Sie gingen in ein altes, verwinkeltes Pub in der Fleet Street, das mit dunklem Holz vertäfelt war. Rupert besorgte eine Flasche Wein und zwei Teller mit Brot und Käse, und dann setzten sie sich an einen winzigen Tisch in einem Alkoven. Er ließ sich auf den Stuhl fallen, trank einen großen Schluck Wein und lehnte sich zurück. Milly betrachtete ihn. Ihr Zorn war ein wenig verraucht, und sie konnte ihn nun in Ruhe mustern. Und etwas, fand sie, stimmte nicht. Er sah noch immer verblüffend gut aus – aber sein Gesicht war geröteter und fleischiger als in Oxford, und seine Hand bebte, als er sein Weinglas abstellte. Vor zehn Jahren, dachte sie, war er ein strahlender junger Mann. Nun wirkte er plötzlich erheblich älter, als er tatsächlich war. Und als er ihrem Blick begegnete, da sah sie in seinen Augen eine Traurigkeit, die dort einen festen Platz zu haben schien.
»Viel Zeit habe ich nicht«, sagte er. »Habe furchtbar viel zu tun. Also – was genau möchtest du von mir?«
»Du siehst schrecklich aus, Rupert«, sagte Milly frei heraus. »Bist du glücklich?«
»Ich bin sehr glücklich. Danke.« Mit einem weiteren großen Schluck hatte er praktisch das Glas geleert, und Milly zog eine Augenbraue hoch.
»Ganz sicher?«
»Milly, wir sind hier, um über dich zu sprechen«, meinte Rupert ungeduldig. »Nicht über mich. Was genau ist dein Problem?«
Einen schweigenden Augenblick sah Milly ihn an, dann lehnte sie sich zurück.
»Mein Problem?«, sagte sie leichthin, als würde sie sich die Sache sorgfältig durch den Kopf gehen lassen. »Was ist mein Problem? Mein Problem ist, dass ich am Samstag einen Mann heirate, den ich sehr liebe. Meine Mutter hat die bombastischste Hochzeitsfeier der Welt auf die Beine gestellt. Sie wird in jeder Hinsicht schön, romantisch und vollkommen sein.« In ihren Augen blitzte Zorn. »Oh, bis auf eines: Ich bin noch immer mit deinem Freund Allan Kepinski verheiratet.«
Rupert fuhr zusammen.
»Ich verstehe das nicht«, sagte er. »Warum seid ihr denn nicht geschieden?«
»Frag Allan! Er wollte das doch angeblich in die Hand nehmen.«
»Und das hat er nicht?«
»Er hat es angefangen«, erklärte Milly. »Ich habe mit der Post einige Unterlagen bekommen. Und ich habe einen Abschnitt unterschrieben und zurückgeschickt. Ansonsten aber habe ich nie mehr etwas gehört.«
»Und du hast dich nie näher damit befasst?«
»Keiner hat davon gewusst. Keiner hat je Fragen gestellt. Es erschien nicht wichtig.«
»Der Umstand, dass du verheiratet warst, erschien nicht wichtig?«, fragte Rupert fassungslos. Milly blickte auf und sah seine Miene.
»Jetzt fang bloß nicht an, mir dafür die Schuld zu geben!«, sagte sie. »Das ist nicht meine Schuld!«
»Du wartest bis kurz vor deiner Hochzeit, um etwas über deine Scheidung herauszubekommen, und du sagst, es sei nicht deine Schuld?«
»Ich habe nicht gedacht, dass es nötig ist, etwas darüber herauszubekommen«, erwiderte Milly wütend. »Mir ging es gut. Keiner hat davon gewusst! Niemand hat irgendwas geahnt!«
»Ja, und jetzt?«, wollte Rupert wissen. Milly ergriff ihr Weinglas und umfasste es mit beiden Händen.
»Jetzt weiß es jemand«, sagte sie. »Jemand hat uns in Oxford gesehen. Und er droht damit, etwas zu sagen.«
»Verstehe.«
»Wag’s bloß nicht, mich so anzuschauen«, sagte Milly scharf. »Okay, ich weiß, ich hätte etwas deswegen unternehmen müssen. Aber das hätte Allan auch. Er hat gesagt, er würde alles ins Reine bringen, und ich habe ihm vertraut! Ich habe euch beiden vertraut. Ich habe gedacht, wir wären Freunde.«
»Waren wir auch«, sagte Rupert nach einer Pause.
»Was für ein Blödsinn!«, rief Milly. Ihre Wangen röteten sich. »Ihr zwei habt mich bloß ausgenutzt. Ihr habt mich nur für eure Zwecke benutzt – und sobald ich fort war, habt ihr mich vergessen. Ihr habt nie geschrieben, nie angerufen …« Sie knallte ihr Glas auf den Tisch. »Habt ihr denn meine ganzen Briefe nicht bekommen?«
»Doch.« Rupert fuhr sich durchs Haar. »Es tut mir leid. Ich hätte antworten sollen. Aber … es war eine schwierige Zeit.«
»Allan hat wenigstens geschrieben. Aber selbst das war für dich ja schon zu viel. Und doch habe ich noch an dich geglaubt.« Sie schüttelte den Kopf. »Herrgott, was war ich doch für eine dumme Kuh!«
»Dumm waren wir alle«, meinte Rupert. »Hör mal, Milly, es tut mir leid, wirklich. Ich wünschte ehrlich, ich könnte das alles ungeschehen machen. Alles!«
Milly sah ihn mit großen Augen an. Seine Blicke irrten unglücklich umher, die goldenen Haarsträhnen über seiner Stirn zitterten.
»Rupert, was ist eigentlich los?«, wollte sie wissen. »Wieso bist du verheiratet?«
»Ich bin verheiratet«, sagte Rupert und zuckte steif mit den Achseln. »Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
»Aber du warst schwul. Du warst in Allan verliebt.«
»War ich nicht. Ich war irregeleitet. Ich war … es war ein Fehler.«
»Aber ihr beide habt so gut zusammengepasst!«
»Nein!«, blaffte Rupert. »Das war alles ein Fehler. Warum kannst du mir das nicht glauben?«
»Tja, natürlich kann ich das«, sagte Milly. »Aber ihr beide zusammen, das schien einfach so richtig.« Sie zögerte. »Wann hast du es gemerkt?«
»Was gemerkt?«
»Dass du doch nicht schwul bist?«
»Milly, ich möchte nicht darüber reden. Klar?« Mit zitternder Hand griff er nach seinem Glas und trank einen Schluck Wein.
Nach einem kleinen Achselzucken lehnte Milly sich auf ihrem Stuhl zurück. Träge ließ sie den Blick durch den Alkoven schweifen. Auf der grob verputzten Wand zu ihrer Linken befand sich ein Kreuz-und-Kringelspiel, das jemand mit einem Bleistift angefangen und dann aufgegeben hatte. Ein Spiel, das nur in einer Sackgasse hatte enden können.
»Weißt du, du hast dich seit Oxford ganz schön verändert«, sagte Rupert abrupt. »Du bist erwachsen geworden. Ich hätte dich gar nicht mehr wiedererkannt.«
»Ich bin zehn Jahre älter«, warf Milly ein.
»Es liegt nicht nur daran. Es ist … ich weiß nicht.« Er machte eine vage Geste. »Dein Haar. Deine Kleider. Ich hätte nicht erwartet, dass du dich so entwickelst.«
»Wie, so?«, fragte Milly aufmüpfig. »Was stimmt denn an mir nicht?«
»So meine ich das nicht«, erwiderte Rupert. »Du siehst einfach bloß … geschniegelter aus, als ich es von dir erwartet hätte. Eleganter.«
»Tja, so bin ich jetzt nun mal, okay?« Milly sah ihn streng an. »Wir alle dürfen uns verändern, Rupert.«
»Ich weiß.« Rupert errötete. »Und du siehst … großartig aus.« Er beugte sich vor. »Erzähl mir von dem Typen, den du heiratest.«
»Er heißt Simon Pinnacle.« Milly beobachtete, wie sich Ruperts Gesichtsausdruck veränderte.
»Nicht verwandt mit …«
»Sein Sohn«, erwiderte Milly. Rupert starrte sie an.
»Im Ernst? Harry Pinnacles Sohn?«
»Im Ernst.« Sie lächelte halbherzig. »Ich hab’s dir doch gesagt. Das ist die Hochzeit des Jahrhunderts.«
»Und niemand hat eine Ahnung.«
»Niemand.«
Rupert sah Milly einen Augenblick an, dann seufzte er. Er zog ein kleines schwarzes Notizbuch aus Leder und einen Füllfederhalter hervor. »Okay. Erzähl mir genau, wie weit eure Scheidung gediehen ist.«
»Das weiß ich nicht«, gestand Milly. »Wie gesagt, ich habe mit der Post ein paar Unterlagen bekommen, und ich habe etwas unterschrieben und zurückgeschickt.«
»Und was für Unterlagen waren das genau?«
»Woher soll ich das wissen?«, fragte Milly aufgebracht. »Könntest du solche Rechtsdokumente auseinanderhalten?«
»Ich bin Anwalt«, erwiderte Rupert. »Aber ich verstehe schon.« Er legte sein Notizbuch beiseite und sah auf. »Du musst mit Allan sprechen.«
»Das weiß ich!«, sagte Milly. »Aber ich weiß nicht, wo er steckt. Weißt du’s?«
Ein schmerzlicher Ausdruck huschte über Ruperts Gesicht.
»Nein«, sagte er kurz. »Keine Ahnung.«
»Aber du kannst es doch herausfinden?«
Rupert schwieg. Milly sah ihn ungläubig an.
»Rupert, du musst mir helfen! Du bist meine einzige Verbindung zu ihm. Nach Oxford, wo ist er da hingezogen?«
»Nach Manchester«, antwortete Rupert.
»Wieso hat er Oxford überhaupt verlassen? Wollten sie ihn nicht mehr?«
»Doch, natürlich«, meinte Rupert. Er trank von seinem Wein. »Natürlich wollten sie ihn.«
»Ja, aber warum ist er dann …«
»Weil wir uns getrennt haben.« Ruperts Stimme wurde unvermittelt rau. »Er hat Oxford verlassen, weil es aus war zwischen uns.«
»Oh«, sagte Milly verblüfft. »Das tut mir leid.« Sie fuhr mit dem Finger leicht über den Rand ihres Glases. »War das da, wo dir aufgegangen ist, dass du nicht … dass du doch …« Sie hielt inne.
»Ja.« Rupert starrte in sein Glas.
»Und wann war das?«
»Am Ende jenes Sommers«, sagte Rupert leise. »Im September.« Ungläubig sah Milly ihn an. Ihr Herz begann zu pochen.
»In dem Sommer, als ich euch kennen gelernt habe?«, fragte sie. »In dem Sommer, in dem wir geheiratet haben?«
»Ja.«
»Zwei Monate, nachdem ich Allan geheiratet habe, habt ihr euch getrennt?«
»Ja.« Rupert blickte auf. »Aber ich möchte lieber nicht …«
»Du willst mir weismachen, ihr wart nur noch zwei Monate zusammen?«, rief Milly gequält. »Ich habe mein Leben zerstört, damit ihr noch zwei weitere Monate zusammen sein konntet?« Ihre Stimme schwoll zu einem Kreischen an. »Zwei Monate?«
»Ja!«
»Du Arschloch!« In plötzlich aufwallendem Zorn spritzte Milly Rupert ihren Wein ins Gesicht, und seine Haut verfärbte sich blutrot. »Du Arschloch!«, sagte sie erneut, während sie zitternd zuschaute, wie ihm die dunkelrote Flüssigkeit über das japsende Gesicht lief und dann auf sein schickes Hemd tropfte. »Ich habe für dich das Gesetz gebrochen! Jetzt hänge ich mit einem ersten Ehemann fest, den ich nicht will! Und alles nur, damit du es dir nach zwei Monaten anders überlegen konntest.«
Eine lange Weile schwiegen beide. Rupert saß regungslos da und starrte Milly durch eine feuchte, rote Maske an.
»Du hast recht«, sagte er schließlich. Er klang gebrochen. »Ich habe alles vermasselt. Ich habe dir dein Leben vermasselt, ich habe mein Leben vermasselt. Und Allan …«
Milly räusperte sich unbehaglich.
»Hat er …«
»Er hat mich geliebt«, sagte Rupert wie zu sich selbst. »Das war’s, was ich nicht kapiert habe. Er hat mich geliebt.«
»Hör zu, Rupert, es tut mir leid«, meinte Milly verlegen. »Wegen des Weines. Und … allem.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, entgegnete Rupert grimmig. »Das brauchst du nicht.« Er sah auf. »Milly, ich werde Allan für dich finden. Und ich bringe das mit der Scheidung in Ordnung. Aber bis Samstag ist das nicht zu schaffen. Das ist so gut wie unmöglich.«
»Schon klar.«
»Was wirst du tun?«
Lange Zeit herrschte Stille.
»Ich weiß es nicht«, sagte Milly schließlich. Sie schloss die Augen und rieb sich die Stirn. »Ich kann doch jetzt nicht die Hochzeit abblasen«, meinte sie bedächtig. »Das kann ich meiner Mutter nicht antun. Niemandem.«
»Du ziehst es also einfach durch?«, erkundigte Rupert sich entgeistert. Milly zuckte mit den Achseln. »Aber was ist mit dem, der dir damit droht, etwas auszuplaudern, wer auch immer das ist?«
»Ich … ich werde ihn dazu bringen, dass er schweigt. Irgendwie.«
»Dir ist schon klar«, Rupert senkte die Stimme, »dass das, was du da vorhast, Bigamie ist? Du brichst damit das Gesetz!«
»Danke für die Warnung«, erwiderte Milly sarkastisch. »Aber das wäre ja nicht das erste Mal, erinnerst du dich?« Einen Augenblick sah sie ihn schweigend an. »Was glaubst du? Würde ich damit durchkommen?«
»Ich nehme an, schon«, antwortete Rupert. »Ist es dir ernst damit?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß es wirklich nicht.«
Eine Weile später, als die Weinflasche geleert war, holte Rupert ihnen von der Bar zwei Tassen Kaffee. Bei seiner Rückkehr sah Milly zu ihm auf. Er hatte sein Gesicht gesäubert, aber Hemd und Jackett waren noch immer voller Rotweinflecken.
»So wirst du heute Nachmittag nicht mehr arbeiten können«, bemerkte sie.
»Ich weiß«, erwiderte Rupert. »Aber das macht nichts. Was Wichtiges stand eh nicht an.« Schweigen.
»Rupert?«
»Ja?«
»Weiß deine Frau davon? Von dir und Allan?«
Rupert blickte sie starr an. »Was glaubst denn du?«
»Aber wieso?«, fragte Milly. »Hast du Angst, sie würde es nicht verstehen?« Rupert lachte kurz auf.
»Das ist noch milde ausgedrückt.«
»Aber wieso nicht? Wenn sie dich liebt …«
»Würdest du es verstehen?« Rupert sah sie zornig an. »Wenn dein Simon sich umdrehen und dir sagen würde, dass er mal eine Affäre mit einem Mann hatte?«
»Ja«, meinte Milly unsicher. »Ja, ich glaube schon. Solange wir uns anständig darüber unterhalten würden …«
»Das würdest du nicht«, versetzte Rupert scharf. »Das kann ich dir jetzt sagen. Du würdest nicht mal anfangen zu verstehen. Und Francesca genauso wenig.«
»Du gibst ihr ja gar nicht die Chance! Na, komm, Rupert, sie ist deine Frau! Sei ehrlich zu ihr.«
»Ehrlich? Du rätst mir, ehrlich zu sein?«
»Aber das ist es doch gerade!«, sagte Milly und beugte sich mit ernstem Gesicht vor. »Ich hätte von Anfang an ehrlich zu Simon sein müssen. Ich hätte ihm alles sagen sollen. Wir hätten das mit der Scheidung gemeinsam klären können; alles wäre in Butter gewesen. Aber so …« Sie breitete ihre Hände hilflos auf dem Tisch aus. »So stecke ich im Schlamassel.« Sie hielt inne und nippte an ihrem Kaffee. »Was ich sagen will, ist, wenn ich die Chance hätte, die Zeit zurückzustellen und Simon die Wahrheit zu sagen, dann würde ich sie ergreifen. Und du hast diese Chance, Rupert! Du hast die Chance, ehrlich zu Francesca zu sein, ehe … ehe alles schiefläuft.«
»Bei mir ist es anders«, erwiderte Rupert steif.
»Das stimmt nicht. Es ist bloß ein anderes Geheimnis. Alle Geheimnisse kommen schließlich ans Licht. Wenn du es ihr nicht erzählst, dann findet sie es auf anderem Wege heraus.«
»Wird sie nicht.«
»Vielleicht doch!« Milly hob überzeugt die Stimme. »Ganz leicht könnte sie das! Und das willst du riskieren? Sag es ihr einfach, Rupert! Sag es ihr.«
»Sag mir was?«
Eine Frauenstimme traf Millys Ohren wie ein Peitschenschlag, und sie riss bestürzt den Kopf herum. Am Eingang des Alkovens stand eine hübsche Frau mit rötlichem Haar und schicker, konventioneller Kleidung. Neben ihr stand Ruperts Freund Tom.
»Was sollst du mir sagen?«, wiederholte die Frau in hohen, scharfen Tönen und ließ ihren Blick zwischen Rupert und Milly hin und her schnellen. »Rupert, was ist dir passiert?«
»Francesca«, sagte Rupert mit bebender Stimme. »Keine Sorge, das ist bloß Wein.«
»Hi, Rupe!«, sagte Tom lässig. »Wir dachten uns schon, dass wir dich hier finden würden.«
»Aha, das ist also Milly«, meinte die Frau. Sie sah Rupert luchsäugig an. »Tom hat mir erzählt, dass du deine alte Freundin getroffen hast. Milly aus Oxford.« Sie lachte kurz auf. »Das Merkwürdige ist, Rupert, dass du mir gesagt hast, du wolltest nicht mit Milly aus Oxford reden. Du hast mich gebeten, all ihre Nachrichten zu ignorieren. Du hast gesagt, sie sei eine Spinnerin.«
»Eine Spinnerin?«, rief Milly entrüstet.
»Ich wollte nicht mit ihr sprechen!«, sagte Rupert mit ängstlichem Blick. »Und will es immer noch nicht!«
»Hör mal«, sagte Milly eilig. »Vielleicht gehe ich jetzt besser.« Sie erhob sich und ergriff ihre Handtasche. »Nett, Sie kennen gelernt zu haben«, sagte sie zu Francesca. »Ehrlich, ich bin nur eine alte Freundin.«
»Stimmt das?« Francescas blasse Augen bohrten sich in die Ruperts. »Was ist es denn dann, was du mir sagen sollst?«
»Bye, Rupert«, meint Milly hastig. »Bye, Francesca.«
»Was hast du mir zu sagen, Rupert? Was ist es? Und Sie …« Sie drehte sich zu Milly um. »Sie bleiben hier!«
»Ich muss zu meinem Zug«, sagte Milly. »Wirklich, ich muss los. Es tut mir so leid!«
Ohne einen weiteren Blick zu Rupert bahnte sie sich rasch ihren Weg durch die Bar und sprang die Holztreppe zur Straße hinauf. Als sie in die Luft hinaustrat, fiel ihr ein, dass sie ihr Feuerzeug auf dem Tisch liegen gelassen hatte. Es schien ihr ein kleiner Preis für ihr Entkommen.
Isobel saß in der Küche in der Bertram Street und nähte ein blaues Seidentuch auf ein Spitzenstrumpfband. Olivia saß ihr gegenüber und band ein knallrosa Band zu einer kunstvollen Schleife. Ab und zu sah sie Isobel mit unzufriedener Miene an und senkte dann wieder den Blick. Schließlich legte sie die Schleife beiseite und erhob sich, um den Wasserkessel zu füllen.
»Wie geht’s Paul?«, erkundigte sie sich fröhlich.
»Wem?«, fragte Isobel.
»Paul! Paul, dem Arzt. Seht ihr euch noch öfter?«
»Ach, der.« Isobel verzog das Gesicht. »Nein, den habe ich seit Monaten nicht mehr gesehen. Ich bin nur ein paarmal mit ihm ausgegangen.«
»Wie schade! Er war so charmant. Und sehr gut aussehend, fand ich.«
»Er war okay«, sagte Isobel. »Aber es hat einfach nicht hingehauen.«
»Oh, Schatz, das tut mir so leid.«
»Mir nicht«, entgegnete Isobel. »Ich war diejenige, die Schluss gemacht hat.«
»Aber warum?« Olivia hob gereizt die Stimme. »Was hattest du an ihm auszusetzen?«
»Wenn du es unbedingt wissen willst«, sagte Isobel. »Es stellte sich heraus, dass er ein bisschen sonderbar ist.«
»Sonderbar?«, fragte Olivia argwöhnisch. »Inwiefern?«
»Einfach sonderbar«, sagte Isobel.
»Verrückt?«
»Nein«, meinte Isobel. »Nicht verrückt. Sonderbar! Ehrlich, Mummy, ich möchte lieber nicht in die Details gehen.«
»Also, ich fand ihn sehr sympathisch.« Olivia goss kochendes Wasser in die Teekanne. »So ein netter junger Mann!«
Isobel schwieg, bearbeitete den Stoff dafür aber umso heftiger mit der Nadel.
»Neulich habe ich Brenda White getroffen«, sagte Olivia, als wolle sie das Thema wechseln. »Ihre Tochter heiratet im Juni.«
»Ach, wirklich?« Isobel sah auf. »Arbeitet sie immer noch bei Shell?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Olivia unwirsch. Dann lächelte sie Isobel an. »Was ich eigentlich sagen wollte, ist, dass sie ihren Mann bei einem Abendempfang für junge Akademiker kennen gelernt hat. In einem schicken Londoner Restaurant. Die sind heutzutage sehr beliebt. Offenbar wimmelte es dort nur so von interessanten Männern.«
»Garantiert.«
»Brenda meinte, falls du interessiert bist, könnte sie die Nummer für dich herausbekommen.«
»Nein, danke.«
»Schatz, du gibst dir selbst ja keine Chance!«
»Nein!«, schimpfte Isobel. Sie legte unwirsch ihre Nadel fort und sah auf. »Du gibst mir keine Chance! Du behandelst mich so, als bestünde mein einziger Daseinszweck darin, einen Ehemann zu finden! Was ist mit meiner Arbeit? Was ist mit meinen Freunden?«
»Was ist mit Kindern?«, entgegnete Olivia scharf.
Röte stieg in Isobels Gesicht.
»Vielleicht bekomme ich einfach ein Kind ohne Mann«, sagte sie nach einer Pause. »So was soll vorkommen, weißt du.«
»O nein, sei nicht albern«, meinte Olivia verärgert. »Ein Kind braucht eine richtige Familie.« Sie trug die Teekanne zum Tisch hinüber, setzte sich und schlug ihr rotes Buch auf. »Gut. Was muss noch erledigt werden?«
Regungslos starrte Isobel die Teekanne an. Sie war groß und mit Enten bemalt; seit sie sich daran erinnern konnte, hatten sie sie für den Familientee benutzt. Seitdem sie und Milly Seite an Seite in passenden Kitteln dagesessen und mit Marmite bestrichene Sandwiches gegessen hatten. Ein Kind braucht eine anständige Familie. Was zum Teufel war eine anständige Familie?
»Weißt du was?« Olivia sah überrascht auf. »Ich glaube, für heute habe ich alles erledigt. Auf meiner Liste ist alles abgehakt.«
»Gut«, sagte Isobel. »Dann kannst du heute Abend ja mal abschalten.«
»Vielleicht sollte ich mich bloß noch mal schnell mit Harrys Assistenten kurzschließen.«
»Nichts da«, sagte Isobel bestimmt. »Das hast du doch schon tausendmal. Jetzt trink einfach in aller Ruhe deinen Tee und entspann dich.«
Olivia goss den Tee ein, trank einen Schluck und seufzte.
»Herrje!« Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Ich muss schon sagen, es gab Zeiten, da habe ich nicht gedacht, dass wir für diese Hochzeit noch alles rechtzeitig auf die Reihe bekommen würden.«
»Tja, nun ist es aber so«, erwiderte Isobel. »Also solltest du diesen Abend mit etwas Angenehmem verbringen. Nicht mit Gesangsblättern. Nicht mit Schuhbesätzen. Mit etwas Lustigem!« Sie sah Olivia streng an, und als das Telefon klingelte, fingen sie beide zu kichern an.
»Ich geh schon«, meinte Olivia.
»Wenn es Milly ist«, sagte Isobel rasch, »dann lass mich bitte ran.«
»Hallo?«, sagte Olivia. Sie verzog vor Isobel das Gesicht. »Guten Tag, Pfarrer Lytton! Wie geht es Ihnen? Ja … Ja … Nein!«
Unvermittelt veränderte sich ihre Stimme, und Isobel sah auf.
»Nein, tut mir leid. Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Ja, das ist vielleicht gescheiter. Bis dann.«
Olivia legte auf und blickte Isobel verdattert an.
»Das war Pfarrer Lytton.«
»Was wollte er?«
»Er kommt vorbei.« Olivia setzte sich. »Ich versteh das nicht.«
»Wieso?«, wollte Isobel wissen. »Stimmt etwas nicht?«
»Tja, ich weiß nicht! Er sagte, er hätte da eine Information erhalten und will mit uns darüber sprechen.«
»Eine Information.« Isobels Herz schlug schneller. »Was für eine Information?«
»Keine Ahnung.« Olivia schaute Isobel verwirrt an. »Es hat etwas mit Milly zu tun. Mehr wollte er nicht herausrücken.«