II Kein Blick zurück

Richard Bolitho lehnte in seinem Sessel und wartete ungeduldig darauf, daß Allday endlich mit dem Rasieren fertig wurde. Herrick stand außerhalb seines Gesichtsfelds an der Lamellentür, während überall unter und über ihnen Rumpfund Decks der Benbow vom Lärm der Reparaturarbeiten widerhallten.

Herrick berichtete:»Ich habe Kapitän Neale darüber informiert, Sir, daß Sie noch heute vormittag Ihre Flagge auf Styx setzen werden. Er scheint darüber ganz außerordentlich erfreut zu sein.»

Bolitho blickte Allday an, der konzentriert mit dem Rasiermesser an seinem Kinn herumschabte. Der Ärmste mißbilligte ganz offensichtlich den Umzug auf die enge Fregatte und hätte den relativen Luxus auf dem Flaggschiff bestimmt vorgezogen; genau wie Herrick es offenbar keinem anderen Kommandanten zutraute, daß er die Aufgaben eines Flaggkapitäns bewältigen konnte.

Es war wirklich seltsam, wie sich die Schicksalsfäden bei der Navy immer wieder ineinanderwoben. Kapitän John Neale, jetzt Kommandant der mit 32 Kanonen bestückten Fregatte Styx, hatte in einem anderen Krieg, auf einer anderen Fregatte, als pausbackiger Midshipman unter Bolitho gedient. Auch Kapitän Keen, der mit seinem Linienschiff dritter Klasse, der Nicator, kaum eine Kabellänge[8] entfernt ankerte, war auf einem Schiff Bolithos Midshipman gewesen.

Stirnrunzelnd dachte Bolitho an Adam Pascoe; wann würde er von ihm hören, von seinen Fortschritten, seinem neuen Schiff und seinem Kommandanten erfahren?

Sorgfältig wischte Allday ihm das Gesicht sauber.»Fertig, Sir.»

Bolitho wusch sich in einer Schüssel, die Allday bei den Heckfenstern hingestellt hatte. Zwischen ihnen bedurfte es keiner langen Worte. Allday kannte von vielen Jahren Dienst im Hafen oder auf See Bolithos Gewohnheiten und seine Ungeduld, wenn er die Wand anstarren mußte, während Allday ihn für den Tag zurecht-

machte.

Schließlich gab es eine Menge zu tun, Befehle an die einzelnen Kommandanten mußten ausgefertigt werden, ein Bericht über den Stand ihrer Einsatzbereitschaft an die Admiralität sollte abgehen, die unerbittlich wachsenden Werftrechnungen mußten geprüft und abgezeichnet, Beförderungen ausgesprochen werden. Es wäre unfair, Herrick zu viele unerledigte Arbeiten zu hinterlassen, überlegte Bolitho.

Herrick fuhr fort:»Unser Postboot hat Ihre Depeschen an Land gebracht, Sir. Es hat gerade wieder an seiner Spiere festgemacht.»

«Verstehe. «Das war Herricks Art, ihm anzudeuten, daß kein Brief von Belinda gekommen war.

Bolitho blickte durchs Fenster hinaus. Der Himmel war klar wie am Tag zuvor, die See jedoch etwas rauher. Aber er konnte Wind gebrauchen, wenn er schnell zu den Schiffen des BlockadeGeschwaders stoßen wollte, über das er den Oberbefehl erhalten hatte. Das Gebiet um Belle Ile war ein Drehkreuz im System der patrouillierenden Geschwader, die den Blockadedienst von Gibraltar bis zu den Kanalhäfen aufrechterhielten. Sonnenklar, daß Beau-champ ihn ins Zentrum des Geschehens schicken wollte. Dieses spezielle Einsatzgebiet umfaßte im Norden die Zufahrtswege nach Lorient und im Osten die wichtigsten Ansteuerungsrouten zur Loire-Mündung. Von hier aus konnte man zwar einen Würgegriff um die Handels- und Nachschubwege des Feindes legen; andererseits war es riskantes Terrain für eine unachtsame britische Fregatte oder Brigg, die sich an einer Leeküste überraschen ließ oder zu beschäftigt war mit dem Auskundschaften eines französischen Hafens, um einen schnellen Angreifer rechtzeitig zu bemerken.

Styx war Bolitho nicht fremd. Er hatte schon öfter an Bord geweilt und in der Ostsee ihren jungen Kommandanten mit der Kaltblütigkeit eines Veteranen kämpfen gesehen.

Ärgerlich über seine Tagträumerei warf Bolitho das Handtuch in die Ecke. Er durfte nicht dauernd über Vergangenes grübeln. Mußte nur an das denken, was vor ihm lag, an die Schiffe, deren Schicksal bald von ihm abhängen würde. Er war jetzt Flaggoffizier und mußte wie Herrick endlich begreifen, daß eine so hohe Beförderung eine Auszeichnung war und nicht sein Recht, das die Versehung ihm schuldete.

Verlegen lächelnd bemerkte er, daß die anderen ihn anstarrten.

Milde erkundigte Allday sich:»Sie haben es sich vielleicht anders überlegt, Sir?»

«Was denn, zum Teufel?»

Allday hob den Blick zur Kajütdecke.»Na ja, Sir — ich meine. Im Vergleich hierzu wird uns Styx vorkommen wie ein Heringfaß, nicht wie ein Schiff!»

Herrick schüttelte den Kopf.»Allday, eines Tages nehmen Sie sich noch mal zuviel heraus. Und dann geht's Ihnen schlecht, alter Knabe. «Er sah zu Bolitho hinüber.»Trotzdem ist was dran. Sie könnten Ihre Flagge auch auf Nicator setzen, und ich würde das Kommando übernehmen, bis.»

Bolitho blieb fest.»Geben Sie's auf, alter Freund, es bringt keinen von uns beiden weiter. Ab heute sind Sie Kommodore und werden unter dem Ihnen zustehenden Wimpel segeln. Bald sollten Sie Ihren eigenen Flaggkapitän ernennen und sich über die Bestallung eines neuen Kommandanten für Indomitable klarwerden.»

Wieder mußte Bolitho eine Erinnerung beiseite schieben. Indo-mitable war vor Kopenhagen im dicksten Schlamassel gewesen, und erst nach dem Feuereinstellungsbefehl hatte Bolitho erfahren, daß ihr Kommandant, Kapitän Charles Keverne, im Gefecht gefallen war. Keverne war Bolithos Erster Offizier gewesen, als er selbst noch Flaggkapitän gewesen war wie Herrick bis gestern. Alles Glieder einer Kette. Und da ein Glied nach dem anderen herausgebrochen wurde, schien die Kette immer kürzer und kürzer zu werden.

Bolitho riß sich zusammen.»Und überhaupt — ich kann hier nicht quengeln wie ein grüner Junge. Die Entscheidung war nicht unsere Sache.»

Schritte polterten auf dem Seitendeck draußen, und Bolitho wußte ebenso wie Herrick, daß dies ihre letzten ungestörten Augenblicke waren. Bald würden sich hier alle die Klinke in die Hand geben: die um ihre Befehle einkommenden Offiziere, die Behördenvertreter aus Plymouth und sonstwo, denen man mit Schmeicheleien und Bestechung eine schnellere Beendigung der Reparaturarbeiten abringen mußte. Yovell, Bolithos Sekretär, würde ihm noch mehr Briefe zur Unterschrift vorlegen, Ozzard mußte Anwe i-sungen erhalten, was er einpacken sollte und was auf Benbow blieb, bis… Er runzelte die Stirn. Bis wann?

Herrick wandte sich abrupt um, als der Wachtposten draußen den Ersten Offizier ankündigte.

«Ich werde an Deck gebraucht«, sagte er kläglich.

Bolitho ergriff seine Hand.»Ich bedaure sehr, daß ich nicht an Bord sein werde, wenn Ihr Wimpel zum erstenmal ausweht. Aber da ich nun mal gehen muß, will ich es schnell hinter mich bringen.»

Wolfe trat in die Tür.»Pardon, Sir, aber es kommt Besuch an Bord. «Erblickte Bolitho an, dessen Herz einen Schlag aussetzte. Aber seine freudige Überraschung fiel in nichts zusammen, als Wolfe trocken fortfuhr:»Ihr Flaggleutnant ist eingetroffen, Sir.»

«Browne?«rief Herrick aus.

Allday verbiß sich ein Grinsen.»Browne mit e«, konstatierte er. Bolitho ließ sich in seinen Stuhl sinken.»Schicken Sie ihn rein.»

Der Ehrenwerte Leutnant Oliver Browne war ihm von Beau-champ als Flaggleutnant beigegeben worden. Obwohl er Bolitho bei ihrem ersten Kontakt wie ein hohlköpfiger Junker vorgekommen war, hatte Browne sich dem neu ernannten Admiral bald als wertvoller Berater erwiesen — und später auch als Freund. Als das Geschwader schwer angeschlagen von der Ostsee zurückgekehrt war, hatte Bolitho Browne freie Wahl gelassen: zu seinen zivili-sierteren Aufgaben und Lebensumständen in London zurückzukehren oder weiter als sein Flaggleutnant zu dienen.

Als Browne die Kajüte betrat, sah er für seine Verhältnisse abgehetzt und derangiert aus. Herrick und Wolfe empfahlen sich schnell, und Bolitho bemerkte:»Das ist eine Überraschung.»

Der Leutnant sank auf einen hingeschobenen Stuhl, und als sein Mantel dabei auseinanderklaffte, erkannte Bolitho Schweißflecken auf den Innenseiten seiner Breeches. Er mußte wie ein Wahnsinniger geritten sein.

Heiser begann Browne zu berichten.»Sir George Beauchamp ist letzte Nacht gestorben, Sir. Er fertigte noch die Befehle für Ihr Geschwader aus und dann. «Er zuckte mit den Schultern.»Es passierte, während er über den Karten an seinem Schreibtisch saß. «Kopfschüttelnd schloß Browne:»Dachte, Sie sollten das schnell erfahren, Sir. Noch bevor Sie nach Belle Ile auslaufen.»

Bolitho wußte aus Erfahrung, daß man Browne besser nicht danach fragte, woher er Informationen über Dinge besaß, die eigentlich als geheim galten.

«Ozzard, frischen Kaffee für meinen Flaggleutnant!«Bolitho sah, daß Brownes erschöpftes Gesicht kurz aufleuchtete.»Falls es das ist, was Sie fürderhin zu sein beabsichtigen?»

Browne lockerte sein Halstuch und schüttelte sich.»Doch, Sir, darum wollte ich Sie höflichst ersuchen. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dieses stinkende London verlassen zu dürfen.»

Über ihren Köpfen verriet das Schrillen der Pfeifen und Quietschen der Taljen, daß wieder Vorräte und Ausrüstungsgegenstände an Bord gehievt wurden. Aber hier unten in der Kajüte war es still, während Browne beschrieb, wie Beauchamp an seinem Schreibtisch, über seinem kaum getrockneten Namenszug unter den letzten Befehlen tot zusammengebrochen war.

Scheinbar gleichmütig schloß Browne:»Ich habe mich mit diesen Befehlen direkt zu Ihnen auf den Weg gemacht, Sir. Wären Sie ausgelaufen, ehe ich hier eintraf, hätten sie Sie wahrscheinlich nie erreicht; man hätte Ihnen kaum eine Kurierbrigg mit den Depeschen nachgeschickt.»

«Wollen Sie damit sagen, daß Sir Georges Plan widerrufen worden wäre?»

Nachdenklich starrte Browne in seine Kaffeetasse.»Eher auf unbestimmte Zeit verschoben. Ich fürchte, an der Spitze gibt es zu viele Leute, die nur den Friedensvertrag mit Frankreich im Kopf haben — nicht als Atempause, wofür ihn Lord St. Vincent und einige andere halten, sondern als eine große Chance zu Geschäfte-macherei und Bereicherung, wie sie ein Waffenstillstand nun einmal mit sich bringt. In ihren Augen bedeutet angesichts des nahen Friedens jeder Angriff auf französische Häfen oder Schiffe eine Quertreiberei und keineswegs eine günstigere Verhandlungsposition.»

«Vielen Dank, daß Sie mich darüber ins Bild setzen. «Bolitho sah über Brownes Kopf hinweg zu den beiden gekreuzten Säbeln an der Schottwand. Was wußten Männer wie jene, die sein Flaggleutnant gerade charakterisiert hatte, von Ehre und Anstand?

Browne lächelte.»Es schien mir wichtig für Sie. Wenn Sir George Beauchamp noch lebte und seine Hand über den Ablauf künftiger Ereignisse halten könnte, würden Ihre Aktionen im neuen Einsatzgebiet kein Sicherheitsrisiko für Sie bedeuten, ganz gleich, in welches Wespennest Sie auch stochern würden. «Sein jugendliches Gesicht wirkte über seine Jahre hinaus gereift, als er Bolitho nun direkt in die Augen sah.»Aber nach Sir Georges Tod ist keiner mehr da, der Ihre Partei ergreifen wird, wenn etwas schiefgeht. Seine Verdienste um England geben diesen letzten Befehlen genug Gewicht, so daß niemand sie anzweifeln wird. Sollte Ihr Einsatz jedoch mit einem Mißerfolg enden, werden Sie als Sündenbock, nicht als tapferer Seeheld in die Heimat zurückkehren.»

Bolitho nickte.»Es wäre nicht das erstemal.»

Browne mußte grinsen.»Seit der Schlacht von Kopenhagen traue ich Ihnen alles zu, Sir, aber diesmal gibt mir das hohe Risiko doch zu denken. Ihr Name ist von Falmouth bis zu den Bierkneipen in Whitechapel in aller Munde. Aber das gilt auch für Nelson, und trotzdem sind Ihre Lordschaften davon nicht beeindruckt; sie werfen ihm nichts weniger als Insubordination vor, wegen Kopenhagen.»

«Erzählen Sie. «Bolitho starrte den jungen Offizier an, als käme er aus einer anderen Welt. Aus einer Welt der Intrigen und Taktiken, der Familienklüngel und Geldsäcke. Kein Wunder, daß Browne lieber zur See fahren wollte. Die Benbow hatte ihn auf den Geschmack gebracht.

Verbittert fuhr Browne fort:»Nelson — der Sieger von Abukir, der Held von Kopenhagen, der Liebling des Volkes. Aber jetzt haben Ihre Lordschaften beschlossen, daß ihm ein Heer frisch rekrutierter Landratten unterstellt werden soll, mit dem er die Kanalküste gegen mögliche Invasoren zu verteidigen hat!«Zornig stieß er hervor:»Jedenfalls ein Haufen Trunkenbolde und Nichtsnutze! Ein feiner Lohn für unseren Nel!»

Bolitho war entsetzt. Immerhin hatte er schon allerhand Gerüchte über Nelsons verächtliche Haltung gegenüber seinen Vorgesetzten gehört, über sein sagenhaftes Glück, das ihn bisher vor dem Kriegsgericht gerettet hatte, vor dem andere an seiner Stelle unweigerlich gelandet wären. Also wollte Browne ihn, Bolitho, nur schützen. Denn wenn er Beauchamps Pläne nicht mit dem größtmöglichen Erfolg in die Tat umsetzte, würde man den Stab über ihm brechen.

Ruhig sagte Bolitho:»Wenn Sie immer noch mit mir kommen wollen — ich beabsichtige, morgen mit der Tide auszulaufen. Sagen Sie Allday, was Sie brauchen, er wird es zu Styx hinüberschaffen lassen. Alles nicht unmittelbar Notwendige kann Ihnen sicherlich nachgeschickt werden. Da Sie so einflußreiche Freunde haben, läßt sich das bestimmt leicht arrangieren. «Er streckte die Hand aus.»Also, wie sehen meine Befehle nun aus?»

Browne berichtete:»Wie Sie wissen, Sir, ziehen die Franzosen schon seit Monaten in den Häfen im Norden Landungsschiffe zusammen. Portugiesische Agenten haben uns informiert, daß ein Großteil dieser Landungsschiffe in den Häfen der Biskaya erbaut, ausgerüstet und bewaffnet wird. «Browne lächelte schief.»In Ihrem neuen Einsatzgebiet, Sir. Ich war nicht immer einer Meinung mit Sir George, aber er hatte Stil. Dieser Plan, eine mögliche Landungsflotte zu vernichten, noch ehe sie in den Kanal verlegt werden kann, trägt seine Handschrift. Ein meisterhafter Stratege!»

Röte stieg Browne ins Gesicht.»Bitte um Vergebung, Sir. Aber ich habe immer noch nicht ganz begriffen, daß er tot ist.»

Bolitho wog den schweren Pergamentumschlag in Händen: sein Einsatzbefehl mit Beauchamps letztem strategischem Schachzug, gewiß bis in Detail ausgearbeitet. Es brauchte nur noch den rechten Mann, den Plan in die Tat umzusetzen. Bewegt machte sich Bolitho klar, daß Beauchamp ihn von Anfang an dafür ins Auge gefaßt haben mußte. Also hatte er gar keine andere Wahl gehabt.

Leise sagte er zu Browne:»Ich muß noch einen Brief schreiben.»

Er blickte sich in der großen Achterkajüte um, sah die schimmernden Lichtreflexe vom Wasser unten über die weißen Deckenbalken tanzen. Wenn er dies alles nun eintauschte gegen die schneidige Kampftechnik und feurige Begeisterung auf einer kleinen Fregatte, wenn er mit seinem zusammengewürfelten Geschwader gegen die Festung Frankreich anrannte, dann war das keine leere Geste. Vielleicht entwickelte sich alles für ihn mit der Folgerichtigkeit eines vorherbestimmten Schicksals. Zu Beginn des Krieges hatte Bolitho als blutjunger Kapitän an dem unglückseligen Angriff auf Toulon teilgenommen, an diesem Versuch französischer Royalisten, die Revolution aufzuhalten und den Lauf der Geschichte zu ändern. In die Geschichte eingegangen waren sie zwar, dachte Bolitho grimmig, aber geendet hatte das Ganze mit einem blutigen Fehlschlag.

Es lief ihm kalt über den Rücken. Vielleicht war wirklich alles vorherbestimmt. Belinda hatte wohl damit gerechnet, daß er jetzt monatelang in Falmouth bleiben durfte, möglicherweise noch länger, falls es wirklich zum Friedensschluß kam. Vielleicht bewahrte diese überraschende Wendung sie nur vor einem noch größeren Schmerz in der Zukunft. Bolitho starrte durch die Heckfenster auf die ankernden Schiffe hinaus. Denn diesmal würde er nicht zurückkehren. Irgendwann mußte es ja ein letztes Mal geben. Er rieb sich den linken Schenkel, um den vertrauten Schmerz der Wunde zu fühlen, die von einer Musketenkugel stammte. Aber so bald schon? Ohne eine letzte Gnadenfrist, ohne jede Vorwarnung?

Abrupt sagte er zu Browne:»Ich habe es mir überlegt, der Brief wird nicht geschrieben. Ich ziehe jetzt sofort auf Styx um. Sagen Sie das meinem Bootsmann, ja?»

Als er endlich allein war, ließ sich Bolitho auf die Bank unter den Heckfenstern sinken und rieb sich die Augen mit den Fäusten, bis ihn der Schmerz zur Besinnung brachte. Immerhin hatte das Schicksal es gut mit ihm gemeint, hatte ihm Liebe gegönnt und damit einen letzten Halt, an den er sich klammern konnte, bis schließlich auch ihr Bild sich in nichts auflösen würde.

Herrick erschien in der Tür.»Das Boot liegt längsseits, Sir.»

An der Schanzkleidpforte, wo die rotberockten Seesoldaten Spalier standen, verhielt Bolitho den Schritt und starrte zu der schnittigen Fregatte hinüber. Ihre Segel waren nur noch lose aufgegeit, Seeleute huschten wie Insekten in ihren Rahen und Webeleinen herum — das ganze Schiff schien ungeduldig darauf zu warten, daß es ankerauf gehen konnte.

Herrick berichtete noch:»Das Geschwader wird schon in wenigen Wochen seeklar sein, Sir. Von Monaten ist nicht mehr die Rede. Ich bin erst dann zufrieden, wenn Benbow wieder unter Ihrem Kommando steht.»

Bolitho lächelte, aber der Wind zerrte an seinem Bootsmantel, als wolle er ihn zum Aufbruch drängen, und hob spielerisch die Haarsträhne von seiner Stirn, die gewöhnlich die furchtbare Narbe verdeckte.

«Falls Sie ihr begegnen, Thomas. «Er drückte dem Freund die Hand, ohne den Satz vollenden zu können.

Herrick erwiderte den Händedruck.»Ich werde es ihr sagen, Sir. Geben Sie gut acht auf sich. Und greifen Sie dem Glück notfalls unter die Arme!»

Damit trennten sie sich und ließen der formellen Abschiedszeremonie ihren Lauf.

Als das Beiboot geschickt vom hohen Rumpf des Vierundsiebzigers absetzte, wandte Bolitho sich noch einmal um und hob die Hand, aber Herricks Gestalt verschmolz bereits mit den anderen Männern der Benbow, diesem Schiff, das ihnen beiden so viel bedeutete.

Bolitho kletterte den Niedergang hinauf und blieb kurz stehen, um sein Gleichgewicht zu bewahren, während die Fregatte unter ihm wieder in ein tiefes Wellental sackte. So ging es nun schon den ganzen Tag. Sobald sie frei waren vom Plymouth Sound, hatte Styx auch das letzte Fetzchen Tuch gesetzt, um den auffrischenden Nordost voll nutzen zu können. Obwohl Bolitho fast den ganzen Tag in seiner Kajüte geblieben war und seine schriftlichen Befehle sorgsam durchgearbeitet hatte, wobei er sich Notizen für später machte, war er doch ständig an die Beweglichkeit und das Temperament eines kleineren Schiffes erinnert worden.

Kapitän Neale hatte den günstigen räumen Wind dazu genutzt, seine Leute an und über Deck exerzieren zu lassen. Den ganzen Nachmittag vibrierten die Planken vom Stampfen nackter Füße, erschollen die antreibenden Stimmen von Offizieren und Decksoffizieren, die aus Chaos Ordnung zu schaffen bemüht waren. Was die Mannschaftsstärke betraf, war Neale auch nicht besser dran als die anderen Kommandanten. Von seinen erfahrenen, gut ausgebildeten Leuten waren viele befördert und auf andere Schiffe versetzt worden. Was an verläßlichen Matrosen zurückgeblieben war, hatte er strategisch unter den Neulingen verteilen müssen; von den neuen Leuten waren manche durch den Schock des Gepreßtwerdens oder den abrupten Abschied von der relativ sicheren Gefängniszelle noch so entnervt, daß sie nur mit Schlägen dazu gebracht werden konnten, in den schwankenden Webeleinen aufzuentern.

Bolitho bemerkte Neale, der mit seinem wortkargen Ersten Offizier am Luvschanzkleid des Achterdecks lehnte, das Haar vom Wind ins Gesicht geweht und die Augen überall auf der Suche nach einem Fehler bei der Segelbedienung oder einem Bummelanten, der seinen Befehlen nicht flott genug nachkam. Solche Nachlässigkeiten konnten später Menschenleben kosten, vielleicht sogar das ganze Schiff. Neale war mit seinen Aufgaben gewachsen, obwohl es Bolitho immer noch leichtfiel, in ihm den dreizehnjährigen Seekadetten zu erkennen, dessen Vorgesetzter er einst gewesen war.

Neale entdeckte seinen Admiral und eilte grüßend herbei.

«Binnen kurzem werde ich Segel kürzen lassen, Sir. «Er mußte schreien, um Wind und See zu übertönen.»Aber wir sind heute gut vorangekommen!»

Bolitho schritt zu den Finknetzen und mußte sich kräftig festhalten, als das Schiff wieder einmal nach vorne und abwärts schoß, wobei der Klüverbaum die Gischt wie eine Lanze durchstach. Kein Wunder, daß Adam so ungeduldig auf das Kommando über ein eigenes Schiff wartete; ihm selbst war es nicht anders ergangen. Bolitho sah zu den vollstehenden Segeln auf, zu den Toppsgasten, die mit gespreizten Beinen in den Fußpferden der schwankenden Großrah standen. Ja, das hatte er am meisten vermißt: die Gelegenheit, ein Schiff wie die Styx zu zähmen und seinem Willen zu unterwerfen, sich geschickt mit Ruder und Segeln gegen seinen unbändigen Freiheitsdrang zu behaupten.

Neale hatte ihn beobachtet.»Hoffentlich werden Sie hier nicht allzusehr gestört, Sir?«fragte er.

Bolitho schüttelte den Kopf. Für ihn war es wie ein Aufputschmittel, die beste Arznei gegen alle Sorgen; nur das Hier und Jetzt zählte noch.

«An Deck!«Der Ruf des Ausguckpostens wurde vom Wind verzerrt.»Land in Luv voraus!»

Neale grinste triumphierend und riß ein Fernrohr aus seiner Hal-terung neben dem Ruder. Er stellte es richtig ein und reichte es Bolitho.

«Dort drüben, Sir: Frankreich.»

Bolitho wartete, bis das Deck auf einem Wellenkamm kurz ruhig lag, dann richtete er das Glas auf die Peilung aus. Zwar dämmerte es schon, aber trotzdem konnte er noch den verwischten violetten Schatten erkennen: die Insel Ouessant und irgendwo dahinter Brest. Das waren Namen, die sich tief ins Gedächtnis jedes Seemanns eingebrannt hatten, der hier monatelang im harten Blockadedienst geschwitzt hatte.

Nun konnten sie bald ihren Kurs ändern und Südost laufen, tiefer in den Golf von Biskaya. Doch das war Neales Problem — und nichts im Vergleich zu der Aufgabe, mit der er selbst seine Schiffe konfrontieren mußte. Später.

Innerhalb einer Woche würden Beauchamps Befehle von den betroffenen Stäben bestätigt werden. Die Kommandanten würden ihre Leute aufscheuchen, die Kurse zum Rendezvous mit dem neuen Konteradmiral berechnen. Ihr Ziel war ein Kreuz auf der Seekarte, irgendwo bei Belle Ile. Und innerhalb eines Monats würde man von Bolitho die ersten Aktionen erwarten, die ersten Schläge gegen den in seinem eigenen Lager überraschten Gegner.

Daß Bolitho die vorgeschlagene Taktik so ruhig besprechen konnte, als sei ihr Erfolg eine unumstößliche Tatsache, hatte Browne sichtlich beeindruckt. Aber Browne hatte seine Adjutantenstelle den Beziehungen seines Vaters in London zu verdanken, er war nie durch die harte Schule der Kriegsmarine gegangen. Bolitho dagegen war wie die meisten Marineoffiziere noch als halbes Kind auf sein erstes Schiff gekommen. Binnen kürzester Zeit hatte man ihm beigebracht, eine Barkasse zu befehligen und Autorität auszuüben, einen schwe ren Warpanker im Boot auszubringen, Passagiere oder Waren von und an Bord zu transportieren und später seine Bootsmannschaft im Nahkampf gegen Piraten oder Kaperer zu führen: all dies gehörte zur harten und gründlichen Schulung eines jungen Offiziersanwärters.

Leutnant, Kapitän oder jetzt Konteradmiral — Bolitho war derselbe geblieben, fand sich aber damit ab, daß mit der Beförderung in den Stabsrang alles für ihn anders geworden war. Jetzt kam es nicht mehr darauf an, sich mit Mut und Wahnwitz zu behaupten und eher Leib und Leben zu riskieren, als vor den Untergebenen Schwäche oder Furcht zu verraten. Auch war es nicht mehr eine Frage des blinden Gehorsams unter allen Umständen, gleichgültig, welch entsetzliche Szenen sich rundum abspielten. Jetzt hatte er über das Schicksal anderer zu bestimmen, und ob sie überlebten oder starben, hing von seinen Fähigkeiten ab, von seiner Auslegung der wenigen Informationen, die er zur Verfügung hatte. Genaugenommen entschied er mit seinem Urteil nicht nur das Geschick der ihm Untergebenen, sondern darüber hinaus — und das hatte Beauchamp ihm klargemacht — auch das Schicksal unzähliger anderer Menschen, vielleicht sogar das des ganzen Landes.

In der Tat, die Marine war eine grausame Lehrmeisterin, dachte Bolitho. Aber das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Es gab weniger Sadisten und Tyrannen von eigenen Gnaden, denn vor den Breitseiten des Feindes konnte keiner nur mit Großmäuligkeit bestehen. Täglich wuchsen in der Navy neue gewandte Führerpersönlichkeiten nach — Männer wie Neale, dachte Bolitho mit einem Seitenblick auf seinen Flaggkapitän — , die es verstanden, in ihren Leuten Loyalität und Begeisterung zu wecken, wenn sie am dringendsten gebraucht wurden.

Neale schien den prüfenden Blick seines Vorgesetzten nicht bemerkt zu haben.»Um Mitternacht gehen wir auf den anderen Bug, Sir«, sagte er.»Hoch am Wind wird es dann etwas ungemütlicher an Bord, fürchte ich.»

Bolitho lächelte, weil ihm Browne einfiel, der halbtot vor Seekrankheit unten in seiner Kajüte lag.»Dann sollten wir morgen das eine oder andere unserer Schiffe in Sicht bekommen«, sagte er.

«Aye, Sir. «Neale wandte sich um, als ein Midshipman über die nassen Planken heranbalancierte und schnell etwas auf die Schiefertafel neben dem Ruder kritzelte.»Oh, dies ist Mr. Kilburne, Sir, unser Signalfähnrich.»

Der Junge, etwa sechzehn Jahre alt, erstarrte und blickte Bolitho an, als sei er der Leibhaftige.

Bolitho mußte lächeln.»Freut mich, Sie kennenzulernen.»

Da der Fähnrich immer noch dastand wie vom Schlag gerührt, fuhr Neale fort:»Mr. Kilburne hat eine Frage an Sie, Sir.»

Leise sagte Bolitho:»Quälen Sie den Jungen nicht, Neale. Haben Sie denn ein so schlechtes Gedächtnis?«Er wandte sich an Kilburne.»Worum geht's?»

Kilburne stammelte, offenbar überrascht, daß er seinem Admiral Auge in Auge gegenüberstehen und trotzdem noch atmen konnte:»Also, Sir, wir waren alle so aufgeregt, als wir hörten, daß Sie an Bord kommen.»

Mit» alle «meinte er wahrscheinlich die drei anderen Midship-men des Schiffs, dachte Bolitho.

Kilburne fing sich etwas.»Stimmt es, Sir, daß die erste Fregatte, die Sie befehligten, Phalarope war?«platzte er heraus.

Schroff sagte Neale:»Das reicht, Mr. Kilburne!«Entschuldigend wandte er sich an Bolitho.»Bitte um Vergebung, Sir. Ich dachte, der junge Tölpel wollte was ganz anderes fragen.»

Aber Bolitho war die plötzliche Anspannung nicht entgangen.»Worum geht's, Mr. Kilburne?«wiederholte er.»Ich bin immer noch ganz Ohr.»

Zerknirscht sagte der Signalfähnrich:»Ich habe das Signalbuch berichtigt, Sir. «Er warf seinem Kommandanten einen furchtsamen Blick zu, als frage er sich, womit er diese Katastrophe heraufbeschworen habe.»Denn Phalarope stößt zu unserem Geschwader, Sir. Unter Kapitän Emes.»

Bolithos Hand krampfte sich fester um die Finknetze, während er Kilburnes Worte verarbeitete.

Der Junge mußte sich irren. Aber weshalb? Über ein neues Schiff mit dem Namen Phalarope war nichts an die Öffentlichkeit gedrungen. Bolitho blickte Neale an. Und gerade hatte er ihn im Geiste als jungen Midshipman an Bord eben dieses Schiffes vor sich gesehen. Es war schon gespenstisch.

Verlegen ergriff Neale wieder das Wort.»Ich war selbst überrascht, Sir. Aber ich wollte Sie in Ihrer ersten Nacht an Bord nicht beunruhigen. Für meine Offiziere war es eine Ehre und eine Freude, Sie hier willkommen heißen zu dürfen, auch wenn wir Ihnen wenig zu bieten haben.»

Bolitho nickte.»Die Freude ist ganz meinerseits, Kapitän Nea-le. «Aber im Geiste war er immer noch bei Phalarope. Sie mußte jetzt fünfundzwanzig Jahre alt sein, wenn nicht mehr. Als er sie damals im Spithead übernommen hatte, hatte sie erst sechs Jahre auf dem Buckel gehabt. Aber sie war ein Unglücksschiff gewesen, an Bord herrschten Grausamkeit und Verzweiflung, und die Mannschaft stand kurz vor der Meuterei, so sehr war sie von dem abgelösten Kommandanten geschunden worden.

Nichts hatte er vergessen, vor allem nicht den Anblick der französischen Wimpel und Bramsegel, als die gegnerische Flotte über die Kimm gekommen war: wie Ritter, die zum Turnier stürmten. Heute nannte man es die Schlacht bei den Saintes,[9] und die Phalarope war als kaum noch schwimmfähiges Wrack aus ihr hervorgegangen.

«Geht es Ihnen gut, Sir?«Neale sah Bolitho besorgt an, hatte sein eigenes Schiff für den Augenblick völlig vergessen.

Wie zu sich selbst sagte Bolitho:»Sie ist zu alt für diesen Einsatz. Ich hielt sie für verloren, untergegangen im Kampf, nicht ausrangiert als Hulk für Sträflinge oder Waren in irgendeinem elenden Hafen. «Er wußte, die Marine brauchte dringend Fregatten — aber ausgerechnet diese?

Neale erzählte bereitwillig:»Ich habe gehört, daß sie in Irland repariert und ausgerüstet wurde, Sir. Aber für den Dienst als Wach- oder Wohnschiff, dachte ich.»

Bolitho starrte hinaus auf die endlos anstürmenden weißen Hunde. Phalarope — so viele Jahre lagen dazwischen, so viele andere Gesichter und Schiffe, und jetzt würde er sie wiedersehen. Auch Herrick mußte inzwischen das berichtigte Signalbuch gesehen haben. Für ihn würde es einen ähnlichen Schock bedeuten. Und für Allday, der von einem Preßkommando wie ein Verbrecher an Bord gezerrt worden war.

Bolitho wurde sich bewußt, daß ihn der Signalfähnrich immer noch anstarrte, die Augen so groß wie Wagenräder. Er ergriff seinen Arm.»Sie haben sich nichts vorzuwerfen, Mr. Kilburne. Für mich war es nur eine Überraschung, das ist alles. Die Phalarope ist ein gutes Schiff. Dafür haben wir damals gesorgt.»

Neale mischte sich ein.»Mit Verlaub, Sir: Sie haben dafür gesorgt.»

Bolitho stieg die Leiter vom Achterdeck hinab und ging nach achtern, auf den Wachtposten vor seiner Kajüte zu.

Da sah er auf einem Zwölfpfünder eine Gestalt hocken, nur undeutlich, denn hier im Zwischendeck war es dämmrig, und so früh wurden die Lampen noch nicht angezündet. Aber selbst in pechschwarzer Nacht hätte Bolitho die Gestalt als Allday erkannt, vierschrötig, unerschütterlich und immer zugegen, wenn er gebraucht wurde; mutig bis zum äußersten und — wenn Mut nichts mehr nützte — frech und unverfroren.

Allday wollte Haltung annehmen, aber Bolitho winkte ab.»Rühren. Du hast es also auch schon gehört?»

«Aye, Sir. «Allday nickte schwermütig.»Das hätte nicht passieren dürfen. Es ist unfair.»

«Sei kein altes Weib, Allday. Du fährst jetzt lange genug zur See, um es besser zu wissen. Die Schiffe kommen und gehen; eines, auf dem du letztes Jahr gedient hast, kann morgen längsseits liegen. Und eines, das du in einem Dutzend verschiedener Häfen oder Schlachten gesehen hast, ohne jemals einen Fuß an Bord zu setzen, kann leicht dein nächstes werden.»

Doch Allday blieb stur.»Das ist es nicht, Sir. Mit Phalarope war's anders. Die Lords hatten kein Recht, sie wieder in die Biskaya zu schicken, dafür ist sie zu alt. Von den Saintes hat sie sich bestimmt nie wieder erholt. Warum soll es ihr anders gegangen sein als uns?»

Bolitho wurde es auf einmal unbehaglich.»Jedenfalls kann ich nichts dagegen tun«, sagte er.»Sie ist meinem Kommando unterstellt, genau wie die anderen Schiffe des Geschwaders.»

Allday erhob sich von der Kanone und stand da, den Kopf unter die Decksbalken gebeugt.»Aber sie ist nicht wie die anderen!»

Bolitho verbiß sich eine scharfe Erwiderung. Warum Allday dafür büßen lassen? Ihn traf keine Schuld, ebensowenig wie den Midshipman, der ihm auf dem Achterdeck unabsichtlich die schlimme Neuigkeit beigebracht hatte.

Deshalb sagte er nur ruhig:»Nein, Allday, wie die anderen ist sie nicht. Das behaupte ich auch nicht. Aber es geht nur uns beide an. Du weißt, wie schnell Seeleute mit Schauermärchen bei der Hand sind, deshalb also nimm dich zusammen. Wir brauchen in den nächsten Wochen unseren klaren Verstand, keine Latrinengerüchte. Also Schluß damit, was gewesen ist, ist gewesen. Und kein

Blick zurück! Erinnerungen können wir uns nicht leisten.»

Allday seufzte tief.»Wahrscheinlich haben Sie recht, Sir. «Er schüttelte es ab oder versuchte es jedenfalls.»Und jetzt muß ich Sie für die Offiziersmesse ankleiden, Sir. An diesen Abend sollen alle denken. «Aber irgendwie sagte er es ohne seinen gewohnten Humor. Bolitho ging voran zu seiner Kajüte.»Also fangen wir gleich damit an, einverstanden?»

Allday folgte ihm gedankenversunken. Vor neunzehn Jahren war es gewesen, Bolitho zählte damals nicht mehr Jahre als sein Neffe Adam Pascoe jetzt. Wie viele Gefahren und Scharmützel sie in der Zwischenzeit auch erlebt hatten, Allday war seither immer an Bo-lithos Seite geblieben: der gepreßte Seemann und der junge Kommandant, der einer vom Unglück verfolgten, von Tyrannei und Sadismus verdorbenen Mannschaft durch sein Beispiel und den gemeinsamen Erfolg Stolz und Selbstbewußtsein zurückgegeben hatte. Und jetzt tauchte sie wieder auf aus dem Nebel der Ve rgan-genheit, ein Geisterschiff. Brachte sie Glück oder Unglück?

Allday sah Bolitho an den Heckfenstern stehen und hinausblik-ken, wo der letzte Schimmer Tageslicht von der Gischt unter der Heckgillung reflektiert wurde.

Und er dort stellt sich bestimmt die gleiche Frage, dachte All-day. Wahrscheinlich macht er sich noch viel mehr Sorgen als ich.

Mit gekürzten Segeln legte sich die Fregatte auf den anderen Bug und richtete den Klüverbaum auf den neuen Kurs, der Biskaya und dem geplanten Treffen entgegen.

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