6. KAPITEL

Zwei Tage waren seit dem Tod der Hetaire vergangen. Die Lage bei Hof hatte sich entspannt, und es schien, als sei der Zorn der Göttin verflogen. Philippos war noch einmal in das Zimmer von Buphagos zurückgekehrt und hatte dort die versteckte Papyrusrolle geholt, denn er brauchte Schreibmaterial, und das war teuer.

Den Spiegel, den Schmuck und die anderen Schätze der Thais hatte Potheinos mit großer Geste der kleinen Kleopatra geschenkt. Der Eunuch dachte an seine Zukunft. Ptolemaios wurde seit dem Tod der Hetaire von Verstopfung geplagt. Der König wurde immer dicker, und seine Gesundheit war alles andere als gut. Es war nur eine Frage von Zeit, bis Thanatos auch ihn besuchen würde. Wahrscheinlich war er sich darüber im klaren. Jedenfalls hatte Ptolemaios in den letzten Tagen ungewöhnlich viel Zeit mit Kleopatra verbracht. Samu gegenüber blieb der Herrscher mißtrauisch. Philippos wußte, daß die Priesterin dem Pharao mehrfach angeboten hatte, ihm einen abführenden Trunk zu mischen, doch der König hatte abgelehnt. Er legte sein Wohl ganz in die Hände des Arztes, und Philippos war so zufrieden wie schon lange nicht mehr.

Wenn der König immer kränker wurde, dann würde die Bedeutung seines Leibarztes bei Hof schlagartig zunehmen. In Gedanken sah er sich schon als Berater des dicken Flötenspielers bei seinen Staatsgeschäften. Es gab keinen Zweifel, daß er noch eine große Zukunft vor sich hatte. Nur von Samu sollte er sich fernhalten. Ihr Stern würde bald verblassen.

Philippos war sicher, daß ein einziges falsches Wort von der Priesterin im Moment ausreichen mochte, um zu ihrer Verbannung oder gar zu Schlimmerem zu führen.

Der Arzt blickte zu dem Nubier, der neben ihm auf einem Stein saß und nachdenklich zum Meer hinabschaute. Wenn der König oder Potheinos wünschten, daß jemand verschwinden sollte, dann wäre er der Vollstrecker ihrer Befehle. Philippos mochte den Mann nicht sonderlich. Zu frisch war seine Erinnerung daran, daß der hünenhafte Leibwächter ihn in Italien ganz oben auf seiner Todesliste stehen hatte. Trotzdem wäre es klug, wenn er diese Zeit einfach vergessen würde. Es war wichtig, Batis zum Freund zu haben, zu wissen, was er dachte, wen er mochte und wen nicht.

Die Kommentare einiger Hofdamen hatten Philippos auf die Idee gebracht, sich an diesem Nachmittag mit dem Nubier zu treffen. Angeblich verfügte er über ganz akzeptable Qualitäten als Dichter. Natürlich war sich der Grieche im klaren darüber, daß Batis die Damen wahrscheinlich vor allem auf anderem Gebiet beeindruckt hatte, denn die Geschichten über seine Liebesaffären bei Hof waren Legion. Selbst zu Samu sollte der Leibwächter angeblich einmal ein mehr als nur freundschaftliches Verhältnis unterhalten haben. Philippos konnte sich allerdings nicht vorstellen, daß an diesen Gerüchten auch nur ein Körnchen Wahrheit war. Die Isispriesterin war viel zu kalt und unnahbar, um sich auf so etwas wie eine Romanze einlassen zu können. Auch wenn sie, zugegebenermaßen, recht hübsch war ...

Philippos musterte den Nubier verstohlen. Schmunzelnd überlegte er, daß durch die zahlreichen Liebschaften des Kriegers das Wort Leibwächter eine völlig neue Bedeutung bekam.

»Du mußt mir mehr über sie erzählen, wenn ich dir helfen soll«, murmelte Batis nachdenklich. »Ich bekomme kein richtiges Bild von ihr. Vielleicht wäre es auch klug, wenn du nicht auf Daphne anspielst, aber das mußt du wissen.«

Philippos räusperte sich verlegen. Er sollte sich wieder auf den eigentlichen Grund ihres Treffens konzentrieren. Er hatte Batis gefragt, ob er ihm nicht helfen könne, ein Gedicht für Neaira zu verfassen. In den letzten beiden Tagen war er nicht dazu gekommen, sich davonzustehlen, um der Hetaire seine Aufwartung zu machen, und doch beherrschte die schöne Thrakerin jeden seiner Gedanken. Der Arzt hatte die Papyrusrolle aus dem Gemach von Buphagos gestohlen, um darauf seine Liebesschwüre niederzuschreiben, doch wollte es ihm einfach nicht gelingen, das, was er dachte, auch in Worte zu fassen.

»Weißt du, ihr Körper ist wie eine süße Frucht, Batis. Je mehr ich ihn genieße, desto mehr verlangt es mich auch nach ihm. Ihr zartes Haar, ihre süßen Lippen, ihre Haut so .«

Der Krieger klopfte sich ausgelassen auf die Schenkel. »Na, das hört sich doch schon ganz gut an. Warum schreibst du ihr das nicht?«

Philippos seufzte. »Das geht nicht. Es ist ohne Anmut! Meinen Gedanken fehlt die Form. Ich muß sie in ein Versmaß bringen. Hast du denn nie die Dichter Alexandriens gelesen? Gerade die Poeten der Königsstadt sind berühmt dafür, ihren Versen ein wunderbares Gleichmaß zu geben, ohne daß dadurch der anmutige Fluß der Worte gehemmt würde.«

»Das ist doch Unsinn! Wie kannst du deiner Liebe solche Fesseln auflegen? Deine Worte müssen auf direktem Wege in ihr Herz gelangen. So betört man eine Frau! Du machst es dir zu schwer. Finde Bilder, die ihr schmeicheln! Vergleiche ihre Brüste mit Äpfeln, nenne ihren Mund eine Rose, besinge den Liebesquell, der zwischen ihren Schenkeln liegt, und sprich von den tausend Wonnen, die du in ihren Armen erlebt hast. Das gefällt jeder Frau.«

Philippos schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob das der rechte Weg ist. Ich meine . Diese Worte sind doch schon tausendmal gesagt. Ich möchte ihr etwas Neues schenken. Etwas, worin sie sich wiedererkennt und das sich nicht nach billiger Tavernenlyrik anhört. Verstehst du das?«

Batis kratzte sich am Kopf und gähnte gelangweilt. »Etwas Neues soll es also sein! Was hältst du von der Form des lyrischen Zwiegespräches? Erst schreibst du, was du deiner Angebeteten gerne sagen möchtest, und dann bringst du auch noch die Antwort, die dir dazu am liebsten wäre, in Versform. Das ist eine Methode, mit der ich schon große Erfolge hatte. Vor allen Dingen bei jenen verwöhnten und gebildeten Frauen, die sich für etwas Besseres halten.«

»Neaira ist nicht so! Ihr Geist ist nicht weniger schön als ihr Körper, und es fehlt ihr jede Eitelkeit. Überhaupt begreife ich nicht, was das für Gedichte sein sollen. Kannst du mir vielleicht ein Beispiel geben.« »Nichts leichter als das!« Batis sprang auf und warf sich in Pose, so als sei er ein Schauspieler in einer Komödie.

»Mit hohem Hals und strahlender Brust Hat sie echtes Lapislazuli zum Haar.

Ihre Arme übertreffen das Gold, ihre Finger sind wie Lotoskelche.«

Der Nubier schmunzelte. »Das war noch harmlos. Jetzt paß einmal auf, wie die Antwort der Frau lautet. Ich hoffe, du bist nicht prüde, mein Freund.«

»Willst du mich verschaukeln? Ich habe schon Frauen geliebt, als du noch an der Brust deiner Mutter gelegen hast. Ich und prüde . So ein Unsinn!«

»Na, dann ist es ja gut.« Batis grinste breit.

»Mögest du meine Höhle erreichen, ehe deine Hand viermal geküßt werden kann.

Du suchst die Liebe der Geliebten, denn die Goldene befiehlt es dir, mein Freund.«

Philippos war nicht sicher, ob das die Art von Lyrik war, die Neaira gefallen würde. Natürlich, sie war eine Hetaire, und ihre Liebe war käuflich, doch würde sie sich gerade deshalb nicht viel eher nach sanften Liebesschwüren sehnen als nach solch derben Worten, die keinen Zweifel am Ansinnen des Dichters ließen.

»Was schaust du so, als hätte ich dir einen faulen Fisch serviert? Liegt in diesen Versen nicht eine Sinnlichkeit, die einem das Blut aufwallen läßt, so wie die streichelnde Hand einer kundigen Liebesdienerin?«

»Gewiß«, versicherte Philippos schnell, denn er wollte den Krieger auf keinen Fall verärgern. »Auf mich verfehlen deine Worte ihre Wirkung nicht. Allein, ich weiß nicht, ob ich damit den richtigen Ton für meine Liebste treffen würde.«

»Warum? Sie ist doch eine Hetaire. Sie wird schon keine roten Wangen bekommen, wenn du ihr gegenüber eine deutliche Sprache sprichst.«

»Du hast sicher recht, Batis. Doch gerade weil sie so derbe Worte jeden Tag zu hören bekommt, möchte ich nicht diese Form wählen, um von meiner Liebe zu sprechen. Es sollte romantischer klingen. Ich möchte nicht das Blut in ihrer Kteis pochen lassen, sondern ihr Herz berühren.«

»Du glaubst doch nicht etwa im Ernst, eine Hetaire könnte sich verlieben? Du bist ein kluger Mann, und jeder bei Hof sagt, daß du ein großer Arzt bist. Eine Hure kann nicht mehr von Herzen lieben. Nach ihrer Unschuld ist dies das erste, was sie in ihrem Gewerbe aufgibt. Sie liebt deinen Geldbeutel, vielleicht hofft sie auch, durch dich zu Macht und Ansehen zu kommen. Wenn du Glück hast, versteht sie ihre Kunst so gut, daß du es nicht merkst, daß sie dich ohne ihr Herz liebt, wenn du in ihren Armen liegst, doch täusche dich nicht. Einer Hure ist Liebe so fremd wie dir die Berge meiner Heimat.«

»Das ist dein Standpunkt«, entgegnete Philippos schmollend. »Erlaube, daß ich anderer Meinung bin.« Er hätte den Nubier nicht um Rat fragen sollen. Was verstand ein Barbar schon von der Liebe! Es war töricht gewesen, zu glauben, daß er die Frauen auch auf andere Weise als nur durch seinen ansehnlichen Körper zu beeindrucken verstand.

»Dich hat es ja schlimmer erwischt, als ich gedacht hätte.« Batis verpaßte ihm einen freundschaftlichen Knuff.

»Ich habe da noch ein paar Verse, die dir vielleicht besser gefallen werden.

Deines Gesichtes Schönheit glänzt und leuchtet.

Du bist vollkommen.

Von deinem Anblick wird man trunken wie von edlem Wein.

Mit schweren Lenden und schmalen Hüften, du, deren Schenkel um ihre Schönheit streitet, edlen Ganges; wenn du auf die Erde trittst, raubst du mein Herz mit deinem Gruß.

Das klingt romantischer, nicht wahr? Und trotzdem ist es sinnlich. Du liebst doch ihre Schenkel, oder? Sprich davon! Sie wäre sicher enttäuscht, wenn du ihr nicht auch sagen würdest, wie sehr du dich an ihr zu berauschen vermagst.«

»Na ja, das klingt auf jeden Fall schon besser als dein letzter Vorschlag. Wenn ich nur nicht so unsicher wäre. Weißt du, ich habe so etwas noch nie getan ... einer Frau ein Liebesgedicht schreiben.«

»Das merkt man. Beim nächsten Mal wird es dir leichter fallen. Übrigens, was die Frauen in meiner Heimat gerne mögen, ist, wenn man sie mit wilden Tieren vergleicht. So wie man von einem Krieger sagen kann, er sei mutig wie ein Löwe, nennt man dann ihre schlanken Fesseln gazellengleich oder deutet an, daß ihr ausladendes Becken so üppig und so fruchtbar wie die Lenden eines Flußpferdes seien.«

Philippos runzelte die Stirn. »Wie ein Flußpferd? Es gibt Frauen, die so etwas gerne hören?«

»Natürlich! Die Fruchtbarkeit einer Frau zu rühmen, ist immer schmeichelhaft!«

»Bleiben wir lieber bei den Versen von vorhin. Ich fürchte, einen Vergleich mit einem Flußpferd würde Neaira nicht als Kompliment auffassen.« Der Grieche zog die Schriftrolle aus ihrer Lederhülle, rollte sie ein Stück weit auf und legte sie auf einen flachen Felsen. Dann nahm er Tintenfaß und Pinsel zur Hand. »Also, wie war das? Am Anfang kam doch etwas über die Schönheit ihres Gesichtes.«

»Deines Gesichtes Schönheit ...«, rezitierte der Nubier langsam. »Sag mal, was ist denn das für ein Papyrus, auf den du da schreibst. Darf ich den mal sehen? Der ist ja auf der Rückseite beschriftet.«

»Das ist nichts Besonderes. Nur eine alte Liste.«

»Ich kenne dieses Schriftstück. Die Löwenköpfchen dort oben an den Enden der Holzstange . Das Dokument ist doch nicht alt! Lies mal vor, was daraufsteht. Vielleicht fällt mir dann wieder ein, wo ich es gesehen habe.«

Philippos seufzte resigniert. »Wenn ich das Ding jetzt umdrehe, dann verwische ich die Tinte. Du siehst doch, daß ich gerade erst angefangen habe, zu schreiben. Das Ganze ist nichts weiter als eine Inventarliste des Palastes. Ich glaube, zu oberst stand etwas von einem Tischchen, das mit gelbem Elfenbein aus Punt verziert war.«

»Elfenbein aus Punt? Wo hast du diese Liste her, sie ist keine zehn Tage alt.«

»Das kann nicht sein«, protestierte Philippos. »Sie lag zu unterst in der Kleidertruhe des Mundschenks, so als sei sie völlig unwichtig und .«

»Oder so, als sei sie dort versteckt!« Der Nubier musterte den Griechen jetzt auf eine Art, daß es Philippos kalt den Rücken herunterlief.

»Darauf wäre ich nie gekommen«, log der Arzt. »Was sollte an dieser Liste schon so wichtig sein?«

»Nichts, außer daß sie in die Hände von Potheinos gehört. Buphagos hat die Geschenke an Stelle des ersten Eunuchen angenommen. An dem Mittag, als sie zur Villa gebracht wurden, waren der göttliche Pharao und Pothei-nos zu einem Gastmahl bei dem Megabyzos des Tempels. Deshalb hat Buphagos die Geschenke in Empfang genommen. Ich war dabei, als ihm diese Liste überreicht wurde. Wenn ich mich richtig erinnere, waren es Kaufleute aus Tyros, die Ptolemaios mit den Kleinodien ihre Verbundenheit beweisen wollten. Ich verstehe nicht, wieso Buphagos diese Liste noch besessen hat. Er müßte sie eigentlich zusammen mit den Geschenken an Potheinos weitergeleitet haben. Es ist üblich, genau aufzuzeichnen, was für Gaben der Göttliche erhält. Es wäre dem Eunuchen sicher aufgefallen, wenn die Liste gefehlt hätte.«

»Vielleicht hat der Mundschenk auch eine Kopie angefertigt. Ich finde diese Angelegenheit ziemlich unwesentlich. Wollen wir nicht lieber an dem Gedicht weiterarbeiten?«

»Du wirst kein einziges Zeichen mehr auf diesen Papyrus malen!« Batis packte den Arzt bei der Tunica und zog ihn von der Schriftrolle weg. »Das ist Eigentum des göttlichen Pharaos. Sie zu behalten ist so, als würdest du ein Weihegeschenk aus einem Tempel stehlen! Wir werden diese Schriftrolle jetzt zu Potheinos bringen, und er wird entscheiden, was mit ihr geschehen soll. Nichts, was dem Göttlichen geschenkt wurde, ist für die Hände Sterblicher bestimmt. Es sei denn, er überläßt es ihnen in seiner unendlichen Großmut. Ich werde auf keinen Fall dulden, daß auf dieses Dokument ein Liebesbrief an eine Hetaire geschrieben wird! Wir warten, bis die Tinte getrocknet ist, dann rollst du es auf, und wir suchen Potheinos.«

Philippos wand sich aus dem Griff des Nubiers. Er hätte sich niemals mit diesem Barbaren treffen sollen! Daß dieser Kerl sich pedantischer als ein Hofschreiber benahm . Wie konnte man sich nur so wegen einem Stück Papyrus anstellen? Wahrscheinlich war Batis auf irgendeine Art verrückt! Diese Orientalen und ihr Aufhebens um dieses erfundene Gottkönigtum würde er niemals begreifen. Für ihn gab es einfach nichts Göttliches an Ptolemaios. Wer hatte schließlich schon einmal von einem Gott gehört, der unter Verstopfung litt!

»Sag, was ist denn in dich gefahren, als du das hier geschrieben hast?« Ärgerlich blickte Samu von der Wachstafel auf, in die Kleopatra eine Formel mit einem Zauberspruch geritzt hatte, der über das Tet-Amulett zu sprechen war, wenn es seinen magischen Schutz entfalten sollte.

»Was meinst du?« Die Prinzessin saß an ihrem Schminktisch und ließ sich von einer Sklavin die Haare frisieren, während sie auf einer Schiefertafel mit einem kleinen Holzspachtel grünes Shesmet-Pulver mit einigen Tropfen Palmöl vermengte.

»Ich meine, daß du hier völligen Unsinn aufgeschrieben hast. Fast keines der Worte stimmt mehr! Hast du denn alles vergessen, was ich dir beigebracht habe.«

»Gar nichts habe ich vergessen! Ich habe mich nur an deine Anweisungen gehalten!« Die Prinzessin beugte sich auf ihrem Hocker vor und begann, mit einem Elfenbeinstift einen Teil der Paste auf ihre Augenlider aufzutragen.

»Dann komm doch mal her und erklär mir, was das zu bedeuten hat, was du hier aufgeschrieben hast.«

»Das geht jetzt nicht. Siehst du nicht, daß ich alle Hände voll zu tun habe? In einer Stunde muß ich fertig sein. Du weißt doch, daß ich meinen Vater zum Megabyzos begleiten soll. Er will, daß ich lerne, wie man Staatsgeschäfte erledigt.«

Samu schnaubte verächtlich. »Du meinst wohl, daß dein Vater dir beibringen will, wie man jemanden dazu überredet, einem Geld zu leihen, obwohl die Aussichten, es jemals zurückzubekommen, gelinde gesagt gering sind.«

»Was du da sagst, ist Hochverrat, Samu! Wenn der Neue Osiris das hören würde, dann würde er dich dafür vom Hof verbannen.«

»Und wenn du den Unsinn, den du hier niedergeschrieben hast, jemals laut über einem Tet-Amulett aussprichst, dann wird Isis dir eines Nachts einen Skorpion unter diese Decke schicken, um dich für deine Ignoranz zu strafen.«

»Puh!« Kleopatra legte den dünnen Elfenbeinstift zur Seite und betrachtete sich in ihrem neuen Spiegel, um zu sehen, ob sie die Schminke auch gleichmäßig auf die Augenlider aufgetragen hatte. »Mit solchen Reden kannst du vielleicht kleine Kinder erschrecken. Mir jagst du damit keine Angst ein! Ich bin die Tochter der Isis, die Zauberreiche würde mir niemals etwas zuleide tun.«

»Vielleicht würde ich diese Bürde der Göttin gerne auf mich nehmen!«

Die Prinzessin wischte den Elfenbeinstift in aller Seelenruhe mit einem kleinen Tuch sauber und öffnete dann ein anderes Gefäß. Es war die Skulptur des knienden Nubiers, der auf seinem Rücken einen Korb trug. Gelassen rührte Kleopatra durch die zähe schwarze Paste. »Du weißt genau, daß du mir nichts tun darfst, Samu. Mein Vater hat allen Lehrern untersagt, mich körperlich zu züchtigen. Und du weißt hoffentlich auch, daß du dir keinen Fehler mehr erlauben darfst. Er überlegt ernsthaft, dich vom Hof zu verbannen.«

»Vielleicht wird er vorher an seiner Verstopfung verrek-ken, wenn er sich noch weiter von diesem Griechen behandeln läßt, statt auf mich zu hören. Und was dich angeht, meine Kleine, was glaubst du wohl, was der Neue Osiris sagt, wenn er erfährt, daß du dich heimlich mit einem der Tetrarchen der Tempelwache triffst.«

»Du spionierst mir nach!« Kleopatra ließ den Elfenbeinstift fallen und drehte sich so plötzlich um, daß sie der Sklavin ihr Haar aus den Händen riß und ihre Frisur hoffnungslos durcheinander geriet.

»Ich bin damit beauftragt, auf dein Wohl zu achten. Da bei Hof ohnehin niemand mehr mit mir spricht, habe ich dafür in den letzten beiden Tagen noch mehr Zeit als sonst gefunden.«

»Du meinst, du hast alles gesehen?«

Samu schluckte. Sie war durch Zufall Zeugin geworden, wie sich die Prinzessin und ein hochgewachsener Wachoffizier in der Dämmerung getroffen hatten und ein paar scheue Küsse tauschten. Sollte etwa noch mehr geschehen sein? Die Priesterin lächelte. »Natürlich weiß ich alles, und ich denke, du solltest etwas weniger aufsässig sein, denn schließlich habe ich bisher geschwiegen.«

»Du darfst jetzt gehen«, herrschte Kleopatra die Sklavin an, die verzweifelt versuchte, die durcheinandergeratenen Zöpfe der Prinzessin zu richten. »Ich rufe dich, wenn ich deine Dienste noch einmal nötig haben sollte.« Nervös mit den Fingern auf den Schminktisch trommelnd, wartete Kleopatra, bis die Sklavin das Gemach verlassen hatte.

»Du bist uns also bis auf den Hügel hinauf gefolgt, Priesterin?«

Ein lauernder Unterton lag in der Stimme der Prinzessin.

Samu meinte, förmlich riechen zu können, daß die Kleine versuchte, ihr eine Falle zu stellen. »Laß diese Spielchen! Geh einfach davon aus, daß ich alles weiß, was zwischen euch geschehen ist. Und versuche nicht, mich auf so billige Art hereinzulegen.«

»Verzeih mir, Samu, ich wollte dich nicht täuschen!« Die Prinzessin drehte sich jetzt ganz auf ihrem Stuhl herum und blickte betreten zu Boden. »Ich dachte nur ... Es war dumm von mir! Bitte, verzeih mir.«

»Wenn du die Güte hättest, jetzt herüberzukommen und dir dein sinnloses Geschreibsel anzusehen, dann würde ich vielleicht darüber nachdenken, unser gemeinsames Geheimnis für mich zu behalten. Anderenfalls könnte es deinen Tetrarchen den Kopf kosten, wenn herauskommt, daß er einer Prinzessin nachstellt.«

»Aber es ist doch nichts Schlimmes passiert!«

»Erzähl mir nichts, Kleine! Ich hab von meinem Versteck aus alles genau beobachten können. Sei gewiß, daß das, was du nichts Schlimmes nennst, ausreichen würde, um den Kerl vierteilen zu lassen!«

»Das ist nicht gerecht, Samu. So etwas würdest du nicht tun. Er hat meine Brüste geküßt ... gut, aber mehr ist nicht gewesen! Ich war bei einigen der Orgien meines Vaters zugegen. Ich weiß, was sonst noch hätte sein können . Eskander hat sich wie ein Ehrenmann verhalten.«

»Könnte es sein, daß wir unterschiedliche Vorstellungen von einem Ehrenmann haben? Aber reden wir nicht weiter darüber. Drohe mir nie mehr damit, daß du vor deinem Vater schlecht von mir sprechen wirst. Dann werde auch ich mein Wissen für mich behalten. Und jetzt sieh dir diesen Text an! Was soll das?« Die Priesterin hielt Kleopatra die beiden Wachstafeln hin, auf der die Prinzessin den Zauberspruch niedergeschrieben hatte.

Kleopatra warf einen kurzen Blick darauf und zuckte dann mit den Achseln. »Was soll daran nicht in Ordnung sein? Ich finde, das Schriftbild sieht sogar besonders schön aus. Stell dir vor, wie es auf eine Tempelwand aufgemalt wirken würde. Ich bin sehr zufrieden damit. Ich weiß gar nicht, was du hast.«

»Zum einen halte ich es nicht gerade für taktvoll, den Namen deiner Schwester Berenike in einer Formel einzufügen, die über ein Amulett gesprochen werden soll, das einen Toten auf seiner Reise zu Osiris schützt. Es steht völlig außer Frage, daß sie deinen Vater zu Unrecht vom Thron vertrieben hat und daß sie eine grausame Tyrannin ist . Trotzdem solltest du wissen, daß man mit der Zauberei niemals seinen Spaß treiben darf. Solche Leichtfertigkeiten fallen nur auf einen selbst zurück. Um so schlimmer sind deshalb die merkwürdig verdrehten Worte, die du in der zweiten Hälfte der Zauberformel verwendest. Um den ursprünglichen Wortlaut überhaupt noch erraten zu können, muß einem der Text schon vorher geläufig sein. Was soll das?«

Die Prinzessin hatte einen Schmollmund aufgesetzt. »Wie kannst du mir vorwerfen, wenn ich tue, was du mir selbst einmal geraten hast? Du warst es doch, die mir erklärt hat, wie wichtig es ist, bei der alten Bilderschrift des Tempels die Zeichen stimmig zueinander zu setzen. Nicht allein das Wort zählt, sondern auch, wie es geschrieben ist. Ja, du hast mir sogar gesagt, daß man die Grammatik und auch die übliche Schreibform vernachlässigen darf, wenn man dafür erreicht, daß das Schriftbild in seiner Gesamtheit schöner aussieht.«

»Aber das gilt doch nicht für eine Zauberformel! Es sind die Worte, denen die Kraft innewohnt. Schon sie falsch zu betonen, kann ein Ritual scheitern lassen. Sei gewarnt, wann immer du einen Zauberspruch wirkst, öffnest du dich auch ein Stück weit Kräften, die dir übel gesinnt sind. Sie stellen einen Teil der Macht dar, die du bei diesem Ritual in das Tet-Amulett leitest. Die Worte der Beschwörung sind uralt und genau festgelegt. Schon eine leichte Abweichung von ihnen kann dein Verderben bedeuten.«

»Das habe ich nicht gewußt . «, stammelte Kleopatra ängstlich.

»Ich hoffe, du hast die Worte nicht leise vor dich hingesprochen, während du sie niedergeschrieben hast.«

Die Prinzessin schüttelte energisch den Kopf. »Ich habe nichts dergleichen getan. Glaubst du, daß mir etwas passieren wird ... Ich meine, es war doch nur eine Übung. Ich hatte nicht einmal ein Amulett und .«

»Und du hättest nicht den Namen deiner Schwester Berenike verwenden sollen. Du weißt, daß sie auf die Macht des grausamen Seth vertrauen kann und daß es viele Priester gibt, die sie als Herrscherin unterstützen, weil sie sich nicht so bedingungslos den Römern unterwirft, wie es dein Vater getan hat. Viele hoffen, daß sie Ägypten noch einmal zu seinem alten Glanz führen wird. Wenn du einen Zauberspruch wirkst, so stellst du ein Band her, das zwischen dir und ihr besteht. Ein mächtiger Priestermagier kann dieses Band zurückverfolgen und die Wirkung des Spruches gegen dich umkehren. Deshalb hüte dich stets, einen Fluch auszusprechen, denn er kann auch auf dich zurückfallen.«

»Werde ich jemals so viel über die geheimen Künste wissen wie du, Samu?«

Die Priesterin schüttelte den Kopf. »Das ist nicht deine Aufgabe. Du wirst herrschen. Und nimm mich nicht zu deinem Vorbild. Ich bin nicht weise. Von der Magie weiß ich soviel, wie ein Staubkorn von der wahren Größe der Wüste weiß. Es ist ...« Ein Geräusch auf dem Schminktisch ließ Samu herumfahren. Die kleine graue Katze, die Kleopatra zusammen mit dem anderen Besitz der toten Hetaire von Potheinos geschenkt bekommen hatte, huschte vom Tisch und verkroch sich unter der Kline der Prinzessin. »Du solltest die Salben und Öle nicht offen herumstehen lassen. Die Katze scheint Gefallen an ihnen zu haben. Außerdem verfliegen die Düfte, die in den Ölen gebunden sind, wenn du die Gefäße nicht sorgfältig verschließt.«

»Ich werde mir deine Worte zu Herzen nehmen«, erwiderte Kleopatra leise. »Aber um noch einmal auf Eskander zu sprechen zu kommen . Du wirst uns doch nicht verraten, oder?«

Die Priesterin seufzte. »Zumindest nicht in nächster Zeit. Wir müssen allerdings über ein paar andere Dinge miteinander sprechen.«

»Wegen Eskander?« Die Prinzessin blickte sie mit großen Augen an.

»Ja, wegen Eskander oder vielleicht wegen eines anderen Mannes, den du treffen wirst, wenn ich nicht mehr an diesem Hof bin.«

»Du willst weggehen?«

»Ich fürchte, man wird mich nicht unbedingt fragen, ob ich will. Doch davon genug jetzt. Ich erwarte von dir, daß du den Text der Formel bis Sonnenuntergang noch einmal schreibst. Und diesmal richtig!«

Samu beeilte sich, das Zimmer der Prinzessin zu verlassen. Der Gedanke, sie vielleicht bald nicht mehr um sich zu haben, stimmte sie melancholisch. In den Monaten, die sie in Pompeji geblieben war, um die Einbalsamierung und schließlich das Begräbnis des Rechmire zu überwachen, hatte sie die kleine Prinzessin vermissen gelernt. Was hieß hier kleine Prinzessin! Kleopatra war fast schon eine Frau! Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie zum ersten Mal eine Nacht in den Armen eines Mannes verbrachte. Und sie würde dann vielleicht nicht mehr da sein, dachte die Priesterin traurig. Sie durfte es nicht hinausschieben, mit Kleopatra darüber zu sprechen, wie man verhinderte, daß man ein Kind empfing. Vielleicht war heute abend ja Gelegenheit, wenn die Prinzessin wieder mit den Wachstäfelchen zu ihr kam.

Samu trat in das sonnendurchflutete Atrium. Wie lange ihr wohl noch blieb? Fast niemand bei Hof redete noch mit ihr. Es hatte sich herumgesprochen, daß sie Streit mit dem Pharao hatte. Dieser fette Ignorant! Hätte er auf sie gehört und einige Früchte der Kiki-Pflanze gekaut und mit Bier hinuntergespült, dann würde es ihm jetzt mit Sicherheit besser gehen.

Aber er vertraute ja lieber diesem griechischen Legionsarzt.

Es mochte ja sein, daß Philippos sehr erfahren in der Behandlung offener Wunden war, doch was den Umgang mit Heilkräutern anging, war er alles andere als kundig.

Samu ließ sich auf einer der Marmorbänke im Atrium nieder und blickte zum Himmel. Sie sollte sich den Launen des Herrschers fügen! Vielleicht würde Ptolemai-os mit der Zeit begreifen . Und selbst wenn nicht, war es besser, hier bei Hof zu sein, statt allein einer ungewissen Zukunft entgegenzusehen Es war doch im Grunde so leicht, den Pharao zufriedenzustellen! Sie müßte nur so unterwürfig wie all die anderen Höflinge sein und sich seinen Launen fügen. Vor allem sollte sie in Zukunft darauf verzichten, in seiner Gegenwart auszusprechen, was sie über ihn dachte.

Kleopatras kleine Katze trottete über den Hof und legte sich auf eine sonnenbeschienene Marmorbank. So sorglos wie eine Katze müßte man sein.

»Dieser Bastard ist ein Dieb gewesen! Seht euch das hier an! Ein silberner Spiegel mit goldenem Griff, der die Göttin Hathor zeigt. Auf meiner Liste ist dieser Spiegel nicht zu finden. Oder das hier! Ein Schminkgefäß mit Kohl, geformt wie ein nubischer Lastenträger. Das existiert auch nicht auf meiner Liste.« Potheinos war außer sich vor Wut. »Gut, daß dieser treulose Verräter schon tot ist. Ich würde ihm sonst mit glühenden Zangen die Haut vom Leib reißen lassen.«

»Ich habe die gestohlenen Sachen auf seinem Zimmer gesehen. Thais hat sie sich nach seinem Tod genommen. Du mußt sie bei ihr gefunden haben, Potheinos. Hat es dich nicht gewundert, daß eine einfache Hetaire so kostbares Schminkgerät besaß?«

»Sie war die Auserwählte des Pharaos. Ich wußte nicht, ob es nicht vielleicht Geschenke des Neuen Osiris waren. Wir müssen Ptolemaios sofort die frohe Kunde überbringen. Dadurch, daß du diesen Diebstahl aufgeklärt hast, Philippos, erscheinen die Todesfälle der letzten Tage jetzt in einem völlig neuen Licht. Artemis hat nicht Frevler, sondern Diebe bestraft! Ja, in ihrer unendlichen Weisheit hat sie das Schicksal sogar so gelenkt, daß die gestohlenen Schätze zuletzt wieder in den Besitz der Königsfamilie gelangten. Wir sollten der Göttin ein Dankopfer dafür bringen, daß sie so unnachgiebig die Ungetreuen ausgemerzt hat!«

Philippos kratzte sich am Kopf. Die Lösung erschien ihm zu einfach. Auf der anderen Seite würde sein Ansehen bei Ptolemaios wachsen, wenn der Herrscher von Pothei-nos über die glückliche Wendung unterrichtet wurde. Der Arzt räusperte sich verlegen. »Du solltest nicht vergessen, zu erwähnen, daß Batis mir bei der Lösung dieses Mysteriums geholfen hat. Nur mit seiner Hilfe habe ich die Hintergründe dieses Verbrechens an seiner göttlichen Majestät aufklären können. Ohne deine scharfsinnigen Schlußfolgerungen in Frage zu stellen, möchte ich jedoch anmerken, daß es mir ein wenig seltsam erscheint, daß ein Mann wie Buphagos ausgerechnet Schminkutensilien gestohlen hat. Was wollte er damit?«

»Du weißt doch, wie sehr er stets auf sein Äußeres bedacht war. Er hat sicher viel Geld für Schminkutensilien und Salben ausgegeben. Vielleicht hatte er auch überlegt, sich mit den Kleinodien die Gunst der Thais zurückzukaufen. Seit der Herrscher sie fast allabendlich in seine Gemächer gerufen hat, unterhielt sie nur noch sehr sporadischen Kontakt zu Buphagos. Aber wen wundert das? Schließlich hatte sie nun mehr Macht und Einfluß als ihr einstiger Gönner.«

»Ich bewundere deine Klugheit, Potheinos. Nichts bleibt deinem klaren Blick für die Tatsachen verborgen. Ich wünschte, ich könnte es dir darin gleichtun.«

Der Eunuch lächelte zufrieden. »Wenn du erst einmal so lange bei Hof überlebt hast wie ich, dann wird auch dein Blick für das Wesentliche geschärft sein. Doch nun laß uns den göttlichen Pharao aufsuchen. Er soll nicht länger auf die frohe Kunde warten müssen.«

Verwundert beobachtete Samu die Katze auf der Marmorbank. Das Tier hatte sich zu schütteln begonnen. Mit steifen Gliedern stand es dort und würgte, als habe es sich an seinem Fressen verschluckt. Dann erbrach die Katze sich, doch schien ihr dies keine Erleichterung zu verschaffen. Wieder begann sie zu würgen. Ihr Schwanz stand so steif wie ein Stock von ihrem Körper ab.

Die Priesterin überquerte den Hof, um nach dem Tier zu sehen. Fast hatte sie die Katze erreicht, als diese das Gleichgewicht verlor und von der Bank auf die Marmorplatten stürzte. Zu schwach, die Pfoten vorzustrecken, schlug sie mit dem Kopf zuerst auf den Boden auf und wand sich in immer heftiger werdenden Krämpfen.

Wieder erbrach sie sich. Es war schwarzer Auswurf, der mit frischem Blut durchsetzt war.

Die Priesterin mußte an die schwarzroten Tränen der sterbenden Hetaire denken und dann an die Vision mit den sieben Katzen. Sie hatten ihr Leben für die Herrin Isis gegeben. Das hieß ...

Mit einem Schreckensschrei auf den Lippen sprang Samu auf.

Kleopatra war die Tochter der Isis! Sie hatte die Vision bisher falsch gedeutet. Nicht für die Göttin, sondern für die Prinzessin hatten die Katzen ihr Leben gegeben! Wie von Furien gehetzt rannte die Priesterin über den Hof zum Gemach der Prinzessin. All die Ereignisse der letzten Tage ordneten sich in ihrem Kopf zu einem klaren Muster. Nicht dem Zorn der Göttin waren Buphagos und Thais zum Opfer gefallen. Sie waren ermordet worden. Samu wußte nicht, warum dies geschehen war, und sie hatte auch keine Vorstellung, wer für diese Taten verantwortlich sein mochte, doch eines war ihr klar. Das nächste Opfer würde Kleopatra sein!

Die Priesterin stieß die Tür zum Gemach der Prinzessin so heftig auf, daß sie krachend gegen die Wand schlug. Kleopatra und die Sklavin, die erneut begonnen hatte, die Frisur ihrer Herrin zu richten, drehten sich erschrocken um.

»Was .«

Samu wies auf den Elfenbeinstift in der Hand der Prinzessin.

»Wirf das weg! Laß mich deine Augen sehen! Hast du das Kohl schon aufgetragen?«

»Was soll das?«

Samu stürmte durch das Zimmer und schlug der Prinzessin auf die Hand, so daß der mit schwarzer Schminke verschmierte Elfenbeinstift zu Boden fiel. »Deine Augen!« Entsetzt starrte die Priesterin dem Mädchen ins Gesicht. Sie hatte die Augenbrauen, Wimpern und Lidränder mit schwarzem Kohl geschminkt und, so wie es zur Zeit der großen Pharaonen üblich war, die Linien der Lidränder mit einem Strich verlängert, der über die Schläfen bis fast zu den Ohren reichte.

»Wisch das ab. Sofort!« schrie die Priesterin und begann, nach einem Tuch zu suchen.

»Was! Was ist mit dir los, Samu? Was soll das?«

Statt zu antworten, griff die Priesterin nach einem Gefäß mit Salböl, benetzte einen Zipfel ihres Gewandes damit und begann, Kleopatra die Schminke von den Lidern zu wischen.

»Bist du verrückt geworden?« Die Prinzessin versuchte, sich der Priesterin zu entwinden, die sie mit eisernem Griff gepackt hatte. »Es hat eine Ewigkeit gedauert, die Schminke aufzutragen. Ich werde zu spät zum Empfang kommen, wenn du jetzt alles wieder verwischst. Bitte hör auf! Was ist denn nur in dich gefahren?«

»Du wirst sterben«, keuchte die Priesterin, während sie weiter mit dem öligen Stoff über die Augenlider der Prinzessin wischte. »Das Kohl war vergiftet. Auf diese Weise sind Buphagos und Thais gestorben. Das Gift dringt durch die Haut in den Körper und tötet dann. Wann hast du angefangen, die schwarze Schminke aufzutragen?«

»Sofort, nachdem du gegangen bist.«

Samu versuchte, abzuschätzen, wieviel Zeit seither vergangen war und wieviel Zeit der Hetaire und dem Mundschenk verblieben war, nachdem sie die Schminke aufgelegt hatten. Dann dachte die Priesterin an die Katze. Das Tier hatte, kurz bevor sie die Prinzessin verlassen hatte, von dem mit Ochsenfett versetzten Kohl genascht.

Wieviel Zeit mochte Kleopatra noch bleiben, bis das Gift zu wirken begann? Samu dachte mit Schrecken an die Nacht, in der Thais in ihren Armen gestorben war. Wenn das Gift erst einmal zu wirken begonnen hatte, gab es keine Hilfe mehr!

»Los, schaff eine Schale mit Wasser heran«, schnauzte sie die Sklavin an, die untätig neben ihr stand und sie erschrocken anstarrte. »Du mußt dein Gesicht waschen, Kleopatra. Reib dir die Augen ab! Es darf nichts von dem Kohl haften bleiben!«

Samu nahm einen anderen Zipfel ihres Kleides und begann, die vom Öl glänzende Haut rund um die Augen der Prinzessin trocken zu reiben. Nur in den Augenwinkeln hafteten noch grünschwarze Reste von Shesmet und Kohl.

»Was ist das für ein Gift, von dem du sprichst?« Kleo-patra kämpfte mit den Tränen. »Wer will mich denn töten?«

Samu strich dem Mädchen beruhigend über die Haare. Dann entfernte sie vorsichtig die letzten Reste der Schminke. »Niemand will dich ermorden. Es ist ein Unfall. Die Schminke, die Buphagos besessen hat, war vergiftet. Ihn wollte man töten, nicht dich. Thais ist nur deshalb gestorben, weil sie die Schminke des Mundschenks benutzt hat. Genauso wäre es dir ergangen. Aber jetzt wird alles wieder gut! Das Schminktöpfchen, das der kauernde Nubier trägt ... Darin ist das Gift. Die Katze hat davon genascht. Sie ist tot. Daher wußte ich, daß Gift in der Augenschminke ist.«

»Das Töpfchen mit dem Nubier?« Kleopatra blickte die Priesterin verwundert an. Dann begann sie, hysterisch zu lachen. »Es ist nichts passiert! Mir ist nichts geschehen!«

»Was .«

»Ich habe die Schminke nicht benutzt.« Die Prinzessin griff nach der hölzernen Skulptur und öffnete den Deckel des Schminktöpfchens. »Sieh dir das Kohl doch an! Die Farbe. Sie stimmt nicht! Es ist zu dunkel und zu körnig. Das ist Schminke für Männer. Ich habe das auch erst bemerkt, als ich schon etwas davon auf dem Elfenbeinstift hatte. Statt der Schminke von Buphagos, habe ich dann mein eigenes Kohl benutzt. Sieh her!« Die Prinzessin nahm ein Fläschchen aus dunklem Serpentin und stieß einen Holzspachtel hinein, um ein wenig von der Augenschminke herauszuholen. »Es ist feinkörniger und hat einen leicht silbergrauen Schimmer.«

»Die Herrin Isis hat ihre schützende Hand über dich gehalten, meine Kleine.« Samu schloß die Prinzessin in die Arme und preßte sie fest gegen ihre Brust. Sie war überzeugt, daß es kein glücklicher Zufall, sondern eine Fügung der Göttin war, daß Kleopatra noch lebte.

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