17. KAPITEL

Den Tag über hatte Samu es geschafft, sich nichts anmerken zu lassen. Am Morgen waren ihre Sklavinnen in ihr Gemach gekommen und hatten sie schminken und ankleiden wollen, doch mürrisch hatte sie die jungen Frauen wieder vertrieben. Als ihr wenig später Elagabal seine Aufwartung machte, schützte sie vor, vom Unfall und dem Schrecken des vorangegangenen Tages noch völlig ermattet zu sein. Der Kaufmann heuchelte Besorgnis, doch meinte die Priesterin, seinen Worten eine gewisse Erleichterung darüber herauszuhören, daß sie sich nicht in der Lage fühlte, das Haus zu verlassen. So verabschiedete er sich schließlich und ließ Samu auf ihrem Krankenlager zurück.

In der Nacht hatte die Priesterin keinen Schlaf mehr finden können. Ihre Angst hatte sich als stärker erwiesen als die Kraft des Schlafmittels, das man ihr verabreicht hatte. Kurz vor Morgengrauen hatte sie gehört, wie man von außen leise die Keile entfernte, mit denen ihre Tür verriegelt worden war.

Auch vernahm Samu die leisen Schritte der Sklavinnen, als diese in das Gemach vor ihrem Zimmer zurückkehrten. Den Frauen rechnete sie ihren Verrat nicht an. Sie hatten keine Wahl. Als Eigentum Elagabals waren sie dem Willen des Handelsherren ausgeliefert, auch wenn er sie formal Samu zum Geschenk gemacht hatte.

Vertrauen würde die Priesterin ihnen allerdings nicht mehr.

Den ganzen Tag über erhob sie sich kaum von ihrer Kline, scheuchte die Sklavinnen hin und her und versuchte, ein wenig des verlorenen Nachtschlafs nachzuholen.

Am späten Nachmittag schließlich schickte sie die Frauen in die Küche, um dort bei der Vorbereitung des Abendmahls zu helfen. So hatte Samu Zeit, sich für ihre Flucht bereit zu machen. Das dünne Priesterinnengewand und ihren Schmuck würde sie zurücklassen müssen. Es galt, so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Wenn die Kleider und der Schmuck noch auf ihrem Zimmer waren, dann mochte sie vielleicht ein oder zwei Stunden gewinnen, in denen Elagabal darüber im Zweifel war, ob sie lediglich einen Spaziergang in die Stadt machte oder aber versuchte, ihm zu entkommen.

Samu legte einen schlicht verarbeiteten, beigefarbenen Chitonion an und drapierte darüber ein dunkelbraunes Himation. Ihre Haare ließ sie glatt über die Schultern fallen, und auch auf Schminke verzichtete die Priesterin ganz. So würde sie unter den Syrerinnen auf dem Markt und in der Stadt nicht sonderlich auffallen. Unter ihren Gewändern, direkt auf dem Leib, trug sie einen dünnen Ledergürtel, in den sie fünf Goldstücke eingenäht hatte. Außerhalb der Stadt wollte Samu sich zu den Truppen des Marcus Antonius oder aber zu Aulus Gabinius durchschlagen. Die Römer mußten wissen, was hier in Tyros geschah! Doch als Frau mochte diese Reise gefährlich werden. Allein, ohne männlichen Schutz, würde sie vermutlich einige Aufmerksamkeit erregen. Wahrscheinlich würde man sie für eine Hetaire halten und sie auch so behandeln, doch es konnte auch noch Schlimmeres geschehen. Unter dem Himation verborgen trug sie einen kleinen Dolch, doch machte sie sich keine Illusionen. Die zierliche Waffe würde in den meisten Fällen nicht ausreichen, um sich gegen Zudringlichkeiten zu erwehren.

So verließ Samu das Haus des Elagabal. Dem Torsklaven erklärte sie, sie wolle noch auf den Markt, um für das Nachtmahl einzukaufen. Doch statt in Richtung des Hafens zu gehen, schlug sie einen Weg ein, der sie zu dem Stadttor brachte, das sich am Damm befand. Dort streifte sie ziellos durch die Gassen, betrachtete die Auslagen der kleinen Läden und aß in einer kleinen Taberna einen gegrillten Fisch. Erst als das Horusauge im Westen im Meer versunken war und die Stadt in graues Zwielicht getaucht wurde, wagte sie es, sich auf den Weg zum Hafen zu machen. Samu hatte sich geschworen, Tyros nicht ohne einen Beweis für die Verbrechen Elagabals zu verlassen. Sie erinnerte sich noch genau an das Abendessen an jenem Tag, an dem sie sich zum ersten Mal getroffen hatten, und daran, wie der Kaufmann damals erzählte, sein Kapitän Oiagros sei erst vor wenigen Tagen aus Ephesos zurückgekehrt. Seitdem hatte sie von keinem anderen tyrenischen Schiff gehört, das in der fraglichen Zeit nach Ephesos gesegelt war. Auch die Andeutungen, die Elagabal über Berenike gemacht hatte, sprachen dafür, daß er eher die tyrannische Prinzessin unterstützte als den rechtmäßigen Pharao. Er hatte ein Interesse daran, daß Ptolemaios nicht mehr nach Ägypten zurückkehrte. Alles, was sie jetzt noch brauchte, war ein schriftlicher Beweis. Damit könnte sie Elagabal den Römern ausliefern. Samu war sicher, daß sie diesen Beweis im Hafenkontor des Kaufmanns finden würde. Dort wurde ein Tontafelarchiv geführt, in dem alle Schiffs- und Warenbewegungen registriert wurden. Jetzt, nach Einbruch der Dämmerung, würde dort mit Sicherheit niemand mehr anzutreffen sein, und sie konnte ungestört die Aufzeichnungen durchgehen.

Mit klopfendem Herzen durchquerte Samu das Hafenviertel mit seinen verrufenen Schenken. Unter dem Himation verborgen hielt sie den Dolch in der Hand, bereit, sich nicht nur mit Worten zur Wehr zu setzen. Doch abgesehen von einer Begegnung mit einer Gruppe von betrunkenen Seeleuten, die sie wohl mit einer Hetaire verwechselten und mit allerlei unflätigen Kosenamen bedachten, kam es zu keinem nennenswerten Zwischenfall.

Als sie schließlich bei den Lagerhäusern Elagabals im Hafen anlangte, fand sie die großen hölzernen Pforten, die auf die Anlegestellen hinauswiesen, allesamt verriegelt. Keines der Tore hätte sich ohne weiteres öffnen lassen. Enttäuscht umrundete Samu die Lagerhallen, doch auch alle anderen Tore und Türen waren sorgfältig verschlossen. Sie wußte genau, daß auf der Rückseite des größten der Lagerhäuser in einem Anbau das Archiv lag, doch so, wie die Dinge standen, mußte sie die Hoffnung wohl begraben, an eine der verräterischen Tontafeln zu gelangen.

Resignierend lief sie noch einmal um die größte Lagerhalle herum. Es war jenes Gebäude, vor dem sich am vorangegangenen Tag der Unfall ereignet hatte. Die Dachluke im Giebel, durch welche die große Amphore herabstürzte, war auch jetzt unverschlossen. Dunkel klaffte sie dort oben im hellen Sandstein, so wie der Eingang zu einer Schatzhöhle. Samu fluchte leise. Jetzt könnte sie Philippos gebrauchen. Der Grieche würde sich vielleicht darauf verstehen, mit Hilfe eines Seils nach dort oben zu gelangen. Sie jedoch wußte nicht, was sie machen sollte.

Der schwere Marschtritt einer römischen Streife ließ Samu Zuflucht in einer finsteren Gasse zwischen zwei der mächtigen Lagerhäuser suchen. Einige Herzschläge lang überlegte sie, ob sie den Decurion, der die Patrouille befehligte, ansprechen solle. Wenn der Mann ihr glaubte und sie mit zum Stadtkommandanten nahm, dann würde sie die Intrige Elagabals vielleicht noch rechtzeitig aufdecken können. Doch wie gut standen schon die Aussichten, daß man ihr glaubte? Sie hatte keine Beweise, und, was noch schlimmer war, sie war nur eine Frau. Vermutlich würde nicht einmal der Decurion auf sie hören, und bis zum Stadtkommandanten würde man sie erst gar nicht vorlassen. Nein, sie mußte zu Marcus Antonius oder Aulus Gabinius. Die beiden Männer kannten sie. Sie würden sie nicht nur empfangen, nein, sie würden ihren Rat auch ernst nehmen!

Die Schritte der Soldaten verhallten in der Finsternis. Samu wollte gerade die Gasse verlassen, als sie mit dem Fuß gegen etwas Längliches stieß, das auf dem Boden lag. Vorsichtig tastete sie in die Finsternis und stieß dann, als sie erkannte, was sie gefunden hatte, einen halberstickten Freudenschrei aus. Die Lastenträger hatten hier die Leiter abgelegt, die sie benutzt hatten, um die Amphoren in das oberste Geschoß des Lagers hinauf zu bringen. Isis allein mochte wissen, warum die Leiter nicht im Schuppen verschlossen worden war. War es vielleicht die Göttin selbst gewesen, die das Schicksal so gefügt hatte, daß sie doch noch einen Weg in das Lagerhaus finden würde? überlegte Samu. Mit einem inbrünstigen Gebet dankte sie der Zauberreichen für das Geschenk. Dann schaffte sie die Leiter aus der Gasse und blickte sich im Hafen um. Im Augenblick war niemand zu sehen. Also riskierte sie es, die lange Leiter vor dem Einstieg zum Giebel anzulehnen. Auch Horus schien ihr gnädig gesonnen zu sein. Er hatte sein silbernes Auge hinter Wolken verborgen, so daß man in der Finsternis kaum zehn Schritt weit sehen konnte. Nur das Feuer auf dem Leuchtturm machte ihr Sorgen. Seine Flammen warfen tanzende Schatten auf den Hafen.

Mit klopfendem Herzen erklomm Samu die Sprossen der Leiter. Oben angekommen, blickte sie noch einmal zum Himmel.

Es herrschte ein starker Wind, und die Wolken zogen schnell weiter. Womöglich würden schon in wenigen Augenblicken die Schleier vor dem Horusauge zerreißen, so daß man schon von weitem die Leiter sehen konnte, die an der Vorderfront des Lagerhauses lehnte. Sie mußte verschwinden! Wenn Samu sie einfach umstieß und sich keine Möglichkeit fand, die Tore des Lagers von innen zu öffnen, dann wäre sie gefangen. Sie konnte es sich nicht leisten, auf die Leiter zu verzichten! Es blieb ihr keine andere Wahl, als sie hinaufzuziehen. Wieder fluchte sie leise vor sich hin und wünschte sich Philippos an ihrer Seite. Seit ihrer Begegnung im Hafen hatte sie den Griechen nicht mehr gesehen und hatte es auch nicht gewagt, nach ihm zu fragen, um seine Sicherheit nicht zu gefährden. Wahrscheinlich lag er wieder in den Armen einer Frau! Bevor sie die Stadt verließ, sollte sie bei Simon eine Nachricht für den Arzt hinterlassen. Dem Griechen würde der römische Stadtkommandant eher glauben als ihr.

Als Samu es geschafft hatte, die Leiter durch das Giebelfenster zu ziehen, ließ sie sich erschöpft auf den Boden des Lagerhauses sinken. Sie war jetzt in Sicherheit und hatte viele Stunden Zeit, um nach den Dokumenten zu suchen, mit denen sie die Verstrickung Elagabals in den Giftanschlag auf Ptolemaios nachweisen konnte.

Eine Weile lag sie einfach still und sah den ziehenden Wolken zu. Ein breiter Streifen silbernen Lichtes fiel durch das große Giebelfenster. Mit einem stummen Gebet dankte sie Horus, daß er sein silbernes Auge so lange bedeckt gehalten hatte. Dann überzeugte sich die Priesterin mit einem kurzen Blick auf die Kais davon, daß niemand auf sie aufmerksam geworden war.

Der Hafen war ruhig. Hier und dort konnte man einzelne Gestalten auf den Docks beobachten, doch niemand schien sich um das Lagerhaus zu kümmern. Erleichtert wandte Samu sich ab und stieg die Treppe hinab, die vom Dachboden zur Lagerhalle führte.

Dort unten im fensterlosen Speicher war es so dunkel, daß Samu sich mit ausgestreckten Armen vorwärts tasten mußte.

Sie wußte, daß es am hinteren Ende des Lagers eine schmale Pforte gab, die zu dem Gewölbebau führte, in dem Elagabal sein Archiv untergebracht hatte und in dem tagsüber seine Schreiber arbeiteten. Vorsichtig tastete sie sich durch die Dunkelheit.

Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis Samus Finger endlich über die rissige Holztür glitten, die den Anbau vom Lager trennte. Sie fand den hölzernen Sperriegel und schob ihn zurück. Der Geruch von feuchtem Lehm und kaltem Rauch schlugen ihr entgegen, als sie über die Schwelle trat. Von der Feuerstelle, die in einer der Wandnischen des hohen Gewölbes lag, ging ein schwaches Glimmen aus. Samu wußte, daß Elagabals Schreiber jeweils am Ende des Tages die neuen Tontäfelchen, die sie angefertigt hatten, unter die Glut der schwelenden Feuerstelle schoben, um sie bis zum nächsten Morgen zu brennen und haltbar zu machen.

Im schwachen, rötlichen Licht konnte Samu die Umrisse einer Öllampe auf einem der Tische nahe der Feuerstelle erkennen. Sie nahm die Lampe, blies die Glut über den Tontafeln an und entzündete daran dann den Docht. Mit der Lampe in der Hand machte sie sich daran, das Archiv zu untersuchen.

Es gab vier Tische, auf denen sich Dokumente aus Papyrus und Pergament stapelten. Die wichtigsten Daten davon wurden übernommen und auf Tontafeln übertragen.

Ziellos begann die Priesterin zwischen den Dokumenten herumzusuchen. Das einzige System, das sie entdecken konnte, bestand darin, daß die Schriftstücke nach Sprachen sortiert worden waren und jeweils nur Unterlagen derselben Sprachgruppe auf einem Tisch lagen. So gab es Listen in Latein, Griechisch, Aramäisch und noch einer weiteren Sprache, deren Schriftzeichen die Priesterin nicht kannte. Die Informationen über die Fracht des Schiffes, das nach Ephesos gesegelt war, würde sie am wahrscheinlichsten unter den aramäischen Dokumenten finden, überlegte Samu, denn dies war die am weitesten verbreitete Sprache in Tyros und an der syrischen Küste. Möglicherweise waren sie aber auch in Griechisch abgefaßt. So machte sie sich daran, im gelben Licht der Öllampe Dokumente über Hafengebühren, Preislisten für Handelswaren und Berichte der Schiffskapitäne über den jeweiligen Verlauf der Reisen und etwaige Zwischenfälle zu studieren.

Die Priesterin hatte sich gerade erfolglos durch die aramäischen Texte durchgearbeitet und auch schon die Hälfte der griechischen Schriftstücke eingesehen, als ein Geräusch am großen Tor des Lagerhauses sie aufhorchen ließ. Wer mochte das mitten in der Nacht sein? Ängstlich blickte sie sich nach einem Versteck um. Im hinteren Bereich des Gewölbes türmten sich Stoffballen und große Säcke, in denen wohl Gewürze gelagert wurden. Einen anderen Unterschlupf gab es hier nicht.

Quietschend öffnete sich das Tor der Lagerhalle. Hastig blies Samu die Öllampe aus und stellte sie auf einen der Tische.

Dann hastete sie zu den Säcken hinüber, um sich dort zu verstecken. Das Licht von Fackeln erschien im Lagerhaus.

Durch die offene Tür des Gewölbeanbaus konnte die Priesterin erkennen, wie eine ganze Gruppe von Männern hereinkam. Sie folgten dem langen Gang zwischen den Vorratsamphoren und kamen geradewegs auf den Gewölbebau zu. Erschrocken schlich Samu noch ein wenig weiter zwischen den Säcken zurück.

An der Spitze der Männer erkannte sie jetzt Elagabal und Hophra. Der Ägypter näherte sich ihr fast bis auf Armesweite und zerrte einige der schweren Säcke zur Seite, um dann auf einen eisernen Ring am Boden zu weisen. »Hier ist es, Männer. Hebt die Platte an.«

Zwei kräftige Gestalten traten vor, schoben eine kurze Holzstange durch den Eisenring und öffneten eine verborgene Falltür.

»Ihr wißt, was ihr zu tun habt!« Elagabal zeigte auf die schmale Steintreppe, die unter der Felsplatte zum Vorschein gekommen war. Einer der Fackelträger ging voran, dann folgten die anderen Männer. Es waren ausnahmslos junge, kräftig gebaute Kerle. Vermutlich Fischer und Hafenarbeiter, dachte Samu.

»Glaubst du, daß es richtig war, auf den Griechen zu hören?«

Elagabal spielte nervös mit den Fingern am Saum seiner Tunica. »Das Versteck hier ist gut. Noch nie hat es ein Römer betreten. Schenken wir diesem Söldner nicht zu viel Vertrauen.«

Hophra lächelte kalt. »Wer sagt, daß ich dem Griechen vertraue, Herr? Ich habe mir seine Fechtübungen gestern und heute angesehen. Er ist zweifellos ein brauchbarer Lehrer, der es versteht, Männer zu führen. Diese Qualitäten solltet Ihr Euch zunutze machen. Sein Rat, die Waffen schon jetzt an die Getreuen auszuteilen, war auch klug. Stellt Euch vor, es gäbe einen Verräter und dieses Lager würde von den Römern entdeckt. Wir hätten dann fast alle Schwerter auf einen Schlag verloren. Wenn wir die Männer hingegen jetzt schon bewaffnen, gibt es dieses Risiko nicht mehr, und sie können ihre Übungen statt mit Holzstöcken mit richtigen Schwertern absolvieren. Das ist gut für ihre Moral. Sie fühlen sich dann schon fast wie richtige Soldaten. Wenn der Aufstand geglückt ist, sollten wir allerdings darüber nachdenken, uns des Griechen zu entledigen. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob wir ihm wirklich trauen können, Strategos. Für meinen Geschmack versteht er sich zu gut auf die römische Art zu kämpfen, ganz so, als sei er selbst einmal Legionär gewesen. Deshalb sollte er auf keinen Fall etwas von unserem besonderen Plan erfahren. Womöglich würde er sonst noch verhindern, daß der goldene Pfeil Melkarts den Tyrannen durchbohrt.«

Auf der Treppe erschienen jetzt Männer, die eingerollte Decken auf den Schultern trugen, die ganz so wie jene aussahen, auf die Samu einen kurzen Blick erhascht hatte, als man sie in der Sänfte am Vortag vom Hafen fortgebracht hatte. Das also war das Geheimnis des kretischen Schiffes gewesen! Es hatte außer Amphoren voller Olivenöl auch noch Waffen transportiert!

»Mir gehen immer wieder die Worte dieses Philippos durch den Kopf«, murmelte Elagabal. »Erinnerst du dich noch? Er hat behauptet, noch nie habe es eine Provinz geschafft, die Herrschaft der Römer wieder abzuschütteln. Glaubst du, es ist falsch, wenn wir uns gegen Marcus Antonius und Aulus Gabinius empören? Führen wir damit am Ende nur unseren eigenen Untergang herbei?«

»Worte!« Hophra schnaubte verächtlich. »Es sind die Herzen der Männer und der kühle Verstand ihres Anführers, die über den Erfolg einer Rebellion entscheiden. Unser Plan, Marcus Antonius in die Stadt zu locken, ist vollkommen. Er wird der Versuchung nicht widerstehen können. Wir können auch nicht mehr zurück. Ich habe ihm heute abend einen Botenreiter mit unserer Einladung geschickt. Seine Kolonne ist nur noch drei Tagesmärsche entfernt. Wir müssen auf jeden Fall verhindern, daß er mit seinen Fußsoldaten gemeinsam in die Stadt einzieht. Zusammen mit seinen tausend Mann würde die Garnison zu stark. Wir hätten dann keinerlei Aussicht auf Erfolg mehr. Schaffen wir es aber, ihn und seine Offiziere zu töten, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß seine drei Kohorten nicht weiter auf Tyros marschieren, sondern sich mit den Legionen des Gabinius vereinigen. Damit hätten wir einige Wochen Zeit gewonnen, um die Verteidigung der Stadt vorzubereiten. Inzwischen werden sich auch unsere Verbündeten gegen die Römer erhoben haben. Ihr werdet sehen, Strategos, wenn Antonius tot ist, dann haben wir schon fast gewonnen.«

Samu traute ihren Ohren kaum, als sie den hinterhältigen Plänen Hophras lauschte. Sie mußte so schnell wie möglich die Stadt verlassen und den Feldherren warnen. Und Philippos sollte sie auch warnen oder ... Die Priesterin zögerte. War es ein Zufall, daß der Grieche schon wieder in eine Verschwörung verwickelt war? Sie dachte an die Ereignisse in Italien. Auch dort hatte er auf Seiten der Mörder und Intriganten gestanden. Falls Philippos das Lager gewechselt hatte und sie ihm eine Warnung zukommen ließ, würden die Verschwörer vielleicht einen neuen Plan aushecken, um Marcus Antonius umzubringen. Und wenn der Arzt nur ein unschuldiges Opfer war . Nein, sie konnte es nicht riskieren, ihn zu warnen! Im Zweifelsfall würde er sich schon selbst zu retten verstehen. Das einzige, was sie für Philippos tun konnte, war, für ihn zu beten.

»Und diese Priesterin? Ich bin voller Sorge darüber, daß sie geflohen ist. Glaubst du, daß sie unsere Pläne erraten hat? Es war ein Fehler, sie zu unserem Gastmahl zu laden, nicht wahr?«

Hophra lachte leise. »Diese kleine Hure wird nicht weit kommen.« Seine Worte trafen Samu wie ein Schlag ins Gesicht. »Ich habe Euch immer davon abgeraten, sie in Euer Haus aufzunehmen, Herr. Doch seid gewiß, sie wird uns nicht entwischen. Es gibt nur ein einziges Stadttor, durch das sie Tyros verlassen kann. Dort ist sie bislang nicht gesehen worden. Da auch kein Schiff aus dem Hafen ausgelaufen ist, muß sie sich noch innerhalb der Mauern befinden. Sorgt Euch also nicht! Wir werden sie auf jeden Fall finden, und wenn ich mit ihr fertig bin, dann wird sie niemandem mehr etwas verraten können.«

Samu spürte, wie sich ihre Gedärme verkrampften. Vorsichtig versuchte sie, noch ein wenig weiter zwischen den Gewürzsäcken zurückzukriechen. Wie hatte sie nur jemals glauben können, daß Hophra sie liebte? Er hatte sie mißbraucht und sein Spiel mit ihr getrieben! Doch woher wußte er, warum sie nach Tyros gekommen war?

»Behaltet einen kühlen Kopf, Strategos, und Ihr werdet in zwei Monaten der neue Statthalter von Syrien sein. Wenn Berenike erst den parthischen Prinzen geheiratet hat und die Parther und die Ägypter gemeinsam in Syrien einmarschieren, um die Römer zu vertreiben, dann bricht ein neues Zeitalter für Tyros an. Die Stadt wird dann wieder so bedeutend sein wie einst. Ihr könnt sicher sein, daß Euch die Prinzessin auszeichnen wird, wenn Ihr Euch als erster gegen die Herrschaft der Tyrannen erhebt und so ein Zeichen zum allgemeinen Aufstand gebt. Ihr wißt doch, daß Euch der Gott zu seinem Werkzeug auserkoren hat.«

Samu traute ihren Ohren kaum. Hophra war also mehr als nur ein Söldner! Er war ein Spitzel in Diensten Berenikes! Er, der immer so treu zu seinem Pharao gestanden hatte, daß Potheinos höchstpersönlich dafür gesorgt hatte, daß Hophra vom Hof in Alexandria abkommandiert wurde und durch einen korrupteren Offizier ersetzt wurde. Am liebsten wäre Samu aus ihrem Versteck aufgesprungen und hätte dem Verräter ihren Dolch in die Brust gestoßen.

Jetzt erkannte sie, daß ihre Mission hier in Tyros von dem Augenblick an verloren gewesen war, an dem sie Hophra im Hafen begegnete. Der Krieger hatte wissen müssen, daß sie noch am Hof des Pharaos diente und daß es kein Zufall sein konnte, daß sie kurz nach dem mißglückten Giftanschlag hier in Tyros erschien. Vermutlich war auch der Mordversuch Hophras Werk. Schließlich war es eines von Elagabals Schiffen gewesen, das die falschen Geschenke nach Ephesos gebracht hatte, und so wie es schien, hatte der Söldner solchen Einfluß auf den Handelsherrn, daß er ihn zu jeder Schandtat überreden konnte.

Schweigend beobachteten der Kaufmann und sein Söldner, wie ihre Lastenträger die Bündel mit den Waffen aus dem verborgenen Keller fortschafften. Als die Männer schließlich mit ihrer Arbeit fertig waren und die Steinplatte über den Zugang zu dem verborgenen Kellergewölbe schieben wollten, trat Hophra dazwischen.

»Laßt es offen. Wir verriegeln das Lagerhaus gut, das genügt! Morgen früh müssen die Schreiber die frisch gebrannten Dokumente in das geheime Archiv bringen. Ihr wißt doch, was für Schwächlinge sie sind und was für ein Aufhebens sie immer darum machen, die Steinplatte anzuheben.«

»Was für Dokumente?« Elagabal blickte seinen Leibwächter fragend an.

»Die Kopien des Briefes, den Ihr an Berenike geschickt habt, Herr. Ihr erinnert Euch doch noch.«

»Ja, der Brief ... Du hast recht.« Der Kaufmann machte auf Samu keineswegs den Eindruck, als erinnere er sich. Sie hatte mehr und mehr das Gefühl, als sei er Wachs in Händen des Söldners. Was Hophra wohl mit ihm gemacht haben mochte, daß Elagabal sich so sehr gängeln ließ?

Die Männer verließen das Gewölbe, und als Samu schließlich hörte, wie das schwere Portal des Lagerhauses verschlossen wurde, wagte sie es, aus ihrem Versteck herauszukommen. Im nachhinein betrachtet war dieser Zwischenfall geradezu ein Geschenk der Isis. Nur auf sich gestellt, hätte sie wohl niemals den Zugang zu dem Kellergewölbe entdeckt und selbst wenn, hätte sie allein nicht die schwere Steinplatte anheben können, die es verschloß. Auch der Hinweis auf die Tontafeln in der Glut war Gold wert. Sie selbst wäre nicht auf die Idee gekommen, ausgerechnet diese Tafeln näher zu untersuchen.

So entzündete sie wieder ihre Öllampe und holte dann mit Hilfe einer eisernen Zange die gebrannten Tafeln aus der fast verloschenen Glut des Feuers. Der Text auf den fünf Tafeln war in aramäischer Sprache verfaßt. Die Schriftzeichen erschienen Samu ein wenig verzerrt, doch mochte es daran liegen, daß sie nicht dazu geschaffen waren, mit einem Schreibkeil in frischen Ton gepreßt zu werden. Was den Inhalt anging, waren die Schreiben eine Enttäuschung. Es war lediglich eine Bestätigung dessen, was sie ohnehin schon wußte. Elagabal schien der Kopf der Verschwörung in Tyros zu sein, auch wenn Hophra der zerstörerische Daimon war, der hinter allem stand. Der Kaufmann wandte sich an Königin Berenike um Hilfe und berief sich dabei auf frühere Vereinbarungen. Offenbar sollte die Rebellion in Tyros so etwas wie ein allgemeines Zeichen zum Aufstand werden. Außerdem bedankte er sich bei der Herrscherin für die Waffenlieferung. Woher Berenike wohl über römische Kurzschwerter verfügte, dachte Samu bei sich. Dann legte sie die Tontafeln in die Asche zurück und wandte sich dem Eingang zum Kellergewölbe zu.

Die Treppe war aus dem Felsen geschlagen und führte in einer leichten Krümmung in die Tiefe. Hier und da waren an den Seitenwänden die Reste von primitiven Zeichnungen zu erkennen.

Es gab einen knienden Helden, der einen Löwen umklammert hielt, und ein andermal eine Frauengestalt, der Waffen aus den Schultern zu wachsen schienen. Insgesamt hatte Samu den Eindruck, als habe man sich Mühe gegeben, die Zeichnungen wieder von den Wänden zu entfernen. An vielen Stellen fand sie tiefe Schrammen auf der Felswand, durch die die Göttergestalten unkenntlich gemacht worden waren. Auch waren die Wände und die Decke schwarz vor Ruß, so als habe es einst ein verzehrendes Feuer in dem Gewölbe am Ende der Treppe gegeben. Oder stammte der Ruß nur von den Fackeln Tausender Gläubiger, die über Generationen das Gewölbe hinabgestiegen waren?

Nach ungefähr vierzig Stufen mündete die Treppe in ein Gewölbe, das so aussah, als ginge es auf eine Höhle zurück, die später künstlich erweitert worden war. Am Ende des länglichen Raumes befand sich eine Nische, in der vielleicht einst eine Götterstatue gestanden hatte. Samu spürte deutlich die mächtige Aura dieses Ortes. Die magischen Kräfte, die längst vergessene Priester hier einst beschworen hatten, schienen der Ägypterin noch immer präsent. Samu spürte, wie sich die feinen Härchen auf ihren Armen aufrichteten. Ein Schaudern überlief sie. Es wäre besser, wenn sie an diesem Ort nicht zu lange verweilte! Hastig schlug sie ein Schutzzeichen gegen Daimonen und sah sich dann nach den Kisten um, die ordentlich aufgereiht an einer der Längswände des Gewölbes standen.

Die hölzernen Kisten hatten keine Deckel und waren durch schmale Brettchen in Fächer unterteilt, in denen sich Tontafeln stapelten. Neugierig machte sich Samu daran, die Schriftstücke zu studieren, und war schon bald überrascht, welchen Umfang die geheimen Aktivitäten des Kaufmanns annahmen.

So gab es Verträge mit verschiedenen Piraten, in denen Elagabals Schiffen freies Geleit zugesichert wurde. Auf der anderen Seite wiederum schien der Vater des Kaufmanns Pompeius bei seinem Feldzug gegen die Piraten unterstützt zu haben.

Es gab Handelsabkommen, die das Vorkaufrecht auf bestimmte Waren sicherten, und Absprachen, die dazu dienten, Kaufleute, deren Namen Samu nicht kannte, in die Isolation und schließlich in den Ruin zu treiben. Doch so sehr sie auch suchte, sie fand nichts über den Einkauf der Geschenke, die an den Hof des Ptolemaios gebracht worden waren, keine Anweisungen an den Kapitän Oiagros, aus denen sich ableiten ließ, daß ein Mordanschlag geplant war. Der einzige Beweis, den sie nach wie vor hatte, war die Äußerung Elagabals über die Fahrt nach Ephesos. Hatte der Kaufmann vielleicht etwas geahnt und alle Spuren verwischt? Samus Blick glitt über die lange Reihe der Kisten mit den Tontafeln. Nein, der Phönizier dachte gar nicht daran, Spuren zu verwischen. Er war ein Pedant! Über alle zwielichtigen Geschäfte und Schurkereien seines jungen Lebens hatte er sorgfältig Buch geführt.

Ein Geräusch auf der Treppe ließ Samu herumfahren. Intuitiv zuckte ihre Hand zu dem Dolch, den sie unter ihrem Gewand verborgen trug.

Auf der Treppe stand Hophra. In der Rechten hielt er eine fast verloschene Fackel. Seine Linke lag auf dem Knauf des langen Reiterschwertes, das er umgegürtet hatte. Im unsteten Licht wirkte das Gorgonenhaupt auf seinem weißen Leinenpanzer seltsam lebendig. Es grinste nicht nur, es schien Samu geradezu auszulachen. Die Priesterin stand wie versteinert da und starrte den Söldner an.

»Hattest du genug Zeit, um zu finden, was du suchst, meine Liebe?« Der Krieger lächelte, doch seine Augen blieben kalt.

»Du mußt wissen, daß ich kein Verräter bin, Philippos. Ich konnte einfach nicht ...« Abimilku brach mitten im Satz ab und starrte auf das nächtliche Meer. Der Schiffer hatte Philippos nach den Kampfübungen gebeten, mit ihm zu kommen. Die beiden hatten an einer einsamen Stelle die Stadtmauer erklommen, um sich dort, weitab neugieriger Lauscher, auszusprechen.

Der Grieche hatte am Morgen nach der Prüfung seine Sachen zusammengeschnürt und war in das Haus des Judäers zurückgekehrt. Seit er in die Verschwörung gegen Marcus Antonius eingeweiht worden war, mußte er nicht mehr unter einem Dach mit Abimilku wohnen. Er war nicht mehr auf den Kapitän angewiesen! Jetzt kannte er bedeutendere Männer und konnte auf anderen Wegen nachforschen, wer in den Anschlag auf Ptolemaios verwickelt war. Obwohl er selbst ein Spitzel gewesen war, fühlte er sich durch den Taucher mißbraucht und verletzt. Er hatte für den Mann echte Freundschaft empfunden. Er hatte ihm den Arm, ja vielleicht sogar das Leben gerettet, und dann das .

»Es tut mir leid, Philippos. Behandle mich nicht wie einen Schurken. Kannst du mich denn nicht verstehen? Ich mußte zwischen meiner Treue zu dir und meiner Stadt wählen. Ich habe es mir dabei wirklich nicht leichtgemacht .«

»Bist du sicher, daß du diesen Gedanken wirklich bis zum Ende geführt hast? Du glaubst, deiner Stadt einen Dienst zu erweisen?« Philippos mußte vorsichtig sein. Er wollte, daß sich Abimilku über die Konsequenzen, die eine Rebellion in Tyros haben würde, im klaren war. Gleichzeitig hatte der Grieche aber auch Angst davor, sich wieder als Spitzel verdächtig zu machen. Er durfte nicht zu offen Partei gegen die Verschwörer ergreifen. Vielleicht sollte er das Gespräch auch einfach beenden? Was interessierte ihn das Schicksal dieser Menschen? Er sollte nicht sentimental sein . Schließlich hatte er nur ein paar Tage mit ihnen unter einem Dach gelebt! Vor seinem geistigen Auge sah er das brennende Tyros, sah plündernde römische Soldaten durch die Straßen stürmen. Philippos ballte die Fäuste. Er mußte an Abimilkus Frau und deren Kinder denken. Und er wußte, was mit ihnen geschehen würde.

»Natürlich erweise ich meiner Stadt einen guten Dienst«, entgegnete der Seemann nach längerem Schweigen trotzig. »Ich diene meinen Göttern. Azemilkos, der Hohepriester des Melkart, hatte eine Vision. Er hat gesehen, daß die Königin Ägyptens von Alexandrien bis Pergamon herrschen wird und daß die mächtigsten Römer ihr zu Füßen liegen werden. Die Götter selbst werden sich gegen die fremden Eroberer und ihre Vasallen erheben. Weißt du, überall erzählt man sich Geschichten davon, wie sich die Artemis von Ephesos gegen den Pharao empört hat, der in ihrem Hause Zuflucht suchte. In ihrem Zorn hat sie den Mundschenk und die Geliebte des Herrschers zerschmettert. Genauso wird es den Römern ergehen, wenn sie Melkart beleidigen! Es heißt, dieser Reitergeneral wolle kommen und in seinem Stolz Melkart herausfordern. Angeblich will er sogar in Waffen das Haus des Gottes betreten. Warum sollten wir ihm gestatten, was wir selbst dem großen Alexander verwehrt haben?«

»Habt ihr letzten Endes verhindern können, daß Alexander den Tempel des Gottes betreten hat? Welchen Preis habt ihr für euren Stolz gezahlt? Tyros wurde niedergebrannt. Alexander hat bewiesen, daß er selbst fast ein Gott ist, indem er die Insel für immer mit dem Festland verbunden hat und euch einen eurer Häfen stahl! Wo war Melkart, als der Makedone die Frauen und Kinder von Tyros in die Sklaverei verkaufte?«

»Vorsicht, Grieche! Ich wollte mich bei dir entschuldigen und mit dir Freundschaft schließen, doch ich werde nicht dulden, daß du meinen Gott beleidigst! Melkart hat nichts von seiner Macht verloren. Er hat Alexander das verzehrende Fieber geschickt, das ihn dahingerafft hat. Melkart ist das Licht und das Feuer! Und ein Feuer war es, das den Makedonen von innen heraus aufgezehrt hat!«

»Verstehe mich nicht falsch! Ich bin Söldner und habe bisher meinen Dienstherren immer die Treue gehalten«, beteuerte der Arzt. »Doch habe ich sie auch alle im Kampf gegen Rom untergehen sehen. Im Zweifelsfall werde ich der Letzte sein, der auf den Mauern über einer brennenden Stadt noch gegen die Römer weiterkämpft. Doch ich habe es auch viel leichter mit meiner Entscheidung, denn ich muß nur an mich denken, Abimilku. Ich habe keine Frau und keine Kinder, die für meinen Stolz vielleicht mit einem Leben in Sklaverei bezahlen müssen. Doch genug jetzt davon!« Philippos streckte dem Kapitän seine Hand entgegen. »Ich weiß, in welchem Zwiespalt du gesteckt hast, und ich werde dir verzeihen, daß du das Gastrecht verraten hast, um mich der Liebe zu deiner Stadt zu opfern.«

»Danke.« Die Stimme des Tauchers war kaum mehr als ein Flüstern. Er ergriff die Hand des Griechen, um ihre Freundschaft aufs neue zu besiegeln. »Laß uns nun gehen! Die Stunde der Morgendämmerung ist nicht mehr fern, und ich sehne mich nach der zarten Umarmung meiner Frau.« Abimilku lächelte verlegen. »Du mußt wissen, sie war in den letzten Tagen wegen meiner Verletzung sehr zurückhaltend.«

Der Arzt erwiderte das Lächeln. »Ich weiß. Ich selbst habe ihr dazu geraten, deine Kräfte zu schonen. Doch wenn du jetzt wieder die Stimme Aphrodites in dir hörst, dann bin ich sicher, bist du auch in der Lage, die Gaben der Göttin zu empfangen.«

Der Taucher lächelte.

Am Fuß der Mauer trennten sich die beiden, und Philippos kehrte zum Haus des Judäers zurück. Auch wenn er sich mit warmherzigen Worten verabschiedet hatte, so quälten ihn doch düstere Gedanken. Immer wieder sah er das brennende Tyros vor sich, und der Arzt betete stumm zur Pallas, daß sie den Tyrenern die Weisheit schenken möge, zu erkennen, welchen Weg sie beschritten hatten.

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