20. KAPITEL

»Ich glaube nicht, daß der Magister equitum dich empfangen wird, Weib. Er berät sich gerade mit seinen Tribunen und hat keine Zeit.«

Samu blickte an sich hinab. Ihr schlichtes Gewand war von Staub bedeckt. Es war kein Wunder, daß der Legionär sie nicht in das Lager lassen wollte. Noch dazu, wo sie diesen schweigsamen, tätowierten Beduinen an ihrer Seite hatte. Haritat hatte ihr den Mann als Wache und Führer mitgegeben.

Den ganzen Weg über hatte der Kerl keine drei Worte mit ihr gesprochen, ja, er hatte sie kaum eines Blickes gewürdigt. Vermutlich interessierte er sich mehr für Männer als für Frauen.

»Wenn Marcus Antonius erfährt, daß du mich, die Gesandte des Ptolemaios, abgewiesen hast, dann wird er dir den Kopf vor deine Füße legen lassen. Ich bin nicht den weiten Weg von Ephesos gekommen, um mich von dir aufhalten zu lassen. Glaube mir, ich werde einen Weg finden, um den Magister equitum zu sprechen. Nenn mir deinen Namen, Soldat. Der Feldherr soll wissen, wer mich aufgehalten hat.«

Der Mann kratzte sich unbehaglich hinter dem Kinnriemen seines Helms, ganz so, als fühle er bereits das Schwert des Henkers an seinem Hals. Dann lächelte er verlegen. »Ich denke, der wachhabende Centurio soll entscheiden, ob Ihr vorgelassen werdet. Ich werde ihn holen.« Er drehte sich zu einem Mann um, der ein Stück weiter im Schatten einer Palme saß.

»Marius! Bring den Gesandten frisches Wasser und kümmere dich um ihre Reittiere!« Der Legionär nickte Samu noch einmal kurz zu und entfernte sich dann eilig.

Samu ließ ihr Kamel niederknien und sprang ungelenk aus dem Sattel. Sie hatte schon für Pferde nicht viel übrig, doch Kamele waren noch erheblich unkomfortablere Reittiere. Um richtig im Sattel sitzen zu können, hatte sie ihr Chitonion bis weit über die Knie raffen müssen.

Sie nahm die kleine, lederne Tasche vom Sattelhorn, in der die drei Schrifttafeln verwahrt waren, die ihr Haritat vor der Abreise gegeben hatte. Sie stammten aus dem Archiv Elagabals. Der Beduine hatte die Tafeln von Hophra mit der Anweisung bekommen, er solle sie an die Priesterin aushändigen, sobald sie Jerusalem erreichten. Es handelte sich um die Frachtliste des Schiffes, das unter dem Kommando von Oiagros nach Ephesos gesegelt war. Auf ihr waren all jene Geschenke verzeichnet, die man an den Hof des Ptolemaios gebracht hatte. Doch wichtiger noch war der Name, der auf den Tafeln stand. Der Name des Mannes, der das Schiff von Elagabal gemietet hatte. Es war der gleiche Name, den Haritat ihr genannt hatte, als sie zum Abschied nach dem Mann fragte, der die Luxusartikel aus Ägypten hatte kommen lassen.

Der Soldat, der davongeeilt war, um seinen Centurio zu holen, kehrte mit einem bulligen, rotgesichtigen Krieger an seiner Seite zurück. Schnaufend blieb der Kerl vor Samu stehen.

»Du behauptest also, eine Gesandte des Königs Ptolemaios zu sein?« Der Offizier musterte sie eingehend. »Ich habe schon ägyptische Hofdamen gesehen. Für mich hast du nicht sehr viel Ähnlichkeit mit ihnen. Aber wenn man dich wäscht, magst du vielleicht ganz ansehnlich sein. Mach dich daraufgefaßt, daß, wenn du dir hier einen Spaß erlaubst, der Praefectus equitum ein Mann ist, der sich herausnehmen könnte, auch seinen Spaß mit dir zu haben.« Der Centurio lächelte anzüglich und wischte sich mit dem Arm über das verschwitzte Gesicht.

Samu nickte ihm zu und erwiderte sein Lächeln. »Dann hoffen wir, daß auch du deinen Spaß haben wirst, nachdem ich Marcus Antonius erzählt habe, auf welche Weise du mich empfangen hast.« Die Priesterin drehte sich um und nickte dem Beduinen, der sie begleitet hatte, kurz zu. »Du kannst jetzt zu Haritat zurückkehren und ihm sagen, daß ich den Fluch von ihm genommen habe.« Dann folgte sie dem römischen Offizier in das Lager.

Die Legionäre hatten ihr Nachtlager nahe der Küstenstraße um einen Brunnen herum gebaut. Es war von einem hüfttiefen Graben umgeben und zusätzlich durch einen niedrigen Erdwall geschützt, der von einer Holzpalisade gekrönt wurde.

Ein Teil der Legionäre war noch damit beschäftigt, Zelte aufzuschlagen. Der Duft von frisch gebackenem Brot lag in der Luft. Einige großgewachsene, blonde Reiter striegelten ihre Pferde. Sie verfolgten Samu mit Blicken und machten Späße in einer Sprache, die die Priesterin nicht verstand, doch war sie sicher, daß diese Barbaren sich nicht daran störten, daß sie zerzaust und ungewaschen war.

Die Priesterin folgte dem Centurio auf einer Straße, die durch die Mitte des Lagers direkt zum Praetorium führte. Dort war ein großes Zelt aus rot gefärbtem Leder aufgeschlagen, vor dem ein Trupp fremdländischer Soldaten mit struppigen, rotblonden Schnauzbärten auf Wache stand.

»Warte hier«, brummte der Centurio und bedachte sie mit einem hämischen Blick. »Ich will sehen, ob der Praefectus equitum Zeit für dich hat.« Der Offizier grüßte die Wachen und verschwand dann im Zelt.

Es verging eine ganze Weile, bis er in Begleitung eines jungen Soldaten wieder heraustrat. Fast hätte Samu in ihm nicht mehr den Mann wiedererkannt, von dem sie sich vor mehr als einem halben Jahr im Hafen von Misenum verabschiedet hatte. Seine Haut war sonnengebräunt, sein Gesicht von Bartstoppeln gerahmt, und tiefe, dunkle Ringe lagen unter seinen Augen. Marcus Antonius wirkte erschöpft, und in seinen Zügen spiegelte sich eine Härte, an die sich die Priesterin von ihrer letzten Begegnung nicht erinnern konnte. Der Feldherr musterte sie einen Augenblick und wirkte im ersten Moment unschlüssig, bis plötzlich ein Lächeln um seine Lippen spielte. »Samu, nicht wahr?«

Die Priesterin verneigte sich. »Es schmeichelt mir, daß Ihr Euch an eine unbedeutende Dienerin des Pharaos erinnern könnt.«

»Ich habe weder dich noch deine charmante, kleine Schülerin vergessen, Priesterin. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir früher in einem vertrauteren Ton miteinander gesprochen. Ich bin zwar jetzt der kommandierende Feldoffizier in diesem Lager, doch davon abgesehen bin ich immer noch derselbe Mann wie früher. Es gibt also keinen Grund, mich so formell anzusprechen. Mit solchen Kleinigkeiten halten wir uns hier im Lager nicht auf.«

»Ich danke dir für diesen warmherzigen Empfang. Ich muß gestehen, daß ich mit einiger Sorge gekommen bin, nachdem der Centurio der Torwache mir in Aussicht gestellt hatte, man könnte mich vielleicht wie eine Hetaire behandeln.«

Marcus Antonius lachte und blickte zu dem Offizier, der sich sichtlich unwohl in seiner Haut fühlte. »Ich fürchte, Sextus hat schon zu lange kein Weib mehr beglückt. Du mußt wissen, daß meine Männer seit fast vier Monaten im Feld stehen und sie kaum Gelegenheit hatten, sich nach Unterhaltung umzusehen. Da kann es schon einmal passieren, daß eine so schöne Frau wie du sie auf unziemliche Gedanken bringt. Doch laß uns nicht länger hier draußen stehen.« Der Praefectus gab seinen Leibwachen ein Zeichen, und die Krieger ließen Samu passieren.

Das Zelt des Feldherren wurde von einem großen Tisch beherrscht, auf dem Landkarten und allerlei Schriftrollen lagen. Drei junge Tribunen standen um den Tisch herum und musterten Samu kritisch, als sie eintrat.

Die Priesterin räusperte sich verlegen. »Ich habe eine wichtige Nachricht für dich, die ich dir lieber unter vier Augen mitteilen würde.«

»Mach dir keine Gedanken, ich habe keine Geheimnisse vor meinen Männern.« Antonius lachte laut. »Außerdem wäre es schlecht für die Moral der Truppe, wenn ich allein mit dir in diesem Zelt bleiben würde. Bislang habe ich mir kein Vergnügen gegönnt, das ich nicht auch einem einfachen Soldaten zubilligen würde. Nicht, daß ich dir zu nahe treten wollte, Samu, doch da ich einen gewissen Ruf unter den Männern habe, würde es bestimmt Gerede geben ...« Der Praefectus lächelte verschmitzt.

Die Priesterin spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Doch dann faßte sie sich und begann, dem Feldherren von den Giftmorden in Ephesos und den Vorfällen in Tyros zu erzählen.

Marcus Antonius hatte sich inzwischen einen Becher voller Wein eingeschenkt und sich auf einer Ecke des Kartentischs niedergelassen. Als Samu ihren Bericht beendet hatte, schüttelte er nachdenklich den Kopf. »Diese Phönizier! Sie denken zu kompliziert. Kein Wunder, daß sie ihre Macht verloren haben. Heute morgen erst hat mich ein Bote dieses Kaufmanns Iubal aufgesucht. Er hat mich genau wie du vor dem Anschlag gewarnt, den man auf mich verüben will. Und jetzt kommst du daher und erklärst mir, daß der Mann für ein Mordkomplott verantwortlich ist, das sich gegen den Pharao richtet. Was soll man davon halten? Iubal versucht, mein Leben zu retten und will zugleich einen Verbündeten Roms ermorden lassen. Mir scheint, wir werden morgen einen interessanten Tag mit den Stadtvätern von Tyros verleben.«

Samu starrte den jungen Feldherren entgeistert an. »Du willst doch nicht etwa trotz der Warnungen in die Stadt? Ganz Tyros ist bereit zum Aufstand! Es wird ein Blutbad geben!«

»Ich kann nicht anders«, entgegnete Antonius zynisch lächelnd. »Der Hohepriester hat mich eingeladen, an einem Fest des Gottes Melkart teilzunehmen. Das heißt, daß die Tyrener mir anbieten, was sie dem großen Alexander verwehrt haben. Sie schätzen mich höher als den mächtigsten Feldherren, den es jemals gegeben hat ... Ich kann diese Einladung nicht zurückweisen, ohne mein Gesicht zu verlieren. Außerdem würde ich die Stadt damit beleidigen und noch einen weiteren Grund für einen Aufstand liefern.«

Samu traute ihren Ohren nicht. »Wie kannst du wider besseren Wissens ein solches Gemetzel herbeiführen? Möchtest du, daß deine Legionäre Gelegenheit erhalten, eine Stadt zu plündern? Ich habe meine Zweifel, daß die Rebellen deine Kohorten bezwingen können. Doch das wird sie nicht davon abhalten, es zumindest zu versuchen. Mit den Plänen, ein Aquaeduct zu bauen, hat Aulus Gabinius das ganze Volk gegen sich aufgebracht.«

»Deine Sorge um die Tyrener ehrt dich, Samu.« Antonius goß sich erneut einen Becher voller Wein ein. Bevor er ihn an die Lippen setzte, ließ er ein wenig des Weins auf den Boden tropfen und blickte dann zu den Tribunen. »Auf daß Mars und Jupiter uns wohl gesonnen sein mögen! Priesterin, das Fest im Tempel soll schon morgen zur Mittagsstunde stattfinden. Es ist unmöglich, die Kohorten bis dahin zur Stadt zu bringen. Ich werde also nur mit einigen meiner Offiziere und ein paar Männern aus meiner gallischen Leibwache zur Stadt reiten. Wenn wir noch vor Morgengrauen aufbrechen, müßten wir pünktlich zur Mittagsstunde in Tyros sein.«

Samu glaubte, an ihrem Verstand zweifeln zu müssen. Hatte der Feldherr nicht begriffen, in welche Gefahr er sich begab?

»Was ist das für ein närrischer Plan? Wem soll es nutzen, wenn du unnütz dein Leben riskierst? Glaub mir, es ist mehr als nur ein Gerücht, daß man dich umbringen will!«

»Priesterin, weißt du nicht, daß die Götter die Narren lieben?«

Die Stimme des Römers war schwer vom Wein. »Mein Entschluß steht fest. Ich werde morgen an dem Tempelfest teilnehmen. Wenn du dich so sehr um mich sorgst, dann kannst du ja zu deiner zaubermächtigen Göttin beten und sie darum bitten, daß sie mich beschützt.«

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