VIII Neuigkeiten für den Kommodore

Der Marinesoldat salutierte stramm, als Bolitho in die Achterkajüte trat und die Tür hinter sich schloß. Alle Fenster waren weit geöffnet, und Decke und Wände waren mit Reflexen des bewegten Wassers draußen bedeckt. Die Hyperion rollte geruhsam vor Anker, und wenn er durch eines der Heckfenster blickte, sah er die nahe Halbinsel in der heißen Luft flimmern: grün, friedlich und ein starker Kontrast zu dem Anblick, den er auf dem Oberdeck gerade hinter sich gelassen hatte.

Durch die offene Tür zum Schlafraum hörte er Pelham-Martin rufen:»Nun, was haben Sie mir zu melden?»

Bolitho stützte sich auf den Schreibtisch und starrte mit leerem Blick auf das klare Wasser unterm Heck.»Zwanzig Tote, Sir. Zwanzig weitere schwerverwundet. «Es schien ihm wenig sinnvoll, die anderen zu erwähnen: die mit Fleisch wunden und Verbrennungen, oder jene, die taub geworden waren, vielleicht für immer.

«Verstehe. «Es war zu hören, wie Kisten über den Boden der Kajüte geschleift wurden, und dann trat Pelham-Martin mit schweren Schritten in die Reflexe des Sonnenlichts.»Was ist mit den Verwundeten? Werden sie sich erholen?»

Bolitho konnte ihn nur stumm anstarren. Die Hyperion hatte vor weniger als dreißig Minuten Anker geworfen, und während er das Zuwasserlassen der Boote überwacht und das Ausmaß der Schäden am Rumpf und in der Takelage abgeschätzt hatte, hatte sich der

Kommodore anscheinend mit mehr persönlichen Problemen befaßt. Er trug seinen Paraderock, und sein weißes Hemd und seine weißen Breecheshosen sahen aus, als ob sie gerade vom Schneider gekommen wären.

Schließlich sagte Bolitho:»Meist sind es Splitterverletzungen, Sir, aber fünf haben Arme oder Hände verloren.»

Pelham-Martin betrachtete ihn ernst.»Nun, ich muß an Land und den Gouverneur dieser, äh, dieser Siedlung aufsuchen. «Er zupfte die Manschette seines Hemdes unter dem goldbestickten Ärmel hervor.»Notwendig, aber trotzdem verdammt lästig. «Er sah sich in der Kajüte um.»Sie bleiben besser hier und tun das Erforderliche, damit das Schiff wieder einsatzfähig wird. «Er ließ den Blick auf Bolithos zerrissenem Hemd ruhen.»Und ich würde vorschlagen, daß Sie auch etwas für Ihr Äußeres tun.»

Bolitho sah ihn kalt an.»Ich war der Ansicht, daß es zunächst Wichtigeres für mich zu tun gab, Sir.»

Der Kommodore hatte dafür nur ein Achselzucken übrig.»Diese Haltung führt zu nichts. Sie kannten das ungleiche Kräfteverhältnis, und dennoch haben Sie das Gefecht herausgefordert.»

«Wären wir eine Woche früher hier gewesen, Sir, wäre es gar nicht zu einem Gefecht gekommen, es sei denn, zu unseren Bedingungen.»

Der Kommodore betrachtete sich im Spiegel an der Schottwand.»Mag sein. «Heftig drehte er sich nach Bolitho um.»Es ist uns jedoch gelungen, die Franzosen zu vertreiben, und ich werde dafür sorgen, daß Ihr Anteil daran in meinem Bericht berücksichtigt wird. Doch jetzt muß ich Sie verlassen. Wenn ich gebraucht werden sollte, schicken Sie ein Boot zur Stadt. «Er ging an ein Heckfenster und beugte sich hinaus.»Ich muß sagen, es lief nicht alles so, wie ich erwartet hatte.»

Bolitho sah ihn angewidert an. Es war überraschend, wie sehr Pelham-Martin sich seit Beendigung des Kampfes verändert hatte. Von dem verzweifelten, bleichen Mann in schwerem Bootsmantel war nichts übriggeblieben. Er wirkte kalt und unberührt und verriet sogar schon eine gewisse Erwartung, was die ferne Stadt ihm wohl bieten mochte.

Bolitho spürte, daß der Ärger in ihm brannte wie scharfer Schnaps. Wie konnte Pelham-Martin sich gerade jetzt so kalt und gleichgültig zeigen, obwohl das kleinste Zeichen von Mitgefühl und Verständnis von größtem Wert für die Leute gewesen wäre, die gegen eine so starke Übermacht gekämpft hatten? Auch wenn das holländische Schiff im richtigen Augenblick gekommen war, die Matrosen und Marinesoldaten der Hyperion hatten ihren Wert bereits bewiesen.

Er sagte:»Ich werde die Barkasse für Sie rufen lassen, Sir.»

Pelham-Martin nickte.»Gut. Ein Glück, daß sie unbeschädigt geblieben ist. Ich war überrascht, daß Sie während der Kampfhandlung alle Boote an Bord ließen.»

Bolitho starrte wütend den breiten Rücken des Kommodore an.»Der Wind war schon schwach genug, Sir. Wenn wir auch noch die Boote hätten schleppen müssen, wäre das zuviel gewesen. Und sie abtreiben zu lassen…«Er kam nicht weiter.

Pelham-Martin richtete sich hoch auf und wandte sich ihm schroff zu.»Ich bin an Entschuldigungen nicht interessiert, Bolitho. Jetzt rufen Sie bitte mein Boot.»

Auf dem Achterdeck brannte die Sonne scharf, aber in seiner Verärgerung bemerkte Bolitho es kaum.

Inch meldete:»Alle Boote liegen längsseit, Sir. Mr. Tomlin läßt bereits Sonnensegel über den Niedergängen spannen, und ich habe alle Stückpforten öffnen lassen. «Er zögerte, als er Bolithos grimmiges Gesicht wahrnahm.»Sir?»

Bolitho blickte an ihm vorbei. Das holländische Schiff wurde bereits von kleinen Fahrzeugen vom Ufer her umschwärmt. Andere in allen Formen und Größen näherten sich zögernd der Hyperion. Offensichtlich waren die Insassen sich nicht im klaren, ob sie längsseit gehen oder sich in diskretem Abstand halten sollten. Die Hyperion mußte ein erschreckendes Bild bieten, dachte er grimmig. Von Einschlägen zernarbt und rauchgeschwärzt, die meisten ihrer Segel zu durchlöchert und zerfetzt, um sie festzumachen.

Er sagte:»Setzen Sie alle Leute ein, um die Schäden zu beseitigen, Mr. Inch. Aber zuerst müssen sie verpflegt werden. Schicken Sie einen Offizier mit zwei Booten an Land, sobald der Kommodore abgelegt hat; er soll so viel frisches Obst beschaffen, wie er bekommt. Um Fleisch und Frischwasser werde ich mich bemühen, sobald ich kann.»

Inch fragte:»Darf ich etwas sagen, Sir?»

Bolitho sah ihn zum erstenmal an.»Nun?»

«Wir sind alle glücklich, daß wir noch leben, Sir. Ohne Sie.»

Bolitho drehte sich um, um Perks, den Segelmacher, und seine Gehilfen zu beobachten, die ihrer grausigen Aufgabe nachgingen, die letzten Toten einzunähen und für ihre Beisetzung fertigzumachen.

«Einige haben nicht das Glück gehabt, Mr. Inch.»

Inch trat von einem Fuß auf den anderen.»Ich hätte aber nie geglaubt, daß sich neue, unausgebildete Männer so verhalten würden, wie unsere Leute es getan haben, Sir.»

Bolitho spürte, daß sein Zorn nachließ. Inch war so ernst, so unverkennbar aufrichtig, daß es ihm schwerfiel, von seiner Anteilnahme unberührt zu bleiben.

«Ich stimme Ihnen zu. Sie haben sich gut gehalten. «Er machte eine Pause.»Und Sie auch. «Er beschattete seine Augen, um zur Stadt hinüberzublicken.»Und jetzt lassen Sie die Seitenwache für den Kommodore antreten.»

Als Inch davoneilte, trat Bolitho an die Netze und sah mit leerem Blick auf die ferne Ansammlung weißer Gebäude hinüber. Deutlich hoben sie sich von dem Abhang dahinter ab und sahen aus wie ein Teil von Holland, dachte er. Die erste holländische Garnison oder die ersten Siedler mußten in Erinnerung an ihre Heimat gebaut haben; selbst durch den Hitzeglast waren die hochgezogenen, spitzen Dächer der größeren Häuser und die flachen Fassaden der niedrigeren Bauten zu erkennen, die alle ein Teil von Rotterdam oder einer anderen holländischen Hafenstadt hätten sein können.

Midshipman Gascoigne zog Bolithos Blick auf sich.»Signal von der Abdiel, Sir. Sie hat fünf Tote. Keine ernsten Beschädigungen.»

Bolitho nickte. Die stärkere französische Fregatte war mehr darauf bedacht gewesen, ihr Landekommando zurückzuholen und ihre Boote in Sicherheit zu bringen; die Abdiel hatte sich zwar wacker gehalten, aber auch eine gehörige Portion Glück gehabt.

Er sagte:»Übermitteln Sie Captain Pring bitte meine besten Wünsche.»

Die erschöpften und schmutzigen Matrosen zogen sich zurück, als die Marinesoldaten an der Schanzpforte neben den Bootsmannsmaaten und Pfeifern Aufstellung nahmen. Bolitho sah an seiner eigenen verwahrlosten Erscheinung hinunter. Die Marinesoldaten waren eine merkwürdige Brut, dachte er flüchtig. Vor zwei Stunden noch waren sie auf ihren Gefechtsstationen gewesen, hatten so wild und verzweifelt wie alle anderen gebrüllt und gekämpft. Doch jetzt, als Leutnant Hicks vor dem vorderen Glied stand und ihre Uniformen inspizierte, war es kaum zu glauben, daß sie überhaupt im Einsatz gewesen waren. Er hörte Gossett hinter sich zu jemand anderem sagen:»Die Bullen* überleben immer, solange sie ihre Tonpfeifen und verdammten Stiefel behalten. «Aber es lag echte Bewunderung darin.

Pelham-Martin kam langsam ins Sonnenlicht und rückte seinen Hut zurecht. Bolitho beobachtete ihn ohne jede Empfindung. Der Kommodore schien niemanden in seiner Nähe wahrzunehmen, und als er über eine große getrocknete Blutlache ging, wo wenige Schritte entfernt ein Mann gestorben war, zuckte er nicht einmal zurück.

Pelham-Martin fragte:»Wann werden Sie die neue Großmaststenge aufgeriggt haben?»

Bolitho erwiderte:»Mr. Tomlin ist bereits dabei, Sir. Wir hatten in Plymouth reichlich Ersatzmaterial geladen.»

«Welch ein Glück, Bolitho.»

Ein Matrose rief:»Von dem Holländer kommt ein Boot herüber!»

Pelham-Martin verzog das Gesicht.»Verdammt! Dann muß ich wohl noch eine Weile an Bord bleiben.»

Inch eilte zur Schanzpforte, dankbar für diese unerwartete Störung. Er hatte bemerkt, daß Bolithos Augen wieder hart geworden waren, und verfluchte innerlich Pelham-Martins Dummheit und Ignoranz. Dachte der denn nicht, wieviel Mühe und Schweiß es Bolitho gekostet hatte, dieses Ersatzmaterial einer Werft abzupressen, die große Übung darin besaß, einem Schiff gerade nur die dürftigste Ausrüstung zuzugestehen?

Er rief:»Das Boot hat einen Kapitän an Bord!«Er blinzelte.»Nein, Sir: zwei Kapitäne!»

Der Kommodore knurrte:»Die kommen doch nur, um mit ihrem Anteil an der ganzen Angelegenheit zu prahlen. Sollte mich jedenfalls nicht wundern.»

Das Boot legte an den Ketten an, und als die Pfeifen schrillten * Spitzname für Seesoldaten und die Marinesoldaten ihre Musketen mit aufgepflanzten Bajonetten präsentierten, erschien der erste Besucher in der Schanzpforte.

Er nahm seinen Hut ab und sah sich langsam auf dem von Menschen wimmelnden Hauptdeck um. Sein Blick blieb auf der Reihe eingenähter Leichen haften, auf den zersplitterten Planken, dem abgerissenen, herumliegenden Tauwerk. Er war ein älterer Mann, wahrscheinlich schon über sechzig, und sein linker Ärmel war leer und unter einem strahlenden goldenen Orden an die linke Brustseite geheftet. Sein Haar war beinahe weiß, aber sein Gesicht war von der Sonne wie Mahagoni gebräunt und sein Schritt so sicher und leicht wie der einer Katze.

Dann sah er Pelham-Martin und trat vor, um ihn zu begrüßen.»Ich darf Sie und Ihre Schiffe in St. Kruis willkommen heißen, Sir. Ich bin Pieter de Block, Gouverneur meines Landes und Ihr Verbündeter. «Sein Englisch kam zögernd, war aber ausgezeichnet.»Ich besuchte eine andere Insel und kehrte gerade rechtzeitig zurück, um Zeuge Ihres tapferen Kampfes zu werden. «Seine innere Anteilnahme war offensichtlich.»Ich kann nachempfinden, was diese Entscheidung Sie gekostet haben muß, und habe mit eigenen Augen einige Ihrer Opfer gesehen. Es ist unglaublich. Und jetzt«, mit ausholender Geste schwenkte er seinen Hut vor den Anwesenden,»jetzt haben Sie noch die Kraft und das Pflichtgefühl, mir diesen würdigen Empfang zu bereiten.»

Pelham-Martin schluckte schwer und errötete.»Ich heiße Sie willkommen, Sir, und übermittle Ihnen die Grüße König Georgs. «Nach einem raschen Blick auf Bolitho fügte er hinzu:»Unsere Pflicht war klar, und ich bin wirklich glücklich, daß ich die Absichten des Feindes zunichte machen konnte.»

De Block nickte ernst.»Und dies ist Kapitän Willem Mulder von der Telamon. Er ist ebenso kampfbegierig wie Ihre Leute, doch halte ich es für klüger, daß Sie Ihre Schiffe erst wieder einsatzfähig machen. Ist es nicht so?»

Der Kommandant der Telamon war schlank und drahtig und ebenso sonnengebräunt wie sein Gouverneur. Auch er studierte die Beschädigungen der Hyperion, beherrschte aber seinen Gesichtsausdruck etwas besser als sein Vorgesetzter.

Pelham-Martin antwortete:»Und dies ist mein Kommandant, Kapitän Richard Bolitho.»

Bolitho trat vor. Der beobachtenden Augen ringsum war er sich bewußt, auch Inchs offenkundiger Wut über die Großspurigkeit, mit der Pelham-Martin alles Verdienst für sich in Anspruch nahm, vor allem aber fühlte er den festen Händedruck des Holländers.

De Block sah ihn ein paar Augenblicke forschend an, ohne seine Hand loszulassen. Er schien in Bolithos angespannten Gesichtszügen eine Antwort zu finden, denn er sagte unvermittelt:»Ganz, wie ich mir's gedacht habe, Kapitän!«Und nach einer Pause:»Meinen tiefempfundenen Dank.»

Pelham-Martin sagte abrupt:»Sie sprechen sehr gut englisch.»

«Nun, wir haben viele Kriege gegeneinander geführt. «De Block zuckte vielsagend mit den Achseln.»Seit ich meinen Arm verlor, hatte ich reichlich Gelegenheit, mit Ihren Landsleuten zusammenzukommen und ihre Lebensweise und Sprache kennenzulernen.»

Der Kommodore musterte ihn nachdenklich.»Waren Sie vielleicht unser Gefangener?«Nachsichtig schüttelte er den Kopf.»Das könnte im Krieg schon passieren.»

Der Holländer lächelte.»Nachdem ich den Arm verloren hatte, wurden mir unsere englischen Kriegsgefangenen unterstellt.»

Bolitho hüstelte diskret.»Der Gouverneur würde vielleicht gern in die Kajüte gehen, Sir.»

Pelham-Martin erholte sich schnell von seiner Verwirrung, warf Bolitho aber einen wütenden Blick zu.»Ganz richtig!»

Doch der Holländer schüttelte den Kopf.»Davon will ich nichts hören. Kommen Sie bitte an Land und als Gast in mein Haus. Kapitän Mulder wird Ihnen hier an Bord jede Hilfe leisten, die wir bieten können. «Er sah Bolitho forschend und mit dem gleichen Verständnis in den tiefliegenden Augen an.»Wir sind gut versorgt und, wie ich glaube, auch in der Lage, alle Ihre Bedürfnisse zu befriedigen. «Wieder streckte er die Hand aus.»Wir stehen in Ihrer Schuld und werden unser Bestes tun, um uns für Ihre Tapferkeit zu bedanken.»

Während die Pfeifen schrillten, folgte er Pelham-Martin in das längsseit liegende Boot hinunter.

Bolitho stand an der Schanzpforte und beobachtete, wie das Boot, von kräftigen Schlägen getrieben, dem Ufer zustrebte. Die meisten der Rudergasten waren entweder Farbige oder Mischlinge, aber sie boten keinen Anlaß, an ihrer Haltung oder Disziplin zu zweifeln.

Mulder sagte leise:»Sie sehen erschöpft aus. Es kann nicht leicht sein, unter einem Mann zu dienen, dem es so an Verständnis mangelt.»

Bolitho blickte ihn scharf an, aber der andere Kapitän sah nach oben in die Takelage, wo mehrere Matrosen bereits Leinen einscheren, um die neue Maststenge hinaufzuhieven.

Knapp erwiderte er:»Ihr Gouverneur ist sicher schon sehr lange hier?»

Mulder nickte. Mit gegen den Sonnenglast zusammengekniffenen Augen und professionellem Interesse beobachtete er die hoch über Deck arbeitenden Toppsgasten.»Dreißig Jahre, um genau zu sein. Zunächst als aktiver Offizier und später als Gouverneur. St. Kruis ist jetzt seine Heimat, genauso wie für mich. «Er schien nicht bereit zu sein, dieses Gespräch fortzusetzen, sondern fügte knapp hinzu:»Und jetzt sagen Sie mir, was Sie brauchen.»

Bolitho lächelte knapp. De Block mochte nicht durchschaut haben, daß das Grußzeremoniell gar nicht ihm zugedacht gewesen war, doch offensichtlich hatte er begriffen, welche Rolle PelhamMartin während des Gefechts gespielt hatte. Er war scharfsinnig und weise; Neid und Mißgunst waren ihm an anderen nicht fremd. Bolitho hoffte, daß Pelham-Martin nicht so dumm war, den einarmigen Gouverneur von St. Kruis zu unterschätzen.

Eine Stunde, nachdem Mulder mit seiner Anforderungsliste von Bord gegangen war, kamen die ersten Bootsladungen Lebensmittel längsseit. Die Bewohner von St. Kruis waren wie die Bootsbesatzung des Gouverneurs eine Mischung aus allen Rassen der Karibik. Lachend und schwatzend schwärmten sie über die Decks, zeigten Mitgefühl für die Verwundeten, die in bequemere Quartiere an Land gebracht wurden, und Gutmütigkeit den Matrosen gegenüber, die sich um sie drängten, sie berührten und sich eigener Wörter und Gesten bedienten, um die letzten Barrieren der Fremdheit zu überwinden.

«Es ist wie eine andere Welt, Sir«, sagte Inch.

Bolitho nickte. Er hatte das gleiche gedacht.

Die holländische Flagge wehte über dem alten Schiff und der Stadt, aber die Bewohner der Insel hatten sich im Lauf der Jahre so vermischt, waren so sehr auf sich selbst gestellt gewesen, daß es ihnen schwerfallen würde, sich fremder Herrschaft zu beugen. Gleichgültig, wer das sein mochte.

Allday kam nach achtern und grüßte.»Befehle für mich, Cap-tain?»

Bolitho reckte die Arme und sah den Riß in seinem Hemd, den die Musketenkugel im Ärmel hinterlassen hatte. War es möglich? Konnte er dem Tod so nahe gewesen sein?

Er sagte:»Nehmen Sie die Gig, Allday, und gehen Sie an Land. Halten Sie Augen und Ohren offen, verstanden?»

Alldays Gesicht blieb ausdruckslos.»Verstanden, Captain. «Dann grinste er.»In einer Stunde bin ich wieder an Bord.»

Bolitho dachte plötzlich an frisches Wasser und ein sauberes Hemd. Er nickte Inch zu und ging nach achtern zum Kartenraum.

Kommodore und Gouverneure mochten über hohe Politik diskutieren, dachte er grimmig. Aber die Alldays dieser Welt erfaßten oft den Kern der Dinge in der Hälfte der Zeit.

Für die Besatzung der Hyperion waren die Tage nach ihrer Ankunft in St. Kruis mit nichts zu vergleichen, was sie je erlebt hatte. Vom anbrechenden Morgen bis in die sinkende Nacht hielten die Reparaturarbeiten fast ohne Pause an, doch dank der üppigen Umgebung und der freundlichen Atmosphäre fanden sie dennoch Zeit für andere, interessantere Dinge. Die Erinnerungen an das Gefecht, sogar an die Wunden, die es geschlagen hatte, waren fast vergessen, und während Zimmerleute und Matrosen hoch über Deck oder tief im Rumpf arbeiteten, verbrachten andere, Glücklichere oder Geschicktere, ihre Zeit an Land mit dem Herbeischaffen von Frischwasser und Obst und nahmen jede Möglichkeit wahr, ihre Beziehungen zum weiblichen Teil der Bevölkerung zu verbessern.

Zu Beginn der dritten Woche warfen die Indomitable und die Hermes mit ihren zwei Begleitschaluppen in der Bucht Anker, und Bolitho fragte sich, wie lange Pelham-Martin noch brauchen würde, um sich für einen endgültigen Aktionsplan zu entscheiden. Bisher hatte der Kommodore wenig mehr getan, als die beiden Fregatten auf getrennte Patrouillenfahrten nach Südwesten zu schicken, doch jetzt, da er große Schiffe zur Verfügung hatte, mochte er endlich bereit sein, zu handeln.

Für Bolitho war es leicht gewesen, seine Leute zu beschäftigen.

Die Reparaturen im Rigg und an Deck brachten Arbeit in Fülle, und der schon vorher bestehende Mangel an Leuten wurde durch die Verluste im Gefecht noch erhöht, so daß ihm jetzt ein Sechstel zu einer vollständigen Besatzung fehlte. Doch selbst ihre Überbeanspruchung reichte nicht aus, um seine Leute vor Schwierigkeiten zu bewahren. Er konnte und wollte nicht verbieten, daß sie in kleinen Gruppen an Land gingen, doch es hatte schon Reibereien, sogar Schlägereien mit einigen männlichen Einwohnern gegeben, und der Grund dafür war leicht zu erraten.

Die dunkelhäutigen Frauen mit ihrem bereitwilligen Lächeln und ihren herausfordernden Blicken konnten das Herz jedes Seemanns entflammen; angesichts der strahlenden Sonne und des leicht erhältlichen Rums war es nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem ernsthaften Zwischenfall kommen mußte.

Doch jetzt, da noch mehr Schiffe in der Bucht ankerten, drohte an Stelle der Gastfreundschaft Ablehnung, wenn nicht Schlimmeres zu treten.

Als Bolitho mit dem Kommodore über seine Befürchtungen sprach, hatte er keine befriedigende Antwort erhalten. PelhamMartin logierte nicht mehr an Bord der Hyperion, sondern hatte de Blocks Angebot, sein Quartier zeitweise in der Residenz des Gouverneurs aufzuschlagen, bereitwillig akzeptiert.

Er hatte nur gesagt:»Wenn Sie Ihren Leuten nicht trauen können, Bolitho, dann müssen Sie verhindern, daß sie an Land gehen.»

Bei anderer Gelegenheit hatte er angedeutet, daß er auf Nachrichten aus Caracas warte, die ihm einen neuen Hinweis geben würden, wohin Lequiller sich zurückgezogen haben könnte.

Denn dies war das Merkwürdigste von allem: Lequillers Geschwader war verschwunden, als ob es nie existiert hätte.

Als die Fregatte Spartan von Caracas zurückkam, war es Bolitho gelungen, mit ihrem Kommandanten zusammenzutreffen, bevor er auf eine neue Patrouille ausgeschickt wurde. Kapitän Farquhar war sowohl verärgert als auch ungeduldig gewesen.

«Der spanische Generalgouverneur ist höflich, aber nicht mehr gewesen. Er gewährte mir ganze zehn Minuten Audienz. Die Grußbotschaft unseres Kommodore schien ihn kaum zu interessieren. «Farquhars Lippen hatten sich zu einem verächtlichen Lächeln gekräuselt.»Er gab mir zu verstehen, daß die Engländer die Kontrolle über die karibische See schon so lange für sich in Anspruch nähmen, daß es jetzt nur unsere Pflicht wäre, zu beweisen, daß wir sie auch haben.»

Bolitho konnte Farquhars Gereiztheit gut verstehen. Er hatte nie in dem Ruf gestanden, geduldig zu sein, und mit der Demütigung, in dieser Weise abgefertigt zu werden, konnte er sich nicht so leicht abfinden. Doch obwohl er wütend gewesen war, hatte er nicht versäumt, aus seinem Besuch Nutzen zu schlagen. In Caracas war nur ein einziges Kriegsschiff vorhanden gewesen, und offensichtlich wurde es als Begleitschutz zurückgehalten, wahrscheinlich für ein spanisches Schatzschiff. Eines stand jedoch fest: Niemand wußte etwas von Lequillers Geschwader oder sagte nur ein Wort darüber. Und dennoch — Bolitho hatte es zahllose Male erwogen — , irgendwo mußte es liegen, Schäden reparieren, auf den nächsten Zug lauern und sich darauf vorbereiten. Aber wo?

Dann, nach einer weiteren Woche des Wartens und der Sorge, glitt ein kleiner, bewaffneter Schoner in die Bucht und ging dicht unter Land vor Anker. Es war die Fauna, de Blocks Verbindungsschiff zu den anderen holländischen Inseln und fast so alt wie die Telamon.

Innerhalb einer Stunde erhielt Bolitho den Befehl, sich in Pelham-Martins Hauptquartier einzufinden; als die Barkasse von der Hyperion wegpullte, sah er mit grimmiger Befriedigung, daß auch von den anderen Schiffen Boote ablegten und dem Ufer zufuhren. Es mußte etwas Dringendes vorliegen, wenn der Kommodore seine Kapitäne vor dem Mittagessen zusammenrief. Seit Pelham-Martin seinen Sitz in der Residenz des Gouverneurs aufgeschlagen hatte, hatte er auch eine großspurige und abweisende Lebensart angenommen. Wenn er einige seiner Offiziere zum Essen einlud, was nicht oft geschah, war danach das Gesprächsthema vieler Tage sein Konsum an Speisen und Wein.

Bolitho traf ihn in dem niedrigen Raum an, der aufs Wasser hinausging, wo er hinter einem vergoldeten Tisch saß, der völlig von Seekarten und anderen Papieren bedeckt war.

Er blickte auf, als Bolitho eintrat, und deutete auf einen Sessel. Dann sagte er beiläufig:»Endlich Neuigkeiten, Bolitho. «Es schien ihm wirklich Mühe zu machen, seine Aufregung zu beherrschen.

«De Block hat mich über Lequillers Aufenthalt unterrichtet. Wir können also endlich handeln.»

Winstanley und Fitzmaurice kamen zusammen an, gefolgt von Kapitän Mulder von der Telamon.

Pelham-Martin wartete, bis auch sie Platz genommen hatten, ehe er verkündete:»Lequillers Schiffe sind gefunden worden, meine Herren. «Er beobachtete befriedigt die plötzlich erkennbare Spannung und fügte großspurig hinzu:»Ich weiß, daß es manchen gibt, der gern voreilig gehandelt hätte. «Er ließ den Blick kurz auf Bo-litho ruhen, ehe er fortfuhr:»Aber wie ich immer wieder betont habe, gibt es nur eine korrekte Methode, den Feind zum Kampf zu stellen und die eigene Stärke zu zeigen. «Er erwärmte sich an seinem Thema; am Gesicht der beiden anderen britischen Offiziere las Bolitho ab, daß es ihnen wohlbekannt sein mußte. Winstanley wirkte leicht amüsiert, und Fitzmaurice schien höflich gelangweilt zu sein.

«Wir sind eine Schutzmacht von Bedeutung, meine Herren, und der Aufmarsch und Einsatz der zu unserer Verfügung stehenden Kräfte ist viel wichtiger als irgendein kurzes, verwegenes Gefecht.»

In diesem Augenblick trat de Block mit einer Seekarte unterm Arm durch eine kleine Seitentür ein. Er nickte dem Kommodore zu und rollte seine Karte dann über den anderen auf.

Pelham-Martins Gesicht verfinsterte sich, und er betupfte sich die Stirn mit einem seidenen Taschentuch.»Ich habe gerade bekanntgegeben, daß Lequiller gefunden worden ist. Nicht wahr?»

De Block stopfte sich mit seiner einen Hand eine lange Tonpfeife.

«So ist es. «Er klopfte mit dem Pfeifenstiel auf die Karte.»Mein Schonerkapitän sprach vor vier Tagen mit einem Westindienfahrer, der einen an Fieber erkrankten Offizier an Land setzen wollte, und zwar hier. «Der Pfeifenstiel deutete auf eine Stelle, und die um den Tisch sitzenden Offiziere reckten die Hälse.»Das ist der Hafen Las Mercedes auf dem zu Spanien gehörenden Festland. Aber dem Schiff wurde das Einlaufen verweigert.»

Pelham-Martin sagte:»Nur zweihundert Meilen westlich von Caracas, und dennoch hat der Generalgouverneur nichts davon gewußt?»

De Block warf ihm einen schiefen Blick zu.»Die Entfernung mag vielleicht zweihundert Meilen betragen, aber in dieser Gegend ist das ungefähr zehnmal so weit wie anderswo. «Er seufzte.»Aber wie dem auch sei, der Kapitän des Westindienfahrers berichtete auch, daß er dort mehrere Kriegsschiffe habe liegen sehen.»

Kapitän Mulder sagte:»Dieser Lequiller hat sich eine günstige Stelle ausgesucht. Dieser Hafen ist. «Er suchte nach dem richtigen Wort.»Er ist sehr abgelegen.»

Bolitho war aufgestanden und beugte sich über die Karte.»Ich habe davon gehört. Früher war es ein Schlupfwinkel für Piraten. Ein guter Ankergrund und gegen die See wie zum Land hin leicht zu verteidigen. «Er folgte mit dem Finger der zerklüfteten Küstenlinie.»Die Buc ht dort gleicht der hiesigen, aber der Karte zufolge gibt es außerdem einen breiten Fluß, der sie vor einem Angriff von Land her schützt.»

De Block lächelte.»Keinen Fluß. Früher war es vielleicht mal einer, aber jetzt ist es kaum mehr als ein Sumpf. Niemand weiß genau, wie weit er ins Land reicht, denn kaum jemand hat ihn noch erforschen wollen. Er steckt voller Fieber und Tod. Kein Wunder, daß die Piraten sich dort sicher glaubten.»

Pelham-Martin sah verärgert hoch.»Wenn Sie jetzt fertig sind, meine Herren?«Er schob seinen massigen Körper an die Kante des Sessels vor.»Mich interessiert nicht, was Piraten getan oder nicht getan haben, und auch den Sumpf finde ich nicht wichtig. Tatsache ist, daß Lequiller in Las Mercedes Zuflucht und Unterstützung gefunden hat, und ob es spanisches Gebiet ist oder nicht, ich habe die Absicht, ihn dort zu stellen.»

Kapitän Fitzmaurice rückte unbehaglich auf seinem Sessel hin und her.»Aber bestimmt würde ein Angriff auf spanisches Gebiet von Spanien als feindlicher Akt angesehen werden, Sir.»

Winstanley nickte.»Wir könnten damit genau das tun, was Le-quiller sich wünscht. Es würde schneller als alles andere Spanien ins französische Lager treiben.»

Pelham-Martin tupfte sich mit schnellen, heftigen Bewegungen die Stirn ab.»Darauf komme ich noch.»

«Vielleicht darf ich etwas dazu sagen?«De Block trat vor, seine Pfeife war immer noch nicht angezündet.»Der Kapitän meines Schoners hat auch berichtet, daß sich im Gefängnis von Las Mercedes den Gerüchten nach englische Seeleute befinden sollen. «Er hob die Schultern.»Vielleicht sind es Meuterer oder Deserteure von einem vorbeifahrenden Schiff. Das ist ohne Belang. «Seine Augen funkelten.»Aber ihre Anwesenheit in Las Mercedes könnte Ihnen als Begründung für eine genauere Überprüfung dienen, oder?»

Der Kommodore sah ihn steinern an.»Ich war eben im Begriff, das zu sagen, de Block. «Er schnaufte.»Sie haben es jedoch so treffend formuliert, daß ich nur zustimmen kann.»

Bolitho rieb sich das Kinn. Vor seinem geistigen Auge sah er den Naturhafen, dreihundert Meilen von St. Kruis entfernt. Er war ein ideales Versteck, und ein Mann wie Lequiller, der dieses Gebiet genau kannte, hatte ihn zweifellos sorgfältig ausgewählt. Wenn es Lequiller gelungen wäre, auch St. Kruis zu nehmen, wäre die Situation noch schlimmer gewesen.

Nachdenklich sagte er:»Sie könnten eine Schaluppe nach Caracas schicken, um den Generalgouverneur zu informieren, Sir. Vielleicht möchte er seine Schatzschiffe zurückhalten, bis wir das französische Geschwader gefunden und vernichtet haben. «Er blickte auf und erkannte plötzlich Feindseligkeit in Pelham-Martins Augen.

«Ihn informieren? Nach seiner verdammten Unverschämtheit?«Pelham-Martin schwitzte stark.»Wahrscheinlich arbeitet er Hand in Hand mit dem Gouverneur von Las Mercedes. Den soll ich informieren?«Mühsam beherrschte er seinen Ärger.»Das werde ich gern tun, aber erst, wenn ich ihm diesen verräterischen Spanier dabei ausliefern kann.»

Bolitho sah auf die Karte. Er konnte es Pelham-Martin kaum verübeln, daß er als Erwiderung auf die Beleidigung das gesamte Verdienst für sich in Anspruch nehmen wollte.

Er sagte:»Nach meinen Erfahrungen, Sir, ist es nicht wahrscheinlich, daß der Generalgouverneur etwas davon weiß. Die spanischen Provinzgouverneure handeln im allgemeinen sehr selbständig und sind nur dem Hof verantwortlich. Oft vergehen Monate, bis eine Entscheidung Zustimmung findet, folglich agieren viele auf eigene Faust, ohne andere zu Rate zu ziehen, auch nicht für den Fall, daß es später zu Mißhelligkeiten kommen sollte.»

Winstanley räusperte sich.»Das ist richtig, Sir.»

«Um so mehr Grund, keinem zu trauen, oder?«Pelham-Martins gute Laune kehrte zurück.»Diesmal warte ich nicht darauf, daß Lequiller die Initiative ergreift. Wir laufen sofort aus.»

Bolitho trat vom Tisch zurück.»Ich halte die Barkasse für Sie bereit, Sir.»

Pelham-Martin wandte sich ab.»Vielen Dank, aber das ist nicht nötig. Ich setze meinen Stander auf der Indomitable.«Er nickte knapp.»Kehren Sie auf Ihre Schiffe zurück, meine Herren. In zwei Stunden setzen wir Segel.»

Später, als Bolitho an der Achterdecksreling der Hyperion stand, fragte er sich, was Pelham-Martin dazu bestimmt haben konnte, das Flaggschiff zu wechseln. Als sich der Doppelstander im Masttopp der Indomitable entfaltete, hatten mehrere Matrosen auf der Gangway ihrer Empörung Luft gemacht. Wahrscheinlich glaubten sie, mehr als alle anderen im Geschwader dazu beigetragen zu haben, den Feind zum Kampf zu stellen; im Entschluß des Kommodore mußten sie einen unausgesprochenen Tadel sehen, den sie nicht verstehen konnten.

Auch Bolitho verstand es nicht; dennoch, als er später seine Offiziere in der Messe versammelte, um ihnen kurz die Absicht des Kommodore zu erklären, gab er sich alle Mühe, weder Ärger noch Enttäuschung zu zeigen. Zu jeder anderen Zeit wäre er froh gewesen, von Pelham-Martins Anwesenheit befreit zu werden; doch jetzt, da die letzte und entscheidende Aktion bevorstand, wäre es ihm anders lieber gewesen. Denn während Pelham-Martin früher seine Kapitäne selbst bei den trivialsten Depeschen zu Rate gezogen hatte, hatte er diesmal seinem knappen Befehl nichts hinzugefügt.

Inch rief:»Anker kurzstag, Sir.»

Bolitho riß sich aus seinen brütenden Gedanken und beschattete die Augen, um zur Indomitable hinüberzublicken. Winstanley verfluchte Pelham-Martin wahrscheinlich, weil er auf sein Schiff zurückgekommen war. Er konnte die Matrosen auf den Rahen des Zweideckers sehen, die geduckten Gestalten anderer, die sich am Ankerspill mühten. Dahinter hob sich die Hermes von den fernen Bergen ab, und auch die stattliche Telamon kürzte bereits ihre Ankertrosse. Selbst ohne Glas konnte er erkennen, daß sich der größte Teil der Inselbewohner am Kai und auf der Landzunge drängten, wo Hauptmann Dawsons Marinesoldaten die Batteriestellung repariert und geholfen hatten, die Verteidigungsanlagen für den Fall eines weiteren Angriffs zu verbessern.

Trotz seines Unbehagens, weil Pelham-Martin es versäumt hatte, einen Schlachtplan zu entwickeln, fand Bolitho in dem Anblick einen gewissen Trost. Im hellen Sonnenschein, auf dem blauen schimmernden Wasser der Bucht und in dem steten leichten Nordostwind, der Sträucher und Büsche der Landzunge streichelte, boten die vier Schiffe einen prächtigen Anblick. Auch was er auf seinem eigenen Schiff sah, befriedigte ihn; seine Leute hatten gute Arbeit geleistet. Getreu seinem Wort, hatte de Block das Schiff mit allem versorgt, was ihm zur Verfügung stand. Dazu gehörte sogar neue Leinwand, um die in der Schlacht verlorenen Segel zu ersetzen. Und wie Perks, der Segelmacher, bemerkt hatte:»Das ist nicht der im Krieg übliche Schund, Sir, das ist echtes Material.»

Gascoigne rief:»Signal an alle! Anker lichten!»

Bolitho nickte.»Bringen Sie das Schiff in Fahrt, Mr. Inch. «Er sah Gossett an.»Wir nehmen die Position hinter der Hermes ein.»

Das war ein anderer Punkt. Welche Aktion der Kommodore auch planen mochte, die Hyperion war das letzte Schiff der Formation. Bei dem herrschenden Nordost war das eine vernünftige Position, denn die Hyperion konnte als schnellstes Schiff des Geschwaders an den anderen vorbei vorstoßen, falls die Indomitable in Schwierigkeiten kam und Unterstützung brauchte. Doch für die Besatzung, von der viele nichts von diesen Dingen verstanden, mußte es wie eine Herabsetzung aussehen. Bolitho entschloß sich, die Leute über diesen Punkt aufzuklären.

Er hörte Inch rufen:»Schaffen Sie die Trödler an die Besanbras-sen! Wecken Sie die Kerls auf, verdammt noch mal!»

Hier und da klatschte ein Tampen auf einen bloßen Rücken, während in die Matrosen Leben kam. Ein Monat vergleichsweiser Untätigkeit forderte seinen Preis, und es brauchte mehr als freundliche Worte, die Leute an die Brassen und Fallen zu treiben.

«Marssegel setzen!»

Gascoigne rannte über das Deck, als das Schiff sich gewichtig überlegte und mit knatternden Segeln an den Wind ging, während sich das Ankerspill, von einem atemlosen Shanty begleitet, noch drehte.

«Flaggschiff an Hyperion, Sir. «Seine Augen tränten, weil Sonnenlicht in sein Teleskop fiel.»Mehr Beeilung!»

Bolitho lächelte.»Bestätigen Sie. «Pelham-Martin wollte keine Nachlässigkeit dulden, so lange sie von einem holländischen Schiff begleitet wurden. Die Telamon bot einen prachtvollen Anblick: ihr vergoldetes Heck glänzte wie ein Tempelaltar, und auch die dunkle Haut ihrer auf den Rahen ausgeschwärmten Matrosen schimmerte, als ob sie lackiert und poliert wären.

Doch auf Lequillers Schiffe würde das wenig Eindruck machen, dachte er. Die Telamon war über fünfzig Jahre alt, und ihre Kanonen waren der Artillerie der Franzosen nicht gewachsen. Den größten Teil ihres Daseins hatte sie hier draußen verbracht. Ihre Planken waren wahrscheinlich verrottet, trotz der vergoldeten Schnitzerei und der stolzen Flaggen.

Er wandte den Blick zur Hermes, die über Stag ging, um ihre Position hinter dem Holländer einzunehmen. Sie dagegen sah Zoll für Zoll wie ein kampferprobter Krieger aus: fleckig und zernarbt, mit mehr als nur einem Flicken in ihren ausgebleichten Segeln.

Inch sagte:»Die Indomitable setzt Bramsegel, Sir.»

«Sehr gut. Tun Sie das gleiche, Mr. Inch. «Bolitho schwankte etwas, als sich das Deck leicht unter ihm hob. Genau wie er schien das Schiff froh zu sein, das Land hinter sich zu lassen.

Er blickte nach oben, um zu sehen, wie die Segel von den Rahen fielen und die winzigen Silhouetten der Toppsgasten um die Wette aufenterten, um die Befehle vom Deck zu befolgen. Er sah Pascoe im Großmast, der geschickt dem Rollen des Schiffes folgte. Den Kopf in den Nacken geworfen, sah er den bezopften Matrosen nach, die an ihm vorbeischwärmten, während weitere Leinwand ausgeschüttelt wurde und sich an den Rahen blähte. Sein Hemd stand bis zum Gürtel offen, und Bolitho konnte erkennen, daß seine Haut schon gebräunt war und seine Rippen weniger vorstanden als damals, als er an Bord gekommen war. Pascoe lernte schnell und gut, doch aus dem, was Bolitho in St. Kruis von ihm gesehen und gehört hatte, wußte er, daß der Junge sich von den anderen Mids-hipmen fernhielt und seinen Kummer wie eine latente Krankheit nährte.

Gossett sang aus:»Kurs West zu Süd, Sir.»

«Sehr gut. «Bolitho ging nach Luv hinüber, um die Landzunge vorbeiziehen zu sehen. Winzige Gestalten liefen am Rand der brüchigen Felsen entlang, wo das französische Landekommando im Schutz der Dunkelheit gegen die Batteriestellung vorgegangen war.

In weiter Ferne konnte er Backbord voraus einen winzigen weißen Splitter am Horizont ausmachen: eine der Schaluppen, die vorausgeschickt worden waren, um mit einem Minimum an Verzögerung Kontakt mit den Fregatten aufzunehmen und ihnen PelhamMartins Befehle zu überbringen.

Zu Inch sagte er ruhig:»Setzen Sie vorläufig nicht mehr Segel. Ich fürchte, daß wir mit unserem sauberen Kupferbeschlag sonst die Hermes überholen.»

Inch grinste.»Aye, Aye, Sir.»

Erst jetzt wurde es Bolitho bewußt, daß Inch ohne den geringsten Fehler das Schiff in Fahrt gebracht hatte, während er so in seine Gedanken vertieft gewesen war, daß er kaum darauf geachtet hatte.

Er sah seinen Leutnant ernst an.»Aus Ihnen werden wir noch einmal einen Kommandanten machen, Mr. Inch.»

Er ließ einen noch breiter grinsenden Inch zurück und ging nach achtern in seine Kajüte, wo er sich seinen Gedanken überlassen konnte.

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