18. Kapitel


Um neun Uhr am nächsten Morgen herrschte heiteres, kühles Wetter. Als Milly mit ihrem kleinen Auto vor der Bertram Street eins vorfuhr, wollte der Postbote gerade ein Bündel Briefe in den Briefkasten stecken.

»Guten Morgen!«, wandte er sich grüßend zu ihr um. »Wie geht’s der Braut?«

»Gut.« Milly schenkte ihm ein knappes Lächeln. Sie nahm die Briefe entgegen, langte in ihre Tasche nach dem Schlüssel und hielt dann inne. Ihr Herz schlug mit einer Mischung aus erregter Vorfreude und Furcht, und ihr schwirrten tausend einleitende Sätze im Kopf herum. Eine Weile starrte sie auf den glänzenden Lackanstrich der Tür, dann steckte sie den Schlüssel ins Schloss.

»Mummy?«, rief sie beim Eintreten, die Stimme hoch vor Nervosität. Sie legte die Briefe auf den Dielentisch und zog ihren Mantel aus, bemüht, ruhig zu bleiben. Doch dann breitete sich auf ihrem Gesicht unwillkürlich ein Lächeln aus. Am liebsten wäre sie wie ein kleines Mädchen herumgehüpft und hätte gelacht und gesungen. »Mummy, dreimal darfst du raten!«

Freudig warf sie die Küchentür auf und hielt dann überrascht inne. Ihre Eltern saßen gemütlich zusammen am Tisch, beide noch immer in ihren Morgenröcken, als hätten sie Urlaub.

»Oh.« Sie wusste nicht genau, warum sie so überrascht war.

»Milly!« Olivia legte ihre Zeitung beiseite. »Alles in Ordnung?«

»Wir sind davon ausgegangen, dass du bei Harry übernachtet hast«, erklärte James.

»Hast du schon gefrühstückt?«, fragte Olivia. »Komm, ich mache dir einen Kaffee – und wie wär’s mit einem leckeren Toast?«

»Ja«, erwiderte Milly. »Ich meine, nein. Hört mal her!« Sie fuhr sich durchs Haar, und das Lächeln auf ihrem Gesicht erschien wieder. »Ich habe gute Nachrichten für euch. Simon und ich werden heiraten!«

»Oh, Schatz!«, rief Olivia. »Das ist ja wunderbar!«

»Dann habt ihr euch also wieder vertragen«, sagte James. »Das freut mich zu hören. Er ist ein prachtvoller Kerl.«

»Ich weiß«, erwiderte Milly. »Und ich liebe ihn. Und er liebt mich. Und alles ist wieder in bester Ordnung.«

»Das ist doch einfach fantastisch!«, sagte Olivia. Sie nahm ihren Becher und trank einen Schluck Kaffee. »Wann soll die Trauung denn stattfinden?«

»In zwei Stunden!«, erwiderte Milly glücklich.

»Was?« Olivia stellte ihren Becher krachend auf dem Tisch ab.

»Milly, ist das dein Ernst?«, fragte James. »Noch heute Morgen?«

»Ja! Heute Morgen! Warum denn nicht?«

»Warum denn nicht?« Olivias Stimme hob sich in Panik. »Weil nichts vorbereitet ist! Weil wir alles rückgängig gemacht haben! Es tut mir ja sehr leid, Schatz, aber daraus wird nichts!«

»Mummy, wir haben alles, was wir für eine Hochzeit brauchen«, versetzte Milly. »Eine Braut und einen Bräutigam. Jemanden, der mich zum Altar führt« – dabei sah sie zu James –, »und jemanden, der einen großen Hut trägt und weint. Sogar den Hochzeitskuchen haben wir. Was will man mehr?«

»Aber Pfarrer Lytton …«

»Wir haben es ihm schon gestern Abend gesagt«, erklärte Milly. »Tatsächlich ist alles schon arrangiert. Also kommt!« Sie machte ihnen Zeichen aufzustehen. »Schmeißt euch in Schale! Zieht euch an!«

»Warte!«, rief Olivia, als Milly durch die Küchentür verschwand. »Was ist mit Simon? Er hat doch keinen Trauzeugen!« Die Tür ging auf, und Millys Kopf erschien.

»Doch, hat er«, sagte sie. »Sogar einen unheimlich netten.«

»Es ist alles sehr einfach.« Simon trank einen Schluck Kaffee. »Hier sind die Ringe. Wenn der Pfarrer dich danach fragt, reichst du sie ihm. Das ist alles!«

»Gut«, erwiderte Harry schwerfällig. Er nahm die beiden goldenen Ringe und starrte sie eine Weile an, als müsse er sich ihre Form einprägen. »Der Pfarrer fragt mich nach den Ringen, und ich reiche sie ihm. Soll ich sie dabei auf der Handfläche liegen haben, oder halte ich sie mit den Fingern, oder was?«

»Keine Ahnung. Spielt das eine Rolle?«

»Weiß nicht! Das musst du doch mir sagen, Herrgott noch mal!«

»Dad, du bist doch nicht etwa nervös, oder?«

»Verdammt noch mal, natürlich nicht!«, versetzte Harry. »Und jetzt beeil dich. Geh und polier deine Schuhe.«

»Bis später«, sagte Simon von der Küchentür aus und grinste Harry an.

»Und, bist du nervös?«, erkundigte sich Isobel von der Fensterbank aus, als Simon verschwunden war.

»Nein.« Harry sah auf. »Na ja, vielleicht ein bisschen.« Abrupt schob er den Stuhl zurück und ging zum Fenster. »Das ist doch lächerlich. Ich sollte nicht Simons Trauzeuge sein, Herrgott noch mal!«

»O doch«, entgegnete Isobel. »Er will, dass du das machst.«

»Du meinst wohl, er hat sonst niemanden. Deshalb fragt er seinen alten Dad.«

»Nein, so meine ich das nicht«, erwiderte Isobel geduldig. »Er könnte locker einen befreundeten Kollegen anrufen. Das weißt du. Aber er möchte dich. Du bist seine Idealbesetzung. Und meine auch.« Sie griff nach seiner Hand, und nach einem Augenblick drückte er ihre. Dann warf sie einen Blick auf ihre Uhr und zog eine Grimasse. »Und jetzt muss ich wirklich los. Mummy kriegt wahrscheinlich schon Zustände!«

»Wir sehen uns dann dort.«

»Ja, bis dann.« Bei der Tür wandte Isobel sich noch einmal um.

»Du weißt ja, welche Vergünstigung man als Trauzeuge genießt?«

»Welche denn?«

»Man darf mit der Brautjungfer schlafen!«

»Ach, wirklich?« Harrys Gesicht hellte sich auf.

»Das sind die Regeln«, erklärte Isobel. »Frag den Pfarrer. Er wird’s dir bestätigen.«

Als Isobel die Halle betrat, kam Rupert gerade die Treppe hinunter. Jetzt, da er sich unbeobachtet fühlte, stand ihm ein solcher Schmerz ins Gesicht geschrieben, dass Isobel unwillkürlich erschauerte. Einige Augenblicke verharrte sie. Dann fühlte sie sich plötzlich als Voyeurin und zwang sich, mit dem Fuß ein Geräusch zu machen und kurz innezuhalten, bevor sie weiterging, sodass er seine Gedanken sammeln konnte, ehe er ihr gegenübertrat.

»Hallo«, grüßte sie ihn. »Wir haben uns schon gefragt, wie es Ihnen geht. Haben Sie gut geschlafen?«

»Prima, danke«, sagte Rupert und nickte. »Es ist sehr freundlich von Harry, dass ich hier übernachten durfte.«

»Ach, mein Gott. Da war doch nichts dabei! Es war sehr freundlich von Ihnen, die weite Reise zu machen, um Milly von …« Sie verstummte verlegen. »Wissen Sie schon, dass die Trauung jetzt doch stattfindet?«

»Nein.« Rupert schenkte ihr ein angespanntes Lächeln. »Das sind ja großartige Neuigkeiten. Wirklich großartig.« Isobel sah ihn mitleidig an und hätte alles dafür gegeben, ihm helfen zu können.

»Wissen Sie, Milly hätte Sie bestimmt gern dabei«, sagte sie. »Es wird ja jetzt keine große, schicke Hochzeitsfeier mehr. Eigentlich nur wir sechs. Aber wenn Sie Lust hätten, dann würden wir uns alle freuen, wenn Sie mitkämen.«

»Das ist sehr freundlich«, erwiderte Rupert nach einer Pause. »Wirklich, sehr freundlich. Aber … ich glaube, ich fahre lieber heim. Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Natürlich nicht. Ganz wie Sie meinen.« Sie blickte sich in der leeren Halle um. »Ich organisiere jemanden, der Sie zum Bahnhof bringt. Ein Schnellzug nach London geht jede Stunde.«

»Ich möchte nicht nach London.« Ein fast friedlicher Ausdruck erschien auf Ruperts Gesicht. »Ich fahre nach Hause. Nach Cornwall.«

Um halb elf hatte Olivia sich fertig geschminkt und angezogen. Sie begutachtete sich im Spiegel und lächelte zufrieden. Ihr hellrotes Kostüm saß wie angegossen, und der dazu passende breitkrempige Hut warf einen rosigen Schimmer auf ihr Gesicht. Das blonde Haar glänzte in der Wintersonne, als sie sich mal zur einen, mal zur anderen Seite wandte, um ihr Make-up zu begutachten und den schwarzen Kragen ihrer Jacke auf Fusseln zu überprüfen. Schließlich drehte sie sich um, nahm ihre Handtasche und registrierte mit Genugtuung die handgefertigten pinkfarbenen Seidenschleifen, die ihre Schuhe schmückten.

James kam herein. »Du siehst blendend aus!«

»Das Kompliment kann ich nur erwidern!« Olivia ließ den Blick über seinen Cut gleiten. »Sehr vornehm, Brautvater.«

»Mutter der Braut.« James grinste sie an. »Apropos, wo steckt sie eigentlich?«

»Sie macht sich noch fertig«, erwiderte Olivia. »Isobel hilft ihr.«

»Na, dann schlage ich vor, wir genehmigen uns derweil einen kleinen Schluck vorhochzeitlichen Schampus! Sollen wir?« Er hielt ihr den Arm hin, und nach einem kurzen Zögern ergriff ihn Olivia. Als sie die Treppe hinuntergingen, hörten sie eine Stimme.

»Bitte stehen bleiben. Nur eine Sekunde. Schauen Sie nicht zu mir her.«

Sie hielten inne und lächelten einander an, während Alexander ein paar Fotos schoss.

»Okay«, sagte Alexander. »Das wär’s.« Als Olivia an ihm vorbeiging, zwinkerte er ihr zu. »Super Hut, Olivia. Äußerst sexy!«

»Danke, Alexander.« Eine leichte Röte stieg in Olivias Wangen. James drückte ihr den Arm, und die Röte vertiefte sich.

»Komm«, sagte sie rasch. »Lass uns den Champagner trinken.«

Sie gingen ins Wohnzimmer, wo im Kamin ein Feuer knisterte und James bereits Schalen und eine Flasche bereitgestellt hatte. Er reichte ihr ein Glas und erhob das eigene.

»Auf die Hochzeit!«

»Auf die Hochzeit!« Olivia nippte an ihrem Champagner und setzte sich dann vorsichtig auf eine Stuhlkante, damit ihr Rock nicht zerknitterte. »Werden bei der Feier eigentlich Reden gehalten?«

»Keine Ahnung«, erwiderte James heiter. »Ja, gibt’s denn überhaupt eine Feier?«

»Wer weiß? Das liegt ganz bei Milly. Das ist jetzt ihr Tag.« Ein schmerzlicher Ausdruck huschte über ihr Gesicht. »Ich bin bloß Gast.« James erwiderte ihren Blick mitfühlend.

»Macht’s dir was aus?«, wollte er wissen. »Macht’s dir was aus, dass es die große, üppige Hochzeitsfeier, die du geplant hast, jetzt nicht gibt? Die Eisschwäne, den eigens aus Genf eingeflogenen Organisten und die fünftausend VIPs?«

»Nein«, antwortete Olivia nach einer Pause. »Das macht mir nichts aus.« Sie strahlte James an. »Sie heiraten. Darauf kommt’s an, nicht? Die beiden heiraten.«

»Ja. Darauf kommt’s an.«

Das Glas in der Hand, starrte Olivia ins Feuer.

»Und weißt du«, sagte sie unvermittelt, »in vielerlei Hinsicht ist es viel origineller, eine kleine Privathochzeit zu feiern. Wenn man nicht aufpasst, haben große Hochzeiten bisweilen einen Touch ins Vulgäre. Findest du nicht?«

»Absolut.« James lächelte.

»Fast, als hätten wir es die ganze Zeit über so geplant!« Olivias Stimme klang allmählich fröhlicher. »Schließlich wollen wir bei der Hochzeit unserer Tochter ja nicht Krethi und Plethi dabeihaben, oder? Eine intime, exklusive Hochzeit, das wollen wir.«

»Tja, intim ist sie mit Sicherheit.« James leerte sein Glas. »Was die Exklusivität anbelangt, bin ich mir nicht sicher.«

An der Tür hörte man ein Geräusch, und er sah auf. Dort stand Isobel in einem langen, fließenden Etwas aus blassrosa Seide. Blumen waren in ihr Haar geflochten und ihre Wangen verlegen gerötet.

»Ich bin gekommen, um die Braut anzukündigen. Sie ist bereit.«

»Du siehst bezaubernd aus, Schatz!«, rief James.

»So schön!«, sagte Olivia. Isobel zuckte die Achseln.

»Ich sehe okay aus. Ihr solltet Milly sehen. Schaut zu, wie sie die Treppe runterkommt. Alexander macht gerade Fotos.«

»Liebes!«, sagte Olivia scharf, als Isobel sich zum Gehen wandte. »Was ist mit den Rosen passiert?«

»Mit welchen Rosen?«

»Den Seidenrosen auf deinem Kleid!«

»Oh, die! Die … die sind abgefallen.«

»Abgefallen?«

»Ja«, sagte Isobel. »Besonders gut hast du sie wohl nicht angenäht.« Sie sah in Olivias verdattertes Gesicht und grinste. »Ach komm, Mummy. Die Rosen sind doch egal. Schau dir lieber Milly an. Sie ist die Hauptattraktion.«

Sie begaben sich alle in die Diele und schauten die Treppe hinauf. Milly, gekleidet in ein schlicht geschnittenes Kleid aus elfenbeinfarbener Seide, kam langsam die Stufen hinab und lächelte sie durch ihren Schleier hindurch schüchtern an. Das steife, bestickte Mieder schmiegte sich eng an ihren Körper, die langen Ärmel waren am Handgelenk mit Pelz eingefasst, in ihrem Haar funkelte ein Diamantdiadem.

»Milly!«, rief Olivia zittrig. »Du siehst perfekt aus. Eine perfekte Braut!« Unvermittelt füllten sich ihre Augen mit Tränen, und sie wandte sich ab.

»Was meint ihr?«, fragte Milly mit bebender Stimme und blickte in die Runde. »Geht’s so?«

»Liebes, du siehst fantastisch aus«, sagte James. »Simon Pinnacle kann sich sehr glücklich schätzen.«

»Ich kann gar nicht fassen, dass es wirklich passiert!«, sagte Olivia und drückte sich ein kleines Taschentuch an die Augen. »Die kleine Milly. Heiratet!«

»Wie fahren Sie denn alle zur Kirche?«, erkundigte sich Alexander und schoss noch ein Abschlussfoto. »Ich möchte mein Stativ mitnehmen.«

»Milly?« James sah sie an. »Es ist deine Show.«

»Ich weiß nicht.« Auf Millys Gesicht erschien ein beunruhigter Ausdruck. Sie stieg ein paar Stufen hinab, und ihre Schleppe rutschte hinter ihr her. »Darüber hab ich gar nicht nachgedacht.«

»Laufen wir doch!«, schlug Isobel grinsend vor.

»Halt den Mund, Isobel«, erwiderte Milly. »O Gott. Was sollen wir tun?«

»Wenn wir beide Autos nehmen«, sagte James mit Blick auf Olivia, »dann könntest du Alexander und Isobel fahren, und Milly könnte bei mir mit…«

Ein Klingeln an der Haustür unterbrach ihn, und alle sahen hoch.

»Wer in aller Welt …«, meinte James. Er blickte in die Runde, dann ging er zur Tür. Auf der Schwelle stand ein Mann mit einer Kappe unter dem Arm. Er verbeugte sich steif.

»Die Hochzeitswagen für Havill«, verkündete er.

»Was?« James lugte an ihm vorbei auf die Straße. »Aber die wurden doch abbestellt!«

»Wurden sie nicht.« James wandte sich um.

»Olivia, hast du die Hochzeitswagen nicht abbestellt?«

»Aber natürlich habe ich das«, erwiderte Olivia knapp.

»Gemäß meiner Information nicht«, entgegnete der Mann.

»Nicht gemäß Ihrer Information«, echote Olivia und schüttelte den Kopf. »Ist Ihnen noch nie in den Sinn gekommen, dass Ihre Informationen falsch sein könnten? Erst gestern habe ich mit einer jungen Frau von Ihrer Firma gesprochen, und sie hat mir versichert, dass alles abbestellt würde. Ich schlage also vor, Sie gehen in Ihr Auto zurück und sprechen mit demjenigen, der das Telefon bedient, und ganz gewiss wird sich herausstellen …«

»Mummy!«, unterbrach Milly sie in gequältem Ton. »Mummy!« Sie verzog vor Olivia bedeutungsvoll das Gesicht, der plötzlich aufging, was sie meinte.

»Wie auch immer«, meinte Olivia und straffte sich. »Aufgrund sehr günstiger Umstände hat sich die Situation erneut geändert.«

»Sie wollen die Wagen also doch.«

»Ja«, erwiderte Olivia entschlossen.

»Sehr wohl, Madam.« Der Mann verschwand die Treppe hinunter. Als er unten ankam, hörte man ihn leise die Worte »nicht alle Tassen im Schrank« murmeln.

»Gut«, meinte James. »Dann fahrt ihr mal los … und ich und Milly folgen hinterdrein. So sieht das Protokoll es doch vor, oder?«

»Bis gleich«, sagte Isobel mit einem Lächeln zu Milly. »Viel Glück!«

Als sie die Treppen zu den wartenden Autos hinabstiegen, zog Alexander Isobel leicht zurück.

»Wissen Sie, von Ihnen würde ich irgendwann mal wirklich gerne ein paar Fotos machen«, sagte er. »Sie haben fantastische Wangenknochen.«

»Ach wirklich?« Isobel zog die Augenbrauen hoch. »Sagen Sie das nicht allen Mädchen?«

»Nein. Nur zu den ganz umwerfenden.« Er sah sie an. »Im Ernst.«

Isobel starrte ihn an.

»Alexander …«

»Ich weiß ja nicht, ob das gegen die Verfahrensordnung verstößt.« Er hievte sich das Stativ auf die Schulter. »Aber wenn diese ganze Hochzeitsgeschichte vorbei ist … könnten wir dann nicht mal was zusammen trinken gehen?«

»Sie haben Nerven!«

»Ich weiß. Möchten Sie?«

Isobel musste lachen.

»Ich fühle mich sehr geschmeichelt«, sagte sie. »Und schwanger bin ich übrigens auch.«

»Oh.« Er zuckte mit den Achseln. »Na ja, das macht nichts.«

»Und …«, setzte sie hinzu, und eine leichte Röte erschien auf ihren Wangen, »… ich heirate demnächst.«

»Was?« Olivia, die ein ganzes Stück vor ihnen ging, wirbelte herum. Sie strahlte. »Isobel! Wirklich?«

Isobel verdrehte vor Alexander die Augen.

»Ist bloß so eine Idee«, sagte sie mit lauterer Stimme. »Sicher ist es noch nicht.«

»Aber wen, Schatz? Kenne ich ihn? Seinen Namen?«

Isobel sah Olivia an. Sie öffnete den Mund, um zu sprechen, schloss ihn wieder, sah fort und trat von einem Bein aufs andere.

»Ich stelle ihn dir später vor, ja?«, sagte sie schließlich. »Wenn die Hochzeit vorbei ist. Lass uns die nur erst mal hinter uns bringen. In Ordnung?«

»Wie immer du meinst, Schatz«, meinte Olivia. »Oh, ich bin ja so gespannt!«

»Na!« Isobel lächelte schwach. »Dann ist es ja gut.«

Um zehn vor elf kamen Harry und Simon bei der Kirche an. Sie drückten die Tür auf und sahen sich schweigend in dem riesigen, leeren, geschmückten Raum um. Simon warf seinem Vater einen Blick zu, dann ging er ein paar Schritte den breiten Gang entlang. Seine Schuhe hallten auf den Steinen wider.

»Aha!« Pfarrer Lytton erschien durch eine Seitentür. »Der Bräutigam und sein Trauzeuge! Willkommen!« Er eilte den Gang entlang auf sie zu, an den Reihen glänzender Kirchenbänke aus Mahagoni vorbei, jede davon mit Blumen geschmückt.

»Wo sollen wir uns hinsetzen?« Harry blickte sich um. »Alle guten Plätze sind schon vergeben!«

»Guter Witz!« Der Pfarrer strahlte sie an. »Die Plätze für den Bräutigam und seinen Trauzeugen sind vorn rechts.«

»Es war wirklich äußerst liebenswürdig von Ihnen«, sagte Simon, während sie ihm nach vorn folgten, »den Gottesdienst so kurzfristig wieder anzuberaumen. Noch dazu, wo wir nur so wenige sind. Wir sind Ihnen sehr verbunden.«

»Nun, darauf kommt es doch nicht an«, erwiderte Lytton. »Wie sagt der Herr: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.« Er hielt inne. »Natürlich kann die Kollekte dadurch unter Umständen etwas dürftig ausfallen …« Er verstummte vielsagend, und Harry räusperte sich.

»Natürlich werde ich für das Defizit aufkommen«, sagte er, »wenn Sie mir eine ungefähre Summe nennen könnten.«

»Überaus freundlich!«, murmelte der Geistliche. »Ah, hier kommt Mrs. Blenkins, unsere Organistin. Sie haben großes Glück, dass sie heute Vormittag verfügbar war!«

Eine ältliche Dame marschierte den Gang entlang auf sie zu.

»Ich hab überhaupt nichts eingeübt«, erklärte sie, sobald sie die Männer erreichte. »Dafür blieb keine Zeit, verstehen Sie.«

»Natürlich nicht«, sagte Simon schnell. »Wir verstehen völlig …«

»Wären Sie mit ›Here Comes the Bride‹ zufrieden?«

»Selbstverständlich.« Simon warf Harry einen Blick zu. »Was immer. Vielen herzlichen Dank. Wir sind äußerst dankbar.« Die Frau nickte und marschierte davon, und Pfarrer Lytton verschwand mit raschelndem Gewand.

Simon setzte sich auf die vorderste Kirchenbank und streckte seine Beine aus.

»Ich habe fürchterliche Angst.«

»Ich auch«, gestand Harry und erschauerte leicht. »Dieser Pfarrer verursacht mir das kalte Grausen.«

»Werde ich ein guter Ehemann sein?« Simon warf den Kopf zurück. »Werde ich Milly glücklich machen?«

»Das tust du doch schon«, erwiderte Harry. »Verändere bloß nichts. Glaub nicht, du musst dich anders verhalten, weil du verheiratet bist.« Ihre Blicke trafen sich. »Du liebst sie. Das reicht völlig.«

Im rückwärtigen Teil der Kirche war etwas zu hören, und Olivia erschien, eine Vision in leuchtendem Pink. Mit leicht klickenden Stöckelschuhen kam sie den Gang entlang nach vorn.

»Gleich kommen sie«, flüsterte sie.

»Komm, setz dich neben mich.« Harry klopfte auf die Kirchenbank. Einen Augenblick schwankte sie.

»Nein«, sagte sie bedauernd. »Das würde sich nicht gehören. Ich muss auf der anderen Seite sitzen.« Sie reckte leicht das Kinn. »Schließlich bin ich die Brautmutter.«

Sie nahm Platz, und für ein paar Minuten trat Stille ein. Aus dem Nichts begann leise Orgelmusik. Simon streckte seine Finger und besah sie sich eingehend. Harry blickte auf seine Uhr. Olivia holte eine Puderdose hervor und überprüfte ihr Erscheinungsbild.

Plötzlich rüttelte es an der Kirchentür, und sie fuhren alle zusammen.

Um seiner Nervosität Herr zu werden, holte Simon tief Luft. Aber sein Herz hämmerte wie wild, und seine Handflächen waren feucht.

»Meinst du, wir sollten aufstehen?«, flüsterte er seinem Vater zu.

»Keine Ahnung!«, zischte Harry zurück. Er wirkte nicht minder nervenschwach. »Woher, zum Teufel, soll ich das wissen?«

Olivia wandte sich um und spähte nach hinten.

»Ich kann sie sehen!«, flüsterte sie. »Sie ist da!«

Die Klänge der Orgel wurden langsamer und verhallten dann ganz. Nachdem sie einander zögernd angeschaut hatten, erhoben sich die drei. Eine gequälte Stille trat ein, jeder schien den Atem anzuhalten.

Dann erklang die vertraute Melodie von Wagners Hochzeitsmarsch. Simon spürte einen Kloß im Hals. Er wagte nicht, sich umzudrehen, und starrte heftig zwinkernd nach vorn, bis Harry ihn am Ärmel zog. Ganz langsam sah er nach hinten, bis er den Gang überblicken konnte, und das Herz blieb ihm stehen. Dort kam Milly am Arm ihres Vaters und sah schöner aus denn je. Ihre Lippen waren zu einem bebenden Lächeln geöffnet, die Augen hinter dem Schleier funkelten, der Cremeton ihres Kleides betonte ihren schimmernden Teint.

Als sie bei ihm ankam, blieb sie stehen. Sie zögerte und hob dann mit zitternden Händen den hauchfeinen Schleier von ihrem Gesicht. Dabei streifte sie mit den Fingern die Kette aus Süßwasserperlen um ihren Hals. Sie zögerte kurz und drückte eine der kleinen Perlen; für einen Augenblick trübten sich ihre Augen.

Dann ließ sie sie los, holte tief Luft und sah auf.

»Bereit?«, fragte Simon.

»Ja«, lächelte Milly. »Ich bin bereit.«

Als Rupert bei dem kleinen Cottage eintraf, das auf den Klippen thronte, war es schon fast Mittag. Während er den Weg zum Haus entlangging, warf er einen Blick auf seine Uhr und dachte daran, dass Milly inzwischen verheiratet sein müsste. Inzwischen würden sie und Simon wahrscheinlich überglücklich Champagner trinken.

Noch ehe er die Tür erreichte, öffnete sie sich, und sein Vater stand vor ihm.

»Hallo, mein Junge«, grüßte er freundlich. »Ich habe dich schon erwartet.«

»Hallo, Vater.« Rupert stellte seine Aktentasche ab, um ihn zu umarmen. Als der ältere Mann ihm milde in die Augen blickte, da war ihm, als müsse er gleich in haltloses Schluchzen ausbrechen. Doch das gaben seine Gefühle nicht mehr her. Er war über Tränen hinaus.

»Komm, trinken wir eine schöne Tasse Tee«, schlug sein Vater vor und ging voraus in das winzige Wohnzimmer, von dem aus man das Meer überblickte. Er hielt inne. »Deine Frau hat heute angerufen, weil sie sich gefragt hat, ob du hier bist. Ich soll dir ausrichten, dass es ihr leidtut. Sie lässt dich grüßen und schließt dich in ihre Gebete mit ein.«

Rupert schwieg. Er setzte sich ans Fenster und blickte auf die weite blaue See hinaus. Er stellte fest, dass er Francesca fast völlig vergessen hatte.

»Vor ein paar Tagen hat schon mal eine junge Frau für dich angerufen!«, rief ihm sein Vater aus der kleinen Küche zu. Man hörte Geschirrklappern. »Milly, so hieß sie, glaube ich. Hat sie es geschafft, dich ausfindig zu machen?«

Der Anflug eines Lächelns huschte über Ruperts Gesicht.

»Ja. Sie hat mich ausfindig gemacht.«

»Ihren Namen kannte ich noch gar nicht.« Sein Vater kam mit einer Teekanne herein. »Ist sie eine alte Freundin von dir?«

»Nein, nicht direkt«, meinte Rupert. »Nur …« Er hielt inne. »Nur die Frau eines Freundes.«

Und er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und starrte zum Fenster hinaus auf die Wellen, die sich unter ihm an den Felsen brachen.

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