Allday betrat vorsichtig die Kajüte und stellte die große Kaffeekanne auf den Tisch. Das frühe Licht der Morgensonne warf ein helles Muster flimmernder Reflexe auf die Decksbalken. Einen Augenblick konnte er nicht erkennen, wo Bolitho war.»Was wollen Sie?»
Er drehte sich um und sah, daß Bolitho auf der Heckbank unter einem der offenen Fenster lag. Sein Körper war gegen den schweren Rahmen gepreßt, und sein Gesicht erschien wie ein Schattenriß vor dem glitzernden Wasser unten. Sein Hemd war zerknittert und stand bis zur Taille offen. Das schwarze Haar hing ihm in die Stirn, während er teilnahmslos auf die fernen Hügel starrte.
Allday biß sich auf die Unterlippe. Es war offenbar, daß Bolitho nicht geschlafen hatte. In dem hellen Licht konnte er die Schatten unter seinen Augen sehen und die tiefe Verzweiflung seiner Züge.
Er antwortete:»Hab' Ihnen Kaffee gebracht, Käpt'n. Und Petch serviert Ihr Frühstück, sobald Sie soweit sind. «Er ging langsam um den Tisch.»Sie hätten sich ins Bett legen sollen. Sie haben nicht geschlafen, seit…»
«Lassen Sie mich allein!«In Bolithos Stimme lag weder Ärger noch Ungeduld.»Wenn Sie etwas für mich tun wollen, dann holen Sie mir Brandy.»
Allday warf einen schnellen Blick zum Tisch. Neben einem zerknüllten Brief lag ein leeres Glas. Von der Karaffe war nichts zu sehen.»Es ist unklug, Käpt'n…«Er stockte, als Bolitho den Kopf wandte.»Lassen Sie mich erst Ihr Essen holen.»
Bolitho schien ihn nicht zu hören.
«Erinnern Sie sich, was sie sagte, als wir Plymouth verließen, Allday? Sie sagte, wir sollten auf uns aufpassen. «Er preßte die Schultern gegen den Rahmen.»Doch sie starb. «Er wischte die rebellische Locke mit einer Handbewegung aus der Stirn, und All-day sah dadurch die fürchterliche Narbe über dem Auge, die sich wie ein Brandmal von seiner Haut abhob. Die Geste war ihm wie alles an Bolitho so vertraut, daß ihn Rührung überkam.
«Mrs. Bolitho hätte bestimmt nicht gewollt, daß Sie sich derart grämen, Käpt'n. «Er kam ein paar Schritte näher.»Als sie an Bord der alten Hyperion im Mittelmeer war, bewies sie mehr Mut als mancher unserer Männer. Nie habe ich sie klagen hören, wenn es einmal schlecht um uns stand. Sie wäre sehr unglücklich, Sie so niedergeschlagen zu sehen. Und dann denken Sie an die Zeit in Plymouth, als wir das Schiff ausrüsteten. Das waren schöne Tage. «Allday stützte die Hände auf den Tisch, und seine Worten wurden plötzlich flehend.»Sie müssen versuchen, sich an die guten Zeiten zu erinnern, Käpt'n. Ihr zuliebe, aber auch in Ihrem eigenen Interesse.»
Ein Seesoldat klopfte an die Kajütentür, und Allday fuhr mit einem gedämpften Fluch herum.»Raus, verdammt noch mal! Ich habe doch angeordnet, daß der Kommandant alleingelassen wird!»
Das Gesicht des Seesoldaten blieb unbewegt.»Verzeihung, aber ich soll dem Kommandanten melden, daß ein Boot von der Impulsive abgesetzt hat.»
Allday ging zur Tür und warf sie zu.»Ich werde es ihm ausrichten. «Dann wischte er sich die Hände an den Schenkeln ab und überlegte, was er tun solle.
Ein schneller Blick zur verschlossenen Tür der Schlafkammer sagte ihm, daß der Kommodore noch schlief. Sein Mund verzog sich spöttisch. Oder — was wahrscheinlicher war — noch im Rausch lag. Kapitän Herrick kam an Bord, und er war ein Freund. Und soweit Allday wußte, war er der einzige, der Bolitho jetzt helfen konnte.
Er machte ein entschlossenes Gesicht: nicht einmal Herrick sollte Bolitho in diesem Zustand zu Gesicht bekommen: in derangierter Uniform und unrasiert, und den Magen mit mehr Brandy gefüllt, als er vertragen konnte.
Fest sagte er:»Ich werde Sie jetzt rasieren, Käpt'n. Während ich warmes Wasser aus der Kombüse hole, könnten Sie mit dem Kaffee beginnen. «Er zögerte, bevor er hinzusetzte:»Sie hat ihn uns mitgegeben, als wir Plymouth verließen.»
Bevor Bolitho antworten konnte, eilte er aus der Kajüte.
Bolitho schwang die Füße an Deck und streckte die Hand aus, um sich festzuhalten, weil ihn Übelkeit überwältigte. Er war durstig und so müde, daß er fast in sich zusammengesackt wäre; aber All-days letzte Worte veranlaßten ihn, zum Tisch hinüberzugehen.
Er mußte die Zähne zusammenbeißen, als er etwas Kaffee in den Becher goß. Seine Hand zitterte so stark, daß er erst beim zweiten Versuch Erfolg hatte. Dabei rann ihm der Schweiß den Rücken hinunter, als ob er gerade aus einem Alptraum erwacht wäre. Aber es war kein böser Traum, den man beiseite schieben konnte, weder jetzt noch jemals.
Er dachte an Alldays verzweifelte Versuche, ihn aus seiner Lethargie aufzurütteln, an die Blicke, die ihm zugeworfen worden waren, wenn er sich nachts an Deck gezeigt hatte. Einige Blicke waren voller Mitgefühl und Sympathie gewesen, als ob die Leute wie Allday seinen Schmerz mit ihm teilten. Andere hatten ihn nur neugierig und mit unverhohlener Überraschung beobachtet. Meinten sie, weil er ihr Kommandant war, sei er erhaben über jeden Kummer und privaten Schicksalsschlag? Stünde er über allen menschlichen Regungen, wie er über ihrer Welt stand?
Während der Nacht war er ruhelos auf dem Oberdeck herumgewandert, nur halb dessen bewußt, was er tat und wohin ihn seine Füße trugen. Vom nächtlichen Himmel und dem Gewebe der Takelage über sich hatte er etwas Ruhe zurückgewonnen, und während er ziellos über die verlassenen Decks streifte, hatte er das Schiff um sich herum wie ein lebendes Wesen gespürt, das durch seinen Kummer ebenfalls verstummt war. Danach war er in die leere Kajüte zurückgekehrt und hatte sich an das offene Fenster gesetzt, hatte den unverdünnten Brandy getrunken, ohne ihn zu schmecken, und hatte gewußt, daß auf dem Tisch ein Brief lag, den zu lesen er nicht den Mut hatte. Ihr letzter Brief. So voller Hoffnung und Zuversicht.
Allday trat in die Kajüte und legte das Rasierzeug auf den Tisch.»Fertig, Käpt'n?«Er sah zu, wie Bolitho sich schwerfällig zu seinem Stuhl bewegte.»Der Kommandant der Impulsive wird in wenigen Augenblicken an Bord sein.»
Bolitho nickte und lehnte sich im Stuhl zurück. Seine totale Müdigkeit machte ihn wehrlos, als Allday ihm das Gesicht einseifte.
Füße trampelten über seinem Kopf, und er hörte das regelmäßige Rauschen von Wasser, als die tägliche Routine des Deckwaschens begann. Normalerweise hätte er zugehört und eine seltsame Beruhigung bei diesem vertrauten Geräusch empfunden, wenn er sich dazu die Gesichter der Leute vorstellte, die sich allerlei zuriefen, aber seinen Blicken verborgen blieben. Er fühlte, wie das Rasiermesser schnell über seine Wangen glitt und spürte, daß Allday ihn beobachtete. Alles war anders als bisher. Im schien, als ob die verschlossene Kajütentür ihn nicht nur vom Schiff, sondern von der ganzen übrigen Welt trennte.
Das Rasiermesser verhielt mitten in der Luft, und er hörte Inch vom Eingang rufen:»Kapitän Herrick ist an Bord gekommen, Sir. Die anderen Kommandanten werden bei acht Glasen erscheinen.»
Bolitho schluckte und schmeckte den Brandy wie Feuer auf seiner Zunge. Die anderen Kommandanten? Es bereitete ihm physische Anstrengung, sich zu erinnern: Herrick, der von seiner kurzen Besprechung mit dem Kommodore zurückgekommen war. Inch, zwischen Trauer und Anteilnahme hin- und hergerissen, und viele andere, die in dem allgemeinen Durcheinander seiner Gefühle wie Schemen aufgetaucht und verschwunden waren.
Inch fügte hinzu:»Sie kommen zur nächsten Sitzung, Sir.»
«Ja, danke. Bitte sagen Sie Kapitän Herrick, er möchte eine Tasse Kaffee trinken, während er warten muß.»
Die Tür schloß sich wieder, und er hörte Allday wütend murmeln:»Eine schöne Konferenz wird das werden!»
Er fragte:»Geht es dem Kommodore schon besser?»
Allday nickte.»Aye, Käpt'n. Petch kümmert sich um ihn.»Es gelang ihm nicht, die Bitterkeit in seinem Ton zu unterdrücken.
«Soll ich Kapitän Herrick fragen, ob er ihm alles erklären will?«Er wischte Bolithos Gesicht mit einem feuchten Handtuch ab.»Pardon, aber ich glaube, Sie sollten an dieser Konferenz nicht teilnehmen.»
Bolitho stand auf und erlaubte Allday, daß er ihm das zerknitterte Hemd auszog.
«Sie haben recht, sie ist freiwillig. Nun seien Sie so freundlich und beenden Sie Ihre Arbeit und lassen Sie mich dann in Frieden.»
Petch kam aus der Schlafkammer, Pelham-Martins Galarock über dem Arm.
Allday nahm den Rock und hielt ihn gegen das reflektierte Sonnenlicht. Der eingetrocknete Blutfleck wirkte schwarz in dem strahlenden Glanz der Goldstickereien, und als er einen Finger durch das winzige Loch steckte, das der Splitter gerissen hatte, sagte er:»Nicht größer als von einer Florettspitze. «Er warf Petch den Rock mit offenkundigem Ekel zurück.
Bolitho zog das Halstuch fester und empfand das frische Hemd angenehm kühl auf seiner Haut. Innerlich registrierte er all diese Dinge, aber er nahm keinen Anteil daran. Das kleine Loch im Stoff, Pelham-Martins deutliche Absicht, ein Invalide zu bleiben, sogar die Notwendigkeit, daß etwas unternommen wurde, alles schien außerhalb seines Bewußtseins zu liegen und so fern wie der Horizont.
Die plötzliche Aussicht auf eine Zusammenkunft mit den anderen Kommandanten machte ihn nur nervös. Diese beobachtenden Blik-ke, ihr Beileid und ihr Mitgefühl.
Er fuhr Allday an:»Sagen Sie Kapitän Herrick, er soll nach achtern kommen. «Als Allday zur Tür ging, rief er ihm scharf nach:»Und ich möchte gleich eine neue Karaffe!»
Er senkte den Blick, da er Alldays besorgten Ausdruck nicht ertragen konnte. Die Anteilnahme dieses einfachen Mannes und sein Wunsch, ihm zu helfen, waren beinahe schwerer auszuhalten als Verachtung. Allday hätte sich vielleicht weniger um ihn gesorgt, wenn er gesehen hätte, wie er am offenen Fenster geschluchzt hatte. Wenn er von seinem plötzlichen Impuls gewußt hätte, der leeren Karaffe, die er in das Spiegelbild der Sterne hinter dem Heck des Schiffes geworfen hatte, nachzuspringen.
Herrick kam, den Hut unter dem Arm, das Gesicht zu einem zurückhaltenden Lächeln verzogen.
«Ich komme sicher ungelegen, aber ich dachte, es sei besser, wenn ich Sie vor den anderen spreche.»
Bolitho schob ihm einen Stuhl zu.»Vielen Dank, Thomas. Sie kommen nie ungelegen.»
Petch trat ein und stellte eine volle Karaffe auf den Tisch.
Bolitho sah seinen Freund an.»Ein Glas, bevor wir anfangen?«Er versuchte zu lächeln, aber es wirkte wie erfroren.
«Aye, ich könnte einen brauchen. «Herrick beobachtete Bolithos Hand, als die Karaffe gegen das Glas stieß.
Dann sagte er ruhig:»Bevor wir zum Kommodore gehen, gibt es einige Dinge, die ich Ihnen sagen sollte. «Er nippte an seinem Glas.»Die Neuigkeiten, die ich von England mitgebracht habe, sind nicht gut. Die Franzosen sind in den letzten Monaten mehrfach aus ihren Häfen ausgebrochen, selbst aus Toulon. Dort stießen sie aber auf Vizeadmiral Hothams Geschwader, der sie zurückwarf. «Er seufzte.»Der Krieg gewinnt an Dynamik, und einige unserer hohen Herren scheinen der Schnelligkeit des feindlichen Denkens nicht gewachsen zu sein. «Sein Blick folgte der Karaffe, als Bolitho ein neues Glas eingoß.»Lord Howe hat das Kommando über die Kanalflotte an Viscount Bridport abgegeben, so mag es wenigstens dort einige Verbesserungen geben.»
Bolitho hielt das Glas gegen das Licht.»Und was wird mit uns, Thomas? Wann kommen unsere weiteren Verstärkungen? Wohl gerade rechtzeitig genug, um von Lequillers Sieg über uns zu erfahren?»
Herrick betrachtete ihn ernst.»Es sind keine Schiffe mehr übrig. Meines ist das einzige, das für das Geschwader freigemacht werden konnte.»
Bolitho starrte ihn an und schüttelte dann den Kopf.»Ich kann mir vorstellen, daß unser Kommodore sich für diesen Teil Ihrer Neuigkeiten besonders interessiert hat.»
Er trank einen we iteren Schluck und lehnte sich im Stuhl zurück, während der Brandy wie glühendes Eisen in seinen Magen rann.
Herrick erwiderte:»Ich weiß überhaupt nicht, woran ich bei ihm bin. «Er setzte sein Glas auf den Tisch und hielt die Hand darüber, als Bolitho es erneut füllen wollte.»Man müßte ihn zum Handeln zwingen. Ich habe mit Fitzmaurice und dem jungen Farquhar gesprochen und von ihnen gehört, wie Sie über Lequillers Absichten denken. Das scheint mir nur logisch zu sein, aber die Zeit arbeitet gegen uns. Wenn wir die Franzosen nicht zum Kampf stellen können, sind wir hier nutzlos und ließen uns besser in die Heimatflotte einreihen.»
«So, Sie haben also darüber mit ihnen gesprochen?»
Herrick sah auf den Tisch hinunter.
«Und was haben Sie noch herausbekommen?»
«Daß jeder Erfolg, den dieses Geschwader erzielt hat, auf Ihre Initiative zurückging. «Herrick stand auf, und sein Gesichtsausdruck wurde plötzlich streng.»Ich bin mit Ihnen manches Mal im Gefecht gewesen und habe in Situationen, die schlimmer waren, als manche Leute es für möglich hielten, an Ihrer Seite gestanden. Sie wissen sehr gut, was mir unsere Freundschaft bedeutet und daß ich auf der Stelle für Sie in den Tod gehen würde, wenn ich überzeugt wäre, daß das helfen würde. Darum und in Anbetracht dessen, was wir gemeinsam erlebt und geleistet haben, glaube ich, das Recht zu besitzen.»
Er stockte, als Bolitho kühl fragte:»Was für ein Recht wäre das?»
«Das Recht, meine Meinung zu sagen, selbst auf die Gefahr hin, damit eine alte Freundschaft zu zerstören. «Bolitho blickte weg.»Also?»
«In all den Jahren habe ich Sie nie so gesehen wie jetzt. «Er machte eine Geste zur Karaffe hin.»Immer waren Sie bereit, anderen zu helfen und sie zu verstehen, ohne Rücksicht auf Ihre eigenen Empfindungen. Der Verlust Ihrer Frau ist schrecklich. Sie bedeutete auch mir sehr viel, wie Sie sicher wissen. Und es gibt keinen Mann der sie kannte hier an Bord, der jetzt nicht Ihren Schmerz teilt. «Er setzte entschlossen hinzu:»Aber gemessen an dem, was Sie glauben und was Sie andere hinzunehmen gelehrt haben, ist dies eine Privatangelegenheit. Und als solche kann sie nicht, nein, darf sie nicht Ihr Handeln in einem Augenblick beeinflussen, da Sie von uns allen dringend gebraucht werden.»
Bolitho sah ihn kühl an.»Sind Sie fertig?»
«Noch nicht ganz. Sie haben mir oft gesagt, Verantwortung und Befehlsbefugnis seien Vorrechte, aber kein Recht, das sich jederman nehmen kann. Als wir noch auf Fregatten Dienst taten und unser einziges Risiko der Verlust unseres eigenen Lebens war, lebten wir in einer anderen Welt. Hier aber könnten unsere Schiffe über größere Entwicklungen, die wir noch kaum verstehen, entscheiden. «Er schaute böse zur Tür des Schlafraums.»Und wenn wir ein Vorbild suchen, wen haben wir da? Einen Mann, der sich selber etwas vormacht und nur daran denkt, wie er seine Haut retten kann. «Er drehte sich um und sah Bolitho erneut mit gequältem, aber festem Blick an.»Darum schauen wir auf Sie. Auf den Kommandanten der Hyperion und einen Mann, der nie seinen Vorteil vor Ehre und Pflicht gestellt hat. «Er holte tief Luft.»Auf den Mann, den Cheney Seton sich zum Ehemann ausersehen hatte.»
Weit weg hörte Bolitho Pfeifen und das Geräusch längsseit kommender Boote. Die ganze Kajüte schien im Nebel zu schwimmen, und die Worte für eine beißende Entgegnung wollten sich nicht einstellen.
Als er neben dem Tisch stand, trat Herrick vor und ergriff seine Hände.»Glauben Sie mir, Richard, ich weiß, was Sie durchmachen. «Er sah ihm ins Gesicht.»Ich weiß es!»
Bolitho sah ihn ebenfalls an, und ein Schauder überlief ihn.»Vielen Dank, Thomas. Ich wüßte kaum etwas, das unsere Freundschaft jemals zerstören könnte. Und daß Sie Ihre Meinung gesagt haben, gehört nicht dazu, da bin ich sicher.»
Herrick nickte, löste aber nicht seinen Griff um Bolithos Hände. Er sagte:»Ich bin lange genug Seeoffizier, um zu wissen, daß es in unserem Leben nicht die Pelham-Martins sind, die zählen. Sie und Männer wie Sie, welche Zeit gefunden haben, für andere zu denken und vorauszuplanen, werden schließlich entscheiden, was an unserer Sache recht oder unrecht ist. Und eines Tages, vielleicht noch zu unseren Lebzeiten, werden wir dank eines solchen Beispiels eine bessere Marine haben als heute. Eine Marine, in die einzutreten Männer als Berufung ansehen, nicht als verhaßten Zwang. «Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht.»Tyrannen und einflußreiche Einfaltspinsel pflegen sich bei wirklicher Gefahr zu verziehen.»
Bolitho schluckte heftig.»Manchmal glaube ich, daß ich Ihnen ein schlechtes Beispiel gegeben habe, Thomas. Sie waren schon immer ein Idealist, aber jetzt, da Sie ein Schiff zu kommandieren haben, müssen Sie diese Ideale ein wenig zurückstecken und mit den Fortschritten, die Sie selber erreicht haben, zufrieden sein. «Dann lächelte er.»Nun wollen wir die anderen begrüßen. «Er schaute auf die Karaffe hinunter und setzte leise hinzu:»Sie enthielt auch nur wenig Trost.»
Aber später, als er mit den anderen um Pelham-Martins Koje herumstand, wußte er, daß ihnen Schlimmeres bevorstand, als er für möglich gehalten hätte.
In der kleinen Kammer war es drückend heiß. Das Oberlicht war fest geschlossen und nur eine kleine Stückpforte einen Spalt offen, durch den etwas Seeluft hereindrang. Der Kommodore hatte offenbar ein opulentes Frühstück genossen, denn neben seiner Koje standen mehrere leere Teller. Es roch übel nach Brandy und Schweiß.
Pelham-Martin sah ganz wie früher aus. Sein rundes Gesicht glänzte rosarot in der Wärme, und sein mächtiger Körper war bis zum Kinn mit einem Laken bedeckt. Die Gruppe wirkte eher wie Trauernde um einen Leichnam als wie Kommandanten, die auf ein Wort ihres Vorgesetzten warteten.
Bolitho sagte:»Wir sind alle zur Stelle, Sir. «Er warf einen Blick auf die anderen, registrierte den unterschiedlichen Ausdruck ihrer Gesichter und empfand das völlige Fehlen eigenen Engagements. Er fühlte sich wie ein unbeteiligter Zuschauer.
Fitzmaurice blickte grimmig vor sich hin, während Farquhar über den Anblick des Kommodore eher zornig als besorgt schien. Lam-be, der junge Kommandant der Korvette Dasher, der neben Herrick stand, war vielleicht am meisten bewegt. Es schien ihm unmöglich, den Blick von Pelham-Martins Gesicht zu reißen, und er schaute auf die Koje wie jemand, der Augenzeuge von etwas völlig Unverständlichem wird.
Pelham-Martin leckte sich die Unterlippe und sagte dann mit belegter Stimme:»Sie alle haben Kapitän Herricks Neuigkeiten gehört und werden zweifellos die Unmöglichkeit unserer jetzigen Lage erkannt haben. «Er seufzte tief.»Es war gut, daß ich die Nisus weggeschickt habe. Andere werden nun entscheiden, was zu geschehen hat, wenn Lequiller nach Frankreich zurückkehrt oder wohin ihn seine Befehle sonst führen.»
Fitzmaurice sagte:»Und welche Absichten haben Sie mit uns,
Sir?»
«Was kann ich tun ohne mehr Schiffe?«Seine Lippen verzogen sich, so daß er für einen Augenblick aussah wie ein schmollendes Kind.»Man hat mir eine unmögliche Aufgabe gestellt. Ich habe nicht die Absicht, die Chancen meiner Feinde dadurch zu fördern, daß ich zu einer unsinnigen Verfolgungsjagd aufbreche.»
Herrick sprach langsam und bedacht:»Ich glaube, daß Kapitän Bolitho recht hat, Sir. Dieser Perez von Las Mercedes ist ein Trumpf-As in der Hand der Franzosen, das sie für einen Aufstand benutzen können, um damit einen weiteren Keil zwischen uns und Spanien zu treiben.»
Der Kommodore wandte ihm das Gesicht zu.»Wollen Sie damit sagen, ich solle dieses Geschwader auf irgendein dummes, unbegründetes Gerücht hin fünftausend Meilen über den Ozean segeln lassen?«Sein Gesicht zuckte, und er ließ den Kopf auf das durchschwitzte Kissen sinken.»Wenn Sie das glauben, Herrick, sind Sie noch beschränkter, als ich Ihnen zugetraut hätte.»
Fitzmaurice schaute zu Bolitho hinüber, als erwarte er von ihm Führung und Beispiel. Dann sagte er nur kurz:»Ich meine, Sie sollten mehr Rücksicht auf Ihre Wunde nehmen, Sir. Es ist gefährlich, sie unbehandelt zu lassen.»
Pelham-Martin sah in finster an.»Diese Fürsorge macht Ihnen Ehre. Es ist traurig, daß die anderen nur so spärliches Mitgefühl gezeigt haben.»
Bolitho ballte die Fäuste und starrte auf das Wandschott jenseits der Koje. Die Hitze in der Kammer, der Brandy und die überwältigende Aussicht auf eine Niederlage machten ihn fast unempfänglich für die Spannung ringsum. Während er seinen Blick auf das Schott gerichtet hielt, schoß eine Erinnerung durch seinen Kopf, die ihn fast wieder in Verzweiflung warf. In dieser Kammer hatte Cheney während ihrer Fahrt von Gibraltar nach Cozar geschlafen. In dieser Kammer und in dieser Koje, während er in einiger Entfernung von ihr geblieben war, sich aber mit jeder Stunde ihr näher gefühlt hatte.
Die anderen sahen ihn an, als er mit einiger Schärfe sagte:»Es gibt keine andere Möglichkeit: Sie müssen die Jagd aufnehmen. «Sein Blick blieb weiter auf einen Punkt über der Koje gerichtet.
«Kapitän Fitzmaurice hat Gefangene von der Prise an Bord, darunter den Kommandanten. Wir sollten aus ihnen einiges herausholen können.»
Pelham-Martins aufsteigender Ärger über Bolithos Unterbrechung machte gleich darauf unverhohlenem Triumph Platz.»
«Wußten Sie's noch nicht? Farquhar hat keinerlei Dokumente oder versiegelte Befehle an Bord gefunden.»
Farquhar wandte sich zu Bolitho um, als der ihn fragend ansah.
«Das stimmt. Sie haben jedes Beweisstück über Bord geworfen, als die Niederlage unvermeidlich wurde. Der Erste Offizier ist gefallen, und nur der Kommandant weiß etwas, das uns nützen könnte, aber er bricht seinen Eid nicht. «Er zog bedauernd die Schultern hoch.»Es tut mir leid, aber ich konnte nichts weiter tun.»
Pelham-Martin rührte sich unter seinem Laken.»Ich möchte einen neuen Verband. Schicken Sie sofort nach meinem Diener!«Er hob den Kopf.»Das ist alles, meine Herren. Ich habe dem im Augenblick nichts hinzuzufügen.»
Sie gingen hintereinander hinaus und trafen sich in der Kajüte. Schweigend blieben sie vor den offenen Fenstern stehen.
Farquhar sagte schließlich bitter:»Das scheint den Fall zu beenden.»
Aber keiner von ihnen rührte sich vom Fenster weg. Bolitho konnte ihre Unsicherheit, ihr Zaudern, als erster das entscheidende Wort zu sagen, fast spüren.
Er begann ruhig:»Den Befehlen des Kommodore entgegen zu handeln ist Insubordination. «Er sah sie alle der Reihe nach an.»Eine Änderung seiner Taktik ist nur zu erzwingen, wenn man ihn seines Kommandos entbindet!«Seine Stimme blieb ruhig, aber jeder der Offiziere fühlte sich angesprochen.»Ich will Sie nicht weiter mit hineinziehen, indem ich Sie frage, wie Sie unsere Erfolgschancen einschätzen. Der Kommodore ist verwundet, wie schwer, können wir nicht ohne genaue Untersuchung wissen, und die läßt er nicht zu. Um ihn zu suspendieren, muß ich als der dienstälteste Kommandant ihm entgegentreten und seinen Stander herunterholen. «Er ging zum Tisch und berührte die Tülle der Karaffe mit den Fingern.»Danach bin ich kompromitiert, und — ob zu recht oder unrecht — alle, die meinem Beispiel folgen, auch.»
Herrick sagte mit fester Stimme:»Ich stehe hinter Ihnen, hier meine Hand darauf.»
Bolitho lächelte.»Denken Sie erst nach, bevor Sie den Sprung wagen. Wenn der Kommodore gesund wird und unser Vorgehen anzeigt, kann es nur ein einziges Urteil geben. Selbst wenn er es nicht tut, würde man es als Treulosigkeit, die an Meuterei grenzt, ansehen. Und das besonders, weil große Aussicht auf einen eklatanten Fehlschlag besteht.»
Fitzmaurice sah ihn finster an.»Es ist ein beunruhigender Vorschlag. Ich würde lieber hundert Breitseiten entgegensehen als Ihrer Entscheidung.»
Bolitho entfernte sich vom Tisch und hielt am Kajütschott inne, über dem sein Säbel hing.
«Überlegen Sie gründlich, welche Alternativen Sie haben. Falls Sie hier vor Anker warten, bis der Kommodore so weit wiederhergestellt ist, daß er seine Pläne ändern könnte, wird man Sie später kritisieren; aber niemand kann Ihnen einen ernsten Vorwurf daraus machen, daß Sie nur seinen Befehl befolgt haben. Während. «Das Wort hing in der Luft.»Wenn Sie mir folgen, könnten Sie in wenigen Wochen Schlimmeres erleiden.»
Farquhar sagte ruhig:»Sie haben sich also schon entschieden?«Er durchquerte den Raum und schaute zu dem alten Säbel empor.»Der weckt die eine oder andere Erinnerung. «Dann sagte er:»Für mich gibt es keinen Zweifel. «Er sah die anderen an.»Ich bin dafür, daß wir die Jagd fortsetzen.»
Bolitho wandte sich ihm zu und betrachtete ihn ernst. Farquhar hatte unter allen Anwesenden vielleicht das meiste zu verlieren. Es war eigenartig, wenn er überlegte, vor wie kurzer Zeit Farquhar noch sein Midshipman gewesen war und Herrick sein Erster Offizier. Jetzt war er Fregattenkapitän und jung und ehrgeizig genug, um einmal zu höheren Ehren aufzusteigen. Herricks Reaktion auf seinen Vorschlag war spontan und voraussehbar gewesen. Für ihn zählte nur die unbedingte Treue. Keinen Augenblick hatte er die möglichen Folgen ihrer leichtfertigen Verschwörung bedacht. Fitzmaurice würde sich den übrigen anschließen, während der junge Lambe noch nicht ernsthaft mitzählte, was auch kommen mochte.
Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und versuchte, die immer wiederkehrenden Konzentrationsschwächen zu überwinden.
War er nur durch ihre Reaktionen angetrieben worden, oder hatte er alles von Anfang an so geplant gehabt?
Er hörte sich fragen:»Ist der französische Kommandant unter Bewachung an Land?»
Farquhar schüttelte den Kopf, den Blick immer noch auf Bolithos Gesicht gerichtet.»Nein, ihn und die restlichen Offiziere habe ich an Bord der Spartan behalten. Er heißt Poulain und ist, wie ich glaube, ein sehr harter Mann.»
Bolitho nahm den Säbel herunter und drehte ihn in den Händen. Wie viele Fahrten, wie viele Kämpfe mit den Feinden seines Vaterlandes hatte er miterlebt? Auf fast allen Familienporträts in dem alten Haus in Falmouth war er zu sehen, getragen von Kapitänen und Admiralen, die ebenso vergessen waren wie ihre Schiffe und Kämpfe. Beinahe hätte es auch einen Sohn gegeben, der ihn eines Tages hätte tragen können. Aber vielleicht war es besser so. Wenn diese Waffe mit Schande bedeckt wurde, war sie besser genauso vergessen wie er.
Er sagte:»Bringen Sie Kapitän Poulain und seine übrigen Offiziere auf die Hyperion.«Er machte eine Pause, als er die Betroffenheit auf Herricks Gesicht sah.»Und außerdem zehn von seinen Leuten.»
Herricks Stimme klang heiser:»Dann sind wir uns also einig?»
«Es scheint so. «Bolitho nickte langsam.»Hoffentlich werden Sie Ihre Zustimmung nicht bereuen müssen.»
Farquhar griff nach seinem Hut und betrachtete ihn nachdenklich.»Zumindest wissen wir eines: Lequiller hat keine Fregatte mehr, seit wir die Thetis genommen haben. Was uns an Stärke fehlt, können wir durch größere Beweglichkeit gutmachen. «Ein schnelles Lächeln huschte über seine Lippen.»Poulain wird genauso neugierig sein wie ich, wenn er von seiner Vorladung erfährt. Mir scheint, daß er sich mehr Gedanken um seinen Sohn macht, der als Leutnant unter ihm diente, als über den Verlus t seines Schiffes. Lequiller hat in seinen Untergebenen große Siegeszuversicht geweckt. «Er stülpte den Hut auf und fügte hinzu:»Ich würde den Verlust meines Schiffes jedenfalls nicht so leichtnehmen.»
Fitzmaurice sah ihm nach und fragte dann:»Wann werden Sie zum Kommodore gehen?«Er hatte beinahe geflüstert, und Bolitho empfand Mitleid mit ihm. Fitzmaurice besaß nur seinen Rang und seine militärischen Verdienste. Die Gewißheit, daß er im Augenblick der Entscheidung nicht allein dastand, konnte ihn nur wenig trösten.
«Gleich. Aber jetzt — wenn Sie so lange hierbleiben wollen — möchte ich erst an Deck gehen. Ich muß mit Allday über eine Angelegenheit sprechen, die sich nicht aufschieben läßt. «Er hängte den Säbel wieder an seinen Haken und ging zur Tür.
Als sie sich hinter ihm schloß, stieß Lambe hervor:»Mein Gott, wie kann er so ruhig bleiben, wenn sein Kopf auf dem Spiel steht?»
Herrick sagte:»Das habe ich mich schon oft gefragt. «Er dachte an Bolithos Augen und das Leid, das dahinter verborgen lag, als er ihnen seine Gedanken entwickelt hatte.»Die Antwort weiß ich immer noch nicht.»
Weniger als eine Stunde später, als die Glocke auf der Back gerade zwei Glasen anschlug, ging Bolitho langsam aufs Achterdeck und lehnte sich einen Augenblick an die Reling. Die Sonne warf scharfe Schatten der Rahen und Wanten aufs Deck. Auf der anderen Seite der Bucht sah er ein leichtes Kräuseln des Wassers, das sich ihnen näherte und eine frische Brise als Milderung der Nachmittagshitze versprach.
Im Schiff war es seltsam ruhig, aber er blieb sich der ihn beobachtenden Seeleute auf der Laufbrücke und oben in der Takelage bewußt, die dem kommenden Schauspiel gespannt entgegensahen.
Mitten auf dem Hauptdeck standen, umgeben vom scharlachroten Karree der Seesoldaten, die ausgewählten französischen Gefangenen. Ihre Gesichter drückten Neugier und Furcht aus, als sie auf die einsame Gestalt an der Querreling blickten.
Hauptmann Dawson kam über das Deck und faßte zur Ehrenbezeigung kurz an seinen Hut. Sein gerötetes Gesicht war finster und drückte gleichzeitig Besorgnis aus.
«Fertig, Sir.»
«Sehr gut.»
Bolitho hielt das Gesicht der aufkommenden Brise entgegen und holte tief Luft. Hinter sich hörte er schwere Schritte, und als er sich umdrehte, sah er Farquhar, begleitet von einem Seesoldaten, und zwischen ihnen den französischen Kommandanten. Er war schon alt für seinen Rang, machte aber den Eindruck, als ob er etwas könne und viel Selbstbeherrschung besitze. Vor allem schien er, wie Farquhar es beschrieben hatte, ein harter Mann zu sein.
«Sprechen Sie englisch, Kapitän?«Bolitho sah ihn an, seine Stimme war ruhig, aber er spürte Trockenheit in der Kehle angesichts der zahllosen stummen Zuschauer.
«Wie's beliebt. «Kapitän Poulain beobachtete ihn ebenfalls aufmerksam.»Aber dem, was ich Ihrem jungen Offizier gesagt habe, ist nichts hinzuzufügen.»
Bolitho nickte.»Aha. Sie meinen den jungen Offizier, der Ihnen Ihr Schiff abnahm. Ja, ich verstehe.»
Poulains Augen warfen ärgerliche Blitze.»Ich werde nichts mehr sagen. Ich kenne meine Rechte und den Ehrenkodex, den Sie in Ihren angekränkelten Seelen so hoch halten.»
Bolitho sah, wie Dawson sich auf die Lippen biß, fuhr aber ruhig fort:»Ich ziehe es vor, Fragen der Ehre nicht mit Ihnen zu diskutieren. Ich wurde unterrichtet, daß die Spartan beim Durchfahren der Riffe von Pascua die Reste des holländischen Schoners Fauna entdeckte. Von Ihren Kanonen zerschossen, glaube ich, als er zu entkommen versuchte.»
Poulain betrachtete ihn kühl.»Es ist Krieg. Da bleibt keine Zeit für Gefühlsduseleien.»
«Aber die Fauna war unbewaffnet und hatte nur harmlose Fischer und ihre Familien an Bord. «Bolitho verschränkte die Finger hinter sich, um sich kein Zeichen der Gemütsbewegung zu gestatten.»Ich wiederhole also: es hat keinen Zweck, mit Ihnen über Ehre zu diskutieren.»
«Dann möchte ich an Land gebracht werden. «Poulains Mund verzog sich zu einem überlegenen Lächeln.»Zweifellos wird man mich gegen einige der vielen Gefangenen, die mein Land gemacht hat, austauschen.»
Bolitho nickte.»Zweifellos, Kapitän. Aber zuvor ist da noch eine Kleinigkeit, die ich von Ihnen erklärt haben möchte. «Er sah den Franzosen durchdringend an.»Ich möchte den Treffpunkt wissen, zu dem Sie nach Abschluß Ihrer Reparaturen befohlen sind. Damit meine ich: wo plant Vizeadmiral Lequiller seinen nächsten Angriff?»
Einen Moment sah er in den Augen des Franzosen Überraschung aufblitzen. Dann fiel die Klappe, und sein Ausdruck wurde so beherrscht wie zuvor.
«Ich weiß gar nichts. Und wenn ich etwas wüßte, würde ich es Ihnen nicht sagen.»
«Wir sind uns beide darüber klar, daß Sie lügen. «Bolitho spürte, wie ihm der Schweiß über Brust und Rücken lief. Das Hemd klebte ihm auf der Haut, als er fortfuhr:»Lequiller verließ die Gironde mit ganz bestimmten Befehlen. Er führte den ersten Teil dieser Befehle bei Las Mercedes aus und als er die San Leandro kaperte. Nun möchte ich wissen: Wie lauten die übrigen Befehle. Nichts weiter.»
«Sie sind ein Narr!»
Bolitho hörte Inch nach Luft schnappen und sah, wie einer der Seesoldaten ärgerlich mit seiner Muskete hantierte.
Er ging auf die andere Seite des Achterdecks. Die Sonne brannte ihm auf die Schultern, er fühlte sich schwach, und ihm war übel nach dem Brandy auf leeren Magen, aber er zwang sich, langsam zu gehen, da er sich des Schweigens ringsum und der Zuschauer bewußt war.
«Mr. Tomlin, räumen Sie die Backbord-Laufbrücke!«Er brauchte die Stimme nicht zu heben, denn die betroffenen Männer traten von allein auf die Back zurück, als hätten sie Angst, das Schweigen zu brechen.
Ohne den Kopf zu wenden, fuhr Bolitho fort:»Nun, Kapitän Poulain, ich werde jetzt einen Ihrer Leute erschießen. Oder hinrichten, wenn Ihnen dieser Ausdruck genehmer ist. «Seine Stimme wurde härter.»Vielleicht erinnern Sie sich unserer Gefangenen, die auf dem Flaggschiff Ihres Admirals aufgehängt wurden. Das mag Ihnen helfen, eine Entscheidung zu fällen.»
Zwei Seesoldaten kamen die Backbord-Laufbrücke entlang, und ihre Waffenröcke glühten im strahlenden Sonnenlicht blutrot. Zwischen sich führten sie einen Mann in der Uniform eines französischen Steuermannsmaaten. Ihm waren die Augen verbunden und die Hände auf dem Rücken gefesselt.
Der Leutnant der Seesoldaten kam nach achtern und meldete förmlich:»Gefangener vorgeführt, Sir.»
«Sehr schön, Mr. Hicks. «Bolitho streckte die Hand aus.»Eine Pistole, bitte!»
Dann schritt er ruhig, die Pistole lose an der Seite, die Lauf brükke entlang, über die Zwölfpfünder hinweg und an den aufgereihten Booten vorbei. Auf halbem Wege drehte er sich um und schaute zur Gruppe auf dem Achterdeck zurück, doch wegen der unerträglichen Spannung, in der er sich befand, sah er sie nur verschwommen.»Nun, Kapitän Poulain?»
«Man wird Sie dafür eines Tages zur Rechenschaft ziehen!«Pou-lain wollte einen Schritt vorwärts machen, wurde aber von den Seesoldaten zurückgehalten.»Und Sie wollen Kapitän sein? Sie sind es nicht wert, daß Sie leben!»
Bolitho drehte sich schnell um, und während die Seesoldaten beiseite traten, hob er die Pistole und feuerte. Der scharfe Knall ließ mehr als einen Seemann vor Schreck aufschreien. Der Mann mit den verbundenen Augen fiel gegen die Netze zurück und sank dann schwer zu Boden. Seine Beine schlugen noch einmal kurz aus, dann lag er still.
Bolitho wandte sich wieder dem Achterdeck zu. Der Qualm aus der Mündung der Pistole trieb an ihm vorbei, als er den französischen Kapitän einige Sekunden lang beobachtete.
Poulains Stimme klang, als würde er erwürgt.»Frankreich wird das nicht vergessen. Sie sind ein Schlächter. Aber Sie können mich und alle meine Leute erschießen, es wird Ihnen nichts nützen!«Er kämpfte gegen den festen Griff der Seesoldaten.»Ich spucke auf Sie und Ihr Schiff!«Dann wandte er sich um, als zwei weitere Seesoldaten vorn auf der Laufbrücke erschienen.
Bolitho beobachtete sein plötzliches Entsetzen und sagte:»Nicht alle Ihre Leute, Kapitän, sonder nur Ihren Sohn!»
Er winkte Leutnant Hicks, als der junge Franzose, ebenfalls mit einer Binde vor den Augen, herangeführt wurde und die Gruppe bei der regungslos daliegenden Gestalt des anderen anhielt.
«Eine neue Pistole, Mr. Hicks!«Als sie ihm gereicht wurde, mußte er sie mit aller Kraft packen, damit sie nicht zitterte.
«Sie haben eine Minute Bedenkzeit. «Er hob die Pistole und visierte über den Lauf hinweg die Brust des französischen Leutants an, während das übrige Schiff und die reglos dastehenden Seeleute wie im Nebel vor ihm verschwanden. Sehr bedächtig spannte er den Hahn. Ein Seesoldat zuckte bei dem Geräusch zusammen, als wäre er getroffen worden.
«Halt!«Poulain schrie es in höchster Not.»Schießen Sie nicht! Haben Sie Mitleid, töten Sie nicht meinen Sohn!«Bolitho blieb, wo er war, senkte aber die Waffe etwas.»Ich warte, Kapitän!»
Poulain schrie:»Ich trage schriftliche Befehle bei mir. Sie sind in meinen Rock eingenäht.»
Bolitho schwankte und preßte den Arm gegen die Stirn. Dann hörte er Farquhars Stimme wie aus weiter Ferne:»Ich habe sie!»
Bolitho reichte Hicks die Pistole zurück und ging langsam zum Achterdeck.
«Vielen Dank, Kapitän. Ich bin nicht stolz auf das, was ich getan habe. Aber wie Sie vorhin sagten: es ist Krieg. Nun werden Sie an Land gebracht und dem holländischen Gouverneur übergeben.»
Er sah zu, wie der französische Leutnant wieder nach unten gebracht wurde, und setzte kalt hinzu:»Wenn Sie das nächste Mal in Versuchung geraten, wehrlose Leute zu töten, erinnern Sie sich vielleicht der heutigen Lektion.»
Poulain sah ihn mit unverhülltem Haß an.»Sie sind ebenso ein Mörder wie ich.»
Bolitho antwortete erschöpft:»Nicht ganz, Kapitän. «Er machte eine Handbewegung zur Laufbrücke.»Sie können jetzt aufstehen, Allday, die Vorstellung ist beendet.»
Man hörte ein großes Aufatmen bei den Seeleuten, als der» Leichnam «sich zwischen den beiden grinsenden Seesoldaten aufrappelte.
«Wie Sie sehen, Kapitän, hat er keinen Schaden genommen. «Dann wandte er sich ab, weil er die Bestürzung und Scham auf Poulains Gesicht nicht mehr ertragen konnte.
Herrick trat unter der Hütte hervor und war mit drei Schritten an seiner Seite.»Das war knapp. «Er nahm Bolitho am Arm und führte ihn an den erleichtert grinsenden Seeleuten vorbei.»Ich habe nichts geahnt, und die anderen auch nicht.»
Bolitho hörte Gelächter und fröhliche Rufe hinter sich und dachte an das schwer gezeichnete Gesicht des anderen Kapitäns.»Es hat mir keinen Spaß gemacht, Thomas.»
Er hielt am Niedergang kurz an und schaute auf seine Hände. Er erwartete, daß sie heftig zitterten.
Herrick fragte:»Hätten Sie den Leutnant tatsächlich erschossen, wenn Poulain stumm geblieben wäre?«Er sah, wie die Gefangenen zu den wartenden Booten gebracht wurden.»Hätten Sie das tun können?»
Bolitho schaute über ihn hinweg.»Ich weiß es nicht, Thomas. «Er schüttelte den Kopf.»Bei Gott, ich weiß es nicht.»