bestimmung einer Flugbahn im Raum viele Stunden und übermenschliche Geduld.

Amber und Cragston Barnard hatten die erste Woche nach der Begegnung des Kometen mit Jupiter größtenteils mit der Sichtung der Daten verbracht. Die teleskopischen Beobachtungen mussten mit den Radarmessungen korreliert werden. Als sie ihre Beobachtungen den von Callisto aus gemachten angepasst hatten, übermittelten sie das gesamte Material nach Luna. Anschließend hatten sie sich weiteren Untersuchungen des Kometen zugewandt.

Barnard hatte sich selbst mit dem Studium der physikalischen Eigenschaften des Kerns betraut und Amber die Berechnung der neuen Umlaufbahn überlassen. Bei seiner Arbeit baute er auf den Beobachtungen auf, die sie gemacht hatten, kurz bevor der Komet beim Jupiter an ihnen vorbeigeflogen war. Zu Beginn der zweiten Woche nach ihrem Abflug hatte der Astronom eine Übersichtskarte der Tageshemisphäre angefertigt. Die Karte zeigte mehrere Krater von unterschiedlicher Größe sowie eine Andeutung von Verwerfungen, welche die Oberfläche im Zickzack überzogen. Die Verwerfungen schienen auf den großen Aufschlagkrater zurückzugehen, den sie am Rand des Kerns entdeckt hatten.

Während Barnard mit der Kartografierung des Kerns beschäftigt war, fuhr Amber mit ihrer Arbeit fort. Es handelte sich im Wesentlichen um die gleiche Arbeit, die sie am Observatorium getan hatte. Sie benutzte die Radarmessungen von Callisto zur Berechnung der Position des Kometen zum Zeitpunkt seiner größten Annäherung an Jupiter. Indem sie die Callisto-Daten mit ihren eigenen triangulierte, konnte sie die Position bis auf wenige Hundert Meter genau bestimmen. Diesen Punkt definierte sie als Anfangspunkt des neuen Kometenorbits.

Nachdem sie den Ausgangspunkt festgelegt hatte, wandte sie sich der Bestimmung ihrer eigenen Position in der kosmischen Ordnung der Dinge zu. Achtzehn Tage nach Verlassen des Jupiter richtete sie das Teleskop auf den winzigen Mond und errechnete die Entfernung von ihrer Heimat. Der Bordcomputer wiederholte die Rechnung mehr als tausend Mal während der halben Stunde, in der das Große Auge den Richtstrahl aussandte. Auf diese Weise bestimmte sie einen winzigen Ausschnitt aus der Umlaufbahn der Admiral Farragut um die Sonne. Dies wiederum erlaubte Amber die exakte Voraussage ihrer Flugbahn während des nächsten Monats. Sie hämmerte auf das Keyboard, bis die Flugbahn des Schiffes auf dem Monitor erschien. Die Sollflugbahn war eine rubinrote Linie, die in einem spitzen, geisterhaft blauen Kegel eingeschlossen war. Der Kegel stellte den stetig größer werdenden Positionsfehler für die nächsten dreißig Tage dar. Amber starrte darauf und nickte befriedigt. Das war bei weitem die beste Orbitalprojektion, die sie jemals gehabt hatte.

Nachdem sie nun wusste, wo sich die Admiral Farragut befand, konnte Amber mit der Berechnung der Position des Kometenkerns beginnen. Einundzwanzig Tage hinter Jupiter hatte der Frachter endlich bis auf Radarreichweite zu dem flüchtenden Besucher aufgeschlossen. Amber benutzte das Radarecho zur Bestimmung eines Abstandsvektors. Da sie die Position der Admiral Farragut kannte, konnte sie diesen in einen Vektor umrechnen, der die Position des Kometen relativ zur Sonne beschrieb. Indem sie diese Größe in den Computer eingab, plus der seit der größten Annäherung verstrichenen Zeit, plus der zugehörigen Position, konnte sie die Umlaufbahn des Kometen um die Sonne bestimmen.

Es war beinahe Mitternacht Schiffszeit, als sie ihre letzten Berechnungen abschloss. Sie hatte soeben die Eingabe der letzten Daten beendet, als sie durch eine Stimme hinter ihrem Rücken aus ihrer geistigen Benommenheit aufgeschreckt wurde.

»Guten Abend. Was hält dich zu dieser späten Stunde noch munter?«

Als sie sich umdrehte, erkannte sie Tom Thorpe, der sich durch die Tür stemmte. Trotz ihrer Erschöpfung lächelte sie.

»Hallo. Das Gleiche könnte ich dich fragen. Musst du morgen nicht wieder Hilary nach draußen mitnehmen? Du solltest dir etwas Ruhe gönnen.«

Thorpe ignorierte den Sarkasmus in Ambers Stimme, als sie Hilary erwähnt hatte, und entschloss sich, das Thema zu wechseln. »Wie geht’s voran?«

»Eigentlich besser als erwartet«, antwortete sie ihm. Er bewegte sich weiter vor, verankerte einen Fuß unter der Computerkonsole und begann ihre Schultern zu massieren. Sie seufzte und schloss die Augen. »Ich bin gerade mit dem zweiten Positionspunkt fertig geworden. Ich glaube, es dauert jetzt nicht mehr lange, dann haben wir den Orbit im Kasten. – Oh, das tut gut!«

»Freut mich, dass du’s magst. Darf ich dich was fragen?«

»Schieß los!«

»Wird sich der Schweif über den ganzen Himmel erstrecken, wie es in den Nachrichten gesagt wurde?«

Sie zuckte mit den Achseln. »Das hängt von zwei Faktoren ab: Helligkeit und Entfernung. Zum ersten kann ich dir nichts sagen. Die Kontroverse ›groß oder kalt‹ ist noch in vollem Gange. Was die Entfernung betrifft, das kann ich herauskriegen!«

»Lass es sein, wenn’s zu lange dauert.«

»Kein Problem. Ich brauche nur einen Knopf zu drücken, die Arbeit macht der Computer.« Amber drehte sich herum. Die Bewegung brachte eine kurze Unterbrechung in seine Massage. Als er seine Hände von ihren Schultern nahm, empfand sie Enttäuschung; gleichzeitig war sie erleichtert. Sie war noch nicht bereit für die Folgen, die seine Berührung hätte haben können.

Sie tippte ihren Befehl in das Keyboard. Die Anzeige wechselte zu einer schematischen Darstellung des Sonnensystems. Die Umlaufbahn des Kometen war den Planetenorbits überlagert und kreuzte sie in einem angenäherten Dreißig-Grad-Winkel. Am unteren Bildschirmrand gaben Zahlen die Position jedes einzelnen Planeten und des Kometen Hastings an, während der Komet seinem Perihel entgegenstürzte. Während Thorpe das Bild beobachtete, verfolgte Amber die Zahlen. Der Komet umkreiste die Sonne, während die winzige Entsprechung seines Schweifs stets gerade in den Raum hinauswies. Als das Kometensymbol die Umlaufbahn der Erde überflogen hatte, wandte sich Amber an Thorpe und stieß einen leisen Pfiff aus.

»Was ist?«, fragte er.

Sie blickte ihn mit weit offenen Augen an. »Die Erde bekommt ihn besser zu sehen, als ich dachte.«

»Wird es eng werden?«

»Nicht auf dem Hinweg. Die Erde wird sich beim Hineinflug des Kometen in einem anderen Himmelsquadranten befinden. Aber sechsundachtzig Tage später kommt er auf dem Rückweg sehr nahe an der Erde vorbei!«

»Wie nahe?«

»Knapp dran vorbei, würde ich sagen. Nicht weniger als einen Planetendurchmesser, nicht mehr als zweieinhalb. Der Planet wird genau durch die Koma und den Schweif fliegen. Wenn die Leute, die ein starkes Abdampfen vorhersagen, Recht haben, dann müsste sich ein milchig weißes Leuchten von Horizont zu Horizont erstrecken!«

»Schade, dass wir den Kern vorher verlassen müssen«, sagte Thorpe. »Das dürfte ein beeindruckender Anblick sein. Man könnte den Leuten zu Hause beim Vorbeifliegen zuwinken.«

Bei seinen Worten nahm Ambers Gesicht einen merkwürdigen Ausdruck an. »Hmmm, ich habe nicht an zu Hause gedacht … Luna, das ist es!«

»Was ist damit?«

»Dieses Orbital-Simulationsmodell hier berücksichtigt Luna nicht. Satelliten beziehen wir normalerweise nicht ein, weil dadurch zu viel Rechenzeit verbraucht wird. Die ravitationseinwirkungen von Mond und Asteroiden sind normalerweise vernachlässigbar. Diesmal könnte ein gewisser Einfluss feststellbar sein. Warte eine Minute, bis ich Luna ins Programm eingegeben habe.«

Amber wandte sich wieder ihrem Terminal zu und drang in den Programmcode ein. Sie modifizierte das Programm mit sicheren, schnellen Anschlägen. Als sie als Nächstes die Rechnung ablaufen ließ, blieb das Diagramm verschwunden, und es liefen nur noch Zahlenkolonnen über den Bildschirm. Nachdem die Rechnung beendet war, ging Amber erneut in den Programmcode hinein, um ihre Arbeit zu überprüfen. Sie ließ das Programm ein weiteres Mal ablaufen, wobei sie darauf achtete, dass die Positionsdaten des Kometen korrekt waren. An der geringeren Geschwindigkeit, mit der die Zahlen nun auf dem Schirm erschienen, erkannte Thorpe, dass sie auch das Iterationsintervall drastisch verkleinert hatte.

Als sie das Programm zweimal hatte laufen lassen, blickte sie zu Thorpe auf. In ihren Augen standen Tränen.

»Na?«, fragte er. »Ändert sich durch Luna etwas?«

»Luna wird sich zum Zeitpunkt der Begegnung im ersten Viertel befinden«, antwortete Amber mit schwankender Stimme. »Das bedeutet, dass die Erde-Mond-Achse beinahe exakt auf der Flugbahn des Kerns liegt. Ich bin sicher, dass er Luna verfehlen wird, obwohl es verdammt nah werden wird! Meinen Berechnungen zufolge bleibt nicht mehr als fünftausend Kilometer Zwischenraum, vielleicht sogar weniger.«

»Aber er wird den Mond verfehlen?«

Ambers Antwort bestand aus einem nervösen Nicken.

»Ich glaube schon«, antwortete Amber mit plötzlich emotionsloser Stimme. Es war, als ob sie selbst ein Teil des Computers geworden wäre. »Das Gravitationsfeld des Mondes ist nicht stark, aber bei dieser Entfernung muss es das auch nicht sein. Die Flugbahn des Kometen wird ein winziges bisschen seitwärts abgelenkt werden; gerade so viel, dass er die Erde nahe dem Terminator flüchtig streifen wird. Was danach passiert, hängt davon ab, wie elastisch der Zusammenstoß ist. Der Kern könnte sich in die Erde hineinbohren, oder er könnte abprallen und seinen Flug fortsetzen, oder er könnte in einen hohen ballistischen Bogen einschwenken und mehrere Stunden später auf der anderen Seite der Erde wieder herunterkrachen.

Es macht freilich überhaupt keinen Unterschied aus, denn schon der erste Aufprall wird jegliches Leben auf der Erde vernichten!«


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