XIII Keine Kämpfernatur

Mit eingezogenem Kopf polterte Leutnant Wolfe unter den niedrigen Decksbalken in die Kajüte, wartete ab, bis Bolitho und Herrick ihre Kursberechnungen auf der Karte fertig hatten, und meldete dann:»Signal von Rapid, weitergeleitet über Phalarope, Sir: >Haben französisches Fischerboot gekapert, kein Alarm ausge-löst.<»

Bolitho warf Herrick einen Blick zu.»Das war flotte Arbeit. Die Brigg führt ihren Namen offenbar zu Recht. «Und an Wolfe gewandt:»Signalisieren Sie Rapid, sie sollen die Prise zum Flaggschiff schicken. Je weniger neugierige Augen sie zu Gesicht bekommen, desto besser. Und sagen Sie Kapitän Lapish von mir: gute Arbeit.»

Nachdenklich rieb Herrick sich das Kinn.»Und es ist ohne Alarm abgegangen, wie? Lapish muß von dem schlechten Wetter gestern nacht profitiert haben. Hatte Glück, der junge Teufel.»

«So wird's gewesen sein«, sagte Bolitho bewußt neutral und beugte sich wieder über die Seekarte. Weshalb auch hätte er Herrick wissen lassen sollen, daß er fast die ganze Nacht wachgelegen hatte aus Sorge um Rapid. Schon ein sinnlos geopfertes Menschenleben wäre zuviel gewesen, das war ihm klar, seit Styx gesunken und Neale mit so vielen anderen gestorben war. Aber weshalb hätte er Herrick mit seinen Skrupeln beunruhigen sollen?

Statt dessen fuhr er mit dem Finger das große Dreieck auf der Seekarte nach. Ein Schenkel verlief in südöstlicher Richtung von der Belle Ile zur Ile d'Yeu; der zweite erstreckte sich vierzig Meilen weit nach Westen, und der letzte führte mit nördlicher Richtung wieder zur Belle Ile zurück: der Patrouillenkurs seiner drei Fregatten lag dem Land am nächsten, während die Linienschiffe sich weiter seewärts hielten, um eventuell durchgebrochene Franzosenschiffe abzufangen. Als Kundschafter und Kurier zwischen den englischen Einheiten fungierte die kleine Rapid. Lapish mußte sein erfolgreiches Stoßtruppunternehmen sehr genossen haben, denn damit bewiesen seine Männer, daß sie den Kameraden auf den schwerfälligeren Schiffen um Längen voraus waren.

Bolitho überlegte laut:»Die Franzosen müssen bald den ersten Zug machen. Also sollten wir unbedingt erfahren, was in den Küstengewässern vorgeht. «Er blickte auf, weil Browne die Kajüte betrat.»Der erbeutete Fischkutter wird zu uns geschickt. Ich möchte, daß Sie an Bord gehen und ihn genau untersuchen.»

«Darf ich einen Vorschlag machen, Sir?«fragte Browne.

«Natürlich.»

Browne trat an den Tisch.»Wie wir hörten, wurden schon seit Wochen Fischereifahrzeuge zusammengezogen. Das ist durchaus üblich, damit die Fischer unter dem Schutz französischer Wachboote ihrem Handwerk nachgehen können. Wenn Lapish ganz sicher ist, daß niemand die Kaperung des Fischkutters beobachtete, dann könnte das Boot doch mit einer ausgesuchten Crew wieder zur Küste zurücksegeln und ausspähen, was dort geschieht?»

Herrick stieß einen ungeduldigen Seufzer aus.»Aber klar, Mann! Genau das war doch von Anfang an geplant. Ich dachte, Sie hätten einen neuen Einfall?»

Browne lächelte nur milde.»Mit allem Respekt, Sir: Mein Vorschlag lautet, den Kutter mit unseren Leuten direkt zwischen die französische Fischereiflotte segeln zu lassen.»

Herrick schüttelte den Kopf.»Das wäre der reinste Wahnsinn. Noch innerhalb der ersten Stunde würden sie auffallen und geschnappt.»

«Nicht, wenn jemand an Bord fließend französisch spräche.»

Verzweifelt wandte sich Herrick an Bolitho.»Und wie viele solcher Sprachgenies haben wir an Bord?»

Browne räusperte sich.»Zunächst einmal mich, Sir. Und ich habe entdeckt, daß die beiden Fähnriche Stirling und Gaisford ein passables Französisch sprechen.»

«Also, mich trifft der Schlag!«Herrick konnte Browne nur anstarren.

«Gibt es denn eine Alternative?«fragte Bolitho bedächtig.

Browne zuckte die Achseln.»Keine, Sir.»

Wieder studierte Bolitho die Seekarte dieses Küstenstrichs, obwohl er inzwischen jede Untiefe, jede Bucht und die Entfernungen auswendig kannte.

Die Sache konnte klappen, weil sie so unvermutet kam. Wenn sie schiefging, wurden Browne und seine Männer gefangengenommen. Hatten sie sich verkleidet, bedeutete das den sicheren Tod für sie. Er dachte wieder an die kleinen Grabhügel unterhalb der Gefängnismauern, an die Kugeleinschläge in der Wand.

Browne war sein Zögern nicht entgangen, er sagte:»Ich würde es jedenfalls gern versuchen, Sir. Es kann uns weiterhelfen. Im Sinne von Kapitän Neale.»

Der Wachsoldat vor der Tür unterbrach sie mit dem lauten Ruf:»Midshipman der Wache, Sir!»

Midshipman Haines trat wie auf Zehenspitzen vor seine Vorgesetzten und meldete fast flüsternd:»Empfehlung des Ersten Offiziers, Sir, und die französische Prise kommt in Nordost in Sicht.»

Herrick funkelte ihn an.»Und das war alles, Mr. Haines?»

«N-nein, Sir. Mr. Wolfe läßt Ihnen noch sagen, daß der Kutter drei französische Soldaten an Bord hat.»

Der ahnungslose Junge hatte die wichtigste Information für den Schluß aufgehoben.

«Danke, Mr. Haines«, sagte Bolitho.»Kompliment an den Ersten Offizier, und er möchte mich informieren, wenn der Kutter näher kommt.»

Mit einem mal war alles sonnenklar. Bolitho erinnerte sich an die französischen Soldaten an Bord der anderen Fischkutter, damals an jenem schrecklichen Morgen, als Styx gesunken war. Vielleicht stellte die Garnison regelmäßig Soldaten für diese Aufgabe ab, schließlich war es nicht außergewöhnlich, daß sich Fischer und Schmuggler beider Seiten weiter draußen auf See trafen, um Nachrichten oder Schmuggelware auszutauschen. Es konnte nicht im Sinne von Konteradmiral Remond sein, die Invasionsflotte durch unbedachtes Gerede verraten zu lassen.

Also drei französische Soldaten. Schon stellte Bolitho sich Browne in einer ihrer Uniformen vor, und als er seinem Adjutanten einen Blick zuwarf, sah er den gleichen Gedanken auf dessen Gesicht.

«Also gut. Durchsuchen Sie den Kutter und erstatten Sie mir Bericht. Danach…«Sein Blick senkte sich auf die Karte.»Danach werde ich entscheiden.»

«Sie sind sich der Gefahr bewußt?«fragte Herrick.

Browne nickte.»Jawohl, Sir.»

«Trotzdem wollen Sie es tun?»

«Jawohl, Sir.»

Herrick hob verzweifelt die Hände.»Wie ich schon sagte: totaler Wahnsinn.»

Bolitho blickte von einem zum anderen. Sie waren beide so grundverschieden, aber beide ungeheuer wichtig für ihn. Er erhob sich.»Ich gehe an Deck, Thomas. Muß nachdenken.»

Herrick begriff sofort.»Ich sorge dafür, daß Sie nicht gestört werden, Sir.»

Als Bolitho auf dem Achterdeck auf und ab ging, versuchte er, sich an Remonds Stelle zu versetzen. Er hatte ihn damals nur kurz gesprochen, aber trotzdem half ihm das beträchtlich. Der Feind hatte jetzt ein Gesicht, einen Charakter.

Bis der kleine Fischkutter an der Leeseite von Benbow längsseits ging, war die Abenddämmerung hereingebrochen; Browne stieg sofort hinunter, um ihn zu durchsuchen.

Während sich neugierige Seeleute in den Webeleinen und an der

Reling drängten, stand Bolitho hoch oben über ihnen, war aber nicht weniger gespannt. Der Kutter war ein schäbiges Arbeitsboot mit geflickten Segeln und schmutzigem Deck und nicht viel länger als die Barkasse der Benbow. Er wirkte alles andere als heroisch und hätte jedem Bootsmann der Kriegsmarine nur ein verächtliches Schnauben entlockt.

Auf dem vergammelten Fahrzeug wirkte Browne mit seiner adretten, blau-weißen Uniform als starker Kontrast.

Das Beiboot kehrte mit einem blutjungen Leutnant zurück, in dem Bolitho den Anführer des Prisenkommandos vermutete. Als er am Fallreep die überhängende Bordwand der Benbow erkletterte und vor der Ehrenwache grüßend an seinen Hut tippte, schätzte Bolitho ihn auf höchstens neunzehn Jahre.

Wolfe wollte ihn in die Achterkajüte führen, aber Bolitho rief vom Hüttendeck:»Hierher!»

Der Leutnant mochte jung und vom Pomp des Flaggschiffs eingeschüchtert sein, aber seine Bewegungen waren selbstsicher und schwungvoll, als er nach oben lief: der Gestus des Siegers.

Grüßend meldete er:»Leutnant Peter Searle, Sir, von der Brigg Rapid.»

«Sie haben den Fischkutter gekapert, Mr. Searle?»

Der Leutnant wandte sich um und blickte auf das schäbige Arbeitsboot hinab. Zum erstenmal schien er es mit unbeteiligten Augen zu sehen.

Er berichtete:»Der Kutter ankerte etwas abseits von den anderen, Sir. Ich ließ zwei gute Schwimmer außenbords gehen und die Ankerleine durchschneiden, damit der Kutter mit dem Wind auf mein Boot zutrieb. In dieser Nacht hatten wir Sturm, und mein Boot nahm eine Menge Wasser über. «Er grinste in der Erinnerung, und damit verschwand die Anspannung aus seinem Gesicht.»Ich wußte, wir mußten diesen verdammten Fischkutter erobern — oder uns schwimmend auf die Suche nach Rapid machen.»

«Gab es einen Kampf?»

«Der Kutter hatte vier Soldaten an Bord, was ich vorher nicht wußte, Sir. Sie erschossen den armen Miller und schlugen Thompson bewußtlos, ehe wir die Oberhand gewannen. Das Ganze war schnell vorbei.»

«Ich bin stolz auf Sie. «Seltsam, er dachte an den toten Miller wie an einen alten Bekannten.»Und niemand hat Alarm geschlagen?»

«Nein, Sir, da bin ich mir ganz sicher. «Searle fügte noch hinzu:»Ich ließ die Leichen in der Dunkelheit über Bord gleiten, auch Miller. Vorher ließ ich sie mit Ballast beschweren, was so zur Hand war, damit sie schnell untergingen. Sie werden bestimmt nirgendwo angetrieben, um ihr Schicksal zu verraten.»

«Ich danke Ihnen, Mr. Searle.»

Aber der Leutnant sprach zögernd weiter.»Wie ich hörte, planen Sie, den Kutter gegen den Feind einzusetzen, Sir. Wenn dem so ist, möchte ich mich dafür freiwillig melden.»

«Wer hat Ihnen das erzählt?»

Unter Bolithos scharfem Blick errötete der junge Mann.»Ich — das habe ich vergessen, Sir.»

Bolitho mußte lächeln.»Macht nichts, ich kann es mir denken. Ich ernenne Sie mit Freuden zum Anführer der Kutterbesatzung. Offensichtlich sind Sie ein einfallsreicher junger Mann. Mit Ihnen und dem schon unheimlichen Talent meines Flaggleutnants, immer recht zu behalten, sollte die Aktion ein voller Erfolg werden.»

Beide wandten sich um, weil Herrick an Deck erschien. Bolitho informierte ihn:»Es geht heute abend los. Sagen Sie Major Clinton, daß ich vier seiner besten Scharfschützen mit der Prisenmannschaft losschicken will. Und einen guten Steuermannsmaat werden sie auch brauchen. Sorgen Sie dafür, daß uns Mr. Grubb den besten Mann gibt, den er hat, und nicht den, der sich am ehesten entbehren läßt.»

Herrick zog ein Gesicht, als wolle er protestieren, überlegte es sich aber anders.

Bolitho wandte sich wieder an den Leutnant.»Ich werde Ihnen noch Ihre Befehle geben, möchte Sie aber schon jetzt darauf aufmerksam machen, daß Ihre Sache hoffnungslos ist, wenn Sie in

Gefangenschaft geraten.»

«Das weiß ich, Sir. «Er grinste vergnügt.»Auch alle meine Leute sind Freiwillige.»

Wieder blickte Bolitho zum Fischkutter hinab. Jetzt wurde ihm manches klar. Er hatte sich Vorwürfe gemacht, weil er Menschenleben aufs Spiel setzte, aber dieser junge Teufel war ihm ehrlich dankbar dafür. Dankbar für die Chance, sich auszuzeichnen — eine der seltenen guten Gelegenheiten, auf die der junge Offizier sehnsüchtig wartete. War er in seiner Jugend nicht genauso gewesen? Er ordnete an:»Bringen Sie die Gefangenen an Bord und schicken Sie noch mehr unserer Leute hinüber, die Mr. Browne bei der Durchsuchung helfen können. «Mit einem Blick zum Himmel, der sich schon verdunkelte, und zu den Mastspitzen, die das letzte Tageslicht einfingen, fügte er noch hinzu:»Herrgott, Thomas, das Warten auf einen Eröffnungszug des Feindes hängt mir zum Halse heraus. Es wird Zeit, daß wir sie aus ihrem Bau schDeauncnhefnie!«l ihm Allday auf, der auf dem Backbord-Seitendeck stand. Seltsam gespannt und wie erstarrt blickte er auf das Fischerboot hinab. Wenigstens blieb Allday die Teilnahme an diesem tollkühnen, riskanten Unternehmen erspart, dachte Bolitho.

Er wartete an Deck, bis die kleine Schar ihrer Gefangenen herbeigeschafft war, an der Spitze die drei französischen Soldaten. Hinter ihnen kam einer von Clintons Seesoldaten und trug mit angewidertem Gesicht eine blutige französische Uniform über dem Arm. Ihr vorheriger Besitzer hatte keine Verwendung mehr für sie.

Erst als es schon ganz dunkel war und die Schiffe für die Nacht Segel refften, kehrte Browne auf die Benbow zurück.

«Dieses Boot stinkt wie eine Kloake, Sir! Und die Mannschaft auch!»

«Haben Sie etwas gefunden?»

Browne nickte.»Der Kutter stammt aus Brest, nicht hier aus der Gegend. Wir hatten Glück. Ich habe den Skipper überzeugen können, daß wir ihn später laufenlassen, wenn er uns die Wahrheit sagt. Und daß er im anderen Fall von der Rah baumeln wird. Er hat mir glaubhaft versichert, daß hier ein ganzes französisches Geschwader stationiert ist — mit dem einzigen Auftrag, die Invasionsflotte zu schützen. Und es klang mir so, als sei Konteradmiral Remond der Oberbefehlshaber. «Browne sah, daß Bolitho die Augen zusammenkniff.»Ich wußte ja, daß wir ihm noch einmal begegnen, Sir.»

«Ja. Wollen Sie immer noch an dieser Aktion teilnehmen, Oliver? Wir sind jetzt unter uns, also sprechen Sie offen. Sie kennen mich inzwischen gut genug, um zu wissen, daß ich es Ihnen nicht verübeln würde, wenn Sie es sich anders überlegten.»

«Ich möchte aber mitfahren, Sir, jetzt noch mehr als vorher. Vielleicht wegen Remond und wegen Styx und auch, weil ich Ihnen dann endlich eine wirkliche Hilfe sein kann, statt Ihnen dauernd nur Depeschen zu reichen und Signale zu notieren.»

Bolitho berührte kurz seinen Arm.»Ich weiß es zu schätzen, Oliver. Danke. Aber jetzt müssen Sie sich fertigmachen.»

Als Browne davoneilte, trat Herrick zu Bolitho.»Er ist keine Kämpfernatur, Sir«, sagte er.

Überrascht und gerührt, daß Herrick sich um Browne zu sorgen schien, den er bisher immer nur kritisiert hatte, blickte Bolitho seinen Freund an.»Vielleicht nicht, Thomas. Aber er besitzt Mut, den er auch einmal beweisen muß.»

Herrick blickte stirnrunzelnd Wolfe entgegen, der mit einer Namenliste auf ihn zukam.»Verdammt, gibt es immer noch Unklarheiten?»

Lächelnd wandte Bolitho sich zum Gehen. Fast zu beiläufig sagte er noch:»Ich habe ein Signal an Phalarope abzusetzen. Das schreibe ich jetzt aus, damit es im ersten Tageslicht übermittelt werden kann.»

Dickfellig wie immer blickte Wolfe auf und erkundigte sich bei Herrick:»Gibt's Ärger, Sir?»

«Bin mir nicht sicher. «Herrick konnte seine Unruhe nicht verbergen.»Tausendmal lieber als dieses Katz-und-Maus-Spiel wäre mir das Krachen der Breitseiten in einem ehrlichen GeWche. «mußte grinsen.»Sir, zu den Leuten, die zur Beförderung anstehen…»

Die geflickten Segel steif wie Bretter, arbeitete sich der Fischkutter durch den rauhen Seegang; das Lee-Schandeck schnitt ständig unter.

Leutnant Searle, wie die meisten seiner Männer in Ölzeug und hohen Stiefeln, wie die Fischer sie trugen, befahl scharf:»Bleibt hoch am Wind, verdammt!»

Neben Searle balancierte Browne und kämpfte um sein Gleichgewicht, während das Boot unter ihm stampfte und bockte. In seinem französischen Soldatenrock mit dem weißen Brustriemen war er vollauf damit beschäftigt, seine Würde zu wahren.

Der Morgen dämmerte schon herauf, aber der Himmel blieb bewölkt, und hier unten wirkte die See sehr viel gefährlicher und wilder, als vom hohen Achterdeck der Benbow aus gesehen.

Sie hatten die Nacht durchgearbeitet, um das Boot für ihre Zwecke herzurichten; die ganze Fischereiausrüstung war über Bord gegangen. Aber gegen den Fischgestank ließ sich nichts unternehmen. Brownes einziger Trost war, daß er sich oben in frischer Luft aufhalten konnte, während die meisten seiner Männer sich in der stinkenden Fischlast zusammendrängen mußten. Der Steuermann — Mr. Grubb hatte ihnen seinen Stellvertreter mitgegeben — an der Pinne warnte:»Feindliche Küste direkt voraus,

Sir.»

Browne schluckte unwillkürlich.»Danke, Mr. Hoblin.»

Er mußte dem Mann blind vertrauen, denn sehen konnte er nichts; aber Grubb hatte ihm vor dem Ablegen versichert:»Mr. Hoblin hat die richtige Nase, Sir!»

Eiskalte Gischt flog übers Dollbord und klatschte auf Searles Kopf und Schultern nieder, der die Zähne zusammenbiß und hervorpreßte:»Ich bezweifle, daß die Franzosen so früh schon ein Wachboot patrouillieren lassen; die sind bestimmt nicht scharf auf ein kaltes Bad.»

Midshipman Stirling, der mit seiner roten Wollmütze eher wie ein Pirat aussah, fragte:»Wie dicht gehen wir ran, Sir?»

Browne konnte aus der Frage des Jungen keine Furcht heraushören. Sie klang eher ungeduldig, als könne er es nicht abwarten, daß endlich etwas geschah.

«So dicht wir es wagen.»

Searle meinte:»Wenigstens ist der Wind stetig: Nordost. Wenn wir unbemerkt unter die anderen Fischkutter gelangen, ist das Ärgste überstanden. Die Franzosen werden uns nicht anpreien, wenn sie erst Sie gesehen haben. «Er grinste.»Soldaten sind allen Fischern der Welt verhaßt, ebenso wie Zöllner, die Marine und sogar ein biederer Gendarm.»

Ein Seemann, der lang ausgestreckt im Bug lag und Ausschau hielt, rief heiser:»Zwei Boote an Steuerbord voraus!»

Hoblin ergänzte:»Fischkutter, ebenfalls unterwegs nach Hause.»

Die Besatzung eilte an Schoten und Fallen, aber Browne bremste sie:»Langsam, Männer! Ihr seid Fischer, nicht Matrosen der Kriegsmarine. Also laßt euch Zeit!»

Grinsend stießen sie einander an, als sei alles nur ein Possenspiel.

Searle befahl:»Legt sie auf den anderen Bug! Aber haltet euch in Luv von den beiden. «Er wandte sich um, während die Segel laut zu killen begannen und sich auf dem neuen Schlag dann wieder mit Wind füllten.»Belle Ile muß nördlich von uns liegen.»

Der Steuermann nickte und schielte auf den Kompaß.»Höchstens zwei Meilen entfernt, Sir. «Niemand focht sein Urteil an, und das freute ihn. Schließlich war er bei weitem der Älteste an

Bord.

«Verdammt, jetzt fängt's auch noch an zu regnen.»

Browne nickte unbehaglich und versuchte, die rauhe französische Uniform am Hals enger zusammenzuziehen. Fast noch schlimmer als der Fischgestank war der Geruch nach altem Schweiß, den ihr Vorbesitzer hinterlassen hatte.

Große, schwere Regentropfen fielen erst vereinzelt, dann zischend wie ein Hagelschauer und peitschten die Wasseroberfläche, das Boot und seine geplagten Insassen.

Browne stöhnte.»Ich werde nie wieder über Fisch lästern! Die Männer, die ihn fangen, verdienen jeden Penny, den sie dafür kriegen!»

Langsam und widerwillig kroch das erste Tageslicht durch die schwere Wolkendecke und die Regenschleier. Rundum nahmen immer mehr Boote Gestalt an. Sowie sie in Sicht kamen, verteilten sie sich, um in gebührendem Abstand voneinander die Netze auswerfen zu können.

Searle befahl:»Wir steuern weiter genau Ost. «An Browne gewandt, fügte er hinzu:»Damit behalten wir die Luvposition und kommen gleichzeitig näher ans Festland heran. «Durch den Regen starrte er Browne an.»Bald müssen wir ungefähr dort sein, wo Ganymede auf Sie stieß.»

«Ja.»

Browne wischte sich den Regen aus den Augen. Er konnte immer noch nicht darüber sprechen, außer mit Bolitho. Ihm fühlte er sich durch dieses schreckliche gemeinsame Erlebnis verbunden.

Dann spähte er zum Großmast mit seinem uralten, verschlissenen Rigg hinauf.

«Wie war's mit einer Kletterpartie, Mr. Stirling?»

Der Midshipman zog seinen Gürtel enger.»Aye, Sir. Was soll ich machen?»

«Gute Idee«, sagte Searle und klopfte Browne auf die Schulter.»Entern Sie auf, nehmen Sie Segelhandschuh und Nadel mit, als hätten Sie oben etwas zu reparieren. Obwohl ich bezweifle, daß die Fischer Teleskope an Bord haben.»

Stirling glitt behende am Mast in die Höhe und war oben bald scheinbar in seine Arbeit vertieft.

Corporal Coote, einer der vier Soldaten, die den Gestank und die Unbequemlichkeit der Fischlast aushaken mußten, reckte hoffnungsvoll den Hals, spähte übers Süll und blickte die beiden Leutnants fragend an.

«Na, Corporal?«erkundigte sich Browne.

«Wir haben in einer alten Kiste hier unten ein paar Weinflaschen gefunden, Sir. «Sein Gesicht war ein Bild reiner Unschuld.»Wenn wir im Einsatz sind, lassen uns die Offiziere sonst immer einen Schluck trinken.»

Browne nickte.»Ich nehme an, das geht schon in Ordnung.»

Aber der Steuermann an der Pinne fuhr mit lauter Stimme dazwischen:»Du bist dir wohl für keine Lüge zu schade, Coote! Ich weiß genau, was eure Offiziere erlauben und was nicht.»

Zerknirscht verschwand der Corporal außer Sicht, und Hoblin murmelte:»Vermaledeite Kommißköppe! Halten zu Gnaden, meine Herren, aber die würden einem Krüppel noch das Holzbein klauen, um Feuer damit zu machen!»

Browne warf Searle einen Blick zu und grinste.»Dabei hätte ich selber einen Schluck gebrauchen können.»

Searle wandte sich wortlos ab. Browne war zwar ranghöher als er, hatte aber offenbar nicht die harte Schule der unteren Decks durchlaufen — oder der Kasernen. Er lockerte den Säbel an seiner Seite. Das wäre ein schönes Ende ihrer Unternehmung gewesen, wenn sie mit einer Mannschaft, die zur Hälfte aus Betrunkenen bestand, auf den Feind gestoßen wären!

Er befahl:»Noch einen Strich höher an den Wind! Und haltet scharf Ausschau, alle!»

Soweit Browne sehen konnte, bestand die Fischereiflotte aus zirka dreißig Fahrzeugen. Geschickt hielt ihr Steuermann sie abseits von den anderen, während die Seeleute sich auf dem unordentlichen Deck mit Netzen und Taljen beschäftigten, als seien sie ihr Lebtag lang auf Fischfang gegangen.

«Ich sehe keine Soldaten, jedenfalls nicht an Deck. «Searle schlug frierend die Hände gegeneinander.»Wenn ich's doch nur wagen könnte, ein Fernglas zu benutzen!»

Hoch über Deck hing Midshipman Stirling schwingend auf seinem luftigen Sitz, starrte zu den anderen Fischerbooten hinüber und ließ die Beine im Regen baumeln. Wie die meisten jugendlichen Seekadetten war er schwindelfrei. Er sah zu, wie der Regen sich vor dem Bug teilte und das Nachbarboot einhüllte, das etwa eine Kabellänge entfernt an Steuerbord segelte. Dabei täuschte er weiter Ausbesserungsarbeiten vor, obwohl er die Segelnadel gleich in den ersten Minuten auf seinem unsicheren Sitz verloren hatte.

Unter ihm sackte das Boot wieder in ein Wellental ab, und Stir-ling hörte einen Taljenblock quietschen, als er auf seinem Bootsmannstuhl wie ein Kartoffelsack gegen den Mast geschleudert wurde.

Und da sah er sie: Sie leuchteten selbst noch im grauen Morgenlicht, ihr Rigg und die gekreuzten Rahen glänzten vor Nässe.

«Backbord voraus, Sir!«rief er nach unten.»Fünf, nein, sechs Linienschiffe vor Anker!«Vor Aufregung hätte er fast gestottert.

An Deck wechselten Hoblin und die beiden Leutnants fragende Blicke. Der Steuermann sagte:»Vor zwei Tagen waren die aber noch nicht hier, Sir. Müssen heimlich von Lorient gekommen sein. Sonst wären sie gesichtet worden.»

Browne rief zu Stirling hinauf:»Noch mehr?»

«Kann ich nicht sagen, Sir. Drüben geht wieder eine Regenbö nieder. Aber ich bin fast sicher, daß dort noch kleinere Schiffe vor Anker liegen.»

Browne sah Searle an.»Das ist Remonds Feuerwehr, möchte ich wetten. Seine schnelle Einsatztruppe. «Er packte seinen neuen Freund am Arm.»Seltsam. Wir wollten ja unbedingt rekognoszieren, aber jetzt, da wir sie entdeckt haben, ist der Schock groß.»

«Was nun?»

Browne starrte über die Gischt nach vorn. Stirling mußte gute Augen haben, dachte er. Denn er selbst konnte nichts anderes sehen als die endlos auf sie einstürmenden weißen Wellenkämme.

«Wir müssen zurück zum Geschwader. Konteradmiral Bolitho muß erfahren, daß die Franzosen von Lorient ausgebrochen sind.»

«Vorsicht, Sir!»

Ein Seemann deutete mit teerschwarzem Daumen auf einen Fischkutter dichtbei, der ihnen bisher nicht aufgefallen war. Jetzt aber befand er sich auf konvergierendem Kurs, und zwischen den Regenschleiern erkannte Browne an Bord zwei Uniformierte, schlimmer noch: ein Drehgeschütz im Bug.

Searle befahl heiser:»Weitersagen: nicht beachten!»

Browne bemerkte einen sofortigen Stimmungswechsel an Bord. Sogar Stirling oben hatte einen Arm um den Mast geschlungen, als wolle er in Deckung gehen.

«Zwei Strich abfallen!»

Hoblin murmelte:»Sinnlos. Der Hund hat uns gesehen.«»Verdammt. «Searle blickte Browne an.»Was soll ich tun?«Hoblin sagte:»Sie können uns den Weg abschneiden. Wir haben keine Chance.»

Browne starrte zum fremden Boot hinüber. Zwei weitere Uniformierte waren an Deck erschienen. Er erinnerte sich, daß auch in dem von ihnen erbeuteten Kutter vier Soldaten gewesen waren.

«Keine Chance zur Flucht«, sagte er.»Aber wir können kämpfen.»

Searle nickte.»Wenn wir sie entern und ausschalten, ehe sie diese Drehbasse zum Einsatz bringen, kommen wir vielleicht davon. «Er schüttelte sich.»Jedenfalls lasse ich mich nicht als Spion hängen!»

Hoblin verzog das Gesicht, als ein Strahl wäßrigen Sonnenlichts auf ihre Segel fiel, als wolle der Himmel ihr Boot an den Feind verraten.

«Wenn wir Sonne brauchen, regnet es! Und jetzt ist es genau umgekehrt, verdammt!»

Searle befeuchtete sich die Lippen.»Sie sind bald in Hörweite. «Ohne aufzublicken, rief er gedämpft:»Mr. Stirling — wenn ich den Angriffsbefehl gebe, kommen Sie blitzschnell runter. Korporal Coote — klar bei Musketen!»

In der Fischlast war Getrampel zu hören und dann Klappern, als die Seesoldaten ihre Waffen klarierten. Aufs Schießen verstanden sie sich, auch wenn es schlecht für sie aussah.

Browne rief hinunter:»Wenn wir das hinter uns haben, kriegen Sie so viel Wein, wie Sie wollen, Korporal!»

Seltsamerweise rief das wirklich Gelächter hervor.

«Sie stoppen auf, Sir.»

Browne sah, daß auf dem anderen Boot Segel weggenommen wurden und ein Soldat nach vorn zum Geschütz ging. Aber das alles spielte sich ganz ohne Hast ab, und ein zweiter Soldat rauchte in aller Gemütsruhe seine Pfeife weiter, während er zusah, wie die Fischer die grobe Leinwand einrollten.

«Man ruft uns längsseits!«Hoblins Stimme klang, als spräche er durch die Zähne.»Alles klar, Sir?»

Searle blickte schnell zu Browne hinüber und rief dann:»Achtung, Jungs!»

Der Schatten des anderen Kutters glitt über die brechenden Seen näher und näher, und dann, als nur noch ein Dreieck Wasser zwischen den beiden Fahrzeugen lag, entstand drüben plötzlich Unruhe.

«Jetzt! Leeruder!»

Ruckartig schwang ihr Bug herum, und noch während die Seeleute an die Fallen rannten, um die Segel zu streichen, kollidierten die beiden Boote, rutschten ab und stießen wieder zusammen.

Midshipman Stirling stürzte beim Niederentern fast zwischen die Rümpfe, denn Hoblin riß die Pinne schon wieder herum und bohrte den Steven ins Schanzkleid des Gegners.

Korporal Coote brüllte:»Fertigmachen! Ziel auffassen!«Die vier Musketenläufe ragten wie Lanzen über das Süll der Fischlast.»Feuer!»

Drüben beim Gegner fielen bei der ersten Salve vier Mann, darunter zwei Soldaten. Die Drehbasse schoß mit ohrenbetäubendem Krachen, aber der Mann, der die Abzugsleine gehalten hatte, war tödlich getroffen worden, weshalb die Kartätschenladung harmlos weitab ins Wasser schlug.

Schon hielten Wurfanker die Boote beisammen, und mit irrsinnigem Gebrüll, ihre Äxte und Entermesser schwingend, sprangen die englischen Seeleute auf das feindliche Deck, das bald mit roten Blutspritzern übersät war.

So laut er konnte schrie Searle:»Laßt sie abtreiben! Zurück an Bord, aber schnell, ihr Hunde!»

Denn er hatte Hoblins verzweifeltes Winken bemerkt. Jetzt sahen auch die anderen, die sich endlich von den toten Soldaten und verschreckten Fischern abwandten, die hohe Pryramide steifer

Segel aus dem Dunst auf sich zukommen wie eine überdimensionale Raubfischflosse.

«Kappt die Leinen! Setzt Segel — schnell!»

Searle zerrte einen Seemann kopfüber an Bord, als die beiden Kutter auseinanderdrifteten.

Vor Brownes Augen wurde aus dem Kampffieber wilde Panik, als sie sich verzweifelt bemühten, ihren Kutter wieder in Fahrt zu bringen. Ohne das Zusammentreffen mit dem anderen, auch mit Soldaten bemannten Boot hätten sie unentdeckt entkommen können.

Er wandte sich um und starrte achteraus, als ihr Kutter Fahrt aufnahm und wieder durch die Hacksee stampfte, diesmal in Richtung aufs offne Meer. Das Ganze hatte nur wenige Minuten gedauert. Und würde jetzt genauso schnell vorbei sein.

Ihr Verfolger fuhr eine präzise Halse, seine Rahen schwangen fast gleichzeitig herum, als er Kurs auf seine Beute nahm.

Hoblin sagte:»Eine französische Korvette. Hab hier in der Gegend eine Menge davon gesehen. «Er sprach so unbeteiligt und nur mit professionellem Interesse, als hätte er die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage längst akzeptiert.

Die anderen Fischkutter waren in wildem Durcheinander da-vongesegelt, wie eine Stampede vor einem tollwütigen Hund.

Browne knöpfte den fremden Uniformrock auf und warf ihn über Bord. Das machte zwar keinen Unterschied mehr, aber danach fühlte er sich wohler. Er hörte Stirling ein Selbstgespräch führen, konnte aber nicht sagen, ob er betete oder sich Mut zusprach.

«Wieviel Zeit bleibt uns?»

Searle blickte ihn ruhig an.»Etwa dreißig Minuten. Ihr Kommandant wird versuchen, hinter uns vorbeizukommen. Er hat ein paar Untiefen an Backbord und wird sich so viel freien Seeraum wie möglich verschaffen wollen, ehe er zum Todesstoß ansetzt. «Auch er sprach ohne Wut oder Verbitterung.

Das französische Kriegsschiff war klein und wendig, vom Fischkutter aus gesehen wirkte es jedoch mächtig wie eine Fregatte. Die Korvette trug so viel Segelfläche, daß Browne den Eindruck gewann, ihr eigenes Boot stehe still. Während die Distanz zwischen ihnen schrumpfte, dachte er an Bolitho und die Information, die ihn nun nie erreichen würde.

Er blinzelte und begriff erst hinterher, daß ihnen vom Vorschiff des Franzosen eine Feuerzunge entgegengebleckt hatte. Dann kam der Knall und das kurze Pfeifen, als die Kugel an Steuerbord achteraus kurz aufsetzte und als Abpraller wie ein wild gewordener Derwisch davonzischte.

«Er nimmt Maß, Sir.»

Scharf befahl Searle:»Zwei Strich nach Steuerbord!»

Aber der Fischkutter reagierte viel zu langsam. Als die nächste Kugel abgefeuert wurde, schlug sie so nahe ein, daß eine Gischtfontäne die Männer eindeckte.

Korporal Coote lag der Länge nach an Deck und zielte mit seiner Muskete auf die Korvette. Schließlich sagte er angewidert:»Ich schaffs nicht. Aber wenn ich noch warte, kann ich vielleicht ein paar von ihnen mitnehmen.»

Midshipman Stirling rammte sich die geballte Faust zwischen die Zähne, als die dritte Kugel ihr Großsegel durchschlug und eine Kabellänge voraus mit hoher Fontäne in die See fuhr.

Searle meinte:»Sie wollen uns entmasten, damit sie uns lebend kriegen. «Er zog seinen Säbel.»Aber ohne mich.»

Das Katz-und-Maus-Spiel konnte nicht ewig dauern. Als die Küste und die Fischereiflotte achteraus immer weiter zurückblieben, mußte der Kommandant der Korvette begreifen, daß auf diese Weise zuviel Zeit verstrich.

Er änderte seinen Kurs um mehrere Strich nach Backbord, um drei seiner vorderen Kanonen zum Tragen zu bringen. Ehe er wieder auf den alten Kurs zurückging, feuerte jede Kanone einen sorgfältig gezielten Schuß ab; einer davon durchschlug die Gillung des Fischkutters wie ein gigantischer Rammbock.

Als Hoblin wieder auf die Füße taumelte, keuchte er:»Ruder reagiert noch, Sir!»

Aber Browne hörte Wasser gurgelnd und zischend in die Fischlast schießen. Es war der reine Wahnsinn, trotzig und jämmerlich zugleich.

Searle nickte ruckartig:»Also dann — Kurs halten!»

Wieder eine Detonation. Die Bugkanone der Korvette feuerte mit verheerender Wirkung. Ein Seesoldat, der dem Matrosen mit der Fock hatte helfen wollen, drehte sich wie ein Kreisel um die eigene Achse, als die Kugel ihm ein Bein abriß, dann zwei weitere Seeleute niedermähte und sie in eine blutige, formlose Masse verwandelte. Holzsplitter sausten wie tödliche Geschosse durch die Luft, und der Rumpf sackte so tief ins Wasser, daß es ein Wunder war, wenn sie überhaupt noch Fahrt machten.

Voll Schmerz und Abscheu starrte Browne auf den sterbenden Seesoldaten hinunter. Wie er würden sie alle viehisch niedergemetzelt werden. Was hatte das für einen Sinn? Was ließ sich damit beweisen?

Wieder stieg eine Gischtfontäne dicht am Schandeck in die Höhe. Midshipman Stirling wirbelte herum, eine Hand um den anderen Oberarm gekrampft, aus dem ein Splitter wie ein riesiger Federkiel ragte.

«Ist nichts weiter, Sir«, keuchte er; dann sah er das Blut zwischen seinen Fingern hervorrinnen und fiel in Ohnmacht.

Browne blickte Searle an.»Wir können sie nicht so sinnlos sterben lassen!»

Korporal Coote taumelte heran und deutete durch den Wasserdampf des letzten Schusses.»Vielleicht müssen wir das gar nicht,

Sir.»

Browne fuhr herum und starrte ungläubig hinüber. Er konnte es nicht fassen, aber die Korvette drehte — noch in ihren eigenen Pulverqualm gehüllt — ab.

«Die Phalarope kommt!»

Sonst sagte niemand ein Wort, auch der sterbende Seesoldat starrte nur still himmelwärts, während er auf das Ende seiner Schmerzen wartete.

Matt schimmerte die vergoldete Galionsfigur der alten Fregatte im schwachen Sonnenlicht, als sie heranrauschte, der sinkenden Hulk des Kutters entgegen; in ihrer Takelage hatten die Toppsgasten ausgelegt und hockten auf den Rahen wie schwarze Vögel, bis sie Segel kürzten.

Hoblin stöhnte auf:»Mein Gott, sie riskiert alles! Wenn die Franzosen jetzt auslaufen.»

«Das soll uns im Moment nicht kümmern. «Browne bückte sich und zog den Midshipman auf die Füße.»Alles klarmachen zum Verlassen des Bootes! Und helft dabei den Verwundeten!«Er konnte es immer noch nicht glauben.

Eine Stimme rief übers Wasser:»Wir kommen längsseits!»

Die Rahen der Fregatte schwangen herum, unter dem Druck des Windes in den Segeln legte sich der Rumpf über, bis die ersten killten und backstanden, als sie durch den Wind drehte.

Viel Zeit blieb ihnen nicht.

Korporal Coote hob eine Muskete auf und blickte auf seinen gefallenen Kameraden nieder.»Die brauchst du nicht mehr, Junge. «Mit leerem Blick wandte er sich von dem Toten ab.»Macht euch fertig, Leute!»

Turmhoch ragte Phalarope über ihnen auf. Über dem Schanzkleid, an den Rüsten und in den offenen Stückpforten tauchten Gesichter auf. Überall, wo man einen Mann übernehmen konnte, streckten sich ihnen Arme entgegen.

Die nächsten Augenblicke waren der Höhepunkt des ganzen Alptraums: Stimmen schrien entsetzt auf, Holz splitterte und Spieren brachen, als die Fregatte unbeirrt gegen das mit Schlagseite im Wasser liegende Boot stieß.

Browne spürte, daß Searle ihn auf eine Gruppe wartender Seeleute zuschob, und merkte zu seinem eigenen Erstaunen, daß er gleichzeitig schluchzte und lachte.»Ich bin als letzter von Bord gegangen«, schrie er.»Besser einmal Kommandant als nie!»

Dann wurde er grob über eine harte Kante gezerrt und der Länge nach an Deck ausgestreckt. Ein Schatten fiel auf sein Gesicht, und er sah Pascoe sich über ihn beugen.

Browne stieß mühsam hervor:»Wieso seid ihr hier?»

Pascoe lächelte melancholisch.»Weil mein Onkel das so eingerichtet hat, Oliver.»

Brownes Kopf sank zurück auf die Decksplanken, er schloß die Augen.»Wahnsinn!»

«Haben Sie nicht gewußt«, Pascoe winkte einige Seeleute heran,»daß er bei uns erblich ist?»

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