III Täuschungsmanöver

Als aus Tagen Wochen wurden, schien es Bolitho, als kenne die erbarmungslose Grausamkeit von Wind und Meer keine Grenzen und die ganze Welt sei zu der bedrückenden Enge des Schiffsrumpfs und dem von Wellen überspülten Oberdeck geschrumpft. Auch in den Befehlen des Kommodore schien es keine Abweichungen zu geben. Tag für Tag kreuzten die Schiffe bei jedem nur vorstellbaren Wetter, das die Biskaya zu bieten hatte. Böiger Wind frischte innerhalb von Minuten zu voller Sturmstärke auf, und für die Matrosen, die sich wieder und wieder in die Takelage hinaufquälen mußten, um gegen die eisige, froststarre Leinwand anzukämpfen, wurde das Ausharren auf Station zu einem einzigen Alptraum. Mit gerefften Segeln mußten die drei Schiffe tagelange Stürme überstehen; sobald wieder bessere Sicht herrschte, wurden sie von der Indomitable mit einer Flut dringender Signale überschüttet, die befohlene Formation wiederherzustellen.

An Bord der Hyperion gab es zwar keine Seekrankheit mehr, aber wenn die Seeleute für eine kurze Ruhepause unter Deck entlassen wurden, sanken sie wie Tote in ihre engen Hängematten, dankbar für die Wärme der anderen Körper, die um sie herum schwankten, wenn das Schiff bei heulendem Wind weiter durch die starke Küstenströmung stampfte.

Doch kaum eine Stunde schien zu vergehen, bis die Pfeifen wieder schrillten und von Luke zu Luke der Ruf erschallte:»Alle Mann! Alle Mann an Deck! Aufentern zum Marssegelreffen!»

Damit die Besatzung nicht völlig verzweifelte, nutzte Bolitho jede Gelegenheit, um sie zu beschäftigen. So oft es möglich war, setzte er Geschützexerzieren an und ließ die Steuerbordbatterie mit der auf Backbord konkurrieren. Die Bedienungen der unteren Geschütze mußten sich mit denen auf dem Hauptdeck abwechseln, da das schlechte Wetter es nicht erlaubte, die unteren Stückpforten zu öffnen. Bei seinen wöchentlichen Inspektionen bedrückten Bolitho die elenden Bedingungen auf dem unteren Batteriedeck, wo die Leute neben und zwischen den dreißig Vierundzwanzigpfündern leben mußten, die sie im Gefecht bedienten. Bei festverschlossenen Pforten und starkem Seegang bot sich ein Anblick wie aus Dantes Inferno. Etwa dreihundert Leute lebten, aßen und schliefen dort, und selbst wenn eine Wache an Deck war, stank die Luft ekelerregend. Der faulige Bilgendunst, vermischt mit menschlicher Ausdünstung und dem Mief der Kleidungsstücke, die nie richtig trok-ken wurden, war auch für den abgehärteten Seemann mehr als genug.

Drei Wochen nach ihrer Unterstellung unter Pelham-Martins Kommando ging ein Mann über Bord, ein junger Matrose, der in Devon zum Dienst gepreßt worden war. Er hatte auf dem Vorschiff mit der Gruppe des Bootsmanns gearbeitet, als eine große Welle den Klüverbaum überflutete und den Mann wie einen Fetzen Leinwand über die Reling wusch. Einen Augenblick noch hatte er sich angeklammert, mit den Füßen nach dem Netz geangelt, ehe ein weiterer Brecher ihn packte und an der Bordwand entlang nach achtern riß.

Zu dieser Zeit herrschte starker Sturm, und es war unmöglich zu wenden, ohne das Schiff zu entmasten. Es hätte auch keinen Sinn gehabt. Bis ein Boot vom Schiff freigekommen wäre, hätte keine Möglichkeit mehr bestanden, den Mann im wilden Seegang wiederzufinden. Aber der Vorfall beeindruckte das ganze Schiff tief, und selbst die Härte, mit der die älteren, erfahrenen Seeleute ihn hinnahmen, konnte die Wirkung nicht mildern.

Es war der erste Todesfall, seit das Schiff Plymouth verlassen hatte, und er schien wie eine finstere Drohung über den überfüllten Decks zu hängen, je länger das Schiff unter dem anhaltenden Druck des Wetters auf sich selbst gestellt war. Eine ganz ähnliche Stimmung hatte nach dem ersten Auspeitschen geherrscht. Irgendwie war es einem Matrosen gelungen, Zugang zu den Schnapsvorräten zu finden, und ohne einem Kameraden etwas zu sagen, hatte er sich einen stillen Winkel gesucht und sich sinnlos betrunken.

Während der ersten Wache war er splitternackt aufgetaucht und hatte sich auf dem verdunkelten Deck wie ein Wahnsinniger aufgeführt, hatte jedem, der ihn zu packen versuchte, wilde Verwünschungen und Flüche entgegengebrüllt. Es war ihm sogar gelungen, einen Unteroffizier niederzuschlagen, ehe er überwältigt werden konnte.

Am nächsten Tag, als das Schiff schwer in einer Regenbö kämpfte, hatte Bolitho die Besatzung antreten lassen, damit sie an der Bestrafung teilnahm. Nachdem er die Kriegsartikel verlesen hatte, befahl er den Bootsmannmaaten, die Strafe von dreißig Peitschenhieben zu vollstrecken. Das war in Anbetracht der sehr strengen Disziplinarvorschriften bei der Marine eine milde Strafe. In das Getränkelager einzubrechen, war schlimm, aber einen Unteroffizier niederzuschlagen, darauf standen eigentlich Kriegsgericht und der Galgen, wie jeder nur zu gut wußte.

Bolitho hatte keinen Trost darin gefunden, daß er nur die Mindeststrafe verhängte. Selbst die Tatsache, daß der Unteroffizier damit einverstanden war, auszusagen, er sei gar nicht geschlagen worden, war für das Auspeitschen kein Ausgleich. Zu jeder anderen Zeit war eine Bestrafung notwendig, doch als er mit den Offizieren an der Reling des Achterdecks stand und der Trommeljunge zwischen jedem Schlag der neunschwänzigen Katze einen langsamen Wirbel schlug, hatte es ihm geschienen, daß das ganze Schiff auch ohne dieses zusätzliche Leiden genug zu ertragen hatte. Irgendwie war es durch den Regen noch schlimmer gewesen. Der Kälte wegen hatte die Mannschaft sich eng zusammengedrängt, wie die scharlachrote Reihe der Marinesoldaten mit dem ungleichmäßigen Rollen des Schiffs geschwankt, wie die zuckende, mit gespreizten Gliedern auf den Rost gefesselte Gestalt, keuchend und schluchzend, während die Peitsche im Takt mit den Trommelschlägen sich hob und fiel.

Gelegentlich erschien eine Schaluppe bei dem kleinen Geschwader, mit Depeschen von der Flotte oder Vorräten aus Vigo. Und wenn das Wetter es zuließ, befahl der Kommodore seine Kapitäne an Bord des Flaggschiffs, um ihnen seine formellen Berichte vorzulesen, ehe er sie in ihrer Gegenwart unterzeichnete, und dann, zu Bolithos Erstaunen, jeden einzelnen der drei Kommandanten der Reihe nach aufforderte, ebenfalls zu unterschreiben.

Er hatte von diesem Brauch noch nie gehört, konnte aber den hölzernen Gesichtern seiner beiden Kameraden entnehmen, daß sie an diese seltsame Laune von Pelham-Martin gewöhnt waren. Es wurde in zunehmendem Maß offensichtlich, daß der Kommodore nicht beabsichtigte, auch nur im geringsten von seinem Plan abzuweichen, der Kritik oder der möglichen Unzufriedenheit des Vizeadmirals dadurch zuvorzukommen, daß er bei allem, was er tat, seine drei Kommandanten mitverantwortlich machte. Bisher hatte er selbstverständlich nichts anderes getan, außer seine Befehle buchstabengetreu zu befolgen: Patrouille und Blockade, sonst nichts.

Jedesmal, wenn Bolitho an Bord der Indomitable gerufen wurde, stellte er fest, daß Pelham-Martin ein freigebiger Gastgeber war. Die Schaluppen, die nach Vigo segelten und zurückkamen, versorgten ihn dem Anschein nach reichlich mit erlesenen Weinen und stellten, Bolithos Ansicht nach noch wichtiger, eine gewisse Verbindung zur Außenwelt her.

Zum letztenmal besuchte Bolitho das Flaggschiff am Weihnachtstag. Seltsamerweise hatte sich das Wetter beruhigt; es wehte ein mäßiger Nordwest, und an die Stelle der anlaufenden, brechenden Wellen war eine lange flache Dünung getreten. Das Oberdeck der Hyperion war dicht von Gestalten bedeckt, die auf das graue, wogende Wasser und die anderen Schiffe starrten, als sähen sie sie zum erstenmal. Das konnte durchaus so sein, denn während der vergangenen acht Wochen, seit sie zu Pelham-Martins Geschwader gestoßen waren, hatte das Wetter sich nie länger als für eine Stunde beruhigt.

Bolitho ärgerte sich darüber, daß er das Flaggschiff besuchen mußte. Unter den herrschenden Verhältnissen würde Weihnachten für seine Besatzung kärglich genug ausfallen, auch ohne daß er von Bord ging, scheinbar um die Freuden der reich gedeckten Tafel des Kommodore zu genießen. Die Vorräte an frischen Lebensmitteln waren auf der Hyperion schon lange aufgebraucht, und das Weihnachtsessen für die Mannschaft war ein befremdliches Gemisch aus warmem, mit Rum kräftig gewürzten Rinderhaschee und einem Brei von zweifelhaftem Geschmack, von dem Gilpin, der einarmige, bösartig aussehende Koch Bolitho versicherte, daß es» ihre Herzen in Flammen setzen «würde.

Bolitho wußte jedoch, daß es bei seinem Besuch auf dem Flaggschiff nicht nur um ein Festmahl ging. Beim ersten Tageslicht war eine Korvette aufgetaucht und hatte die leichte Brise genutzt, um über die langsamen Zweidecker wie ein Terrier über drei gemächliche Ochsen herzufallen. Es war keine von Pelham-Martins Schaluppen, sondern sie kam von dem Hauptgeschwader vor Lorient, und als Bolitho seinen Paraderock übergeworfen und sein Boot befohlen hatte, sah er die Gig der Korvette schon längsseit am Flaggschiff liegen.

Bei der Ankunft an Bord der Indomitable traf er Pelham-Martin in sehr gehobener Laune an. Winstanley dagegen erschien völlig ausdruckslos und Kapitän Fitzmaurice von der Hermes war unverhohlen bestürzt.

Die Nachrichten von Lorient waren beunruhigend. Vizeadmiral Cavendish hatte zwei Fregatten beauftragt, dicht unter der Küste zu patrouillieren und nachzuforschen, ob irgendwelche Anzeichen für Veränderungen oder Bewegungen bei den im Hafen ankernden Schiffen festzustellen waren. Es war eine Routineaufgabe und eine, die den beiden Kommandanten der Fregatten wohlvertraut war.

Doch als sie dicht an die Küste kamen, hatten die Ausgucks die überraschende Beobachtung gemeldet, daß, statt des gewohnten Anblicks, die französischen Linienschiffe die Rahen vierkant gebraßt hatten und allem Anschein nach weniger geworden waren.

Einige mußten also die Blockadekette durchbrochen haben und entkommen sein.

Der Kommandant der Korvette war nicht bereit gewesen, zu diesen Nachrichten viel hinzuzufügen, bis Pelham-Martin darauf bestand, er solle sich mit etwas Brandy stärken. Die Zunge des jungen Offiziers wurde dadurch gelockert, und er berichtete dem Kommodore, daß darüber hinaus die beiden Fregatten gerade noch dem Schicksal entgangen waren, von vier französischen Schiffen überwältigt zu werden, die anscheinend im Schutz von Belle Ile gelauert hatten und die beiden Aufklärer beinahe vor einer Leeküste gestellt hätten.

In Pelham-Martins Augen glänzten Tränen. Lachend sagte er:»Sehen Sie, Bolitho! Ich habe Ihnen doch gesagt, daß das passieren würde. Die Überraschungsvorstöße haben keinen Wert bei einer Blockade. Geduld und die Demonstration unserer Stärke ist alles, was wir brauchen.»

Bolitho fragte ruhig:»Hat die Korvette neue Befehle gebracht, Sir?»

Pelham-Martin lachte immer noch vor sich hin. Es schien, als hätte es ihm keine größere Freude machen können, wenn die Flotte einen großen Sieg errungen hätte. Statt dessen hatte sein alter Feind jedoch zugelassen, daß französische Schiffe unbemerkt die offene See erreichten.

Immer noch lachend sagte er:»Sir Manley Cavendish verlangt einen vollständigen Bericht über die französischen Kriegsschiffe in diesem Gebiet, ihre Einsatzbereitschaft und so weiter. «Er ließ das so trivial klingen, daß Bolitho einen Augenblick befürchtete, ihm sei etwas entgangen. Doch das grimmige Gesicht von Fitzmaurice belehrte ihn eines Besseren.

Pelham-Martin legte eine Hand auf Bolithos Arm.»Keine Sorge. Wir werden zu gegebener Zeit einen Bericht schicken. «Er legte den kleinen Kopf schräg und lächelte mild.»Sie können morgen zur Küste segeln und Kontakt mit der Ithuriel aufnehmen. Wie gefällt Ihnen das?»

Der Kommodore hatte dann in seiner Kajüte für die drei Kapitäne ein Festmahl angeordnet, nachdem er erst eine kurze schriftliche Bestätigung aufgesetzt hatte, welche die Korvette zu Vizeadmiral Cavendish zurückbringen sollte. Offensichtlich war er stark versucht gewesen, sarkastische Beileidsbekundungen hinzuzufügen, doch selbst er wußte, daß dies genau als das aufgefaßt werden würde, was es war: als offener Hohn für Cavendishs Mißgeschick.

Während der ganzen Mahlzeit kochte Bolitho innerlich über die Verzögerung. Vor der Gironde-Mündung mochten ein paar Schiffe sein, und es bestand auch die Möglichkeit, etwas gegen sie zu unternehmen. Wenn es dort nichts von Wert gab, konnte er seine kurze Freiheit von Pelham-Martins Schürzenbändern vielleicht nutzen, um ein Stück weiter an der Küste entlangzulaufen, um Informationen zu bekommen, wenn nichts Besseres zu finden war.

Offensichtlich verfügte Pelham-Martin über gute Beziehungen, dachte er. Während der Mahlzeit warf er mit Namen und Titeln von Personen um sich, die er kannte, sprach über Affären bei Hof und im Parlament, und wenn auch nur die Hälfte stimmte, war es für Bolitho kein Wunder, daß er in der Lage war, die Feindschaft seines Admirals zu überstehen.

Er hatte eine Art, die Gefahr, die von der Ansammlung der französischen Schiffe drohte, zu verniedlichen oder sie zu ignorieren, die einen rasend machen konnte; aber gleichzeitig hatte er auch etwas beinahe Liebenswertes an sich. Aus eigener Tasche hatte er frisches Obst bezahlt, das von Vigo herbeigeschafft wurde, genug für jeden einzelnen an Bord der drei Schiffe, die seinem unmittelbaren Befehl unterstanden.

Während Bolitho eine Orange schälte und zuhörte, wie Fitzmaurice zum x-ten Mal ausführlich die letzten Augenblicke von Howes Sieg am 1. Juni schilderte, dachte er an Falmouth; ob auch Cheney jetzt wohl an ihn dachte, ob das alte graue Haus jetzt von Schnee bedeckt war, ob sein Kind ein Junge oder ein Mädchen sein würde? Ihm war es gleichgültig, wenn nur Cheney glücklich wurde.

Schließlich war das Essen zu Ende, und Bolitho, der dafür dankbar war, kehrte ohne jede weitere Verzögerung auf sein Schiff zurück. Zu seiner Überraschung erschien es ihm sehr still zu sein; von der diensthabenden Wache abgesehen, lag das Hauptdeck völlig verlassen da. Nur von der Offiziersmesse her waren melodische Töne zu hören, und sie beschränkten sich auf eine tiefe Baßstimme, die ein bei Seeleuten beliebtes, sentimentales Lied vortrug, offenkundig die Stimme von Gossett.

Inch erwartete ihn und erklärte auf seine Frage:»Die meisten liegen schon in ihren Hängematten, Sir.»

Bolitho nickte. Nach wochenlangen Strapazen in Wind und Wetter hatten die reichliche warme Verpflegung und die zusätzliche Ration Rum keine Stimmung für weiteres Feiern aufkommen lassen.

«Gut. Wir lassen sie in Ruhe, Mr. Inch, bis es Zeit ist, die Wache an Deck zu rufen. «Plötzlich fiel ihm Inchs erschöpftes Gesicht auf.»Haben Sie gut gegessen?»

Inch scharrte verlegen.»Ich hatte sehr viel zu tun, Sir.»

Bolitho musterte ihn verständnisvoll. Selbstverständlich würde sich Inch niemals den anderen anschließen, solange sein Kommandant abwesend und auf dem Flaggschiff war. Unvermittelt trat ihm das Bild von Inch vor Augen, wie er diensteifrig und besorgt durch die Decks hetzte, um sich zu vergewissern, daß alles in Ordnung war, sich bemühte, sein Bestes zu geben.

Einer Eingebung folgend, sagte er:»Kommen Sie mit nach achtern, Mr. Inch. «Sie gingen zur Kampanje.»Wir werden morgen bei Tagesanbruch das Geschwader verlassen und Sichtkontakt mit der Ithuriel suchen. «Er nickte dem auf Wache stehenden Marinesoldaten zu und trat in seine Kajüte, wo Petch zu einer Kugel zusammengerollt fest schlief.

Bolitho grinste und schnallte seinen Säbel ab.»Trinken Sie ein Glas mit mir, Mr. Inch.»

Inch nahm seinen Hut ab und drehte ihn zwischen den Händen. Er blickte sich in der Kajüte um und dachte vermutlich an andere Tage, als er nur Fünfter Offizier gewesen und Bolitho an Bord gekommen war, um das Kommando zu übernehmen und sie von einem Gefecht in das nächste zu führen.

Plötzlich platzte er heraus:»Ich — ich habe mich verlobt, Sir, und will heiraten, wenn wir wieder in Plymouth sind.»

Bolitho schenkte Rotwein in zwei Gläser.»Dann freut es mich, auf Ihr besonderes Wohl zu trinken, Mr. Inch.»

Inch wischte sich den Mund und hob sein Glas gegen eine der Lampen.»Die Tochter eines Arztes, Sir. Ein sehr hübsches Mädchen. «Er nickte nachdrücklich.»Ich hoffe, daß wir bald nach England zurückkommen.»

Bolitho wendete sich ab. Plötzlich wurde ihm bewußt, welche

Rolle Inch in seinem Leben gespielt hatte, seit er das Kommando auf der alten Hyperion übernommen hatte. Inch war sogar in die Kirche gekommen, um Zeuge zu sein, als er und Cheney heirateten.

Er drehte sich wieder zu Inch um und sagte leise:»Ich wünsche Ihnen allen Erfolg. Das ist für Sie ein Grund mehr, Gutes zu leisten und vorwärtszukommen. «Er grinste.»Ein eigenes Kommando vielleicht, was meinen Sie?»

Inch blickte auf seine Füße.»Das — das hoffe ich sehr, Sir.»

Bolitho hatte bereits an Bord des Flaggschiffs genug getrunken und gegessen, aber der Gedanke, jetzt allein zu sein, von dem übrigen Schiff durch die Schottwand und den Wachtposten vor seiner Tür getrennt, war mehr, als er ertragen konnte. Jedenfalls in dieser Nacht. Er ging durch die Kajüte und rüttelte seinen Diener an der Schulter. Als Petch sich verstört aufrappelte, sagte Bolitho:»Wir brauchen Rotwein. Und etwas von dem ausgezeichneten Käse, den meine Frau mir mit an Bord gegeben hat.»

«Sie wird heute abend an uns denken, Sir«, sagte Inch.

Bolitho blickte ihn ein paar Sekunden lang wortlos an. An uns, hatte Inch gesagt, und er hatte damit recht. Er vor allen anderen mußte wissen, was sie für die Hyperion bedeutet hatte, als sie als Passagier an Bord gewesen war. Als sie die Verwundeten betreut hatte, während über ihr die Decksbalken unter der Wucht der Breitseiten gebebt hatten.

«Davon bin ich überzeugt«, stimmte er leise zu.

Während Petch geschäftig den Tisch herrichtete, beobachtete Inch Bolitho, wagte kaum zu blinzeln aus Furcht, es könne ihm etwas entgehen. Er konnte sich nicht erinnern, Bolitho jemals so gesehen zu haben. Er saß auf der Bank unter den Heckfenstern und zupfte gedankenverloren an der schwarzen Haarsträhne, von der Inch wußte, daß sie eine grellrote Narbe verdeckte, und obwohl Bolithos Blicke auf Petch gerichtet waren, nahmen seine Augen nichts wahr, schienen in die Ferne gerichtet und wirkten irgendwie wehrlos. Inch empfand es wie eine Entblößung oder eine Indiskretion; er wußte, daß er niemals darüber sprechen, es immer für sich behalten würde.

Noch ehe der erste graue Schimmer am Himmel erschien, wurde» Alle Mann!«befohlen, und mit mäßigem Wind verließ die Hyperion ihre beiden abgedunkelten Begleiter; während die Mannschaft eifrig an Fallen und Brassen zerrte, stand Bolitho auf dem Achterdeck und spürte deutlich die veränderte Stimmung, die die kurze Befreiung von der Überwachung durch Pelham-Martin mit sich brachte. Zum erstenmal in den zwei Monaten, seit sie Plymouth verlassen hatten, hörte er die Toppsgasten miteinander schwatzen und scherzen, während sie auf den vibrierenden Rahen arbeiteten, und vernahm die schrillen Stimmen der Midshipmen, die ihre Leute in einen privaten und gefährlichen Wettbewerb trieben.

Nur wenige blieben lustlos und schweigsam, und Bolitho führte das eher auf die eisige Morgenluft und die reichlich mit Rum gewürzte Verpflegung des vergangenen Tages als auf eine latente Mißstimmung zurück.

Es schauderte ihn, und er ging schnell zum Kompaß. Im schwachen Licht der Lampe sah er die Nadel zwar beben, aber stetig Nordnordost anzeigen. Mit etwas Glück konnten sie die Ithuriel gegen Mittag treffen. Wenn es nichts zu berichten gab, mochte die Zeit reichen, diese seltene Freiheit zu nutzen, um weiter nach Norden über die Gironde-Mündung hinaus zu segeln. Denn trotz des Selbstvertrauens des Kommodore und seiner offensichtlichen Überzeugung, daß eine mögliche Prise oder ein Blockadebrecher nur von Süden zu erwarten waren, wo er seine beiden anderen Fregatten eingesetzt hatte, wußte Bolitho aus Erfahrung, daß die Franzosen nur selten Entgegenkommen zeigten, wenn es darum ging, zu ihrer eigenen Niederlage beizutragen.

Inch kam heran und griff an seinen Hut.»Soll ich die Bramsegel setzen lassen, Sir?«Auch er wirkte munterer und lebhafter als sonst.

Bolitho schüttelte den Kopf.»Sie können die Leute zum Frühstück entlassen, Mr. Inch. Sie haben hart gearbeitet und in der frischen Luft sicher einen gesunden Appetit entwickelt. «Er überlegte flüchtig, ob gepökeltes Schweinefleisch und eisenharte Schiffszwiebäcke bei der Hälfte der Leute nicht Übelkeit verursachen würde, fügte aber hinzu:»Wir wollen mehr Leinwand setzen, sobald es hell wird. «Er nickte Inch zu und ging dann in seine Kajüte.

Unten warf er den abgetragenen Uniformrock auf einen Stuhl und setzte sich an den Schreibtisch. Petch hatte ihm einen Teller und dampfend heißen Kaffee hingestellt und war dabei, in der Pantry das Frühstück für seinen Herrn zuzubereiten. Selbst Petch schien sich mit der Gewohnheit seines Herrn abgefunden zu haben, die Mahlzeiten am Schreibtisch statt am Eßtisch einzunehmen.

Aber Bolitho saß gern in der Kajüte mit nichts als den großen Heckfenstern zwischen sich und der offenen See. Manchmal konnte er das Schiff mit seiner rastlosen Besatzung aus den Gedanken verbannen und einfach hinaus in die Ferne blicken. Es war reiner Trug, bot ihm aber einen gewissen Trost, wenn er ihn am meisten brauchte.

Heute war es noch zu dunkel, um mehr als das weiße, schäumende Kielwasser zu sehen. Aber im Augenblick war er zufrieden. Etwas zu unternehmen, was es auch war, war besser, als nichts zu tun. Er lauschte auf die Geräusche um sich herum: das vibrierende Knarren der Ruderanlage, das Gurgeln und Klatschen des Wassers, das Seufzen und Brausen des Windes in der Takelage, während das Schiff Fahrt vermehrte und dem unsichtbaren Land entgegensegelte.

Petch stellte das Frühstück auf den Schreibtisch und trat zurück, um Bolithos Reaktion zu beobachten. Eine Scheibe fettes Schweinefleisch, in Zwiebackmehl braun geröstet, zwei Scheiben Schiffszwieback, mit schwarzem Sirup dick bestrichen, und Kaffee. Reichlich spartanisch für einen Kommandanten, aber willkommener und ermutigender als Pelham-Martins üppige Tafel.

Das war alles viel zu gut, um lange anzuhalten. Später ging Bo-litho auf das Achterdeck und beobachtete die Leute, die mit Scheuersteinen und Schrubbern fleißig arbeiteten, und die Marinesoldaten bei ihrem Drill. Bolitho hatte das Gefühl, daß alles anders geworden wäre.

Gossett rief plötzlich aus:»Der Wind schralt, Sir.»

Bolitho spähte zum Wimpel am Masttopp hinauf. Unberechenbar wie immer, wandte das Wetter in der Biskaya sich gegen ihn, und schon begannen die Marssegel nervös zu killen.

«Wir wollen um zwei Strich abfallen«, sagte er.»Steuern Sie Nordost zu Ost.»

Stepkyne hatte Dienst als Offizier der Wache und sah aus, als hätte er am Tag vorher stark getrunken.»Midshipman der Wache!

Lassen Sie die Leute an die Brassen pfeifen, und Beeilung dabei!«Noch während das Schiff schwerfällig auf seinen neuen Kurs einschwenkte, erkannte Bolitho, daß es nicht ausreichte. Der Wind sprang noch weiter um und verlor an Kraft. Der Wimpel am Masttopp zuckte und knallte wie die Peitsche eines Fuhrmann, statt steifzustehen.

Gossett trat an Bolithos Seite und murmelte:»Wir müssen über Stag gehen, Sir. «Er wischte sich mit seiner rauhen Hand über das Kinn.»Ich nehme an, daß wir den Wind direkt vom Land her haben, ehe die Wache wechselt.»

Bolitho blickte ihn ernst an. Gossett irrte sich selten bei seinen Voraussagen.»Also gut. Legen Sie sie auf Backbordbug. Wir müssen noch weit nach Norden, wenn wir die Ithuriel heute finden wollen.»

Er lächelte Gossett zu, aber innerlich war er wütend und enttäuscht. Doch da der Wind noch weiter umsprang, wußte er, daß er nichts anderes tun konnte. Gegen zwei Glasen der Vormittagswache wehte der Wind stetig aus Nordost und wich damit etwa um neunzig Grad von seiner ursprünglichen Richtung ab. Statt also mühelos einen Punkt zu erreichen, von dem aus sie die Fregatte sichten und Signalkontakt mit ihr aufnehmen konnten, mußten sie bis weit in den Norden der Flußmündung aufkreuzen und den abflauenden Wind so gut wie möglich nutzen.

Inch kam über das Deck und sagte:»Es wird Stunden dauern, ehe wir wieder wenden können, Sir. «Auch er schien enttäuscht.

Bolitho beobachtete, wie die Rahen knarrend herumschwenkten, und spürte, daß das Schiff fast zum Stehen kam, als es mit schlagenden Segeln durch den Wind ging, ehe sie sich wieder füllten und die Hyperion dadurch stark krängte, bis sie sich aufrichtete und den endlosen Reihen kleiner, hüpfender Schaumkronen folgte.

«Wir werden es später wieder aufholen. «Er beherrschte seinen Unmut und fügte knapp hinzu:»Das bietet uns ausgezeichnete Gelegenheit, mit der unteren Batterie zu exerzieren, Mr. Inch.»

Er ging nach achtern und blickte auf den Kompaß. Nordnordwest. Nun, wenigstens konnten die Bedienung auf dem unteren Batteriedeck exerzieren, ohne durch die geöffneten Stückpforten überschwemmt zu werden. Auch eine gewisse Ventilierung war willkommen, um die Feuchtigkeit und die abgestandene Luft aus dem tiefen Rumpf zu vertreiben.

Es dauerte sechs Stunden, die erzwungene Kursänderung wettzumachen; nun lief die Hyperion wieder nach Süden und hatte jeden Fetzen Leinwand gesetzt, um den mäßigen Landwind zu nutzen. Das Tageslicht begann bereits nachzulassen.

Bolitho ging in Luv auf und ab, als ihn der Ruf des Ausgucks aus seinen brütenden Gedanken schreckte.»An Deck! Segel Backbord voraus!»

Bolitho sah zum Masttopp auf. Es hatte keinen Sinn, den Kurs zu ändern, das würde sie über eine kostbare Stunde kosten, und bis dahin war es dunkel. Sie würden die Fregatte in einem Abstand von zwei Meilen passieren, und das sollte genügen, um ihre Signale zu erkennen. Er hob sein Glas und blickte über das Netz. Er konnte das ferne Schiff nicht ausmachen, denn seine Formen verschwammen vor dem stumpfen grauen Streifen, der die französische Küste war. Er blickte wieder nach oben und biß auf die Lippe. Auf seinem schwindelerregenden Posten behaglich schwankend, konnte der Ausguck die Fregatte sicher deutlich sehen und — wichtiger noch — ihren Abstand bis zu dem hinter ihr liegenden Land erkennen.

Er gab sich einen Ruck.»Ich entere auf, Mr. Inch. «Er ignorierte den schnellen Blickwechsel zwischen den Umstehenden und konzentrierte alle Willenskraft darauf, in die Luvwanten zu klettern und langsam Sprosse um Sprosse der vibrierenden Webeleinen hinaufzusteigen. Schon als Midshipman hatte er Höhen gehaßt, und jedesmal, wenn er aufentern mußte, hatte er erwartet, daß er seine dumme Angst überwunden hätte. Doch dem war nicht so; mit knirschenden Zähnen, die Augen fest auf den schwankenden Mast gerichtet, kletterte er höher und höher. Bis in die Marsstenge hinauf und darum herum, wo zwei überraschte Marinesoldaten die Drehbasse reinigten; die auf steigende Übelkeit unterdrückend, spürte er, wie sein Gewicht an seinen Händen zog, während sein Körper an den Püttingswanten nach außen hing. Doch da jetzt mehr Augen auf ihn als auf die näherkommende Fregatte gerichtet waren, konnte er nicht den leichteren Weg durch das Loch für Anfänger nehmen.

Als er schließlich die Saling erreichte, fand er dort einen ergrauten, bezopften Seemann, der bereits zur Seite rückte, um ihm Platz zum Sitzen zu machen. Bolitho nickte dankbar, mußte aber erst wieder zu Atem kommen. Einige Augenblicke lehnte er sich an die zitternde Stenge, während er nach dem umgehängten Teleskop tastete und versuchte, nicht zu dem weit unter ihm liegenden Deck hinunterzusehen.

Er hörte Midshipman Gascoigne rufen:»Sie hat Erkennungssignal gehißt, Sir!«Inch mußte etwas gesagt haben, denn Sekunden später entfaltete sich das vorbereitete Bestätigungssignal als helles Rechteck an der Marsrah des Hauptmasts.

Bolitho stellte sein Glas ein und sah die schlanke Fregatte in seinem Blickfeld tanzen. Sprühwasser stieg wie ein Vorhang über ihren Bug auf. Er vergaß seine Ängste, als er sich an seine Dienstzeit auf Fregatten erinnerte: immer in Fahrt, mit dem Schwung und der Spannung, die sich auf einem Schiff dieses Typs übertrug. Er empfand Mitgefühl mit dem Kommandanten auf einsamem Wachdienst: Tag für Tag hin und her patrouillieren, ohne daß man etwas vorweisen konnte. Unter diesen Umständen war es auf einem Linienschiff schon schlimm genug, aber im ranken Rumpf einer Fregatte mußte es ein einziger Alptraum sein.

Er riß den Blick von dem anderen Schiff los und richtete ihn auf die im wachsenden Dunkel verschwindende Landzunge im Norden der Flußmündung. Ein paar helle Flecken, wahrscheinlich Unterkünfte der Küstenwache. So dicht unter Land schienen sie sich in der Strömung zu bewegen und die See stillzustehen. Bolitho setzte das Glas ab und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.

Er hörte Inchs Stimme, die der Wind herauftrug:»Captain, Sir! Die Ithuriel hat nichts Neues zu berichten.»

Er wartete, bis das Besansegel einen Augenblick im unsteten Wind flatterte, und konnte dann die perspektivisch verkürzten Gestalten auf dem Achterdeck sehen. Ihre Gesichter hoben sich bleich von den ausgelaugten Planken ab: Gascoigne — die Seiten seines Signalbuchs flatterten im Wind. Und Stepkyne, das Glas auf die Fregatte gerichtet, die sie, auf dem entgegengesetzten Bug liegend, passierte. Selbst sein eigenes Schiff wirkte klein und gedrungen, und es war kaum vorstellbar, daß sechshundert menschliche Wesen ihr Leben in dem kompakten Rumpf verbrachten.

Er dachte auch an die beengten Verhältnisse auf der Fregatte. Sie war nur eine von vielen, wettererprobt und auf sich selbst angewiesen, aber unentbehrlich, wenn der Feind in seinen Häfen eingeschlossen bleiben sollte. Bolitho schluckte schwer und griff nach einer Pardune. Eine weitere lange Kletterpartie wagte er nicht, nicht einmal abwärts. Also schwang er sich vor den verblüfften Augen des Ausgucks von der Saling und legte mit angehaltenem Atem den Weg zum Achterdeck auf eine schnellere, wenn auch weniger würdevolle Weise zurück. Keuchend erreichte er das Deck, war sich der grinsenden Seeleute ringsum bewußt, aber auch des Schmerzes in seinem Bein, wo ihm das dicke Stag bei der raschen Abfahrt die Haut versengt hatte.

Steif sagte er:»Ehe das Licht völlig schwindet, will ich der Ithu-riel noch ein Signal geben. «Er winkte Gascoigne zu sich.»Ich habe den Namen ihres Kommandanten vergessen.»

Gascoigne stand immer noch verwundert der Mund offen, als könne er nicht glauben, daß ein Kommandant sich so merkwürdig verhielt. Er klappte sein Buch auf und stammelte: «Ithuriel, 32 Geschütze, Kommandant ist Kapitän Curry, Sir!»

Es würde banal klingen, wenn er ihm ein gutes neues Jahr wünschte, dachte Bolitho, aber es war besser als nichts.

Stepkyne sagte:»Sie haben sie gut in Schuß gehalten, trotz des verdammten Wetters.»

Bolitho nahm Gascoignes großes Signalteleskop und hob es über die Netze. Die Fregatte lag jetzt in Höhe des Achterdecks der Hyperion, und er konnte die gedrängten Gestalten auf dem Achterdeck unter dem zerfetzten Rest der Nationalflagge sehen. Er blinzelte ein paar Mal hastig, um klarer sehen zu können, aber… Er irrte sich! Er mußte sich irren. Seine Stimme klang immer noch gefaßt, als er kurz befahl:»Setzen Sie folgendes Signal, Mr. Gascoigne: Hermes an Ithuriel. Viel Glück.»

Er ignorierte die Überraschung auf dem blassen Gesicht des Midshipman und schnauzte:»Ganz richtig. Ich habe >Hermes< gesagt!«Dann fügte er hinzu:»Vielen Dank, Mr. Stepkyne.»

Niemand äußerte etwas. Die unmittelbar neben Bolitho Stehenden wandten sogar die Augen von ihm ab, als ob sie nicht Zeugen dieses Wahnsinns werden wollten.

Gascoigne meldete leise:»Sie hat bestätigt, Sir.»

«Legen Sie das Schiff auf Backbordbug, Mr. Gossett«, befahl Bolitho, ohne den Steuermann anzusehen.»Wir drehen nach Westen ab. «Als dann die Pfeifen schrillten und die Matrosen zu den Brassen liefen, erklärte er schroff:»Die Ithuriel ist eine Fregatte mit 32 Geschützen, meine Herren. Dieses Schiff hat aber 36 Kanonen. Und nur ein Franzose würde uns für die Hermes halten.»

Jetzt starrten ihn alle an.»Mr. Stepkyne beobachtete genau, erkannte aber nicht die volle Bedeutung: Sie ist zu gut in Schuß, zu sauber und gepflegt für die Ithuriel nach vielen Wochen Blockade.»

«Aber was hat das zu bedeuten, Sir?«fragte Inch völlig ratlos.

Bolitho beobachtete das Herumholen der Rahen und wie die Segel sich wieder mit Wind füllten.

«Es bedeutet, meine Herren, daß die Ithuriel erobert worden ist. Nur so konnten diese Leute unser Erkennungssignal setzen.«Überraschend, wie ruhig und gefaßt es klang. Er begriff, daß sie es noch nicht durchschauten, während jede Faser seines Körpers danach schrie, daß sie es genauso verstehen sollten wie er. Er bemerkte Allday, der sich auf einen Neunpfünder stützte und zu der Fregatte zurückblickte, die nach und nach in Gischt und sinkende Dunkelheit glitt. Allday mußte wissen, was Bolitho empfand. Er war an Bord seines Schiffes gewesen, der Phalarope, als es von einem amerikanischen Kaperschiff angegriffen worden war. Auch dieses Schiff war eine ehemalige britische Fregatte gewesen, die in die Hände der Feinde gefallen war.

Bohrend fragte Bolitho:»Warum geben die Franzosen sich solche Mühe, uns zu täuschen? Sie haben eine gute Fregatte erobert. Warum wollen sie das geheimhalten?»

Gossett sagte:»Mir scheint, sie haben was zu verheimlichen.»

Bolitho lächelte böse.»Genau das glaube ich, Mr. Gossett. «Er blickte zu dem flatternden Wimpel hinauf. «Wir haben keine Zeit, das Geschwader zu informieren, selbst wenn wir es finden könnten. «Seine Stimme klang härter.»Sobald es ganz dunkel ist, wenden wir und versuchen, wieder eine Position im Norden der Flußmündung zu gewinnen. Ich habe keinen Zweifel, daß der Kommandant der Fregatte, wer das auch ist, über Nacht vor Anker gehen wird. Er wird wissen, daß viele Tage, vielleicht sogar Wochen, vergehen werden, ehe wieder ein Schiff von unserem Geschwader hier erscheint.»

Er versuchte, die Erbitterung in seiner Stimme zu unterdrücken. Wenn Pelham-Martin seine drei Fregatten und möglichst auch die

Schaluppen in einem engen Bogen und in Sichtweite voneinander um das zu überwachende Gebiet konzentriert hätte, wäre es nie dazu gekommen. Im gleichen nüchternen Ton fuhr er fort:»Wir werden so nahe an das Ufer heranlaufen, wie es uns möglich ist. Sobald sich das erste Tageslicht zeigt, will ich den Wind im Rük-ken haben. «Er warf einen kalten Blick auf die nächsten Kanonen.»Diesmal werde ich als erster reden, und zwar nachdrücklich.»

Als sich die Wolkenbänke auf den Horizont legten und das Meer in völlige Dunkelheit hüllten, schritt Bolitho immer noch auf dem Achterdeck hin und her. Er war vom Sprühwasser bis auf die Haut durchnäßt, spürte aber nichts davon. Er hatte die Fregatte wieder vor Augen, empfand die Arroganz ihres Kommandanten, als er auf die Signale des Zweideckers antwortete. Es war um Haaresbreite gegangen. Wenige Minuten später hätten sich die beiden Schiffe getrennt. Dann hätte die Hyperion dem Kommodore gemeldet, daß es nichts Ungewöhnliches zu berichten gab, und Pelham-Martin wäre nur allzu bereit gewesen, diese Meldung zu akzeptieren.

Und die Fregatte? Er blieb unvermittelt stehen, und der Rudergänger blinzelte beunruhigt im Licht der Kompaßlampe, als Bolitho durch ihn hindurchstarrte. Sie konnte ihren Vorgesetzten melden, daß die Engländer getäuscht worden waren. Er runzelte die Stirn. Aber in welcher Absicht? Er nahm sein ruheloses Hin und Her wieder auf, war völlig von seinen Gedanken in Anspruch genommen und von der Frage, was das alles für ihn und sein Schiff bedeuten konnte.

Selbst mit einer schlecht gezielten Breitseite hätte die Hyperion die Fregatte entmasten können, als sie an ihr vorbeilief. Angenommen, sie befand sich nicht mehr auf ihrer Position, wenn die Morgendämmerung kam? Pelham-Martin bekam dann nicht einmal die Befriedigung zu wissen, daß ein feindliches Schiff vernichtet worden war, wenn er in seinem Bericht an Cavendish den Verlust der Ithuriel eingestand. Und der Kommodore würde nicht geneigt sein, die Schuld allein auf sich zu nehmen, war Bolithos ergrimmte Schlußfolgerung.

Aber was konnte den Franzosen zu seinem Verhalten veranlaßt haben? Dafür mußte es einen Grund geben.

Schließlich fühlte Bolitho sich ausgelaugt; ihm wurde plötzlich eiskalt, und er sagte erschöpft:»Ich gehe schlafen, Mr. Stepkyne.

Lassen Sie mich bitte eine halbe Stunde vor Beginn der Morgenwache wecken.»

Als er in die Dunkelheit der Hütte trat, hörte er eine Stimme bewundernd murmeln:»Der hat vielleicht Nerven! Hat so einen verdammten Froschfresser im Visier und krümmt ihm kein Haar. «Darauf Gossetts tiefer Baß:»Halt deine verdammte Klappe! Du kannst sie noch weit genug aufreißen, wenn die Kanonen donnern. »

Bolitho trat in seine Kajüte und schlug die Tür hinter sich zu. Ein paar Augenblicke blieb er völlig ruhig stehen, die Schulter gegen die Schottwand gestützt, während er mit leeren Blicken auf die schwankenden Lampen starrte.

Gossett wußte Bescheid. Weniger als ein Viertel der Besatzung hatte schon einmal den Fuß an Bord eines Schiffes gesetzt, ehe sie auf die Hyperion kamen, gar nicht davon zu reden, daß sie je das Grauen einer feindlichen Breitseite erlebt hätten.

Er preßte die Augen zu und versuchte, sich von seinen Zweifeln freizumachen. Es gab gar keine Wahl; schon seit dem Augenblick nicht mehr, als er das kaltblütige Täuschungsmanöver des französischen Kommandanten durchschaut hatte.

Beinahe hätte es geklappt, und das war das schlimmste. Trotz seiner großen Erfahrung und seiner Ausbildung hatte er nur das gesehen, was man von ihm erwartete. Der Kommandant der Fregatte hatte zwar darauf gesetzt, aber auch die Folgen eines Fehlschlags mußten ihm bewußt gewesen sein. Jede Minute mußte ihm wie eine Stunde erschienen sein, als die Hyperion mit zwei Meilen Abstand an ihm vorbeigelaufen war.

Aber was die Franzosen auch verbergen wollten, es mußte ihnen das Risiko wert sein. Zu seiner Überraschung gab ihm diese Erkenntnis Sicherheit, und als etwas später Petch mit Kaffee in die Kajüte kam, fand er Bolitho mit entspanntem Gesicht fest schlafend auf der Bank unter dem Heckfenster ausgestreckt.

Petch war eine schlichte Seele, und als er seinen Kumpanen erzählte, ihr Kommandant sei seiner Sache so sicher, daß er ihn bald fest schlafend angetroffen habe, fand seine Geschichte manche Ausschmückung.

Allday hörte sie und hatte nichts dazu zu sagen. Er kannte Bo-litho besser als jeder andere und vermutete, daß der Captain ganz wie er selbst an jene andere Begegnung vor vielen Jahren gedacht hatte, als ein ähnliches Täuschungsmanöver ihn um ein Haar Leben und Schiff gekostet hätte.

Allday prüfte im gedämpften Licht einer abgeschirmten Laterne sein schweres Entermesser. Wenn es zu einem Gefecht kommen sollte, brauchte die unerfahrene Besatzung der Hyperion mehr als Selbstvertrauen. Eine ganze Menge mehr.

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