IX Rückzug

Der dritte Tag nach dem Auslaufen von St. Kruis dämmerte hell und klar. Der Himmel war wolkenlos und eisblau. Die See wurde von einem ungestümen Nordost gepeitscht und erstreckte sich als ein endloses Muster aus kleinen Schaumkronen, von der Sonne gelb überhaucht, bis zum fernen Horizont.

Während der Nacht hatten die Schiffe sich trotz der eindringlichen Signale von Pelham-Martin zerstreut, und es brauchte viele nervenstrapazierende Stunden, bis die Formation zu seiner Zufriedenheit wiederhergestellt war. Jetzt liefen die Schiffe mit halbem Wind und in der steifer werdenden Brise stark nach Steuerbord krängend nach Südosten der schattenhaften Küste entgegen, wo nur die tiefer landeinwärts gelegenen, hochragenden Berge von der Sonne erreicht wurden. Die Bucht von Lac Mercedes lag noch im Dunst verborgen.

Bolitho stand auf dem Achterdeck und hielt sich mit einer Hand an den Netzen. Trotz der schon herrschenden Wärme war ihm kalt, und die Augen schmerzten ihn vom angestrengten Beobachten des Landes, das aus dem Schatten auftauchte und mit dem anbrechenden neuen Tag Umriß und Gestalt gewann. Seit sie Anker gelichtet hatten und ausgelaufen waren, hatte er kaum an etwas anderes gedacht als an diesen Augenblick. Während die Schiffe nach Westen segelten, ehe sie im Schutz der Dunkelheit nach Süden abdrehten und einen Kurs auf das Land zu einschlugen, hatte er darüber nachgedacht, was Pelham-Martin tun würde, falls die Franzosen die Bucht bereits geräumt hatten und meilenweit entfernt waren, so wenig faßbar wie bisher. Oder, schlimmer noch, falls de Blocks Schoner falsch informiert worden war und Lequiller sich nie in dieser Gegend aufgehalten hatte.

Falls das eine oder andere zutraf, konnte kaum jemand wissen, wo die Spur wiederaufgenommen werden sollte. Zwei Geschwader zum Gefecht zusammenzuführen, hing mehr vom Glück als von der Planung ab; auch konnte Lequiller sich entschlossen haben, nach Frankreich zurückzukehren oder andere Pläne am anderen Ende der Welt zu verfolgen.

Um sich herum und unter sich spürte Bolitho das Beben und Knarren des Rumpfs, während das Schiff unter gekürzten Segeln den anderen auf die Bank von blassem Dunst folgte. Sobald es hell genug zum Signalisieren gewesen war, hatte Pelham-Martin ihnen Gefechtsbereitschaft befohlen, und jetzt wartete die Besatzung der Hyperion wie die der anderen Schiffe in fast völliger Stille bei ihren Kanonen oder hoch über Deck, oder wie Trudgeon, der Schiffsarzt, tief unten im Rumpf.

Mehrere Teleskope hoben sich gleichzeitig wie auf einen lautlosen Befehl, und Bolitho sah das blasse Rechteck eines Segels Steuerbord weit voraus. Es war die Fregatte Abdiel, der Pelham-Martin befohlen hatte, sich von der entgegengesetzten Seite der Bucht zu nähern und jedes Lebenszeichen zwischen ihren schützenden Landarmen zu melden.

Leutnant Roth stand neben seinen Neunpfündern auf dem Achterdeck und meinte laut:»Jetzt werden wir's ja bald wissen, wie?«Aber er verstummte sofort unter Bolithos finsterem Blick.

Midshipman Gascoigne war mit seinem Teleskop bereits in den Luvwanten und nagte konzentriert an seiner Unterlippe. Wahrscheinlich war ihm die lebenswichtige Bedeutung des ersten Signals schon bewußt.

Stahl klirrte gegen Stahl, fast so laut wie ein Schuß. Als Bolitho den Kopf drehte, sah er Allday auf sich zukommen, der seinen alten Säbel wie einen Talisman vor sich hertrug.

Trotz seiner Befürchtungen gelang es Bolitho zu lächeln, als All-day ihm den Säbel umgürtete. Er zumindest schien keinen Zweifel daran zu haben, was der Tag bringen würde.

«Die Abdiel signalisiert, Sir!«Gascoignes Stimme krächzte vor Aufregung.»An Indomitable: Vier feindliche Schiffe vor Anker in der Bucht. «Lautlos bewegte er die Lippen, während er weiter ablas.

Dann schrie er:»Vier Linienschiffe!»

Inch stieß einen tiefen Seufzer aus.»Bei Gott, wir haben sie!»

Bolitho preßte die Lippen zusammen und zwang sich, zweimal von der einen Seite des Schiffs auf die andere zu gehen. Vier Schiffe… Das war nur die Hälfte von Lequillers Streitmacht. Wo waren die anderen?

Hinter ihm knurrte Gossett:»Der Nebel wird sich bald heben. Dann sehen wir die Schufte vielleicht.»

Wie üblich hatte er recht, und als der Dunst sich verzog, hob Bo-litho sein Glas, um die verankerten Schiffe zu studieren. Im Licht der Sonne, die erst knapp über den Bergen stand, wirkten die vier schwarz und so solide, als ob sie nie und nimmer sich von ihrem Ankergrund lösen könnten; als mehr Licht den dünner werdenden Dunst durchdrang, erkannte er auch den Grund dafür: Sie lagen an der schmälsten Stelle der Einfahrt, an Bug und Heck verankert. Nach Art und Weise, wie sich das Wasser zwischen den beiden nächsten hob und senkte, erkannte er, daß weitere verborgene Taue sie miteinander verbanden, so daß sie eine mächtige Barriere bildeten. Auf allen Schiffen waren die Stückpforten geschlossen und die Segel sauber festgemacht, doch als mehr Licht auf Rahen und Wanten fiel, sah er winzige Gestalten auf jeder Hütte und flatternde Trikoloren an jeder Gaffel. Es bestand kein Zweifel mehr: Ob die Franzosen die spanische Garnison nun überwunden und unterworfen oder sie nur zu ohnmächtigem Schweigen gezwungen hatten, das Ergebnis war in beiden Fällen gleich. Sie waren kampfbereit und — noch entscheidender — mußten gewußt haben, daß Pelham-

Martins Geschwader unterwegs zu ihnen war. Es mußte viel Mühe und Überlegung gekostet haben, die schweren Zweidecker in dieser Weise festzumachen; der französische Befehlshaber hatte beides bestimmt nicht nur auf gut Glück getan.

Inch sagte:»Gerade so, als ob sie gewollt hätten, daß wir kommen, Sir.»

Bolitho schob mit einem Schnappen sein Glas zusammen.»Genau das. Ich habe mich schon gefragt, weshalb sie den Westindienfahrer in Ruhe gelassen haben, nachdem er sie entdeckt hatte. Le-quiller ist kein Dummkopf, Mr. Inch, und ich hoffe, daß der Kommodore das berücksichtigt.»

Inch nickte zweifelnd.»Ich wüßte gern, was er beabsichtigt, Sir.»

Bolitho studierte eine ganze Minute lang die verankerten Schiffe.

Er war sich des Summens im Rigg bewußt, des Rauschens des Wassers, das am Rumpf entlangstrich, und hörte es dennoch nicht. Unheimlich, die Schiffe so liegen zu sehen. Sie standen fast im rechten Winkel zum Kurs des Geschwaders, Steuerbord voraus, das weitest entfernte dicht unter der fernen Landzunge noch vom Dunst verhüllt. Wenn Pelham-Martin diesen Kurs beibehielt, würden sie hinter dem letzten Schiff vorbeilaufen, oder er konnte abfallen und an der verankerten Formation entlangsegeln und einzeln den Kampf aufnehmen.

Gossett sagte:»Auf dieser Seite der Einfahrt ist reichlich Wasser,

Sir.»

«Ja. «Bolitho hatte es auch schon bemerkt, daß die verankerten Schiffe näher an der anderen Landzunge lagen, wogegen der nächste Zweidecker nur rund drei Kabellängen von den überhängenden Klippen, die jetzt von Sonnenlicht gebadet wurden, entfernt war.

Gascoigne rief: «Indomitable signalisiert an Abdiel, Sir. «Hastig kletterte er drei Webeleinen höher und meldete dann:»Ich kann das Signal nicht erkennen, Sir. Die Hermes verdeckt mir die Sicht.»

«Wenn Abdiel bestätigt, werden wir es sehen, Sir«, sagte Inch.

Bolitho blickte ihn ernst an. Merkwürdig, daß Männer über Fragen der Taktik und über Signale diskutieren konnten, wenn sie bei Einbruch der Nacht doch alle tot sein konnten.

Das Bild der Abdiel verkürzte sich und verlängerte sich wieder, als sie mit flatternden Segeln wendete und Kurs auf das Ende der französischen Formation nahm.

Ein paar Matrosen unter dem Achterdeck begannen ihr zuzujubeln, wahrscheinlich mehr, um die Spannung zu brechen, als in der Hoffnung, die Fregatte zu erreichen.

Bolitho beobachtete schweigend. Pelham-Martin schickte also die Abdiel als erste vor.

Vom Wind wurde schwach der Klang einer Trompete herübergetragen, und als er die Augen gegen das greller werdende Licht beschattete, sah er, daß die französischen Schiffe ihre Stückpforten öffneten. Es erfolgte ebenso gelassen wie gut aufeinander abgestimmt, denn als die Doppelreihen der Rohre hervorstießen, schien es, als würden sie von der Hand eines einzigen Mannes kontrolliert. Eine Rauchwolke stieg am Bug der Abdiel auf, der Sekunden später der scharfe Knall des Abschusses folgte. Ob der Schuß die Entfernung messen sollte oder aus reinem Übermut erfolgt war, ließ sich schwer sagen. Vielleicht hatte der Kommandant der Abdiel den Schuß nur abgegeben, um die Spannung zu brechen. Es war bedauerlich, daß das Los, als erster mit dem Feind in Gefechtsberührung zu kommen, Captain Pring und nicht Farquhar zugefallen war. Die Spartan war von den ausgesandten Schaluppen nicht gefunden worden, zumindest war sie noch nicht eingetroffen. Vielleicht befand Farquhar sich selbst in Schwierigkeiten, aber gerade jetzt hätte Bolitho lieber ihn an der Spitze gesehen als Pring. Nicht daß Pring keinen Ehrgeiz gehabt hätte, aber ihm schien Farquhars kalte Selbstbeherrschung zu fehlen.

Wieder Rauch, und diesmal war es eine unregelmäßige Breitseite. Die Kugeln warfen dünne Fontänen querab vom letzten französischen Schiff auf, in dem Bolitho jetzt das erkannte, das er vor St. Kruis schwer beschädigt hatte. Ohne Glas konnte er die klaffenden Lücken in seinem Schanzkleid erkennen und das rohe Behelfsrigg, das seinen verlorenen Besanmast ersetzte.

Gascoigne rief:»Signal an alle, Sir: Der Kommodore beabsichtigt, achtern vom Feind zu passieren, um die Luvposition zu gewinnen.»

«Sie können laden und ausrennen lassen, Mr. Inch.»

Bolitho wich vor dem plötzlich einsetzenden Gedränge um die Achterdecksgeschütze zum Niedergang zurück. Wenige Sprossen über dem Deck stehend, konnte er beobachten, wie sich die Indomi-table vor das hinterste französische Schiff schob. Zwei Kabellängen weiter würde Pelham-Martin dessen Heck passieren, sein Geschwader herum und parallel an den verankerten Schiffen vorbeiführen. Den französischen Kanonieren würde dann nicht nur die Sonne in die Augen scheinen, sondern sie mußten auch durch den Pulverqualm behindert werden, sobald die Beschießung begann.

Oben in den Masten knatterten die Marssegel laut und füllten sich dann wieder mit Wind. So dicht unter Land war es schwer, sie so zu halten, daß sie gut zogen; zufrieden stellte Bolitho fest, daß Tomlins Leute an den Brassen bereitstanden, den nächsten Befehl zu befolgen.

Inch griff an seinen Hut.»Backbordbatterie geladen und ausgerannt, Sir. «Trotz der fernen Abschüsse der Abdiel schien er entspannt und irgendwie vergnügt zu sein.»Sie waren sogar ein paar Minuten schneller als sonst.»

Bolitho sah die Hermes in einer unerwarteten Strömung überholen und bemerkte, daß auch sie ihre Backbordgeschütze ausgerannt hatte.

Bedächtig sagte er:»Und jetzt die Steuerbordgeschütze, Mr. Inch. «Er packte die Reling, während er beobachtete, wie sich das Bild der Abdiel verkürzte, bis er nur noch ihr Heck sah. Der scharlachrote Wimpel stand so steif an ihrer Gaffel wie ein bemaltes Stück Blech.

Inch hatte lange genug unter Bolitho gedient, um keinen seiner Befehle in Frage zu stellen; als seine Leute überrascht zögerten, legte er die Hände als Trichter an den Mund und schrie:»Laden und ausrennen, ihr Schlafmützen! Unteroffizier, schreiben Sie diesen Mann auf.»

Das hatte die gewünschte Wirkung. Mit knarrenden Lafetten polterten die Kanonen an die Stückpforten. Die Kanoniere glitten auf den feuchten Planken aus, als die schweren Geschütze ihrem Eigengewicht folgten und über das geneigte Deck rollten. Auf dem unteren Batteriedeck wusch die See beinahe über die Stückpforten, als sich das Schiff gehorsam neigte, aber Bolitho atmete unbeschwerter. Es klappte alles, vielleicht sogar zu gut.

Er sah Inch an und hob die Schultern.»Es ist immer besser, vorbereitet zu sein.»

An Bord der Hermes hatte anscheinend jemand Zeit gefunden, seinen Blick von den feindlichen Schiffen loszureißen, denn Sekunden später öffneten sich auch ihre Stückpforten an Steuerbord, und hier und dort erschien eine Geschützmündung wie ein hastig gewecktes Tier, das Witterung nahm.

Inch grinste.»Das hat sie aufgeschreckt, Sir.»

Ein Buggeschütz der Indomitable feuerte. Das Mündungsfeuer wurde für Bolitho durch die hinter ihr fahrenden Schiffe verdeckt, doch drehte er sich schnell um und verfolgte die Kugel, die von den Wellenkämmen abprallte, ehe sie dicht vor dem hintersten Franzosen versank. Wieder erfolgten Jubelrufe, und von einem der Schiffe — Bolitho hielt es für die Telamon —, waren Trommeln und Pfeifen zu hören.

«An Deck: Abdiel unter Feuer!»

Der Ruf des Ausgucks wurde übertönt von unregelmäßigem Geschützfeuer, und als Bolitho zur Reling eilte und einem erschreckten Midshipman das Glas entriß, sah er, daß der Rumpf der Fregatte von aufspritzenden Wassersäulen eingerahmt wurde.

Inch rief:»Die Franzosen müssen Heckgeschütze montiert haben!»

Aber Bolitho zog ihn von den Netzen fort.»Sehen Sie doch, Mann! Die Schüsse kommen von Land, da, an Steuerbord!«Er zuckte zusammen, als der Fockmast der Abdiel schwankte und an Deck stürzte; gleichzeitig beobachtete er, wie ihre Segel zitterten, als weitere Kugeln die Takelage durchschlugen und die See rings um das Schiff mit Holzsplittern und wirbelnden Wrackteilen übersäten.

Bolitho knirschte mit den Zähnen. Es war eine Falle, genau wie er es halb befürchtet und halb erwartet hatte. Abdiel wurde von mehreren Kugeln gleichzeitig getroffen. Die versteckten Kanoniere an Land wurden nicht durch die eigenen Schiffsbewegungen oder wechselnde Entfernungen behindert, sondern feuerten unbehelligt Schuß um Schuß auf das Schiff ab, das unter ihnen unmittelbar vor ihren Visieren liegen mußte.

«Pring versucht zu wenden!«Inch weinte fast vor Wut, als der Besanmast der Abdiel schwankte und im Gewirr des Riggs hängenblieb, ehe er mit einem Aufschlag, der selbst das Geschützfeuer übertönte, quer über das Achterdeck stürzte.

Gascoigne schrie wild:»Signal an alle: Der Reihe nach wenden!»

Die Indomitable drehte bereits sehr langsam nach Backbord. Ihr

Klüverbaum richtete sich auf das Heck des hintersten französischen Schiffs, als sie sich durch den Wind wälzte. Einen Augenblick schien sie sich rückwärts zu bewegen, doch als zusätzlich Leute an die Brassen rannten, schwankte sie mit flatternden Marssegeln durch die kurzen, steilen Wellen.

Bolitho rief:»Halten Sie sich bereit, Mr. Gossett!«Gequält beobachtete er, wie der verankerte Franzose eine gezielte Breitseite abfeuerte. Zwei parallele Reihen orangeroter Flammen züngelten aus dem Rumpf und schleuderten die Salve doppelter Ladungen gegen die Seite der Indomitable, auf der die Stückpforten noch geschlossen waren. Bolitho hob die Hand, seine Augen glitten schnell über die kauernden Kanoniere. Er verschloß seine Sinne vor dem Knirschen von splitterndem Holz und konzentrierte sich völlig auf die vor ihm liegenden Schiffe. Kein Wunder, daß der Feind so geduldig und zuversichtlich gewartet hatte. Statt einer geschlossenen Reihe von Schiffen hinter ihrem Heck hatten sie jetzt nahezu ein Chaos vor sich. Die Indomitable drehte schwerfällig durch den Wind. Ihre Klüver flatterte durchlöchert, ihre Vormars- und Groß-bramstenge baumelten im zerfetzten Rigg wie verstümmelte Bäume. Sie hatte ihre andere Batterie immer noch nicht ausgerannt, und Bolitho konnte sich die Metzelei vorstellen, die jene erste Salve angerichtet hatte. Jetzt feuerte das nächste Schiff, und die See um Pelham-Martins Flaggschiff kochte vor weißer Gischt und herabstürzenden Trümmern.

Eine Stimme schrie:»Mein Gott! Abdiel brennt!»

Bolitho riß den Blick vom hohen Heck der Hermes los und drehte sich gerade noch rechtzeitig, um die Fregatte querschlagen zu sehen. Ihre Segel und das vordere Rigg brannten wie Zunder. Die Flammen sprangen von Spiere zu Spiere, und kleine, erbärmliche Gestalten stürzten neben dem Schiff ins Wasser oder auf Deck.

«Signal an alle!«Gascoignes Stimme klang schrill vor Verzweiflung.»Um das Flaggschiff zusammenschließen.»

«Nicht bestätigen!«brüllte Bolitho. Dann zu Gossett:»Jetzt! Leeruder!»

Ein Laut wie ein Aufstöhnen tönte über das Wasser, und er vermutete, daß die Telamon mit dem Achterschiff der Indomitable kollidiert war. Bei dem dichten Qualm war kaum zu erkennen, was vorging.

Vorn lösten seine Leute schon die Vorsegelschoten, und als das Ruder herumschwang, begann sich ihr Bugspriet erst langsam, und dann schneller am Heck der Hermes vorbeizudrehen.

«Hälse und Schoten los!«Es war überraschend, daß Menschen jetzt noch denken konnten, von Handeln nicht zu reden; doch sie folgten, mehr aus Gewohnheit denn aus Verständnis.

Bolitho sah nach oben und hielt den Atem an, als die Rahen überkamen, die Segel in Unordnung gerieten und der Bug langsam durch den Wind drehte.

«Laufen lassen und dichtholen!«schrie Inch durch sein Sprachrohr.»Hol dicht!»

«Bramsegel setzen, Mr. Inch!»

Ein Geschoß zischte über das Achterdeck, aber kaum einer blickte auf. Wahrscheinlich war es ein Fehlschuß von der Indomitable, aber aller Augen blieben auf die Hermes gerichtet, als die Hyperion mit den laut rauschenden, zusätzlichen Segeln und nach der entgegengesetzten Seite geneigtem Deck an ihr vorbeizog.

Die Hermes feuerte an den beiden anderen Schiffen vorbei, die in hilfloser Verwirrung ineinander verkeilt waren. Der Klüverbaum des Holländers war wie eine Lanze durch die Wanten der Indomi-table gefahren. Und während Matrosen sich bemühten, Tauwerk und zerrissene Netze zu kappen, setzte der Franzose sein verheerendes Feuer aus einer Distanz von etwas über fünfzig Yards fort. Bolitho konnte Männer abstürzen oder wie Lumpenbündel beiseitefliegen sehen, die von Schrapnell- und Kartätschenladungen getroffen wurden.

Während die Hyperion an den drei anderen Schiffen des Geschwaders vorbeilief, glaubte Bolitho, Pelham-Martin auf seinem Achterdeck zu erkennen. Sein goldverzierter Hut glänzte in der Sonne, mit hastigen Schritten ging er auf und ab und gestikulierte wild mit den Armen, aber seine Stimme ging im Donnern der Geschütze unter.

Der Qualm war dicht und stieg bis zu den Marsrahen auf; Bolitho versuchte, die Minuten zu zählen, während sein Schiff stetig an der Reihe verborgener Feinde entlangfuhr, die Rahen so dichtgebraßt, daß sie beinahe mittschiffs standen.

Es mußte soweit sein. Es mußte einfach an der Zeit sein. Verzweifelt spähte er nach achtern und erkannte den Umriß der Indomitable, eingehüllt in Rauch und Mündungsblitze. Rauch verdeckte auch die Hermes und den havarierten Holländer, doch das Trommeln der feindlichen Salven ging ohne Zögern oder Unterbrechung weiter. Er schrie:»Klar zur Wende!«Er sah, wie Inch die Reling packte und versuchte, durch den Qualm zu spähen.»Klar ist!»

Bolitho rannte nach Steuerbord. Wenn er die Entfernung falsch eingeschätzt hatte oder der Wind ihn im Stich ließ, mußte er mit dem nächsten feindlichen Schiff kollidieren und dann so hilflos wie die Telamon werden.

«Jetzt!»

Als das Schiff begann, sich durch den Wind zu drehen, hob er die Hände an den Mund und rief den Kanonieren auf dem Hauptdeck zu:»Steuerbordbatterie — Feuer!»

Es war wie ein doppeltes Donnerrollen, da das untere Batteriedeck auf den Befehl nicht vorbereitet gewesen war. Er spürte, wie das Schiff schwankte, als Geschütz um Geschütz an seinen Taljen zurückgeworfen wurde. Die Abschußflammen wurden augenblicklich vom erstickenden Pulverqualm verhüllt, der durch die Pforten zurückströmte und den Tag zur Nacht machte.

Er hörte die Aufschläge einiger Geschosse, die ihr Ziel trafen, und rief den Kanonieren an Backbord zu:»Klar zum Feuern, Jungs!«Er grinste wild, und es wurde ihm nur halb bewußt, daß das Schiff unter ihm so hart wendete, als ob das Rigg sich losreißen wollte. In fieberhafter Hast luden die Kanoniere der Steuerbordbatterie ihre Geschütze neu, während die Hyperion weiter und weiter drehte, bis Bolitho plötzlich wie durch Zauber die Masttopps eines verankerten Schiffs kaum fünfzig Yards voraus durch sein Blickfeld ziehen sah.

Dann zerriß der Wind die Rauchwand, und er sah den Feind klar und deutlich: einen Zweidecker, auf dem ein Teil der Geschütze bereits zu feuern begann, als die Hyperion aus dem ziehenden Qualm auftauchte und an der französischen Formation entlang zurücksegelte. Es war das Führungsschiff der Franzosen, und als Bolitho sich ins Netz lehnte, sah er mit kalter Befriedigung, daß das nächste dahinter aus einem Dutzend Löchern in Schanzkleid und Gangway qualmte, wo seine blindlings abgefeuerte Salve Treffer erzielt hatte.

«Geschützweise feuern!«Die Steuerbordkanonen waren bereit, und als ein Stückführer nach dem anderen die Abzugsleine zurückriß, kam der Qualm oben über die Laufbrücke in einem geschlossenen Wall zurückgeströmt.

«An Deck: Ihr Großmast fällt. «Ein Hurra lief gedämpft über das rauchverhüllte Deck, gequältes Husten und Flüche waren zu hören, als die untere Batterie wieder feuerte.

Ein Matrose kam nach achtern gerannt, taumelte plötzlich und stürzte Stepkyne tot vor die Füße. Der Leutnant ging weiter, hielt nur inne, um über den Toten hinwegzusteigen, während er seine Kanoniere einwies.

Bolitho spürte eine Hand am Ärmel und sah, daß es Gascoigne war. Er mußte ihn angerufen haben, aber in dem Lärm war seine Stimme untergegangen.

«Sir! Signal von der Indomitable!«Er schnappte nach Luft, als ein Geschoß dicht über ihnen wegfuhr und ein Stag wie einen Nähfaden zerriß.

«Weiter, Junge. «Bolitho spürte das Deck erbeben und wußte, daß einige Schüsse des Feindes getroffen hatten.

«Das Signal lautet: >Kampf einstellend Sir.»

Inch kam nach achtern und wischte sich das Gesicht.»Wie war das? Kampf einstellen?«Er wirkte ratlos.

«Bestätigen. «Bolitho begegnete seinem verzweifelten, starren Blick.»Das bedeutet Rückzug, Mr. Inch. «Er machte auf dem Absatz kehrt und ging zur gegenüberliegenden Seite, um zu beobachten, wie die Hermes aus dem Kampfgetümmel heraus durch den Wind drehte. Ihre Heckgeschütze feuerten noch, und ihre Masten waren alle intakt.

Das Geschützfeuer brach so plötzlich ab, als ob jeder taub geworden wäre. Dann schob der Wind den Rauch beiseite, und Bo-litho sah, daß sie von den verankerten Schiffen schon gut klargekommen waren. Die Telamon wälzte sich herum, um der angeschlagenen Indomitable zu folgen, die Hermes bereitete sich schon darauf vor, wieder ihre Position dahinter einzunehmen.

Die Indomitable bot einen jämmerlichen Anblick. Sie hatte alle Maststengen verloren, und ihre Steuerbordseite war vom Bug bis zum Heck zersplittert und durchlöchert.

Von den Franzosen schollen aufgeregte Hurrarufe herüber, vermischt mit höhnischen und spöttischen Schreien, die den Matrosen und Marinesoldaten der Hyperion wie die endgültige Verdammung in den Ohren klingen mußten.

«Signal an alle, Sir. «Gascoigne wirkte niedergeschmettert.»Kurs Südwest. «Das war alles.

Bolitho stieg die Poopleiter hinauf und sah an Backbord nach achtern. Hinter den jubelnden französischen Schiffen konnte er die rauchenden Überreste der Abdiel ausmachen und ein paar verzweifelte Überlebende, die wie verendende Fische im Wasser zappelten. Als sich dann die Landzunge vor dieses Bild des Elends schob, bemerkte er, daß er unkontrollierbar und wie im Fieber zitterte.

Allday kletterte neben ihm herauf.»Sind Sie krank, Captain?»

Bolitho schüttelte den Kopf. Er fürchtete sich, zu sprechen.»Nicht krank. Nur wütend!»

Ohne etwas zu sehen, starrte er auf die endlose Kette der Berge und das üppige grüne Unterholz über der fernen Brandung. Rückzug. Das stak in seinem Kopf wie mit Widerhaken. Rückzug!

Inch kam polternd die Leiter herauf und griff an seinen Hut.»Zwei Tote, Sir. Keine Verletzten.»

Bolitho sah ihn an, bemerkte aber Inchs Qual nicht, der vor den kalten Augen seines Kommandanten zurückscheute.

«Zwei Leute also. «Er wendete sich ab. Die Wörter würgten ihn in der Kehle. Sie waren überlistet und zusammengeschossen, aber nicht geschlagen worden. Sie waren nicht im entferntesten geschlagen. Er blickte nach vorn auf die schweigenden Männer, die ihre Geschütze wieder festzurrten. Sie mußten sich davonschleichen, dank Pelham-Martins blinder, anmaßender Dummheit!

Inch fragte leise:»Was tun wir jetzt, Sir?»

«Tun?«Bolitho sah ihn mit wilden Blicken an.»Einen verdammten Bericht aufsetzen, das tun wir jetzt. Würde mich jedenfalls nicht wundern. Wollen nur hoffen, daß die Toten der Abdiel es zufrieden sind.»

Einem plötzlichen Impuls folgend, legte er seinen Säbel ab und reichte ihn Allday.»Wenn wir das nächstemal den Feind sichten, bringen Sie mir statt dessen besser eine we iße Fahne.»

Dann drehte er sich auf der Stelle um und ging.

Inch sah Allday an.»Ich habe ihn noch nie so wütend gesehen.»

Der Bootsführer drehte den Säbel in Händen und fing mit dem abgegriffenen Knauf das Sonnenlicht auf.»Bitte um Vergebung, Sir, aber es wird Zeit, daß endlich jemand wütend wird, wenn Sie mich fragen.»

Dann drückte er den Säbel gegen die Brust und folgte seinem Kommandanten.

Regungslos saß Bolitho in der Achterplicht der Barkasse, die schnell durch die kleinen Knüppelwellen fuhr, den Blick fest auf die vor Anker liegende Indomitable gerichtet. Nach dem Zusammenbruch von Pelham-Martins Angriff waren die Schiffe vier Stunden lang weiter nach Südwesten gelaufen, folgten der geschwungenen Küstenlinie in einem Tempo, das auf ein qualvolles Kriechen reduziert war, da die verkrüppelte Indomitable bemüht war, weiter die Führung zu behalten.

An einer Stelle, wo sich das Land wieder einbuchtete und der Meeresboden guten Ankergrund bot, hatte der Kommodore seinen Rückzug angehalten. Jetzt lagen die Schiffe in einer langgezogenen, ungleichmäßigen Reihe mit dem Bug zum Land, das knapp zwei Meilen entfernt war.

Bolitho hob den Blick, um die Beschädigungen der Indomitable zu schätzen, und wußte, daß seine Rudergasten ihn beobachteten.

Von der zerschlagenen Bordwand des Zweideckers hob sich die Besatzung der Barkasse sauber und intakt ab, als sie auf ein scharfes Kommando hin die Riemen hoben und der Buggast an der Kette einhakte.

Bolitho sagte:»Legen Sie ab und warten Sie auf meinen Ruf. «Er blickte nicht in Alldays besorgtes Gesicht, als er nach der Kette griff. Die Erbitterung war auch so schon groß genug, ohne daß seine Besatzung sich mit den Leuten der Indomitable unterhalten und noch mehr Klatsch heraufbeschwören konnte, der sie in hohem Maß demoralisieren mußte.

An der Schanzpforte wurde er von einem Leutnant empfangen, der den Arm in der Schlinge trug. Er sagte:»Würden Sie bitte allein nach achtern gehen, Sir?«Er deutete mit dem Kopf auf die anderen Schiffe.»Captain Fitzmaurice und Captain Mulder werden auch jeden Augenblick an Bord kommen.»

Bolitho nickte, antwortete aber nicht. Als er zum Achterdeck ging, nahm er den Gestank von verbranntem Holz und verkohlter

Farbe, von heißgeschossenen Kanonen und den süßlichen, abstoßenden Geruch von Blut wahr.

Seit sie Las Mercedes hinter sich gelassen hatten, war die Besatzung der Indomitable unermüdlich tätig gewesen, doch überall waren die Spuren des Kampfes und der nahen Katastrophe zu sehen. Mehrere Geschütze waren umgestürzt, und überall leuchtete Blut, als ob ein Wahnsinniger mit Pinsel und Farbe gehaust hätte; unter dem Stumpf des Fockmastes lagen die Toten wie Fleisch in einem Schlachthaus gestapelt, und als er oben auf der Hütte kurz innehielt, wurden weitere von unten heraufgeschafft und dem grausigen Bild hinzugefügt.

Er stieß die Tür zur Kapitänskajüte auf. Inmitten von Seekarten stützte Pelham-Martin sich auf seinen Tisch und wurde dabei von einem Hauptmann der Marinesoldaten und einem Leutnant beobachtet, der nicht viel älter als neunzehn Jahre sein konnte.

Der Kommodore blickte von den Karten auf. Seine Augen schimmerten im reflektierten Licht, das durch die zersplitterten Heckfenster fiel.

Bolitho sagte tonlos:»Sie haben mich rufen lassen, Sir?»

«Zu einer Konferenz. «Pelham-Martin sah sich in der verwüsteten Kajüte um.»Das ist eine böse Sache.»

Irgendwo unter Deck schrie ein Mann auf. Der Laut brach so plötzlich ab, als ob eine Tür zugeschlagen worden wäre.

Bolitho fragte:»Was beabsichtigen Sie zu tun?»

Der Kommodore starrte ihn an.»Wenn die anderen da sind, werde ich…»

Er drehte sich heftig um, als die Tür geöffnet wurde und ein Steuermannsmaat hereinblickte.»Verzeihung, Sir, aber der Kommandant fragt nach Ihnen.»

Pelham-Martin schien es bewußt zu werden, daß Bolitho ihn beobachtete, und er sagte schwerfällig:»Winstanley wurde verwundet, als wir uns vom Feind lösten. Er liegt unten im Orlop. «Mit einer gequälten und verzweifelten Bewegung hob er die Schultern.»Ich fürchte, es ist aus mit ihm. «Dann deutete er auf die beiden Offiziere.»Vom Leutnant hier abgesehen, sind dies die einzigen Offiziere, die nicht tot oder verwundet sind.»

Bolitho erwiderte:»Ich möchte Winstanley sehen. «Er ging zur

Tür, dann blieb er stehen, als er bemerkte, daß Pelham-Martin sich nicht gerührt hatte.»Kommen Sie mit, Sir?»

Der Kommodore blickte vor sich auf die Karte nieder und strich ziellos mit dem Finger darüber hin.»Später vielleicht.»

Bolitho winkte die beiden Offiziere nach draußen.»Warten Sie vor der Tür.»

Der Hauptmann der Marinesoldaten schien protestieren zu wollen, aber dann bemerkte er Bolithos Augen.

Nachdem die Tür sich hinter den beiden geschlossen hatte, sagte Bolitho ruhig:»Ich denke, daß Sie mitkommen sollten, Sir. «Er spürte den Zorn wie Feuer in sich aufflackern.»Das ist das wenigste, was Sie für ihn tun können.»

Pelham-Martin fuhr vom Tisch zurück, als ob ihn ein Schlag getroffen hätte.»Wie können Sie es wagen, so mit mir zu sprechen.»

«Was Sie getan haben, gibt mir das Recht dazu. «Bolitho merkte, daß er seine Worte nicht mehr kontrollieren konnte. Er wollte es auch nicht.»Sie haben die Ehre, das Kommando über diese Schiffe und diese Männer zu führen. Damit tragen Sie auch die Verantwortung. Sie haben jedoch beides fortgeworfen, ohne mehr Gedanken darauf zu verwenden als ein blinder Narr.»

«Ich warne Sie, Bolitho!«Pelham-Martins Hände öffneten und schlossen sich wie zwei Klauen.»Ich bringe Sie vor ein Kriegsgericht. Ich werde nicht ruhen, bis Ihr Name ebenso mit Schande beladen ist wie der Ihres Bruders. «Er wurde blaß, als Bolitho einen Schritt auf ihn zutrat.»Es war eine Falle. Ich hatte nicht erwartet.»

Bolitho krampfte die Hände hinter seinem Rücken ineinander, nahm die Worte des Kommodore auf, wußte, daß sie die letzte verzweifelte Verteidigung dieses Mannes waren.

Er sagte:»Vielleicht kommt es zur Verhandlung vor einem Kriegsgericht, Sir. Aber wir wissen beide, wem sie gelten wird. «Er sah, daß seine Worte getroffen hatten, und fügte langsamer hinzu:»Mir ist es so oder so gleichgültig, aber ich werde nicht untätig danebenstehen und zusehen, wie unsere Leute verunglimpft und unsere Sache entehrt wird. Nicht durch Sie, und nicht durch sonst jemanden, der mehr an seinen persönlichen Vorteil als an seine Pflicht denkt.»

Ohne ein weiteres Wort stieß er die Tür auf und ging schnell über das in der Sonne liegende Achterdeck. Jeden Augenblick erwartete er, daß Pelham-Martin nach dem Hauptmann der Marinesoldaten rufen und ihn unter Arrest stellen würde; falls das geschah, wußte er nicht, wozu sein Zorn und seine Verachtung ihn noch verleiten mochten.

Er konnte sich nicht erinnern, wie er den Weg zum Orlopdeck hinuntergefunden hatte, und er registrierte nur vage Bilder von Männern, die mit Reparaturarbeiten beschäftigt waren, die Gesichter und Körper noch vom Pulverqualm geschwärzt, mit starren und wilden Augen.

Das Orlopdeck lag im Dunkeln, abgesehen von den schwankenden Laternen unter der Decke, die alle über dem zentralen Punkt aufgehängt waren, an dem Todeskampf und Horror herrschten. Ringsum an den bauchigen Wänden des Rumpfes warteten zuk-kende und schluchzende Verwundete, deren Gesichter und zerschmetterte Gliedmaßen im Lampenlicht kurz sichtbar wurden, ehe das Schiff sich auf die andere Seite legte und sie wieder in barmherzigem Schatten verschwinden ließ.

Kapitän Winstanley lag gegen einen der massiven Spanten gelehnt. Sein eines Auge war von einem dicken Verband bedeckt, in dessen Mitte ein roter Fleck leuchtete. Er war bis zu den Hüften nackt, den Unterkörper nur mit einem Stück Leinwand bedeckt. Sein gebogener Säbel, den er während des Kampfes getragen hatte, lag neben ihm.

Bolitho ließ sich auf ein Knie nieder, sah den Schweiß, der Win-stanley über die breite Brust rann, sein langsames, mühsames Atmen, das mehr als genug verriet.

Behutsam ergriff er die Hand des verwundeten Kapitäns. Die Finger waren kalt wie Eis.»Hier bin ich, Winstanley. «Er sah, daß das nicht bedeckte Auge sich ihm zuwendete, dann das Erkennen, das so langsam kam wie der Atem des Mannes.

Die Finger bewegten sich etwas.»Sie wollte ich sehen. «Er schloß das Auge und verzerrte in plötzlichem Schmerz das Gesicht. Dann fügte er mit schwacher Stimme hinzu:»Ich — ich wollte Pelham-Martin sagen. wollte ihm sagen. «Das Auge wich von Bolitho ab und richtete sich auf einen dünnen Mann in langer, blutbefleckter Schürze. Der Arzt der Indomitable nickte kurz und ging zu den Laternen zurück, wo seine Gehilfen einen schlaffen Körper vom Operationstisch zogen. Winstanleys Mund versuchte zu lächeln.»Mr. Tree ist ungeduldig, Bolitho. Aber an mir verschwendet er nur seine Zeit. «Er rollte den Kopf, um sich im Orlopdeck umzusehen.»Er soll sich um diese armen Kerle hier kümmern. Mit mir ist es vorbei. «Dann schlossen sich seine Finger wie eine stählerne Falle um Bolithos Hand.»Lassen Sie nicht zu, daß er Schande über mein Schiff bringt! Im Namen Christi, dulden Sie das nicht. «Das Auge war auf Bolithos Gesicht gerichtet, forderte eine Antwort.

Nahebei wich ein junger Midshipman mit vor Angst geweiteten Augen gegen die Bordwand zurück, als ein Lazarettmaat sagte:»Der ist der nächste. Sein Arm muß abgenommen werden. «Der Junge wälzte sich auf die Seite, wehrte sich weinend gegen die Gehilfen, die aus dem Dunkel auftauchten.

Winstanley keuchte:»Sei tapfer, Junge, sei tapfer!«Aber seine Worte blieben ungehört.

Bolitho wandte sich ab, ihm war elend zumute. Er dachte an Pas-coe. Was hätte geschehen können, wenn er Pelham-Martins Signal befolgt hätte, sich mit den anderen um die Indomitable zu scharen und auf die vollständige Vernichtung zu warten?

Er sagte:»Ich habe einen Plan, Winstanley. «Er verschloß sein Gehör dem schrillen Aufschrei hinter seinem Rücken; er klang wie der einer gefolterten Frau.»Ich werde für Ihr Schiff tun, was ich kann. «Er versuchte zu lächeln.»Für uns alle.»

Bolitho spürte, daß jemand seine Schulter berührte, und blickte auf. Der Arzt und seine Gehilfen standen neben ihm.

Winstanley sagte leise:»Anscheinend kann ich nicht mehr bewegt werden, Bolitho.»

Der Arzt brummte ungeduldig:»Tut mir leid, Captain Bolitho, aber Sie müssen jetzt gehen.»

Bolitho zuckte zusammen, als das Stück Leinwand weggezogen wurde. Selbst Winstanleys Verband konnte den entsetzlichen Anblick seines Beins und seiner Hüfte nicht verdecken. Mühsam sagte er:»Ich kann nicht warten, Winstanley. Ich besuche Sie später, um Ihnen meinen Plan zu erläutern, ja?»

Winstanley nickte und ließ die Hand sinken. Er wußte so gut wie Bolitho, daß es für sie auf Erden kein Wiedersehen geben würde. Und etwas in seinem einzigen Auge schien Bolitho zu danken, der in den Schatten zurücktrat. Zu danken für das Versprechen eines Plans, von dem Bolitho selbst noch keine Vorstellung hatte. Und dafür, daß er nicht blieb, um Zeuge des letzten Elends und der Erniedrigung unter dem Messer zu werden, das schon im Licht der Laternen glänzte.

Auf dem Achterdeck brannte die Sonne heißer und heller als je, aber die Übelkeit in Bolithos Magen blieb unverändert, und er fühlte sich so kalt wie Winstanleys Hand.

Manche Seeleute beobachteten ihn, als er vorbeiging. Ihr Ausdruck war beherrscht, aber in gewisser Weise wehrlos. Sie hatten ihren Kommandanten geliebt und ihm gut gedient. Dagegen war Bolitho ein Fremder.

In der Achterkajüte fand er Fitzmaurice und Mulder, die mit dem Kommodore warteten. Ihre Gesichter waren zur Tür gerichtet, als ob sie die schon seit einiger Zeit beobachteten.

Bolitho sagte ruhig:»Ich bin bereit, Sir.»

Pelham-Martin sah sie der Reihe nach an.»Dann, glaube ich, sollten wir darüber diskutieren.»

Er blickte auf, als Fitzmaurice ihn schroff unterbrach:»Irgendwo auf See lauern die anderen Schiffe von Lequiller, während wir hier herumstehen und reden. Wir können Las Mercedes nicht verlassen, ohne die zu zerstören, gegen die wir gerade gekämpft haben. «Er sah den Kommodore unbewegt an.»Doch wenn wir wieder angreifen, steht uns der gleiche Rückschlag bevor, da sich das Kräfteverhältnis zu unseren Ungunsten verschoben hat.»

Der Kommodore betupfte sich automatisch die Stirn.»Wir haben es versucht, meine Herren. Und ich kann nicht sagen, daß wir unser Bestes geboten haben.»

Bolitho zerrte an seinem Halstuch. Diese Worte und die Hitze in der Kajüte machten ihn schwindlig. Er sagte:»Es gibt noch eine Möglichkeit, den Feind zu überraschen. «Er beobachtete PelhamMartins Gesicht, der seine Verwirrung zu verbergen suchte.»Die Zeit arbeitet nicht für uns, und dieser Plan, jeder Plan, kann sich als besser erweisen als die völlige Niederlage.»

Die anderen sahen ihn aufmerksam an, aber er wandte den Blick nicht vom Gesicht des Kommodore. Es war, als ob zwischen ihnen ein Seil gespannt wäre, und auch nur ein Anzeichen des Zögerns oder der Unsicherheit konnte allem ein Ende machen.

Wie von weit her hörte er Pelham-Martin sagen:»Sehr gut. Dann seien Sie so freundlich und erläutern Sie ihn. «Als er sich in seinen Sessel sinken ließ, zitterten ihm die Hände stark, aber noch weniger zu übersehen war der Haß in seinen Augen.

Bolitho erkannte diesen Ausdruck und ignorierte ihn. Er dachte an Winstanley unten im Orlop: mitten unter seinen Leuten war er den Todesqualen unter der Säge des Chirurgen ausgeliefert.

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