«Ich kann's immer noch nicht glauben, Sir.»
Kopfschüttelnd bedachte Herrick die Auswirkungen seiner Entscheidung. Seit sie in Signalkontakt mit der Fregatte Ganymede gekommen waren, war er an Deck auf und ab gewandert, fluchend über die Langsamkeit, mit der sich beide Schiffe annäherten. Endlich konnte Herricks Bootssteurer Tuck die Schaluppe aussetzen lassen, um Bolitho an Bord zu holen.
Gebannt hatte er Bolithos Bericht gelauscht, während dieser in seinen abgerissenen Kleidern auf der Heckbank saß und es sich gefallen ließ, daß Ozzard ihn wie eine Glucke umsorgte.
Nun lief die Benbow mit der siegreichen Fregatte im Kielwasser von der französischen Küste ab, und der Wind war nicht länger ihr Feind.
Bolitho erläuterte:»Die Ganymede war unterlegen. Da griff ihr
Kommandant zu einer alten List, täuschte Flucht vor und verlockte die Ceres dazu, ihm zu folgen. Zu diesem Zweck nahm er zunächst sogar Treffer hin, damit der Feind sich in Sicherheit wiegte und unvorsichtig wurde. «Er zuckte mit den Schultern; irgendwie schien ihm dies alles nicht mehr so wichtig.»Dann luvte er an und feuerte zwei Breitseiten ab, ehe die Ceres wußte, wie ihr geschah. Es hätte immer noch schiefgehen können, aber die letzte Salve mähte auch den französischen Kommandanten nieder. Den Rest kennen Sie, Thomas.»
Von den neuen Semaphoren hatte er Herrick schon erzählt, aber auch sie schienen ihm jetzt bedeutungslos, verglichen mit Neales
Tod.
Herrick sah den Schmerz in Bolithos Augen und sagte leise:»Die französischen Schiffe, die vor unserem Erscheinen gesichtet worden waren, müssen über die optischen Telegraphen zur Unterstützung für Ceres herbeibeordert worden sein. «Er rieb sich das Kinn.»Hol sie der Teufel. Aber jetzt wissen wir wenigstens Bescheid.»
Bolitho starrte die leere Stelle an der Schottwand an, wo früher sein Säbel gehangen hatte.»Und auch sie wissen jetzt, daß wir im Bilde sind. An ihrer Gefährlichkeit hat sich nichts geändert.»
Dabei fielen ihm die beiden Soldaten ein, die unter Alldays Entermesser gestorben waren. Sie mußten ausdrücklichen Befehl gehabt haben, die Gefangenen zu exekutieren, wenn die Ceres erobert wurde. Es war wirklich um Sekunden gegangen.
Aber die Ankunft der Franzosen hatte Ganymede zum Rückzug gezwungen. Ceres konnte weder abgeschleppt noch vernichtet werden, und bald mußte das französische Oberkommando davon unterrichtet sein, daß die Gefangenen entkommen waren und das Geheimnis der sprechenden Türme gelüftet war.
Leutnant Wolfe betrat die Kajüte und wandte taktvoll den Blick ab, als der Schiffsarzt Bolitho die zerrissenen Kleider abstreifte; der lehnte sich derweil bequem zurück und schlürfte seine fünfte Tasse heißen Kaffees.
Wolfe meldete:»Sir, der Konvoi ist gesichtet. Im Südosten. Alle Schiffe vollzählig und intakt.»
Herrick lächelte.»Danke. Ich komme gleich an Deck.»
Sobald die Tür sich hinter Wolfe geschlossen hatte, sagte Bo-litho:»Sie haben allerhand riskiert, Thomas. Wenn der Konvoi in Gefahr geraten wäre, hätte es Sie den Kopf kosten können.»
Herrick grinste reuig.»Ich war mir aber so gut wie sicher, daß wir auf etwas stoßen würden, wenn wir Ganymede nur halfen, das Gefecht zu gewinnen. «Mit einem warmherzigen Blick zu Bolitho schloß er:»Freilich hätte ich mir nie träumen lassen.»
«Ich auch nicht.»
Ozzard trat mit frischen Kleidern und Bolithos zweitem Galarock ein, dicht gefolgt von Allday.
Müde sagte Bolitho:»Hol mir lieber den alten Uniformrock, Ozzard. Mir ist nicht nach Feiern zumute.»
Allday starrte Herrick ungläubig an.»Sie haben es ihm noch nicht erzählt, Sir?»
«Was erzählt?«Bolitho sehnte sich danach, endlich allein zu sein, um nachdenken zu können, sich über seine nächsten Schritte klarzuwerden.
Herrick griff sich an den Kopf.»O Gott, ich Tölpel! Vor lauter Aufregung habe ich das ganz vergessen.»
Endlich begann er zu erzählen, und Bolitho hörte zu, ohne ihn auch nur einmal zu unterbrechen, als fürchte er, Herricks wundersame Neuigkeiten könnten sich in Nichts auflösen, sobald er eine Frage stellte.
Erst als Herrick schließlich schwieg, vergewisserte er sich:»Und sie ist wirklich auf der Duchess of Cornwall, Thomas? Sie segelt mit uns, in unserem Konvoi?»
«Aye, Sir«, stammelte Herrick.»Sie müssen wissen, ich machte mir solche Sorgen.»
Bolitho stand auf und ergriff Herricks beide Hände.»Gott segne Sie dafür, mein Freund. Heute morgen fürchtete ich, am Ende zu sein, aber jetzt. «Immer noch ungläubig, wiegte er den Kopf.»Sie haben mich mit dieser Nachricht wieder aufgerichtet.»
Bolitho wandte sich zu den Heckfenstern, als könne er die anderen Schiffe erspähen. Also hatte sich Belinda nach Gibraltar eingeschifft. Gefahr und Unbequemlichkeit hatten sie nicht abschrecken können, ebensowenig hatte sie sich von der Nachricht seines wahrscheinlichen Todes entmutigen lassen. Und jetzt segelte sie hier mit ihnen durch die Biskaya.
Herrick schritt zur Tür, zwischen Erleichterung und Sorge schwankend.»Ich lasse Sie jetzt in Ruhe. Es dauert noch eine Weile, ehe wir der Duchess signalisieren können. «Er zögerte.»Und was Kapitän Neale betrifft…»
«Wir bestatten ihn im Morgengrauen. Seine Familie und seine Freunde daheim werden ihn so in Erinnerung behalten, wie er war. Aber ich glaube, es wäre sein Wunsch gewesen, hier unter seinen Männern bestattet zu werden.»
Lautlos schloß sich die Tür, und Bolitho konnte sich endlich entspannt zurücklehnen und sich von der Sonne wärmen lassen.
Er dachte an Neale, der von Anfang an gewußt hatte, daß er würde sterben müssen. Nur sein eiserner Wille hatte ihn noch so lange am Leben gehalten, bis er in Freiheit und Frieden die Augen schließen konnte.
John Neale war tot. Aber Bolitho schwor sich, daß sein Tod nicht ungerächt bleiben sollte.
Fast ohne ihr schwarz-gelbes Spiegelbild mit einem Wellenkräuseln zu verzerren, glitt Benbow langsam an verankerten Schiffen vorbei auf die Reede von Gibraltar. Die riesige natürliche Felsenfestung überragte sie alle und ließ sie klein wie Spielzeug erscheinen.
Morgendunst verhüllte teilweise den Felsen und die Küstenlandschaft rundum und versprach einen sehr heißen Tag.
Bolitho stand auf dem Achterdeck etwas abseits von den anderen Offizieren, um Herrick in Ruhe sein Ankermanöver fahren zu lassen. Benbow hatte nur noch Bramsegel und Klüver stehen und setzte sich jetzt leicht vom Konvoi ab, dessen größtes Schiff bereits Signalkontakt mit dem Land aufnahm.
Die Reise nach Gibraltar hatte neun Tage gedauert und war nach
Grubbs Worten glatt und schnell verlaufen. Aber für Bolitho war es die längste Etappe seines Lebens gewesen; nicht einmal der tägliche Anblick von Belinda auf der hohen Poop des Indienfahrers konnte seine Ungeduld und sein Verlangen zügeln.
Vom ersten Tag an, gleich nachdem Herrick das Signal für die Duchess of Cornwall absetzen ließ, hatten sie sich beide ohne besondere Absprache zur gleichen Zeit an Deck eingefunden. Es war, als spüre sie seine Anwesenheit, als müsse sie ihn leibhaftig sehen, sei es auch über eine ganze Strecke Wasser hinweg, um sich zu vergewissern, daß es nicht nur ein Traum war, sondern eine Laune des Schicksals, was sie wieder vereint hatte.
Bolitho blickte durchs Teleskop zu ihr hinüber, ohne sich der umstehenden Offiziere oder anderen Wachgänger auch nur bewußt zu sein. Und stets winkte sie ihm zu, das lange Haar von einem Strohhut gebändigt, den eine breite Schleife festhielt. Jetzt, da die Wartezeit fast vorbei war, spürte Bolitho eine seltsame Nervosität. Aber Herricks Befehl riß ihn aus seinen Gedanken.»Klar zum Ankern!»
Mit langen Schritten eilte Wolfe aus dem Schatten des Besan-mastes.»Bemannt die Brassen! An die Bramsegelschoten!»
Bolitho beschattete seine Augen und sah zu einem verankerten Kriegsschiff hinüber. Der Signalfähnrich hatte es bereits als die Dorsetshire identifiziert: das mit achtzig Kanonen bestückte Flaggschiff von Vizeadmiral Sir John Studdart. Die Admiralsflagge hing leblos von ihrem Fockmast herab, und Bolitho fragte sich, was der Wachoffizier drüben wohl davon halten mochte, daß an Benbows Besan statt Herricks Kommodorewimpel seine eigene Admiralsflagge wehte.
«Gei auf Bramsegel!«kam das nächste Kommando.
«Alles klar, Sir«, meldete Grubb.
Dann:»Leeruder!«[15]
Müde, aber würdevoll drehte die Benbow langsam in den Wind und verlor auch das restliche bißchen Fahrt, als die letzten noch stehenden Segel schlaff und leer zu killen begannen, bis sie endlich von den Toppsgasten an den Rahen aufgetucht wurden.
«Laß fallen Anker!»
Gischt spritzte am Bug auf, als der große Anker ins klare Wasser klatschte; Seeleute trabten zum Ladebaum, um die Barkasse so schnell wie möglich auszuschwingen. Denn alle wußten: Schon seit ihrer ersten Annäherung, seit sie mit fünfzehn dröhnenden Salutschüssen die Admiralsflagge gegrüßt hatten, waren überall Ferngläser auf die Benbow gerichtet, durch die jedes ihrer Manöver kritisch beobachtet wurde.
«Bootsbesatzung — antreten!«Das war Allday, dessen Gesicht keinerlei Spuren der Gefangenschaft mehr trug.
Herrick trat zu Bolitho an die Webeleinen und berührte grüßend seinen Hut.»Setzen Sie sofort zum Flaggschiff über, Sir?«»Aye, Thomas, bringen wir es hinter uns. Sonst findet noch jemand bei Sir John Gehör, der uns nicht wohlgesonnen ist. «Bolithos Blick glitt zu dem großen Indienfahrer hinüber.»Und ich habe noch viel zu tun.»
Herrick entging der Blick nicht, wie ihm auch Bolithos tägliche Versuche nicht entgangen waren, auf dem anderen Schiff die schlanke Gestalt mit dem schattenspendenden Strohhut zu erspähen.
«Barkasse ist längsseit, Sir. «Wolfe trat herzu und musterte die beiden Freunde neugierig.
An der Schanzkleidpforte warteten schon Major Clintons Seesoldaten, während die Bootsmannsmaaten ihre silbernen Trillerpfeifen an die Lippen setzten.
Bolitho drückte den Säbel fest an die Seite, und wieder störte ihn seine Fremdheit. Der Verlust seiner altvertrauten, ererbten Waffe ging ihm immer noch schmerzlich nahe. Aber er biß die Zähne zusammen und schritt zur Pforte, ohne zu hinken, ohne sich seine Trauer anmerken zu lassen.
Die Seesoldaten präsentierten ihre Seitenwaffen, die Pfeifen schrillten, und Bolitho kletterte schnell an der Bordwand hinab zur
Barkasse, wo Allday ihn in elegantem dunkelblauem Rock und hellen Nankingbreeches erwartete.
Browne saß schon im Heck des Bootes und musterte Bolitho mit ausdruckslosem Gesicht.
Wie sie mich alle anstarren, dachte Bolitho. Wie eine Art Übermensch.
«Absetzen vorn! Rudert an — zugleich!«Allday legte die Pinne; die Sonne reflektierte so grell vom Wasser, daß er die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenkneifen mußte.
Leise fragte Bolitho:»Na, Allday, wie schmeckt es, wieder frei zu sein?»
Der bullige Bootsführer wandte den Blick nicht von einem nahen Wachboot, als er antwortete:»Ich habe die Marine schon oft zum Teufel gewünscht, Sir, und ich wäre eine Memme, wenn ich das nicht zugeben würde. «Im Wachboot drüben wurden die Ruder zum Gruß senkrecht gestellt, der Leutnant zog im Stehen seinen Hut, als die Admiralsbarkasse vorbeizischte.»Trotzdem — jetzt ist sie mein Zuhause, und mir ist, als wäre ich heimgekehrt.»
Browne nickte.»Mir geht's genauso, Sir.»
Bolitho setzte sich auf der Ducht zurecht und drückte den Hut fester in die Stirn.
«Aber um ein Haar wären wir nie mehr heimgekehrt, Oliver.»
«Riemen ein! Klar bei Bootshaken!»
Allday konzentrierte sich ganz auf das Anlegemanöver und ignorierte die neugierigen Gesichter oben an der Reling der Dorsetshire, die blendenden Sonnenreflexe auf den Bajonetten, die roten und blauen Uniformröcke.
Schließlich stieg Bolitho zur Schanzkleidpforte hinauf, und wieder begann das Trillern und Stampfen des Begrüßungszeremoniells.
Der Vizeadmiral wartete unter der Poop, bis sein Flaggkapitän die Formalitäten abgewickelt hatte, dann schlenderte er heran, um Bolitho nun seinerseits zu begrüßen.
Beide hatten als Kapitäne gegen die amerikanische Revolution gekämpft, aber danach war Bolitho Studdart mehrere Jahre nicht begegnet und sah nun überrascht, wie stark gealtert er war. Er wirkte füllig und beleibt, und sein rundes, fröhliches Gesicht verriet, daß er gern üppig lebte.
Nach einem herzlichen Händedruck rief Studdart aus:»Hol mich der Teufel, Bolitho, aber Ihr Anblick tut mir in der Seele wohl! Denn als letztes hörte ich von Ihnen, daß die Franzosen angeblich Ihren Kopf auf einer Lanze spazierentrugen. «Er lachte laut auf.»Kommen Sie mit nach achtern, Sie müssen mir alles erzählen. Ich bin gern genausogut informiert wie die Gazetten. «Mit einer vagen Geste zum Land setzte er hinzu:»Zweifellos haben die Spanier in Algeciras Ihre Ankunft beobachtet und werden die Neuigkeit schleunigst an Napoleon weiterleiten.»
In der großen Achterkajüte war es angenehm kühl; der Vizeadmiral entließ seine Diener, schickte Browne mit einem Auftrag davon und lehnte sich dann bequem zurück, um Bolithos Version der Ereignisse zu hören. Er unterbrach ihn kein einziges Mal, auch dann nicht, als Bolitho ihm seine Theorie über die optischen Telegraphen darlegte. Bolitho bewunderte Studdarts mühelose Selbstbeherrschung und begann zu begreifen, weshalb er so schnell befördert worden war: Der Mann hatte gelernt, sich seine Besorgnis nicht anmerken zu lassen.
Erst als Bolitho auf Neales Tod zu sprechen kam, ergriff der Vizeadmiral das Wort.
«Daß wir Styx verloren haben, gehört zu dem Zoll, den der Krieg von uns fordert. Aber der Tod ihres Kommandanten ist deshalb nicht weniger erschütternd. «Er füllte ihre Weingläser nach.»Trotzdem sollten Sie sich nicht die Schuld an Neales Tod geben. Ihre Flagge weht auf der Benbow und meine hier. Man hat uns eine ehrenvolle Führungsaufgabe gegeben, und Sie sind überdies von Admiral Beauchamp mit diesem Sondereinsatz in der Biskaya betraut worden. Sie haben Ihr Bestes getan, niemand kann Ihnen einen Vorwurf machen. Allein schon die Tatsache, daß Sie dieses gut funktionierende Telegraphensystem entdeckt haben, von dem keiner unserer sogenannten Agenten im Lande uns auch nur ein Wort gesagt hat, bringt uns zusätzliche Vorteile. Ihr Leben ist für
England und die Kriegsmarine wichtig. Da Ihnen eine ehrenvolle Flucht gelang, haben Sie das Vertrauen, das Admiral Beauchamp in Sie setzte, voll gerechtfertigt. «Sir John lehnte sich zurück und sah Bolitho fröhlich an.»Habe ich recht?»
Bolitho beharrte:»Trotzdem ist mein Auftrag noch nicht erfüllt: die Vernichtung der feindlichen Invasionsflotte, ehe sie in den Kanal verlegt werden kann. Daß wir jetzt über die Semaphorenstaf-fel entlang der französischen Westküste besser informiert sind, ändert nichts daran. Nach wie vor können die Franzosen ihre Schiffe schnell und gezielt dorthin beordern, wo sie am dringendsten gebraucht werden, während unsere vor aller Augen die Küste absuchen. Die neuen Landungsschiffe sind jetzt eher noch sicherer, seit unsere Kommandanten wissen, wie effektiv sie durch die Se-maphoren geschützt werden.»
Studdart lächelte schief.»Ich muß schon sagen, Sie haben sich überhaupt nicht verändert. Statt Befehle zu geben und das Risiko anderen zu überlassen, treiben Sie sich wie ein junger Leutnant in Feindesland herum und setzen Leib und Leben aufs Spiel. «Er schüttelte den Kopf, plötzlich ernst geworden.»Aber so geht das nicht. Sie haben Ihre schriftlichen Befehle, und die können nur von Ihren Lordschaften selbst geändert werden, sobald London von Ihrer Rettung erfahren hat. Vielleicht bringt uns ja schon das nächste Schiff aus England entsprechende Neuigkeiten? Jedenfalls ist es gerechtfertigt, wenn Sie alle weiteren Aktionen jetzt erst einmal aufschieben. Die Entdeckungen, die Sie in Gefangenschaft gemacht haben, durchkreuzen Beauchamps Strategie. Lassen Sie's also gut sein, Bolitho. Sie haben sich einen ausgezeichneten Ruf erworben, um den Sie jeder, Nelson eingeschlossen, nur beneiden kann. Machen Sie sich höherenorts keine Feinde. Ob im Frieden oder im Krieg, Ihre Zukunft ist gesichert. Aber wenn Sie bei der Admiralität oder im Parlament unangenehm auffallen, sind Sie erledigt.»
Mißgestimmt rieb Bolitho die Armstützen seines Sessels. Er kam sich vor wie in der Falle, obwohl er wußte, daß Studdart ihm einen richtigen Rat erteilt hatte. Wer würde sich in einem Jahr noch um die Vorgänge in der Biskaya scheren? Vielleicht war die Invasion sowieso nur ein Gerücht, und Frankreich wünschte sich genauso sehnlich den Frieden wie die anderen auch und dachte nicht an Überraschungsmanöver.
Studdart ließ ihn nicht aus den Augen.»Denken Sie zumindest gut nach über meine Worte, Bolitho. «Er hob die Hand zu den Heckfenstern.»Sie können eine Weile hierbleiben und neue Befehle abwarten. Vielleicht beordert man Sie weiter ins Mittelmeer, als Unterstützung für Saumarez; alles wäre besser als die verdammte Biskaya.»
«Ja, Sir, ich werde das bedenken. «Sorgsam stellte Bolitho sein Weinglas auf den Tisch.»Und in der Zwischenzeit muß ich meine Depeschen nach England abfassen.»
Der Vizeadmiral zog seine Taschenuhr heraus.»Gütiger Gott, in einer Stunde erwartet mich der General an Land. «Er erhob sich in aller Ruhe.»Lassen Sie es beim Nachdenken nicht bewenden. Sie sind Stabsoffizier und sollten sich nicht mit Dingen befassen, die Ihren Untergebenen anvertraut werden können. Sie befehlen, die anderen gehorchen — so gehört sich das, wie Sie wissen.»
Bolitho erhob sich lächelnd.»Gewiß, Sir.»
Der Vizeadmiral wartete, bis sein Besucher die Tür erreicht hatte, dann fügte er noch hinzu:»Und übermitteln Sie der Dame bitte meine wärmsten Empfehlungen. Vielleicht hätte sie ja Lust, mit mir zu speisen, ehe sie uns wieder verläßt, he?»
Nachdem die Tür hinter Bolitho zugefallen war, schritt Studdart zu den Heckfenstern und starrte auf die Schiffe seines Geschwaders hinaus, die in der Runde vor Anker lagen. Er wußte, Bolitho würde seine Ermahnungen in den Wind schlagen. Hoffentlich blieb ihm auch diesmal sein Glück treu. Denn bei einem neuerlichen Mißerfolg erwarteten ihn entweder Tod oder Schande.
Und obwohl er das alles ganz klar vor sich sah, merkte Studdart zu seiner Überraschung, daß er Bolitho beneidete;
An Bord des Ostindienfahrers Duchess of Cornwall herrschte systematisches Chaos, so daß die Begrüßungszeremonie für den Besucher, Konteradmiral oder nicht, eher nachlässig vonstatten ging.
Einen grollenden Allday in der Barkasse zurücklassend und dicht gefolgt von Browne, ging Bolitho mit seinem Führer, einem offenbar überforderten Leutnant, nach achtern.
Die Duchess war ein feines Schiff, das mußte der Neid ihr lassen. Wen wunderte es, wenn Matrosen die gute Heuer und die Bequemlichkeit der Indienfahrt dem Hundeleben auf einem Kriegsschiff vorzogen?
Längsseits lagen Leichter, zu denen schwingende Flaschenzüge hinabführten, über die mit der Akkuratesse langer Übung Fracht an Bord gehievt wurde; die Kisten und Netzballen verschwanden anschließend durch die Ladeluken unter Deck: Vorräte für die nächste Etappe.
Besonders befremdlich waren für Bolitho die vielen vergnügt schwatzenden Passagiere, die sich überall drängten, entweder frisch an Bord gekommen oder in Erwartung des Fährboots, das sie zur Garnison an Land bringen sollte. Die meisten waren Angehörige der Offiziere und Beamten jener unsichtbaren Armee, die Gibraltar besetzt hielt, ohne daß man in der Heimat sonderlich Notiz von ihr nahm. Dazu sicherlich die doppelte Anzahl an Händlern und Küpern, Segelmachern und Takelmeistern, Agenten und Glücksrittern, dachte Bolitho.
«Dort steht der Kapitän, Sir«, sagte der Leutnant.
Aber Bolitho hörte ihn kaum. Denn drüben an der Reling stand sie und hielt mit einer Hand den Hut so, daß ihr die Sonne nicht in die Augen stach. Das Hutband leuchtete hellblau wie ihr Kleid, und als sie über eine Bemerkung des Kapitäns auflachte, glaubte Bo-litho, sein Herz müsse vor Freude einen Schlag aussetzen.
Sie schien seinen Blick zu spüren und wandte sich um. Ihre braunen Augen ließen seine nicht mehr los, während er auf sie zuschritt. Der Kapitän des Indienfahrers war untersetzt und wirkte zuverlässig. Bolitho erinnerte er ein bißchen an seinen Freund Herrick.»Willkommen an Bord, Sir«, begrüßte er Bolitho.»Ich habe Mrs. Laidlaw gerade versichert, daß ich gern jeden Penny opfern würde, den mir diese Indienfahrt einbringt, wenn ich sie dafür an Bord behalten dürfte.»
Der Kapitän lachte herzhaft, und sie stimmte mit ein, aber in ihren Augen konnte Bolitho lesen, wie unwichtig ihr das alles war und daß nur er für sie zählte.
Er küßte ihr die Hand. Als er ihre Haut berührte und ihren frischen Duft roch, wäre es um seine Beherrschung fast geschehen gewesen. Vielleicht hätte er sich vor allen Leuten zum Narren gemacht, wenn.
Leise sagte sie:»Um dieses Wiedersehen habe ich mit aller Kraft gebetet, mein Liebster. «Ihre Lippen zitterten, doch mit einem Anflug von Trotz warf sie das Haar in den Nacken.»Trotzdem habe ich keinen Augenblick daran gezweifelt, daß du zurückkommen wirst.»
Mit einer gemurmelten Entschuldigung, die sie beide gar nicht wahrnahmen, zog sich der Kapitän des Indienfahrers zurück und wandte sich seinen anderen Passagieren zu.
Belindas Blick fiel auf Browne.»Ich freue mich, Sie in Sicherheit zu wissen, Leutnant«, sagte sie lächelnd.»Und in Freiheit.»
Dann nahm sie Bolithos Arm und führte ihn beiseite, alle anderen aus ihrem Zwiegespräch ausschließend.
«Thomas Herrick hat mir eine Nachricht an Bord gesandt, Richard«, erzählte sie.»Von ihm weiß ich, jedenfalls ungefähr, was du erdulden mußtest. Und daß du deinen Freund Neale verloren hast. Du mußt deinen Kummer vor mir nicht verbergen, Liebster. Wirklich nicht.»
«Ich wollte ihn unbedingt durchbringen«, sagte Bolitho.»Aber vielleicht war dieser Wunsch nur deshalb so stark, weil ich mich verantwortlich fühlte für das, was Neale zugestoßen war. Ich dachte, ich hätte dazugelernt; aber vielleicht geht mir immer noch alles zu sehr unter die Haut. Jetzt werde ich mich wohl nicht mehr ändern, genausowenig wie ich bedenkenlos Menschenleben opfern kann, bloß weil mein Auftrag dies verlangt. «Er wandte sich ihr zu und blickte so aufmerksam in ihr Gesicht, als wolle er es sich für immer einprägen.»An meiner Liebe zu dir ändert sich auch nichts. Die wird immer gleichbleiben. Allerdings hatte ich befürchtet.»
Sie hob die Hand und legte sie auf seine Lippen.»Nicht doch. Ich fuhr mit nach Gibraltar, weil ich wenigstens den Versuch machen wollte, dir zu helfen. Es muß Schicksal gewesen sein, daß wir uns unterwegs begegneten. «Wieder schüttelte sie ihr Haar in den Nacken.»Jetzt bin ich glücklich. Und ich werde auch dich wieder froh machen.»
Bolitho strich über ihr Haar und erinnerte sich daran, wie es in der umgestürzten Kutsche ihr Gesicht verborgen hatte. Auch damals hatte das Schicksal sie zusammengeführt. Also gab es eine höhere Macht und damit auch eine Hoffnung für sie alle.
Ein Steuermann drückte sich hinter ihnen herum und griff immer wieder nervös an seinen Hut. Er mied Bolithos Blick, woraus dieser schloß, daß der Mann von der Kriegsmarine desertiert war, um bei der Ostindischen Handelskompanie bequem unterzuschlüpfen.
«Mit Verlaub, Madam, aber das Boot wartet. Ihre Zofe und Ihr Gepäck sind schon an Bord.»
«Ja, danke. «Noch einmal drückte sie Bolithos Arm, bis ihm ihre Nägel durch den Stoff in die Haut drangen, und flüsterte:»Sei mir nicht böse, mein Liebster, aber wenn ich jetzt nicht gehe, breche ich in Tränen aus. Die Freude ist fast zuviel für mich. «Lächelnd strich sie sich eine Haarsträhne aus den Augen.»Und ich muß mich noch vom Kapitän verabschieden, er war äußerst aufmerksam zu mir. Dein Erscheinen auf der Benbow hat ihn wohl ziemlich eingeschüchtert, fürchte ich.»
Bolitho lächelte.»Ich hätte nie gedacht, daß ich einen Gemüseschiffer wie ihn noch einmal beneiden würde. Aber seit er dich unter seinen Passagieren hatte.»
Fasziniert beobachtete Browne, wie sich die scharfen Linien um Bolithos Augen und Mund milderten. Das mußte Belinda zu verdanken sein, auch wenn sie erst wenige Minuten beisammen waren. Eines Tages würde auch er eine Frau wie Belinda Laidlaw finden, sagte er sich. Dann brauchte er nicht mehr nur von ihr zu träumen.
Dabei kam ihm ein Einfall. Als Bolitho schließlich zur Schanzkleidpforte ging, blickte er auf das größte Boot der Benbow hinab, in dem Belindas Zofe neben einem Berg Gepäck saß und Allday strahlend zu ihm aufschaute.
Verlegen erläuterte Browne:»Na ja, Sir, ich dachte — die Lady des Admirals sollte auch in der Barkasse des Admirals an Land gehen.»
Bolitho sah seinen Adjutanten lange an und legte ihm schließlich dankbar die Hand auf den Arm.»Das war ein guter Einfall, Oliver. Ich werde es Ihnen nicht vergessen.»
Browne errötete.»Da kommt sie schon, Sir.»
Belinda trat zu ihnen an die Pforte und starrte eine ganze Weile auf die grüngestrichene Admiralsbarkasse hinunter. Dann sah sie mit verschleiertem Blick zu Bolitho auf.»Wartet dieses Boot auf mich, Richard?»
Er nickte.»Wenn ich könnte, würde ich dir die ganze Welt zu Füßen legen.»
Mit viel Umsicht half man ihr ins Boot, während die Matrosen mit den geteerten Hüten und karierten Hemden um das Rundholz ihrer senkrecht gestellten Riemen schielten, als sei ein Wesen aus einer anderen Welt zu ihnen herabgestiegen.
Allday reichte Belinda die Hand und führte sie zu einem Kissen auf der Heckducht. Sie ergriff seine mit beiden Händen und sagte leise:»Es macht mich froh, Sie gesund wiederzusehen, John All-day.»
Allday mußte schlucken und wandte den Blick ab. Sie war zu ihnen gekommen; sie erinnerte sich sogar noch an seinen vollen Namen. Da fiel ihm die Zofe ein, und er zwinkerte ihr zu.
«Absetzen vorn!»
Allday dachte an die gut geschulte Mannschaft des stattlichen Indienfahrers, die ihm oben an der Reling zusah, und dann an seine eigene Bootscrew, die aus Englands Kerkern und Gossen stammte und vom Seekrieg gestählt worden war. Er kam zu dem Schluß, daß er keinen einzigen seiner Männer gegen einen dieser Handelsmatrosen eingetauscht hätte.
«Rudert an!»
«Was hast du jetzt vor, Belinda?«fragte Bolitho und sprach bewußt den geliebten Namen laut aus, den er so oft im Geiste beschworen hatte.
«Mich nach England einzuschiffen. «Sie wandte sich um, als das Boot an der Benbow vorbeischoß, und musterte das Linienschiff bewundernd.»Ich wollte, ich könnte auf ihr zurücksegeln!»
Bolitho mußte lächeln.»Auf einem Kriegsschiff? Der arme Thomas, er könnte kein Auge schließen, wenn er dich an Bord und in seiner Obhut wüßte.»
Sie senkte die Lider.»Ich möchte gern mit dir allein sein. Ich schäme mich, daß ich es ausspreche, aber ich kann gegen dieses Gefühl nicht an.»
Bolitho sah, daß die Augen des Schlagmanns auf einen festen Punkt hinter Belindas Rücken gerichtet waren; hätte er ihre Worte gehört, wäre aus dem Gleichtakt der Riemen ein Chaos geworden.»Mir geht es genauso«, sagte er,»Sowie ich dich sicher an Land untergebracht habe, werde ich mich um deine Rückfahrt nach England kümmern. «Es verlangte ihn so sehr danach, sie zu berühren, sie in die Arme zu schließen.
«Und wann wirst du nach Hause zurückkehren?»
Die Angst in ihrer Stimme war Bolitho nicht entgangen.»Bald«, sagte er und versuchte, nicht an die Depeschen zu denken, die er mit dem nächsten Postschiff absenden mußte; dieIndomitable und Odin herbeirufen würden, um die Streitmacht seines kleinen Geschwaders zu vervollständigen. Aber insgeheim mußte Belinda ahnen, daß ihnen eine längere Trennung bevorstand. Tröstend sagte er deshalb:»Wenn wir uns wiedersehen, bleiben wir zusammen.»
Am Kai wurden sie von zwei Zivilisten, einem Mann und einer Frau, erwartet. Der Mann war ein rotwangiger, jovialer Riese, der sie herzlich empfing.»Bei uns ist sie gut aufgehoben, Admiral«, versicherte er.»Besuchen Sie uns, sooft Sie können. Aber wie man hört, werden Sie bald wieder die Anker lichten. «Er grinste, ohne im geringsten zu merken, was seine Worte bei Belinda anrichteten.»Schließlich wollen Sie ja dem Franzosen eins auf die freche Nase geben, stimmt's, Sir?»
Bolitho zog den Hut und murmelte etwas Zustimmendes.
Wieder einmal hielten sie einander bei den Händen und sahen sich in die Augen, ohne ihre Gefühle verbergen zu können.
«Ich besuche dich, Belinda, komme, was wolle.»
Abschiednehmend küßte er ihre Hand und sah, daß sie eine Bewegung machte, als wolle sie sein Gesicht streicheln. Da ließ er ihre Finger los und trat zurück.
Weiter draußen an der Pier ging Browne schon ungeduldig auf und ab, während die Barkasse unten wartete. Grüßend tippte der Flaggleutnant an seinen Hut.
«Ein Postschiff hat gerade Anker geworfen, Sir«, meldete er.»Es hat ein Flaggensignal gehißt, wonach Depeschen für den Ad-miral an Bord sind.»
Bolitho sah an Browne vorbei auf die Reede hinaus, wo der große Indienfahrer und ein zweites Schiff des Konvois bereits die Anker kurzstag holten und die Segel ausschüttelten. Weiter draußen lag beigedreht eine Fregatte, deren obere Rahen schon im Dunst verschwammen: der Geleitschutz, der sie vor jeder Gefahr, die ihnen auf offener See drohen mochte, abschirmen sollte.
Das Leben ging weiter, und so mußte es ja auch sein. Das hatte Studdart gemeint, als er ihn vor den Konsequenzen eines möglichen Mißerfolgs gewarnt hatte.
Das Postschiff brachte wahrscheinlich neue Befehle für Herrick, denn in England konnte noch niemand von der Vernichtung der Ceres und von Bolithos Befreiung gehört haben.
Und was dann? Sollte er auf Studdarts Rat hören und weitere Anweisungen aus London abwarten? Wieder dachte er an Styx, an ihre blutenden und benommenen Schiffbrüchigen auf dem französischen Strand, wo ihn die junge Frau so haßerfüllt angestarrt hatte.
Es gab nun einmal keine einfache Lösung, hatte es nie gegeben.
Unten wartete die Barkasse auf ihn. >Für die Lady des Admi-rals.< Wenn er jetzt untätig blieb, verriet er sich selbst. Schlimmer noch: Auch sie mochte ihn eines Tages verachten, wenn sie seine Entscheidung ohne die Emotionalität ihrer ersten Wiedersehensfreude analysierte.
Allday spürte die Stimmung seines Admirals auch ohne Worte: Also dann, John, machen wir weiter. Er glaubte zu wissen, was Bolitho beschäftigte, und auch, daß er später vielleicht darüber sprechen würde. Mitleidlos grinste er seine Bootscrew an. Auf ein neues, Jungs, dachte er. Sie würden der Fahne folgen und ihre Pflicht tun wie immer, denn dies war das Los der Blaujacken.