28

Bis zum Morgen blieb alles still.

»Nachdem die List mißlang, wird Walston wohl Gewalt anwenden«, prophezeite Evans.

»Leider ist Rock entkommen, er wird natürlich Walston von der Situation unterrichten. Sie werden versuchen, die Türen zu sprengen.«

Beim ersten Morgengrauen wagten sich Evans, Briant, Gordon und Doniphan aus der Höhle. Der Nebel lichtete sich langsam, bald war der Family- lake überschaubar.

»Überall Stille. Auch Phann zeigt keine Unruhe«, sagte Gordon.

»Das ist nur die Ruhe vor dem Sturm.«

»Schaut mal her, Jungens«, sagte Evans plötzlich und zeigte auf verschiedene Fußspuren, die sich nach allen Richtungen verloren.

»Bis hierher also waren sie bereits geschlichen.«

»Nicht ein Blutfleck zu sehen, also haben Sie ihn nicht einmal verletzt!«

»Tut mir wirklich leid, ich hätte ihn unbedingt erwischen müssen! Jetzt erzählt er natürlich Walston, daß ich hier bei euch bin, was die Lage wesentlich verschlechtert, denn sie werden um so brutaler vorgehen.«

»Sie müssen sich von allen Seiten angeschlichen haben!«

»Sieht so aus. Fragen wir am besten Forbes, der es ja wissen muß.«

Evans ging nach French-den zurück, öffnete die Kammertür, löste Forbes die Fesseln und führte ihn in die Halle.

»Forbes, hör mir mal gut zu. Euer Plan ist gescheitert! Ich würde gerne wissen, was Walston weiter geplant hat. Willst du mir das sagen?«

Forbes hielt die Augen geschlossen, er wagte nicht, Evans und Kate anzuschauen.

»Forbes, früher hattet ihr noch Mitgefühl, als ihr euch vor mich stelltet, weil mich deine Kameraden umbringen wollten. Verschont diese Jungen vor einem Gemetzel und sagt, was Walston plant.«

Forbes schwieg.

»Ihr habt den Tod verdient, und doch wurdet ihr verschont. Sagt, was Walston beabsichtigt, bevor es zu spät ist.«

»Was wollt ihr denn hören?« sagte Forbes leise.

»Was sollte diese Nacht geschehen? Wolltet ihr nach French-den eindringen, sobald die Tür offen war?«

»Ja!« stammelte Forbes fast unhörbar.

»Und diese Jungen, die euch so freundlich aufgenommen hatten, wären ermordet worden, nicht wahr?«

Forbes senkte den Kopf und schwieg. »Von welcher Stelle aus wollte Walston angreifen?«

»Von Norden.«

»Aber ihr beide, Rock und du, kamt von Süden!?«

»Ja.«

»Habt ihr den Westen schon abgesucht?«

»Noch nicht.« »Wo sind deine Kameraden jetzt?«

»Weiß nicht.«

»Du kannst uns doch mehr sagen, Forbes!?«

»Nein . . .Evans.«

»Kommt Walston zurück?«

»Ja.«

Mehr war aus Forbes augenblicklich nicht herauszubekommen. Evans führte ihn wieder in seine Kammer, fesselte ihn und verriegelte die Tür. Offenbar waren Walston und die anderen abgehauen, als sie den Schuß auf Rock gehört hatten. Sie würden sich jetzt aller Wahrscheinlichkeit nach neu orientieren. Wo war Walston? Steckte er in den Traps-woods? Forbes hatte nicht ausgepackt. Evans wollte aber mehr wissen. Nach dem Frühstück unterrichtete Evans die Jungen von seinem Plan, zum Rand der Traps­woods zu schleichen, um zu erfahren, ob die Schurken immer noch in der Nähe von French-den waren. Der Vorschlag wurde angenommen, sofort begann man mit den Sicherheitsvorkehrungen.

»Lassen wir die Kleinsten unter der Aufsicht Kates, Mokos, Jacques' und Baxters zurück. Die anderen begleiten mich.«

»Vielleicht treffen wir sie, dann ist ein Schußwechsel unvermeidlich. Aber Doniphan, Wilcox und Croß sind ja gute Schützen, dazu kommen Sie, Evans. Kann uns also nicht viel passieren«, sagte Gordon.

»Nur keine Überheblichkeit«, versuchte Evans zu dämpfen, »4 gute Schützen gegen 6 gute Schützen, das sieht schlecht aus. Es wäre besser, wir begegneten ihnen nicht.«

»Aber wir besitzen mehr Munition!«

Kurz nach 14 Uhr verließen Evans und seine Begleitung French-den. Langsam schlichen sie am Ufer des Rio Sealand entlang, Evans ging vorne, dann folgten Doniphan, Wilcox und Croß, zum Schluß die übrigen. Am Grab des schiffbrüchigen Franzosen bog Evans ab, um zum Ufer des Family- lake zu kommen.

»Achtung«, flüsterte plötzlich Briant.

Phann hatte die Ohren gestellt und knurrte leise, offenbar hatte er eine Fährte gewittert. »Bleiben wir unter den Büschen«, befahl Evans. »Wenn sich einer der Schurken zeigt, sofort schießen. «

Wenige Augenblicke später hatten sie den Rand der Traps-woods erreicht. Hier fanden sich noch Spuren eines Lagers, halb verkohlte Zweige und kaum erkaltete Asche. »Hier hat er sicher die Nacht verbracht!«

»Vielleicht war er bis vor wenigen Stunden hier. Gehen wir deshalb mehr zum Steilufer.«

Da krachte ein Schuß. Die Kugel streifte Briants Kopf und schlug hinter ihm in den Baum.

Doniphan schoß sofort zurück. Etwa 50 Schritte vor ihm huschte ein Körper durchs Gebüsch. Phann war nicht mehr zu halten und sprang los. Doniphan folgte ihm.

»Los, alle mit! Wir können Doniphan nicht allein lassen«, befahl Evans.

Mit ein paar Sprüngen hatten sie Doniphan eingeholt, der neben einer Leiche stand.

»Mein Kompliment. Das ist Pike. Wieder einer weniger von diesen Ratten!«

»Und die anderen können nicht sehr weit sein!«

»Hinwerfen ... in die Knie!« schrie Evans.

Aber schon krachte ein weiterer Schuß, der Service an der Stirn streifte.

»Bist du verwundet?« fragte Gordon.

»Nein, höchstens eine Schramme! « •

»Wir dürfen uns jetzt nicht trennen, Jungens, bleibt alle beisammen.«

Vorsichtig und ins Gras geduckt, spähten sie nach allen Seiten. Plötzlich rief Garnett: »Wo ist denn Briant?«

Auch Phann begann wieder zu bellen. »Briant. . . Briant!!« rief Doniphan.

Sie folgten dem vorausspringenden Phann, hielten sich aber immer hinter Bäumen versteckt. Wieder krachte ein Schuß.

Evans sprang auf, drückte ab und erkannte Rock.

»Das für dich, du Ratte!«

Er gab Feuer. Rock stürzte zu Boden.

»Da waren's nur noch 4«, trällerte Doniphan, dem das Schußglück Sicherheit verlieh.

»Ich glaube nicht, daß Sie ihn tödlich getroffen haben«, sagte Gordon.

»Wieder daneben?«

»Ich glaube, er konnte durch die Büsche entkommen!«

»Aber immerhin ist er angeschossen!«

»Das sicher.«

»Warte, Briant, festhalten, ich komme!« schrie plötzlich Doniphan, der durch das Gebell Phanns aufmerksam gemacht wurde. Auch Evans und die anderen sprangen zur betreffenden Seite. Etwa 20 Schritte vor ihnen kämpfte Briant mit Cope. Doniphan konnte durch einen tollkühnen Sprung gerade noch vereiteln, daß sich Cope mit dem Messer auf den am Boden liegenden Briant stürzte. Er packte den Schurken am Kragen, es entspann sich ein wildes Handgemenge, bei dem jeder mehrmals mit dem Messer auf den anderen einstieß. Jetzt hatte Doniphan das Messer, er würgte Cope mit dem einen Arm und bohrte mit der Hand das Messer in Copes Leib. Doch der Schurke zeigte nicht die geringste Reaktion: er machte sich frei und ergriff die Flucht. Auch Phann konnte ihn nicht einholen.

Plötzlich stürzte Doniphan zu Boden, Cope hatte ihn getroffen. Aus der Wunde, die er selbst im Eifer des Gefechts zuerst nicht bemerkt hatte, sickerte Blut. Sein Gesicht war weiß wie Wachs, die Augen hielt er geschlossen. Evans beugte sich zu ihm hinunter, riß ihm die Weste und das Hemd auf und untersuchte die Wunde.

»Nicht tödlich, der Stich ging daneben. Aber die Lunge kann verletzt sein.«

»Bringen wir ihn sofort nach French-den!« »Schnell, er darf uns nicht verbluten.«

»Verdammt, so ein Pech«, brummte Evans, »Rock und Cope konnten entkommen. Bis jetzt hat nur Pike dran glauben müssen.«

»Aber Rock und Cope müssen schwer verletzt sein, wenn es hier nicht mit dem Teufel zugeht.«

Es krachte jetzt kein Schuß mehr. Walston schien sich zurückgezogen zu haben. Das war günstig, so konnte Doniphan unbehindert nach French-den gebracht werden. Am meisten beunruhigte Evans, daß er weder Walston noch Brandt oder Cork, vielleicht die gefährlichsten der ganzen Bande, gesehen hatte. Baxter hatte schnell eine Tragbahre aus Zweigen geflochten, Doniphan wurde vorsichtig draufgelegt und weggetragen. Evans und Croß gaben dem Zug Feuerschutz. Sie waren nicht mehr als 800 Schritte von French-den entfernt, als sie vom Rio Sealand herüber Rufe hörten.

In French-den war mittlerweile folgendes passiert: Während Rock, Cope und Pike in den Traps-woods die kleine Gruppe um Evans beschäftigten, waren Walston, Brandt und Cork über das ausgetrocknete Bett des Dike-creek zum Auckland-hill vorgedrungen, hatten das Hochplateau rasch überwunden und waren in der Schlucht, deren Ende direkt zur Tür des Materialraums führt, heruntergestiegen. Die augenblicklich nicht verbarrikadierte Tür konnten sie mit Leichtigkeit auf stoßen.

»Wir müssen jetzt schnell handeln, sonst sind wir verloren«, sagte Evans, »Croß, Webb und Garnett bleiben bei Doniphan, Gordon, Briant, Service, Wilcox, ihr kommt mit mir. Auf geht's!«

Wenige Minuten später konnten sie die Sport- terrace überblicken. Walston trat eben aus der Tür, er hielt einen Kleinen an der Hand, den er offensichtlich zum Rio schleppte. Kate stürzte ihm nach, um ihm Jacques zu entreißen, doch Walston wehrte sie ab. Kurz darauf erschien auch Brandt, der den kleinen Costar im Griff hatte. Baxter versuchte ihn anzugreifen, doch ein Faustschlag machte den Jungen unschädlich. Die übrigen Jungen waren nicht zu sehen. Waren sie vielleicht in der Höhle bereits umgelegt worden?

Walston und Brandt näherten sich schnell dem Rio. Cork wartete auf sie in der Jolle, die er aus dem Material raum hierher geschafft haben mußte. Waren sie erst einmal auf dem linken Rioufer, schien die Sache für sie gelaufen; sie würden Jacques und Costar als Geiseln mitnehmen, ohne daß man sie daran noch ernstlich hätte hindern können.

Evans, Briant, Gordon, Service und Wilcox liefen was sie konnten, um zur Sport-terrace zu kommen, bevor die Schurken über den Rio gesetzt hatten.

»Nicht schießen, sonst treffen wir womöglich Jacques und Costar«, befahl Evans.

Zum Glück hatten sie Phann bei sich, der ihnen vorausgelaufen war und Brandt an die Kehle sprang. Dieser mußte Costar jetzt loslassen, um sich gegen Phann zu wehren, der immer wieder an ihm hochsprang und zubiß. Plötzlich stürmte noch ein Mann aus der Tür. Das war Forbes.

»Hierher, Forbes! . . . Komm doch her!« rief Walston aufgeregt.

Evans war kurz stehengeblieben und wollte schon schießen, als er sah, wie Forbes sich auf Walston stürzte.

»Bist du verrückt, du Idiot«, schrie Walston und ließ wie verdutzt über diesen unvermuteten Angriff Jacques los. Walston zückte sein Messer und stieß zu. Forbes sank zu Boden. Evans und die anderen waren jetzt noch etwa 100 Schritte von der Terrasse entfernt.

Walston wollte Jacques wieder greifen, das mißlang, denn Jacques hatte einen Revolver bei sich. Er zielte kurz und schoß Walston in die Brust. Walston sprang auf, rannte aber weiter zum Ufer, wo Brandt in der Jolle auf ihn wartete. In dem Augenblick krachten mehrere Bleikugeln auf die Schurken herunter. Moko hatte die Kanone in Stellung bringen können und ballerte durch die Schießscharten von French-den. Diesem Kugelregen konnte keiner der Schurken entkommen.

»Mit Ausnahme von Rock und Cope, die uns in den Traps-woods entkommen sind, ist die Insel jetzt gesäubert«, sagte Evans und warf sein Gewehr wie einen Besen auf den Boden.

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