XIV Auf den Sieg!

Mit verschränkten Armen sah Bolitho zu, wie sein Flaggleutnant ein zweites Glas Brandy hinunterstürzte.

Grinsend sagte Herrick:»Das hatte er nötig, Sir.»

Browne stellte das Glas zurück und sah Ozzard wie einen Tänzer herbeischwänzeln, um es wieder aufzufüllen. Dann musterte er seine Hände, erstaunt, daß sie nicht zitterten, und sagte:»Es gab Momente, Sir, da glaubte ich, meine Fähigkeiten falsch eingeschätzt zu haben.»

«Sie haben sich gut gehalten.»

Bolitho erinnerte sich an seine Empfindungen, als ihm das Signal von Phalarope gemeldet worden war: Fischkutter gesunken, alle Insassen bis auf drei geborgen.

Jetzt trat er zum Tisch und legte die gespreizten Hände um das entscheidende Dreieck auf der Seekarte. Also hatte Remonds Geschwader den Hafen verlassen. Schließlich mußte er damit rechnen, daß es früher oder später entdeckt wurde. Offenbar wollten die Franzosen ihre Invasionsflotte vor dem Einsetzen der ersten Herbststürme nach Norden verlegen, an Englands Gegenküste am Kanal. Ihre Anwesenheit mußte die Position Frankreichs bei den laufenden Verhandlungen enorm stärken, besonders wenn man die stets kursierenden Invasionsgerüchte berücksichtigte.

Mit müder Stimme sagte Browne:»Mr. Searle von Rapid hat das meiste getan, Sir. Ohne ihn…»

«Ich sorge dafür, daß seine Rolle in meinem Bericht gebührend erwähnt wird. «Bolitho mußte lächeln.»Aber die eigentliche

Überraschung waren Sie. «Er grinste zu Herrick hinüber.»Besonders für gewisse Leute.»

Herrick zuckte die Achseln.»Also, Sir, jetzt wissen wir, daß der Feind ausgelaufen ist. Wie reagieren wir? Mit Angriff oder mit Blockade?«Bolitho marschierte in der Kajüte auf und ab. Das Schiff lag jetzt am Abend ruhiger, er sah den goldenen Sonnenuntergang als Spiegelbild auf den salzverkrusteten Heckfenstern. Alles schien ihn zur Eile zu drängen.

«Morgen vormittag rufe ich die Kommandanten zur Lagebesprechung zusammen, Thomas. Ich darf nicht länger warten.»

Stirnrunzelnd hörte er Stimmen im Vorraum und sah, wie Yovell den Kopf durch die Tür steckte. Es war doch unmöglich, auf einem Flaggschiff ungestört zu bleiben!

Sein Sekretär entschuldigte sich für die Störung.»Aber der Offizier der Wache läßt melden, daß eine Kurierbrigg gesichtet wurde. Indomitable hat schon Signalkontakt.»

Bolitho blickte wieder auf die Seekarte nieder. Mit Benbow konnte die Brigg erst bei Tageslicht am nächsten Morgen in Kontakt kommen. Immer stärker wuchs in ihm das Gefühl, daß ihm Entscheidungen aufgedrängt wurden.

«Danke, Yovell. «Und an Herrick gewandt:»Ich glaube, daß das französische Geschwader sich an seinem Ankerplatz in Bereitschaft hält. Sobald die Landungsboote erst von Lorient und den anderen Häfen an der Küste auslaufen, wird man Remond über unsere Absichten informieren, und zwar durch die optischen Telegraphen. Er kann sich bedeckt halten und seine Stärke erst dann zeigen, wenn er weiß, was ich beabsichtige.»

Verbittert meinte Herrick:»Der Verteidiger ist immer im Vorteil.»

Nachdenklich sah Bolitho ihn an. Herrick würde ihm notfalls bis in den Tod folgen, aber ganz offensichtlich war er gegen einen Angriff. Zugegeben, der französische Admiral hatte den unschätzbaren Vorteil, auf dem entscheidenden Küstenabschnitt über ein gut funktionierendes Nachrichtensystem zu verfügen. Sobald sich das britische Geschwader zum Angriff entschloß, konnte Remond aus Lorient, aus Brest oder sonstwoher Unterstützung anfordern, während er selbst sich auf Benbow und ihre Begleitschiffe stürzte.

Und genauso sicher war Bolitho, daß die unerwartete Kurierbrigg neue Befehle an Bord hatte. Die den Angriff vielleicht verhindern würden, ehe er begonnen hatte. Und das alles nur zu dem Zweck, die Demütigung einer eventuellen Niederlage zu umgehen, während irgendwo Geheimverhandlungen liefen.

Laut sagte er, ohne daß es ihm selbst bewußt wurde:»Schließlich hat niemand sie gezwungen, diesen Krieg zu führen. Aber jetzt sollte ihnen jemand Räson beibringen!»

Auch Herrick hatte offenbar über die Kurierbrigg nachgedacht.

«Wenn der Angriff abgeblasen wird, wenn wir sogar zurückgerufen werden, Sir, dann ersparen wir uns eine Menge. «Dickköpfig fuhr er fort:»Gerechtigkeit und Ehre sind keine Fremdwörter für mich, Sir. Aber mir ist auch klar, daß Ihre Lordschaften nur zweckdienlich denken.»

An Herrick vorbei sah Bolitho zu den Heckfenstern hin und bemerkte, daß der glühende Reflex des Sonnenuntergangs erloschen war.

«Das Kommandantentreffen findet wie geplant statt. Dann — «, er ließ Herrick nicht aus den Augen — ,»dann setze ich meine Flagge auf Odin.«Von Herricks Auffahren, seinem ungläubigen Gesicht ließ er sich nicht stören.»Langsam, Thomas. Denken Sie erst nach, ehe Sie protestieren. Odin ist das leichteste Linienschiff im Geschwader, sie hat nur 64 Kanonen. Denken Sie daran, daß Nelson bei Kopenhagen von der St. George auf die Elephant überwechselte, weil sie kleiner war und geringeren Tiefgang hatte. Für Aktionen in Küstennähe ist letzteres entscheidend. Beim bevorstehenden Angriff werde ich Nelsons Beispiel folgen.»

Herrick erhob sich, während Browne erschöpft sitzenblieb; sein Blick war von Müdigkeit und zuviel Brandy getrübt, als er die anderen beiden musterte.

Herrick konnte nicht länger an sich halten.»Das hat gar nichts damit zu tun. Bei allem Respekt, Sir — aber ich kenne Sie schon sehr lange und durchschaue Ihren Plan: Sie wollen, daß mein

Kommodorewimpel auf der Benbow weht, wenn wir ins Gefecht ziehen, so daß im Fall einer Niederlage nicht mich die Verantwortung trifft, sondern Sie! Genauso haben Sie Phalarope befohlen, in Küstennähe zu bleiben, damit dem Fischkutter nichts passierte.»

«Ja, Thomas, und es erwies sich auch als notwendig.»

Herrick gab nicht nach.»Aber das war nicht der wahre Grund, Sir! Sie taten es, um Emes noch mal eine Chance zu geben.»

Bolitho blieb gelassen.»Auf jeden Fall ist Odin das geeignetere Schiff, und damit Schluß! Jetzt setzen Sie sich wieder und trinken Sie aus, Mann. Außerdem muß ich das Geschwader aufteilen. Nur so können wir auch den Feind dazu bringen, sich zu zersplittern. «Er zögerte, weil er wußte, was er Herrick damit antat, aber es ging nicht anders.

Undeutlich murmelte Browne:»Das Gefängnis.»

Beide sahen ihn an, und Bolitho fragte:»Was ist damit?»

Browne erhob sich halb, sank aber wieder zurück.»Erinnern Sie sich, Sir? An unseren Spaziergang vor den Mauern. Die Franzosen hatten auf der Kirche einen Semaphor installiert.»

«Wollen Sie hinfahren und für unseren Sieg beten?«fragte Herrick wütend.

Browne schien ihn nicht gehört zu haben.»Wir kamen zu dem Schluß, daß er die letzte Station in der Telegraphenkette südlich der Loire war. «Er wollte mit der Faust auf den Tisch schlagen, zielte aber daneben.»Wenn er zerstört wird, ist das entscheidende Glied der Kette zerbrochen.»

Ruhig sagte Bolitho:»Das weiß ich. Ursprünglich hatte ich das auch vor. Aber es ist überholt. «Voll Zuneigung musterte er seinen Adjutanten.»Warum legen Sie sich nicht hin, Oliver? Sie müssen total erschöpft sein.»

Browne schüttelte den Kopf.»Das meine ich nicht, Sir«, sagte er heftig.»Admiral Remond ist entscheidend auf Informationen angewiesen. Und er weiß ganz genau, daß wir einen Nachtangriff nicht wagen werden. Ein Linienschiff käme nachts in diesen Gewässern keine Meile weit, ohne auf Grund zu laufen.»

«Ich ahne, was Sie mir vorschlagen wollen«, antwortete Bolitho.

«Aber das können Sie sich gleich aus dem Kopf schlagen.»

Browne taumelte hoch und zog die Seekarte über den Tisch zu sich heran.»Aber bedenken Sie doch, Sir! Die Kette wäre zerbrochen! Zwanzig Meilen weit oder mehr käme kein einziges Signal mehr durch. Das würde Ihnen die Zeit verschaffen, die Sie unbedingt brauchen. «Seine Beine knickten ein, er sank wieder auf seinen Stuhl zurück.

«Da komme ich nicht mit«, beschwerte sich Herrick.

«Es gibt dort einen kleinen Strand. «Bolitho sprach leise, weil die ganze Szene vor seinem inneren Auge wiedererstand: der kleine Festungskommandant und seine Soldaten, der Weg im Windschatten der Steilküste bergab, der einzig mögliche Landeplatz für das Boot der Ceres, das sie holen kam.»Von diesem Strand zum Kirchturm mit dem optischen Telegraphen ist es nicht weit. Aber erst muß man bis dahin kommen. Es wäre Irrsinn.»

«Ich könnte den Strand finden«, schlug Browne vor.»Den vergesse ich mein Lebtag nicht.»

«Aber auch wenn Sie das könnten. «Herrick blickte auf die Karte und dann in Bolithos Gesicht.

«Mache ich mir schon wieder zu viele Sorgen, Thomas?«Bolithos Ton war resignierend.»Neale hätte den Strand wiedererkannt, ich ebenfalls. Aber Oliver ist mein Adjutant, und ich habe sein Leben schon genug in Gefahr gebracht, auch ohne diesen irrsinnigen Plan.»

Grob antwortete Herrick:»John Neale ist tot, Sir, und diesmal können Sie nun wirklich nicht selbst gehen. Das Kapern des Fischkutters war Ihre Idee, und sie hat gute Früchte getragen, obwohl ich wette, daß Sie hinterher jede Menge Skrupel bekamen. «Er wartete auf den richtigen Moment wie ein erfahrener Stückmeister mit der Lunte.»Bei dieser Aktion heute nacht starben ein Marinesoldat und zwei gute Seeleute. Ich kannte sie, Sir, aber können Sie dasselbe behaupten?»

Bolitho verneinte.»Wollen Sie damit sagen, daß es mir deshalb nicht so nahegeht?«»Ich will damit sagen«, erwiderte Herrick nachdrücklich,»daß es Ihnen nicht so nahegehen darf, Sir. Der Tod dieser drei Männer trug mit dazu bei, daß wir jetzt einen geringen Vorteil haben. Wir wissen mehr über den Feind. Bei der Kommandantenbesprechung morgen werden alle derselben Meinung sein. Mit einer begrenzten Zahl von Menschenleben das Leben aller zu retten, ist das Los jedes Kommandanten. «Etwas milder setzte er hinzu:»Lassen Sie nur Freiwillige vortreten, dann melden sich bestimmt mehr Offiziere, als Sie brauchen können. Aber keiner davon kennt die kleine Bucht oder den Weg zum Semaphorenturm. Es ist ein großes Risiko, aber nur Mr. Browne hier kennt sich dort aus. «Traurig sah er zu dem erschöpften Flaggleutnant hinüber.»Wenn uns dieses Risiko einen weiteren Vorteil einbringt und die Chance, unsere Verluste geringer zu halten, dann müssen wir es eingehen.»

Browne nickte schwach.»Genau das meinte ich vorhin, Sir.»

«Ich weiß, Oliver. Aber haben Sie schon bedacht, wie groß Ihre Erfolgschancen sind im Vergleich zur Gefahr?»

«Er ist eingeschlafen, Sir. «Herricks Blick verweilte lange auf Browne.»Wie dem auch sei, es bleibt die einzig mögliche Entscheidung. Unsere einzige Chance.»

Bolitho musterte den schlafenden Leutnant, der die Beine weit von sich gestreckt hatte. Herrick hatte natürlich recht.

Der Kommodore griff grimmig lächelnd nach seinem Hut.»Ich hatte einen ausgezeichneten Lehrmeister, Sir. «Und mit einem letzten Blick zu Browne schloß er:»Vielleicht hat er ja das Glück abermals auf seiner Seite.»

Als die Tür hinter Herrick ins Schloß fiel, sagte Bolitho leise:»Diesmal braucht er aber mehr als Glück, mein Freund.»

Als ein Kommandant nach dem anderen auf der Benbow eintraf, wurde die Stimmung in der großen Achterkajüte immer heiterer und ungezwungener. Die Kommandanten, ob nun älter oder jünger, fühlten sich unter ihresgleichen und mußten nicht länger den Wall von Autorität um sich errichten, hinter dem sie sonst ihre persönlichen Befürchtungen oder Hoffnungen verbargen. Jeder einzelne war an der Schanzkleidpforte von der Ehrenwache gebührend in Empfang genommen worden, jeder einzelne hatte kurz innegehalten und nach achtern zur Flagge hin gegrüßt, während die Pfeifen schrillten und die Musketen aufstampften — zu Ehren der goldenen Kapitänsepauletten und der Männer, die sie trugen.

In der Kajüte hatten Allday und Tuck mit Ozzards Hilfe Stühle arrangiert, Weingläser gefüllt und es den Gästen so behaglich wie möglich gemacht. Für Allday waren einige davon alte Bekannte: Francis Inch von der Odin, mit seinem langen Pferdegesicht und spontanen Enthusiasmus; der blonde und elegante Valentine Keen von der Nicator, der schon als Midshipman und junger Leutnant unter Bolitho gedient hatte. Er begrüßte Allday vor den Augen der anderen besonders herzlich, was manche verstanden und anderen ein Rätsel blieb. Aber Keen vergaß nicht, daß er vor langer Zeit schwer verletzt unter Deck geschafft worden war, als ihn ein Holzsplitter im Gefecht wie eine Lanze durchbohrt hatte. Der Schiffsarzt war zu betrunken gewesen, deshalb hatte Allday die Initiative ergriffen, hatte Keen von den Arzthelfern niederhalten lassen und ihm mit eigener Hand den Splitter aus dem Leib geschnitten. So hatte er Keen das Leben gerettet.

Dann war da Duncan von der Sparrowhawk; das Gesicht noch geröteter als sonst, schrie er etwas in Kapitän Verikers taubes Ohr. Schließlich noch der Neuling im Geschwader, George Lockhart von der Fregatte Ganymede. Manche waren in ihren eigenen Booten gekommen, andere, deren Schiffe zu weit abstanden, hatte die allgegenwärtige Rapid an Bord geholt, die jetzt beigedreht in der Nähe wartete, bis die Herren zu ihren Schiffen zurückzukehren wünschten.

Ob sie nun die beiden Goldepauletten eines Linienschiffkommandanten trugen oder die einzelne Epaulette eines jungen Kapitänleutnants wie Lapish, für ihre jeweiligen Besatzungen kamen sie gleich nach Gott und konnten an Bord ihrer Schiffe und in Abwesenheit eines ranghöheren Offiziers schalten und walten, wie sie es für richtig hielten.

Wie ein Fels stand Herrick unter ihnen, wußte über manche alles und über alle genug.

Abseits von den anderen wartete Kapitän Emes, Kommandant der Phalarope. Mit steinernem, ausdruckslosem Gesicht hielt er das volle Weinglas in der einen Hand und trommelte mit den Fingern der anderen einen lautlosen Rhythmus auf seine Säbelscheide.

Bis alle versammelt waren, wurde es fast Mittag, und mittlerwe i-le hatte die Kurierbrigg ihre Depeschen aufs Flaggschiff gesandt und war weitergesegelt, auf der Suche nach dem nächsten britischen Geschwader weiter im Süden.

Von den Anwesenden wußte nur Herrick, was der schwere Postsack enthalten hatte, und der behielt es für sich. Er wußte ja nun, was Bolitho plante. Weiter darüber zu diskutieren, war sinnlos.

Die Tür ging auf, und Bolitho trat ein, gefolgt von seinem Flaggleutnant. Von den meisten war der Adjutant bisher als notwendiges Anhängsel des Admirals betrachtet worden; aber seine jüngsten Eskapaden — Flucht aus der Kriegsgefangenschaft, gewagter Vorstoß durch die feindlichen Linien — ließen ihn in ganz anderem Licht erscheinen.

Bolitho begrüßte jeden seiner Kommandanten mit einem Händedruck. Dann sah er Emes abseits stehen und schritt hinüber.»Das war eine gut geführte Aktion, Kapitän Emes. Aber wie es scheint, haben Sie meinen Flaggleutnant nur gerettet, damit ich ihn jetzt wieder verliere.»

Gelächter flackerte auf und milderte die gegen Emes gerichtete Spannung.

Nur Herricks Gesicht blieb grimmig.

Dann nahmen alle wieder Platz, und Bolitho skizzierte so knapp es ging die französische Taktik, die Bedeutung des neu eingetroffenen Geschwaders von Admiral Remond und die Notwendigkeit eines baldigen Angriffs, ehe die Invasionsflotte in besser geschützte französische Gewässer eskortiert werden konnte.

Außerdem warnte er noch einmal nachdrücklich vor diesem heimtückischen Küstenstrich und seinen unberechenbaren Winden. Aber die schlechten äußeren Bedingungen behinderten beide

Seiten, wie die Verluste von Styx und Ceres bewiesen hatten. Es stand unentschieden, genauso wie der ganze Krieg.

Die Kommandanten waren erfahrene Offiziere und hegten keinerlei Illusionen über einen Angriff bei Tageslicht; die Atmosphäre war eher erwartungsvoll als skeptisch, als ob alle — genau wie ihr Admiral — die Sache endlich anpacken und hinter sich bringen wollten.

Wie Mitspieler in einem Drama kamen und gingen noch andere Beteiligte: Ben Grubb, der Master, gab grummelnd und unbeeindruckt wie immer eine Übersicht über Tiden und Strömungen, vermutete Wracks und anderes, während Yovell alles gewissenhaft notierte und für jeden Anwesenden eine Kopie anfertigte.

Wolfe, der Erste Offizier, hatte in Friedenszeiten für die Handelsmarine diese Gewässer befahren und einiges an Ortskenntnis beizusteuern.

Bolitho sagte schließlich:»Wenn wir den Angriff erst begonnen haben, gibt es keine zweite Chance für uns. «Er blickte reihum in die nachdenklichen Gesichter.»Die Staffel der optischen Telegraphen bedeutet ein ebenso schwerwiegendes Hindernis wie ein ganzes französisches Geschwader. Um diese Kette auch nur für kurze Zeit zu zerbrechen, bedarf es besonderen Mutes und äußerster Entschlossenheit. Zum Glück haben wir einen solchen Mann in unseren Reihen. Er wird ein Stoßtruppunternehmen gegen einen Telegraphen führen, der dem Gefängnis benachbart ist, das uns vor kurzem gemeinsam beherbergte.»

Sofort stieg die Spannung in der Kajüte, und alle Blicke wandten sich Browne zu.

Bolitho fuhr fort:»Dieser Stoßtrupp bricht morgen im Schutz der Nacht auf, begünstigt von Tide und Neumond. «Er sah zu La-pishs aufmerksamem Gesicht hinüber.»Mr. Browne hat darum gebeten, daß Ihr Erster Offizier Mr. Searle wieder mit von der Partie ist. Darüber hinaus schlage ich vor, daß höchstens sechs sorgfältig ausgewählte Männer teilnehmen, unter denen mindestens zwei mit besonderer Erfahrung im Luntenlegen und Sprengen sein sollten.»

Lapish nickte.»Solche Männer habe ich, Sir. Einer war Bergmann und kennt sich mit Sprengladungen aus.»

«Gut. Das überlasse ich Ihnen, Kapitänleutnant Lapish. Sie werden also morgen nacht zur Küste segeln, den Stoßtrupp absetzen und sich zurückziehen. Danach stößt Rapid wieder zum Geschwader und berichtet durch vorher abgesprochene Nachtsignale. «Er hatte den Verlauf so genau im Kopf, daß es ihm vorkam, als zitiere er eines anderen Anweisungen.»Kommodore Herrick bezieht bei Belle Ile Station, begleitet von Nicator und Indomitable, und Sparrowhawk wird ihnen für das küstennahe Rekognoszieren beigegeben. «Dann sah er Inch direkt an.»Sofort nach dieser Besprechung werde ich auf Odin überwechseln. Unterstützt von Pha-laropes Karronaden, werden wir den ersten Angriff auf die noch verankerten Landungsboote fahren.»

Inch strahlte und hüpfte vor Freude, als hätte man ihm gerade die Erhebung in den Adelsstand versprochen.»Das wird ein Fest, Sir!«»Vielleicht. «Bolitho sah sich in der Kajüte um. »Ganymede wird mein Kundschafter, und Rapid übernimmt die Verbindung zwischen den beiden Geschwaderteilen. «Er wartete, bis das Gemurmel ve rstummte, und schloß:»Das Geschwader beginnt den Angriff übermorgen bei Tagesanbruch. Das wäre alles, meine Herren, bis auf den Wunsch, daß Gott mit uns sein möge.»

Die Kommandanten sprangen auf und scharten sich um Browne, dem sie schulterklopfend zu seiner Verwegenheit gratulierten, obwohl wahrscheinlich jeder wußte, daß sie sich von einem Mann verabschiedeten, der so gut wie tot war. Falls Browne sich dessen bewußt war, so ließ er sich nichts anmerken. Er schien in den letzten Wochen gereift zu sein und wirkte älter als die meisten Kommandanten in der Runde.

Herrick flüsterte eindringlich:»Und von den neuen Befehlen haben Sie ihnen kein Wort gesagt, Sir!»

«Vom Rückruf? Von der Aufgabe aller Angriffspläne?«Boli-tho sah traurig zu Browne hinüber.»Sie würden trotzdem meinen Standpunkt unterstützen und mir folgen. Wären sie aber informiert vom Sinneswandel Ihrer Lordschaften, müßten sie später bei jeder

Untersuchung oder vor einem Kriegsgericht als meine Komplizen gelten. Aber Yovell schreibt das alles nieder, und jeder, der will, kann es später schwarz auf weiß lesen.»

«Dieser Zusatz in Ihrer Order, Sir«, beharrte Herrick,»wonach Sie nach eigenem Gutdünken…»

Bolitho nickte.»Ich weiß. Wie die Sache auch ausgeht, die Verantwortung bleibt bei mir.«Überraschend lächelte er.»Das war schon immer so, oder?»

Einer nach dem anderen verabschiedeten sich die Kommandanten, denn jeder hatte es eilig, aufsein eigenes Schiff zurückzukehren und seine Besatzung auf den Angriff vorzubereiten.

Bolitho wartete an der Schanzkleidpforte, bis auch Browne erschien, der bereits jetzt auf die Brigg umsteigen sollte.

Browne begann:»Ich mache mir Gedanken darüber, Sir, daß Sie jetzt keinen geeigneten Adjutanten haben. Vielleicht könnte Ko-modore Herrick einen Ersatz für mich bestimmen?»

Bolitho schüttelte den Kopf.»Ich nehme den Midshipman, der bei Ihrem Vorstoß verwundet wurde. Wie Sie sagten, ist er gut bewandert im Signalwesen und spricht ein annehmbares Französisch. «Nein, er konnte es unmöglich bei diesem beiläufigen Abschied belassen.

«Also Stirling. «Browne lächelte.»Jung, aber sehr bemüht. Zu Ihrem Adjutanten allerdings kaum geeignet, Sir.»

Bolitho sah zu, wie die Barkasse über Bord geschwungen und abgefiert wurde, in der er später auf Inchs Schiff übersetzen wollte.

«Ich bin sicher, Oliver, daß es sich dabei nur um eine kurzfristige Vertretung handelt. Nicht wahr?«Ihre Blicke trafen sich, dann ergriff Bolitho Brownes Hand.»Ich bin über die Sache gar nicht glücklich, Oliver. Geben Sie gut auf sich acht. Ich habe mich inzwischen zu sehr an Ihre Art gewöhnt.»

Browne erwiderte den Händedruck ohne zu lächeln.»Sorgen Sie sich nicht, Sir. Ich verschaffe Ihnen die Frist, die Sie brauchen. «Damit trat er zurück und griff grüßend an seinen Hut. Der Augenblick des Verstehens war vorbei.

Herrick sah dem davonrudernden Beiboot der Brigg nach und sagte:»Tapferer Kerl. «Dann machte er auf dem Absatz kehrt und wandte sich wieder den Bordangelegenheiten zu. Allday kam nach achtern und wartete, bis Bolitho ihn bemerkte.

«Ozzard hat Ihre Sachen schon zur Odin geschickt, Sir. Er ist gleich mitgefahren. Sagte, daß er nicht ein zweitesmal auf Benbow zurückgelassen werden wollte. Mit Verlaub, Sir: ich auch nicht.»

Bolitho lächelte.»Wir haben ja schon Übung auf dieser Strecke, Allday.»

An den Flaggleinen standen Midshipmen bereit, seine Admiralsflagge niederzuholen, sowie er das Schiff verließ, und Herricks Kommodorewimpel zu hissen. Damit war Herrick wenigstens vor jeder Kritik gefeit, wenn das Schlimmste eintrat.

Er wandte sich um und spähte nach Rapids Beiboot aus, aber es war schon im Dunst verschwunden.

Der Ehrenwerte Leutnant Oliver Browne hatte keine Sekunde gezögert. Wenn jene, die sich daheim in Sicherheit wiegen konnten, Zeugen seines Opfermuts geworden wären, hätte ihnen das vielleicht zu denken gegeben.

Herrick trat zu Bolitho und meldete:»Ihr Aushilfs-Adjutant ist zur Stelle, Sir.»

Alle blickten auf Midshipman Stirling hinab, der — das Signalverzeichnis unterm Arm und seinen Seesack in der Hand — seinerseits zu Bolitho emporstarrte. Dieser sah, daß Stirling einen Arm in der Schlinge trug, und befahl:»Helfen Sie ihm, Allday.»

Der Bootsführer unterdrückte ein Grinsen.»Aye, aye, Sir. Hier entlang, junger Herr. Ich werde schon dafür sorgen, daß Ihnen auf Odin keiner frech kommt.»

«Also dann, Thomas…»

Herrick rieb sich das Kinn.»Ja, es wird wohl Zeit, Sir.»

«Denken Sie daran, Thomas, wenn wir siegen, können die Leute daheim neuen Mut schöpfen. Im Lauf der Kriegsjahre hatten sie eine Menge zu erdulden. Krieg geht nicht nur auf Kosten der Soldaten, das müssen wir uns immer vor Augen halten.»

Herrick rang sich ein Lächeln ab.»Nur keine Sorge, Sir, ich werde mit dem Geschwader zur Stelle sein, komme, was da wolle. «Noch einmal überwand er sich:»Außerdem muß ich ja an Ihrer Hochzeit teilnehmen, nicht wahr?»

«Alles andere wäre unverzeihlich, Thomas.»

Herrick richtete sich gerade auf.»Machen Sie weiter, Major Clinton!»

Clintons Säbel glänzte im wäßrigen Sonnenlicht.»Seesoldaten — präsentiert das Gewehr!»

Zum Klang der Trommeln und dem alten Lied von den Hearts of Oak, den Herzen aus Eiche, das die Pfeifen anstimmten, kletterte Bolitho das Fallreep hinunter und warf seinem Freund oben einen letzten Blick zu.

«Absetzen vorn! Riemen bei!«Allday überragte wie ein dräuender Schatten den im Heck sitzenden Konteradmiral und seinen winzigen Adjutanten.»Rudert an!»

Die grüne Barkasse kam schnell von Benbow frei; als sie aus ihrem Windschutz pullte, ließ wilder Jubel Bolitho auffahren. Er wandte sich um und sah, daß die Besatzung das Schanzkleid säumte und in die Webeleinen ausgeschwärmt war, um ihrem Admiral einen lautstarken Abschied zu bereiten.

«Ein feines Schiff, Sir«, sagte Allday leise.

Bolitho nickte nur, denn der unerwartete Zuneigungsbeweis hatte ihm die Sprache verschlagen.

Benbow, die in einigen der schlimmsten Kämpfe seines Lebens sein Flaggschiff gewesen war, sandte ihm ihre guten Wünsche nach. Er war froh, daß ihm kalte Gischt ins Gesicht sprühte und ihn ernüchterte. Midshipman Stirling neben ihm spähte schon fasziniert nach Odin aus, wo die ganze Zeremonie von neuem abrollen würde.

Auch Allday starrte zu dem leichten Zweidecker hinüber, dessen Galion ein grimmiger Wikingerkopf mit geflügeltem Helm zierte.

«Sieht aus wie ein verdammter Waschzuber«, murmelte er verächtlich.

«Und was halten Sie davon, äh — Mr. Stirling?»

Der Junge brauchte ein paar Sekunden — er hatte im Geiste gerade einen brieflichen Bericht an seine Eltern formuliert — , ehe er ernsthaft antwortete:»Es ist der schönste Tag meines Lebens,

Sir.»

Das sagte er mit solchem Nachdruck, daß Bolitho für einen Augenblick seine Sorgen vergaß.

«Dann müssen wir dafür sorgen, daß er's bleibt, wie?»

Die Barkasse machte an Odins Großrüsten fest, und Bolitho sah Inch oben schon übers Schanzkleid spähen, als wolle er keine Sekunde des glorreichen Schauspiels versäumen.

In seiner Aufregung wollte Stirling als erster die Barkasse verlassen, aber Alldays Pranke packte ihn an der Schulter.

«Langsam, Sir! Dies ist eine Admiralsbarkasse und kein Ausflugsboot für Seekadetten!»

Bolitho nickte ihnen zu und erkletterte dann behende das Fallreep.

«Willkommen an Bord, Sir!«Inch mußte schreien, um den Lärm der Pfeifen und Kommandos zu übertönen.

Beim Aufblicken sah Bolitho seine Flagge vom Besanmasttopp auswehen. Da war sie also, und da würde sie auch bleiben, bis alles vorbei war. So oder so.

«Bringen Sie das Schiff in Fahrt, Kapitän Inch.»

Aber Inch starrte immer noch verblüfft Midshipman Stirling an.

Seelenruhig befahl Bolitho:»Oh, Mr. Stirling, signalisieren Sie bitte: >Admiral an Rapid: Nur wenige sind auserwählt<»

Eifrig kritzelte Stirling in sein Buch und rannte dann los, um die Signalgasten zusammenzurufen.

Bolitho beschattete die Augen mit der Hand und spähte zu der kleinen Brigg hinüber, die schon aus dem Geschwader ausscherte. Stirling würde das Signal nicht verstehen, ebensowenig wie der Signalfähnrich auf Rapid.

Aber Browne würde wissen, was ihm Bolitho damit sagen wollte. Und nur das zählte.

«Rapid hat bestätigt, Sir.»

Als Bolitho sein neues Quartier betrat, hängte Allday den Prunksäbel gerade sorgsam an die Wandhaken. Halb entschuldigend sagte er:»Dann fühlen Sie sich gleich heimischer, Sir.»

Bolitho setzte sich und merkte, daß Ozzard sich in der Kajüte so gewandt zu schaffen machte, als hätte er seit Jahren auf Odin gedient.

Stirling trat ein und wartete, verlegen von einem Fuß auf den anderen wechselnd, bis Bolitho ihn bemerkte.

«Tja, Mr. Stirling, und was sollte ich Ihrer Meinung nach als nächstes tun?»

Der Junge blickte sich wachsam und mißtrauisch um, dann sagte er:»Ich glaube, Sie sollten die Offiziere zum Dinner einladen,

Sir.»

Allday grinste breit von Ohr zu Ohr.»Bereits ein echter Flaggleutnant, der junge Herr! Das steht fest.»

Bolitho mußte lächeln. Indem er Browne zur Hand ging, hatte Stirling offenbar schon einiges gelernt.

«Eine ausgezeichnete Idee. Dann rufen Sie bitte den Ersten Offizier.»

Als die Tür zufiel, nahm Allday den Faden wieder auf.»Für später besorge ich Ihnen einen anständigen Säbel.»

Damit meinte er wohl das bevorstehende Gefecht mit den Franzosen. Aber vorerst mußte der Konteradmiral den Offizieren der Odin ein anderes Gesicht zeigen: zuversichtlich und siegessicher, ein gutgelaunter Gastgeber. Denn er brauchte ihr Vertrauen und mußte sie am übernächsten Tag hinter sich wissen, bedingungslos.

Inch betrat die Kajüte und sah sich prüfend um, ob auch alles zur Zufriedenheit seines überraschenden Gastes ausgefallen war.

Dann berichtete er: «Phalarope segelt wie befohlen in Luv von uns, Sir. «Er reichte seinem eigenen Steward den Hut.»Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, Sir, ich wünschte mir, Ihr Neffe wäre hier statt auf jenem Schiff.»

«Sie haben sich wirklich nicht verändert, Inch. «Bolitho lehnte sich auf der Heckbank zurück und hörte zu, wie das Wasser gurgelnd am Ruder abfloß.»Aber in diesem Fall irren Sie sich.»

Inchs perplexe Miene entging ihm völlig. Wenn es zum Kampf kam, schien es ihm nur richtig, daß der Sohn seines Bruders an

Bord dieser alten Fregatte focht, die für sie beide so viel bedeutete. Als wolle das Schicksal die erbitterte Feindschaft zwischen den Brüdern damit tilgen.

Allday zog sich zurück; er fragte sich, wie er wohl mit Inchs Bootsführer auskommen würde. Als er im Vorraum auf Stirling stieß, bemerkte er:»Ein bißchen viel auf einmal, wie?»

Der Junge fuhr herum, als hätte er eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, aber dann lächelte er:»Für mich ist es ein großer Schritt vorwärts, Mr. Allday.»

Grinsend ließ Allday sich auf dem Lauf eines Neunpfünders nieder.»Nicht >Mister<, bitte, sondern einfach >Allday<. Das ist passender.»

Der Junge wurde zutraulicher; neugierig fragte er:»Aber Sie verkehren mit dem Admiral wie ein Gleichgestellter.»

Allday sah auf seine Hände nieder.»Eher wie ein Freund. So einen hat er nötiger. «Er beugte sich vor.»Wenn Sie auf ihn zugehen und ihn ganz offen anreden, wird er es Ihnen mit Gleichem lohnen. «Er sprach mit solchem Nachdruck, daß Stirling beeindruckt schwieg.»Schließlich ist er nur ein Mensch, verstehen Sie? Und nicht Gott der Allmächtige! Momentan braucht er alle Freunde, die er kriegen kann, nicht irgendwelche steifleinenen Offiziere. Merken Sie sich das, Sir!«Er boxte den Midshipman leicht gegen den unverletzten Arm.»Aber wenn Sie ihm etwas von unserem Gespräch verraten oder ihm vorlaut kommen, dann nehme ich Sie auseinander, Sir!»

Stirling grinste.»Hab's kapiert, Allday. Und danke!»

Allday sah ihm seufzend nach, als er wieder in die Achterkajüte ging. Ein netter Junge, dachte er. Aber wenn er erst zum Leutnant befördert wurde, änderte sich das bestimmt. Er sah sich im halbdunklen Zwischendeck um, wo die Kanonen in Ruhestellung hinter jeder geschlossenen Stückpforte zu lauern schienen, wartend wie alle ihre Artgenossen im Geschwader. Stirling war erst vierzehn, überlegte Allday. Was, zum Teufel, hatte er auf einem Kriegsschiff zu suchen, das demnächst ins Gefecht segeln mußte? Und überhaupt: Was sollten sie alle hier?

Allday schüttelte sich. Seine Stimmung wurde immer schlechter statt besser. Stirling dagegen war bester Laune, trotz seiner Verletzung — oder vielleicht gerade deswegen. Aber der hatte auch keine Ahnung, wie es war, wenn um die Kanonen hier pulvergeschwärzte, brüllende Männer tobten wie Teufel ums Höllenfeuer, wenn der Befehl lautete: laden, feuern, laden — kurz, um jeden Preis, auch den des eigenen Lebens, das Feuer aufrechterhalten!

Wieder fiel ihm der vom Blutrausch gepackte Seesoldat ein, der ihn im Orlopdeck der Ceres um ein Haar mit seinem Bajonett durchbohrt hätte.

Vielleicht stand ja wirklich ein Friedensschluß bevor, und dieses Gefecht war für sie alle das letzte.

Ein Sergeant der Seesoldaten stapfte aus dem Schatten und spähte zu Allday hinüber.»Wie wär's mit einem Schluck?»

«Warum nicht?»

Durch die muffigen Schiffsgerüche und den feineren Duft nach Jamaika-Rum kletterten sie ins nächste Deck hinunter.

Vielleicht war es auf Odin doch nicht so übel, dachte Allday.

Die Sergeanten und Korporale hausten in einem abgeschotteten Teil des unteren Batteriedecks. Sie begrüßten Allday gut gelaunt, und bald saß er an ihrem Messetisch, einen Becher Rum vor sich.

Ein Sergeant ergriff das Wort:»Also, Kamerad, du bist doch der Bootsführer des Konteradmirals und solltest wissen, was morgen geplant ist.»

Allday lehnte sich gegen die Wand und machte eine weitausholende Geste.»Tja, ich und der Admiral, wir fangen normalerweise damit an.»

Bis zum Abend hatten Odin und Phalarope, die sich in Luv gut freihielt, den Rest des Geschwaders außer Sicht verloren.

In der großen Achterkajüte war der Tisch auf seine volle Länge ausgezogen und mit den besten Gläsern und Silberbestecken beladen. Unter den lebhaft diskutierenden Offizieren saß Kapitän Inch und strahlte vor Stolz. Bolitho saß am Kopf der Tafel und ließ sich von Gesprächen und Spaßworten umbranden; fast pausenlos wurden die Gläser gefüllt und zu markigen Trinksprüchen wieder geleert. Unauffällig musterte er die Offiziere des Schiffes. Die meisten waren blutjung, und wie Allday dachte auch er an die schreckliche Verwandlung, die dem von Fröhlichkeit erfüllten Raum bevorstand, wenn das Schiff gefechtsklar gemacht wurde. Er erinnerte sich an die einzelnen Namen und ordnete sie den Gesichtern in der Runde zu: Söhne, Verlobte, aber kaum ein Ehemann. Das übliche Offizierskorps eines Linienschiffes.

Bald mußten sie kämpfen und vor allem siegen.

Ein junger Leutnant rief gerade:»Ja, diesmal heirate ich wirklich, sowie ich erst zu Hause bin. «Ironisches Gelächter erscholl, und er hob beschwichtigend die Hand.»Nein, diesmal ist es mir ernst damit!«Dann wandte er sich um und sah Bolitho an; vom Wein oder dem bevorstehenden Kampf beflügelt fragte er:»Mit Verlaub, Sir, sind Sie verheiratet?»

Bolitho lächelte.»So wie Sie, Mr. Travers, werde ich Hochzeit halten, wenn unser Anker erst wieder im Plymouth-Sund gefallen ist.»

«Danke, Sir. «Plötzlich nervös geworden, setzte der Leutnant hinzu:»Ich dachte einen Augenblick.»

«Ich weiß, was Sie dachten. «Plötzlich war er froh, daß ihm der Name des jungen Offiziers noch rechtzeitig eingefallen war.»So eine bevorstehende Heirat gibt dem Leben einen neuen Wert, nicht wahr?»

Travers senkte den Blick.»Ich fürchte nicht um mein Leben,

Sir.»

«Auch das weiß ich. Aber denken Sie daran, daß Sie nun aus doppelt gutem Grunde kämpfen, dann können Sie gar nicht verlieren.»

Als jüngster Gast saß Midshipman George Stirling aus Winchester ganz unten am Tisch, lauschte fasziniert und genoß den Abend über alle Maßen. Im Geiste schrieb er einen langen Bericht darüber an seine Mutter: >Liebste Mama — heute abend halten wir auf die französische Küste zu. Ich speise mit Konteradmiral Richard Bolitho…<

Insgeheim mußte er lächeln; wahrscheinlich glaubte sie ihm kein

Wort.

Dann merkte er, daß Bolitho ihn über den Tisch hinweg ansah.

«Sind Sie bereit, Mr. Stirling?«fragte der Konteradmiral.

Der Junge schluckte krampfhaft und hob sein Weinglas, das plötzlich schwer wie Blei schien. Aller Augen wandten sich ihm zu, und er konnte es gerade noch verhindern, daß er sich auf die Lippen biß. Aber dann fielen ihm Alldays Worte über Bolitho ein: >Er ist auch nur ein Mensch.<

Hell und klar erklang seine Stimme:»Meine Herren, trinken wir auf unseren Sieg! Tod den Franzosen!»

Der Rest ging unter in Beifall und Hochrufen, und es klang, als juble das ganze Schiff.

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