Philippos war froh, die Färberei hinter sich gelassen zu haben und in das Haus Abimilkus zurückgekehrt zu sein. Er hatte bei Sonnenuntergang ein Bad im Meer genommen, um den gräßlichen Geruch nach fauligem Fisch loszuwerden, doch es hatte nichts genutzt. Es war, als sei der Gestank tief in seine Haut eingedrungen. Seine Finger, seine Haare, alles roch nach Fisch! Ja, er wunderte sich, daß es die Familie Abimilkus mit ihm an einem Tisch aushielt. Es gab eine große Schale mit Fischbrühe, in die alle abwechselnd ihr Brot tunkten. Außerdem standen frische Zwiebeln und eine riesige Melone auf dem Tisch.
Philippos starrte mit gemischten Gefühlen auf die Suppe. Er würde nichts herunterbekommen, was auch nur im entferntesten an Fisch erinnerte!
Die Stimmung bei Tisch war seltsam gedrückt und das, obwohl es eigentlich gute Nachrichten gab. Vor dem Essen hatte Philippos noch einmal die Wunde des Kapitäns untersucht. Sie war so gut verheilt, daß er vom nächsten Tag an wieder auf dem Boot arbeiten konnte.
Als die Schale mit der Fischsuppe geleert war, zogen sich die Frau des Tauchers und seine Kinder vom Dach des kleinen Hauses zurück und ließen die beiden Männer allein. Abimilku machte ein bekümmertes Gesicht und drehte unschlüssig den kleinen Tonbecher zwischen den Fingern, aus dem er während des Essens verdünnten Wein getrunken hatte.
Schließlich mochte Philippos die Ungewißheit nicht mehr länger ertragen. »Was ist mit dir los, mein Freund? Was bedrückt dich? Hast du nicht allen Anlaß zur Freude?«
Abimilku konnte ihm nicht in die Augen sehen. Verlegen hob er den Kopf und blickte zum hellen Abendhimmel. »Ich weiß, welch großen Dienst du mir erwiesen hast, Philippos, und du kannst gewiß sein, daß ich dir mein ganzes Leben lang dankbar dafür sein werde, daß du mir meinen Arm gerettet hast. Du sollst auch nicht denken, ich sei undankbar ... Weißt du, ich habe immer für dich gesprochen, doch mein Wort hatte nicht genug Gewicht.«
»Wovon redest du? Was willst du mir damit sagen?« Philippos spürte, wie sich seine Gedärme zusammenzogen. Instinktiv spähte er über den Rand des Daches hinweg und überlegte, auf welchem Weg er fliehen könnte, falls die Situation es erfordern sollte. In der Gasse, an die das kleine Haus grenzte, standen einige Männer.
»Du hast in den letzten Tagen sehr viele Fragen gestellt, Philippos. Das ist einigen meiner Freunde aufgefallen. Das wäre auch sicher nicht weiter schlimm, wenn du andere Fragen gestellt hättest. Fremde sind nun einmal neugierig ... Aber warum interessierst du dich so sehr für die großen Geschäftsleute und die Priesterschaft? Warum willst du wissen, wer Handel mit den Ägyptern treibt und wer ein Feind der Römer ist? Verstehe mich nicht falsch, Philippos! Nicht ich bin es, der dir nicht mehr traut . Es sind andere, die sich Sorgen machen.«
Der Grieche warf einen abschätzenden Blick zur Dachkante.
Mit einem Satz konnte er am Rand des niedrigen Daches sein und in den Innenhof hinabspringen. Von dort könnte er in eines der angrenzenden Häuser laufen und zusehen, daß er einen Weg auf eine der anderen Straßen fand, die den kleinen Häuserblock umgaben. Die Männer unten vorm Haus hatten sich nicht von der Stelle bewegt, und der Grieche glaubte nicht mehr daran, daß es Zufall war, daß sie dort standen.
»Worauf willst du hinaus, Abimilku? Welche Schurkerei unterstellt man mir? Rede, denn nur wenn ich weiß, was man mir vorwirft, kann ich meine Unschuld beweisen.«
Der Taucher räusperte sich und nahm dann einen tiefen Schluck aus seinem Becher. »Es sind Gerüchte ... Man sagt, daß du nie ein Söldner gewesen bist . Daß du dies nur erzählst, um dich in unser Vertrauen zu schleichen. Nie hast du davon gesprochen, in welchen Schlachten du gekämpft hast, so wie es eigentlich alle Soldaten zu tun pflegen. Und deine Heilkunst! Die, die dir Übles wollen, behaupten, du seiest ein Arzt und ein Weiser. Daß du meinen Arm gerettet hast, gilt ihnen als Beweis dafür. Sie sagen, Söldner schlagen Wunden, sie zu verbinden, sei nicht ihre Sache. Und dann deine Fragen . Weißt du, für die meisten sieht es so aus, als seiest du ein römischer Spitzel. Ich habe ihnen gesagt, daß du auf Empfehlung des Kaufmanns Simon auf mein Boot gekommen bist und daß die Judäer Krieg mit den Römern führen. Würde Simon also gut über einen Feind seines Volkes sprechen? Aber die anderen haben gelacht. Sie sagten, daß es kein Zufall sei, daß du ausgerechnet in mein Haus gekommen seist und daß ...« Abimilku schüttelte den Kopf. »Du mußt mir verzeihen. Ich habe alles für dich getan, was in meiner Macht stand, doch sie wollten mir nicht glauben.«
»Wer sind sie?« Philippos hatte sich halb aufgerichtet und war bereit zur Flucht.
»Das darf ich dir nicht sagen. Sie haben Macht ... Mein Einfluß war gerade groß genug, dafür zu sorgen, daß du deine Unschuld beweisen kannst. Du bist doch ein Söldner, nicht wahr?«
Es war das erste Mal, daß Abimilku ihm ins Gesicht blickte.
Der Grieche nickte. »Ich verstehe es sehr wohl, mit dem Gladius und dem Pilum umzugehen.«
»Das solltest du ihnen nicht sagen, wenn sie dich fragen. Gladius und Pilum, das sind die Waffen eines römischen Soldaten. Sprich von Schwert und Speer!« Abimilku spielte nervös mit dem Saum seiner Tunica. »Ich kann dir doch vertrauen? Weißt du, ich habe dir schon mehr gesagt, als ich eigentlich darf.«
»Ich schwöre dir bei Zeus, daß ich zwanzig Jahre lang Soldat gewesen bin. Möge er mich auf der Stelle mit einem Blitz erschlagen, wenn ich lügen sollte und .«
Abimilku seufzte erleichtert. »Das genügt. Ich wußte, daß ich dir trauen kann. So, wie die Dinge stehen, brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen. Die Prüfung kann dir nicht gefährlich werden.«
»Welche Prüfung?«
»Jene, die an dir zweifelten, haben einen Söldner angeworben. Sie waren der Meinung, daß er sofort erkennen könnte, ob du schon einmal ein Schwert geführt hast oder ob du nur ein Heilkundiger und Spitzel bist, der sich als Krieger ausgibt. Du sollst mit ihm kämpfen.«
»Ich soll was? Das ist doch Wahnsinn!« Philippos war aufgesprungen und machte einen Schritt auf die Dachkante zu, hinter der der Innenhof lag. Dann hielt er mit einem leisen Fluch auf den Lippen inne. Auch dort unten stand eine kleine Gruppe von Männern, die anscheinend auf ihn wartete.
Abimilku trat an seine Seite und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Du mußt entschuldigen, doch man hat mich beauftragt, dafür zu sorgen, daß du auf keinen Fall davonlaufen kannst. Setz dich wieder zu mir und trink einen Becher Wein mit mir. Du wirst dich dann besser fühlen.« Der Taucher nahm den Krug vom Tisch und goß Philippos ein. »Wir müssen noch warten, bis es dunkel geworden ist. Ich werde dir dann die Augen verbinden und dich an den Ort bringen, an dem sich dein Schicksal entscheidet.«
Der Grieche nahm den Becher. Was konnte er auch tun? Als Legionsarzt hatte er zwar regelmäßig an den Waffenübungen teilgenommen, doch hatte er Zweifel, ob er es mit einem jungen Söldner aufnehmen könnte. Stumm betete er zur Pallas.
So wie die Dinge standen, würde er diese Nacht wohl nur überleben, wenn die Göttin ihm beistand.
Als Philippos die Augenbinde abgenommen wurde, fand er sich auf einem kleinen, von Fackeln beleuchteten Hof. Neugierig blickte er sich um. Die Wände ringsherum waren mit bunten Ziegelmosaiken geschmückt, die einen Palmenhain zeigten.
Der Hof war nicht sehr groß. Vielleicht sechs mal sechs Schritt. Vier Türen führten von ihm fort.
»Du bist also der griechische Söldner.«
Ein dunkelhäutiger Mann in einer weißen Tuchrüstung stand an einem der Eingänge und grinste Philippos siegessicher entgegen. »In welchen Kriegen hast du denn gekämpft, alter Mann?«
»Ich habe in der Armee des Mithridates die Römer das Fürchten gelehrt, als du noch ein Kind gewesen bist. Danach habe ich mich als Söldner für Sertorius verdingt.«
Der Krieger lachte. »Dann weißt du ja schon, wie es ist, wenn man verliert. Von deinen Herren hat keiner den Zorn der Römer überlebt.«
»Ich kenne niemanden, der sich gegen Rom erhoben hat und am Ende obsiegt hätte.«
»Vielleicht hatten sie die falschen Anführer? Mit mutigen Soldaten allein kann man keinen Krieg gewinnen.« Aus der Finsternis ertönte zustimmendes Gemurmel.
Philippos legte den Kopf in den Nacken und spähte zu den Dächern hinauf, die den Hof umgaben. Hier unten war er mit dem Söldner allein, doch auf den Dächern zeigte sich reichlich Publikum. Der Arzt konnte einen der Taucher aus Abimilkus Boot erkennen. Auch der Kapitän war zugegen.
Die meisten Männer jedoch waren dem Griechen unbekannt.
Einige trugen reichen Schmuck und kostbare Gewänder.
Offenbar gehörten sie zur Oberschicht der Stadt. Philippos fluchte leise. Er hatte es wieder einmal geschafft, sich mächtige Feinde zu machen! Es konnte keinen Zweifel daran geben, daß sie ihn umbringen würden, wenn er die Probe nicht zu ihrer Zufriedenheit bestand. Zwischen den Schaulustigen konnte er zwei Bogenschützen erkennen, und höchstwahrscheinlich waren dort oben in der Finsternis noch mehr Soldaten verborgen. Er mußte den Zweikampf bestehen! Einen anderen Weg gab es nicht, um lebend dieses Haus zu verlassen.
»Nun, ist dir dein Herz in die Sandalen gerutscht?« spottete der dunkelhäutige Krieger. »Wenn du dich nicht aufs Kämpfen verstehst, so rate ich dir, sage es jetzt, dann werde ich dir einen schnellen Tod schenken. Wenn du versuchst, mich zu betrügen, dann wirst du sehr langsam sterben.«
Philippos reckte stolz sein Kinn vor und musterte den Mann.
Der Söldner war mindestens zehn Jahre jünger. Er war nicht sonderlich groß und schien auch nicht sehr muskulös zu sein. Das bedeutete, daß er schnell war!
»Ich bin nicht gekommen, um mit Worten zu streiten. Bist du bereit?«
Der Krieger nickte. »Welche Waffen wählst du?«
»Den großen Schild und das Kurzschwert.«
»Die Waffen der Römer! Eine ungewöhnliche Wahl für jemanden, der vorgibt, griechischer Söldner zu sein.«
»Ich habe gesehen, auf welche Art die Römer siegen und von ihnen gelernt. Deshalb lebe ich noch.«
»Du weißt immer auf alles eine Antwort, Grieche. Ganz so wie ein Spitzel, der sich gut auf seine Aufgabe vorbereitet hat.«
Philippos ignorierte die Provokation. »Die Waffen! Ich warte.«
Der Söldner schüttelte den Kopf. »Ich muß dich enttäuschen. Wir haben keine Schilde. Aber mit einem Kurzschwert kann ich dir dienen. Sogar mit einem, wie die Römer es führen.« Aus einem der Hauseingänge trat ein Mann, der ein fest verschnürtes Bündel aus Decken auf der Schulter trug. Auf der Mitte des Hofes angelangt, legte er seine Last auf den gepflasterten Boden und löste die Lederschnüre, mit denen die Decken umschlungen war. Dann rollte er sie aus, und sechs gut eingefettete Kurzschwerter kamen zum Vorschein. Philippos nahm eine der Waffen und wog sie prüfend in der Hand. Das Schwert war gut ausbalanciert. Seine Klinge war so lang wie sein Unterarm und etwas weniger als drei Finger breit. Das letzte Drittel des Stichblatts verjüngte sich langsam zu einer schlanken Spitze. Beide Seiten der Schwertklinge waren scharf geschliffen. Am Ende des lederumwickelten Griffs saß ein schwerer, kugelförmiger Bronzeknauf, der als Gegengewicht diente und dafür sorgte, daß die Waffe nicht kopflastig war.
Philippos vollführte mit dem Schwert einige Schläge in die Luft und trat dann ein wenig zurück. »Ich habe meine Wahl getroffen. Such du dir nun die Waffe aus, die dich in deinen Tod begleiten soll.«
Der Söldner lachte laut. »Wie ich sehe, bist du um Worte nicht verlegen, doch das allein wird dir nicht helfen.« Der Söldner gab dem Mann, der die Waffen gebracht hatte, ein Zeichen. Dieser rollte die Decke wieder auf und nahm die Schwerter mit. »Du gestattest, daß ich mit meinem eigenen Schwert kämpfe? Du weißt ja, Söldner sind eigen in solchen Dingen.«
Hinter dem Krieger trat ein Sklave aus der Finsternis auf, der ein großes Schwert trug.
Philippos traute seinen Augen kaum. Die Waffe seines Gegners war fast doppelt so lang wie sein Gladius. Der Arzt hatte von solchen Schwertern schon gehört. Angeblich führten die Gallier solche Waffen. Tatsächlich gesehen hatte er aber noch nie ein Schwert von dieser Größe.
»Eine ungewöhnliche Waffe. Gestattest du, daß ich sie mir näher ansehe?«
»Warum nicht?« Der Söldner zog das Schwert aus seiner bronzebeschlagenen Scheide und reichte es Philippos. Die Spitze der Klinge war sehr kurz. Das Schwert war nur auf einer Seite geschliffen. Sein Griff war aus Horn geschnitten und wie Bienenwaben gemustert. Dicht unter dem Heft war der Schwertgriff eingekehlt, so daß der Zeigefinger von den übrigen Fingern der Hand getrennt war, wenn man die Waffe umschloß.
Vorsichtig führte der Grieche zwei Schläge in die Luft. Das Schwert war sehr kopflastig. Eine reine Hiebwaffe, die ihre tödliche Wirkung durch ihr Gewicht und durch Schläge entfaltete, die aus der Schulter heraus geführt wurden.
Philippos gab dem Söldner sein Schwert zurück. Wenn er gegen diese Klinge bestehen wollte, dann müßte er dicht an seinem Gegner bleiben. Jetzt wußte Philippos, warum in diesem Kampf keine Schilde zugelassen waren. So gewappnet, wäre es ein leichtes gewesen, den Söldner auszumanövrieren.
»Eine prächtige Waffe.«
Der Krieger nickte. »Ich habe sie von einem Parther, der sie nicht mehr braucht. Bist du bereit?«
Philippos überlegte fieberhaft, ob es irgendeine Ausrede gab, mit der er den Beginn des Duells noch ein wenig hinauszögern konnte. Er wollte seinen Gegner studieren ... wissen, was für eine Art von Kämpfer er war, kühn, berechnend, impulsiv ... Der Grieche hatte nicht den geringsten Zweifel daran, in dem Mann einen erfahrenen Soldaten vor sich zu haben. Der Söldner hatte genau jene Art von Selbstbewußtsein, die aus Erfahrung im Töten resultierte. Wahrscheinlich hatte sein Gegner gerade in diesem Augenblick ganz ähnliche Gedanken wie er selbst und versuchte, sich ein Bild von ihm zu machen.
»Nun?« Die Stimme seines Gegenüber klang überheblich, fast schon verächtlich. »Was ist mit dir, alter Mann? Ziehst du den schnellen Tod vor?«
Philippos versuchte, halbwegs zuversichtlich zu lächeln. »Wenn du gestattest, möchte ich mich auf meine Art vorbereiten. Es dauert nur einen Augenblick. Dann können wir beginnen.«
Der dunkelhäutige Söldner runzelte die Stirn, dann zuckte er mit den Schultern. »Ich sehe schon, du möchtest deinen Tod noch ein wenig hinausschieben. Mach deinen Frieden mit deinen Göttern und bereite dich darauf vor, schon in einer Stunde im Hades zu sein.«
Der Arzt verzichtete auf eine Antwort. Statt dessen kniete er nieder und begann, die Riemen seiner Caligae zu lösen. Die mit Eisennägeln beschlagenen Sandalen hatten ihn durch ein halbes Dutzend römischer Provinzen getragen. Jetzt würden sie ihm vielleicht das Leben retten.
»Was machst du da, alter Mann? Glaubst du, Charon wird dich freundlicher empfangen, wenn du mit nackten Füßen vor ihn trittst?«
»Du wirst schon noch sehen, was ich hier mache, junger Mann.« Philippos glaubte, einen Anflug von Unsicherheit aus der Stimme seines Gegners herausgehört zu haben, und jetzt fiel es ihm schon erheblich leichter, den Krieger anzulächeln. »Es gibt keinen Zweifel daran, daß du jünger bist und dein längeres Schwert dir in diesem Kampf einen Vorteil verschaffen wird. Ich bemühe mich, deinen Vorsprung ein wenig zu verkürzen. Alter, mein junger Freund, muß nicht nur von Nachteil sein.«
Philippos hatte jetzt beide Caligae ausgezogen und begann damit, sie mit der nagelbeschlagenen Sohle nach außen, auf seinen linken Unterarm zu binden. Er würde sie wie eine Armschiene benutzen. Wenn er flink genug war, konnte er mit ihrer Hilfe das Schwert seines Gegners zur Seite schlagen. Er mußte nur verhindern, daß die Waffe seines Gegners im rechten Winkel auf seinen Arm auftraf. Das zähe Leder und die Nägel würden zwar vermutlich verhindern, daß die Klinge ihm eine blutige Wunde schlug, doch die Wucht des Schlages allein würde schon ausreichen, um die beiden Knochen seines Unterarmes zu zerschmettern. Philippos erhob sich, doch ließ er das Schwert noch vor sich auf dem Pflaster liegen.
»Was nun, Alter? Willst du versuchen, mich mit bloßen Fäusten und deinem lächerlichen Armschutz zu besiegen? Wenn ich so gegen dich antrete, könnte man mich mit Recht einen Mörder nennen. Nimm dein Schwert!«
»Keine Sorge, ich werde deinem guten Ruf nicht schaden. Wie heißt du eigentlich? Ich kenne gerne die Namen derjenigen, die ich im Zweikampf töte.« Voller Genugtuung hörte Philippos das Raunen auf den Dächern. Sein Auftritt hatte allem Anschein nach Eindruck gemacht.
»Man nennt mich Hophra den Ägypter!«
»Mach dich bereit, vor deine tierköpfigen Götter zu treten.«
Der Grieche streifte seine Tunica über den Kopf. Von oben erklangen erstaunte Rufe. Offenbar hielt man ihn jetzt für vollkommen verrückt. Er wickelte sich den Stoff um seinen Arm.
Es war nur dünnes Leinen, doch hoffte er, daß es die Wucht der Treffer, die er zu erwarten hatte, wenigstens ein bißchen abmildern würde.
Der Ägypter lachte, doch es klang falsch und schrill. »Du bist kein schöner Anblick mehr! Hoffst du, mich auf diese Weise zu erschrecken, so daß ich versteinere, ganz so, als hätte ich das Haupt der Gorgo erblickt?«
Philippos hob seine Arme in großer Geste und legte den Kopf in den Nacken, um zu den Gaffern emporzublicken. »Wenn in meiner Heimat zwei Faustkämpfer gegeneinander antreten, dann ist es üblich, daß sie nackt kämpfen. Schwertkämpfe auf Leben und Tod kennt man in Griechenland nicht. Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen einzuwenden, wenn ich für mich die Traditionen des zivilisierten Zweikampfs für dieses blutrünstige Spektakel übernehme.«
»Fang endlich an, Hasenherz! Wir wollen nicht wissen, ob du ein Rhetor bist. Zeig uns, wie du kämpfst!«
»Wenn du ein so großer Jäger bist, dann weißt du sicherlich, wie überaus schwierig es sein kann, einen Hasen zu erlegen. Vor allem, wenn einem dazu nichts als ein Schwert zur Verfügung steht.« Philippos bückte sich und hob seine Waffe auf.
Er hatte gehofft, den Ägypter genügend provoziert zu haben, um ihn zu einem sofortigen, unüberlegten Angriff zu reizen.
Doch Hophra bewahrte die Ruhe. Lauernd umkreisten sie einander, die Schwerter leicht gehoben, jederzeit bereit, eine Attacke des Gegners zu parieren.
Das leise Knirschen der Ledersohlen des Ägypters und das Knistern der Fackeln waren die einzigen Geräusche, die die angespannte Stille störten. Langsam begann Philippos, unruhig zu werden. Er fragte sich, wie lange Hophra dieses Spiel noch treiben wollte. Der Söldner hatte alle Vorteile auf seiner Seite. Er war jung und mit Sicherheit schneller, und er hatte die längere Waffe. Es war an ihm, anzugreifen!
So als habe der Krieger seine Gedanken gelesen, sprang er vor und führte mit der Rückhand einen Schlag, der auf den Kopf des Griechen zielte. Philippos duckte sich zur Seite und riß dann im letzten Augenblick sein Schwert hinab, um einen Stich zu parieren, den der Söldner aus dem Schwung des fehlgegangenen Hiebes gegen seinen Unterleib führte.
Mit zwei schnellen Schritten nach hinten brachte sich Philippos außer Reichweite des Schwertes. Hophra grinste. Offenbar war ihm der Angriff nicht ernst gewesen. Der Söldner hatte wohl nur ausprobieren wollen, wie schnell er auf ihn reagierte, dachte Philippos verärgert. Vielleicht war es ja die falsche Strategie, dem Ägypter die Initiative zu überlassen. Er sollte ihn angreifen! Wenn der Kerl nur nicht so ein verdammt langes Schwert hätte!
Hophra machte erneut einen Ausfall und trieb Philippos mit einer ganzen Serie von Schlägen vor sich her. Erst im allerletzten Moment durchschaute der Grieche die heimtückische Absicht, die hinter den Attacken steckte. Der Ägypter wollte ihn bis gegen eine der Wände des engen Hofes zurücktreiben, so daß er keine Möglichkeit mehr gehabt hätte, den Angriffen auszuweichen. Mit einem Satz tauchte der Grieche unter der Klinge des Söldners hinweg, rollte sich über seine Schulter ab und kam hinter dem Ägypter wieder auf die Beine. Ein stechender Schmerz pochte in seiner linken Schulter. Er mußte sich einen Muskel gezerrt haben. Philippos biß die Zähne zusammen und fluchte leise vor sich hin. Er war nicht mehr in Übung! Noch vor zwei Jahren wäre ihm das nicht passiert.
»Nicht schlecht, alter Mann!« Hophra hatte sich umgedreht und zielte mit der Spitze seines Schwertes auf die Kehle des Griechen. »Wärst du ein wenig schneller gewesen, hättest du sogar einen Schlag in meinen ungedeckten Rücken landen können.«
Philippos verzichtete auf eine Antwort. Sein Atem ging jetzt keuchend. Er mußte angreifen! Lange würde er der überlegenen Geschwindigkeit des Jüngeren nicht mehr standhalten.
Wieder umkreisten die beiden einander. Verzweifelt spähte der Grieche auf eine Lücke in der Deckung des Ägypters, doch der Krieger gab sich keine Blöße. Er hielt den Schwertarm leicht angewinkelt, so daß die Spitze der Waffe ständig auf die Kehle des Arztes zeigte.
Philippos starrte über den schimmernden Stahl hinweg in das Gesicht des Ägypters. Den meisten Männern konnte man es kurz vorher ansehen, wenn sie angreifen wollten. Ihre Augen glänzten dann einen Moment lang, und sie preßten die Lippen aufeinander. Hophra war ein guter Krieger, doch diese verräterische Eigenschaft hatte er noch nicht abgelegt.
Der Ägypter lachte breit und zeigte seine strahlend weißen Zähne. »Deine Lungen pfeifen wie der Blasebalg eines Schmiedes. Es geht wohl zu Ende!«
Jetzt war es soweit! Philippos konnte Hophra förmlich ansehen, wie sich sein ganzer Körper spannte. Das Schwert schoß hoch und sauste schon im nächsten Augenblick zu einem vernichtenden Schlag wieder hinab. Statt auszuweichen, machte der Grieche einen Satz nach vorne und unterlief die Waffe des Söldners. Er riß die Linke hoch und schlug mit seinem notdürftig gepanzerten Arm das Schwert zur Seite. Im selben Moment zuckte sein Gladius vor, um dem Krieger die Eingeweide zu zerschneiden.
Hophra wich taumelnd zurück. Doch er war nicht schnell genug! Mit einem reißenden Geräusch durchschnitt die Klinge den zähen Leinenpanzer. Tänzelnd drehte sich der Ägypter halb um Philippos herum und verpaßte ihm mit dem ganzen Schwung der Drehung einen Tritt in die Kniekehle. Der Grieche stöhnte vor Schmerz laut auf. Sein rechtes Bein knickte unter ihm weg. Etwas Kaltes legte sich auf seinen Hals. Es war die Schneide von Hophras Schwert.
»Das Spiel ist aus!« Der Ägypter preßte sich die Linke auf den Bauch. Blut sickerte durch den weißen Leinenpanzer.
»Genug!« ertönte über ihnen eine schrille Stimme. Philippos blickte zum gegenüberliegenden Flachdach empor. Ein dicker junger Mann, flankiert von zwei Fackelträgern, stand an der niedrigen Mauer, die das Dach säumte, und winkte hektisch mit den Armen. »Es genügt! Ich denke, es kann kein Zweifel mehr daran bestehen, daß der Grieche nicht gelogen hat. So wie er kämpft, ist er tatsächlich ein Söldner! Oder bist du anderer Meinung, Hophra?«
Der Ägypter hob seine blutverschmierte Linke und streckte sie dem Mann auf dem Dach entgegen. »Wie du siehst, versteht er es sehr wohl, seine Klinge zu führen, Herr.«
»Soll ich nach Chelbes schicken lassen? Brauchst du einen Heilkundigen? Bei Melkart, du hättest es nicht so weit mit ihm treiben dürfen.«
Der Söldner schüttelte den Kopf. »Das ist nur eine Schramme. Nichts von Bedeutung.« Er nahm seine Klinge vom Hals des Arztes und streckte Philippos die Hand entgegen. »Ich hoffe, du kannst noch laufen.«
Der Grieche biß die Zähne aufeinander und stemmte sich hoch. Am liebsten hätte er dem Ägypter eine patzige Antwort gegeben, doch zumindest für den Augenblick war es wohl klüger, den Mund zu halten. Er zwang sich zu einem Lächeln. »So wie es aussieht, werden Hades und Anubis wohl noch ein Weilchen auf uns warten müssen.«