25

Für diese Nacht hatte Moko die Wache übernommen. Die anderen schliefen sehr lange, das gestrige Abenteuer hatte sie übermäßig ermüdet. Nach dem Frühstück setzten sich die Großen zu einem Gespräch über die Lage zusammen.

»Walston ist also noch da, ich habe es deutlich am Schein des Feuers gesehen!«

»Ihnen fehlen die nötigen Werkzeuge zum Reparieren der Schaluppe, sonst wären sie schon weg.«

»Aber so kaputt erschien mir die Schaluppe gar nicht«, sagte Doniphan. »Wäre unsere Sloughi nicht stärker demoliert worden, wir hätten nach einiger Zeit die Rückfahrt antreten können.«

»In keinem Fall denkt Walston daran, sich hier festzusetzen, das dürfte klar sein. Also wird er die Insel durchstreifen, um nach Werkzeugen und Material Ausschau zu halten.« »Und dann sind wir dran!«

»Sicher! Sie werden French-den finden.«

»Ich habe doch seinerzeit einen weißlichen Fleck von der Deception-Bai aus wahrgenommen«, unterbrach Briant diese Debatte, »als ich oben in der Gondel war, habe ich diesen Fleck wieder gesehen. Außerdem brach etwas daneben gerade ein Vulkan aus, ich sah es ganz deutlich am Widerschein der Wolken. Ich erkläre mit

Entschiedenheit, daß nach Osten hin in nicht allzu großer Entfernung Land liegt.«

»Wilcox und ich haben damals aber nichts dergleichen gesehen!« unterbrach Doniphan.

»Moko hat ihn auch gesehen«, beharrte Briant.

»Gut, gut! Du meinst also, daß wir nahe des Festlandes sind?«

»Der Lichtschein rührte von einem tätigen Vulkan her, der sich auf dem Festland befindet. Ich bin sicher, daß die Matrosen der Severn das auch wissen. Sie werden natürlich versuchen, dahin zu gelangen.«

»Klar! Hier haben sie ja auch nichts verloren!«

»Halten wir es jedenfalls wie bisher«, sagte Briant entschieden, »die Ausflüge bleiben prinzipiell untersagt, kein Schuß darf abgefeuert werden.«

»Auweia, da kann auch der stärkste Mann Angst bekommen. Walston braucht nur dem East-river bis zum See folgen, dann um ihn herumgehen, schon steht er vor unserer Tür. Ich werde kein Auge mehr zumachen können!«

»Apropos Tür. Tarnen wir die Eingänge von French-den mit Ästen und Zweigen, deckt auch die Stallungen etwas ab. Keiner betritt das Gebiet zwischen Family-lake und Auckland-hill.«

In jener schweren Zeit erlitt zu allem Unglück auch noch der kleine Costar einen Fieberanfall. Wäre nicht die gutmütige Kate gewesen, keiner der Jungen hätte mit den Medikamenten aus der Jacht­Apotheke etwas anfangen können. Aber Kate pflegte Costar nach und nach wieder gesund. Sie war wirklich unentbehrlich geworden. Sie sorgte auch für die Wäsche, die Schuhe und die Ernährung.

Die ersten 14 Novembertage waren total verregnet. Erst vom 17. an stieg das Barometer wieder, und die Sonne schien. Die Jungen fluchten natürlich, daß sie nicht aus der Höhle herauskonnten. Doniphan hätte zu gern wieder Wild gejagt, Wilcox nach den Fallen gesehen. Die Tage vergingen langsam. Alle waren entmutigt. Zudem wußten sie um die ihnen drohende Gefahr, das machte sie reizbar und nervös.

Am 21. November gegen 14 Uhr wurde der am Ufer des Family-lake angelnde Doniphan, er hatte die Erlaubnis Briant schwer genug abgerungen, von einem Schwarm wild auffliegender Vögel aufgeschreckt. Sie zogen immer engere Kreise über einem ganz bestimmten Punkt, dann stürzten sie mit wildem Gekrächze hinunter. Sofort rannte Doniphan nach French-den und bat Moko, ihn mit der Jolle über den Rio Sealand zu setzen. Briant willigte ein. Sie bestiegen das Boot und gingen 10 Minuten später drüben an Land. Im Wald entdeckte Doniphan den noch warmen Kadaver eines jungen Guanakos.

»Ganz frisch.«

»Hier ist die Einschußstelle.«

»Dieses Kaliber hier ist besonders auf Schiffen üblich, das zeigt die Kugel deutlich. Sie stammt also wahrscheinlich von Walston oder einem seiner Kumpane.«

»Okay! Hauen wir wieder ab, bevor es Stunk gibt.« Sie überließen den Kadaver wieder den Vögeln, schlichen zum Ufer des Rio, setzten lautlos über und rannten eilig nach French-den. Briant und Gordon erwarteten sie mit Unruhe.

»Schaut mal her, keiner hat von uns in letzter Zeit einen Schuß abgegeben, also stammt die Kugel von den Gangstern. Moko bestätigte mir, daß derartige Kaliber auf Schiffen üblich sind.«

»Der Schuß muß vor etwa 5 bis 6 Stunden abgefeuert worden sein, das Guanako war noch warm.«

»Jetzt ist es also soweit. Die Matrosen sind in unmittelbarer Nähe unserer Behausung. Bereiten wir uns auf einen Großangriff vor, ladet die Waffen, stellt sie unter die Fenster.«

In den nächsten Tagen blieb noch alles ruhig. Nachts wurden schwerbewaffnete Wachen aufgestellt, French-den war so gut wie es eben ging mit Ästen und Zweigen getarnt, keiner durfte ohne ausdrückliche Erlaubnis Briants nach draußen. Auch in der Höhle hatten sich alle äußerst still zu verhalten. Am 24. gegen 9 Uhr hatten sich Briant und Gordon über den Rio Sealand begeben um zu erkunden, ob es ratsam sei, über den zwischen See und Sumpf verlaufenden Fußpfad eine Art Brustwehr aufzuschütten. Hier hätten dann die besten Schützen liegen können, wenn das Auftauchen Walstons rechtzeitig genug bekanntgeworden wäre. Plötzlich stieß Briant beim Gehen auf einen harten Gegenstand. Er wollte schon weitergehen, weil er glaubte, es sei nur eine etwas größere Muschel. Aber Gordon bückte sich.

»Warte, Briant, warte doch!«

»Was ist los?«

»Da schau her, eine Pfeife.«

»Von uns raucht keiner! Also wieder ein Zeichen für die Anwesenheit der Matrosen von der Severn.«

»Oder sie hat dem schiffbrüchigen Franzosen gehört!«

»Nein, die wäre entschieden dreckiger. Diese Pfeife hat einer der Matrosen hier verloren.«

Briant und Gordon kehrten unverzüglich nach French-den zurück. Sie zeigten Kate die gefundene Pfeife.

»Ja, ich habe sie in den Händen Walstons gesehen!«

»Dann verdoppeln wir die Wachen«, bestimmte Briant. »Jeden Moment können die Ganoven hier auftauchen. Was uns dann blüht, wissen wir!«

»Verteilen wir die Munitionskästen auf alle Seiten gleichmäßig, legen wir die Gewehre griffbereit, jeder von uns soll sich einen Revolver umhängen.«

»Zu schade, daß Evans nicht hier ist; er würde euch alle gern tatkräftig unterstützen«, klagte Kate.

»Bringt die Jolle von draußen herein und legt sie in den Materialraum«, befahl Briant.

Nach einem Tag drückender Schwüle brach am Abend des 27. November ein schweres Unwetter über die Insel Chairman herein. Gewaltige Blitze spalteten unter tiefem, nicht endenden Donnergrollen die Wolkendecke. Die Luft stand fast still, es regnete nicht. Nur Blitze und Donner wechselten sich ab. Der Himmel lag in grellem Rot, über dem See schien ein gewaltiges Feuer zu lodern. Erst gegen Mitternacht ließ die Kraft des Unwetters etwas nach. Da begannen die Stürme herüberzuwehen, kurze Zeit später prasselte der Regen wie aus Kübeln herunter. Plötzlich knurrte Phann. »Was ist?« fuhr Briant auf.

»Phann täuscht sich nicht, das wissen wir. Irgend etwas stimmt also nicht.«

»Keiner geht raus. Stellen wir uns neben die Fenster.«

Alle griffen nach den Gewehren und Revolvern. Keiner hörte bis jetzt etwas Verdächtiges. Phann war noch immer unruhig, da bellte er laut, auch Gordon konnte ihn nicht mehr beruhigen.

»Scheiße, das hören die da draußen natürlich«, brummte Doniphan.

Plötzlich krachte ein Schuß.

»Ruhig, bleibt ruhig«, flüsterte Briant.

»Der Schuß wurde höchstens 200 Schritte von hier abgegeben.«

Jeder hatte den Finger am Abzug, jeder versuchte so unauffällig, wie es die Dunkelheit zuließ, nach draußen zu spähen. Plötzlich hörte man von draußen Hilferufe.

»Zu Hilfe! Kommt mir zu Hilfe!«

Die Stimme kam immer näher.

»Er ist es!« rief auf einmal Kate.

»Wer?« fragte Briant kurz.

»Laßt ihn herein! Öffnet schnell die Tür!«

Briant sprang zu der schon halb verbarrikadierten Tür und riß sie auf.

Ein völlig durchnäßter Mann stürzte herein.

Es war Evans!

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