23. KAPITEL

Einen Moment lang glaubte Philippos, das Rauschen der mächtigen Schwingen des Thanatos zu hören. Die Öllampen in der kleinen Kammer, in die man Hophra gebracht hatte, erzitterten. Es sind nur ein Luftzug unter der Tür und der Regen draußen, redete sich der Grieche ein, doch die Anwesenheit des Todes war unübersehbar. Hophras Gesicht war blaß und wirkte seltsam unecht, so als habe man es mit einer dünnen Schicht Wachs überzogen. Die Augen des Kriegers glänzten wie im Fieber, doch seine Hand, die Philippos hielt, war eiskalt.

Hophras weißer Leinenpanzer war blutdurchtränkt. Das Schwert, das Philippos ihm in den Bauch getrieben hatte, erzitterte bei jedem der flachen Atemzüge.

»Ich . möchte sie noch . einmal . sehen .«

Der Grieche überlegte, ob er auf den Wahn des Ägypters eingehen sollte. Immer wieder fragte der Söldner nach Samu.

Dabei war er es doch gewesen, der sie ermordet hatte! Dieser Mann hatte in seinem Leben keine Gnade gekannt, dachte der Arzt. Warum sollte er ihm jetzt gnädig sein? »Soll ich sie für dich vom Grund des Meeres holen? Man hat ihr blutiges Himation im Hafenbecken gefunden. Du hast sie umgebracht, Hophra. Elagabal hat es dir befohlen. Hast du es schon vergessen?«

Ein schwaches Lächeln spielte um die Lippen des Ägypters.

»Hundeblut . sie . zurückgekehrt . Mit Antonius! Sie ist . der parthische . Reiter . Bitte . bring sie . zu mir.«

Philippos schüttelte den Kopf. Er kannte die Wahnvorstellungen von Sterbenden. Er hatte schon erlebt, wie mächtige Krieger in ihrer Todesstunde geglaubt hatten, nicht er, sondern ihre Mutter würde ihm die Hand halten. Doch mit Hophra konnte er kein Mitleid empfinden. Immer wieder sah er ihn im Geiste die zerbrechliche Priesterin mit seinem Langschwert niederschlagen. Hophras Wunsch bot ihm die willkommene Gelegenheit, sich vom Lager des Sterbenden zurückzuziehen. Vor dem Zimmer wartete Chelbes auf den Arzt. »Ist es zu Ende?«

Philippos schüttelte den Kopf. »Er behauptet, im Gefolge des Antonius eine Frau gesehen zu haben, die wie ein parthischer Reiter gekleidet ist. Er will sie unbedingt sehen, bevor er stirbt.«

»Ich werde sehen, ob ich ihm diesen Wunsch erfüllen kann.«

Chelbes wandte sich um und wollte gehen, als Philippos ihn festhielt.

»Du brauchst dir keine Mühe zu geben. Die Frau, die Hophra sehen will, ist von seiner Hand gestorben! Du wirst sie ihm nicht bringen können!«

Der Hohepriester musterte den Griechen mit seinen dunklen Augen. »Hat sie dir viel bedeutet?«

Philippos biß sich auf die Lippe. Warum nur bedeutete ihm die zänkische kleine Priesterin jetzt so viel? Er blickte zu Chelbes auf und schüttelte den Kopf. »Ich habe sie kaum gekannt, und die meiste Zeit haben wir miteinander gestritten. Es ist nicht so, wie du denkst.«

Chelbes lächelte. »Ich glaube nicht, daß du weißt, was ich denke. Doch laß uns darüber später reden. Ich werde den parthischen Reiter suchen lassen. Wenn Hophra einen leichteren Tod hat, wenn dieser Mann an seiner Seite sitzt, dann ist es mir allemal einen Weg durch den Regen wert.«

Schwer pflügte die Trireme durch die See. Samu stand ganz vorne am Bug, direkt neben dem Trierarchen. Zwei Schritt unter sich konnte sie den bronzebeschlagenen Rammsporn durch das schäumende Wasser schimmern sehen. Ein wenig erschien ihr das Schiff mit den großen, aufgemalten Augen am Bug wie ein riesiges Raubtier, ein Vogel, der tief über die See hinwegglitt. Die Ruder, die vor und zurück stießen, waren seine Schwingen, und wie Herzschlag ertönte das dumpfe Wummern der Trommel tief in den Eingeweiden des Schiffes, mit der der Takt für die Ruderer vorgegeben wurde.

Der Mast des Schiffes war umgelegt worden. Es besaß keinerlei Aufbauten. Schnell wie eine Möwe flog es über die See. Hundertsiebzig Ruderer arbeiteten schwitzend, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Den Feind zu vernichten!

Bisher hatten sie Glück gehabt. Noch immer wehte der böige Wind vom Meer zur Küste, so daß die kleinen Segler nicht entkommen konnten. Auch sie wurden, da Aiolos sich ihnen verweigerte, mit Rudern vorangetrieben, doch die Trireme war schneller. Immer kürzer wurde der Abstand zwischen den kleinen Seglern und der schlanken Galeere.

Samu konnte jetzt deutlich Iubal in dem Boot erkennen, das ihnen am nächsten war. Der Kaufmann gestikulierte wild mit den Armen und schien auf die Ruderer einzuschreien.

»Erhöht den Takt!« erklang die dunkle Stimme des Trierarchen. Schon im nächsten Augenblick beschleunigte sich der Rhythmus des Trommlers.

Gischt spritzte über den Bug. Samus Finger waren eiskalt. Sie klammerte sich an die Reling. Nicht mehr lange, und die Jagd hätte ein Ende. Weniger als zwanzig Schritt trennten die Trireme noch von Iubals Boot.

Der Trierarch formte die Hände vor seinem Mund zu einem Trichter und versuchte, gegen das Toben des Windes anzuschreien. »Nehmt die Ruder auf und dreht bei!«

Statt seinem Befehl zu gehorchen, versuchte der Kapitän des kleinen Seglers, sein Boot aus der Kiellinie der Galeere zu bringen.

Wütend drehte sich der Trierarch um. »Rammgeschwin-digkeit!« Noch einmal erhöhte sich der Herzschlag des Schiffes.

Jeder Trommelschlag verkürzte den Abstand zu dem kleinen Boot. Die Galeere beschrieb eine leichte Kurve. An Bord des Seglers brach Panik aus. Einige der Seeleute sprangen über Bord. Iubal hielt ein blitzendes Schwert in den Händen und schlug auf einen Mann ein, der sich davonmachen wollte. Die Meeresdünung drehte das kleine Schiff, so daß es jetzt mit seiner Breitseite zu der Galeere lag. Nur noch fünf Schritt trennten die Boote voneinander. Drei .

»Die Ruder auf!« brüllte der Trierarch und umklammerte die Reling fester. Ein ohrenbetäubendes Krachen ertönte, und Samu wurde von dem Schlag, den der Rammstoß dem Schiff versetzte, von den Beinen gerissen. Holzsplitter wirbelten durch die Luft.

Als die Priesterin wieder auf die Beine kam, sah sie, wie der Rammsporn das kleine Boot fast in zwei Teile getrennt hatte.

Das Wrack wurde unter den Bug der Galeere gezogen. Knirschend schrammte Holz auf Holz, als die Wrackteile unter dem Rumpf der Trireme dahinglitten. Zwischen den Trümmern konnte Samu Seeleute erkennen, die verzweifelt versuchten, sich über Wasser zu halten.

»Senkt die Ruder! Marschgeschwindigkeit!«

Der Trommelschlag, der für einige Augenblicke ausgesetzt hatte, als die Ruderer ihre Riemen hochgezogen hatten, hallte erneut durch das Schiff.

»Jetzt holen wir uns den zweiten Happen!« Gaius Sosius grinste grimmig. »Sie sollen nicht glauben, daß sie uns entkommen können.«

»Was ist mit den Seeleuten? Willst du sie nicht aus dem Wasser holen lassen?«

»Damit uns der andere entkommt?« Der Trierarch runzelte kurz die Stirn, so als habe sie einen völlig widersinnigen Vorschlag gemacht. »Diejenigen unter ihnen, die schwimmen können, werden überleben. Die Küste ist nicht weit.«

»Marcus Antonius wollte den Mann mit dem Schwert. Wenn wir ihn nicht an Bord nehmen, wird er vielleicht entkommen!« beharrte Samu.

Der Römer strich sich nachdenklich über die Stoppeln an seinem Kinn. Dann hob er den Arm. »Die Ruder auf! Und dann zurück!«

Der Trommler gab ein kurzes Signal, und wieder hoben sich die Riemen aus dem Wasser. Als sie erneut eintauchten, wurden sie gegenläufig geschlagen. Für einige Augenblicke erzitterte das ganze Schiff unter den einander widersprechenden Kräften. Dann glitt es langsam rückwärts.

Männer mit Tauen verteilten sich an der Reling und bargen die Überlebenden des Seglers. Nur fünf Mann konnten geborgen werden, doch zu ihnen gehörte Iubal. Außer ein paar Prellungen und einer leichten Platzwunde an der Stirn hatte der Handelsherr nichts abbekommen. Wimmernd kauerte er auf dem Deck. Samu hatte sich gerade neben ihm niedergelassen, als wutschnaubend der Trierarch auf sie zugeeilt kam.

»Das war’s jetzt!« brüllte er ihr entgegen.

Verständnislos blickte die Priesterin den massigen Mann an.

»Hast du denn nichts gemerkt? Der Wind hat gedreht! Sieh mal nach da hinten!«

Sosius wies mit ausgestrecktem Arm auf das Meer hinaus. Auf dem entkommenen Boot wurde gerade das Segel aufgezogen.

»Die holen wir nicht mehr ein!« Iubal lachte leise.

»Was ist daran so komisch, du schmächtiger Zwerg!« Der Trierarch hatte den Kaufmann bei seiner Tunica gepackt und auf die Beine gezerrt. Iubal lachte noch immer, und Sosius holte aus, um ihm einen Schlag ins Gesicht zu verpassen, als Samu dem Seemann in den Arm fiel.

»Laß das! Es gibt auch andere Wege, ihn zum Reden zu bringen.«

»Hör nur auf sie, Römer! Ihr braucht mich nicht zu foltern. Was immer ihr wissen wollt, sage ich euch auch so. Ihr habt mich bekommen und meine Pläne durchkreuzt, doch der neue Pharao ist euch entwischt! Archelaos hat einen Heiratsvertrag mit Berenike geschlossen, und der Segler wird ihn direkt nach Alexandria bringen. Ich weiß nicht, wie du mir auf die Spur gekommen bist, Ägypterin, doch du hast versagt!«

»Es stünde dir besser an, ein wenig Demut zu zeigen, Iubal. Erinnerst du dich an den Namen Haritat?«

Der Kaufmann hob eine Braue. »Sollte ich?«

»Er hat in deinem Auftrag eine Fracht von Alexandria nach Tyros gebracht, die du keinem deiner Schiffe anvertrauen wolltest. Erinnerst du dich jetzt besser an ihn?«

»Ich weiß nicht, wovon du redest!« Die Stimme des Kaufmanns klang jetzt ein wenig schriller als zuvor, und er vermied es, der Priesterin in die Augen zu sehen.

»Damit auch weiterhin niemand deinen Namen mit dieser Fracht verbindet, hast du Haritats Karawane noch vor der Stadt empfangen, die Waren in kleine Boote umgeladen und in deine Lagerhäuser bringen lassen. Dann hast du eines der Schiffe von Elagabal angemietet. Vermutlich wirst du ihm irgendeine Geschichte erzählt haben, daß du keinen freien Frachtraum mehr hast oder irgend etwas anderes, wodurch sich dein Rivale geschmeichelt fühlte. In Wahrheit aber ging es dir allein darum, deine Spur zu verwischen. Falls durch einen Zufall herauskommen sollte, daß man dem Neuen Osiris vergiftetes Kohl geschickt hat, so würde man zunächst nach dem Eigner des Schiffes suchen, das die tödliche Fracht nach Ephesos gebracht hat. Vielleicht hast du sogar darauf spekuliert, daß man Elagabal einen Meuchler ins Haus schicken würde. Schließlich hat Ptolemaios im Moment kaum andere Möglichkeiten, um Rache zu üben.«

»Du erzählst eine erstaunliche Geschichte, Weib, doch glaube ich nicht, daß du irgend etwas davon beweisen kannst.«

»Allein deine Flucht erscheint mir schon Beweis genug zu sein«, mischte sich der Trierarch ein.

»Ich war in Sorge, es könnte zu Kämpfen in Tyros kommen. Ich gestehe auch, daß ich mit Archelaos einen Gast beherbergt habe, den der Proconsul sicherlich nicht gerne in Syria gesehen hat.«

»Glaubst du, Marcus Antonius braucht einen Grund, um dich foltern und hinrichten zu lassen? Weißt du, wie lange es dauern kann, bis man stirbt, wenn man in die Hände eines kundigen Folterknechtes gerät, Iubal? Du machst mir nicht den Eindruck, als könntest du Schmerzen gut ertragen. Der Praefectus equitum sucht nach Männern, denen er die Schuld für den Aufstand geben kann. Ich denke, du kommst ihm da gerade recht, um ein Exempel zu statuieren.«

»Das wird er nicht tun! Ich habe ihn sogar gewarnt. Er wird sich daran erinnern!«

Samu tauschte einen Blick mit dem Trierarchen. »Sagt man nicht, daß Antonius manchmal ein wenig aufbrausend ist, Sosius?«

Der Seemann grinste. »O ja, er hat ein schreckliches Temperament, wenn er in Wut gerät, und ich habe gehört, daß er sehr wütend ist über das, was in der Stadt vorgefallen ist!«

»Ich habe mächtige Freunde in Rom«, stammelte Iubal. »Er kann mir nichts antun ...«

»Sagt man nicht, daß Antonius sogar die Aufmerksamkeit des großen Pompeius erregt hat?« Sosius nickte, und Samu fuhr weiter fort. »Welche Freunde könntest du wohl in Rom haben, die es wagen, sich gegen einen Schützling des Pompeius zu wenden? Vergessen wir das! Was glaubst du, Sosius, welche Todesart wird Antonius dem Schurken bestimmen?«

Der Römer fuhr sich über sein Kinn und zog die Stirn in Falten. »Ich denke, er wird ihn ans Kreuz schlagen lassen.«

»Hört auf damit!« Iubal umklammerte die Füße des Trierarchen. »Ich bin sehr reich. Ich kann euch beide mit Gold überhäufen, wenn ihr mich laufen laßt.«

»Sehe ich so aus, als sei ich käuflich, Phönizier?« knurrte der Römer wütend. »Ich hätte nicht übel Lust, dich über Bord werfen zu lassen, du Ratte!«

»Vielleicht gibt es einen Weg, dein Leben zu retten, Iubal. Wenn du hier und jetzt ein Geständnis ablegst, dann werde ich Antonius bitten, dich nicht hinrichten zu lassen.«

Der Phönizier leckte sich über die Lippen. Einen Augenblick lang schien er zu zögern, doch dann nickte er. »Ich weiß nicht, wer den Plan gefaßt hat, Ptolemaios vergiften zu lassen. Wahrscheinlich war es Archelaos, vielleicht ist er aber auch von Crassus dazu angestiftet worden. Ich stehe seit Jahren in Geschäftsverbindungen mit dem Senator.«

Samu sah aus den Augenwinkeln, wie Sosius zusammenzuckte, als der Name des amtierenden Consuls fiel. Crassus war der reichste und vielleicht auch der mächtigste Mann Roms.

»Crassus kauft alle meine Vorräte an Purpur auf. Manchmal tätige ich andere Geschäfte für ihn. So habe ich in seinem Namen Archelaos mit Gold unterstützt und ihn bei mir aufgenommen. Der Priesterfürst wollte Berenike den Tod des Ptolemaios zum Hochzeitsgeschenk machen. Er hatte die Idee, dem Pharao das vergiftete Kohl zu schicken. Ich habe nur die Geschenke eingekauft und dafür gesorgt, daß die Fracht nach Ephesos gebracht wird. Der Kopf der Verschwörung war Archelaos!«

»Und warum hast du Antonius vor der Verschwörung gewarnt, wenn du zum Lager des Crassus gehörst? Immerhin hättest du damit einem Feldherren seines Rivalen Pompeius das Leben retten können.«

»Man sagt, daß Berenike hinter diesem Aufstand steckte. Ich weiß nicht, ob das stimmt, doch auf diese Weise wäre dem Proconsul Gabinius ein Anlaß geliefert worden, Ägypten anzugreifen und Ptolemaios auf seinen Thron zurückzubringen. Das sollte auf jeden Fall verhindert werden! Crassus wird der nächste Proconsul in Syria sein, und er wünscht nicht, daß, bevor er dieses Amt antritt, die ägyptische Frage gelöst wird. Das ist alles, was ich weiß, Priesterin.«

»Ich werde versuchen, ein Wort für dich einzulegen, Iubal.«

Samu wandte sich angewidert von dem Kaufmann ab und ging zum Bug der Galeere. Sie wollte allein sein und über das nachdenken, was Iubal ihr erzählt hatte.

Die Trireme hatte inzwischen wieder Kurs auf Tyros genommen. Dunkel erhoben sich die Mauern der Hafenstadt über das graue Meer. Es regnete noch immer.

Sie dachte an die prächtigen Thermen, die zum Palast von Alexandria gehörten. Was würde sie dafür geben, wenn sie jetzt im warmen Wasser liegen könnte, um sich anschließend von einer Sklavin massieren zu lassen. Sie hatte den Auftrag des Pharaos erfüllt. Der Giftmörder war entlarvt. Trotzdem war es kein Erfolg. Archelaos war ihr entkommen, und Crassus war unangreifbar. Es war nur eine Frage von Zeit, bis die beiden den nächsten Mordanschlag oder eine heimtückischere Intrige ausbrüten würden. Ob Berenike in diese Pläne eingeweiht gewesen war? Und warum hatte sie einen Aufstand in Tyros entfesseln wollen? Glaubte sie wirklich, die Römer mit Waffengewalt bezwingen zu können?

Ein leises Räuspern schreckte Samu aus ihren Gedanken auf.

Hinter ihr stand Gaius Sosius. »Ich möchte dich bitten, mich nicht als Zeugen für das Gespräch zu nennen, das du mit Iubal geführt hast.« Der Trierarch blickte an ihr vorbei auf das Meer. »Ich möchte nicht, daß Crassus mich zu seinen Feinden zählt. Du mußt das verstehen. Ich werde eines Tages nach Rom zurückkehren, und ... im Zweifelsfall würde ich leugnen, jemals von einem Iubal gehört zu haben.«

»Gut, ich habe verstanden, Sosius. Ich hoffe, du kannst mit deiner Entscheidung leben.« Der Römer zog eine Grimasse.

Einen Moment lang sah es so aus, als wolle er ihr etwas entgegnen, doch dann ging er wortlos davon.

Samu blickte wieder auf das Meer. Obwohl die Mittagsstunde kaum vergangen war, war es so dunkel wie zur Abenddämmerung. Das Leuchtfeuer bei der Hafeneinfahrt war der einzige Lichtpunkt am grauen Horizont. Die Kälte des Regens war ihr in den letzten Stunden bis tief in die Knochen gedrungen, und sie fühlte sich unendlich einsam.

Als die Trireme vor Anker ging und Samu das Schiff verließ, erwartete sie ein junger Priester. Kaum daß sie auf dem Kai stand, trat er auf sie zu.

»Seid Ihr die parthische Reiterin, die im Gefolge des Marcus Antonius in die Stadt gekommen ist?«

Samu blickte dem Mann ins Gesicht. Sie kannte ihn nicht. Sein Kopf war kahlgeschoren wie bei allen Priestern in dieser Stadt.

Die schwarze Schminke, mit der er seine Augenlider nachgezogen hatte, war durch den Regen verlaufen, so daß es aussah, als würde er schwarze Tränen weinen. Samu dachte an Buphagos und Thais. Sie waren mit schwarzen Tränen auf ihren Wangen gestorben, und ihr Tod würde ungesühnt bleiben.

Statt dem Priester zu antworten, nickte Samu nur kurz. Sie wollte allein sein ... Sich irgendwo in eine Decke hüllen und zu Isis beten, bis sie die Welt um sich herum vergaß.

»Chelbes, der Hohepriester des Eshmun, bittet Euch, ihn im Tempel zu besuchen.«

»Ich werde morgen kommen.« Samu wollte schon weitergehen, als der junge Mann sie an ihrem Umhang festhielt.

»Bitte, Herrin, es ist dringend. Ihr sollt sofort kommen. Es geht um einen Mann, der im Sterben liegt. Er will Euch noch einmal sehen.«

Samu mußte an Philippos denken. Sollte auch er ... Doch dann schüttelte sie den Kopf. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß ihm etwas geschehen war. Der Arzt hatte zwar ein außergewöhnliches Talent, sich in Schwierigkeiten zu bringen, doch sein Talent, ungeschoren aus Situationen wieder herauszukommen, die andere den Kopf gekostet hätten, war mindestens genauso groß.

Doch wenn er es nicht war, wer mochte sie dann an sein Totenlager gebeten haben?

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