Bolitho arbeitete im Kartenraum von Odin, als Inch eintrat und meldete, daß die Brigg Rapid langsam von Südwest her aufkreuze.
Bolitho warf den Stechzirkel auf die Seekarte zurück und schritt auf das sonnenbeschienene Deck hinaus. Trotz seiner Unterlegenheit wollte Kommandant Lapish also sein kleines Schiff dem Geschwader zuführen, in der Hoffnung, seine Kampfkraft zu verstärken.
«Signal an Rapid, und zwar so schnell wie möglich«, befahl Bo-litho.»Sie soll zu Ganymede stoßen und gemeinsam mit ihr die feindliche Nachhut stören. «Das mochte die französische Fregatte — bisher war nur eine einzige in Sicht — daran hindern, die schweren britischen Schiffe auszumanövrieren, bis Duncans Sparrowhawk aus dem nördlichen Sektor zu ihnen gestoßen war.
Inch sah den Signalflaggen nach, die blitzschnell zur Rah aufstiegen.»Warten wir, bis Kommodore Herrick sich uns angeschlossen hat, Sir?«fragte er.
Bolitho schüttelte den Kopf. Das französische Geschwader hatte sich zu einer nicht ganz exakten, aber eindrucksvollen Schlachtlinie formiert, und das zweite Schiff in der Reihe fuhr die Flagge eines Konteradmirals. Das mußte Remond sein.
«Lieber nicht. Ja, wenn wir mehr Zeit hätten… Aber jede Minute, die verstreicht, erlaubt es dem Feind, tiefer in die Bucht vorzudringen und sich die Luvposition zu verschaffen, während unser Geschwader mühsam gegen den Wind anknüppeln muß.»
Wieder hob er sein Glas und studierte das Führerschiff: ein Zweidecker, der seine Kanonen schon ausgerannt hatte, obwohl ihn noch drei Meilen von den Briten trennten. Ein mächtiges Kriegsschiff, wahrscheinlich mit achtzig Kanonen bestückt und der viel kleineren Odin auf den ersten Blick weit überlegen.
Aber jetzt mußten sich die Monate und Jahre der Blockade mit ihrem harten Patrouillendienst bei jedem Wetter zu ihren Gunsten auswirken. Denn die Franzosen verbrachten mehr Zeit im Hafen als auf See, ließen es sich gutgehen, statt zu exerzieren. Dies mochte auch der Grund dafür sein, daß Remond nicht sein Flaggschiff an die Spitze der Schlachtlinie plaziert hatte; aus zweiter Position konnte er sein Geschwader besser im Auge behalten.
Plötzlich sagte Bolitho:»Beachten Sie, daß sich das französische Flaggschiff etwas in Luv vom ersten Schiff der Reihe hält.»
Inch nickte, aber sein Gesicht verriet, daß er nichts begriff.
«Sir?»
«Wenn wir angreifen, ohne auf unsere anderen Schiffe zu warten, will der französische Admiral offenbar die Schlachtlinie teilen und uns von beiden Seiten in die Zange nehmen.»
Inch fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.»Während die drei letzten Schiffe sich zunächst zurückhalten und auf den Kommodore warten.»
Stirling rief: «Rapid hat bestätigt, Sir.»
Allday stieg auf die Hüttendecksleiter und spähte achteraus. Benbow schien noch sehr weit weg zu sein. Taktisch richtig kreuzte Herrick mit langen Schlägen in die Bucht, damit er zuletzt wenden, abfallen und mit günstigem achterlichem Wind angreifen konnte. Aber das alles brauchte furchtbar viel Zeit.
Ein dumpfer Knall hallte herüber, und mit gut einer Meile Abstand schlug die Kugel ins Wasser. Der Kommandant des ersten Franzosen hatte eine Bugkanone abfeuern lassen, wahrscheinlich nur, um die Spannung des Wartens zu brechen.
Es mußte ihn nervös machen, den Admiral so im Nacken zu haben, überlegte Allday; jeder Zug, den er wagte, wurde mit kritischen Augen beobachtet.
Dann wandte Allday sich ab und ließ den Blick über das mit Menschen vollgepackte Deck der Odin schweifen. Von denen da unten würde kaum einer auf den Beinen bleiben, wenn die Falle der Franzosen hinter ihnen zuklappte und sie von jeder Hilfe abschnitt. Oder war genau das Bolithos Absicht? Sich zu opfern, den Feind dabei aber so zu schwächen, daß Herrick nur einen ihm gleichwertigen Rest vorfinden würde, sobald er erst heran war?
«Allmächtiger Gott!«entfuhr es ihm.
Ein Sergeant der Seesoldaten, der mit seinen Scharfschützen in der Nähe wartete, wandte sich grinsend nach Allday um.»Nervös, Kamerad?«fragte er.
Allday zog eine Grimasse.»Nicht die Spur. Ich finde nur kein ruhiges Plätzchen für meinen Mittagsschlaf.»
Aber dann fuhr er doch zusammen, als er Inch zum Master sagen hörte:»Mr. M'Ewan, sobald wir auf eine halbe Kabellänge heran sind, will der Konteradmiral anluven. Danach wenden wir und greifen das zweite Schiff in der französischen Schlachtlinie an.»
Der Master nickte so krampfhaft, als würde sein Kopf von Marionettenfäden gezogen.
«Was soll das nun wieder bedeuten?«zischte der Sergeant.
Aber Allday antwortete ihm nicht. Er verschränkte die Arme und bemühte sich, das Gehörte zu verdauen. Odin würde also anluven und dann praktisch vor dem Bugspriet des Gegners in den Wind drehen. Dann hoffte sie zu wenden und zwischen den beiden ersten Linienschiffen durchzustoßen. Wenn alles gutging. Es war ein riskantes Manöver, bei dem Odin binnen weniger Minuten zu einem hilflosen Trümmerhaufen zusammengeschossen werden konnte. Aber alles war besser, als gleichzeitig von beiden Seiten unter Nahbeschuß zu geraten.
Schließlich bequemte er sich doch zu einer Antwort.»Es bedeutet, mein scharfsinniger Freund, daß du mit deinen Leuten bald eine Menge zu tun kriegst.»
Bolitho ließ die ansegelnde Schlachtlinie nicht aus den Augen, lauerte auf jedes Anzeichen, auf ein blitzschnelles Flaggensignal, mit dem Remond seinen plötzlich erwachten Verdacht verraten könnte. Sicherlich mußte er doch auf eine Überraschung gefaßt sein? Weshalb sonst würde sich ein leichtes Linienschiff mit nur 64 Kanonen fünf mächtigen Kriegsschiffen stellen?
Er erinnerte sich an Remonds dunkles, ledernes Gesicht, seine intelligenten Augen.
Dann befahl er:»Kapitän Inch, lassen Sie die untere Batterie mit Doppelkugeln laden. Und die Achtzehnpfünder des Oberdecks bitte mit Kettenkugeln. «Er hielt Inchs Blick fest.»Wenn wir anluven, muß das erste Schiff entmastet sein.»
Dann blickte er zum Großmaststander auf. Der Wind blieb stetig in Richtung und Stärke. Gut. Fast hätte er sich umgedreht und achteraus gespäht, bremste sich aber gerade noch rechtzeitig. Die Offiziere und Mannschaften seiner Umgebung hätten dies als Unsicherheit mißverstanden, als blicke ihr Oberbefehlshaber sich hilfesuchend um. Am besten strich er Herrick ganz aus seinen Gedanken. Der tat bestimmt sein Bestes.
Graham, der Erste Offizier, baute sich grüßend vor Inch auf.»Dürfen die Trommler und Pfeifer wegtreten, Sir?»
Bolitho warf einen schnellen Blick auf die rot uniformierten Musikanten. Er hatte sich so konzentriert, daß kein Ton ihrer Instrumente an sein Ohr gedrungen war.
Dankbar hastete der Musikzug unter Deck, von einem Chor höhnischer Stimmen begleitet.
Wieder eine Detonation auf dem Führungsschiff, und dann warf die Kugel etwa drei Kabellängen querab eine Gischtfontäne auf.
Der französische Kommandant mußte wirklich nervös sein. Vielleicht beobachtete er ihn gerade jetzt mit seinem Teleskop. Bo-litho trat von den Besanbetings weg, damit das Sonnenlicht von seinen hellen Goldepauletten besser reflektierte. Sollte er seinen Feind doch sehen, dachte er grimmig.
Dann wandte er sich ab, um einer Schar kreischender Möwen nachzuschauen, die unterhalb der Heckgalerie vorbeistrichen. Die jedenfalls waren den täglichen Kampf ums Überleben gewohnt, dachte er.
«Der französische Admiral trimmt seine Bramsegel, Sir«, meldete Inch.
Bolitho sah, daß der Bug des Flaggschiffs sich langsam am Heck des Führungsschiffs vorbeischob. Also hatte er Remonds Absicht richtig erraten. Nun hing alles von den Männern in seiner Nähe ab.
«Kapitän Inch, was jetzt kommt, muß sehr präzise ausgeführt werden. «Lächelnd berührte er seinen Arm.»Aber ich brauche Ihnen ja nicht zu sagen, wie Sie Ihr Schiff zu führen haben, wie?»
Inch strahlte vor Freude.»Vielen Dank, Sir!«Dann wandte er sich wieder seinen Leuten zu.»Mr. Graham, bemannen Sie die Brassen. «Dann schoß sein Zeigefinger vor, als wolle er einen Leutnant unten auf dem Batteriedeck aufspießen.»Mr. Synge! Sind beide Batterien wie befohlen geladen?»
Der Leutnant spähte zum Achterdeck hinauf und antwortete nervös:»Aye, Sir! Ich — ich habe nur die Vollzugsmeldung vergessen,
Sir.»
Inch funkelte den unglückseligen Leutnant böse an.»Freut mich zu hören, Mr. Synge. Ich dachte schon, Sie halten mich für einen Hellseher.»
Die Männer an den nächsten Kanonen kicherten, verstummten aber sofort, als der Leutnant mit rotem Gesicht zu ihnen herumfuhr.
Bolitho sah den Franzosen entgegen — fast ohne jede Emotion, wie er zu seiner Überraschung feststellte. Denn nun hatte er sich festgelegt. Wie die Sache auch ausgehen mochte, jetzt konnte er keinen Rückzieher mehr machen, selbst wenn er das gewollt hätte.
«Klar zur Wende!»
Die Männer an den Brassen und Schoten duckten sich und ließen die Muskeln spielen, als machten sie sich bereit zu einem Ringkampf.
«Ruder nach Lee!»
«Fiert weg — holt dicht!»
Bei dieser rauhen Behandlung schien das Schiff einen Augenblick zu bocken, aber dann — nach einer kleinen Ewigkeit — drehte es gehorsam den Bug zum Wind.
Grahams Befehle schienen von überall her zu kommen.»Hol über den Baum! Fier auf die Bram-Bulins!»
An jeder Kanone stand ein Stückmeister und spähte durch seine Stückpforte auf den viereckigen Ausschnitt der leeren See hinaus, unberührt vom Donnern der Segel, dem Knarren der Blöcke und dem Stampfen vieler Füße über seinem Kopf.
Bolitho konzentrierte sich auf das französische Führungsschiff und sah mit kalter Genugtuung, daß es seinen Kurs eisern beibehielt, obwohl der Kommandant sich doch eigentlich hätte fragen müssen, was der Engländer mit seinem Manöver bezweckte.
Folgsam luvte Odin weiter an, auch wenn sie mit ihren schlagenden Segeln und schwingenden Rahen für jede Landratte ein chaotisches Bild bieten mußte. Aber sie fuhr sich nicht fest, ihre Restfahrt schob sie zuverlässig durch den Wind auf den anderen Bug, und als die Rahen wieder angebraßt wurden und die Segel steifkamen, begann sie langsam, aber unaufhaltsam den ansegelnden Feindschiffen ihre Steuerbordseite zu präsentieren.
Graham brüllte durch sein Sprachrohr:»Einzelfeuer!»
Inchs Säbel zischte durch die Luft nach unten, und eine nach der anderen krachten die Kanonen der Odin auf beiden Decks; aus der unteren Batterie spuckten sie die gewaltigen Doppelkugeln, aus der oberen fuhren kreischend die Kettenkugeln.
Bolitho hielt den Atem an, als die Kugeln der vordersten Kanonen ihr Ziel fanden. Ein Beben lief durch das französische Schiff, als sei es — wie zuvor das Wachschiff — auf Grund gelaufen. Aber die Beschießung hörte nicht auf, die Leutnants schritten weiter von
Kanone zu Kanone, während eine Abzugsleine nach der anderen gespannt wurde. Das gleiche Bild mußte sich auf dem unteren Batteriedeck bieten, wo es im geschlossenen Raum und mit den wild hantierenden, halbnackten Männern eher noch infernalischer zuging. Sie feuerten, sprangen zurück, wischten aus, luden nach, stopften und feuerten abermals.
Die Spur der Kettenkugeln ließ sich leicht verfolgen: Bolitho sah das ganze Vorgeschirr des Feindes mit Segeln und laufendem Gut in Fetzen gehen und die gebrochene Fockmaststenge über die Seite in die See fallen, wo sie hinter einem hohen Gischtvorhang verschwand. Ihr totes Gewicht wirkte sich sofort wie ein übergroßer Treibanker aus, und Bolitho beobachtete, wie der Bug des feindlichen Schiffes unkontrolliert herumschwang und in den Wind drehte.
«Ziel auffassen, Jungs! Feuer!»
Die Doppelkugeln krachten in das schwer havarierte Schiff, rissen Kanonen um und fuhren Tod und Verderben speiend durch die Decks. Oben brachen immer mehr Leinen und Spieren und boten immer mehr Segelfläche den Kugeln dar, die das Tuch durchlöcherten, bis es in Streifen davonflog.
Inch rief:»Achtung auf der Back — Feuer frei!»
Die Steuerbord-Karronade spuckte Feuer und Rauch, hatte aber etwas zu hoch gezielt, so daß die große Kartätschenkugel auf dem Seitendeck des Feindes platzte. Ihr Einschlag richtete keinen großen Schaden an, aber die Wirkung ihres Schrothagels war entsetzlich. Dort hatten etwa zwanzig Männer fieberhaft gearbeitet, um Wanten und Stagen der jetzt nutzlosen Fockmaststenge zu kappen. Sie wurden von der Kartätschenladung zerfetzt, und ihr Blut färbte die Bordwand vom Schanzkleid bis zur Wasserlinie rot.
Aus der Ferne sah es so aus, als sei das Schiff selbst tödlich getroffen und verblute jetzt.
«Klar zur Kursänderung nach Steuerbord!»
«Braßt an die Blindenrah!»
Einige wenige Kugeln des Feindes schlugen in die Bordwand, bewirkten aber nur, daß Odins Seesoldaten noch wütender zurückschossen.
Bolitho fühlte den Wind auf der anderen Wange und hörte die Segel knatternd protestieren, als Odin jetzt mit dem Heck durch den Wind ging. Odin war zwar keine wendige Fregatte, aber unter Inchs Führung manövrierte sie fast genausogut.
Eine starke Fallbö riß den Rauchvorhang weg, so daß Bolitho das französische Flaggschiff erkannte; es stand so dicht am Steuerbord-Kranbalken der Odin, als hätte es sich dort verfangen. In Wirklichkeit betrug die Distanz zwar noch eine gute Kabellänge, aber immerhin konnte Bolitho Trikolore und Admiralsflagge knattern sehen und die fieberhafte Aktivität auf ihrem Achterdeck beobachten, als der Kommandant sich verzweifelt bemühte, einer Kollision mit dem zerschossenen Führungsschiff zu entgehen.
Bolitho hob sein Glas und wartete ab, bis seine Batterien abermals eine Breitseite auf den hilflosen Franzosen abgefeuert hatten. Er spürte, wie die Decksplanken unter seinen Füßen sich bei den Rückstößen aufbäumten, sah die wilden, fast irrwitzigen Augen der Männer an den Achtzehnpfündern, die sich in die Taljen warfen, um ihre Kanonen zum nächsten Schuß wieder auszurennen.
Als er durchs Glas blickte, stand die hohe Heckgalerie des Franzosen wie zum Greifen nahe vor seinem Auge und darauf der mit vergoldeten Lettern geschriebene Schiffsname: La Sultane.
Er hob das Teleskop leicht an und bekam einige ihrer Offiziere ins Blickfeld; einer fuchtelte zu den Rahen hinauf, der andere wischte sich das Gesicht wie nach einem tropischen Regenguß.
Und einen Augenblick lang sah er, ehe die Kanonen erneut aufbrüllten, den Zweispitz des französischen Admirals und dann — als der Mann abrupt zur Hütte schritt — sein Gesicht. Das war Konteradmiral Remond, ohne Zweifel. Bolitho hätte ihn überall wiedererkannt.
Allday sah Bolithos Miene und begriff.
Viele Stabsoffiziere hätten damals das Angebot des Franzosen akzeptiert, bedeutete es doch, in einem bequemen Haus, mit Dienern und allem erdenklichen Luxus in Ruhe auf einen Austausch zu warten. Remond aber hatte nicht verstanden, warum Bolitho all dies ausgeschlagen hatte: geopfert für die Chance, es den Franzosen heimzuzahlen.
Das war natürlich der blanke Aberwitz, dachte Allday melancholisch, aber seltsamerweise ließ seine Furcht vor dem Kommenden etwas nach.
Ohne Alldays prüfenden Blick zu bemerken, wandte Bolitho sich jetzt dem havarierten Franzosen zu. Das Schiff war nach dem pausenlosen Beschuß so gut wie kampfunfähig, aus seinen Speigatten rann es rot über die durchlöcherte Bordwand: ein Zeichen dafür, daß die Besatzung ihr übergroßes Selbstvertrauen mit dem Tode büßen mußte.
Aber Remonds Flaggschiff hatte noch genug Zeit, sich freizuhalten und sich aus allen Rohren feuernd in den Schutz der Loiremündung und ihrer Küstenbatterie zurückzuziehen. Vielleicht schloß Remond aus Odins keckem Verhalten, daß die Engländer in Kürze mit Verstärkung rechneten.
Bolitho spähte nach Phalarope aus. Auch Herrick würde jetzt wohl an damals denken, als sie gezwungen werden mußte, ihren Platz in der Schlachtlinie einzunehmen und sich den Breitseiten eines überlegenen Gegners zu stellen. Das war in der Schlacht bei den Saintes gewesen: von den damals erlittenen Schäden hatte sich Phalarope nie mehr erholt.
«Sie formieren sich neu, Sir«, meldete Inch.
Bolitho sah die Signalflaggen zur Besanrah der Sultane aufsteigen und nickte. Noch immer stand es vier zu eins. Kein Grund zum Jubeln.
«Wir sind auf konvergierenden Kursen«, stellte Inch fest,»können aber immer noch in Luv bleiben, Sir.»
Aus schmalen Augen studierte Bolitho die im dunstigen Sonnenlicht schimmernde Bordwand des französischen Flaggschiffs. Achtzig Kanonen, das waren mehr, als sogar die Benbow aufzuweisen hatte. Die Rohre waren alle ausgerannt, aber noch nutzlos auf die Küste gerichtet, und auf ihren Rahen legten dicht gedrängt die Toppsgasten aus, um die Segel für die Annäherung an den Feind zu klarieren.
Halblaut fragte Bolitho:»Wo steht unser Geschwader, Mr. Stir-ling?»
Der Junge sprang zu den Webeleinen, enterte kurz auf und kam dann eilends zurück.»Schon auf unserer Höhe, Sir, und bald werden sie uns überholt haben. «Seine ursprüngliche Angst schien verflogen zu sein, seine Augen funkelten vor fieberhafter Erregung.
«Bleiben Sie in meiner Nähe. «Bolitho warf Allday einen vielsagenden Blick zu, denn die Furcht hatte den Midshipman im falschen Augenblick verlassen; sie konnte seine beste Waffe sein.
«Fallen Sie einen Strich ab, Kapitän Inch.»
«Neuer Kurs Südost!»
Er hörte den zischenden Laut, mit dem Allday sein Entermesser aus dem Gürtel zog, und sah die Kanoniere auf der Steuerbordseite wieder näher an ihre Kanonen herantreten.
Wenigstens konnten sie Remond einen heißen Tag bereiten, den er so bald nicht vergessen würde.
Bolitho zog seinen Säbel und warf die Scheide zum Fuß des Be-sanmastes.
Eines stand nun fest: Odins Herausforderung mußte die Franzosen so lange aufhalten, bis Herricks Geschwader sich Tod und Verderben speiend auf sie stürzen konnte.
Bolitho lächelte zufrieden; Inch und der Erste Offizier sahen dieses Lächeln und wechselten einen Blick.
«Seesoldaten — Front zum Feind!«Steifbeinig marschierte der Hauptmann hinter seinen Soldaten auf und ab und hatte die Augen überall.
Allday stieß versehentlich gegen den Midshipman und spürte sein nervöses Zusammenfahren. Es war dem Jungen nicht zu verdenken.
An Steuerbord wuchs das Gewirr der Stagen und Wanten, der Rahen und Segel immer höher, bis die Takelage des Franzosen den ganzen Himmel auszufüllen schien; und ihnen die Luft abschnürte, dachte Allday und lockerte sein Halstuch.
Stirling zog seinen Fähnrichsdolch, stieß ihn aber gleich darauf wieder in die Scheide zurück; angesichts dieses erschreckenden Panoramas feindlicher Segel und Flaggen erschien er ihm so nutzlos wie ein Belegnagel für den Kampf gegen eine Armee.
Allday sagte durch die zusammengepreßten Zähne:»Halten Sie sich in meiner Nähe. «Er deutete mit seinem Entermesser hinüber.»Das wird harte Arbeit, möchte ich wetten.»
«Zwei Strich nach Luv!»
Odin kehrte sich etwas von der Sultane ab, so daß ihr Rumpf noch länger und mächtiger wirkte als zuvor.»Klar zum Einzelfeuer!»
Inch spähte über die dreieckige Wasserfläche zwischen den beiden Schiffen. Das Dreieck wurde jetzt wieder spitzer, denn beide hatten nur kurz abgedreht, um ihren Kanonen besseres Schußfeld zu geben.
«Feuer!»
Noch während das Deck unter den unregelmäßigen Abschüssen der einzelnen Kanonen bockte und bebte, brüllte Inch:»Zurück auf Kurs, Mr. M'Ewan!»
Vorn auf der Back duckten sich die Seeleute, als der hochaufragende Klüverbaum des Feindes, von dem nach dem ersten kurzen Beschuß gebrochene Ketten und Stagen baumelten, über sie hinwegstrich.
Die ersten Musketenkugeln zischten durch die Luft, einige davon schlugen dumpf in die an der Reling festgezurrten Hängematten, andere prallten mit grellem Aufheulen von den eisernen Kanonen ab.
«Es ist soweit!«schrie Inch wild. Er drückte sich den Hut tiefer in die Stirn.»Auf sie, Leute!»
Und dann schien ihre ganze Welt in einer einzigen ungeheuren Explosion in die Luft zu fliegen.
Niemand hätte sagen können, wie oft Odin ihre Breitseiten gegen den Feind abgefeuert hatte und wie oft sie im Gegenzug von den Franzosen mit Eisen und Schrot beharkt worden war. Jedes Zeitgefühl verlor sich unter der erstickenden Rauchdecke, durch die immer wieder orangerote Feuerzungen zuckten; die Männer an den Kanonen feuerten und luden ohne zu denken, mechanisch wie seelenlose Marionetten.
Bolitho glaubte gelegentlich, in einer Gefechtspause von fern das schärfere Krachen leichterer Kaliber zu hören; wahrscheinlich verbissen sich dort drüben Ganymede und Rapid in ihren ungleichen Kampf gegen die französische Fregatte.
Der Rauch hing so dicht zwischen den beiden Linienschiffen und stieg so hoch empor, daß er allen die Sicht nahm. Die anderen französischen Schiffe oder Herricks Geschwader mochten schon längsseits sein oder auch noch eine Meile entfernt — Bolitho hätte es nicht einmal erraten können; so hermetisch schloß ihn Rauch und Kanonendonner vom übrigen Tumult ab.
Über ihren Köpfen wippten die Schutznetze unter dem Aufprall herabstürzender Spieren und Blöcke; und dann wurden — gemeinsam und gleichzeitig, als hätten sie einander an den Händen gefaßt — drei Scharfschützen von einer Kartätschenladung aus dem Großmars gefegt; ihre Schreie gingen unter im Getöse des Gefechts.
Eine Kugel krachte durchs Schanzkleid, pflügte über das mit Menschen vollbesetzte Achterdeck und durchschlug die Reling auf der gegenüberliegenden Seite. Vor Bolithos Augen färbten sich die Decksplanken rot vor Blut, das bis zum Besanbaum hinaufspritzte. Wie das Fleischerbeil eines Riesen war die Kugel zwischen Seesoldaten und Achterdeckswache gefahren.
Inch schrie immer wieder:»Einen Strich nach Luv, Mr. M'Ewan!«Aber der Master lag tot über seinen beiden Rudergasten, und das Deck rund um die Gefallenen war rot gesprenkelt.
Mit kalkweißem Gesicht trat ein anderer Rudergast ans Rad und griff in die Speichen, bis der Bug langsam herumzuschwingen begann.
Immer mehr Seesoldaten enterten in den Webeleinen auf und begannen, die feindlichen Offiziere drüben aufs Korn zu nehmen.
Bolitho biß die Zähne zusammen, als ein Schuß zwei Seeleute von ihrer Kanone dicht unter dem Achterdeck wegschleuderte;
dem einen war der Kopf abgerissen worden, der andere schrie gellend wie ein Tier, während seine Hände sich um die Splitter krallten, die ihm aus Hals und Gesicht ragten.»Feuer!»
In den Lücken, die der wirbelnde Rauch ließ, gewahrte Bolitho immer wieder Szenen unsäglichen Leidens oder überraschender Beherztheit. Die Pulverjungen rannten weiterhin gebückt unter dem Gewicht der Kartuschen von Kanone zu Kanone. Ein Seemann stemmte sich mit äußerster Kraft in die Handspake, während sein Stückmeister ihm durch Rauch und Lärm Anweisungen zubrüllte. Ein Midshipman, noch jünger als Stirling, preßte beide Fäuste in die Augen, um die Tränen über seinen toten Freund zurückzuhalten, der, von einer Schrotladung zerfetzt, davonge-schleift wurde.
«Und noch einmal, Jungs: Feuer!»
Allday drängte sich schützend an Bolitho, weil das Musketenfeuer immer intensiver wurde. Rund um sie fiel und starb die Besatzung, während die Überlebenden ihren Haß in den Rauch schrien und weiterfeuerten.
«Sehen Sie dort, Sir!«Allday deutete nach oben.
Bolitho hob den Blick und sah einen großen Schemen wie einen Rammbock durch den Rauch auf sie zukommen.
Vielleicht hatte die Sultane vorgehabt, auf dem anderen Bug an Odin vorbeizulaufen und sie durch die gewaltige Überlegenheit ihrer Feuerkraft bis zur Aufgabe zu beschießen. Und dann hatte der Kommandant es sich möglicherweise anders überlegt oder das Manöver nicht ausführen können, weil sein Schiffer wie M'Ewan mitsamt seinen Rudergasten gefallen war. Jedenfalls stieß Sulta-nes Klüverbaum wie ein gewaltiger Hauer auf sie herab; als sich der zwischen den Rümpfen gefangene Rauch wirbelnd hob, gewahrte Bolitho verschwommen die Galionsfigur des Franzosen, die mit vorquellenden Augen und blutrotem Mund wie ein Schreckgespenst auf sie herabstarrte.
Der Klüverbaum krachte durch Odins Besanrigg, mit prasselndem Knallen brach das Stampfstockgeschirr, Ketten peitschten durch die Luft, und gerissene Leinen wehten aus wie Lianen.
«Enterer zurückschlagen!»
Bolitho spürte, daß sich das Deck unter seinen Füßen aufbäumte, und begriff, daß die letzte Breitseite den Rumpf voll getroffen haben mußte. Zwar nahm ihm der beißende Rauch die Sicht, aber er hörte Warnrufe und dann Schreckensschreie, als der Vormast donnernd von oben kam. Das Krachen übertönte sogar das Kanonenfeuer; Bolitho verlor das Gleichgewicht und wäre fast gestürzt, als das Schiff unter dem Aufprall des gewaltigen Gewichts der gesamten Fockmasttakelage erbebte.
«Sie spricht nicht mehr aufs Ruder an!«schrie der Rudergast verzweifelt.
Aus dem Rauch über ihren Köpfen zuckte grelles Mündungsfeuer; die ersten Enterer krochen über den Bugspriet und den Stampfstock des Feindschiffes heran und versuchten, auf Odins Deck zu springen.
Aber die Schutznetze hielten sie auf. Schon warf sich ein Marinekorporal hinter eine der Achterdecks-Drehbrassen, riß an der Schnur und fegte die tollkühnen Enterer mit einer Schrotladung ins Wasser.
Ohne Hut, den einen Arm schlaff herabhängend, trat Inch aus dem Pulverrauch und sagte durch die Zähne:»Wir müssen sehen, daß wir freikommen, Sir!»
Bolitho sah den Ersten Offizier mit weitausholenden Armbewegungen mehr Leute zur Abwehr der zweiten Entererwelle aufs Achterdeck winken. Ihm kam es wie ein Wunder vor, daß die Kanonen immer noch feuerten, obwohl doch die Hälfte der Kanoniere in ihrem Blut lag. Und im unteren Deck mußte es noch viel schlimmer aussehen.
Bolitho konnte den Blick nicht von diesem Bild des Grauens und der Vernichtung wenden. Die beiden Schiffe waren in einen mörderischen Kampf verbissen, niemand dachte mehr an Sieg, nur noch ans Töten.
Allday ließ ihn nicht aus den Augen, und neben sich gewahrte er Stirling mit verkniffenem Gesicht. Dann wirbelte der Rauch durcheinander, und übers Wasser klang neuer Kanonendonner herüber, dumpf grollend wie ein Vulkanausbruch: Herricks Geschwader war eingetroffen und begann das Gefecht mit den anderen Franzosen.
Und plötzlich durchzuckte ihn die Erkenntnis wie ein Blitz. Es ging gar nicht mehr um Sieg oder Niederlage. Nein, Remond wollte ihn!
Hatte er die Worte laut ausgesprochen? Jedenfalls sah er das plötzliche Begreifen auf Inchs Gesicht und Alldays geballte Fäuste.
Keine Chance, daß sie sich noch rechtzeitig von der Sultane lösen konnten. Entweder mußte Odin von ihrer überlegenen Bestük-kung zu Kleinholz zerhackt werden, oder beide Besatzungen lieferten sich ein blutiges Gemetzel.
In Bolitho stieg eine wilde Wut auf, die er vergeblich zu unterdrücken suchte.
Mit einem Satz war er auf dem Steuerbord-Seitendeck und überschrie das Krachen der Kanonen und das Musketenfeuer.»Klar zum Entern!«brüllte er.»Folgt mir, Odins!«Er blinzelte kurz, vom Mündungsblitz eines unsichtbaren Scharfschützen geblendet. Ja, Neale hätte dasselbe gerufen.
Jetzt hackten sie selbst die Schutznetze beiseite, andere rissen Äxte und Entermesser an sich und scharten sich um Bolitho; seine Tollheit steckte wie ein Fieber alle an, schweißte sie in einem wilden Aufflammen zusammen zu einer einzigen, überlebensgroßen Waffe.
Graham, der Erste Offizier, sprang als erster hinüber, sein gezogener Säbel schimmerte matt durch den Rauch. Blitzartig wie eine angreifende Kobra schoß vom Schanzkleid drüben ein Enterspieß vor und stieß Graham, der nicht einmal Zeit zum Schreien fand, ins Leere zwischen die beiden Rümpfe. Bolitho konnte noch einen kurzen Blick auf ihn werfen, sah seine Augen vom Wasser zu ihm heraufstarren, dann schoben sich die Bordwände wieder knirschend zusammen, und Graham wurde
(2 Zeilen unleserlich)
sprang Bolitho von Handlauf zu Handlauf und wurde sich plötzlich bewußt, daß er auf dem Vorschiff des
Feindes stand. Hinter ihm drängten seine Leute nach und warfen ihn fast um, als sie an ihm vorbei nach vorne stürmten. Mit einem Geheul wie tausend Teufel der Hölle hackten sie alles zusammen, was sich ihnen in den Weg stellte, bis sie gegenüber die Steuerbordreling erreichten.
Vom Batteriedeck wandten sich entsetzte Gesichter zu ihnen herauf, während immer noch einzelne Kanonen ihr Eisen in Odins Bordwand spuckten, obwohl beide Schiffe so ineinander verhakt waren, daß die Rohre der Gegner sich fast überlappten.
Ein französischer Fähnrich sprang aus den Webeleinen herab und wurde noch im Sprung von einer Enteraxt zwischen den Schulterblättern getroffen.
Eine nach der anderen verstummten die französischen Kanonen, weil ihre Kanoniere zu Spießen und Messern griffen, um die englischen Enterer zurückzuschlagen.
Bolitho wurde von der Angriffswelle auf dem Seitendeck nach achtern geschwemmt, die brüllenden, jubelnden Matrosen bedrängten ihn so, daß er den Arm mit dem Säbel nicht heben konnte.
Von überall her krachten Schüsse und jaulten Querschläger, fällten immer wieder Männer in der weiterdrängenden Masse, die nirgends Deckung fand.
Mit gespreizten Beinen stand ein französischer Leutnant quer auf dem Seitendeck und erwartete Bolitho, der sich endlich freigekämpft hatte. Einige seiner Männer hatten sich auf das Batteriedeck unter ihnen herabgelassen und fochten dort in kleinen Gruppen weiter.
Bolitho hielt den Säbel in Gürtelhöhe und beobachtete die noch unentschlossenen Augen des Franzosen.
Dann zuckten beide Waffen hoch, kreisten kurz umeinander und schlugen mit hellem Klang zusammen. Die Überraschung im Gesicht des Franzosen wich eiserner Entschlossenheit. Aber Bolitho stemmte sich gegen eine Schanzkleidstrebe und zwang den Arm des anderen mit seinem Griff beiseite. Der Leutnant verlor das Gleichgewicht, einen Augenblick berührten sich fast ihre Gesichter — blanke Angst stand jetzt in dem einen und in Bolithos der eiskalte Wille, dieses Hindernis auf seinem Weg zum Ziel beiseite zu räumen.
Eine schnelle Drehung, dann ein Stoß mit der unvertrauten, aber geraden Klinge; Bolitho spürte die Schneide durch Knochen knirschen, als sie dem Mann knapp unter der Achselhöhle in den Leib fuhr.
Er riß den Säbel heraus und rannte weiter nach achtern. Schemenhaft sah er durch den Rauch Odins Umrisse, entstellt durch gebrochenes Tauwerk und zerfetzte Leinwand. Umgestürzte Kanonen zwischen grotesk ausgestreckten Gestalten zeugten von der Erbarmungslosigkeit des Gefechts.
Neue Empörung trieb Bolitho noch schneller aufs Achterdeck, wo die Fechter vor und zurück drängten; gellend schlugen die Waffen aufeinander, übertönt nur vom Knallen der Pistolen und Musketen.
Ein Engländer machte einen Ausfall gegen einen französischen Quartermaster und hackte ihm den Arm fast an der Schulter ab. Kreischend vor Entsetzen rannte der Mann in die falsche Richtung und wurde vom Bajonett eines Seesoldaten durchbohrt.
Zwei Matrosen, einer davon schwer verwundet, warfen Pützen mit Sand auf die kämpfenden Franzosen unterhalb des Achterdecks. Sie krachten wie schwere Felsbrocken auf Köpfe und Schultern. Eine Gestalt hieb durch den Rauch nach Bolitho, aber die Schneide glitt von seiner linken Epaulette ab, ehe sie ihm die Schulter zerhacken konnte.
Doch Bolitho kam aus dem Schritt und stolperte, während der Franzose schon zum zweiten Hieb ausholte.
«Von wegen, Musjö!»
Alldays mächtiges Entermesser zuckte am Rand von Bolithos Gesichtsfeld vorbei und traf mit einem dumpfen Schlag wie auf massives Holz. Wo steckte Remond? Fieberhaft sah Bolitho sich um, den Säbel am schmerzenden Arm gesenkt. Endlich waren auch weitere Soldaten herübergesprungen. Mit ihren Spießen bahnten sie sich eine blutige Gasse zum Achterschiff.
An der Backbordleiter zur Poop stand, gedeckt von einigen seiner Offiziere, Konteradmiral Remond. Sie entdeckten einander im selben Moment, und ihre starren Blicke verhakten sich.
Remond reagierte als erster.»Ergeben Sie sich! Ohne das Flaggschiff ist es um Ihr Geschwader geschehen!»
Hohn- und Protestgeschrei der Engländer, die sich über die ganze Länge des Schiffes bis zum Achterdeck durchgekämpft hatten, antwortete ihm. Bolitho hob die Waffe und rief:»Ich warte, Admi-ral!»
Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, denn er wußte, daß er seinen Rücken ungedeckt jedem Scharfschützen darbot, der noch den Schneid zum Weiterkämpfen aufbrachte.
Remond riß sich den Hut vom Kopf und antwortete:»Nur zu, M'sieu!»
Bolitho hörte Allday hinter sich flüstern:»Mein Gott, er hat Ihren alten Säbel, Sir!«»Ich weiß.»
Bolitho machte einen Schritt von seinen Männern weg nach vorn und spürte dabei, daß ihre irrwitzige Mordlust einer grimmigen Neugier gewichen war.
Aber daß er die alte Familienwaffe in Remonds Hand sah, war genau der Ansporn, den er noch gebraucht hatte.
Ein enges Geviert auf dem von Schüssen zernarbten Deck wurde ihre Arena, gesäumt von Matrosen und Soldaten, die vorübergehend zu Zuschauern geworden waren.
Die Klingen kreuzten sich und zuckten wieder zurück. Bolitho achtete auf einen guten Stand und ignorierte den alten Schmerz in der Schenkelwunde, um dem Gegner keine verräterische Schwachstelle zu zeigen.
So Mann gegen Mann, mit gekreuzten Klingen, spürte Bolitho die ganze Kraft seines Gegners, die Stärke dieses untersetzten, muskulösen Körpers.
Trotz der Todesgefahr empfand Bolitho Alldays Nähe als beruhigend. Der Bootsführer begriff, daß dies eine Sache zwischen Bolitho und Remond war, und hielt sich zurück; aber seine Untätigkeit konnte nicht endlos währen, genausowenig wie dieses Duell wirklich den Ausgang der ganzen Schlacht entscheiden würde. Schon jetzt mußten die Offiziere auf dem unteren Batteriedeck der Sultane begriffen haben, was vorging, und ihre Leute in den Kampf gegen die Enterer werfen.
Mit hellem Klang schlugen die Klingen aneinander. In plötzlicher Klarsicht erinnerte sich Bolitho an seinen Vater, der ihn mit dem Säbel, den Remond jetzt führte, das Fechten gelehrt hatte.
Drohend bedrängte ihn Remonds Nähe, er roch seinen Schweiß, als die Säbel sich am Heft verhakten; dann stieß er den Gegner zurück und verschaffte sich wieder Luft.
Hinter ihm schluchzte jemand unbeherrscht auf. Das mußte Stir-ling sein, der wohl entgegen seinen Anweisungen hinter der Entermannschaft an Bord gekommen war, obwohl es ihn leicht das Leben kosten konnte.
Sie rechnen alle mit meinem Tod, dachte er.
Wie vorhin der Anblick des alten Familiensäbels in der Hand des Feindes brachte diese Erkenntnis ihn in Weißglut. Doch während er zuhieb und parierte, den Standort wechselte und den Gegner umkreiste, spürte er die Kraft seines Arms allmählich erlahmen.
Am Rand seines Blickfelds gewahrte er eine langsame Bewegung und stellte sich einen fließenden Moment lang vor, daß ein zweites französisches Schiff seine Odin jetzt von der anderen Seite her in die Zange nahm, wie sie es von Anfang an geplant hatten.
Aber dann verschlug es ihm fast den Atem. Dieser Schatten war kein Linienschiff! Er konnte nur die Phalarope sein! Während Odin sich in ihren übermächtigen Gegner verbissen hatte und Herricks Geschwader den Rest der französischen Streitmacht band, hatte Phalarope sich durch die Schlachtlinie gekämpft, um ihm und Odin zu Hilfe zu kommen.
Bolitho schnappte nach Luft, als der Schutzbogen von Remonds Säbel ihn schmerzhaft an der Schulter traf. Er konnte ihn gerade noch zurückstoßen. Der andere hatte sein momentanes überraschtes Zögern ausgenützt und sah sich schon als Sieger.
Bolitho taumelte gegen die Hängemattsnetze, sein Säbel fiel klappernd aufs Deck. Vor sich sah er Remonds schwarze Augen, starr und erbarmungslos, an der gezückten Klinge entlangvisieren, deren Spitze genau auf sein Herz gerichtet war.
Da — ein ohrenzerfetzendes Krachen! Karronadenfeuer aus nächster Nähe verwandelte die eben noch erstarrte Szene auf dem Achterdeck in ein wildes Chaos. Phalarope hatte das ungeschützte Heck des französischen Flaggschiffs gequert und spie ihm ihre großkalibrigen Kartätschen durch die Heckfenster, daß der mörderische Hagel durch die ganze Länge des unteren Batteriedecks flog.
Das Schiff bäumte sich auf und schien auseinanderzubrechen. Vor Bolithos Augen barsten Metallsplitter und gehacktes Blei durch die Decksplanken und die Bordwand; manche fetzten wie riesige Hornissen als Querschläger durch die Luft. Und einer dieser Splitter traf Remond mitten im Ausfall zum Todesstoß.
Bolitho merkte, daß Allday ihm auf die Füße half, daß Remond auf dem Rücken lag, in Höhe des Magens aus einer faustgroßen Wunde blutend. Neben Bolitho erwachte ein englischer Seemann aus seinem Schockzustand, gewahrte den sterbenden Admiral zu seinen Füßen und hob das Entermesser, um seiner Qual ein Ende zu machen.
Aber Allday hatte Bolithos Gesichtsausdruck gesehen und fiel dem Mann in den Arm.»Langsam, Kamerad! Er hat genug. «Dann bückte er sich und entwand den Fingern des Sterbenden vorsichtig den alten Säbel der Bolithos.»Er dient eben nicht zwei Herren, Musjö. «Aber Remonds Blick war schon starr und ohne Begreifen.
Bolitho nahm die Familienwaffe in beide Hände und drehte sie langsam hin und her. Rund um ihn schrien seine Männer hurra und stürzten einander jubelnd in die Arme, nur Allday stand stumm und wachsam da, bis auch der letzte Franzose die Waffe weggeworfen hatte.
Bolitho sah Stirling an, der vor ihm lehnte, von einem unkontrollierbaren Zittern geschüttelt.»Wir haben gesiegt, Mr. Stirling.»
Der Junge nickte, aber sein starrer Blick verriet noch Benommenheit. Dieser große Augenblick verstrich, ohne daß er ihn im Geiste für den Brief an seine Mutter festhielt.
Ein junger Leutnant, dessen Gesicht Bolitho irgendwie bekannt schien, drängte sich durch die jubelnden Seeleute und Marinesoldaten. Er erkannte Bolitho und griff grüßend zum Hut.
«Gott sei gedankt, Sie leben, Sir!»
Bolitho musterte ihn eingehend.»Danke. Aber kamen Sie, mir das zu sagen?»
Der Leutnant starrte die Toten und Verwundeten an, das zerschossene Deck und die blutigen Spuren der Schlacht.
«Ich soll Ihnen melden, Sir, daß der Feind die Flagge gestrichen hat. Das heißt, alle Schiffe bis auf eines haben kapituliert. Es versucht, in die Loire zu entkommen, aber Nicator ist schon hinter ihm her.»
Bolitho mußte den Blick abwenden. Also ein Sieg, wie er nicht überwältigender hätte sein können. Mehr hätte selbst Beauchamp nicht erwarten dürfen.
Dann wandte er sich wieder dem Leutnant zu; der junge Mann mußte ihn ja für wunderlich halten.
«Von welchem Schiff kommen Sie?»
«Von der Phalarope, Sir. Ich bin Fearn, provisorischer Erster Offizier.»
Bolitho konnte ihn nur anstarren.»Provisorischer Erster?«Der Mann wich verwirrt zurück, aber Bolitho dachte jetzt nur an seinen Neffen.»Ist Leutnant Pascoe…?«Er konnte es nicht aussprechen.
Erleichtert atmete der Leutnant auf; also hatte er doch nichts falsch gemacht.
«O nein, Sir! Leutnant Adam Pascoe ist provisorischer Kommandant. «Er sah zum Batteriedeck hinunter, als sei ihm eben erst die Erkenntnis gekommen, daß er überlebt hatte.»Leider muß ich Ihnen mitteilen, daß Kapitän Emes gefallen ist, als wir durch die französische Linie brachen.»
Bolitho packte seine Hand.»Gehen Sie jetzt zurück an Bord und danken Sie der Besatzung von mir.»
Er begleitete den Leutnant auf dem Seitendeck bis zum Fallreep, unter dem ein Boot festgemacht war.
Dicht bei lag Phalarope beigedreht, mit zerschossenen Segeln, aber immer noch schußbereit ausgerannten Karronaden.
Ihm fiel wieder ein, was er nach der Schlacht bei den Saintes zu Herrick gesagt hatte, als sie über die anderen Schiffe sprachen.
«Sie ist nicht wie die anderen«, waren seine Worte gewesen. »Phalarope ist eine Klasse für sich.»
Adam brauchte er davon nichts zu erzählen. Denn wie Emes vor ihm, würde auch er das bald genug selbst herausfinden.
Er sah Allday mit der eingerollten französischen Flagge auf sich zukommen, die ihren Admiral überlebt hatte, nahm sie entgegen und reichte sie an den Leutnant weiter.
«Geben Sie das Ihrem Kommandanten, Mr. Fearn, und richten Sie ihm meinen Respekt aus. «Mit einem Blick auf den alten Säbel an seiner Seite fügte er hinzu:»Wir alle wollen diesen Tag in ehrenvoller Erinnerung behalten.»