30


Der Kopernikus-Krater beherrschte die Panoramawand im Konferenzraum des Premierministers. Das Bild, vom niedrigen Orbit aus schiefem Winkel aufgenommen, gab die terrassenförmigen Wände des Kraters und die gewaltigen Bergspitzen in der Mitte in scharfem Relief wieder. Dem Süden zu markierte eine dünne Linie den Verlauf der mondumspannenden Einschienenbahn. Rund um die Bergspitzen herum, am Ende einer der Spurschienen der Einschienenbahn, waren mehrere winzige Kuppeln verstreut. Die Kuppeln gaben die Lage der Eisminen an, die Kopernikus für die Ökonomie der Republik so wichtig gemacht hatten.

Rund um den Konferenztisch saßen ein Dutzend der einflussreichsten Männer und Frauen Lunas. Auch wenn viele von ihnen der Nationalpartei angehörten, handelte es sich doch keineswegs um eine Versammlung der Nationalisten. Pierre Robles, John Hobarts Vorgänger im Amt des Premierministers, war als Vertreter der Konservativen anwesend, ebenso die Führer der beiden kleineren Parteien. Vervollständigt wurde die Versammlung durch Niels Grayson vom Farside-Observatorium und Albert Portero von der Universität.

John Hobart stand am Kopf des Tisches und blickte über die eilig zusammengerufene Gruppe. An seinem Gesichtsausdruck war deutlich zu erkennen, dass er alles andere als glücklich war. Er kam augenblicklich zur Sache.

»Wir haben von unserem Agenten an Bord der Admiral Farragut einige ausgesprochen beunruhigende Nachrichten bekommen. Professor Grayson, bitte.«

Niels Grayson stand auf und ging zu dem Pult am einen Ende des Konferenzraums. Vierundzwanzig Stunden zuvor war er noch im Farside-Observatorium gewesen. Zwölf Stunden hatte er für die Anreise gebraucht; er war müde und gereizt und erheblich verstört aufgrund der Neuigkeiten, die ihn am Ende seiner Reise erwartet hatten. Trotzdem hatte er fast acht Stunden Zeit gehabt, die Implikationen von Malvans Katastrophenmeldung zu studieren.

»Diejenigen von Ihnen, die der Bildwand den Rücken zuwenden, sollten sich umdrehen«, sagte er. Grayson berührte einen Schalter, und das Bild des Kopernikus-Kraters verblasste, um von der vertrauten schematischen Darstellung des Sonnensystems ersetzt zu werden. Donnerschlags ekliptischer Orbit umrundete darin die Sonne und endete abrupt an dem Kreis, der die Erdumlaufbahn darstellte. Ein winziges Kometensymbol folgte der Ellipse um die Sonne herum und begann sich auf die beiden Kugeln zuzubewegen, die Erde und Mond repräsentierten. Als der Komet das Planetendoppel erreicht hatte, veränderte sich der Maßstab, und man sah Erde und Luna aus der Nähe. Der Komet flog von außen auf die beiden Himmelskörper zu, wobei er sich der Erdumlaufbahn von unten in einem Dreißig-Grad-Winkel näherte. Zeit und Datum wurden in der oberen rechten Bildschirmecke angezeigt.

Während seine Zuhörerschaft das Diagramm betrachtete, fasste Grayson die Kollisionsberechnungen und die Versuche zur Beschleunigung des Kometen zusammen. »Wie Sie alle wissen, sind alle Anstrengungen, den Eisasteroiden zu beschleunigen, bislang gescheitert. Ich möchte auf die Gründe des Scheiterns nicht weiter eingehen, es genügt zu erwähnen, dass es versucht werden musste. Den vergangenen Monat über haben die Wissenschaftler und Astronomen des Systems nach einer neuen Möglichkeit gesucht, den Kometen abzulenken. Unsere Leute auf der Erde berichteten kürzlich über Aktivitäten, die darauf hindeuteten, dass ein neuer – und geheimer – Versuch geplant wurde. John Malvan, der Repräsentant Lunas bei der Hastings-Expedition, gelang es, die Einzelheiten dieses Geheimplans herauszufinden, und hat sie uns kürzlich übermittelt. Wie Malvan berichtet, planen sie die Erde dadurch zu retten, dass sie den Kometen mit Luna kollidieren lassen!«

Im Raum erhob sich empörtes Stimmengewirr. Den meisten Anwesenden war mitgeteilt worden, dass sich das Treffen mit einem Gegenstand von vitalem Interesse für die Sicherheit der Republik befassen würde, ohne ihnen jedoch Einzelheiten zu nennen. Einer der arlamentsabgeordneten der Nationalpartei fragte: »Wie ist das möglich?«

Das aufgebrachte Gemurmel erstarb, als Professor Grayson zu erklären begann. »Man plant, in der einlaufenden Flugbahn des Kometen einen Asteroiden namens Avalon zu positionieren. Donnerschlag wird achtundsechzig Tage vor Erreichen des Erde-Mond-Systems mit Avalon kollidieren.« Grayson betätigte einen Schalter, woraufhin ein roter Zeiger nahe der Stelle erschien, wo sich die Bahn des Kometen mit der der Erde kreuzte. »Wenn sie Erfolg haben, wird die Kollision das Gegenteil dessen bewirken, was wir bisher zu erreichen versuchten. Sie wird die Geschwindigkeit des Kometen geringfügig vermindern. Au ßerdem wird es zu einer minimalen Veränderung der Flugbahn kommen, die aber zu gering ausfallen wird, um sich bemerkbar zu machen. Was sich jedoch bemerkbar machen wird, das ist der Zeitpunkt, zu dem der Komet ins Erde Mond-System eintritt. Der Kern wird rund hunderfünfzig Sekunden später eintreffen als ursprünglich erwartet.«

»Das hört sich nicht besonders bedeutsam an«, sagte Harold Barnes, der Bankier.

»Normalerweise wäre es das auch nicht. Wie auch immer, Erde und Mond bleiben dadurch zusätzliche zweieinhalb Minuten, sich quer durch die Flugbahn des Kometen zu bewegen. In diesen zweieinhalb Minuten wird sich Luna zwischen den Kometen und die Erde schieben. Donnerschlag wird am 17. Juli 2087 um vierzehn Uhr siebenundzwanzig mitten auf Farside aufschlagen. Ich brauche nicht extra zu betonen, dass eine solche Katastrophe das Ende unserer kleinen Welt bedeuten würde.«

»Sind diese Informationen zuverlässig?«, fragte Pierre Robles.

»Das sind sie«, erwiderte Hobart. »Seit dem Eintreffen von John Malvans Nachricht haben unsere Agenten auf der Erde Überstunden gemacht, um weitere Erkundigungen einzuziehen. Alles deutet darauf hin, dass Constance Forbin die Operation Avalon hat anlaufen lassen. Wir stehen nun vor der Frage, was können wir tun?«

»Was sollten wir denn tun?«, fragte einer der Nationalparlamentarier, der ebenfalls ordentlicher Minister war. »Schließlich hieße es doch, zwischen Luna und seinen Millionen und der Erde mit ihren Milliarden zu wählen.«

»Niemand schlägt vor, die Erde zu opfern, um Lunas Untergang abzuwenden«, erwiderte Hobart schroff. »Wenn wir sterben müssen, um unsere Mutterwelt zu retten, dann soll es sein! Was mir Sorge macht, ist, dass diese neue Option alle anderen ausschließt. Den Kometen abzulenken ist ein schwieriges Unterfangen. Wenn sich den Terrestriern erst einmal ein Ausweg bietet, werden sie aufhören, nach besseren Lösungen zu suchen. Schließlich ist es dann nicht mehr ihre eigene Welt, die vernichtet werden wird.«

»Genauso, wie wir uns während der letzten sechs Monate um unsere eigenen Angelegenheiten gekümmert haben?«, fragte der Anführer der Radikalen.

»Das ist eine Unterstellung, Juan Aurrelios, und Sie wissen das auch!«, knurrte Barnes. »Wenn der Untergang der Erde droht, müssen wir uns ums eigene Überleben kümmern.«

Hobart hob die Hand. »Nein, der verehrte Kollege von Tycho Terrace hat Recht. Wir haben dazu tendiert, diese Krise vom Standpunkt unseres Überlebens aus zu betrachten, nicht von dem der Terrestrier. Jetzt muss es uns darum gehen, zu verhindern, dass sie das Gleiche mit uns machen. Wir müssen eine Lösung vorschlagen, die beiden Seiten zum Nutzen gereicht. Dieser Plan, Luna als Zielscheibe zu benutzen, ist ein schlechter Plan, und sie müssen weiterhin nach einer Möglichkeit suchen, den Kometen zu beschleunigen, anstatt ihn zu verlangsamen.«

»Und wenn es die nicht gibt?«

»Es muss eine geben. Wir haben bloß noch nicht genügend darüber nachgedacht. Was ist, wenn sie plötzlich eine Methode entdecken, nachdem sie Avalon auf Donnerschlag umgelenkt haben? Wenn der Komet durch diese Kollision erst einmal abgebremst ist, führt an der Katastrophe kein Weg mehr vorbei. Es könnte gut sein, dass Luna sinnlos zerstört wird.«

»Wissen wir überhaupt, ob Luna solch eine Katastrophe überstehen würde?«

»Professor Portero hat sich damit befasst. Professor?«

Portero, der Astrophysiker von der Universität Luna, beugte sich vor. »Um die Wahrheit zu sagen, Bürger, ich kenne die Antwort auf diese Frage nicht. Mit einem Durchmesser von fünfhundert Kilometern erreicht Donnerschlag fast die maximale Größe eines Asteroiden, dem Luna mit Sicherheit widerstehen kann, ohne auseinanderzubrechen. Zum Glück besteht dieser Asteroid mehr aus Eis denn aus Eisen. Ein metallischer Meteor dieser Größe würde diese kleine Kugel entzweisprengen. In jedem Fall wird es sehr schlimm kommen, und Megatonnen von Trümmern werden in den Orbit hochgeschleudert. Die der Erde und sämtlicher Orbitalanlagen von Meteoren drohende Gefahr wird für Jahrzehnte, vielleicht für Jahrhunderte, sehr groß sein.«

»Das sind beides gute Gründe dafür, dass die Menschheit kooperieren sollte, um jede Kollision zu verhindern«, sagte Hobart. »Wenn der Kern die Erde trifft, werden wir hier auf Luna von dem resultierenden Meteoritenhagel pulverisiert. Wenn wir getroffen werden, bricht Luna möglicherweise auseinander. Wie würde es dem Leben auf der Erde ergehen, wenn die Gezeiten weitgehend zum Erliegen kämen? Außerdem, was sollte verhindern, dass nicht ein größeres Bruchstück von Mondmaterie trotzdem auf die Erde fällt und eben die Katastrophe hervorruft, die man hatte vermeiden wollen?«

Rund um den Tisch erhob sich ein zustimmendes Gemurmel. Hobart musterte die Doppelreihe finsterer Gesichter. »Ich nehme an, dass keiner der Anwesenden an dieser Scheußlichkeit mitzuwirken wünscht. Also, was können wir dann tun, um sie aufzuhalten?«


Die Korridore der Admiral Farragut waren von dem schwachen blauen Licht erhellt, mit dem Raumschiffe die Nacht simulierten. Thorpe zog sich Hand über Hand durch das blaue Glimmen. Er hielt an, als er die verschlossene Eingangsluke zum Teleskopraum erreicht hatte. Sich an einem der für diesen Zweck vorgesehenen Handgriffe festhaltend, klopfte er leise an die Luke, dann öffnete er sie.

Der Raum dahinter war bis auf den großen leuchtenden Bildschirm dunkel. Amber saß im rechten Beobachtersessel, ihr Kopf und die Schultern hoben sich vor dem Leuchten ab. Das Teleskop war auf Erde und Mond gerichtet, die beide als halb erleuchtete Kugeln zu sehen waren. Die Erde war verblüffend weiß, verglichen mit dem dunkleren Grau des Mondes. Die Mutterwelt war mit ihren charakteristischen Wolkenwirbeln und dem Blau des Ozeans geschmückt.

»Darf ich reinkommen?«, fragte er leise.

Amber blickte sich über die Schulter nach ihm um. »Natürlich.«

Er schloss die Luke und schwamm zum linken Sessel, auf dem er sich anschnallte, bevor er sich ihr zuwandte. »Findest du nicht, dass du dich ein bisschen anstellst deswegen?«

»Weswegen?«, fragte sie mit ausdrucksloser Stimme. Ihr normalerweise tadelloser Overall war zerknittert und ihr Haar ungekämmt. Die Ringe unter ihren Augen legten Zeugnis darüber ab, wie viel sie in den letzten zweiundsiebzig Stunden geschlafen hatte.

»Du kannst nicht ewig auf mich sauer sein. Du solltest allmählich wieder aus deinem Schneckenhaus herauskommen und mit dem Leben weitermachen.«

»Mit welchem Leben, Thomas?«

»Hör mal«, brummte er, »es tut mir leid, dass nicht irgendjemand anders auf die verdammte Idee gekommen ist, Donnerschlag mit dem Mond aufzuhalten. Ich bin derjenige, der darüber gestolpert ist. Was hätte ich denn deiner Meinung nach tun sollen? Es wieder vergessen?«

Ärger blitzte in ihren Augen auf. »Du hättest mir sagen können, was du entdeckt hattest. Du hättest dich mir anvertrauen können, mein Schatz!«

»Hätte ich das?«, fragte er. »Hättest du es für dich behalten?«

»Warum musste es denn ein Geheimnis bleiben?«

»Weil sie auf der Erde randalieren, verdammt nochmal! Sie randalieren, weil wir mit unserem letzten Versuch gescheitert sind. Was glaubst du wohl, was sie machen werden, wenn wir bei ihnen neue Hoffnungen wecken, nur um sie wieder zu enttäuschen? Mein Gott, sie hätten jede einzelne Stadt auf dem Planeten niedergebrannt. Nein, es war besser, mit der Bekanntgabe des Plans zu warten, bis ich sicher war, dass ich keinen Fehler gemacht hatte.«

»Du meinst, bevor du die Republik in deinen Plan, sie zu zerstören, einweihen würdest, ist es nicht so?«

Er nickte. »Da ist etwas Wahres daran. Ich hatte gehofft, wir könnten die Fakten erhärten, bevor es zu dem unvermeidlichen interplanetarischen Zerwürfnis kommt. Das ist jetzt natürlich nicht mehr möglich.«

»Du willst damit doch wohl nicht sagen, dass Malvan und ich nicht hätten weitergeben sollen, was wir wussten!«

»Nein, das will ich überhaupt nicht sagen. Eure Regierung hat ein Recht darauf, Bescheid zu wissen. Ich hoffe bloß, dass wir nicht grundlos schlafende Hunde geweckt haben. Was ist, wenn sich mein Plan als nicht durchführbar erweist?«

»Das wird er nicht«, erwiderte Amber. »Ich habe die vergangenen drei Tage damit zugebracht, deine Zahlen zu überprüfen. Du hast hundertprozentig Recht. Wenn Donnerschlag dazu gebracht werden kann, mit Avalon zu kollidieren, vermindert sich sein Gesamtimpuls um 2,5 Tausendstel Prozent. Dadurch wird das Eintreffen des Kerns um 173 Sekunden hinausgeschoben, mehr als genug Zeit für Luna, sich in die Flugbahn des Kometen zu bewegen. Meine Berechnungen haben ergeben, dass der Aufprall nahe dem Korolew-Krater stattfinden wird, etwa sechshundert Kilometer östlich des Farside-Observatoriums.«

»Das hast du also die ganze Zeit über gemacht? Meine Rechnerei überprüft?«

»Ja, und außerdem versucht, eine andere Lösung zu finden. Damit bin ich kläglich gescheitert, Thomas. Alles, was ich versuche, erfordert mehr Energie, mehr Zeit oder mehr Mittel, als uns zur Verfügung stehen. Es ist komisch. In Diskussionen mit Kollegen habe ich oft von den unveränderlichen, allgemeingültigen Gesetzen der Physik gesprochen. Ich glaube, ich habe erst jetzt wirklich verstanden, was das bedeutet.«

»Dann stimmst du also darin mit mir überein, dass es notwendig ist, Donnerschlag auf Luna zu lenken, um die Erde zu retten?« Im Halbdunkel konnte Thorpe erkennen, dass Amber die dicken, runden Tränen im Gesicht standen, wie sie sich in der Schwerelosigkeit bildeten.

Sie sah ihn mit traurigen Augen an, die keine weiteren Tränen mehr produzieren konnten. »Ich stimme dir zu, Thomas. Ich stimme dir vom intellektuellen, professionellen, nüchtern analysierenden Standpunkt aus zu. Warum sträubt sich dann alles in mir gegen diesen Gedanken? Warum muss meine Welt sterben, damit deine gerettet wird?«

»Mach dir einmal klar, was du da gesagt hast, mein Liebes.«

Sie seufzte. »Ich weiß. Es läuft auf was anderes hinaus. Die Erde ist die Heimat der Menschheit. Sie muss gerettet werden, was immer es auch kostet. Die Zerstörung einer kleinen Nebenwelt wie Luna ist ein geringer Preis dafür. Das sind die Fakten, Thomas, nur ändert das nichts an meinen Gefühlen

»Mir ist auch nicht besonders wohl dabei. Ich kann bloß nicht erkennen, dass wir eine Wahl hätten. Zeig mir die Alternative, und ich will verdammt sein, wenn ich sie nicht ergreife!«

Sie beugte sich vor und küsste ihn flüchtig auf die Lippen. »Mein armer Schatz. Du fühlst dich schuldig, nicht wahr?«

»Würde das nicht jeder tun?«

»Ich glaub schon«, sagte sie. »Ich glaube, wir beide brauchen Zeit, um das alles zu verdauen. Wenn es dir nichts ausmacht, werde ich mich eine Weile wieder in meine eigene Kabine zurückziehen.«

»Wenn du das unbedingt willst.«

»Ich will es nicht, aber es wäre besser für uns beide.«

»Und unsere Hochzeit?«

»Das ist im Moment wohl kaum wichtig, oder?«

»Für mich ist es wichtig.«

»Es wäre nicht fair, zu heiraten, solange ich in dieser Stimmung bin. Lass mir Zeit, mein Gleichgewicht wiederzufinden. Bitte.«

»Ich glaube, mir bleibt da gar keine andere Wahl, oder?« Er schnallte sich vom Sitz los und stieß sich nach der Luke ab. Dann wandte er sich nach ihr um. Trotz ihrer Erschöpfung und des in der Kabine herrschenden Halbdunkels war sie immer noch die hübscheste Frau, die er je gesehen hatte. »Ich werde dir Zeit lassen. Die ganze Zeit, bis wir die Erde erreicht haben, wenn es sein muss. Wenn du mich brauchst, bin ich für dich da.«

»Danke«, sagte sie einfach.

Thorpe blickte zu dem blauweißen Planeten auf, der die Heimat von acht Milliarden unschuldiger Menschen war. Hinter ihr stand die silbergraue Kugel, auf deren Oberfläche weitere zehn Millionen Unschuldiger lebten.

»Ich wünschte, ich hätte nie von diesem gottverdammten Kometen gehört!«, brach es aus ihm heraus. Er schlug die Luke hinter sich zu.


Roland Jennings, dem Generalkonsul der Republik Luna in San Francisco, fiel es zu, die Antwort der Republik auf das zu überbringen, was die ›Avalon-Option‹ genannt wurde. Jennings Berater, Austin Branniger, begleitete ihn nach Den Haag zu dem Treffen mit Constance Forbin. Die beiden Männer wurden fünf Tage, nachdem Luna vom Plan erfahren hatte, Donnerschlag auf den Mond umzulenken, gegen Mitternacht in das Büro der Chefkoordinatorin gebeten.

»Konsul Jennings, Bürger Branniger«, sagte die Koordinatorin zur Begrüßung. »Es ist mir eine Ehre, zwei so bemerkenswerte Repräsentanten der Republik bei mir zu empfangen, selbst zu dieser späten Stunde. Bitte nehmen Sie Platz.«

»Wir möchten Ihnen für die Liebenswürdigkeit danken, dass Sie uns empfangen. Sie wissen natürlich, warum wir hier sind.« Trotz seines selbstbewussten Auftretens war Jennings so nervös wie ein Dritter Untersekretär für Protokollfragen bei seinem ersten Staatsempfang. Er war sich des gewaltigen Einsatzes bewusst, der auf dem Spiel stand.

»Ihr Premierminister hat in seiner Botschaft den Stand der Diskussion bereits kurz umrissen.«

»Ist es wahr? Planen Sie wirklich, den Kometen auf Farside zu lenken?«

Constance breitete ihre Hände in einer umfassenden Geste der Hilflosigkeit aus. »Was erwarten Sie denn von mir, Bürger Konsul? Sollte ich lügen und Ihnen erzählen, dass wir nicht jede denkbare Methode in Betracht ziehen, um diese Welt zu retten?«

»Ich möchte, dass Sie mir eine einfache, ehrliche Antwort geben.«

»Also gut. Ja, wir verfolgen die Avalon-Option. Wir haben eine Arbeitsgruppe auf Newton eingerichtet, wo sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren kann. Bislang haben sie noch keine Mängel im Plan entdeckt.«

»Haben Sie irgendwelche konkreten Schritte unternommen, um die Option tatsächlich voranzutreiben?«, fragte Austin Branniger.

»Bis jetzt noch nicht.«

»Was ist an den Gerüchten daran, dass Sie zwei der Großtransporter nach Avalon geschickt haben?«

»Bislang nichts weiter als Gerüchte, Bürger Jennings. Wir werden keine Schiffe verlegen, solange wir nicht sicher sind, dass diese Option die einzig durchführbare ist. Wir werden Ihre Regierung selbstverständlich informieren, falls wir zu diesem Schluss gelangen sollten.«

»Sollen wir dann zum Wohle der Erde sterben?«

»Für wie barbarisch halten Sie uns eigentlich? Wir werden Luna vor dem Eintreffen des Kometen natürlich evakuieren. Das ist einer der Punkte, mit denen sich die Arbeitsgruppe befasst.«

»Und wenn wir uns nicht evakuieren lassen wollen?«

»Hat Luna einen besseren Vorschlag, wie wir Donnerschlag aufhalten können?«

»Unsere Wissenschaftler arbeiten daran«, erwiderte Jennings.

»Sie arbeiten bereits seit sechs Monaten daran«, erinnerte ihn Constance. »Wir brauchen sofort eine Idee! Mit acht Kilo Antimaterie kommt man nicht besonders weit, wissen Sie.«

»Luna ist bereit, Ihnen weitere vier Kilogramm anzubieten.«

»So?«, fragte Constance Forbin, während sich ihre Augenbrauen vor Überraschung hoben. »Ich glaube, wir haben Ihre Regierung erst letzten Monat gebeten, für den allgemeinen Pool Antimaterie beizusteuern. Sie hatte keine übrig. Sind Ihre Produktionsanlagen so leistungsfähig, dass sie vier Kilo in nur einem Monat produzieren können?«

»Sie wissen, dass das nicht der Fall ist, Mrs. Forbin. Ihre Anfrage wurde abschlägig beschieden, weil wir der Meinung waren, den Treibstoff für die Zeit nach dem Zusammenstoß zu benötigen.«

»Und jetzt?«

»Jetzt erscheint es uns als klüger, die Antimaterie dazu zu verwenden, dass der Komet abgelenkt und ein Zusammenstoß von vorneherein vermieden wird.«

»Und kennen Sie ein Szenario, bei dem zwölf Kilo Antimaterie ausreichen, um dieses Kunststück zu vollbringen?«

»Ich bin kein Wissenschaftler.«

»Ich auch nicht. Aber eins weiß ich: dass die Zeit allmählich knapp wird. Wenn nicht bald eine praktikable Alternative gefunden wird, werden wir die Avalon-Option in die Tat umsetzen müssen.«

Roland Jennings betrachtete die Koordinatorin mit einem harten Blick. »Wir können das nicht zulassen, Madame Koordinatorin. Das ist die Botschaft, die ich Ihnen zu überbringen habe.«

»Das klingt wie eine Drohung, Mr. Generalkonsul.«

»Es ist auch als Drohung gemeint, Madame Koordinatorin. Die Republik Luna wird es nicht zulassen, dass sie zur Zielscheibe gemacht wird. Unsere Meinung ist, dass eine gerechtere Lösung gefunden werden muss, und dass alles, was nötig ist, sie zu finden, ein angemessener Anreiz ist.«

Constance Forbin lehnte sich in ihrem Sessel zurück. »Und wie gedenken Sie uns aufzuhalten?«

»Wir hoffen, mit Ihnen vernünftig reden zu können. Wenn das nicht ausreicht, bereiten wir uns darauf vor, Gewalt anzuwenden.«

»Gewalt?«

»Während wir hier miteinander sprechen, rüstet die Republik ein Dutzend Schiffe zur Durchführung von Kriegsoperationen aus. Diese Schiffe werden beim ersten Anzeichen, dass Sie die Verlagerung von Avalon eingeleitet haben, in den Raum gebracht. Sie werden Avalon nötigenfalls besetzen und Ihren Leuten den Zutritt verwehren. Natürlich hoffen wir, dass es nicht so weit kommt.«

»Vergessen Sie dabei nicht die Friedenstruppe, Bürger?«

Er schüttelte den Kopf. »Die Truppe hat gegenwärtig nur drei Schiffe im Erdorbit. Eins davon unterzieht sich gerade einer Generalüberholung und kann nicht starten. Unsere soeben flügge gewordene Kriegsflotte wird stark genug sein, jede Gegenwehr, die Sie uns entgegenstellen könnten, zu überwinden. Erinnern Sie sich, Sie müssen einen schweren Asteroiden in Donnerschlags Flugbahn verlegen. Wir müssen nichts weiter tun, als Sie daran zu hindern.«

»Haben Sie bedacht, dass Sie damit die Erde zum Tod verurteilen?«

»Das glauben wir nicht, Madame Koordinatorin. Wie ich bereits sagte, sind wir zuversichtlich, dass den Wissenschaftlern rechtzeitig eine andere Lösung einfallen wird.«

»Und falls nicht?«

»Es muss ihnen etwas einfallen. Es gibt keine andere gerechte Alternative.«

»Und das ist Ihr letztes Wort?«

»Ich habe meine Botschaft überbracht, Mrs. Forbin. Lassen Sie mich Ihnen versichern, dass es in dieser Angelegenheit keine Verhandlungen geben wird.«

Die Koordinatorin trommelte mit ihren Fingern auf den Schreibtisch. »Lassen Sie mir die Zeit, mich mit meinen Leuten zu beraten, Bürger Jennings?«

»Selbstverständlich.«

»Dann wird unser Botschafter auf Luna dem Premierminister unsere Antwort bis zwölf Uhr übermorgen übergeben.«


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