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Während der letzten Ausflüge hatten die Jungen wiederholt das Steilufer nach einer zweiten Höhle oder Grotte abgesucht, allerdings erfolglos. Man mußte also doch auf Briants ersten Plan zurückgreifen und French-den von innen her ausbauen. Bei der vorliegenden Kalksteinmasse konnte es nicht sehr schwierig sein, die Wände zu durchbrechen. Axt und Spitzhacke waren vorhanden, und Zeit spielte keine Rolle. Zu Sprengstoff brauchte man sicherlich nicht zu greifen, denn es hatte sich ja schon bei der Bohrung eines Loches für das Ofenrohr gezeigt, wie gut der Kalkstein bearbeitet werden konnte. Inzwischen hatte Baxter den Höhleneingang erweitert und eine Tür von der Sloughi eingepaßt. Links und rechts vom Eingang hatte er 2 Fenster, eigentlich eher 2 Schießscharten durchbrochen. Dadurch verbesserten sich die Lichtverhältnisse und die Frischluftzufuhr wesentlich.

Seit einer Woche war endgültig Winter. Heftige Stürme brausten über die Insel hinweg, doch French-den lag geschützt. Regenschauer und Schneegestöber gingen über dem Steilufer nieder, nur in Seenähe konnte man überhaupt noch einigermaßen erfolgreich jagen. Enten, Bekassinen, Kiebitze, Wiesenläufer und Wasserhühner wurden erlegt und in Mokos Pfanne gehauen.

Am 27. Mai begannen die Kinder mit den Erweiterungsarbeiten in der Höhle.

»Zuerst die rechte Wand«, sagte Briant, »versuchen wir zur Seeseite hin einen Durchbruch, dann gewinnen wir zudem noch einen zweiten Höhlenzugang. Somit könnten wir auch die Umgebung besser überwachen.«

»Aber achtgeben, damit nichts einstürzt«, ermahnte Gordon seine Kameraden.

Von innen aus gerechnet, trennten die Höhle höchstens 15m von der östlichen Außenwand. Mit Hilfe des Kompasses bestimmte man die Richtung.

»Treiben wir erst einen Stollen hinein«, riet Baxter, »wir können dann immer noch beliebig erweitern und erhöhen. Die beiden möglichen Räume wären dann durch eine Art Vorsaal getrennt, der an beiden Enden total abgeschlossen ist.«

»Einverstanden«, sagte Briant, »dabei können wir auch die Gesteinsmasse untersuchen ; außerdem müssen wir darauf achten, daß kein Wasser durchsickert, sonst wäre alle Mühe vergebens.«

Während der nächsten 3 Tage ging die Arbeit gut voran. Die Kalkmasse ließ sich fast mit dem Messer schneiden. Der Abraum wurde sofort nach draußen geschafft. Der Stollen war bereits 1,60 m weit gebohrt, als sich am Nachmittag des 30. Mai etwas Unerwartetes ereignete.

Auf dem Boden liegend wie ein Minenarbeiter, der einen Sprengschacht ausgräbt, glaubte Briant im Innern der Gesteinsmasse einen dumpfen Laut gehört zu haben. Sofort unterbrach er seine Arbeit, um besser lauschen zu können. Wieder hörte er dasselbe Geräusch. Briant wand sich zu Gordon und Baxter zurück und erzählte ihnen von seiner Entdeckung.

»Täuschung«, meinte Gordon.

»Nimm du meinen Platz und lege das Ohr an den Stein«, schlug Briant ihm vor.

Gordon kroch hinein, nach einigen Minuten kam er wieder heraus.

»Stimmt, du hast dich nicht getäuscht! Ich habe ein Knurren gehört.«

Nun wiederholte auch Baxter die Probe, auch er stimmte der Entdeckung Briants zu.

»Was in aller Welt kann das sein?«

»Kann ich mir nicht erklären. Benachrichtigen wir besser auch Doniphan und die anderen.«

»Nur die Kleinen nicht, sonst gibt es hier ein Theater!«

Eben kamen alle zum Mittagessen zurück, so ließ es sich nicht vermeiden, daß auch die Kleinen von dem Vorfall erfuhren, was sie natürlich sehr erschreckte. Nacheinander begaben sich Doniphan, Wilcox, Webb und Garnett in den Stollen. Aber jetzt hatte das Geräusch aufgehört; sie hörten nichts.

»Habt ihr euch wieder einmal getäuscht«, sagte Doniphan selbstherrlich.

Jedenfalls wurde beschlossen, die Arbeit nicht zu unterbrechen; nach dem Essen schlüpfte Briant wieder in den Stollen. Im Laufe des Nachmittags ließ sich kein weiteres Geräusch vernehmen, bis endlich gegen 21 Uhr erneut das Knurren deutlich durch die Wand zu hören war. Da stürzte Phann wütend in den Schacht hinein, kam jedoch sofort wieder mit gesträubtem Fell hervor.

Die Kleinsten hatten jetzt eine fürchterliche Angst, sie glaubten sofort an irgendwelche Waldgeister, an Gnomen und Gespenster. Briant versuchte sie zu beruhigen, befahl ihnen, ihren Lagerplatz aufzusuchen und einzuschlafen. Gordon und die anderen diskutierten noch lange über die seltsame Erscheinung in der Felswand, die auch später noch andauerte. Endlich waren auch sie zum Umfallen müde, alle außer Moko und Briant legten sich schlafen.

Am folgenden Morgen war die ganze Gesellschaft bereits sehr früh wieder munter; Baxter und Doniphan krochen wieder in den Stollen, aber kein Geräusch war hörbar. Auch Phann hatte sich beruhigt.

An die Arbeit! « befahl Briant.

»Man kann immer noch aufhören, wenn sich das Geräusch vernehmen läßt«, sagte Baxter.

»Könnte das Geräusch nicht von einer Quelle herrühren«, überlegte Doniphan.

»Dann müßte man es ja immer hören, aber das ist nicht der Fall«, erwiderte Wilcox richtig.

»Ich würde es eher vom Wind herleiten, der sich in einer Spalte der Anhöhe fängt«, sagte Gordon.

»Steigen wir doch hinauf und untersuchen den Boden«, schlug Service vor.

50 Schritte in Richtung Ufergelände fanden sie einen Weg, der zum oberen Teil der Felsen führte. Auf dem Kamm des Höhenrückens aber fand sich kein Spalt, durch den Luft oder Wasser hätte eindringen können. Die Arbeit wurde also bis zum Abend ohne Unterbrechung fortgesetzt. Da sagte Gordon plötzlich:

»Phann ist weg!«

Man rief nach ihm, aber er tauchte nicht auf, man hörte auch kein Bellen.

Gordon trat nach draußen und rief — alles still! Doniphan und Wilcox liefen zum Rio und zum Seeufer — keine Spur von Phann. Man suchte die ganze Umgebung von French-den nach Phann ab, aber der Hund blieb verschwunden. Offenbar war Phann nicht in Hörweite, denn auf Gordons Stimme hätte er sofort reagiert. Daß er sich verirrt haben könnte, schien wenig plausibel. War er von einem Raubtier verschleppt worden?

Es war jetzt etwa 21 Uhr. Über dem Steilufer und dem See lag tiefe Dunkelheit. Die Kinder mußten sich wohl oder übel entschließen, die Suche nach Phann für heute aufzugeben, wollte man sich nicht selbst noch verirren. Alle gingen sehr bedrückt über das Verschwinden ihres Hundes zurück nach French-den. Die einen legten sich auf die Matratzen, die anderen setztest sich um den Tisch, jeder fühlte sich einsamer, jeder entmutigt.

Plötzlich hörten sie dumpfe Laute. Briant eilte sofort zum Stolllen.

»Das kommt von hier!«

Alle hatten sich erhoben, keiner sprach ein Wort.

Briant kam wieder aus dem engen Stollengang heraus. »Dort muß eine Höhle sein, deren Eingang sich wohl am Fuß der Gesteinsmasse befindet.«

»Wahrscheinlich ein Unterschlupf für Tiere!«

»Vielleicht! Das werden wir morgen früh klären!«

Da hörten sie ein lautes Gebell aus dem Innern des Felsens.

»Ist Phann womöglich da drin?!«

Briant ging also noch einmal in den Gang, legte das Ohr lange an den Stein, aber umsonst. Kein Geräusch war zu hören. Hinter der Wand mußte sich eine Höhle befinden, aber wo war Phann?

Die Nacht verging, ohne daß die Kinder ein Geheul oder Gebell geweckt hätte.

Mit Tagesgrauen untersuchten die Kinder das Gestrüpp an der See- und Uferseite, ohne etwas zu finden. Phann hatte, obwohl Gordon ihn mehrmals angerufen hatte, keinen Laut von sich gegeben. Briant und Baxter nahmen abwechselnd die Arbeit am Stollen wieder auf. Von Zeit zu Zeit hielten sie inne, aber nichts war zu hören.

»Wir werden bald die Wand durchschlagen, führt deshalb die Kleinen zum Ufer, vielleicht befindet sich ein Raubtier in der Höhle. Ladet auch die Flinten und Revolver durch, damit wir uns wehren können, falls es nötig sein sollte.«

Briant dachte an alles, das reizte Doniphan zur Wut.

Gegen 14 Uhr stieß Briant einen lauten Schrei aus. Seine Spitzhacke hatte die gleich weiter nachstürzende Kalkwand durchbrochen. Briant trat einige Schritte zurück und stellte sich neben Doniphan, Wilcox und Webb.

Noch bevor sie sich umschauen konnten, hörten sie etwas an der Stollenwand hinstreifen und mit einem gewaltigen Satz sprang ein Tier durch die Öffnung. Es war Phann!

Nach dem ersten Schrecken und der anschließenden Freude, Phann wieder bei sich zu haben, kletterte Briant, gefolgt von Gordon, Baxter, Wilcox und Moko, mit einer Laterne durch die Felsöffnung. Hier war also eine zweite Höhle, ebenso hoch und breit wie French-den, allerdings wesentlich tiefer. Da stieß Wilcox mit dem Fuß an einen schweren, kalten Körper. Briant kam sofort mit der Laterne. »Ein toter Schakal!«

»Den muß Phann erlegt haben!«

»Das also ist die Erklärung für die Geräusche in der Wand.«

Nachdem man wieder nach French-den zurückgeklettert war, untersuchte Briant das Steilufer an der Seeseite. Gleichzeitig gab er laute Schreie von sich, worauf andere Rufe aus dem Innern der Höhle antworteten. So gelang es Briant, zwischen dem Gestrüpp dicht am Boden eine enge Öffnung zu entdecken, durch die Phann und der Schakal eingedrungen waren. Phann hatte den Kindern eine schwere Arbeit erspart. Da lag fix und fertig eine zweite Höhle neben French-den, von der Frangois Baudoin nichts geahnt hatte. Man mußte nur den zweiten Eingang weiter öffnen und den engen Stollen zu einem begehbaren Gang ausbauen, dann war dieses Problem gelöst. Die zweite Höhle wurde »Halle« getauft, sie sollte als Schlaf- und Arbeitsraum dienen, während French- den als Küche, Speisekammer und Eßzimmer benützt wurde. Die Einrichtung der zweiten Höhle dauerte fast 14 Tage, 2 Schießscharten und eine Tür wurden angebracht, die Schlafplätze symmetrisch angeordnet, Sofas, Lehnstühle, Tische und Schränke hinübergeschafft. Für den eingefangenen Nandu richtete man im Winkel der Vorratskammer ein Plätzchen ein, bis man ihm im Freien ein Gehege bauen konnte. Gordon ging jetzt, nachdem man sich jetzt vollends eingerichtet hatte, an die weitere Ausarbeitung eines Programms.

Am Abend des 10. Juni saßen alle Kinder am Tisch neben dem knisternden Ofen. Wie zufällig kam man darauf, die verschiedenen Punkte der Insel mit Namen zu versehen, damit man sich rascher verständigen konnte.

»Wir wollen aber nur schöne Namen aussuchen!«

»Wie es die wirklichen und erfundenen Robinsons tun.«

»Ja, wir sind ja augenblicklich selbst welche.«

»Ein großes Pensionat von Robinsons.«

»Ich denke, wir sollten den Namen Sloughi-Bai beibehalten«, schlug Briant vor. »Einverstanden.«

»Auch den Namen French-den sollten wir nicht ändern, das gebietet uns das Andenken an den armen Schiffbrüchigen, dessen Stelle wir nun eingenommen haben.«

»Wie nennen wir den Rio, der in der Sloughi-Bai mündet?«

»Rio Sealand«, schlug Baxter vor, »dieser Name wird uns immer an unsere Heimat erinnern.«

»Angenommen!«

»Da der Rio den Namen Neuseelands erhalten hat«, meinte Doniphan, »so geben wir doch dem See einen Namen, der uns an unsere Familien erinnert, nennen wir ihn Family-Lake.«

Auch das fand große Zustimmung.

So ging es bis tief in die Nacht. Das Steilufer wurde Auckland-Hill getauft, das Kap, von dessen Gipfel aus Briant im Osten das Meer erkannt zu haben glaubte, nannte man auf seinen Vorschlag hin False-Sea-Point, Spitze des falschen Meeres. Die anderen Bezeichnungen lauteten wie folgt: Traps-woods nannte man den Waldteil, wo man die Trappen angetroffen hatte; Bog-woods den anderen Teil mit der Schlammlache; South-moores den Sumpf auf der südlichen Inselhälfte; Dike-creek den Bach, über den der Plattensteg gelegt worden war; Wrack-coast jene Küste, an der die Jacht gestrandet war; Sportterrace den von den Ufern des Rio und des Sees eingeschlossenen Platz, der vor der Halle zum Rasen wurde, wo, laut Gordons Programm Leibesübungen stattfinden sollten. Alle anderen Punkte auf der Insel sollten je nach den Vorfällen, die sich dort ereigneten, benannt werden.

»Geben wir auch noch den Vorgebirgen, die auf Baudoins Karte eingezeichnet sind, Namen«, schlug Briant vor. Man entschied sich für North- cape im Norden und für South-cape im Süden der Insel; den 3 Spitzen, die im Westen liegen, gab man die Namen: French-cape, British-cape und American-cape, zu Ehren der 3 in dieser Jungen­Kolonie vertretenen Nationen.

»Nur für die ganze Insel haben wir noch keinen Namen gefunden.«

»Ich weiß, wie man sie nennen könnte«, meldete sich Costar.

»Du weißt das, nicht möglich!?« erwiderte Doniphan.

»Wahrscheinlich will er sie Baby-Insel nennen«, scherzte Service.

»Laß deine Witze, Service und hören wir seine Idee.«

Aber Costar hatte jetzt den Mut verloren, seine Idee vorzutragen.

»Sag nur, Costar, ich bin überzeugt, daß dein Vorschlag gut ist«, besänftigte ihn Briant.

»Da wir alle Zöglinge der Pension Chairman sind, könnte man die Insel vielleicht Chairman-Insel nennen!«

Chairman-Insel. Dieser Name war genial, er Verband persönliche Erinnerungen und klang zudem noch richtig geographisch.

»Das geht in die Atlanten der Zukunft ein!« Jetzt verlangte noch einmal Briant das Wort. »Liebe Freunde, wir haben nun der Insel und den wichtigsten Orten einen Namen gegeben, wäre es da nicht gut, auch gleich ein Oberhaupt zu ernennen, das die Insel und ihre Bewohner regiert?«

»So ein Quatsch!« brummte Doniphan.

»Vielleicht geht dann alles etwas besser, wenn einer bestimmt, den die anderen zu ihrem Oberhaupt gewählt haben.«

»Wählen wir ein Oberhaupt!« riefen alle.

»Wenn es unbedingt sein muß«, stöhnte Doniphan verärgert, »aber nur für eine bestimmte Zeit, sagen wir für 1 Jahr.«

»Das aber dann wieder neu wählbar wäre.«

»Einverstanden!«

»Ich schlage Gordon vor«, sagte Briant.

Die Jungen brachen in ein Freudengeschrei aus. Gordon wollte zuerst ablehnen, mußte dann aber unter dem Druck seiner Kameraden die Berufung zum Oberhaupt der Kolonie auf der Chairman-Insel annehmen.


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