XII Mr. Selby

Fox, der Artilleriemaat, hielt Wort: er bewirkte Wunder mit der primitiven Esse. Dank reichlich ausgestreutem Pulver und dürrem Ginster brannte bald sein Feuer, er kauerte abwartend vor der eisernen Klappe und nickte befriedigt, ehe er zurückrannte, um seine Leute zu überwachen.

Bolitho blinzelte in die Sonne, die jetzt blendend über dem spitzen Berg stand. Dann ging er zum Rand der Klippe, um die unten verankerten Schiffe zu beobachten. An die Stelle der ersten Panik waren jetzt geordnete Vorbereitungen zum Auslaufen getreten, aber er vermutete, daß alle Schiffe so fest und gründlich miteinander vertäut waren, daß es mindestens noch eine halbe Stunde dauern würde.

«Ich gehe zu Mr. Lang«, verkündete er knapp.»Melden Sie mir, wenn die Kugeln glühen. «Von Allday begleitet, wendete er sich ab und ging hastig auf die Fahrspur zu. Er war von der grell leuchtenden leeren See benommen und spürte, wie Verzweiflung in ihm aufstieg.

Lang und seine Leute waren um die schmale Straße ausgeschwärmt, hinter Felsbrocken Deckung suchend, die Musketen auf die Biegung gerichtet, die hinter dem Berghang verschwand, von wo der Angriff zu erwarten war.

Lang erblickte Bolitho und richtete sich hastig auf.»Wir haben die Soldaten aus der Sicht verloren, Sir. Aber sie müssen jetzt jeden Augenblick um die Biegung auftauchen.»

Bolitho winkte Carlyon zu sich.»Sagen Sie Mr. Quince, er soll sofort zwanzig weitere Leute herschicken.»

Zu Lang fuhr er fort:»Wir können die Straße eine Weile halten, vorausgesetzt, daß die Soldaten uns nicht in den Rücken fallen können. «Er dachte laut, versuchte, sich den Abhang und das Gelände dahinter so vorzustellen, wie erprobte Landkämpfer es sehen würden. Es erschien unglaublich, daß so viele Truppen an einen solchen Ort geschafft werden konnten; falls Lequiller sie hergebracht hatte, waren seine Absichten noch schwerer zu durchschauen.

Als weitere bewaffnete Matrosen keuchend eintrafen, rief er laut:»Auf dem Abhang ausschwärmen! Nicht schießen, ehe ich den Befehl gebe!»

Lang trat unruhig von einem Bein auf das andere.»Schon etwas von dem Geschwader zu entdecken, Sir?«Bolitho schüttelte den Kopf.»Noch nicht. «Er beobachtete, wie die Matrosen sich auf dem Abhang über der

Straße verteilten, bemerkte ihre erschöpften Gesichter und ihre beunruhigten Blicke, die sie auf das Meer richteten. Sie würden ihre aussichtslose Lage begreifen, ohne daß sie ihnen erklärt wurde. Sie hatten keine Verpflegung mehr, und bald mußte die Sonne hoch über ihnen stehen und ihnen die letzte Widerstandskraft und allen Kampfwillen rauben.

Dann hörte er ein neues Geräusch: das stetige Stampfen von Füßen auf rauhem Boden, das wie ein Trommelwirbel klang.

Die ersten Soldaten erschienen um die Biegung der Straße, und auf einen lauten Befehl hielten sie weniger als hundert Schritte von den nächsten Matrosen an.

Ein Fuß rutschte auf Geröll aus, und Pascoe tauchte an Bolithos Seite auf. Keuchend stieß er aus:»Mr. Quince läßt melden, daß die erste Kugel glüht und feuerbereit ist, Sir.»

Er sah auf die regungslos angetretenen Soldaten und fügte mit belegter Stimme hinzu:»Die Franzosen!»

Bolitho hob sein Glas und studierte ein paar Sekunden lang die stumm wartenden Soldaten.»Nur die Uniformen sind französisch, Mr. Pascoe. «Durch sein kleines Glas konnte er erkennen, daß die Soldaten nach ihrem Gewaltmarsch vor Erschöpfung schwankten, bemerkte ihre dunkle Hautfarbe und die Achtlosigkeit, mit der sie ihre Musketen hielten.»Französische Infanteristen würden sich nicht so undiszipliniert verhalten. «Schroff fügte er hinzu:»Sagen Sie Mr. Quince, er soll sofort das Feuer auf das zweite Schiff eröffnen. Er wird wissen, was er zu tun hat.»

Der Junge zögerte noch, den Blick auf die Soldaten gerichtet.»Wollen Sie denn hier bleiben, Sir?»

Bolitho schob das Glas mit einer heftigen Bewegung in die Tasche.»Geh! Wir haben keine Zeit zum Schwatzen!«Als der Junge sich abwendete, fügte er hinzu:»Für uns steht alles gut, vorausgesetzt, daß ihr das Schiff trefft.»

Lang sagte beunruhigt:»Soldaten von der Nachhut klettern den Abhang herauf, Sir.»

Bolitho nickte.»Befehlen Sie Feuerbereitschaft!«Er zog seinen Säbel und lehnte die Klinge gegen die Schulter.»Sie werden einen Sturmangriff versuchen, Mr. Lang. Behalten Sie also klaren Kopf.»

Hinter der Biegung schrillte eine Pfeife, und die erste Reihe der Soldaten setzte sich zielstrebig auf die schmälste Stelle zu in Trab.

Dort hatte ein Steinschlag eine tiefe Kluft in den Abhang gerissen, die steil zum Meer abfiel.

«Ziel nehmen!«Bolitho hob den Säbel hoch über den Kopf. Er spürte, wie ihm der Schweiß über die Brust rann und daß seine Lippen trocken wie Pergament waren.»Feuer!»

Vierzig Musketenschüsse zerrissen in einer unregelmäßigen Salve die Stille. Die Schüsse kamen von überallher, wo die Matrosen eine spärliche Deckung gefunden hatten. Als sich der Pulverrauch verzog, sah Bolitho fallende und taumelnde Soldaten, manche stürzten über die Klippe außer Sicht.

«Laden!«Er versuchte, seiner Stimme einen festen Klang zu geben, weil er wußte, daß das geringste Anzeichen von Furcht ihren schwachen Widerstand in wilde Flucht verwandeln würde. Ein Teil der Soldaten ging weiter vor, doch als sie ihre gefallenen Kameraden erreichten, zögerten sie und hielten dann inne, um niederzuknien und blindlings in Richtung des Abhangs zu feuern. Kugeln schwirrten kreuz und quer; als weitere Soldaten um die Biegung auftauchten, rief Bolitho wieder:»Ziel nehmen! Feuer!»

Die Salve erfolgte diesmal noch unregelmäßiger, denn manchen war es in ihren verkrampften Stellungen noch nicht gelungen, neu zu laden. Doch als die Kugeln in die Reihen der dicht gedrängten Soldaten fegten, war das mehr als genug. Schießend machten sie kehrt und liefen über ein Dutzend Tote und Verwundete auf der Straße zurück. Andere waren spurlos in der wartenden See unten verschwunden.

Ein dumpfer Knall rollte über den Berghang, und Bolitho sagte:»Hoffentlich weiß Fox noch die richtige Distanz, Mr. Lang.»

Eine Musketenkugel schwirrte an seinem Gesicht vorbei, er warf sich hastig hinter einen Felsen in Deckung, als weitere Geschosse vorn Abhang fast unmittelbar über der Straße rings um ihn einschlugen.

«Scharfschützen!«Er beschattete die Augen gegen das grelle Licht und sah einzelne Gestalten über den Kamm stürmen. Einige stürzten und blieben regungslos liegen, als die Matrosen das Feuer so schnell sie nachladen konnten erwiderten.

Er packte den Leutnant an der Schulter.»Halten Sie hier die Stellung. Ich sehe nach, wie es bei den Geschützen steht. «Er bemerkte Längs kraftloses Nicken.»Und lassen Sie Ihre Leute in Deckung, gleichgültig, was der Feind unternimmt. «Er drehte sich um und rannte über den Abhang davon. Das Gewehrfeuer und die Schreie der Kämpfenden drangen ihm in die Ohren, bis er die Anhöhe erreicht hatte, die den Lärm wie durch einen Vorhang abschnitt.

Er traf Quince am Rand der Klippe und genau an der Stelle, wo er ihn zurückgelassen hatte. Aufgeregt deutete er auf die Schiffe. Der nächstgelegene Zweidecker bemühte sich vergeblich, freizukommen. Hilflos trieb er in den Wind, wurde am Heck durch die zusätzlichen Ankertaue festgehalten. Auf dem zweiten Schiff schien noch alles unverändert, doch als Bolitho das Glas vor die Augen hob, sah er eine verräterische, dünne Rauchsäule aufsteigen und den plötzlichen Ansturm von Männern mit Eimern und Äxten, als sich aus der Säule eine dicke Wolke entwickelte.

Fox war vor Freude beinahe außer sich.»Ein Treffer!«Er drehte sich nach den jubelnden Kanonieren um.»Die nächste Kugel, Jungs!«Er rannte zu der Esse, von der Leute mit dem nächsten heißen Geschoß auf einer primitiven eisernen Trage ihm schon entgegenkamen.

«Mr. Lang kann sich nicht mehr sehr lange halten«, sagte Bo-litho. Er bemerkte, daß Quince an seiner Seite erstarrte.»Er wird von mindestens zweihundert Mann angegriffen, und in der Stadt befinden sich vermutlich noch mehr.»

Quince blickte ihn überrascht an.»Wieso, Sir? Wie kommt Las Mercedes zu einer so starken Garnison?»

Bolitho sah, wie sich der Rauch über dem französischen Schiff verzog. Offensichtlich konnte die Besatzung mit ihren Wassereimern den drohenden Brand ersticken.

Fox schien sich der Gefahr nicht bewußt zu sein, als er sich vergewisserte, daß der Pfropf vor der Pulverladung gründlich getränkt war, ehe er die glühende Kugel ins Rohr schieben ließ.

«Darüber bin ich mir nicht klar, Mr. Quince«, antwortete Bolitho.»Noch nicht.»

Die Kanone stieß zurück, und im Bruchteil einer Sekunde sah Bolitho die Kugel auf dem Scheitelpunkt ihrer Flugbahn, ehe sie auf die verankerten Schiffe hinunterstürzte. Wie ein schwarzer Fleck vor der Sonne, dachte er.

Sie traf das Schiff unmittelbar vor dem Achterdeck auf der Steuerbordseite, und ein paar Augenblick lang glaubte ein Teil der Kanoniere, sie sei danebengegangen. Doch als sich Rauch entwik-kelte und aufstieg, wußte Bolitho, daß es ein tödlicher Treffer gewesen war. Er sah die ersten züngelnden Flammen unter dem oberen Geschützdeck, den so plötzlich aufquellenden Rauch, als ob er durch einen riesigen Blasbalg unter den zundertrockenen Planken angefacht würde.

«Das vorderste Schiff hat jetzt Anker gelichtet, Sir. «Quince preßte die Fäuste gegeneinander, als die Großwanten des getroffenen Schiffs in einer hohen Flamme aufloderten und sich der mittlere Teil des Rumpfes im Augenblick zu einer schrecklichen Fackel verwandelte.

«Zielwechsel, Mr. Fox!«Bolitho drehte sich rasch um, als Car-lyon neben Quince erschien. Er hatte sich beide Knie aufgeschlagen und eine tiefe Schramme an der Stirn.

«Ich — ich bin gefallen, Sir. «Er zuckte zusammen, als hinter ihm die Kanone abgeschossen wurde.»Ich bin so schnell gelaufen, wie ich konnte…«Er brach ab. Sein Gesicht verzerrte sich erschöpft und verzweifelt.

Bolitho packte ihn am Arm und schüttelte ihn.»Was ist los?»

«Mr. Lang ist getroffen worden, Sir. Unsere Leute weichen zurück. «Er taumelte und wäre gefallen, wenn Bolitho ihn nicht gehalten hätte.»Die Soldaten sind überall auf dem Berg, Sir. Wir können sie nicht mehr aufhalten.»

Bolitho sah Quince an und schrie:»Richten Sie das Geschütz auf die Straße!«Als die Leute zögerten, fügte er scharf hinzu:»Bewegung, schnell!«Er deutete auf die Matrosen.»Setzt die Gefangenen mit ein und laßt sie die Kanonen über die Klippe schieben. «Er blickte in Quinces grimmiges Gesicht.»Mit denen soll keiner mehr schießen.»

Als das erste Geschütz über die scharfe Kante rollte, fügte er hinzu:»Ich muß zu unseren Leuten an der Straße zurück. Vergewissern Sie sich, daß das letzte Geschütz geladen und gerichtet wird. «Dann rannte er davon, ehe Quince ihm weitere Fragen stellen konnte. Als er die Reihe der Felsbrocken erreichte, von der er erst vor wenigen Stunden seine Leute zum Angriff geführt hatte, sah er die Matrosen zurückweichen. Manche schossen noch auf den gegenüberliegenden Abhang, andere schleppten sich verwundet zurück oder stützten sich gegenseitig in dem verzweifelten Bemühen, irgendeine Deckung zu erreichen.

«Hierher!«Bolitho winkte mit seinem Säbel.»Geht in Deckung und ladet neu!«Einer versuchte, an ihm vorbeizulaufen. Er schrie ihn an:»Hiergeblieben, oder ich bringe dich, bei Gott, selbst um!»

Allday fragte heiser:»Wo ist Mr. Pascoe?»

In diesem Augenblick erblickte Bolitho ihn. Er kam über die Straße gerannt, den wankenden Lang neben sich, der einen Arm fest um die Schultern des Jungen gelegt hatte. Lang war blutbedeckt und hatte die Augen notdürftig verbunden. Weitere Schüsse fegten vom Hang herunter, wo der Feind Halt gemacht hatte, um aus seiner günstigen Position sorgfältiger zielen zu können. Ein Matrose stürzte über den Felsen zusammen, und ein anderer verschwand außer Sicht, ohne auch nur einen Schrei auszustoßen.

Pascoe stolperte keuchend in Alldays Arme, während andere den verwundeten Leutnant in den Schutz der Felsen zogen. Bolitho fragte:»Alles in Ordnung, Junge?«Er lehnte ihn an die von der Sonne erwärmten Felsen und fügte hinzu:»Das war sehr tapfer, was du da getan hast,»

Lang wimmerte:»Meine Augen! Mein Gott, ich sehe nichts mehr!»

Pascoe blickte ihn starr an:»Eine Musketenkugel traf neben seinem Gesicht einen Felsbrocken. «Er schauderte, aber blinzelte dabei nicht.»Die Splitter trafen ihn in beide Augen. «Er wandte sich heftig ab und übergab sich.

Bolitho löste den Blick von den bebenden Schultern des Jungen und sah auf, als ein Matrose plötzlich aufsprang und zum Rand der Klippe hinaufrannte. Einen Augenblick glaubte er, der Mann wäre verrückt geworden oder mache einen letzten verzweifelten Fluchtversuch. Doch als die wilden Schreie auch die anderen aufblicken ließen, erkannte er durch den Qualm des brennenden Schiffs eine schemenhafte Form und bildete sich ein, eine Hitzewelle zu spüren, als das Krachen einer Breitseite über das Wasser und wie eine Lawine gegen die Steilwand donnerte.

Der Matrose schwankte hin und her, die Hände wie im Gebet vor der Brust gefaltet. Wild schrie er:»Seht doch, Jungs! Es ist die alte Hermes!»

Dann stürzte er kopfüber die Klippe hinunter. Sein Todesschrei wurde von Kanonendonner übertönt, als sich die Marssegel eines weiteren Schiffs durch den Qualm schoben. Der Anblick seines eigenen Schiffes, das ihm endlich zu Hilfe kam, mußte das Letzte gewesen sein, was der Mann gesehen hatte.

Bolitho richtete sich auf.»Zurück, Leute«, rief er.»Wir ziehen uns auf die Landzunge zurück. «Geschosse schwirrten um ihn herum, und noch ein paar Männer fielen, als sie geduckt über die weite Strecke offenen Geländes liefen.

Allday hatte Lang auf die Schultern genommen, und Bolitho sah, daß Pascoe versuchte, nicht innezuhalten, als einem Matrosen neben ihm von einer Kugel der Hinterkopf zerschmettert wurde.

Als die ersten feindlichen Soldaten die jetzt nicht mehr verteidigte Felsbarriere erreichten, hielt Fox seine Lunte sorgfältig an das Zündloch der Kanone und sprang dann zur Seite, um zu beobachten, wie die Kugel die dichtgedrängten Männer niedermähte.

Dieser letzte Schuß und der Anblick der langsam in die Bucht einlaufenden Schiffe war für sie genug. Der Angriff brach zusammen, und trotz der schrillen Pfiffe und gebrüllten Befehle machten die Soldaten kehrt und rannten zurück. Vermutlich würden sie weiterrennen bis in die Stadt, weil sie befürchten mußten, durch ein weiteres Landekommando der eintreffenden Schiffe abgeschnitten zu werden.

Quince erschien neben Bolitho und sagte zwischen mühsamen Atemzügen:»Das war knapp, Sir.»

Bolitho antwortete ihm nicht gleich. Er beobachtete sein eigenes Schiff, die alte Hyperion, die langsam an dem nächsten Franzosen vorbeikreuzte. Pulverqualm verhüllte das Bild der Vernichtung, als ihre Geschütze der Reihe nach ihre Ladungen auf den hilflosen Feind spieen. Sie war zu weit entfernt, um Einzelheiten auszumachen, aber er konnte sich Inch vorstellen, der aufmerksam den richtigen Augenblick abwartete, um über Stag zu gehen, und Gos-sett in seiner Nähe, unerschütterlich wie eine englische Eiche. Er sah sich um. Plötzlich widerte ihn das Land an, der Anblick der Toten und der eng zusammengedrängten, verängstigten Gefangenen.

Dreißig Meilen hatten sie zurückgelegt, um das zu vollbringen: dreißig Meilen Sumpf und unvorstellbarer Strapazen. Doch nur einmal wäre die Moral beinahe zusammengebrochen. Er beobachtete die humpelnden Verwundeten und die anderen, die noch aufrecht stehen und kämpfen konnten. Aber das waren nur noch sehr wenige.

Quince fügte hinzu:»Mr. Fox meldet, daß die Schaluppe Dasher vor der Landzunge ankert und Boote zu Wasser läßt, um uns aufzunehmen.»

«Sehr gut. «Selbst sprechen war schon zuviel.»Lassen Sie die Verwundeten an den Strand bringen, sobald das letzte Geschütz in den Abgrund gestürzt ist. «Er drehte sich um, um zu beobachten, wie die schwere Kanone über den Rand der Klippe geschoben wurde und mitten zwischen treibenden Leichen im tiefen Wasser versank.

Als Quince zurückkam, stand Bolitho allein am Rand und blickte auf die Schiffe in der Bucht hinunter.

Der Leutnant sagte:»Die Hermes hat Boote ausgesetzt. Ich nehme an, daß sie ein Kommando an Land bringen, um den Franzosen zusätzlich einzuheizen.»

Das nächstgelegene französische Schiff leistete keinen Widerstand mehr. Es lag bereits auf der Seite, und seine unteren Stückpforten wurden schon vom Wasser überspült. Das zweite stand so hoch in Flammen, daß Bolitho befürchtete, Inch hätte sein Schiff zu nahe an das wild lodernde Feuer gebracht. Doch als sich die Marssegel der Hyperion auf ihrem neuen Kurs wieder füllten, sah er die Funken weit hinter ihrem Heck vorbeifliegen.

Von den beiden anderen französischen Schiffen war keine Spur mehr zu sehen. Er nahm an, daß es ihnen gelungen war, rechtzeitig Anker zu lichten und um die Landzunge zu entkommen, während das angreifende Geschwader auf der gegenüberliegenden Seite in die Bucht einlief. Er sah Pascoe bei der verlassenen Esse stehen, den Dolch noch in der Hand.»Komm mit, Junge. Heute hast du für zehn Männer genug gesehen und getan.»

Pascoe sah ihn ernst an.»Danke, Sir«, war alles, was er antwortete. Der Leutnant, der die Boote der Schaluppe befehligte, sah den blutbedeckten und zerlumpten Überlebenden von Bolithos Kampfgruppe mit kaum verhehltem Entsetzen entgegen.»Wo sind die anderen?«Er konnte nicht einmal einen Offizier unter den erschöpften Gestalten erkennen, die zu den Booten wateten oder getragen wurden.

Bolitho wartete, bis der letzte Mann an Bord war, ehe er folgte. Kalt wiederholte er:»Ja, wo sind die andern?«Schweigend saß er da und betrachtete sein Kommando, das kaum noch zwei Boote füllte, aber nicht mehr die vier, die er weit hinten zurückgelassen hatte.

Er sah die Telamon über Stag gehen. Ihre Rah hing voll wehender Signalflaggen, während sie vor der frischen Landbrise herlief. Von cer Indomitable war nichts zu sehen, aber Bolitho war zu erschöpft, um sich darüber Gedanken zu machen.

«Hier kommt der Befehl zum Rückzug, Sir«, sagte Quince.»Der Kommodore muß an Bord des Holländers sein.»

Bolitho blickte auf, unfähig, seine Erbitterung länger zu unterdrücken.»Dann kann ich im Interesse seiner eigenen Sicherheit nur hoffen, daß er auch dort bleibt.»

Dann sah er wieder seine Leute an. Lang stöhnte leise vor sich hin, und die anderen waren zu erschöpft und ausgelaugt, um den Männern zu antworten, die ihnen von der verankerten Schaluppe her zujubelten. Sie hatten getan, was von ihnen verlangt worden war, und mehr, doch mit dem letzten Schuß war der Funke in ihnen erloschen. Überlebenswille und Hilfe hatten den Wahnsinn und die verzweifelte Kampfbereitschaft vertrieben. Jetzt lagen oder saßen sie wie seelenlose Wesen herum, den Blick nach innen gekehrt, hatten vielleicht benommen noch die letzten Bilder vor Augen, an die sie sich im Lauf der Zeit mit Stolz oder Entsetzen erinnern würden, trauernd um die Zurückgebliebenen oder dankbar dafür, daß sie verschont worden waren.

Der junge Kommandant der Schaluppe begrüßte Bolitho aufgeregt.»Willkommen an Bord, Sir. Kann ich etwas für Sie tun, ehe ich Anker lichte?»

Bolitho blickte an ihm vorbei auf das brennende Schiff. Nur wenige geschwärzte Planken und Balken leisteten dem Feuer noch Widerstand, hielten es über Wasser und gaben seinen Untergang neugierigen Blicken preis.

Er antwortete:»Bringen Sie mich auf mein Schiff. «Er versuchte, Herr seiner selbst zu werden und die bleierne Erschöpfung zu bezwingen, die ihn nahezu lahmte.»Und veranlassen Sie, daß diese Leute versorgt werden. Sie haben einen weiten Weg hinter sich und sollen nicht länger als nötig leiden.»

Der junge Offizier runzelte die Stirn. Er war nicht sicher, was Bolitho meinte. Dann eilte er davon, um seine Befehle zu geben, ganz erfüllt von dem Anblick, dessen Zeuge er geworden war, und von dem Gedanken, wie er ihn eines Tages schildern würde.

Als die Schiffe später die Bucht verließen und wieder ihre Formation einnahmen, wehte der Wind ihnen immer noch Rauch nach, Asche und den Geruch des Todes.

Leutnant Inch trat in die Kajüte und blinzelte in den grellen Widerschein des Wassers, der von der See unter den hohen Heckfenstern hereinfiel.»Sie haben mich rufen lassen, Sir?»

Bolitho saß bis zum Gürtel nackt am Schreibtisch und rasierte sich hastig vor dem Spiegel, der vor ihm stand.

«Ja. Sind von der Telamon noch keine Befehle gekommen?»

Inch sah Bolitho mit großen Augen zu, der sich heftig das Gesicht abwischte und dann ein frisches Hemd überstreifte. Bolitho war noch nicht einmal fünf Stunden wieder auf seinem Schiff, hatte sich kaum Zeit zum Essen genommen, gar nicht zu reden von einer Ruhepause.

«Nichts, Sir«, antwortete Inch.

Bolitho ging zu den Heckfenstern und starrte auf die in weiter Ferne liegende, verschwommene Küstenlinie hinaus. Auf Backbordbug liegend, kamen die Schiffe nur langsam vorwärts; als er nach der hinter ihnen segelnden Hermes ausblickte, sah er ihre schlappen, fast unbewegten Segel und ihren überm schwankenden Spiegelbild schimmernden Rumpf.

Er hatte erwartet, daß Pelham-Martin seine Kommandanten zu einer Besprechung auf die Telamon rufen oder einen Glückwunsch an das erschöpfte Landkommando schicken würde. Statt dessen war nur das Signal >Anker lichten< gehißt worden, und nach einer weiteren, an den Nerven zerrenden Verzögerung hatten von der Hermes Boote abgelegt. Sie waren bis zum Dollbord mit Menschen beladen und hatten sofort Kurs auf die Hyperion genommen.

Mit den Booten kam Leutnant Quince, der berichtete, daß das Landkommando der Hermes das Gefängnis in Las Mercedes gefunden und daraus über sechzig englische Seeleute befreit hatte. Kapitän Fitzmaurice schickte fünfzig dieser Leute zu Bolitho, um seine Besatzung zu ergänzen. Aber Quince war auch gekommen, um sich zu verabschieden. Pelham-Martin hatte ihn mit dem Kommando über die schwer beschädigte Indomitable betraut: er sollte sie nach dem rund sechshundert Meilen entfernten Antigua bringen. Die Werftanlagen dort genügten, um das Schiff soweit zu reparieren, daß es zu der dringend erforderlichen gründlichen Überholung nach England überführt werden konnte.

Bolitho war an Deck gegangen, um zu beobachten, wie das tiefliegende Schiff sich langsam vom Geschwader entfernte. Der mit Einschüssen übersäte Rumpf und das laute Klappern der Pumpen verrieten deutlich, welche Mühe es kostete, das Schiff über Wasser zu halten. Kein Wunder, daß es beim letzten Angriff auf Las Mercedes nicht mitgewirkt hatte. Bei der nächsten Breitseite wäre es wahrscheinlich gekentert und gesunken.

Gut zu wissen, daß Quince für seinen unermüdlichen Einsatz den verdienten Lohn erhalten hatte. Als Bolitho der Indomitable nachblickte, die mit ihren zerfetzten Segeln und zersplitterten Maststengen die Leiden und Todesqualen symbolisierte, die sich in ihrem Rumpf abgespielt hatten, mußte er unwillkürlich an Winstanley denken und wie glücklich es ihn gemacht hätte, sein Schiff in so guten Händen zu wissen. Jetzt aber segelten sie wieder nach Osten, ohne anscheinend einen Gedanken daran zu wenden, den beiden französischen Schiffen nachzujagen, die bei dem Angriff entkommen waren; und ohne den geringsten Hinweis darauf, was PelhamMartin als nächstes zu unternehmen beabsichtigte.

Quince hatte bei seinem kurzen Besuch gesagt:»Es hat den Anschein, daß unser Kommodore mit dem Ergebnis sehr zufrieden ist, Sir. Zwei französische Linienschiffe wurden vernichtet und die anderen in die Flucht geschlagen.»

Bolitho hatte kalt erwidert:»Wir hätten sie alle vernichten können.»

Qunice hatte ihn nüchtern angesehen.»Sie haben getan, was Sie konnten, Sir. Ich glaube, das ganze Geschwader weiß das.»

Bolitho hatte nur mit den Achseln gezuckt.»Ich kann mich nicht mit halben Maßnahmen zufrieden geben.»

Mit einem Seufzer legte er jetzt das Rasiermesser weg und fragte:»Haben Sie die neuen Leute vereidigt, Mr. Inch?»

«Aye, Sir. Ich habe auch einige vernommen, so wie Sie befohlen haben.»

Ruhelos ging Bolitho wieder an die Fenster und beschattete die Augen, während er nach dem leeren Horizont ausspähte. In der späten Nachmittagssonne leuchtete er wie eine goldene Linie. Er hatte diese aus dem Gefängnis befreiten Leute selbst empfangen und ausfragen wollen, war aber noch nicht fähig gewesen, jemandem gegenüberzutreten. In dem Augenblick, als er mit den anderen aus dem Beiboot der Schaluppe an Bord zurückgekommen war, den Jubel und die Willkommensrufe in den Ohren, war ihm seine völlige Erschöpfung erst ganz bewußt geworden.

Inch sagte unvermittelt:»Es sind alles ausgebildete Seeleute, Sir. Überlebende von einem Handelsschiff, der Bristol Queen, die vor einiger Zeit auf der Fahrt nach Caracas in einem Sturm Schiffbruch erlitt. Einem Teil der Besatzung gelang es, sich in die Boote zu retten und schließlich Las Mercedes zu erreichen, wo sie ins Gefängnis geworfen wurden. «Sein Gesicht wurde wütend.»Diese verdammten Spanier haben anscheinend kein Mitleid mit Schiffbrüchigen.»

Bolitho stützte die Hände auf den Schreibtisch und starrte gedankenverloren auf die oberste Seekarte.»Ich nehme an, daß keiner der Offiziere gerettet wurde?»

«Keiner, Sir. «Inch schlug sich mit der Hand klatschend gegen den Oberschenkel.»Aber ein unerwarteter Glückstreffer ist doch dabei. Unter den Leuten befindet sich ein Steuermannsmaat. «Auf Bolithos unausgesprochene Frage nickte er vergnügt.»Aye, Sir. Ein Angehöriger der Marine.»

«Nun machen Sie es nicht so spannend, Mr. Inch.»

«Anscheinend ist er vor einigen Monaten mit einem anderen Mann zusammen aufgefischt worden. Sie wurden von der Cornelia, einem Vierundsiebzig-Kanonen-Schiff, über Bord gewaschen und konnten sich an einem gekenterten Beiboot festklammern. Jedenfalls schaffte das der Steuermannsmaat. Der andere war bereits tot,

Sir.»

Bolitho nickte gedankenvoll.»Gerettet fürs Gefängnis. Nun, er soll uns an Bord willkommen sein, Mr. Inch, und wird uns hoffentlich nützen. Ich nehme an, Sie haben dafür gesorgt, daß alle diese

Leute mit der Indomitable Nachricht nach Hause schicken konnten?»

«Leutnant Quince hat es mir versprochen, Sir. Außer diesem Steuermannsmaaten, der weder einen Brief noch eine Nachricht mitgegeben hat. Er scheint keine lebende Seele an Land zu kennen.»

Bolitho lauschte auf das Schrillen der Pfeifen und das Stampfen von Füßen an Deck, als die Wache ihren Dienst antrat.»Wie heißt der Mann!«»Selby, Sir.»

«Also gut. Schicken Sie Mr. Selby zu mir. Vielleicht hat er in Las Mercedes etwas gehört oder erfahren. Es beunruhigt mich, daß wir nicht einmal die Hälfte von dem wissen, was hier vor sich geht. «Er runzelte nachdenklich die Stirn, ohne auf Inchs überraschtes Gesicht zu achten.»All diese spanischen Soldaten in französischen Uniformen, die Kampfbereitschaft der Schiffe und diese sorgfältig postierte Batterie an Land. «Er schüttelte nachdrücklich den Kopf.»Nein, Mr. Inch, unsere lückenhaften Informationen stimmen mich sehr unzufrieden.»

Nachdem Inch ihn verlassen hatte, wandte er sich wieder dem Studium der Karte zu. Wo steckte Lequiller?

Plötzlich mußte er an Leutnant Lang denken, der sich jetzt mit den anderen Verletzten und Verwundeten an Bord der Indomitable auf dem Weg nach Antigua und von dort nach England befand. Was würde aus ihm werden? Der Arzt hatte sich knapp und ohne jede Hoffnung geäußert: Lang war erblindet. Da er weder Vermögen noch Einfluß besaß, wurde er nach Hause und damit unausweichlich in die Vergessenheit geschickt. Er würde zu dem elenden Strandgut gehören, das man in jedem Hafen fand, wo es ständig an die Nutzlosigkeit und das Ausgestoßensein der Veteranen mahnte.

Doch dieser Steuermannsmaat kam jetzt sehr gelegen. Bolitho mußte Gascoigne zum diensttuenden Leutnant ernennen, ob er genügend Erfahrung besaß oder nicht, und ein zusätzlicher Fah-rensmann war sein Gewicht in Gold wert.

Es klopfte, und Inch trat in den Widerschein des Sonnenlichts.»Mr. Selby, Sir. «Er trat beiseite, um ihm den Vortritt zu lassen.»Die Telamon signalisiert, wir sollen Segel verringern und uns die Nacht über in der Nähe halten.»

Bolitho lehnte sich gegen den Schreibtisch. Seine Finger umklammerten die Tischplatte in dem Bemühen, Haltung zu bewahren.»Danke, Mr. Inch. «Seine Stimme schien wie aus weiter Ferne zu kommen.»Gehen Sie bitte wieder an Ihren Dienst.»

Inch öffnete den Mund und schloß ihn dann wieder. Nach einem kurzen Blick auf den Steuermannsmaaten verließ er die Kajüte und zog die Tür hinter sich zu.

Bolitho konnte seinen eigenen Atem hören und spürte den harten Griff seiner Finger an der Schreibtischplatte.

Die Gestalt auf der anderen Seite der Kajüte war stark gebeugt, und das im Nacken fest zusammengebundene Haar war fast völlig grau. Doch unverkennbar waren das feste Kinn und die ruhigen Augen, die ihn jetzt mit einer gewissen Resignation ansahen.

In Bolithos rasenden Gedanken kämpften Unglauben mit Verzweiflung, doch es gelang ihm, sich mit den Umständen, dem Zufall und dem Geschick abzufinden, die sie nun doch wieder zusammengeführt hatten. Wie im Traum erinnerte er sich an das vom Gram gezeichnete Gesicht seines Vaters, als er ihm von der Schande seines Bruders Hugh berichtete, von dessen Desertierung aus der Marine und endgültigem Untertauchen in Amerika.

Er erinnerte sich auch an ihre Begegnung, als er Hughs Gefangener an Bord eines amerikanischen Kaperschiffs gewesen war, der Andiron, und an jene vor jetzt annähernd zwei Jahren, als der Feldzug von St. Clar und Cozar zusammenbrach und Hugh nur wenige Schritte von ihm entfernt gewesen war, ihn aber nicht gesehen hatte. Tonlos sagte er:»Wahrscheinlich war es unausweichlich, daß wir uns wieder begegneten. «Er deutete auf einen Sessel.»Setz dich, wenn du willst.»

Sein Bruder ließ sich nieder, den Blick unverwandt auf Bolithos Gesicht gerichtet. Er sagte:»Ich wollte nicht kommen, Dick. Ich glaubte, man würde mich auf der Hermes behalten. Ich wußte nicht einmal, daß dein Schiff in der Karibik ist.»

Bolitho streckte den Arm aus und schenkte ein Glas Rotwein ein.»Trink. Und dann erzähle mir, wieso du hier bist. «Er deutete auf die Uniform seines Bruders.»Wie es kommt, daß du wieder im Dienst des Königs stehst.»

Hugh Bolitho trank einen langen Schluck und strich sich mit der Hand übers Haar.»Vor zwei Jahren war ich als verurteilter Sträfling auf dem Weg nach Neuholland, und du hast mir, ohne es zu wissen, noch einmal eine Chance gegeben. Nachdem wir St. Clar verlassen hatten, wurden die meisten Verurteilten nach Gibraltar zurückgebracht, um dort auf den Abtransport zu warten. «Die tiefen Furchen um seinen Mund wurden etwas milder.»Ich wurde auf ein Kriegsschiff gebracht, das nach Botany Bay segeln sollte, aber während eines Sturms entschloß ich mich zu einem Fluchtversuch. Es gelang mir, die Gig zu erreichen, ich wurde aber von dem wachhabenden Steuermannsmaaten entdeckt, der mich verfolgte. Er kletterte hinter mir her. «Er hob die Schultern. Sein Blick wurde versonnen, als er sich an die Situation erinnerte.»Es kam zum Kampf, und das Boot trieb ab. Wir erkannten beide, daß das Schiff weitergesegelt war, ohne unser Verschwinden zu bemerken, und wir fanden uns, so gut es ging, mit unserer Lage ab. Der Sturm wurde stärker, und das Boot kenterte. Wir hatten kein Wasser, nichts. Als wir aufgefischt wurden, war Selby, so hieß der andere, tot. Und ich war nahe daran, ihm zu folgen.»

Bolitho strich sich mit der Hand über die Stirn. Die Strapazen der vergangenen Tage forderten ihren Preis, und er mußte sich sorgfältig jedes Wort überlegen.

«Aber warum hast du die Identität dieses anderen Mannes angenommen?«Er spürte, wie ihm der Schweiß über die Brust rann.»Du mußtest doch wissen, daß du früher oder später wieder auf ein Schiff des Königs kommen würdest.»

Hugh nickte. Die Geste war gleichzeitig vertraut und dennoch fremd.

«Stimmt. Aber ich hatte es satt zu fliehen, Dick. Dauernd einen anderen Namen anzunehmen und immer über die Schulter zu blik-ken. Wo könnte ich mich besser verbergen als auf einem Schiff des Königs?«Er lächelte erschöpft.»Aber anscheinend habe ich mich getäuscht.»

An Deck ertönte eine Glocke, und Füße scharrten um das Skylight. Jeden Augenblick konnte jemand eintreten.

Bolitho sagte schroff:»Du hättest doch wissen müssen, daß dir jemand aus der Vergangenheit begegnen würde.»

«Ich suchte eine vertraute Umgebung, wo ich mich verstecken und warten konnte, bis das Schiff England erreichte. «Er nickte schwermütig.»Ich wollte nur noch einmal nach Hause. Sonst war mir nichts mehr wichtig. «Plötzlich stand er auf und stellte das Glas weg.»Das Ganze tut mir mehr leid, als ich sagen kann. Ich weiß, daß du deine Pflicht tun mußt. Das Glück hat mich verlassen. Ich kann dir keinen Vorwurf machen, wenn du mich jetzt bis zu meinem Prozeß in Eisen legen läßt.»

Er wich einen Schritt zurück, als jemand an die Tür klopfte.

Bolitho spürte den Blick seines Bruder, als er:»Herein!«rief.

Midshipman Pascoe trat in die Kabine, ein Teleskop unter dem Arm.»Mr. Roths Respekt, Sir, und er bittet um Erlaubnis für ein zweites Reff. Der Wind frischt von Nordost auf, Sir.»

Bolitho wendete sich ab. Die Stimme des Jungen hallte in seinem Kopf wider wie ein anderer Teil seines Traums.

«Sehr gut, Mr. Pascoe. Ich komme sofort selbst. «Er hielt Pascoe zurück, als der sich wieder zur Tür wendete.»Dies ist Mr. Selby, Steuermannsmaat. «Er sah seinen Bruder unbewegt an.»Mr. Pas-coe hat sich bei unserem jüngsten Unternehmen in hohem Maß ausgezeichnet.»

Als die Tür sich hinter dem Midshipman geschlossen hatte, fügte er hinzu:»Dieser Junge hat in seinem Leben mehr erdulden müssen, als du ahnst. Sein Vater hat Schande über ihn gebracht, und jetzt sucht er bei mir Stütze und Vertrauen, und ich bin stolz, daß ich ihm beides bieten kann.»

«Das verstehe ich nicht.»

«Ich will den Jungen nicht völlig verstören, indem ich den Mann festsetze, den er für tot hält. Dessen Namen neben dem meines Vaters in der Kirche in Falmouth steht. «Er sah seinen Bruder wanken, konnte aber seine Worte nicht zurückhalten.»Er ist quer durch ganz Cornwall gewandert, allein und ohne Hilfe, nur um diesen Namen zu lesen. Deinen Namen.»

Hughs Stimme war heiser.»Das wußte ich nicht. «Er sah auf, sein Blick war plötzlich verzweifelt.»Und seine Mutter?»

«Ist tot. Sie mußte sich sogar irgendeinem verdammten Grundbesitzer hingeben, um ihren Sohn ernähren und kleiden zu können.»

«Das habe ich wirklich nicht gewußt. «In seiner Stimme lag keine Kraft mehr.»Du mußt es mir glauben.»

Bolitho fuhr herum, seine Augen funkelten.»Es ist mir gleichgültig, was du wußtest oder nicht, verstehst du? Ich bin der Kommandant dieses Schiffes, und du bist Mr. Selby, Steuermannsmaat der

Backbordwache!«Er sah, daß sein Bruder unter der Sonnenbräune blaß wurde.»Wenn du dir eingebildet hast, du könntest deiner Vergangenheit entfliehen, dann hast du dich geirrt. Der Mann, der die Fregatte Spartan befehligt, war früher dein Gefangener. Mein Zweiter Offizier und mehrere Leute der Besatzung stammen auch aus Cornwall. «Er schüttelte den Kopf.»Du bist überall von deiner Vergangenheit umgeben, genau wie ich.»

«Danke, daß du mir die Chance gibst, mich…«Er verstummte.

Bolitho trat an die Heckfenster und blickte starr auf die langsam segelnde Hermes hinaus.

«Ich habe gar keine Wahl. Wenn wir beide England heil erreichen, will ich sehen, was getan werden kann, aber ich verspreche nichts. Denk daran. «Er machte eine Handbewegung zur Tür.»Gehe an deinen Dienst und melde dich beim Steuermann. «In der spiegelnden Scheibe des nächsten Fensters sah er die gebeugte Gestalt seines Bruders. Ruhig fügte er hinzu:»Und wenn du dem Jungen gegenüber auch nur die geringste Andeutung machen solltest, sorge ich persönlich dafür, daß du gehängt wirst.»

Die Tür schloß sich, und Bolitho ließ sich schwer in einen Sessel fallen. Wie war das nur geschehen? Ihre Mission konnte noch viele Monate dauern, sogar Jahre. Es war ebenso unerträglich wie unfair.

Die Tür öffnete sich wieder, und Inch fragte besorgt:»Hat Mr. Pascoe Ihnen die Bitte um Erlaubnis, ein zweites Reff zu stecken, vorgetragen, Sir?»

Bolitho stand auf. Er spürte, daß ihm Arme und Beine zitterten, trotz seiner angestrengten Bemühungen, es zu unterdrücken.

«Ja, danke. Ich komme hinauf.»

Inch ging neben ihm zum Achterdeck.»Hat Mr. Selby Ihnen brauchbare Informationen geben können, Sir?»

Bolitho starrte ihn überrascht und verständnislos an.»Informationen? Was für Informationen?»

«Verzeihung, Sir. Ich dachte nur. «Unter Bolithos scharfem Blick verstummte er.

«Ach so. Ich verstehe. «Bolitho ging nach Luv und blickte zu den prall stehenden Segeln auf.»Nur sehr wenige.»

Als die Pfeifen schrillten und die neue Wache aufenterte, stand Bolitho immer noch ohne etwas zu sehen, und spielte mit dem kleinen Medaillon unter seinem Hemd.

Als sich die Dunkelheit über das Schiff senkte und die kleinen Hecklaternen sich wie Glühwürmchen im bewegten Wasser spiegelten, stand er weiterhin an derselben Stelle und starrte mit umwölkten Augen in die Finsternis und noch weit über sie hinaus.

Erst als Gossett mit schweren Schritten und einer starken Rumfahne an Deck kam, um nach dem Kompaß zu sehen und mit den Rudergängern zu sprechen, schien sich der Bann zu lösen. Wortlos ging Bolitho an allen vorbei und zog sich in seine Kajüte zurück.

Gossett blickte ihm nach und rieb sich in plötzlich aufkommendem Unbehagen das kräftige Kinn. Dann sah er zu den gerefften Marssegeln hinauf und klopfte mit einem dicken Finger gegen das Stundenglas.

Der neue Tag würde die Erinnerung an den Kampf vertreiben, dachte er. Es gab kaum etwas, das ein Wechsel von Wind und Wetter nicht ändern konnte.

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