Die Kammer hatte keine Fenster. Holzkisten lagen überall auf dem Boden und stapelten sich an den Wänden. In der Ecke standen zwei Aktenschränke, außerdem ein kleiner Schreibtisch und ein Hocker. Neben einem Tintenfass auf dem Tisch lagen mehrere goldene Federhalter, die gleichen wie im Büro. Außerdem gab es einen Kanonenofen mit einem dünnen, an der Wand befestigten Abzugsrohr. Ren öffnete die untere Klappe und sah, dass er voller Asche war.
Ren setzte sich auf den Hocker und legte den Kopf auf den Tisch. Er versuchte das Holz zu spüren, das gegen seine Wange drückte. Sein Körper war so schwer, als würde er mit Seilen zu Boden gezogen. Noch nie hatte er sich so einsam und elend gefühlt.
Ein Teil von ihm hätte nur zu gern geglaubt, dass hinter allem irgendein Plan steckte; dass in ein oder zwei Stunden die Tür aufgesperrt würde und Tom und die Zwillinge und Benjamin ihn draußen mit einem Lächeln erwarteten, mit einem neuen Wagen und einem neuen Pferd, um mehrere Hundert Dollar reicher. Doch als der Vormittag verstrich und er vor lauter Hunger Magenschmerzen bekam, packte ihn die Verzweiflung, und er grübelte darüber nach, auf welch vielfältige Art und Weise seine Kameraden ihn im Stich gelassen hatten.
Je mehr er die Schuld bei den anderen suchte, desto klarer wurde ihm, dass er es mit Dolly genauso gemacht hatte. Er hatte ihn im Stich gelassen. Er hatte ihn allein gelassen. Er hatte seine eigene Haut gerettet. Wahrscheinlich war Dolly inzwischen aufgewacht und irrte die Straße entlang, rief Rens Namen, stolperte über den Kadaver der Stute. Ren musste daran denken, wie Pilot sein Gewehr an ihren Kopf gehalten hatte, genau dorthin, wo ihr der Farmer immer einen Abschiedskuss gegeben hatte.
Ren wünschte sich zurück in Mrs. Sands’ Küche. Er stellte sich vor, wie sie mit ihrem Besen in die Mausefallenfabrik stürzte, die Hutmänner bewusstlos schlug und ihn dann in die Arme nahm. Es wäre genau so wie in einer von Benjamins Geschichten. Er sah ihre krummen Zähne aufblitzen und hörte den Besenstiel auf Pilots Schultern entzweibrechen, ehe sie McGinty zu Boden rang. Er lauschte auf ihre Schritte im Gang. Stellte sich noch mehr Einzelheiten vor, lauschte wieder.
Im Lauf des Tages wurde er immer unruhiger und missmutiger, und irgendwann fing er an, die ringsum aufgestapelten Kisten zu durchsuchen. Er betete zum heiligen Antonius um Hilfe. Dass er ein Messer finden möge oder ein Seil – irgendetwas, das ihm die Flucht ermöglichen würde –, aber die Kisten waren voller Metallfedern und Hobelspäne und Papier. Eine enthielt kaputte Mausefallen, ähnlich der, die er in Mrs. Sands’ Küche gesehen hatte. Er nahm eine, stupste gegen das winzige Metalltürchen und hörte, wie sie zuschnappte, sobald er den Finger wegzog.
Er durchwühlte den Schreibtisch und holte alte Federhalter und Notizbücher heraus. Auf ihren Seiten entdeckte er Zeichnungen von Mausefallen. Unzählige Zeichnungen von lauter winzigen raffinierten Tötungsmaschinerien. Er stieß auf eine grobe Skizze, auf der eine Maus von einer mit Ködern bestückten Rutsche ins Wasser purzelte. Eine zweite, auf der die Maus zerquetscht wurde, indem man an einer riesengroßen Schraube im Deckel der Falle drehte. Die nächste bestand aus einem komplizierten Labyrinth, dessen Gänge immer enger und niedriger wurden, bis die Maus schließlich weder umkehren noch rückwärts entkommen konnte.
Bei den Zeichnungen handelte es sich um Patente oder Entwürfe dafür. Um alle erdenklichen Ideen, wie man die Welt von etwas Unerwünschtem befreien konnte.
Ren begann in dem Abstellraum auf und ab zu gehen. Sobald er zur Wand kam, machte er kehrt, immer schneller, bis er sich buchstäblich im Kreis drehte. Er rieb mit der flachen Hand über seine Narbe, dann hörte er, wie ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde. Die Tür ging auf, und McGinty kam herein, in der Hand eine Papiertüte von der Größe und Form eines menschlichen Kopfes. Er war geschäftsmäßig gekleidet; sein gelbes Jackett war zugeknöpft, die Bänder an den Ärmeln zugebunden und nach innen geschoben. Er stellte die Tüte auf den Tisch.
»Da«, sagte er.
Ren starrte entsetzt die Tüte an.
»Das ist für dich«, sagte McGinty. »Mach auf.«
Ren berührte das knittrige Papier. Langsam und mit zitternden Fingern klappte er den umgeknickten Rand auf. Und während der ganzen Zeit spürte er, dass McGinty hinter ihm stand.
Die Tüte war voller Süßigkeiten. Pfefferminzstangen und Lakritzschnecken, Lutscher und weicher Karamell, Fruchttoffees, saure Drops, Schokoladetäfelchen, Zitronenbonbons, Erdnussriegel, Karamellbonbons, Blätter aus Ahornsirup, süßer Speck, mit Schokolade überzogene Karamelltoffees, Geleebohnen und Dauerlutscher. Ren hatte von solchen Köstlichkeiten gehört und sie in Schaufenstern gesehen, aber probiert hatte er sie nie. Der Zuckergeruch stieg ihm wie eine Wolke in die Nase, so dass er ganz benommen wurde und zugleich Heißhunger bekam.
McGinty leerte die Tüte aus, und die Süßigkeiten purzelten in einem Wirbel bunter Farben auf den Tisch, bedeckten die Notizbücher und kullerten auf den Boden. »Na los«, sagte er. »Iss.«
Ren fragte sich, ob das Zuckerzeug vergiftet war.
»Die da mag ich am liebsten«, sagte McGinty, nahm sich eine Pfefferminzstange und brach sie in Stücke. Ein paar Minuten lang lutschte er an dem süßen Zeug und bewegte es in seinem Mund herum, dann zerbiss er es. Er nahm noch eine Pfefferminzstange und hielt sie Ren hin. »Probier mal.«
Ren musste an Mr. Bowers denken, der sein Gebiss herausgenommen hatte, als lüftete er ein Geheimnis, und gesagt hatte: »Das passiert mit Leuten, die Marmelade essen.« Er schüttelte den Kopf.
»Jetzt versuch schon, Herrgott noch mal!«, brüllte McGinty.
Ren riss ihm die Stange aus der Hand und schob sich das ganze Ding in den Mund. Die Süße war fast unerträglich; sein Mund füllte sich mit Speichel, und plötzlich war es ihm egal, ob das Zeug vergiftet war oder nicht.
»Schon besser«, sagte McGinty.
Ren wickelte einen Schokoladenriegel aus und aß ihn in drei Bissen, die seine Zunge in geschmolzene Süße einhüllten. Er zerbiss einen Brocken Kandiszucker, bis er zwischen seinen Zähnen zersplitterte; er hielt ein Toffee mit den Zähnen fest und zog es in die Länge. Er saugte den Saft aus einer Geleebohne und stopfte sich ein Stück Türkischen Honig in die Backe, wo er an den Zähnen festklebte und sich ganz allmählich auflöste.
»Hast du dir die angeschaut?« McGinty zeigte auf die Bücher mit den Mausefallenskizzen.
Ren wischte sich den Mund ab. »Ja.«
McGinty nahm eines davon und schlug es auf. Er blätterte eine Seite um, dann noch eine und zeigte Ren die Zeichnung eines Kästchens, in dem eine Miniaturguillotine verborgen war. Wenn sich die Maus den Käse holte, berührte sie einen Hebel, und ihr winziger Kopf purzelte auf der anderen Seite heraus.
»Ich habe als Rattenfänger angefangen«, sagte McGinty.
»Schwarze Ratten, braune Ratten und rote Ratten. Die schwarzen kommen durch die Abflussrohre rauf, die braunen hausen überall in den Wänden, und die roten haben es auf das Vieh abgesehen. Die fressen auch einen Hund oder ein Baby, wenn man ihnen Gelegenheit dazu gibt.«
McGinty blätterte ein paar Seiten weiter, dann zeigte er Ren eine Zeichnung von einer Schar Ratten, die ein Kind durch ein Loch in der Wand zu zwängen versuchten. Einige schoben an, andere zogen, etliche knabberten an den Stellen dazwischen.
»Mäuse sind nicht so schlau wie Ratten. Aber sie vermehren sich schneller. Als ich angefangen habe, Mausefallen zu bauen, gingen sie so schnell weg, wie ich sie herstellen konnte. Doch nach einiger Zeit haben sie ihren Zweck nicht mehr erfüllt, weil die Mäuse dahintergekommen sind, wie sie funktionieren. Sie geben die Information weiter, von einer Maus zur nächsten. Also habe ich mir eine neue Falle ausgedacht und sie wieder gefangen. Und als das nicht mehr klappte, habe ich mir wieder eine neue ausgedacht. Der Trick dabei ist, dass man die Fallen ständig verändert, damit sie vergessen, was sie umbringt.«
McGinty klappte das Buch zu. Er schob sich noch ein Bonbon in den Mund. »Du warst ein hässlicher Säugling.«
Ren hielt eine Geleebohne in der Hand. Er spürte, wie sie allmählich aufweichte, als seine Handfläche vor Schreck glitschig wurde, wie seine verwirbelten Fingerabdrücke sich an der Oberfläche abzeichneten.
»Aber ähnlich siehst du ihr nicht. Überhaupt nicht.«
McGinty griff in sein Jackett und zog seine Taschenuhr heraus. Er drückte auf die Stellschraube, und der Deckel sprang auf. Darunter befand sich eine handgearbeitete Uhr und innen im Deckel das Miniaturporträt einer jungen Frau. Sie war wunderschön. Ihr Haar hatte die Farbe von Kastanien, ihre Haut war so blass, dass sie leuchtete. Volle Lippen formten einen weichen Mund, und in ihren dunkelblauen Augen lag ein leichtes Blitzen, als machte sie sich über den Künstler lustig, der sie malte. McGinty ließ die Uhr wieder zuschnappen. Er strich mit dem Daumen ein paar Mal über den Deckel, dann legte er sie zwischen sich und den Jungen auf den Tisch.
»Das ist meine Schwester.« McGinty nahm sich noch eine Pfefferminzstange und biss sie entzwei. Winzige rote und weiße Zuckersplitter glitzerten auf seiner Zunge. »Sie hat behauptet, du seist gestorben, nachdem du deine Hand verloren hast. Aber ich hätte wissen müssen, dass sie lügt.«
Die Geleebohne war geschmolzen. Rens Hand war mitten hindurchgegangen, und nun klebten seine Finger, und das süße Zeug lag in zwei Teilen auf dem Boden. Er blickte unverwandt auf die Uhr. Er wollte sie noch einmal von innen sehen. Er hörte das Uhrwerk auf dem Tisch arbeiten, wie ein winziges Herz aus Metall.
»Ihr habt einen Fehler gemacht«, sagte er.
McGinty hörte auf zu beißen. »Ich mache keine Fehler.«
Ren spürte, dass das ganze Zuckerzeug in seinem Magen zusammenklebte, zu rumoren begann und sich mit Gewalt den Weg nach oben bahnte. Er umklammerte die Tischkante, drehte sich zur Seite und erbrach sich in eine offene Kiste voller Mausefallen. Als nichts mehr kam, wischte er sich den Mund mit dem Ärmel ab. »Ich möchte nach Hause«, heulte er. Doch kaum hatte er die Worte ausgesprochen, merkte er, wie unsinnig sie waren. Er hatte kein Zuhause.
McGinty lehnte sich an den Schreibtisch. Er nahm einen goldenen Federhalter und kratzte damit den Schmutz unter seinen Fingernägeln heraus.
»Du hast behauptet, du bist ein Waisenkind.«
»Ja.« Eingeschüchtert und verstört beugte sich Ren über die Kiste mit den Mausefallen. Wenn dieser Mann sich für seinen Onkel hielt, dann war er einer von denen, die ihren eigenen Neffen in eine Rumpelkammer sperren.
»Iss noch was Süßes.«
Ren nahm ein Pfefferminz. Schon bei dem Geruch zog sich sein Magen zusammen. Er steckte das Pfefferminz in den Mund und hielt es so mit den Zähnen fest, dass es die Zunge nicht berührte.
McGinty stupste ihn mit dem Fuß an. »Und die ganze Zeit ist niemand gekommen, um dich zu holen?«
Ren schüttelte den Kopf.
»Bist du sicher?«
Ren nickte schwach.
»Nimm dir noch ein Bonbon.«
»Ich habe keine Familie!«, schrie Ren. »Ich habe niemanden!«
»Tja«, sagte McGinty und hielt kurz inne. »Jetzt hast du mich.« Er schob sich noch eine Pfefferminzstange in die Backentasche und ließ sie da stecken wie einen langen bunten Zahnstocher.
Ren stellte sich einen Moment lang vor, wie es wäre, bei McGinty in der Fabrik zu wohnen. Die Mausefallenmädchen kommen und gehen zu sehen. Den Rest seiner Tage eingesperrt in dieser Kammer zu verbringen.
McGinty beobachtete sein Gesicht. »Du glaubst mir nicht.«
»Nein.«
McGinty schob den Unterkiefer vor, bis sich sein Gesichtsausdruck veränderte; es war, als würde langsam eine Blende vor ein Fenster gezogen. »Ich werd’s dir beweisen.«
Er packte den Jungen am Arm, und ehe Ren sichs versah, waren sie zur Tür hinaus. Hutmänner säumten den Gang, standen aber auf und traten beiseite, als sie vorbeigingen. Einer lief vorneweg, um eine Tür zu öffnen, und dann gingen sie eine Treppe hinunter. Während der ganzen Zeit hielt McGinty den Jungen fest, ließ ihn nur einmal kurz los, um sich von Pilot seinen Überzieher geben zu lassen, ehe sie durch einen Seiteneingang auf die Straße hinaustraten.
Es war später Nachmittag, die Geschäfte waren bereits geschlossen, die Feuer angezündet und die Fenster erhellt. Ren spähte um jede Ecke, an der sie vorbeikamen, und hielt Ausschau nach Benjamin. Er hatte gehofft, seine Freunde würden auf ihn warten, doch stattdessen sah er nur überall Hutmänner – vor ihnen, auf beiden Seiten und hinter ihnen –, die die Leute auf den Straßen beiseite scheuchten. McGinty schnaubte beim Gehen, und seine Augen blitzten. Und noch immer hielt er Rens Arm umklammert.
Sie kamen zum Stadtplatz und überquerten den Gemeindeanger. Dahinter erhob sich eine Kirche, deren Friedhof mit einem hohen schwarzen Geländer umgeben war. McGintys Miene wurde entschlossener, je näher sie kamen; sein Bauch ragte weit nach vorn, sein Überzieher flatterte im Wind. Ren sah hinauf zum Kirchturm. Das Bauwerk kam ihm bekannt vor, wie etwas aus einem Traum. Und dann wurde ihm klar, dass dies der Friedhof war, in dem man Dolly begraben hatte. Dort hatten sie ihn ausgegraben. Jetzt stand McGinty neben dem Torschloss, das Benjamin mit einer Nadel geknackt hatte, und sperrte es mit einem Schlüssel auf.
Die Hutmänner verteilten sich im Umkreis der Kirche, und Pilot trat in den Kirchhof und hielt das Tor auf. McGinty schob Ren an der Schulter hinein und schlurfte langsam an den Gräberreihen entlang. Auf beiden Seiten wiederholten sich die Familiennamen: Beckford, Bartlett, Haie, Wood. Ren stolperte über eine Reihe winziger Grabsteine, eine Familie mit lauter Neugeborenen, jeweils im Abstand von einem Jahr.
Schließlich wandten sie sich von der Kirche ab und gingen auf ein Grabmal im hinteren Teil des Kirchhofs zu. Es war so groß wie ein Kutscherhaus, und mehrere Steinstufen führten zu einem kleinen Säulengang mit einer eigenen Pforte hinauf. Daneben standen auf beiden Seiten Marmorvasen, gefüllt mit rosafarbenen und gelben Rosen. Über dem Säulengang erhob sich ein Türmchen, in dessen Mitte eine Glocke hing. Ren sah, wie McGinty einen zweiten Schlüssel aus der Tasche fischte und die Pforte aufsperrte. Die Tür dahinter war mit geschnitzten Engeln verziert, und auf dem Buntglasfenster oben im Türbogen sah man einen Springquell aus der Erde sprudeln.
McGinty stieß den Jungen hinein. Der Boden war aus Granit, der Raum kalt und dunkel. Links an der Wand stand ein großer weißer Tisch. Schmutz und welkes Laub lagen in den Ecken. Die Decke war niedrig, der Raum eng. Der einzige Weg ins Freie war von McGinty versperrt.
»Da ist sie.«
McGinty zeigte auf den Tisch, und da sah Ren, dass es gar kein Tisch war, sondern ein steinerner Sarg. Er trat näher heran und las die Worte: Margaret Ann McGinty. Die Buchstaben waren kunstvoll verziert, die Inschrift darunter mit ruhiger Hand in den Stein gemeißelt: Die Seelen der Gerechten ruhen in Gottes Hand. Ren ließ seine Finger über den Namen gleiten. Der Marmor war glatt poliert. Ren spürte keinerlei Unebenheit, nur die scharfe Kante, dort, wo die Worte tief in den Stein geschnitten waren.
Ren dachte an Margarets Porträt, an ihre stillvergnügte Miene. Er schob seine Hand in die Tasche und berührte McGintys Taschenuhr. Auf dem Weg aus der Abstellkammer hatte er sie vom Tisch gestohlen. Das Metall war warm; das Uhrwerk unter seinen Fingern tickte.
Farbiges Licht sprenkelte McGintys gelben Anzug. Über Margarets Grabstelle hing ein Kreuz an der Wand, aber McGinty würdigte es keines Blickes. Er strich sich nur immer wieder mit der Hand übers Gesicht, als versuchte er die Gefühle wegzuwischen, die sich dort niedergelassen hatten. Dann schob er Ren ans dunkle Ende der Grabkammer.
»Los! Sieh dir das an.«
In dem Raum gab es sonst nichts, außer einem kleineren Sarg an der Stirnwand. Voller Unbehagen ging Ren darauf zu. Die Deckelplatte war aus demselben Stein wie bei Margaret, und als er genauer hinsah, entdeckte er, dass in die Oberfläche ein Name gemeißelt war: Reginald Edward McGinty.
»Und jetzt«, sagte McGinty zu Ren, »wollen wir nachsehen, ob du da drin liegst.«
Pilot kam herein, und mit ihm vier Hutmänner, jeder mit einer langen Eisenstange in der Hand. Sie schoben Ren beiseite, zwängten die Stangen unter die Marmorplatte und hoben sie an. Das scharrende Geräusch, mit dem sie sie beiseiteschoben, hallte von den Wänden wider. Als sie den steinernen Deckel am Boden absetzten, entstieg dem Sarg ein seltsamer Geruch, eine Mischung aus Schimmel und feuchten Teeblättern.
Ren beugte sich vor und spähte hinein. In dem Sarg lag ein kleines, in einen Stoffsack gewickeltes Bündel, das die Form und die Größe eines Säuglings hatte.
Das Bündel war mit einer weichen, grauen Puderschicht bedeckt. An einigen Stellen hatten Insekten oder die Zeit kleine Löcher hineingefressen. Darunter konnte Ren ein Stück Stoff erkennen. Es war dasselbe dicke Leinen, aus dem der Kragen mit seinem Namen bestand. Er musste husten und schmeckte Galle im Hals. Obwohl er wusste, dass er unmöglich in diesem Sarg Hegen konnte, stellten sich die Härchen an seinen Armen auf.
Pilot gab McGinty sein Messer, und der schnitt den Sack auf, indem er unten hineinstach und ihn bis obenhin aufschlitzte. Sobald er damit fertig war, trat er keuchend zurück, doch erst als Ren sein hartes Lachen hörte, fasste er sich ein Herz und schaute hinein. Der Stoff war mitten entzweigerissen, und in der Hülle lagen lauter Steine. Sie hatten unterschiedliche Farben und Formen, einige waren kantig und auseinandergebrochen, andere noch überzogen mit der Erde, aus der man sie geholt hatte, wieder andere so klein, dass sie in Rens Handfläche passten.
Als er genauer hinsah, bemerkte er ein Paar winzige Söckchen. Jemand hatte sich die Zeit genommen, die Steine in Babykleidung einzunähen. Jemand hatte die Ärmelbündchen zusammengezogen, den Saum unten zugenäht und den Halsausschnitt mit Stichen verschlossen. Der Kragen war mit Spitze besetzt, das dazupassende Häubchen mit einem Band festgebunden. McGinty hatte alles aufgerissen, so dass die Steine über den Marmor kullerten. Ohne nachzudenken, griff Ren hinein und nahm einen aus dem Haufen an sich. An dem Stein war nichts Bemerkenswertes. Er war grau und gefleckt. Kein Junge in Saint Anthony hätte ihn aufbewahrt.