15

Kurz nach Sonnenaufgang kletterten Gordon und seine Begleiter auf eine 200 Schritte von ihrem Schlafplatz an der Bucht entfernte Düne, die einen guten Ausblick versprach. Wenn die öde Wüste sich bis zum Ufer hin fortsetzte, wie es die Karte erkennen ließ, so mußte es unmöglich sein, deren Ende ausfindig zu machen, denn der Horizont lag ja dann 18 km nach Norden und über 11 km nach Osten zu. Es schien also unnötig, noch weiter nach Norden vorzudringen.

»Was nun?«

»Gehen wir zurück!«

»Aber erst kommt das Frühstück!«

»Einverstanden.«

»Wenn wir schon zurückkehren müssen, dann schlagen wir wenigstens einen anderen Weg ein«, schlug Doniphan vor.

»Versuchen können wir es.«

»Wir sollten um das rechte Ufer des Sees herum wandern.«

»Das dürfte etwas weit sein«, sagte Gordon.

»Der Karte nach hätten wir 45 bis 50 km zurückzulegen, das würde 4, 5 Tage dauern, immer vorausgesetzt, wir kommen gut voran. Die anderen in French-den würden sich ängstigen, und ich denke, wir sollten ihnen das ersparen.«

»Früher oder später kommen wir um diesen Marsch nicht herum.«

»Sicher!«

»Ich muß Doniphan recht geben«, sagte Croß, »in jedem Fall sollten wir einen anderen Weg zurückgehen.«

»Ich auch, aber jetzt bitte nicht diesen Gewaltmarsch«, bat Gordon, »gehen wir zum Stop- river zurück, von da aus zur hohen Uferwand.«

»Aber da sind wir ja hergekommen!«

»Ich würde vorschlagen«, unterbrach Doniphan seine stillen Überlegungen, »quer durch die Sandebene zu gehen, dann zu den Traps-woods, die ja nur 5 bis 6 km südwestlich von hier liegen.«

»Überqueren wir den Stop-river an jener Stelle, wo wir ihn schon einmal genommen haben, das ist sicher. Kein Mensch weiß, wie die Strömungsverhältnisse weiter unten sind«, sagte Gordon.

»Oh, wie klug und weise«, brummte Doniphan.

»Warum nicht, besser als in die Hosen machen!«

Nach dem Frühstück, Zwieback mit kaltem Wildbraten, rollten sie ihre Decken zusammen, hängten sich ihre Gewehre und Revolver um und gingen den gestern eingehaltenen Weg zurück. Das Wetter war prächtig, eine leichte Brise kräuselte die Wasseroberfläche des Sees, keiner der Jungen kam ins Schwitzen. Gegen 11 Uhr kamen sie an jene Stelle, wo sie zuvor den Stop- river im Boot überquert hatten. Wieder mußten sie sich dem Fährmanöver unterziehen.

»Endlich wieder im Wald«, sagte Gordon nach einer Weile, »ich hoffe, daß Baxter bald einmal sein Lasso durch die Luft schleudert und was fängt.«

»Bis jetzt hat dieses Ding ja noch nichts gezeigt«, sagte Doniphan, der derlei Fanggeräte nicht gelten ließ, verächtlich.

»Soll ich denn Vögel fangen«, gab Baxter zurück.

»Deine Fangmethode taugt nichts, gib's doch zu.«

»Nein, taugt nichts«, echote Croß, der seinem Vetter wieder einmal willig zustimmte.

»Wartet doch ab, bis sich eine günstige Gelegenheit bietet«, sagte Gordon beschwichtigend, »eines Tages werden wir keine Munition mehr haben, dann sind wir ausschließlich auf das Lasso und die Bolas angewiesen.«

»Verflucht sei der Tag!«

Nach der Karte mußte der Stop-river jenseits des Vorgebirges False-sea-point in den Stillen Ozean münden. Gordon schlug vor, das Ufer zu verlassen und durch die Traps-woods zu den Ausläufern des Auckland-hill zu gehen. Nachdem sich Gordon mit dem Kompaß orientiert hatte, wandte er sich direkt nach Westen. Gras und Büsche wucherten hier bei weitem nicht so wild, wie an anderen Stellen der Insel, die Wanderer kamen deshalb auch gut und schnell vorwärts.

Im Lauf des Nachmittags, kaum einen halben Kilometer vom Fuß des Auckland-hill, machten die Jungen 2 wichtige Entdeckungen. Sie stießen auf Trulcabeerstauden, aus denen sich ein feiner Likör destillieren ließ. Etwas später erkannte Gordon mehrere Pernettia unter den Pflanzen.

»Alles mitnehmen, soviel wir können, daraus machen wir einen wunderbaren Tee!«

Später, sehr viel später vielleicht, wenn die Sloughi-Vorräte einmal aufgebraucht sein würden, waren sie auf solche Pflanzen angewiesen. Gegen 16 Uhr erreichten sie den Auckland-hill.

»Diese Wand ist zu steil, machen wir den Umweg zum Rio Sealand.«

3 km weiter ertönte ein Plätschern.

»Muß der Rio sein.«

»Der durch den Plattenweg führt?«

»Ja, deshalb haben wir ihn ja Dike-creek getauft.«

»Es ist schon 16.30 Uhr. Machen wir hier Rast. Morgen abend werden wir hoffentlich wieder in French-den sein.«

Service bereitete das Abendbrot, Geflügelbraten mit Zwieback. Inzwischen waren Gordon und Baxter mit den Lassos und Bolas noch einmal kurz in den Wald gegangen, und war es auch nur deshalb, um Doniphans Einwände gegen die Wurfseile zu entkräften.

Beide waren etwa 100 Schritte durch das Dickicht gegangen, als Gordon Baxter zu sich winkte.

»Hier, schau mal dieses Rudel an!«

»Wie? .. . Ziegen?«

»Weiß nicht, aber sie ähneln den Ziegen zumindest frappant.«

»Wird sich herausstellen.«

»Versuchen wir, 'ein Tier zu fangen.«

»Lebend?«

»Natürlich, was denkst denn du. Ein Glück, daß Doniphan nicht dabei ist, er hätte die Tiere schon mit dem Gewehr vertrieben.«

Die 6 Tiere hatten noch keine Witterung bekommen, sie grasten ruhig. Plötzlich pfiff etwas durch die Luft. Baxter hatte die Bolas geworfen und getroffen, die anderen Tiere verschwanden im Wald. Gordon und Baxter sprangen auf die Ziege zu, die sich nicht mehr aus dem Seil befreien konnte. Da entdeckten sie noch 2 Jungtiere, die sich anscheinend bei ihrer Mutter aufgehalten hatten und nicht geflohen waren.

»Hurra! Sind denn das auch wirklich Ziegen?«

»Ich tippe eher auf das peruanische Vigogne­Schaf.«

»Geben die auch Milch?«

»Klar, wie die Ziege.«

»Dann ist ja alles geritzt. Likör, Tee, und jetzt noch Milch, unsere Reise lohnte sich.«

»Ziehen wir die beiden Kleinen noch mit auf, dann haben wir eine ganze Molkerei.«

Man kann sich den Empfang vorstellen, als Gordon das Vigogne-Schaf an der Leine und Baxter die beiden jungen Tiere unterm Arm zum Rastplatz brachten. Doniphan bedauerte natürlich, nicht dabeigewesen zu sein, aber Gordon konnte ihn schließlich überzeugen, daß es in diesem Fall Unfug gewesen wäre, Schüsse abzufeuern. Nach dem wiederum reichlichen Abendessen legte sich die Gesellschaft schlafen. Aber diese Nacht verlief nicht so ruhig und ungestört wie die voraufgegangenen. Gegen 3 Uhr wurden die Schlafenden durch ein nahes und fürchterliches Gebrüll geweckt. Doniphan hatte sofort den Finger am Abzug seiner Flinte

»Was kann das sein?« fragte Wilcox.

»Wahrscheinlich Jaguars oder Cuguars.«

»Und zwar eine ganze Rotte.«

»Na, hoffen wir, daß es Cuguars sind, denn die sind doch viel weniger gefährlich.«

»Schon, aber wenn sie in größerer Zahl auftreten, gleicht sich das wieder aus.«

»Wie auch immer, wir sind ja bereit, ihnen einen warmen Empfang zu bereiten.«

»Nur schießen, wenn ihr sicher seid zu treffen«, ermahnte Gordon.

Es bereitete Mühe, Phann zurückzuhalten, der aufgeregt hin und her rannte. Es war jedoch unmöglich, in der Dunkelheit irgendeine Gestalt zu erkennen.Plötzlich erschienen, kaum 20 Schritte von ihrem Lagerplatz entfernt, leuchtende Punkte im Schatten. Fast gleichzeitig krachte ein Schuß. Doniphan hatte geschossen. Die Tiere antworteten mit noch fürchterlicherem Gebrüll. Baxter nahm ein brennendes Holzstück und tastete sich, den Revolver in der anderen Hand, vor. Aber die Tiere hatten sich zurückgezogen, nachdem eines durch Doniphans Kugel getötet worden war.

»Passen wir höllisch auf, bis es Tag wird, vielleicht kommen sie wieder.«

»Kaum, die haben genug.«

20 Schritte im Wald entdeckten die Jungen einen großen Blutfleck auf der Erde. Das getroffene Tier hatte noch entfliehen können, doch man verzichtete darauf, Phann auf die Fährte zu locken.

»Jetzt wissen wir immer noch nicht, ob es Jaguars, Cuguars oder noch andere Tiere waren.«

Um 6 Uhr morgens brachen die Jungen auf, sie wollten jetzt keine Zeit mehr verlieren und schnell nach French-den kommen. Service und Webb hatten die beiden Lämmer im Arm, Baxter führte das Muttertier an der Leine hinterher. Gegen 11 Uhr machten sie kurz Rast, frühstückten und gingen dann sofort wieder weiter. Plötzlich, gegen 15 Uhr nachmittags, krachte ein Flintenschuß. Doniphan und Croß waren den anderen um etwa 100 Schritte vorangegangen.

» Achtung! Vorsicht!«

Da brach auch schon ein Tier durch das Gestrüpp.

Baxter schwang sein Lasso durch die Luft, die Schlinge legte sich dem Tier um den Hals. Sofort kamen auch Doniphan und Croß zum Vorschein.

»So ein Mist, wie konnte ich nur daneben schießen!«

»Tja, mein Lieber, aber Baxter hat es mit dem Lasso eingefangen, und zwar lebend!«

»Egal, wir müssen es ohnehin töten.«

»Wieso töten? Das dient uns als Zugtier, ist doch klar!«

»Das da?« fragte Service ungläubig.

»Es ist ein Guanako«, erklärte Gordon, »eine Art Lama, das in Südamerika als Haustier verwendet wird.«

Das Tier mußte ziemlich verschreckt sein, denn es ließ sich willig an der Leine führen.

»Das war eine ergiebige Reise. Wir bringen ja einen ganzen Zoo mit nach French-den.«

»Mal sehen, ob sich das Guanako zureiten läßt«, überlegte Service. Die anderen lachten.

»Vielleicht hast du mit dem hier mehr Glück, aber das wird sich zeigen.«

»Ich brauche einen flotten Renner, ganz egal wie!«

»Wichtiger ist, daß es unseren gebastelten Wagen ziehen kann.«

Gegen 18 Uhr traf die Jägergesellschaft in French-den ein. Costar, der auf der Sport-terrace spielte, meldete die Ankunft Gordons. Sofort kamen die anderen aus der Halle heraus.

»Endlich seid ihr zurück«, sagte Briant erleichtert.

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