«Machen Sie davon sechs Ausfertigungen und bringen Sie mir alle zum Unterzeichnen. «Bolitho sah Yovell über die Schulter und staunte wieder einmal — wie schon oft — , daß ein so großer Mann eine so winzige, gestochene Handschrift hatte.
Herrick saß auf der Bank unter den Heckfenstern und sah zu, wie sich der Rauch aus seiner langstieligen Pfeife kräuselte. Es war früher Nachmittag, und seit dem Augenblick, da der Anker gefallen war, hatten sie pausenlos gearbeitet.
Herrick überlegte.»Wenn man in der Admiralität Ihre Depeschen liest, weiß man dort ohne jeden Zweifel, daß wieder voll mit Ihnen zu rechnen ist, Sir. «Er lachte glucksend.»Ihre geplante Aktion gegen die Franzosen wird in Whitehall ein paar Köpfe rauchen lassen, möchte ich wetten.»
Bolitho ging unruhig in der Kajüte auf und ab und fragte sich, ob er an alles gedacht hatte. Inzwischen mußte Kapitän Inch mit seiner wieder instandgesetzten Odin von der Nore hinunter nach Plymouth gesegelt sein, um sich dort Verikers Indomitable anzuschließen; und Keens Schiff lag hier vor Gibraltar auf Reede, kaum eine Kabellänge von der Benbow entfernt. Sie waren schon anfangs nicht zahlreich gewesen, und nun waren sie noch weniger.
Das am Vormittag eingelaufene Postschiff hatte neben Depeschen für Sir John Studdart auch neue Befehle für Herrick an Bord gehabt, genau wie Bolitho vorausgesehen hatte. Herrick sollte mit Benbow, in Begleitung von Nicator und der Fregatte Ganymede, nach Plymouth zurücksegeln und den Oberbefehl über das Geschwader übernehmen, bis neue Befehle ergingen.
Wie den vielbeschäftigten Kurier-Briggs blieb auch den schnellen Postschiffen kaum Zeit im Hafen. Der Neuankömmling, die Thrush, mußte am nächsten Morgen wieder auslaufen, und Bo-lithos Depeschen hatten dann an Bord zu sein.
Ihren Lordschaften stand eine ziemliche Überraschung bevor, wenn sie erfuhren, daß er nicht nur am Leben war, sondern von seinem eigenen Flaggschiff gerettet wurde.
Der Sekretär packte seine Papiere zusammen und verließ schweren Schritts die Kajüte. Bolitho mußte ihn nicht erst zur Eile drängen, er wußte, daß Yovell alles rechtzeitig zur Unterschrift fertig haben würde.
Dabei fiel Bolitho wieder der eine unangenehme Punkt in Herricks neuen Anweisungen ein: Er sollte auf dem Weg Kontakt mit dem Blockadegeschwader vor Belle Ile aufnehmen und Kapitän Emes verständigen, daß er vor ein Kriegsgericht gestellt werden würde, sobald seine Phalarope erst abgelöst war.
Bolitho hielt diese Maßnahme für falsch und unfair — auch dann, wenn man bedachte, daß London noch nichts von der Befreiung des in Gefangenschaft geratenen Konteradmirals wußte.
Herrick andererseits blieb unbeirrt dabei, Emes' Verhalten zu verurteilen.
«Aber natürlich war es falsch von ihm, Sir. Immerhin überließ er Styx in einer kritischen Situation ihrem Schicksal und mißachtete Ihren Befehl, den Feind ins Gefecht zu verwickeln. Wenn ich dabeigewesen wäre, hätte ich Emes an Benbows Großrah aufgehängt und der Admiralität die Kosten eines Gerichtsverfahrens erspart!«Unter dem Heck zog langsam ein Boot voll singender Seeleute vorbei, die nach kurzem Landaufenthalt gut gelaunt auf ihr Schiff zurückkehrten. Bolitho sah ihnen nach. Sie pullten bestimmt zur Thrush, denn er hatte sich bereits vergewissert, daß binnen Wochenfrist kein anderes Schiff nach England auslief.
Also mußte Belinda sich auf der Thrush einschiffen, obwohl sie bei ihren alten Freunden aus Indien gut untergebracht war. Aber Gibraltar war nicht der richtige Aufenthaltsort für sie. Bolithos Geschwader würde so schnell wie möglich wieder in See stechen, und wenn das Schicksal sich gegen ihn wandte, nachdem es ihm bisher so günstig gesonnen gewesen war, dann gehörte Belinda nach Falmouth, wo man sie mit liebevoller Fürsorge über den Verlust hinwegtrösten würde.
Er gab seinem Steward Ozzard ein Zeichen, mehr Wein aus dem Kühler zu bringen, und sagte zu Herrick:»Also, Thomas, es gibt noch eine Sache, die ich besprechen möchte.»
Herrick klopfte seine Pfeife aus und machte sich in aller Ruhe daran, sie neu zu stopfen.
Ohne aufzublicken, sagte er:»Das haben Sie bereits getan, Sir, und meine Antwort ist die gleiche: Wegen der Teilung des Geschwaders wurde ich zum Kommodore ernannt, eine Beförderung, die noch der Bestätigung bedarf. An Ihrem Oberbefehl über das gesamte Geschwader, so wie es auch in Ihrer Order festgelegt ist, ändert das nichts. «Jetzt blickte er auf, aber seine blauen Augen lagen im Schatten.»Oder verlangen Sie von mir, daß ich wie Emes Fersengeld gebe, wenn ich am meisten gebraucht werde?»
Bolitho nahm von Ozzard zwei Weingläser entgegen und ging damit zu seinem Freund.
«Das ist Unsinn, Thomas, und Sie wissen es. Nicht das Risiko einer Schlacht macht mir Sorgen, sondern die Gefährdung Ihrer weiteren Karriere. Ich kann Sie mit einem anderen Verband zur Bewachung von Lorient abstellen. Dann bleibt Ihr Kommodorewimpel, wo er hingehört, nämlich im Masttopp von Benbow. Herrgott, Mann, das haben Sie verdient — und mehr! Wenn Sie sich ans Reglement gehalten und Ganymede mit dem Franzosen allein gelassen hätten, dann wäre ich jetzt noch in Gefangenschaft. Glauben Sie, dafür bin ich Ihnen nicht dankbar? Aber wenn meine Befreiung mit dem Ausbleiben Ihrer Bestätigung als Kommodore erkauft werden soll, dann scheint mir das ein schlechter Tausch.»
Herrick blieb fest.»Ich habe in Plymouth nicht auf das Eintreffen meines neuen Flaggkapitäns gewartet, sondern bin vorher ausgelaufen, weil ich mein Kommando über ein Linienschiff wie die Benbow nur als Zwischenlösung betrachtete. Ich bin Kapitän und werde es bleiben, bis man mir eines Tages den Stuhl vor die Tür setzt. «Grinsend fügte er hinzu:»Und was eine gewisse Lady betrifft, so wäre letzteres ihr wahrscheinlich am liebsten.»
Bolitho ließ sich schwer auf die Bank sinken und musterte Herrick ernst.»Und wenn ich es Ihnen dienstlich befehle, Thomas?»
Herrick hielt einen Fidibus an seine Pfeife und paffte gemächlich.
«Na ja, Sir, dann würde sich alles finden. Aber bedenken Sie, wenn Sie mich aus dem Geschwader ausgliedern, bevor Sie es zu einem Angriff führen — der aller Voraussicht nach sowieso vorher abgeblasen wird — , dann könnten Ihre Lordschaften diese Maßnahme als Mangel an Selbstvertrauen interpretieren. «Trotzig hielt er Bolithos Blick stand.»Da meine Beförderung also in jedem Falle auf dem Spiel steht, bleibe ich schon lieber hier bei Ihnen.»
Bolitho mußte lächeln.»Himmel, Thomas, Sie sind fast so stur wie Allday.»
«Freut mich. «Herrick griff nach seinem Weinglas.»Soviel ich weiß, ist Allday der einzige, der Sie zur Vernunft bringen kann. «Er grinste.»Mit allem Respekt gesagt, Sir.»
Bolitho erhob sich und trat vor das Gestell mit den Säbeln.»Manchmal frage ich mich, Thomas, was aus meiner alten Waffe geworden ist. «Er straffte sich.»Mir ist nichts geblieben. Sie haben mir sogar die Taschenuhr abgenommen.»
Herrick nickte.»Also ein ganz neuer Beginn. Das hat auch sein Gutes.»
«Vielleicht.»
«Wie dem auch sei«, fuhr Herrick fort,»lassen Sie uns so bald wie möglich auslaufen, diese elende Warterei schadet nur. «Doch als Bolitho schwieg, nickte er.»Verstehe, Sir. Dieses eine Mal eilt es Ihnen nicht mit dem Abschiednehmen. Was ich Ihnen bestimmt nicht verübeln kann.»
Bolitho nahm den glänzenden Prunksäbel von der Wand und wog ihn nachdenklich in den Händen, während ihm selbstquälerische Gedanken durch den Kopf gingen.
Herrick wollte ihn ablenken.»Eine Menge anständiger Leute haben Ihnen mit dieser Ehrengabe zeigen wollen, daß sie auf Ihrer Seite stehen. Genau wie ich. Also fürchten Sie nichts. Wir halten zu Ihnen, ganz gleich, was kommt. «Damit erhob er sich etwas zu abrupt und mußte sich an der Bank abstützen. Er grinste.»Ziemlicher Seegang heute, Sir.»
Bolitho beobachtete ihn; wie immer rührte ihn Herricks Ernsthaftigkeit.
«Die See ist ruhig wie ein Dorfteich, Thomas. Nein, es liegt am Wein.»
Herrick besann sich auf seine Würde und schritt zur Tür.»Und warum auch nicht, Sir? Ich habe Grund zum Feiern.»
Bolitho sah ihm nach und murmelte:»Gott segne dich dafür, Thomas.»
Browne mußte schon draußen gewartet haben; er trat jetzt ein, und Bolitho bat ihn:»Machen Sie dem Kapitän der Thrush einen Besuch, Oliver, und arrangieren Sie die Rückreise für — «, er wandte sich ihm zu — ,»für die Lady des Admirals. Vergewissern Sie sich, daß sie gut aufgehoben sein wird. Sie sind darin geschickter als jeder andere.»
Brownes Gesicht blieb ausdruckslos, als er sagte:»Die Thrush läuft schon morgen aus, Sir. In aller Frühe.»
«Das weiß ich.»
So weit war Belinda gereist, getrieben von der kaum zu rechtfertigenden Überzeugung, daß er noch am Leben sei. Und jetzt schickte er sie mit dem nächsten Schiff fort. Aber er spürte, daß er recht daran tat, daß sie ihn verstehen würde.
In einem plötzlichen Impuls sagte er:»Ich gehe an Land. Meine Bootscrew soll sich bereithalten. «Er sprach so schnell, als wolle er jedem Gegenargument zuvorkommen.»Wenn Sie mich brauchen, ich bin…«Er zögerte.
Browne reichte ihm seinen Hut und den Standardsäbel, mit dem Herrick ihn ausgestattet hatte.
«Ich verstehe, Sir. Überlassen Sie ruhig alles mir.»
Bolitho schlug ihm auf die Schulter.»Wie bin ich nur früher ohne Sie ausgekommen?»
Browne folgte seinem Admiral an Deck, und während die Pfeifen schrillten und die Bootscrew zusammentrat, erwiderte er:»Das beruht auf Gegenseitigkeit, Sir.»
Als die Barkasse dann zügig aus dem Schatten der Benbow pullte, blickte Bolitho zum Gewirr ihrer Rahen, Stagen und Wanten empor und zur würdevollen Galionsfigur, einem Porträt von Admi-ral Sir John Benbow. Der war seinen Verletzungen erlegen, nachdem er von einigen seiner Kommandanten verraten worden war.
Bolitho dachte an Herrick und Keen, an Inch und an Neale, der seine Loyalität mit dem Leben bezahlt hatte.
Wenn Admiral Benbow solches Glück wie er gehabt hätte, wäre die Geschichte anders ausgegangen.
Allday blickte auf Bolithos gerade Schultern hinab und auf den schwarzen Zopf über dem goldbetreßten Kragen. Wenn es um eine Frau ging, sinnierte er, waren alle gleich, Admiral wie Matrose.
Das Zimmer war klein, aber gemütlich, und nur die dicken Außenwände verrieten, daß es in der Festung von Gibraltar lag. An der Wand hingen Porträts und anderer Zierat und erinnerten daran, daß hier sonst Agenten der Handelskompanie übernachteten, wenn sie der Garnison von Gibraltar einen Besuch abstatteten.
Leise sagte Bolitho:»Ich dachte schon, sie würden uns nie allein lassen.»
Er hatte die Barclays erst vor kurzem kennengelernt, sah das Ehepaar aber schon als Einheit, nicht als zwei verschiedene Menschen.
Belinda griff lächelnd nach seiner Hand.»Es sind nette Leute, Richard. Aber für sie…»
Er legte ihr den Arm um die Taille, und sie traten zum Fenster. Die Sonne war schon über den Felsen hinweggewandert, unter ihren schräg einfallenden Strahlen wirkten die in regelmäßigen Abständen auf dem dunkelblauen Wasser der Reede ankernden Kriegsschiffe wie Spielzeug. Nur hier und da zog ein schnell gerudertes Boot sein pfeilförmiges weißes Kielwasser über die Bucht und zeugte für den unermüdlichen Dienstbetrieb in der Flotte.
Belinda legte den Kopf an seine Schulter und murmelte:»Von hier oben sieht die Thrush so winzig aus. «Sie ließ den Blick zur Benbow schweifen, die an der Spitze der verankerten Schiffe lag.»Wenn ich bedenke, daß du diese vielen Männer und Schiffe befehligst, kommt es mir vor, als hätte ich zwei Menschen in einem Mann vor mir.»
Bolitho trat hinter sie und fühlte ihr Haar auf seinen Lippen. Endlich waren sie allein. Auf diesem überfüllten, künstlich geschaffenen Außenposten hatten sie ein Plätzchen gefunden, wo sie für sich sein konnten. Es kam ihm vor, als blicke er auf den Rest der Welt, ja auf sein anderes Ich aus großer Höhe hinab.
Belinda hatte recht. Dort unten war er Oberbefehlshaber, ein Mann, der mit einem einzigen Flaggensignal über Leben und Tod vieler Menschen entscheiden konnte. Aber hier oben war er nur er selbst.
Sie lehnte sich enger an ihn.»Wenn du Gibraltar verläßt, dann gehe ich auch. Ich bin froh, daß jetzt alles arrangiert ist. Sogar meine neue Zofe Polly freut sich auf die Reise, weil sie hofft, Allday wiederzusehen. Er hat ihr den Kopf verdreht.»
«Ich möchte so vieles mit dir besprechen, Belinda. Wir sehen uns nur so kurz, und bald.»
«Bald sind wir wieder getrennt, ich weiß. Aber ich will einfach nicht daran denken. Wenigstens nicht in den nächsten Stunden. «Bolitho spürte, daß sie sich versteifte.»Wird es denn sehr gefährlich werden? Und bitte, schone mich nicht. Du weißt, jetzt kannst du mir die Wahrheit sagen.»
Bolitho blickte an ihrem Kopf vorbei zu den Schiffen hinaus, die träge an ihren Ankertrossen schwojten.
«Wir werden kämpfen müssen. «Für ihn war es eine neue Erfahrung, mit einem Menschen über seine Gefühle sprechen zu können.»Man wartet und wartet, versetzt sich an die Stelle des Feindes, und wenn es dann schließlich zum Gefecht kommt, ist plötzlich alles anders. Die Leute zu Hause glauben, daß Seeleute für König und Vaterland kämpfen und um ihre Lieben daheim zu schützen. Das stimmt natürlich auch. Aber wenn die Kanonen brüllen und das feindliche Schiff wie ein Zerrbild des Teufels vor dir aus dem Rauch auftaucht, plötzlich so nahe, daß du es fast berühren kannst, dann denkst du nur an den Mann neben dir. Ein Kamerad schreit nach dem anderen, denn was Seeleute verbindet, das ist stärker als abstrakte Symbole und Begriffe einer Welt jenseits ihres Schiffes.»
Er spürte, daß sie aufschluchzte, und erschrak.»Vergib mir, das hätte ich nicht sagen dürfen.»
Sie schüttelte den Kopf.»Nein, ich bin stolz darauf, wenn ich es mit dir teilen darf. Dann fühle ich mich eins mit dir.»
Er ließ seine Hände höher gleiten und spürte, wie sie zusammenfuhr, als er ihre Brüste berührte.
«Belinda, du mußt mir zeigen, wie man liebt. Ich lebe jetzt schon so lange auf See, in dieser Männerwelt, daß ich mich davor fürchte, etwas falsch zu machen. Ich könnte dich verstören.»
Sie antwortete zunächst nicht, aber als er sie an sich zog, konnte er ihren Herzschlag spüren. Dann flüsterte sie so leise, daß er sich zu ihr hinabbeugen mußte:»Ich habe es dir ja schon gesagt: Ich sollte mich eigentlich dafür schämen, daß ich mich so nach dir sehne. «In seinen Armen drehte sie sich um und sah zu ihm auf.»Aber ich schäme mich nicht.»
Bolitho küßte ihren Hals, wußte, er mußte sich beherrschen, konnte es aber nicht. Belinda streichelte sein Haar und stöhnte leise auf, als sein Mund ihre Brüste streifte.
«Ich brauche dich, Richard«, flüsterte sie.»Wir wissen beide nicht, was morgen sein kann. «Als er protestierend den Kopf hob, sagte sie mit festerer Stimme:»Glaubst du, ich begnüge mich mit der Erinnerung an die Umarmungen meines toten Mannes, wenn ich doch nur dich will? Wir haben beide schon geliebt und sind geliebt worden, aber das gehört jetzt der Vergangenheit an.»
Er nickte.»Es zählt nicht mehr.»
Sie griff nach seiner Hand.»Uns ist so wenig Zeit vergönnt, mein Liebster«, sagte sie mit abgewandtem Blick. Doch dann warf sie mit der trotzigen Bewegung, die Bolitho lieben gelernt hatte, das Haar in den Nacken und zog ihn mit sich fort wie ein mutwilliges Kind, zum verhängten Alkoven in der anderen Ecke des Zimmers.
Bolitho schob die Bettvorhänge zurück und sah ihr zu, wie sie mit ungeduldigen Händen ihr Kleid abstreifte. Dann holte sie tief Luft und wandte sich ihm zu, die nackten Schultern vom offenen Haar verhüllt.
Bolitho strich über ihren Hals und schob die Haarsträhnen auf ihren Rücken. Dann hob er sie auf und legte sie so langsam und vorsichtig auf das Bett, als wolle er jeden Moment auskosten.
Gleich darauf lag er neben ihr, spürte ihre Haut und suchte ihren Blick, als gelte es, gemeinsam etwas Neues zu entdecken.
Dann schob er sich über sie und sah, daß ihre Augen ihm folgten, während zu beiden Seiten ihre Hände sich zu Fäusten ballten, als könne sie die Qual des Wartens nur mit Mühe ertragen.
Auf dem Boden vor dem Bett lagen in einem bunten Haufen ihr blaues Kleid, ihre hellere Unterwäsche und Bolithos dunkler Rock mit den glänzenden Goldepauletten, überflüssig und vergessen wie die Schiffe unten vor dem Fenster.
Sie verloren jedes Zeitgefühl und empfanden nur die Gegenwart des anderen, kosteten voll Zärtlichkeit und Ungestüm, voll Leidenschaft und Behutsamkeit ihre Liebe aus.
Der Abend senkte sich über die Reede, aber sie merkten nichts davon, ebenso wie es ihnen völlig entgangen wäre, hätte der Felsen von Gibraltar sich plötzlich in zwei Teile gespalten.
Erst im schwachen grauen Schimmer des nahenden Morgens erhob sich Bolitho vorsichtig und ging zum Fenster.
Unten tanzten einige spärliche Lichter auf und ab und signalisierten seinen langsam erwachenden Sinnen, daß das Leben außerhalb ihres Zimmers weitergegangen war. Die Schläfer in den Hängematten waren geweckt worden, die Decks wurden gescheuert, und die gähnenden Wachgänger warteten ungeduldig darauf, daß die Sanduhren umgedreht wurden und ihre Ablösung erschien. Helles Glasen begrüßte den neuen Tag.
Er hörte Belinda sich hinter ihm bewegen und wandte sich wieder dem Bett zu, auf dem sie selbstvergessen lag, einen Arm quer über die Kissen ihm entgegengestreckt.
Er ließ sich neben ihr nieder und spürte seine guten Vorsätze verfliegen, als sein Verlangen nach ihr zurückkehrte. Er strich über ihre nackte Haut und fühlte, daß ihre Sehnsucht nach ihm ebenso groß war.
In der Ferne blies eine helle, schmetternde Trompete die Reveil-le. Bolitho sagte weich:»Ich muß gehen, Belinda. Deine Freunde werden bald kommen, um dir beim Packen zu helfen.»
Sie nickte.»Die Barclays.»
Tapfer versuchte sie zu lächeln, aber als er sie streicheln wollte, faßte sie nach seiner Hand und drückte sie an ihre Brust.
«Ich bin nicht so stark, wie ich dachte«, sagte sie mit abgewandtem Gesicht.»Je früher du aufbrichst, desto eher sehen wir uns wieder. Daran will ich denken.»
Bolitho konnte den Blick nicht von ihr wenden.»Du bist ein Glück für mich. Falls wir.»
Sie richtete sich auf.»Nicht >falls<, mein Liebster, sondern >wenn<. Wenn wir uns wiedersehen…»
Er lächelte und machte sich vorsichtig von ihr frei.»Ja, wenn. Das klingt besser.»
Dann kleidete er sich schnell an und wandte sich ihr erst wieder zu, nachdem er seine Säbelscheide eingeklinkt hatte. Sie warf die Arme um ihn und zog ihn zu sich herab, preßte sich nackt an seinen rauhen Uniformrock und küßte ihn mit verzweifelter Inbrunst. Er spürte Salzgeschmack auf seinen Lippen, ob von ihren oder von seinen Tränen, konnte er nicht sagen.
Als er sich schließlich erhob, kam sie nicht mit zur Tür, sondern blieb mit bis zum Kinn angezogenen Beinen auf dem Bett sitzen und starrte ihm mit brennenden Augen nach.
Heiser sagte sie:»Jetzt bist du wieder der Admiral und gehörst den Schiffen da unten. Aber heute nacht hast du mir gehört, Richard.»
Die Hand auf der Klinke, blieb er stehen.»Ich werde immer dir gehören.»
Im nächsten Augenblick stand er draußen auf dem Gang und kam sich vor wie aus einem Traum erwacht.
Im Hof unten hackten zwei Diener Feuerholz, und eine Garnisonskatze schlich geduckt über die Pflastersteine, als wolle sie sich vor dem nahenden Morgen verstecken.
Ohne nach links oder rechts zu blicken, schritt Bolitho bergab, bis er die Pier erreicht hatte.
Erst dann wandte er sich um und blickte zurück, aber der Schatten des Gibraltarfelsens hatte das kleine Haus oben schon verschluckt.
Ein Wachboot fuhr langsam an der Pier vorbei, der Leutnant döste im Heck, während seine Crew das Boot mit monotonem Schlag auf seiner Ronde weitertrieb. Als Bolithos Epauletten im ersten Sonnenlicht glitzerten, fuhr der Leutnant hellwach in die Höhe.
Während er dann sein Boot zum Flaggschiff des Geschwaders dirigierte, stellte er die wildesten Spekulationen über seinen ranghohen Fahrgast an. Der Admiral war zu einem Geheimtreffen mit dem Militärgouverneur an Land gewesen. Oder er hatte we i-sungsgemäß mit dem Feind Friedensverhandlungen geführt, über die noch nichts bekannt werden durfte.
Bolitho blieb das Interesse des Leutnants ebenso verborgen wie der Rest seiner Umgebung; in Gedanken war er noch völlig bei dieser Nacht, die ihm nur Minuten gewährt zu haben schien. Und er hatte sich für einen Mann von Ehre gehalten! Eigentlich hätte er beschämt und reuig sein müssen, aber auf diese Gefühle wartete er vergebens. Statt dessen fühlte er sich nur so glücklich und erleichtert, als sei eine große Last von ihm genommen.
«Boot ahoi?»
Der Anruf ließ Bolitho auffahren, überrascht sah er den turmhohen Umriß seines Flaggschiffs vor sich aufragen. Oben auf dem Katzensteg stand ein Marinesoldat mit aufgepflanztem Bajonett
Wache, um unrechtmäßige Besucher ebenso abzuschrecken wie eventuelle Deserteure.
«Zur Benbow! Der Admiral!«rief der Bootsmann zurück.
Bolitho straffte die Schultern und grinste verlegen. Jetzt würden alle Bescheid wissen: Ihr Oberbefehlshaber kehrte nach einer an Land verbrachten Nacht wieder an Bord zurück.
Aber so leicht konnte er sie nicht abtun. Belinda.
«Sir?«Der Leutnant nahm aufmerksam Haltung an.
Bolitho schüttelte den Kopf.»Nichts weiter. «Hatte er ihren Namen laut ausgesprochen?
Sir John Studdart hatte schon recht gehabt, als er ihn gerügt hatte; er benahm sich wirklich wie ein junger Leutnant.
Aber warum auch nicht? Schließlich fühlte er sich so.
Herrick trat aus dem Schatten der Hütte und nickte dem Master und seinen Rudergängern am großen Rad zu, bevor er weiter aufs Hüttendeck hinaufstieg. Gewohnheitsmäßig und fast unbewußt schweifte sein Blick prüfend über das Schiff, vergewisserte sich, daß alles so war, wie es sein sollte an diesem Morgen, der einen heißen Tag versprach.
Auf den Webeleinen und den Fußpferden der Rahen schwärmten eifrige Toppsgasten aus, von den heiseren Rufen der Unteroffiziere zu noch größerer Eile angetrieben.
Herrick blieb an der Querreling stehen und blickte über das Deck hinweg nach vorn. Die Admiralsbarkasse ruhte wieder festgelascht auf ihren Rungen, die anderen Boote ebenso. Über dem ganzen Schiff hing eine Atmosphäre der Erwartung und Aufregung, die von der Bordroutine und einer eisernen Disziplin nur ungenügend verdeckt wurde.
Wolfe kam mit großen schweren Schritten quer übers Hüttendeck auf Herrick zu und griff grüßend an seinen Hut.»Klar zum Segelsetzen, Sir«, meldete er. Er blickte sich nach ihrem Begleitschiff um.»Und ich glaube, diesmal sind wir schneller als die Nicator.»
«Das will ich doch verdammt noch mal gehofft haben«, grunzte
Herrick.
Unter ihnen auf dem Batteriedeck hasteten Seeleute auf ihre Stationen, Befehle gellten und Fäuste hoben sich, entsprechend den von der Wachrolle abgelesenen Namen.
Benbow machte klar zum Auslaufen. Bei anderen Gelegenheiten sah man selten fast die gesamte Besatzung auf den oberen Decks: Matrosen und Seesoldaten, Schiffsjungen und Freiwächter, die höchsten Dienstgrade neben den niedrigsten. Das Schiff stach wieder in See, mit welchem Ziel und zu welchem Zweck, das war nicht ihr Problem.
Wie jeder erfahrene Erste Offizier ging Wolfe im Geiste die Liste seiner Arbeiten durch, die er an diesem Tag erledigen mußte. Ob auf See oder im Hafen, das Schiff verlangte seine ganze Aufmerksamkeit, und außerdem mußte er den Kommandanten auf dem laufenden halten.
«Zwei Mann sind heute vormittag fällig zur Bestrafung, Sir. Der Matrose Page erhält zwei Dutzend Hiebe für Trunksucht und Rauferei. «Wolfe blickte von seiner Liste hoch und sah Herrick an.»Und ein Dutzend für Belcher, wegen Aufsässigkeit. «Zufrieden faltete er seine Liste zusammen.»Alle Mann sind an Bord, keine Deserteure.»
«Sehr gut. Dann bemannen Sie das Ankerspill. Bringen Sie das Schiff in Fahrt.»
Herrick ließ sich von einem Midshipman sein Teleskop reichen und richtete es auf die mit achtzig Kanonen bestückte Dorsetshi-re. Sir John Studdart dort drüben hatte keine Einwände mehr geltend gemacht, wahrscheinlich wollte er sich aus der ganzen Sache weise heraushalten. Jeder, der Bolitho öffentlich unterstützte oder sein Vorgehen gegen die feindliche Invasionsflotte förderte, mochte bei einem Mißlingen mit ihm den Wölfen vorgeworfen werden. Herrick lächelte grimmig. Als ob irgendwer Bolitho jetzt noch aufhalten könnte! Er blickte nach oben und sah die Flagge im Besantopp in der frischen Morgenbrise steif auswehen. Die Sache war entschieden. An Dulcie und ihre Reaktion, wenn sie hörte, daß er seinen Kommodorewimpel wieder abgeben mußte, wollte er lieber nicht denken.
Wolfe sprach ihn an.»Ich war heute morgen früh auf, Sir, und sah den Admiral an Bord kommen.»
Herricks blaue Augen musterten ihn nachsichtig.»Na und?»
Wolfe zuckte die Achseln.»Nichts weiter, Sir. «Dann schluckte er.»Das Ankerspill ist bemannt, aber der Fiedler kratzt wieder zum Steinerweichen. Ich sehe vorn besser nach dem Rechten.»
Herrick unterdrückte ein Lächeln. Natürlich war ihm Bolithos Rückkehr am frühen Morgen nicht entgangen. Und mit ihm wußte wahrscheinlich das ganze Schiff den Grund dafür oder ahnte ihn wenigstens. Aber so war es eben an Bord: Man teilte die schönen Erlebnisse miteinander ebenso wie die schlimmen. Mit lautem Klicken drehte sich das Ankerspill, die Männer stemmten sich in die Handspaken, bis sie schwitzten und keuchten, während der Fiedler ihnen mit einem alten Shanty den Rhythmus vorgab.
Die lose aufgegeite, große Breitfock begann sich an ihrer Rah zu rühren, und auch auf den anderen Rahen legten die flinkfüßigen Toppsgasten um die Wette aus und machten die anderen Segel auf Wolfes durch die Sprechtrompete gerufene Kommandos zum Setzen klar.
Über das glitzernde Wasser hinweg sah Herrick, daß auf der Nicator die gleiche Betriebsamkeit herrschte. Er freute sich, daß das Geschwader bald wieder in alter Geschlossenheit segeln würde. Zum letzten Mal? Es fiel ihm schwer, sich nach den vielen Kriegsjahren einen Frieden vorzustellen.
Er wandte sich um, weil er Schritte kommen hörte, und gewahrte Bolitho mit Browne wie einen Schatten hinter sich. Sie begrüßten einander formell, und Herrick meldete:»Keine neuen Anweisungen vom Flaggschiff, Sir. Der Anker ist kurzstag, und das Wetter scheint gut zu werden. Ganymede ist Ihrem Befehl entsprechend um acht Glasen ausgelaufen und geleitet das Postschiff Thrush auf See hinaus. «Er beobachtete Bolitho.
Aber dieser nickte nur.»Danke. Ich sah sie auslaufen. Gany-mede wird lange vor uns zum Rest des Geschwaders stoßen.»
Herrick meinte:»Ich würde ja gern Adam Pascoes Gesicht sehen, wenn er erfährt, daß Sie überlebt haben. Ich weiß noch, wie ich auf diese Nachricht reagierte.»
Bolitho wandte sich nach dem anderen Vierundsiebziger um. Aber im Geist sah er die kleine Thrush wieder die Reede verlassen und nur Minuten nach dem Verstauen ihres Ankers die braunen Segel setzen. Wahrscheinlich hatte Belinda drüben ebenso nach der Benbow ausgespäht.
Der Signalfähnrich meldete:» Nicators Anker ist kurzstag, Sir!»
«Danke, Mr. Stirling. Bestätigen.»
Browne interessierte sich plötzlich intensiv für einen Matrosen, der neben ihm eine Leine teerte. Denn Herrick hatte höflich gefragt:»Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit verlaufen, Sir?»
Bolitho musterte ihn ausdruckslos.»Das ist es, Kapitän Herrick.»
Plötzlich grinsten sie einander an wie Verschwörer, und Herrick fügte hinzu:»Ich wünsche Ihnen beiden viel Glück, Sir. Mein Gott, als.»
«Klar, Sir!»
Wolfes rauhe Stimme ließ Herrick an die Reling eilen.»Vorsegel los!«Dann deutete er nach oben.»Und Bramsegel los!»
Mit knallenden Segeln, ein Bild der Unordnung, wurde Benbow kurz vom Wind herumgedrückt; der füllige Rumpf tauchte in Lee tiefer ins Wasser, als sie unter dem Segeldruck krängte.
Aber dann:»Hol dicht die Brassen!«kam das Kommando.»Hievt, Leute, hievt!»
Jetzt wurde die Drehung kontrollierter, immer schneller schwangen der Uferstreifen und die dunstverhüllten Hügel vor dem Bug herum, bis der Master mit Ruder und Kompaß System in die Bewegung brachte.
Drüben legte sich Nicator in der auffrischenden Brise über und setzte mehr Segel. Ihre rote Nationalflagge und der Masttoppwimpel wehten fast dwars aus, als sie ihre Station neben dem Flaggschiff einnahm.
«Die Spanier haben unsere Ankunft beobachtet«, resümierte Bo-litho.»Jetzt können sie auch unseren Aufbruch weitermelden. «Er warf einen Blick zum Land hinüber, sah aber nur das stille kleine Zimmer vor sich und Belindas weiße Arme.
Er schritt nach Luv hinüber und lauschte dem Kommandogebrüll, dem Quietschen der Taljen und Blöcke, als Wind- und Schwerkraft auf die vielen Meilen laufenden Guts einzuwirken begannen.
Vorn am Bug war der Anker wieder sicher an seinen Kranbalken gekettet worden; Dodge, der Artillerieoffizier, bellte Anweisungen, während er mit seinen Männern die Laschings an jeder Kanone überprüfte.
Ein Bootsmannsmaat ließ am Niedergang eine Gräting aufrig-gen, auf der nachher der Delinquent für die Prügelstrafe festgebunden werden sollte. Dabei bewies er die gleiche Gemütsruhe wie der Gehilfe des Segelmachers, der weiter vorn einen Haufen Tuch durchsah. Alles war Routine und Drill; sie hielten das Schiff genauso fest zusammen wie Kupfer und Teer.
Allday verschwand mit seinem neuen Entermesser durch eine Luke unter Deck; wahrscheinlich wollte er es schärfen. Wem mochte jetzt wohl Alldays altes Entermesser gehören? überlegte Bolitho. Er hatte es mit solcher Wut in den Sand gestoßen, als sie gefangengenommen wurden. Allday schien Bolithos Blick zu spüren und wandte sich nach dem Achterdeck um. Mit einem kleinen Lächeln für Bolitho und Herrick tippte er grüßend an die Stirn.
Einige Midshipmen umstanden einen der Achtzehnpfünder auf dem oberen Batteriedeck und ließen sich von einem jüngeren Leutnant erklären, wie die Mannschaft bei Ausfall eines Kameraden die Positionen zu wechseln hatte, damit beim Laden und Abfeuern keine Verzögerung eintrat. Der Leutnant sprach mit besonders autoritärem Ton, denn er war sich der über ihm aufragenden Gestalt seines Admirals wohl bewußt. Bolitho mußte lächeln: Der Junge war kaum ein Jahr älter als die Kadetten, die er unterwies.
Aus dem Kombüsenschornstein stieg Rauch auf; dort unten machte der Koch wohl das Beste aus der knappen Frischnahrung, die er bei ihrem kurzen Gibraltaraufenthalt hatte ergattern können.
Während Bolitho so das Gewimmel an Deck beobachtete, das ihn an einen Marktplatz erinnerte, fiel ihm wieder der Rat des Vizeadmirals ein, sich seinem Rang entsprechend fernzuhalten und nicht in die Angelegenheiten niedriger Dienstgrade einzugreifen.
Der Bootsmannsmaat rannte an Bord herum und übertönte mit seiner schrillen Pfeife die Geräusche von Wind und Wellen.
«Alle Mann! Alle Mann an Deck als Zeugen der Bestrafung!»
Herrick stand an der Reling, die Kriegsartikel unter den Arm geklemmt und das Kinn tief in sein Halstuch gedrückt, während Matrosen und Seesoldaten in Scharen nach achtern strömten. Bolitho kehrte zur Hütte zurück. Ich kann mich aber nicht fernhalten, dachte er. Es läßt sich nun mal nicht ändern, daß ich mich selbst betroffen fühle.
Browne folgte ihm durch den halbdunklen Gang, an dem steifen Wachsoldaten vorbei in die Kajüte und schloß die Tür.»Kann ich etwas für Sie tun, Sir?»
Bolitho reichte Ozzard seinen Uniformrock und lockerte Hemdkragen und Halstuch.
«Ja, Oliver. Schließen Sie das Oberlicht.»
Sicher war Strafe notwendig, aber das Klatschen, mit dem die neunschwänzige Katze auf den nackten Rücken eines Mannes niedersauste, war ihm deshalb nicht weniger verhaßt. Er ließ sich auf die Heckbank sinken und starrte zur Nicator hinüber, deren hoher Umriß nach der Wende dem Flaggschiff gehorsam auf dem neuen Schlag folgte.
«Ihr Sekretär wartet mit Papieren, die offenbar Ihre Unterschrift erfordern, Sir«, meldete Browne.»Soll ich ihn wegschicken?»
Bolitho seufzte.»Nein, lassen Sie Yovell vor. Ich kann die Abwechslung brauchen.»
Über ihnen hob und senkte sich die Peitsche im hellen Sonnenlicht über dem Rücken des ersten Delinquenten. Die Mannschaft sah mit leeren Blicken zu, und nur die näheren Freunde des Bestraften wandten die Augen ab, vielleicht aus Scham.
Nach dem Strafvollzug wurde die Gräting wieder abgebunden, die Leute wurden zum Mittagessen gerufen, das sie mit einem großen Krug Bier hinunterspülten.
Die beiden Delinquenten wurden ins Schiffslazarett hinuntergeschafft, wo man die Striemen auf ihren Rücken versorgte und ihr Selbstbewußtsein mit einer großen Portion Rum aus dem Giftschrank des Arztes wiederherstellte.
Bolitho saß an seinem Schreibtisch, endlich allein in der Kajüte, und hatte einen Bogen Briefpapier vor sich liegen. Der Brief würde sie vielleicht nie erreichen, aber das Schreiben half ihm, ihre Nähe zu spüren, während immer mehr Wasser sie trennte.
Er tauchte die Feder ein und begann zu schreiben:
>Meine geliebte Belinda, es ist erst wenige Stunden her, daß ich Dich verlassen mußte.<
Oben an Deck wurde das Licht schwächer, als die Sonne kupferrot hinter die Kimm sank. Herrick besprach die Reffs für die Nacht und die Notsignale, denn das Land war schon außer Sicht geraten; hier draußen mochte jedes fremde Segel einem Feind gehören.
Schließlich war die Benbow ein Kriegsschiff und konnte auf die zarteren Gefühle ihrer Insassen keine Rücksicht nehmen.