XVIII

Ach, Harry; du fingst genau da wieder an, wo du von der Lungenentzündung unterbrochen worden warst, und mit genau dem: Dope & Dealen. Wie sonst hättest du dir den Ford Granada leisten können, diesen» super Spritfresser«, den der» super Tarik «Ende April für dich beschaffte? Dauernd fuhrst du mit den Klingsbrüdern und Lila durch die Gegend, besuchtest aber gelegentlich auch mich, brachtest, was du vorher nicht getan hattest, meist Kuchen mit — und deine rührenden kleinen Geschenke, Buddhafiguren aus Ton, Porzellanpferde, ein bißchen Schmuck, vermutlich Hehlerware. Du warst so gierig, wie du es dem toten Benno unterstellt hattest, deine Pupillen immer Stecknadelköpfe, dein Blick unstet, dein Schlaf komatisch.»Warum«, sagtest du,»willst du mich wieder von der Reling kotzen sehen, gerade jetzt, wo ich sowieso bald substituiert werde?«

Und tatsächlich, sie» integrierten «dich als einen der ersten HIV-positiven Berliner Junkies in ihr neues Methadon-Programm, weil du die» Kriterien «erfülltest, genauer bereits» das Vollbild zeigtest«. An sich solltest du nach und nach» runterdosiert «werden, dich, wie du es mir erklärtest, aus der Abhängigkeit vom Methadon, das ja nur eine auf andere Art hochwirksame Ersatzdroge war,»allmählich rausschleichen«, doch praktisch bestimmtest du deinen» Bedarf «und warst dabei so großzügig, daß für manch» armes Schwein, ohne Connections zum Staat, auch noch ein paar Tröpfchen übrigblieben«.

Du mußtest jeden Morgen bei deinem Hausarzt erscheinen und vor den Augen einer Schwester dein Becherchen austrinken, aber freitags bekamst du deine — immer sehr reichlich bemessene — Wochenendration im Schraubgläschen mit nach Hause. Sonstige» Medikamente «gegen die Krankheit, die es damals eh kaum gab, wolltest du nicht, es sei denn, du hättest» was Akutes«. Auf» Metha «fühltest du dich, solange du ausschließlich das nahmst,»völlig schlaff«, matter und lustloser als je auf Heroin. Also machtest du den» Nebenkonsum«, der sich» so pö a pö ergeben hatte, weil Metha pur absolut trostlos «war, wieder zum Hauptkonsum, stiegst aus dem Programm aus, fingst dir die nächste Pneumonie ein und landetest wieder» bei Urbans«, für den ganzen heißen August.

In dem Moabiter Mietshaus, in dem ich bis heute wohne, war etwas frei geworden, Zimmer, Küche, Klo, dreißig Quadratmeter, zweiter Stock links. Ich saß auf deiner Klinikbettkante, flehte dich an, deinem Emser Loch doch bitte adé zu sagen und dorthin umzuziehen.»Damit du mich wieder unter deiner Fuchtel hast«, stöhntest du. Dünn und schlapp warst du geworden, ähneltest aber noch immer meinem Harry. Dein Arzt, der, den wir schon kannten, kurierte dich so gut es ging. Ich bürgte für dich bei der Meyerschen Grundbesitz-Gesellschaft, zahlte wieder die Kaution, weißte mit Marc die Wände, organisierte mit Frank ein Leihauto und den Transport deiner wenigen Sachen. Du kamst wieder nach Hause und machtest wieder genau da weiter, wo du aufgehört hattest — bis du» kaum mehr kriechen «konntest, deine» Geschäfte schleifen «ließest und mich» um zwei Scheinchen «batest, für» die allerletzten zehn Gramm Dope und bißchen Codein und Rohypnol zum Runterkommen«. Wenngleich du dich» uralt «fühltest, seiest du» nicht deine Oma«; du hättest nicht die Absicht,»demnächst ins Gras zu beißen«, zumal man das ja auch rauchen könne. So habe es angefangen, und nun müßtest du dich eben» wie die gefiederten Zitronen«(du meintest wohl Kanarienvögel) mit Hanf begnügen,»bis old Hein die Sichel wetzt und den Haary niedermäht — und alle Halme, die gelben und die grünen, die schwachen und die starken. Das ist dem piepegal«, sagtest du lächelnd; je weniger Grund es dafür gab, um so mehr lächeltest du. Du sperrtest hinter dem Bretterholz, von dem dir Frank drei Stapel spendiert hatte und das» irgendwann Bett, Tisch und Regal «werden sollte, deine neue Wohnung zu; ich überließ meine auf vorerst unbegrenzte Zeit einer Freundin, die frisch aus dem Osten gekommen war, und mietete über Clara ein Häuschen im Wendland, das eine ihrer Genossinnen, eine Freiburgerin namens Ilona Eisschädel, zu Anti-AKW-Kampfzeiten einem verängstigten Bauern abgekauft hatte, jedoch nur selten nutzte. Es lag, für unsere Zwecke ideal, an einem Waldpfad, die nächste Bushaltestelle fünfzehn Kilometer entfernt. Wir fuhren, samt den drei Koffern voll Fressalien, Zigaretten, Schnaps für mich, mit der Bahn und dann weiter im Taxi bis ans Gartentor. Soll ich dir von dem kalten Entzug erzählen?! Wie dreckig es dir ging, weiß keiner besser als du. Mich zerriß es fast vor Mitleid, obwohl ich sieben Tage lang deine verschissenen Bettlaken in einem Zinktrog sauberschrubbte; immerhin hörtest du nach acht Tagen auf zu toben und konntest am neunten einen Viertelliter Kamillentee trinken, ohne ihn gleich wieder auszuspucken. Nach zwanzig Tagen warst du über den Berg, nach vierzig reisten wir heim, und Ende November 1988 wurdest du wieder rückfällig, dann wieder krank; diesmal so schwer, daß du dich nicht mehr erholtest. Weihnachten und Silvester, den Januar 1989 und den halben Februar verbrachtest du wieder im Urban; ein Karzinom hatte deine Leber befallen, du mußtest operiert, der, wie du meintest,»winzige «Tumor entfernt werden. Doch wegen deiner HIV-Erkrankung konnten sie dich anschließend weder bestrahlen noch den Strapazen einer Chemotherapie aussetzen.»Immerhin«, sagte dein Arzt, habe» sich die Zahl deiner T-Helferzellen ziemlich konstant bei etwa 500 pro Mikroliter Blut eingepegelt«, und du hättest ein» leistungsfähiges Herz«.

«Ich möchte nach Spanien. Nirgends ist es so schön wie auf Teneriffa. Ich sehe mich am Playa de Los Cristianos im feinen grauen Sand liegen, zusammengerollt wie eine Viper. Die Sonne brennt herab, und meine schuppige Haut, die dem Sand gleicht, trinkt sie. Ich bin allein, ringsum weder Feinde noch Beute. Ich muß mich nicht bewegen, nicht am Tag und nicht in der Nacht. Ich höre nichts, weder das Meer noch Schiffe oder Vögel, denn ich habe keine Ohren, kein Verlangen, außer dem nach Wärme. Mir kann es gar nicht warm genug sein und nicht still genug. Auch wenn die Sonne geht, ich bleibe liegen, grab mich vielleicht ein bißchen ein im Sand, der die Wärme lange hält. Aber die Sonne geht ja nicht, nur unter. Und morgen kommt sie wieder, und ich bin immer noch da.«

Deine kleine, helle Moabiter Wohnung, die ich mit Marc so schön gestrichen hatte, sahst du nie wieder. Sie transportierten dich von der Klinik aus in ein nagelneues, von mehreren sozialen Instanzen gemeinsam bewirtschaftetes Projekt für pflegebedürftig gewordene Opiatabhängige und die ersten Aidskranken. Da du beides warst, gehörtest du zu den Pionieren des DIK; und DIK war nichts anderes als die initialisierte Schreibweise von Daheim im Kiez.

Kiez, der Ausdruck ärgerte dich. Nie hätten Berliner ihre Gegenden Kietz genannt, und diese seltsame Brachlandschaft, in die es dich nun verschlagen habe, sei einem Kiez nicht ähnlicher als einem Kitz. Und damit hattest du verdammt recht. Ich entsinne mich genau meiner ersten Fahrt dorthin; wüst und leer war dieses Areal am Anhalter Bahnhof. Ich sprang, als der volle Bus nur für mich gehalten hatte, von dessen Trittbrett, im letzten Moment, weil ich nicht glauben wollte, daß ich hier richtig sei, schaute mich um und dachte: wie kurz nach dem Krieg; die Bahnhofsruine, ein Stück lückenhafte Stresemannstraße, der eingerüstete Martin-Gropius-Bau und, einen Steinwurf weiter, die Mauer, die von der Westberliner Seite aus nirgends sonst einen derart nackten Anblick bot. Dazwischen verdorrtes Unkraut und ein paar noch ödere Flächen, über denen Tauben, Möwen, Krähen kreisten. Keine anderen Wesen ließen sich sehen, kein Hund, kein Mensch; nicht eine Seele, die ich fragen konnte, wo die Bernburger Straße sei. Aber schließlich fand ich sie allein, obwohl ich schon drei-, viermal an ihr vorbeigelaufen war, denn die Nummern 9 A, B und C der Bernburger Straße befanden sich nicht in der Bernburger, sondern in einem entkernten Hinterhof der Stresemannstraße.

Du hattest eines der drei Zimmer im zweiten Stock bekommen, ein gutes Zimmer mit einem großen Fenster, aus dem man außer dem Flachdach einer Garage auch die nahe Kirche, das angrenzende Baugrundstück und weiter entfernt ein anscheinend ungenutztes Bürogebäude aus der Nazizeit sehen konnte. Doch du sahst das alles nicht, denn das neue Metallbett, das offenbar zum Inventar des ansonsten noch leeren Raumes gehörte, stand mit dem Kopfende unter dem Fenster, genauer zwischen diesem und der linken von vier zartblau getönten Wänden.

«Da ist ja mein Bärchen«, sagtest du leise, als ich eintrat. — Von jenem Tage an nanntest du mich nur noch Bärchen und nie mehr Baby. Ich fragte nicht, wie es dir ginge, das sah ich ja, sondern setzte mich neben dich auf das Bett, in dem du wenigstens nicht lagst. Du trugst einen häßlichen weinroten Trainingsanzug, der dir viel zu groß war.

Aus Armeebeständen, fragte ich.

«Soldat Krüger meldet sich zurück vom Frühsport. Darf er vielleicht noch fünfzig Kniebeugen machen?«sagtest du lächelnd.

Wir besprachen, welche von deinen Sachen du brauchen würdest und welche erst einmal nicht. Du wolltest deine Kleidung,»aber nur die schicken Teile«, und vor allem den Bademantel, außerdem den Sony-Plattenspieler und die Platten, Straßen-, Turn- und Hausschuhe, deine Fantasyromane, deinen Rasierapparat.

Und Möbel, fragte ich ein wenig vorwurfsvoll, was ist mit Möbeln? Oder soll ich dir Franks Bretter herkarren lassen?

«Die haben hier so einiges, Schränke, Tische, Stühle, alles gespendet und fast neu«, sagtest du.

Und Julis Plüschsofa, fragte ich mit geheucheltem Entsetzen.

«Das kann wieder da hin, wo ich es herhatte, auf den Sperrmüll«, gabst du lächelnd zur Antwort.

Und deine Wohnung, soll ich die nun abmelden, fragte ich weiter.

«Ich denke schon«, sagtest du und hörtest endlich auf zu lächeln. Du schriebst mir noch eine Bankvollmacht, erklärtest, der Leiter des Projekts, ein gewisser Sören, hätte auch eine. Ich solle mich also nicht sorgen. Falls ich dir dein Geld mal nicht gleich bringen könnte, müßtest du nicht verhungern.»Bin müde«, flüstertest du mir ins Ohr und rolltest dich an die Wand. Ich verstand. Du wolltest, daß ich mich zu dir lege; es war schon ein Ritual.

Wir schwiegen eine Weile, du streicheltest meinen Arm, ich dein feuchtes Haar. Dann fragte ich: Wenn du jetzt einen Wunsch frei hättest, nur einen einzigen, was würdest du dir wünschen?

«Zehn Wünsche«, sagtest du, ohne mit der Wimper zu zucken.

Darauf ich, wie zu einem Kind: Gut, dann eben einfacher. Fehlt dir etwas? Hast du irgendeinen halbwegs normalen Wunsch, den ich dir erfüllen könnte?

«Ja«, sagtest du nach einer Pause,»eine Pistole.«

Ich fuhr hoch und sah dich groß an. Die von der Drogenfahndung haben leider keine bei mir vergessen, versuchte ich zu scherzen, wurde aber gleich wieder ernst: Und selbst wenn, ich wüßte gar nicht, wo ich so ein Ding auftreiben sollte. Und glaubst du etwa, ich laufe da draußen rum und frage mich jede Minute, ob du noch lebst oder ob du dich schon erschossen hast, mit meinem Geschenk?

«Stimmt, das ist ein Problem«, sagtest du, nun wieder lächelnd.»Meine Kontakte sind auch nicht mehr das, was sie waren. Und vielleicht hätte ich ja nicht mal mehr die Kraft, den Abzughahn zu spannen. Trotzdem, Bärchen, denk darüber nach. Du mußt mir die Kanone nicht schenken, ich kann bezahlen.«

Ach, Harry, du ahnst nicht, wie oft ich tatsächlich darüber nachgedacht, mich gefragt habe, was dir erspart geblieben wäre, wenn ich meine Feigheit bezwungen und die Pistole besorgt hätte.

Ich hatte mir vorgenommen, dich mindestens einmal die Woche zu besuchen, aber ich schaffte es nicht. Nicht, weil ich keine Zeit gehabt hätte oder weil du mir gleichgültig geworden wärst, sondern, weil du mir das Herz brachst; eine andere Metapher wäre vielleicht weniger kitschig, doch auch weniger wahr. Jedesmal, wenn ich sah, wie du mich dort, in dieser nett hergerichteten Pension für Todkranke, lächelnd erwartetest, wie du mir, im Trainings- oder Schlafanzug, je nachdem, ob es dir etwas besser oder etwas schlechter ging, die Arme entgegenstrecktest und» da bist du ja, mein Bärchen «riefst, kamen mir die Tränen — und meistens konnte ich sie nicht aufhalten. — Und du zogst mich an deine Brust und sagtest tröstend,»nun sei nicht traurig, dein Haary ist bei dir «oder etwas Ähnliches.

Hätten mich der Verfall deiner Schönheit und das Schwinden deiner physischen Kräfte womöglich nicht so geängstigt, wenn die Abstände von einem Besuch zum nächsten kleiner gewesen wären? Und wäre ich öfter gekommen und hätte diese Veränderungen nicht plötzlich, sondern allmählicher wahrgenommen, ich hätte nichts gewonnen, jedenfalls nicht dich zurück. Von dem Harry, den ich liebte und noch liebe, hatte und habe ich ein ganz bestimmtes inneres Bild, das kein späteres überblenden oder gar verdrängen kann. Nur an diesem Bild maß ich, was ich sah. Ich fühlte mich wie ein Zollbeamter, der von einem alten Paßbild auf und in das — jenem Foto längst nicht mehr ähnliche — Gesicht der vor ihm stehenden Gestalt blickt und doch erkennt, ob es sich bei dem im Ausweis und dem Fünfzigjährigen, der gerade ein Flugzeug verlassen hat, um denselben Menschen handelt oder eben nicht. Dein Bild klebte (und klebt) in meinem Gedächtnis. Ich sah, daß du Harry warst, aber im Unterschied zu einem Zöllner erschrak ich jedesmal wieder und mehr, weil deine wirkliche Erscheinung diesem Bild immer weniger entsprach.

«Wenn es das geben würde, hätte ich gerne eine heißblütige Schlange, die müßte immer bei mir sein. Und orangegelbe Übergardinen wären ganz phantastisch, obwohl es die ja geben könnte. Ich liege da, wärme mich an meiner Schlange, und durch diese Vorhänge fällt das Licht. Jeden Tag ist es so, als ob die Sonne scheint, egal, was die da draußen für ein Mistwetter haben.«

Ich kam, wenn ich mich stark genug fühlte oder wenn du anriefst und mich, ohne daß deine Stimme jemals auch nur im entferntesten vorwurfsvoll geklungen hätte, fragtest, wo ich denn bliebe; beides wurde mit der Zeit seltener. Ich saß dann an deinem Bett, erkundigte mich nach dem Einerlei deines Alltags und danach, was du brauchen könntest. Manchmal hattest du keine Wünsche, außer dem einen, der unser Ritual war, manchmal hattest du doch welche. Du wolltest deinen Karatedress,»eine Zitrone zum Schnuppern«, meinen roten Bademantel,»aber nicht frisch gewaschen«, ein Stofftier, wenn möglich einen Tiger oder einen Affen, eine Portion Brühnudeln, eine Kohlroulade, ein Vanilleeis und» sonnengelbe Vorhänge«; auf die Pistole kamst du nie mehr zurück. Bei meinem jeweils nächsten Besuch brachte ich dir das beim jeweils letzten Bestellte. Oft konntest du dich gar nicht daran erinnern, daß du dieses oder jenes verlangt hattest, zogst dennoch ein erfreutes Gesicht und lobtest mich für die» schöne Überraschung«. Aber die gelben Vorhänge, die ich gemeinsam mit deinem Lieblingspfleger Wolfgang an deinem Fenster befestigte, die gefielen dir wirklich; und seit ich dein Heft gelesen habe, weiß ich, warum.

Ich blieb selten länger als eine Stunde, auch weil du von Mal zu Mal einsilbiger wurdest; du hattest» von dir aus «kaum mehr das Bedürfnis, dich mitzuteilen, warst, wie du es ausdrücktest,»in Gedanken versunken«. Und wenn ich dich fragte, was für Gedanken das wären, lächeltest du und sagtest» keine Ahnung«. Außerdem hattest du im September aufgehört zu rauchen.»Es bekommt mir einfach nicht mehr. Ein Zug, schon belle ich los wie ein Kettenhund. Manchmal rauche ich noch im Traum und erwache schweißgebadet, davon, daß mir kotzübel ist. Sogar das Fernsehen habe ich mir abgewöhnt, weil vor unserer einzigen Glotze wie ein Autokinodauerparker Jogi in seinem Rollstuhl sitzt und eine nach der anderen pafft«, sagtest du; es war einer deiner besseren Tage, einer, an dem du sprachst.

Also verließ ich, wenn ich rauchen wollte, und wann wollte ich das nicht, dein Zimmer und ging entweder zu diesem Jogi in den» Clubraum «oder, falls der gerade Dienst hatte, zu deinem Lieblingspfleger Wolfgang. Mit Wolfgang ließ sich gut reden; er mochte dich, nannte dich einen» Grande Senior«. Von Wolfgang erfuhr ich, wie es wirklich um dich stand. Er meinte, du hättest nicht nur ein starkes Herz, sondern auch einen starken Charakter. Es hänge viel davon ab, ob du noch eine Weile bereit wärst, die Schmerzen, die du schon hättest und die nur schlimmer würden, zu ertragen. Das sei ja die» verflixte Crux «mit euch Junkies, man könne eure Leiden kaum lindern.»Menschen wie du oder ich«, sagte Wolfgang,»bekämen in seiner Situation Opiate, und alles wäre easy. Aber bei Harry, der ja nach wie vor substituiert wird, seit einiger Zeit mit Polamidon, das weniger deprimierende Nebenwirkungen hat als Methadon, kann Morphium nicht wirken, nicht einmal in höchster Konzentration. Womit, wenn nicht mit Morphium, dem besten uns bekannten Analgetikum, nimmt man einem lebenslänglichen Morphinisten die Schmerzen? Das ist doch die Frage, die wir uns hier jeden Tag stellen.«

Ich nickte und hielt Wolfgang meine Camel — Packung hin. Was meinst du, sagte ich während wir rauchten, sollte ich Harry demnächst einen kleinen Fernsehapparat und eine Zimmerantenne mitbringen?

«Klar«, antwortete Wolfgang,»warum nicht? Solange er noch sehen kann, ist Ablenkung sicher gut für ihn.«

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