Lev Nikolaevic Tolstoj


Krieg und Frieden


Krieg und Frieden Erstdruck: Moskau 1868/69 (4 Bde).



Hier in der Übers. v. Hermann Röhl.




Lev Nikolaevic Tolstoj

Krieg und Frieden

(Vojna i mir)

Erster Teil


I

»Nun, sehen Sie wohl, Fürst: Genua und Lucca sind weiter nichts mehr als Apanagen der Familie Bonaparte. Nein, das erkläre ich Ihnen auf das bestimmteste: wenn Sie mir nicht sagen, daß der Krieg eine Notwendigkeit ist, wenn Sie sich noch länger erlauben, all die Schändlichkeiten und Gewalttaten dieses Antichrists in Schutz zu nehmen (wirklich, ich glaube, daß er der Antichrist ist), so kenne ich Sie nicht mehr, so sind Sie nicht mehr mein Freund, nicht mehr, wie Sie sich ausdrücken, mein treuer Sklave. – Jetzt aber guten Tag, guten Tag! Ich sehe, daß ich Sie einschüchtere; setzen Sie sich und erzählen Sie!«

So sprach im Juni 1805 Fräulein Anna Pawlowna Scherer, die hochangesehene Hofdame und Vertraute der Kaiserinmutter Maria Feodorowna, indem sie den durch Rang und Einfluß hervorragenden Fürsten Wasili begrüßte, der sich als erster zu ihrer Soiree einstellte. Anna Pawlowna hustete seit einigen Tagen; sie hatte, wie sie sagte, die Grippe (»Grippe« war damals ein neues Wort, dessen sich nur einige wenige feine Leute bedienten). Die Einladungsschreiben, die sie am Vormittag durch einen Lakaien in roter Livree versandt hatte, hatten alle ohne Abweichungen folgendermaßen gelautet:

»Wenn Sie, Graf (oder Fürst), nichts Besseres vorhaben und die Aussicht, den Abend bei einer armen Patientin zu verbringen, Sie nicht zu sehr erschreckt, so werde ich mich sehr freuen, Sie heute zwischen sieben und neun Uhr bei mir zu sehen. Anna Scherer.«

»Mein Gott, was für eine hitzige Attacke!« antwortete der soeben eingetretene Fürst, ohne über einen derartigen Empfang im geringsten in Aufregung zu geraten, mit einem heiteren Ausdruck auf seinem flachen Gesicht.

Er trug die gestickte Hofuniform, Schnallenschuhe, Strümpfe und mehrere Orden und sprach jenes auserlesene Französisch, welches unsere Großväter nicht nur redeten, sondern in dem sie auch dachten, und zwar mit dem ruhigen, gönnerhaften Ton, wie er einem hochgestellten, im Verkehr mit der besten Gesellschaft und in der Hofluft altgewordenen Mann eigen ist. Er trat zu Anna Pawlowna heran, küßte ihr die Hand, wobei er ihr den Anblick seiner parfümierten, schimmernden Glatze darbot, und setzte sich dann in aller Seelenruhe auf einen Lehnsessel.

»Vor allen Dingen, liebe Freundin, sagen Sie mir, wie es mit Ihrer Gesundheit steht, und beruhigen Sie Ihren Freund«, sagte er, ohne seine Stimme zu verändern, und in einem Ton, bei dem man durch alle Höflichkeit und Anteilnahme doch seine innere Gleichgültigkeit und sogar ein wenig Spott hindurchhörte.

»Wie kann ich körperlich gesund sein, wenn ich seelisch leide? Wer, der überhaupt Gefühl in der Brust hat, kann denn in unserer Zeit seine seelische Ruhe bewahren?« sagte Anna Pawlowna. »Ich hoffe, Sie bleiben den ganzen Abend bei mir?«

»Und die Fete beim englischen Gesandten? Heute ist Mittwoch; ich muß mich dort zeigen«, erwiderte der Fürst. »Meine Tochter wird herkommen und mich dorthin begleiten.«

»Ich glaubte, die heutige Fete sei abgesagt worden. Ich muß gestehen, alle diese Feten und Feuerwerke werden einem allmählich unerträglich.«

»Wenn der Gesandte geahnt hätte, daß dies Ihr Wunsch sei, so hätte er gewiß die Fete absagen lassen«, antwortete der Fürst; er redete eben gewohnheitsmäßig, wie ein aufgezogenes Uhrwerk, etwas hin, wovon er selbst nicht erwartete, daß es jemand glauben werde.

»Spannen Sie mich nicht auf die Folter. Welcher Beschluß ist denn nun infolge von Nowosilzews Depesche gefaßt worden? Sie wissen ja doch alles.«

»Wie soll ich Ihnen darauf antworten?« erwiderte der Fürst in kühlem, gelangweiltem Ton. »Sie wollen wissen, wie man die Sachlage auffaßt? Man ist der Ansicht, daß Bonaparte seine Schiffe hinter sich verbrannt hat, und es hat den Anschein, daß wir uns anschicken, mit den unsrigen das gleiche zu tun.«

Fürst Wasili sprach immer in trägem, lässigem Ton, etwa wie ein Schauspieler eine schon oft von ihm gespielte Rolle spricht. Dagegen sprühte Anna Pawlowna Scherer trotz ihrer vierzig Jahre von Lebhaftigkeit und Leidenschaftlichkeit.

Die Rolle der Enthusiastin war ein wesentliches Stück ihrer gesellschaftlichen Stellung geworden, und manchmal gab sie sich, auch wenn ihr eigentlich nicht danach zumute war, dennoch als Enthusiastin, nur um die Erwartung der Leute, die sie kannten, nicht zu täuschen. Das leise Lächeln, das beständig auf Anna Pawlownas Gesicht spielte, obwohl es eigentlich zu ihren verlebten Zügen nicht paßte, dieses Lächeln besagte, ähnlich wie bei verzogenen Kindern, daß sie sich ihrer liebenswürdigen Schwäche dauernd bewußt sei, aber nicht beabsichtige, nicht imstande sei und nicht für nötig halte, sich von ihr freizumachen.

Als das Gespräch über die politische Lage einige Zeit gedauert hatte, wurde Anna Pawlowna hitzig.

»Ach, reden Sie mir nicht von Österreich! Mag sein, daß ich nichts davon verstehe, aber Österreich hat den Krieg nie gewollt und will ihn auch jetzt nicht. Österreich verrät uns. Rußland muß allein der Retter Europas werden. Unser Wohltäter auf dem Thron kennt seinen hohen Beruf und wird diesem Beruf treu bleiben. Das ist das einzige, worauf ich mich verlasse. Unserm guten, herrlichen Kaiser ist die größte Aufgabe in der Welt zugefallen, und er ist so reich an trefflichen Eigenschaften und Tugenden, daß Gott ihn nicht verlassen wird. Unser Kaiser wird seinen hohen Beruf erfüllen, die Hydra der Revolution zu erwürgen, die jetzt in der Gestalt dieses Mörders und Bösewichts noch entsetzlicher erscheint als vorher. Wir allein müssen das Blut des Gerechten sühnen. Auf wen könnten wir denn auch rechnen, frage ich Sie? England mit seinem Krämergeist hat kein Verständnis für die ganze Seelengröße Kaiser Alexanders, und kann ein solches Verständnis nicht haben. Es hat sich geweigert, Malta zu räumen. Es will erst noch sehen und findet in allem, was wir tun, einen Hintergedanken. Was haben die Engländer auf Nowosilzews Anfrage geantwortet? Nichts. Sie haben kein Verständnis gehabt, können kein Verständnis haben für die Selbstverleugnung unseres Kaisers, der nichts für sich selbst will und in allem nur auf das Wohl der ganzen Welt bedacht ist. Und was haben sie versprochen? Nichts. Und was sie versprochen haben, selbst das werden sie nicht zur Ausführung bringen! Preußen hat bereits erklärt, Bonaparte sei unüberwindlich und ganz Europa vermöge nichts gegen ihn. Und ich glaube diesen beiden, Hardenberg und Haugwitz, kein Wort, das sie sagen. Diese vielgerühmte Neutralität Preußens ist weiter nichts als eine Falle. Ich glaube nur an Gott und an die hohe Bestimmung unseres geliebten Kaisers. Er wird Europa retten!« Sie hielt plötzlich inne mit einem spöttischen Lächeln über die Hitze, in die sie hineingeraten war.

»Ich glaube«, erwiderte der Fürst gleichfalls lächelnd, »hätte man Sie an Stelle unseres lieben Wintzingerode hingeschickt, Sie hätten die Zustimmung des Königs von Preußen im Sturm errungen. Sie besitzen eine erstaunliche Beredsamkeit. Darf ich Sie um eine Tasse Tee bitten?«

»Sogleich. Apropos«, fügte sie, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, hinzu, »es werden heute zwei sehr interessante Persönlichkeiten bei mir sein: der Vicomte Mortemart (er ist durch die Rohans mit den Montmorencys verwandt; die Mortemarts sind eine der besten Familien Frankreichs; das ist einer der wirklich achtungswerten Emigranten, einer von der echten Art) und dann der Abbé Morio. Kennen Sie diesen tiefen Geist? Er ist vom Kaiser empfangen worden; Sie wissen wohl?«

»Ah! das wird mich außerordentlich freuen«, antwortete der Fürst. »Sagen Sie«, fügte er, als ob ihm soeben etwas einfiele, in besonders lässigem Ton hinzu, obgleich das, wonach er fragen wollte, der Hauptzweck seines Besuches war, »ist es richtig, daß die Kaiserinmutter die Ernennung des Baron Funke zum ersten Sekretär in Wien wünscht? Dieser Baron ist doch allem Anschein nach ein wertloses Subjekt.« Fürst Wasili hegte den Wunsch, daß sein eigener Sohn diese Stelle erhalten möge, welche andere Leute auf dem Weg über die Kaiserinmutter Maria Feodorowna dem Baron zu verschaffen suchten.

Anna Pawlowna schloß die Augen beinahe vollständig, um zu verstehen zu geben, daß weder sie noch sonst jemand sich ein Urteil über das erlauben dürfe, was der Kaiserinmutter beliebe oder genehm sei.

»Baron Funke ist der Kaiserinmutter durch ihre Schwester empfohlen worden«, begnügte sie sich in melancholischem, trockenem Ton zu erwidern. In dem Augenblick, wo Anna Pawlowna von der Kaiserinmutter sprach, nahm ihr Gesicht auf einmal den Ausdruck einer tiefen, innigen Ergebenheit und Verehrung, gepaart mit einer Art von Traurigkeit, an, ein Ausdruck, der bei ihr jedesmal zum Vorschein kam, wenn sie im Gespräch ihrer hohen Gönnerin Erwähnung tat. Sie äußerte dann noch, Ihre Majestät habe geruht, dem Baron Funke großes Wohlwollen zu bezeigen, und wieder zog dabei ein Schatten wie von Traurigkeit über ihren Blick.

Der Fürst machte ein Gesicht, als ob ihm die Sache gleichgültig sei, und schwieg. Anna Pawlowna hatte mit der ihr eigenen höfischen und weiblichen Gewandtheit und schnellen Erkenntnis dessen, was taktgemäß war, dem Fürsten etwas dafür auswischen wollen, daß er sich erdreistet hatte, über eine von der Kaiserinmutter protegierte Persönlichkeit so abfällig zu urteilen; nun aber wollte sie ihn doch auch wieder trösten.

»Um auf Ihre Familie zu kommen«, sagte sie, »wissen Sie wohl, daß Ihre Tochter, seit sie Gesellschaften besucht, das Entzücken der gesamten höheren Kreise bildet? Man findet sie schön wie den Tag.«

Der Fürst verneigte sich zum Zeichen der Verehrung und Dankbarkeit.

»Ich denke oft«, fuhr Anna Pawlowna nach einem kurzen Stillschweigen fort (sie rückte dabei dem Fürsten näher und lächelte ihm freundlich zu, als wollte sie damit andeuten, daß die Unterhaltung über Politik und Angelegenheiten der Gesellschaft nun beendigt sei und jetzt ein vertraulicheres Gespräch beginne), »ich denke oft, wie ungerecht manchmal das Glück im Leben verteilt ist. Warum hat Ihnen nur das Schicksal zwei so prächtige Kinder gegeben (Anatol, Ihren jüngeren Sohn, schließe ich dabei aus; ich mag ihn nicht«, schaltete sie in einem Ton ein, als dulde sie keinen Widerspruch, und zog dabei die Augenbrauen in die Höhe), »so entzückende Kinder? Wahrhaftig, Sie wissen deren Wert weniger zu schätzen als alle anderen Leute, und daher verdienen Sie nicht, solche Kinder zu haben.«

Ihr Gesicht war wieder von dem ihr eigenen enthusiastischen Lächeln verklärt.

»Was ist da zu machen? Lavater würde sagen, daß mir der Kopfhöcker der elterlichen Liebe fehlt«, erwiderte der Fürst.

»Scherzen Sie nicht darüber. Ich wollte ernsthaft mit Ihnen reden. Wissen Sie, ich bin mit Ihrem jüngeren Sohn nicht zufrieden. Unter uns gesagt« (hier nahm ihr Gesicht wieder einen trüben Ausdruck an), »es wurde bei Ihrer Majestät von ihm gesprochen, und Sie wurden bedauert.«

Der Fürst antwortete nicht; sie aber blickte ihn schweigend und bedeutsam an und wartete auf eine Antwort. Der Fürst runzelte die Stirn.

»Was soll ich denn dabei machen?« sagte er endlich. »Sie wissen, ich habe für die Erziehung meiner Söhne alles getan, was ein Vater nur tun kann, und doch haben Sie sich beide übel entwickelt. Ippolit ist wenigstens nur ein ruhiger Narr, aber Anatol ein unruhiger. Das ist der einzige Unterschied«, sagte er und lächelte dabei gekünstelter und lebhafter als gewöhnlich, wobei mit besonderer Schärfe in den um seinen Mund liegenden Falten ein überraschend roher, unangenehmer Zug hervortrat.

»Warum werden solchen Männern, wie Sie, Kinder geboren? Wenn Sie nicht Vater wären, hätte ich gar nichts an Ihnen zu tadeln«, sagte Anna Pawlowna, nachdenklich aufblickend.

»Ich bin Ihr treuer Sklave, und Ihnen allein kann ich es gestehen: meine Kinder sind die Fesseln meines Daseins. Das ist eben mein Kreuz. So fasse ich es auf. Was soll ich da tun?« Er schwieg und drückte durch eine Gebärde seine Ergebung in dieses grausame Schicksal aus. Anna Pawlowna überlegte.

»Haben Sie nie daran gedacht, Ihrem Anatol, diesem verlorenen Sohn, eine Frau zu geben?« sagte sie dann. »Es heißt immer, alte Jungfern hätten eine Manie für das Ehestiften. Ich verspüre diese Schwäche noch nicht an mir; aber ich habe da ein junges Mädchen, das sich bei ihrem Vater sehr unglücklich fühlt, eine Verwandte von uns, eine Tochter des Fürsten Bolkonski.«

Fürst Wasili antwortete nicht, gab jedoch mit jener schnellen Auffassungsgabe, wie sie Leuten von Welt eigen ist, durch eine Kopfbewegung zu verstehen, daß er diese Mitteilungen zum Gegenstand seines Nachdenkens mache.

»Wissen Sie wohl, daß mich dieser Anatol jährlich vierzigtausend Rubel kostet?« sagte er dann, anscheinend nicht imstande, von seinem trüben Gedankengang loszukommen. Dann schwieg er wieder eine Weile.

»Was soll daraus werden, wenn es noch fünf Jahre so weitergeht? Das ist der Segen davon, wenn man Vater ist. Ist sie reich, Ihre junge Prinzessin?«

»Der Vater ist sehr reich und geizig. Er lebt auf dem Land. Wissen Sie, es ist der bekannte Fürst Bolkonski, der noch unter dem hochseligen Kaiser den Abschied erhielt; er hatte den Spitznamen ›der König von Preußen‹. Er ist ein sehr kluger Mensch, hat aber seine Sonderbarkeiten und ist schwer zu behandeln. Das arme Kind ist kreuzunglücklich. Sie hat noch einen Bruder, der bei Kutusow Adjutant ist; er hat vor einiger Zeit Lisa Meynen geheiratet. Er wird heute bei mir sein.«

»Hören Sie, liebe Annette«, sagte der Fürst, indem er plötzlich die Hand der Hofdame ergriff und in etwas wunderlicher Weise nach unten zog. »Arrangieren Sie mir diese Sache, und ich werde für alle Zeit Ihr treuester Sklave sein (›Sklafe‹, wie mein Dorfschulze immer in seinen Berichten an mich schreibt, mit einem f). Sie ist von guter Familie und reich. Das ist alles, was ich brauche.«

Und mit jenen ungezwungenen, familiären, graziösen Bewegungen, die ihn auszeichneten, ergriff er die Hand des Fräuleins, küßte sie und schwenkte dann diese Hand hin und her, während er sich in den Sessel zurücksinken ließ und zur Seite blickte.

»Warten Sie einmal«, sagte Anna Pawlowna überlegend. »Ja, ich will gleich heute mit Lisa, der Frau des jungen Bolkonski, reden. Vielleicht läßt sich die Sache arrangieren. Ich werde bei Ihrer Familie anfangen, das übliche Gewerbe der alten Jungfern zu erlernen.«

II


Anna Pawlownas Salon begann sich allmählich zu füllen. Die höchste Noblesse Petersburgs fand sich ein, Menschen, die an Lebensalter und Charakter höchst verschieden waren, aber doch etwas Gleichartiges hatten durch die gesellschaftliche Sphäre, in der sie alle lebten. Da kam die Tochter des Fürsten Wasili, die schöne Helene, die ihren Vater abholen wollte, um mit ihm zusammen zu der Fete des Gesandten zu fahren; sie war in Balltoilette und trug als Abiturientin des Fräuleinstiftes eine Brosche mit dem Namenszug der Kaiserin. Dann kam die als »die reizendste Frau Petersburgs« bekannte, junge, kleine Fürstin Bolkonskaja, die sich im letzten Winter verheiratet hatte und, weil sie sich in anderen Umständen befand, größere Festlichkeiten nicht mehr besuchte, während sie an kleinen Abendgesellschaften noch teilnahm. Es erschien Fürst Ippolit, der Sohn des Fürsten Wasili, zusammen mit dem Vicomte Mortemart, den er vorstellte; auch der Abbé Morio fand sich ein, und viele andere.

»Haben Sie meine liebe Tante noch nicht gesehen, oder sind Sie vielleicht noch gar nicht mit ihr bekannt?« fragte Anna Pawlowna die eintreffenden Gäste und führte sie sehr feierlich zu einer kleinen alten Dame mit einem Kopfputz von hochragenden Bandschleifen, welche, sobald die Gäste begonnen hatten sich einzufinden, aus dem anstoßenden Zimmer zum Vorschein gekommen war. Anna Pawlowna nannte die Namen der einzelnen Gäste, indem sie langsam ihre Augen von dem betreffenden Gast zu der Tante hinüberwandern ließ, und trat darauf ein wenig zurück. Alle Gäste machten die Begrüßungszeremonie mit dieser lieben Tante durch, die niemandem bekannt war, niemanden interessierte und mit niemandem irgendwelche Beziehungen hatte. Anna Pawlowna beaufsichtigte mit wehmütig feierlicher Teilnahme diese Begrüßungen, wobei sie ein beifälliges Stillschweigen beobachtete. Die Tante sprach mit jedem Gast in denselben Ausdrücken von seinem Befinden, von ihrem eigenen Befinden und von dem Befinden Ihrer Majestät, welches heute, Gott sei Dank, besser sei. Alle Gäste, die die Tante begrüßt hatten, traten dann mit einem Gefühl der Erleichterung, wie nach Erfüllung einer schweren Pflicht, höflichkeitshalber jedoch, ohne irgendwelche Eile merken zu lassen, von der alten Dame wieder fort, um nunmehr den ganzen Abend über auch nicht ein einziges Mal mehr zu ihr heranzukommen.

Die junge Fürstin Bolkonskaja hatte sich in einem samtenen, goldgestickten Beutelchen eine Handarbeit mitgebracht. Ihre hübsche Oberlippe mit dem leisen Schatten eines schwärzlichen Schnurrbärtchens war etwas zu kurz für die Zähne; aber um so reizender sah es aus, wenn sie sich öffnete, und noch mehr, wenn sie sich manchmal ausstreckte und zur Unterlippe hinabsenkte. Wie das immer bei hervorragend reizenden Frauen der Fall ist, erschien ihr Mangel, die Kürze der Lippe und der halbgeöffnete Mund, als eine besondere, nur ihr eigene Schönheit. Es war für alle ein herzliches Vergnügen, diese hübsche, von Gesundheit und Lebenslust erfüllte Frau anzusehen, die bald Mutter werden sollte und ihren Zustand so leicht ertrug. Die alten Herren und die blasierten, finsterblickenden jungen Leute hatten die Empfindung, als würden sie selbst ihr ähnlich, wenn sie ein Weilchen in ihrer Nähe geweilt und sich mit ihr unterhalten hatten. Wer mit ihr sprach und bei jedem Wort, das er sagte, ihr strahlendes Lächeln und die glänzend weißen Zähne sah, die fortwährend sichtbar wurden, der konnte glauben, daß er heute ganz besonders liebenswürdig sei. Und das glaubte auch ein jeder.

Die kleine Fürstin ging in schaukelndem Gang, mit kleinen, schnellen Schritten, den Arbeitsbeutel in der Hand, um den Tisch herum, setzte sich auf das Sofa, nicht weit von dem silbernen Samowar, und legte vergnügt ihr Kleid in Ordnung, als ob alles, was sie nur tun mochte, eine Erheiterung für sie selbst und für ihre gesamte Umgebung sei.

»Ich habe mir eine Handarbeit mitgebracht«, sagte sie, sich an alle zugleich wendend, während sie ihren Ridikül auseinanderzog.

»Aber hören Sie mal, Annette«, wandte sie sich an die Wirtin, »solche häßlichen Streiche dürfen Sie mir nicht spielen. Sie haben mir geschrieben, es wäre bei Ihnen nur eine ganz kleine Abendgesellschaft. Und nun sehen Sie, in was für einem Aufzug ich hergekommen bin.«

Sie breitete die Arme auseinander, um ihr elegantes graues, mit Spitzen besetztes Kleid zu zeigen, um welches sich ein wenig unterhalb der Brust an Stelle eines Gürtels ein breites Band schlang.

»Seien Sie unbesorgt, Lisa, Sie sind doch immer die Netteste von allen«, antwortete Anna Pawlowna.

»Sie wissen, daß mein Mann mich verlassen wird«, fuhr sie, zu einem General gewendet, in demselben Ton fort. »Er will sich totschießen lassen. Sagen Sie mir, wozu nur dieser abscheuliche Krieg?« sagte sie zu dem Fürsten Wasili und wandte sich dann, ohne dessen Antwort abzuwarten, zu seiner Tochter, der schönen Helene.

»Was ist diese kleine Fürstin für ein allerliebstes Wesen!« sagte Fürst Wasili leise zu Anna Pawlowna.

Bald nach der kleinen Fürstin trat ein plumpgebauter, dicker junger Mann ein, mit kurzgeschorenem Kopf, einer Brille, hellen Beinkleidern nach der damaligen Mode, hohem Jabot und braunem Frack. Er war ein unehelicher Sohn des Grafen Besuchow, der einst unter der Kaiserin Katharina einer der höchsten Würdenträger gewesen war und jetzt in Moskau im Sterben lag. Dieser dicke junge Mann war noch nie im Staatsdienst tätig gewesen, war soeben erst aus dem Ausland, wo er erzogen worden war, zurückgekehrt und befand sich heute zum erstenmal in Gesellschaft. Anna Pawlowna begrüßte ihn mit derjenigen Art von Verbeugung, mit welcher die auf der hierarchischen Stufenleiter am niedrigsten stehenden Besucher ihres Salons sich zu begnügen hatten. Aber trotz dieses niedrigsten Grades von Begrüßung prägte sich beim Anblick des eintretenden Pierre auf Anna Pawlownas Gesicht eine Unruhe und Furcht aus, wie man sie etwa beim Anblick eines übergroßen Gegenstandes empfindet, der nicht an seinem richtigen Platz ist. Obwohl aber Pierre tatsächlich etwas größer war als die andern im Zimmer befindlichen Männer, so konnte doch diese Furcht nur durch den klugen und zugleich schüchternen, beobachtenden und ungekünstelten Blick seiner Augen veranlaßt sein, durch den er sich von allen anderen in diesem Salon Anwesenden unterschied.

»Sehr liebenswürdig von Ihnen, Monsieur Pierre, daß Sie eine arme Patientin besuchen«, sagte Anna Pawlowna zu ihm, indem sie mit der Tante, zu der sie ihn hinführte, einen ängstlichen Blick wechselte. Pierre murmelte etwas Unverständliches und fuhr fort, etwas mit den Augen zu suchen. Mit frohem, vergnügtem Lächeln verbeugte er sich vor der kleinen Fürstin wie vor einer guten Bekannten und trat dann zu der Tante hin. Anna Pawlownas Furcht erwies sich als nicht unbegründet, da Pierre, ohne die Äußerungen der Tante über das Befinden Ihrer Majestät zu Ende zu hören, von ihr wieder zurücktrat. Erschrocken hielt ihn Anna Pawlowna mit den Worten auf: »Sie kennen den Abbé Morio wohl noch nicht? Er ist ein sehr interessanter Mann …«

»Ja, ich habe von seinem Plan gehört, einen ewigen Frieden herzustellen, und das ist ja auch sehr interessant, aber allerdings schwerlich ausführbar.«

»Meinen Sie?« erwiderte Anna Pawlowna, um nur überhaupt etwas zu sagen und sich dann wieder ihren Aufgaben als Wirtin zuzuwenden; aber Pierre beging nun die andere Unhöflichkeit. Vorher war er von einer Dame weggegangen, ohne das, was sie zu ihm sagte, bis zu Ende anzuhören, und jetzt hielt er eine Dame, die von ihm fortgehen wollte, durch sein Gespräch zurück. Den Kopf herabbiegend, die dicken Beine breit auseinanderstellend, begann er der Hofdame zu beweisen, warum er den Plan des Abbé für eine Schimäre halte.

»Wir wollen das nachher weiter besprechen«, sagte Anna Pawlowna lächelnd.

Damit verließ sie den jungen Mann, der so gar keine Lebensart hatte, und nahm ihre Tätigkeit als Wirtin wieder auf. Sie hörte aufmerksam zu und ließ ihre Augen überall umherschweifen, bereit, an demjenigen Punkt Hilfe zu bringen, wo etwa das Gespräch ermattete. Wie der Herr einer Spinnerei, nachdem er den Arbeitern ihre Pläne angewiesen hat, in seiner ganzen Fabrik umhergeht, und, sobald er merkt, daß eine Spindel stillsteht oder einen ungewöhnlichen, kreischenden, überlauten Ton von sich gibt, eilig hinzutritt und sie anhält oder in richtigen Gang bringt: so wanderte auch Anna Pawlowna in ihrem Salon hin und her, trat hinzu, wo eine Gruppe schwieg oder zu laut redete, und stellte durch ein Wort, das sie hinzugab, oder durch eine Veränderung der Plätze wieder einen gleichmäßigen, anständigen Gang der Gespräche her. Aber mitten in dieser geschäftigen Tätigkeit konnte man ihr immer eine besondere Befürchtung in betreff Pierres anmerken. Besorgt beobachtete sie ihn, als er herantrat, um zu hören, was in der um Mortemart herumstehenden Gruppe geredet wurde, und dann zu einer anderen Gruppe hinging, wo der Abbé das Wort führte. Für Pierre, der im Ausland erzogen worden war, war diese Soiree bei Anna Pawlowna die erste, die er in Rußland mitmachte. Er wußte, daß hier die Vertreter der Intelligenz von ganz Petersburg versammelt waren, und seine Augen liefen, wie die Augen eines Kindes im Spielzeugladen, bald hierhin, bald dorthin. Immer fürchtete er, es möchte ihm irgendein kluges Gespräch entgehen, das er mitanhören könne. Wenn er die selbstbewußten, vornehmen Gesichter der hier Versammelten betrachtete, erwartete er immer etwas besonders Kluges zu hören. Endlich trat er zu Morio. Das Gespräch interessierte ihn, er blieb stehen und wartete auf eine Gelegenheit, seine eigenen Gedanken auszusprechen, wie das junge Leute so gern tun.

III


Die Unterhaltung auf Anna Pawlownas Soiree war in vollem Gang. Die Spindeln schnurrten auf allen Seiten gleichmäßig und unausgesetzt. Abgesehen von der Tante, neben welcher nur eine bejahrte Dame mit vergrämtem, magerem Gesicht saß, die sich in dieser glänzenden Gesellschaft etwas sonderbar ausnahm, hatte sich die ganze Gesellschaft in drei Gruppen geteilt. In der einen, welche vorwiegend aus Herren bestand, bildete der Abbé den Mittelpunkt; in der zweiten, wo namentlich die Jugend vertreten war, dominierten die schöne Prinzessin Helene, die Tochter des Fürsten Wasili, und die hübsche, rotwangige, aber für ihr jugendliches Alter etwas zu volle, kleine Fürstin Bolkonskaja. In der dritten Gruppe waren Mortemart und Anna Pawlowna das belebende Element.

Der Vicomte war ein nett aussehender junger Mann mit weichen Gesichtszügen und angenehmen Umgangsformen, der sich offenbar für etwas Bedeutendes hielt, aber infolge seiner Wohlerzogenheit der Gesellschaft, in der er sich befand, bescheiden anheimstellte, seine Persönlichkeit zu genießen, soweit es ihr beliebe. Anna Pawlowna betrachtete ihn augenscheinlich als eine Art von Extragericht, das sie ihren Gästen anbot. Wie ein geschickter Maître d’hôtel dasselbe Stück Rindfleisch, das niemand essen möchte, der es in der schmutzigen Küche sähe, als etwas ganz außergewöhnlich Schönes präsentiert, so servierte bei der heutigen Abendgesellschaft Anna Pawlowna ihren Gästen zuerst den Vicomte und dann den Abbé als etwas ganz besonders Feines. In der Gruppe um Mortemart drehte sich das Gespräch sogleich um die Ermordung des Herzogs von Enghien. Der Vicomte bemerkte, der Herzog von Enghien habe seinen Tod seiner eigenen Großmut zu verdanken und der Ingrimm Bonapartes gegen ihn habe seine besonderen Gründe gehabt.

»Ach, bitte, erzählen Sie uns dieses, Vicomte!« sagte Anna Pawlowna erfreut; sie hatte dabei das Gefühl, daß der Ausdruck: »Erzählen Sie uns dieses, Vicomte!« wie eine Reminiszenz an Ludwig XV. klang.

Der Vicomte verbeugte sich zum Zeichen des Gehorsams und lächelte höflich. Anna Pawlowna wirkte darauf hin, daß sich ein Kreis um den Vicomte bildete, und forderte alle auf, seine Erzählung anzuhören.

»Der Vicomte ist mit dem Herzog persönlich bekannt gewesen«, flüsterte Anna Pawlowna dem einen zu. »Der Vicomte besitzt ein bewundernswürdiges Talent zum Erzählen«, sagte sie zu einem andern. »Wie man doch sofort einen Mann aus der guten Gesellschaft erkennt!« äußerte sie zu einem Dritten, und so wurde der Vicomte in der besten und für ihn vorteilhaftesten Beleuchtung der Gesellschaft präsentiert wie ein mit allerlei Gemüse garniertes Roastbeef auf einer heißen Schüssel.

Der Vicomte wollte nun seine Erzählung beginnen und lächelte fein.

»Kommen Sie doch hierher zu uns, liebe Helene«, sagte Anna Pawlowna zu der schönen Prinzessin, welche etwas entfernt saß und den Mittelpunkt einer anderen Gruppe bildete.

Die Prinzessin Helene lächelte; sie erhob sich mit ebendemselben unveränderlichen Lächeln des vollkommen schönen Weibes, mit welchem sie in den Salon eingetreten war. Mit ihrem weißen Ballkleid, das mit Efeu und Moos garniert war, leise raschelnd und von dem weißen Schimmer ihrer Schultern und dem Glanz ihres Haares und ihrer Brillanten umleuchtet, ging sie zwischen den auseinandertretenden Herren hindurch. Sie blickte dabei keinen einzelnen an, lächelte aber allen zu und schien in liebenswürdiger Weise einem jeden das Recht zuzuerkennen, die Schönheit ihrer Gestalt, der vollen Schultern, des nach damaliger Mode sehr tief entblößten Busens und Rückens zu bewundern; es war, als ob sie in ihrer Person den vollen Glanz eines Balles in diesen Salon hineingetragen hätte. So schritt sie geradewegs zu Anna Pawlowna hin. Helene war so schön, daß an ihr auch nicht die leiseste Spur von Koketterie wahrzunehmen war; ja im Gegenteil, sie schien sich vielmehr gewissermaßen ihrer unbestreitbaren und allzu stark und siegreich wirkenden Schönheit zu schämen. Es war, als ob sie den Eindruck ihrer Schönheit abzuschwächen wünschte, es aber nicht vermöchte.

»Welch ein schönes Weib!« sagte jeder, der sie sah. Gleichsam überrascht von etwas Ungewöhnlichem, zuckte der Vicomte zusammen und schlug die Augen nieder, als sie sich ihm gegenüber niederließ und auch ihn mit ebendemselben unveränderlichen Lächeln anstrahlte.

»Ich fürchte wirklich, daß einer solchen Zuhörerschaft gegenüber mich meine Fähigkeit im Stich läßt«, sagte er und neigte lächelnd den Kopf.

Die Prinzessin legte ihren entblößten vollen Arm auf ein Tischchen und fand es nicht nötig, etwas zu erwidern. Sie wartete lächelnd. Während der ganzen Erzählung saß sie aufrecht da und blickte ab und zu bald auf ihren vollen, runden Arm, der von dem Druck auf den Tisch seine Form veränderte, bald auf den noch schöneren Busen, an dem sie den Brillantschmuck zurechtschob; einige Male ordnete sie die Falten ihres Kleides, und sooft die Erzählung eindrucksvoll wurde, schaute sie zu Anna Pawlowna hinüber und nahm sofort denselben Ausdruck an, den das Gesicht des Hoffräuleins aufwies, um gleich darauf wieder zu ihrem ruhigen, strahlenden Lächeln überzugehen. Nach Helene kam auch die kleine Fürstin vom Teetisch herüber.

»Warten Sie noch einen Augenblick, ich möchte meine Handarbeit vornehmen«, sagte sie. »Nun? Wo haben Sie denn Ihre Gedanken?« wandte sie sich an den Fürsten Ippolit. »Bringen Sie mir meinen Ridikül.«

So führte die Fürstin, lächelnd und zu allen redend, auf einmal einen Aufenthalt herbei und ordnete, als sie nun zum Sitzen gekommen war, vergnügt ihren Anzug.

»Jetzt habe ich alles nach Wunsch«, sagte sie, bat, mit der Erzählung zu beginnen, und griff nach ihrer Arbeit. Fürst Ippolit hatte ihr ihren Ridikül geholt, war hinter sie getreten, hatte sich einen Sessel dicht neben sie gerückt und sich zu ihr gesetzt.

Der »charmante« Ippolit überraschte einen jeden durch die auffällige Ähnlichkeit mit seiner schönen Schwester und noch mehr dadurch, daß er trotz dieser Ähnlichkeit in hohem Grad häßlich war. Die Gesichtszüge waren bei ihm die gleichen wie bei seiner Schwester; aber bei dieser glänzte das ganze Gesicht von einem lebensfrohen, glücklichen, jugendlichen, unveränderlichen Lächeln, und die außerordentliche, wahrhaft antike Schönheit des Körpers steigerte diese Wirkung noch; bei dem Bruder dagegen war dasselbe Gesicht von einem trüben Stumpfsinn wie von einem Nebel umschleiert und zeigte unveränderlich einen Ausdruck selbstgefälliger Verdrossenheit, dazu kam ein dürftiger, schwächlicher Körper. Augen, Nase und Mund, alles war gleichsam zu einer einzigen verschwommenen, mürrischen Grimasse zusammengedrückt, und seine Hände und Füße nahmen stets eine absonderliche Haltung ein.

»Es wird doch keine Gespenstergeschichte sein?« sagte er, während er sich neben die Fürstin setzte und eilig seine Lorgnette vor die Augen hielt, als ob er ohne dieses Instrument nicht reden könnte.

»Ganz und gar nicht«, erwiderte erstaunt der Erzähler mit einem Achselzucken.

»Ich frage nämlich deswegen, weil ich Gespenstergeschichten nicht leiden mag«, sagte Fürst Ippolit in einem Ton, aus dem man merken konnte, daß er erst nachträglich, nachdem er jene Worte gesprochen hatte, sich über ihren Sinn klargeworden war.

Aber infolge der Selbstgefälligkeit, mit welcher er sprach, kam es niemandem recht zum Bewußtsein, ob das, was er gesagt hatte, etwas sehr Kluges oder etwas sehr Dummes war. Er trug einen dunkelgrünen Frack, Beinkleider, deren Farbe er selbst als »Lende einer erschreckten Nymphe« bezeichnete, sowie Strümpfe und Schnallenschuhe.

Der Vicomte erzählte in allerliebster Weise eine damals kursierende Anekdote: Der Herzog von Enghien sei heimlich nach Paris gereist, um dort ein Rendezvous mit der Schauspielerin Georges zu haben, und sei dort mit Bonaparte zusammengetroffen, der sich gleichfalls der Gunst der berühmten Schauspielerin erfreut habe. Bei dieser Begegnung mit dem Herzog habe Napoleon einen Ohnmachtsanfall gehabt, ein bei ihm nicht selten auftretendes Leiden, und sich auf diese Art in der Gewalt des Herzogs befunden. Der Herzog habe diesen günstigen Umstand nicht benutzt; Bonaparte aber habe sich später für diese Großmut durch die Ermordung des Herzogs gerächt.

Die Erzählung war sehr hübsch und interessant; besonders bei der Stelle, wo die beiden Rivalen einander plötzlich erkannten, schienen auch die Damen in Aufregung zu sein.

»Reizend!« sagte Anna Pawlowna und blickte dabei die kleine Fürstin fragend an.

»Reizend!« flüsterte die kleine Fürstin und steckte ihre Nadel in ihre Handarbeit hinein, wie um damit anzudeuten, daß ihr lebhaftes Interesse für die reizende Erzählung sie daran hindere weiterzuarbeiten.

Der Vicomte wußte dieses stillschweigende Lob zu schätzen, lächelte dankbar und sprach dann weiter. Aber in diesem Augenblick bemerkte Anna Pawlowna, die die ganze Zeit über ab und zu einen Blick nach dem ihr so unangenehmen jungen Menschen hingeworfen hatte, daß er zu laut und hitzig mit dem Abbé sprach, und eilte, um Hilfe zu bringen, nach dem gefährdeten Punkt. Pierre hatte es wirklich zustande gebracht, mit dem Abbé ein Gespräch über das politische Gleichgewicht anzuknüpfen, und der Abbé, dessen Interesse der junge Mann durch seinen treuherzigen Eifer erregt zu haben schien, entwickelte ihm seine Lieblingsidee. Beide benahmen sich beim Reden und Hören gar zu lebhaft und ungezwungen, und eben dies hatte nicht Anna Pawlownas Beifall.

»Das Mittel dazu ist das europäische Gleichgewicht und das Völkerrecht«, sagte der Abbé. »Es braucht nur ein mächtiges Reich, zum Beispiel das als barbarisch verschriene Rußland, in uneigennütziger Weise an die Spitze eines Staatenbundes zu treten, der sich das Gleichgewicht Europas zum Ziel gesetzt hat, und dieses Reich wird der Retter der Welt sein.«

»Aber wie wollen Sie denn ein solches Gleichgewicht zustande bringen?« begann Pierre; jedoch in diesem Augenblick trat Anna Pawlowna heran, und mit einem strengen Blick auf Pierre fragte sie den Italiener, wie ihm das hiesige Klima bekomme. Das Gesicht des Italieners veränderte sich mit einem Schlag und nahm den geradezu beleidigend heuchlerischen, süßlichen Ausdruck an, der ihm anscheinend im Gespräch mit Frauen zur Gewohnheit geworden war.

»Ich bin von dem glänzenden Verstand und der hohen Bildung der Gesellschaft, in die ich das Glück gehabt habe, aufgenommen zu werden, namentlich auch der weiblichen Gesellschaft, dermaßen bezaubert, daß ich noch keine Zeit gehabt habe, an das Klima zu denken«, erwiderte er. Anna Pawlowna ließ jedoch den Abbé und Pierre nicht mehr los, sondern nahm sie zwecks bequemerer Beaufsichtigung mit in den allgemeinen Kreis.

IV


In diesem Augenblick trat eine neue Person in den Salon. Diese neue Person war der junge Fürst Andrei Bolkonski, der Gatte der kleinen Fürstin. Fürst Bolkonski war ein sehr hübscher junger Mann, von kleiner Statur, mit kantigem magerem Gesicht. Alles an seiner Figur, von dem müden, gelangweilten Blick bis zu dem ruhigen, gemessenen Gang, bildete den entschiedensten Gegensatz zu seiner kleinen, lebhaften Frau. Er schien alle im Salon Anwesenden nicht nur zu kennen, sondern ihrer auch so überdrüssig zu sein, daß es ihm höchst widerwärtig war, sie auch nur zu sehen und reden zu hören. Unter allen Gesichtern aber, die ihn so langweilten, war ihm das Gesicht seiner hübschen Frau anscheinend am meisten zuwider. Mit einer Grimasse, die sein hübsches Gesicht entstellte, wandte er sich von ihr ab. Er küßte der Wirtin die Hand und musterte mit halb zugekniffenen Augen die ganze Gesellschaft.

»Sie machen sich fertig, um in den Krieg zu ziehen, Fürst?« fragte Anna Pawlowna.

»General Kutusow hat mich zu seinem Adjutanten bestimmt«, antwortete Bolkonski; er legte, als ob er Franzose wäre, den Ton auf die letzte Silbe »sow«.

»Und Lisa, Ihre Frau?«

»Sie geht aufs Land.«

»Aber machen Sie sich denn gar kein Gewissen daraus, uns Ihrer reizenden Gattin zu berauben?«

»Andrei«, sagte seine Frau, indem sie zu ihrem Mann in demselben koketten Ton sprach, dessen sie sich auch Fremden gegenüber bediente, »was für eine reizende Geschichte uns da eben der Vicomte von Mademoiselle Georges und Bonaparte erzählt hat!«

Fürst Andrei drückte die Augen zu und wandte sich ab. Pierre, der, seit Fürst Andrei in den Salon getreten war, ihn unverwandt mit frohen, freundlichen Blicken angesehen hatte, trat zu ihm heran und ergriff ihn an der Hand. Fürst Andrei verzog, ohne sich umzusehen, sein Gesicht zu einer Grimasse, welche seinen Ärger darüber zum Ausdruck brachte, daß da jemand seine Hand berührte; aber sobald er Pierres lächelndes Gesicht erblickte, breitete sich über sein eigenes Gesicht ein gutmütiges, freundliches Lächeln, wie man es ihm gar nicht zugetraut hätte.

»Nun sieh mal an! Auch du in der vornehmen Welt?« sagte er zu Pierre.

»Ich wußte, daß Sie hier sein würden«, antwortete Pierre. »Ich werde zum Abendessen zu Ihnen kommen«, fügte er leise hinzu, um den Vicomte nicht zu stören, der in seinen Erzählungen fortfuhr. »Ist es gestattet?«

»Nein, es ist nicht gestattet«, antwortete Fürst Andrei lachend und gab jenem durch einen Händedruck zu verstehen, daß er danach doch nicht erst zu fragen brauche. Er wollte noch etwas sagen; aber in diesem Augenblick erhob sich Fürst Wasili nebst seiner Tochter, und die Herren standen auf, um ihnen Platz zu machen.

»Entschuldigen Sie mich, mein lieber Vicomte«, sagte Fürst Wasili zu dem Franzosen, den er gleichzeitig freundlich am Ärmel auf den Stuhl niederzog, damit er nicht aufstände. »Dieses unselige Fest bei dem Gesandten beraubt mich eines großen Vergnügens und schafft Ihnen eine unangenehme Unterbrechung. – Es ist mir äußerst schmerzlich, Ihre entzückende Soiree verlassen zu müssen«, sagte er dann zu Anna Pawlowna.

Seine Tochter, Prinzessin Helene, ging, den Rock ihres Kleides ein wenig zusammenraffend, zwischen den Stühlen hindurch, und das Lächeln erstrahlte noch heller auf ihrem schönen Gesicht. Mit ganz entzückten Augen, ja beinahe erschrocken, sah Pierre das schöne Mädchen an, als es an ihm vorbeiging.

»Sehr schön«, sagte Fürst Andrei.

»Ja, sehr schön«, antwortete Pierre.

Als Fürst Wasili an Pierre vorbeikam, ergriff er dessen Hand und wandte sich an Anna Pawlowna:

»Machen Sie mir diesen Bären zu einem gebildeten Menschen«, sagte er. »Da wohnt er nun schon einen Monat lang bei mir, und heute sehe ich ihn zum erstenmal in Gesellschaft. Nichts ist einem jungen Mann so nötig als der Umgang mit klugen Frauen.«

Anna Pawlowna lächelte und versprach, sich mit Pierre alle Mühe geben zu wollen, der, wie sie wußte, väterlicherseits mit dem Fürsten Wasili verwandt war. Die bejahrte Dame, welche bisher bei der Tante gesessen hatte, stand eilig auf und holte den Fürsten Wasili im Vorzimmer ein. Der bisher erheuchelte Schein eines Interesses an den Vorgängen im Salon war vollständig von ihrem Gesicht verschwunden. Dieses gute, vergrämte Gesicht drückte jetzt nur Unruhe und Angst aus.

»Nun, was können Sie mir wegen meines Boris sagen, Fürst?« fragte sie, sobald sie ihn im Vorzimmer eingeholt hatte. (Sie sprach den Namen Boris mit einem besonderen Akzent auf dem o.) »Ich kann nicht länger in Petersburg bleiben. Sagen Sie mir, welchen Bescheid darf ich meinem armen Jungen bringen?«

Obgleich Fürst Wasili die ältliche Dame sichtlich nur ungern und beinahe unhöflich anhörte und sogar seine Ungeduld nicht verbarg, blickte sie ihn mit freundlichem, rührendem Lächeln an und faßte ihn bei der Hand, damit er nicht fortgehe.

»Sie brauchen ja nur dem Kaiser ein Wort zu sagen, und mein Sohn wird ohne weiteres zur Garde versetzt«, bat sie.

»Seien Sie überzeugt, Fürstin, daß ich alles tun werde, was ich kann«, erwiderte Fürst Wasili. »Aber es ist für mich nicht so leicht, dem Kaiser eine solche Bitte vorzulegen. Ich würde Ihnen raten, sich durch Vermittlung des Fürsten Golizyn an Rumjanzew zu wenden; das wäre das klügste.«

Die ältliche Dame war eine Fürstin Drubezkaja und gehörte somit zu einer der besten Familien Rußlands; aber sie war arm, hatte sich schon lange von dem Verkehr mit der vornehmen Welt zurückgezogen und so ihre früheren Konnexionen verloren. Jetzt war sie nach Petersburg gekommen, um für ihren einzigen Sohn die Versetzung zur Garde zu erwirken. Lediglich um den Fürsten Wasili zu treffen, hatte sie sich der Hofdame Anna Pawlowna aufgedrängt und war zu ihrer Soiree gekommen; lediglich zu diesem Zweck hatte sie die Erzählung des Vicomtes mitangehört. Über die Worte des Fürsten erschrak sie heftig, und auf ihrem ehemals schönen Gesicht prägte sich das Gefühl schmerzlicher Kränkung aus; aber das dauerte nur einen Augenblick. Sie lächelte wieder und faßte die Hand des Fürsten Wasili mit festerem Griff.

»Hören Sie mich an, Fürst«, sagte sie. »Ich habe Sie nie um etwas gebeten und werde Sie nie wieder um etwas bitten; ich habe Sie nie an die Freundschaft erinnert, die zwischen meinem Vater und Ihnen bestand. Aber jetzt beschwöre ich Sie bei Gott, tun Sie dies für meinen Sohn, und ich werde Sie für unsern Wohltäter halten«, fügte sie hastig hinzu. »Nein, werden Sie nicht zornig, sondern versprechen Sie es mir. Golizyn habe ich schon gebeten; aber er hat es mir abgeschlagen. Seien Sie der gute, liebe Mensch, der Sie früher waren«, sagte sie mit einem Versuch zu lächeln, obgleich ihr die Tränen in den Augen standen.

»Papa, wir werden zu spät kommen«, sagte die Prinzessin Helene, die an der Tür wartete, und wandte ihren schönen Kopf auf den antiken Schultern zurück.

Aber der Einfluß ist in den vornehmen Kreisen ein Kapital, mit dem man haushälterisch umgehen muß, damit es einem nicht unter den Händen verschwindet. Fürst Wasili wußte das, und da er sich ein für allemal gesagt hatte, daß, wenn er für alle diejenigen bitten wollte, die ihn bäten, es ihm bald unmöglich sein würde, für sich selbst zu bitten, so machte er von seinem Einfluß nur selten Gebrauch. In der Angelegenheit der Fürstin Drubezkaja fühlte er jedoch nach diesem ihrem erneuten Appell etwas wie Gewissensbisse. Woran sie ihn erinnert hatte, das war die Wahrheit: daß ihm die ersten Schritte auf seiner dienstlichen Laufbahn leicht geworden waren, hatte er allerdings ihrem Vater zu verdanken gehabt. Außerdem ersah er aus ihrem ganzen Benehmen, daß sie eine von den Frauen und speziell von den Müttern war, die, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt haben, nicht ablassen, ehe man ihnen nicht ihren Wunsch erfüllt, und im entgegengesetzten Fall es fertig bringen, einem täglich, ja stündlich zuzusetzen und einem sogar ärgerliche Szenen zu bereiten. Diese letztere Erwägung ließ ihn doch schwankend werden.

»Liebe Anna Michailowna«, sagte er in dem Ton, in welchem er fast immer sprach, einer Mischung von Vertraulichkeit und Mißmut, »es ist mir beinahe unmöglich, das zu tun, was Sie wünschen; aber um Ihnen zu zeigen, wie hoch ich Sie schätze und wie sehr ich das Gedächtnis Ihres seligen Vaters in Ehren halte, werde ich das Unmögliche tun: Ihr Sohn soll zur Garde versetzt werden; hier meine Hand darauf! Sind Sie nun zufrieden?«

»Liebster Freund, Sie sind unser Wohltäter! Ich habe auch nichts anderes von Ihnen erwartet; ich wußte ja doch, was Sie für ein gutes Herz haben.«

Er wollte nun weggehen:

»Warten Sie, nur noch ganz wenige Worte! Wenn er dann aber zur Garde versetzt ist …« Sie stockte. »Sie sind ja mit Michail Ilarionowitsch Kutusow gut bekannt … empfehlen Sie ihm doch Boris zum Adjutanten. Dann würde ich beruhigt sein, und dann würde …«

Fürst Wasili lächelte.

»Nein, das verspreche ich nicht. Sie haben keine Ahnung, wie Kutusow von allen Seiten bestürmt wird, seit er zum Oberkommandierenden ernannt ist. Er hat selbst zu mir gesagt, alle Moskauer Damen hätten sich verabredet, ihm ihre sämtlichen Söhne zu Adjutanten zu geben.«

»Nein, versprechen Sie es mir doch! Ich lasse Sie nicht los, mein teurer Wohltäter!«

»Papa«, sagte die schöne Helene noch einmal in demselben Ton, »wir werden zu spät kommen.«

»Nun, also auf Wiedersehen, leben Sie wohl. Sie sehen, ich muß fort.«

»Also morgen werden Sie mit dem Kaiser darüber reden?«

»Ganz bestimmt; aber mit Kutusow zu reden, das verspreche ich nicht.«

»Aber nein, nein, versprechen Sie es mir, Wasili!« rief Anna Michailowna ihm mit dem Lächeln einer jungen Kokette nach, das ihr einstmals wohl einen eigenen Reiz verliehen haben mochte, jetzt aber zu ihrem ausgemergelten Gesicht schlechterdings nicht paßte. Sie hatte offenbar ihre Jahre ganz vergessen und brachte gewohnheitsmäßig all die althergebrachten weiblichen Hilfsmittel zur Anwendung. Aber sowie Fürst Wasili hinausgegangen war, nahm ihr Gesicht wieder denselben kalten, verstellten Ausdruck an, den es vorher getragen hatte. Sie kehrte zu der Gruppe zurück, in welcher der Vicomte zu erzählen fortfuhr, und gab sich wieder den Anschein, als höre sie zu, während sie doch nur auf die Zeit des Aufbruchs wartete, da ihre Angelegenheit nun erledigt war.

V


»Aber wie finden Sie diese ganze letzte Krönungskomödie in Mailand?« fragte Anna Pawlowna. »Und nun ist eine neue Komödie gefolgt: die Bevölkerung von Genua und Lucca trägt Herrn Bonaparte ihre Wünsche vor. Und Herr Bonaparte sitzt auf dem Thron und erfüllt die Wünsche der Völker! Oh, das ist ein entzückendes Schauspiel! Nein, man könnte den Verstand darüber verlieren. Man möchte glauben, daß die ganze Welt den Kopf verloren hat.«

Fürst Andrei blickte der Sprechenden gerade ins Gesicht und lächelte.

»Gott gibt mir diese Krone; wehe dem, der sie antastet!« sagte er (die Worte, welche Bonaparte beim Aufsetzen der Krone gesprochen hatte). »Es heißt, er soll einen schönen Anblick dargeboten haben, als er diese Worte sprach«, fügte er hinzu und wiederholte diese Worte noch einmal auf italienisch: »Dio mi la dona, guai a chi la tocca!«

»Ich hoffe«, fuhr Anna Pawlowna fort, »daß dies endlich der Tropfen ist, der das Gefäß zum Überlaufen bringt. Die Souveräne können diesen Menschen, der alles Bestehende bedroht, nicht länger dulden.«

»Die Souveräne! Ich rede nicht von Rußland«, sagte der Vicomte in artigem, aber hoffnungslosem Ton. »Die Souveräne! Aber was haben sie für Ludwig XVI., für die Königin und für Madame Elisabeth getan? Nichts!« fuhr er, lebhafter werdend, fort. »Und glauben Sie mir, sie werden ihre Strafe dafür erleiden, daß sie die Sache der Bourbonen im Stich gelassen haben. Die Souveräne! Sie schicken Gesandte hin, um den Thronräuber zu beglückwünschen!«

Mit einem Seufzer der Geringschätzung änderte er seine Haltung. Fürst Ippolit, der den Vicomte lange durch seine Lorgnette betrachtet hatte, drehte sich plötzlich bei diesen Worten mit dem ganzen Körper zu der kleinen Fürstin um, erbat sich von ihr eine Nadel und begann, indem er mit der Nadel auf dem Tisch zeichnete, ihr das Wappen der Condés darzustellen. Er erläuterte ihr dieses Wappen mit so wichtiger Miene, als ob die Fürstin ihn darum gebeten hätte.

»Ein Schild mit schmalen, roten und blauen gezähnten Streifen, das ist das Haus Condé«, sagte er. Die Fürstin hörte lächelnd zu.

»Wenn Bonaparte noch ein Jahr auf dem französischen Thron bleibt«, fuhr der Vicomte in seiner begonnenen Darlegung mit der Miene eines Menschen fort, der auf andere nicht hört, sondern bei einem Gegenstand, der ihm besser bekannt ist als allen übrigen, nur seinen eigenen Gedankengang im Auge hat, »so wird ein nie wiedergutzumachendes Unheil angerichtet sein. Durch Intrigen, Gewalttaten, Verbannungen und Hinrichtungen wird die Gesellschaft, ich meine die gute französische Gesellschaft, für immer vernichtet sein, und dann …«

Er zuckte die Achseln und breitete die Arme auseinander. Pierre setzte gerade an, um etwas zu sagen, da ihn das Gespräch interessierte; aber Anna Pawlowna, die ihn überwachte, ließ ihn nicht zu Wort kommen.

»Kaiser Alexander«, sagte sie in dem wehmütigen Ton, dessen sie sich stets bediente, wenn sie von der kaiserlichen Familie sprach, »hat erklärt, daß er es den Franzosen selbst anheimstelle, sich die Form ihrer Regierung zu wählen. Und ich meine, es kann gar nicht zweifelhaft sein, daß die ganze Nation sich von dem Usurpator befreien und sich ihrem legitimen König in die Arme werfen wird.« Anna Pawlowna beabsichtigte, mit diesen Worten dem Emigranten und Royalisten eine Liebenswürdigkeit zu erweisen.

»Das dürfte denn doch zweifelhaft sein«, bemerkte Fürst Andrei. »Der Herr Vicomte hat durchaus recht mit seiner Anschauung, daß die Sache sich schon zu weit entwickelt hat. Ich glaube, es wird schwer sein, zu den alten Zuständen zurückzukehren.«

»Soviel ich gehört habe«, mischte sich Pierre, seinen Versuch erneuernd, mit lebhaftem Erröten in das Gespräch, »ist fast der ganze Adel bereits auf Bonapartes Seite getreten.«

»Das sagen die Bonapartisten«, entgegnete der Vicomte, ohne Pierre anzusehen. »Es ist jetzt schwer, über die Ansichten der besseren Kreise Frankreichs ins klare zu kommen.«

»Bonaparte selbst hat das gesagt«, warf Fürst Andrei lächelnd ein. (Es war deutlich, daß ihm der Vicomte nicht gefiel, und daß seine Bemerkung, obwohl er den Vicomte dabei nicht anblickte, gegen diesen gerichtet war.)

»›Ich habe ihnen den Weg des Ruhmes gezeigt‹«, fuhr er nach kurzem Stillschweigen, wieder Worte Napoleons zitierend, fort, »›aber sie haben ihn nicht gehen wollen; ich habe ihnen meine Vorzimmer geöffnet, und sie sind in Scharen herbeigeeilt …‹ Ich weiß nicht, bis zu welchem Grade er ein Recht hatte, so zu sprechen.«

»Gar kein Recht hatte er dazu«, entgegnete der Vicomte. »Nach der Ermordung des Herzogs haben selbst seine getreuesten Anhänger aufgehört, einen Helden in ihm zu sehen. Und wenn er wirklich für manche Leute ein Held war«, fuhr der Vicomte, zu Anna Pawlowna gewendet, fort, »so kann man doch sagen: nach der Ermordung des Herzogs gibt es im Himmel einen Märtyrer mehr und auf Erden einen Helden weniger.«

Anna Pawlowna und manche ihrer Gäste hatten noch nicht Zeit gefunden, ihre Bewunderung für diese Worte des Vicomtes durch ein Lächeln zu bezeigen, da stürzte sich schon Pierre von neuem in das Gespräch, und obgleich Anna Pawlowna ahnte, daß er etwas Unpassendes vorbringen werde, war sie doch nicht mehr imstande, ihn zurückzuhalten.

»Die Hinrichtung des Herzogs von Enghien«, sagte Pierre, »war eine politische Notwendigkeit, und ich betrachte es geradezu als ein Zeichen von Seelengröße, daß Napoleon sich nicht gescheut hat, die Verantwortung für diese Tat ganz allein auf sich zu nehmen.«

»Mein Gott!« flüsterte Anna Pawlowna ganz entsetzt.

»Sie billigen einen Mord …? Wie, Monsieur Pierre, Sie sehen in einem Mord ein Zeichen von Seelengröße?« sagte die kleine Fürstin, indem sie ihre Handarbeit lächelnd näher an ihre Brust hielt.

»Ah! Ah!« riefen verschiedene Stimmen.

»Vorzüglich!« sagte Fürst Ippolit auf englisch und schlug sich ein paarmal mit der flachen Hand aufs Knie. Der Vicomte zuckte nur mit den Achseln.

Pierre blickte triumphierend über seine Brille weg die Zuhörer an.

»Ich spreche so«, fuhr er kühnen Mutes fort, »weil die Bourbonen vor der Revolution davongelaufen sind und das Volk der Anarchie preisgegeben haben; Napoleon war der einzige, der es verstand, die Revolution richtig zu beurteilen und sie zu besiegen, und deshalb durfte er, wo es sich um das allgemeine Wohl handelte, nicht vor dem Leben eines einzelnen haltmachen.«

»Mögen Sie nicht an den Tisch dort drüben mit herüberkommen?« sagte Anna Pawlowna. Aber Pierre fuhr, ohne ihr zu antworten, in seiner Meinungsäußerung fort.

»Nein«, sagte er, immer lebhafter werdend, »Napoleon ist ein großer Geist, weil er sich über die Revolution gestellt und ihre Auswüchse vertilgt hat, während er alles Gute, das sie gebracht hatte, beibehielt: die Gleichheit aller Bürger und die Freiheit des Wortes und der Presse; nur durch dieses Verfahren hat er die Macht erlangt.«

»Ja, wenn er die Macht, nachdem er sie erlangt hatte, nicht zum Mord mißbraucht, sondern in die Hände des legitimen Königs gelegt hätte«, entgegnete der Vicomte, »dann würde ich ihn einen großen Mann nennen.«

»Das hätte er gar nicht tun können. Das Volk hatte ihm die Macht nur zu dem Zweck gegeben, damit er es von den Bourbonen befreien möchte, und weil es in ihm einen großen Mann sah. Die Revolution ist eine große Tat gewesen«, fuhr Monsieur Pierre fort und bekundete durch die unnötige Hinzufügung dieser verwegenen, herausfordernden These seine große Jugendlichkeit und seinen Eifer, alles möglichst schnell herauszureden.

»Revolution und Königsmord eine große Tat …! Wenn jemand so redet … Aber wollen Sie nicht an den Tisch dort drüben mit herüberkommen?« wiederholte Anna Pawlowna ihre Aufforderung.

»Rousseaus Gesellschaftsvertrag«, sagte der Vicomte mit sanftem Lächeln.

»Ich spreche nicht vom Königsmord; ich spreche von den Ideen.«

»Jawohl, von den Ideen des Raubes, des Mordes und des Königsmordes«, unterbrach ihn wieder eine ironische Stimme.

»Das waren tadelnswerte Ausschreitungen, versteht sich. Aber nicht darin liegt die eigentliche Bedeutung der Revolution; sondern ihre Bedeutung liegt in der Anerkennung der Menschenrechte, in der Ablegung von Vorurteilen, in der Gleichstellung aller Bürger. Und alle diese Ideen hat Napoleon in ihrer ganzen Kraft beibehalten.«

»Freiheit und Gleichheit«, entgegnete der Vicomte geringschätzig, als ob er sich endlich entschlossen hätte, diesem jungen Menschen ernsthaft die ganze Torheit seines Geredes zu beweisen, »das sind hochtönende Worte, die schon längst in Verruf gekommen sind. Wer sollte nicht Freiheit und Gleichheit lieben? Schon unser Heiland hat Freiheit und Gleichheit gepredigt. Sind denn etwa die Menschen nach der Revolution glücklicher geworden? Im Gegenteil. Wir wünschten die Freiheit; aber Bonaparte hat sie vernichtet.«

Fürst Andrei sah lächelnd bald Pierre, bald den Vicomte, bald die Wirtin an. Bei Pierres exzentrischen Reden hatte Anna Pawlowna im ersten Augenblick trotz ihrer gesellschaftlichen Routine einen gewaltigen Schreck bekommen; aber als sie sah, daß bei den von Pierre ausgestoßenen gotteslästerlichen Reden der Vicomte nicht außer sich geriet, und als sie ferner sah, daß ein Vertuschen dieser Reden nicht mehr möglich war, da nahm sie ihren Mut zusammen, ergriff die Partei des Vicomtes und machte einen Angriff auf den dreisten Redner.

»Aber mein lieber Monsieur Pierre«, sagte Anna Pawlowna, »wie können Sie nur jemand für einen großen Mann erklären, der den Herzog – oder sagen wir überhaupt schlechtweg einen Menschen – ohne ordentliches Gericht schuldlos hat hinrichten lassen?«

»Ich möchte fragen«, sagte der Vicomte, »wie man den achtzehnten Brumaire auffassen soll. War das etwa kein Betrug? Das war eine Gaunerei, die mit der Handlungsweise eines großen Mannes ganz und gar keine Ähnlichkeit hat.«

»Und die Gefangenen in Afrika, die er ermorden ließ?« fügte die kleine Fürstin hinzu. »Das ist doch entsetzlich!« Sie zuckte mit den Schultern.

»Er ist ein Emporkömmling; da kann man nun sagen, was man will«, bemerkte Fürst Ippolit.

Monsieur Pierre wußte nicht, wem er antworten sollte, sah ringsumher alle an und lächelte. Sein Lächeln war von anderer Art als bei anderen Menschen; es war nicht eine Verschmelzung von Ernst und Heiterkeit, sondern, sobald sich bei ihm ein Lächeln einstellte, verschwand sofort, im gleichen Augenblick, das ernste und sogar etwas mürrische Gesicht vollständig, und es erschien ein anderes, kindliches, gutmütiges, sogar etwas einfältiges Gesicht, das gewissermaßen um Verzeihung bat.

Dem Vicomte, der ihn zum erstenmal sah, wurde klar, daß dieser Jakobiner durchaus nicht so fürchterlich war wie seine Reden. Alle schwiegen.

»Wie soll er es denn anfangen, allen auf einmal zu antworten?« sagte dann Fürst Andrei. »Übrigens muß man, wo es sich um Taten eines Staatsmannes handelt, unterscheiden, was er als Mensch und was er als Heerführer oder Kaiser getan hat. Das scheint mir notwendig.«

»Ja, ja, selbstverständlich!« rief Pierre schnell, erfreut über die Hilfe, die ihm plötzlich kam.

»Es läßt sich nicht leugnen«, fuhr Fürst Andrei fort, »daß Napoleon als Mensch sich bei manchen Anlässen groß gezeigt hat: auf der Brücke von Arcole, in den Lazaretten von Jaffa, wo er den Pestkranken die Hand gab; aber freilich … andere seiner Taten sind schwer zu rechtfertigen.«

Fürst Andrei, der offenbar beabsichtigt hatte, den unangenehmen Eindruck von Pierres ungeschickten Reden zu mildern, stand auf, um wegzufahren, und gab seiner Frau ein Zeichen.


Plötzlich sprang Fürst Ippolit auf, hielt durch Zeichen mit den Armen alle zurück und bat sie, sich noch einmal hinzusetzen; dann begann er:

»Ach, heute habe ich eine reizende Geschichte aus Moskau erzählen hören; die muß ich Ihnen zum besten geben. Verzeihen Sie, Vicomte, daß ich sie auf russisch erzähle; sie würde sonst den richtigen Geschmack verlieren.« Und nun fing Fürst Ippolit an, russisch zu reden, mit einer Aussprache und Grammatik, welche an die von Franzosen erinnerte, die sich etwa ein Jahr lang in Rußland aufgehalten haben. Alle waren dageblieben; so eifrig und dringend hatte Fürst Ippolit um Aufmerksamkeit für seine Geschichte gebeten.

»In Moskau lebt eine Dame. Und sie ist sehr geizig. Sie mußte zwei Lakaien für ihre Kutsche haben. Und sehr groß gewachsene. Das war ihr Geschmack. Und sie hatte ein Dienstmädchen, die noch größer war. Da sagte sie …«

Hier dachte Fürst Ippolit nach; augenscheinlich überlegte er mit Anstrengung, wie die Geschichte weiterging.

»Sie sagte … ja, sie sagte: ›Mädchen, zieh Livree an und fahr mit mich aus, hinten auf das Wagen, Besuche machen.‹«

Hier prustete Fürst Ippolit los und lachte weit früher als seine Zuhörer, was einen für den Erzähler unvorteilhaften Eindruck machte. Viele lächelten jedoch, darunter die ältliche Dame und Anna Pawlowna.

»Die Dame fuhr. Auf einmal wurde ein starke Wind. Das Mädchen verlor den Hut, und die lange Haare wurden los …«

Hier konnte er sich nicht mehr halten, begann stoßweise zu lachen und sagte zwischen diesen Lachanfällen nur noch:

»Und alle Leute merkten …«

Damit war die Geschichte zu Ende. Obgleich nicht zu verstehen war, wozu er sie eigentlich erzählt hatte, und weshalb es unbedingt notwendig gewesen war, sie russisch zu erzählen, so waren doch Anna Pawlowna und andere dem Fürsten Ippolit dankbar für die weltmännische Liebenswürdigkeit, mit der er die unerfreulichen, schroffen Meinungsäußerungen dieses Monsieur Pierre in so hübscher Weise abgeschnitten hatte. Nach dem Vortrag dieser Anekdote zersplitterte die Unterhaltung in kleine, unbedeutende Plaudereien über den letzten Ball und über den demnächst bevorstehenden und über das Theater und darüber, wann und wo man sich wieder treffen werde.

VI


Die Gäste bedankten sich bei Anna Pawlowna für den »entzückenden Abend« und begannen sich zu entfernen.

Pierre zeigte sich recht unbeholfen. Von ungewöhnlicher Körpergröße, dick und breit gebaut, mit mächtig großen, roten Händen, verstand er, wie man sich ausdrückt, nicht, in einen Salon einzutreten, und noch weniger verstand er, einen Salon zu verlassen, das heißt, vor dem Hinausgehen etwas besonders Liebenswürdiges zu sagen. Außerdem war er augenblicklich auch noch zerstreut. Beim Aufstehen ergriff er statt seines Hutes einen Dreimaster mit Generalsplumage und hielt ihn, an den Federn zupfend, so lange in der Hand, bis der General ihn sich zurückerbat. Aber seine Zerstreutheit und seine Unkenntnis der Art, wie man einen Salon zu betreten, darin zu reden und schließlich wegzugehen hat, dies alles wurde durch den gutmütigen, einfachen, bescheidenen Ausdruck seines Gesichts wieder wettgemacht, so daß man ihm nicht böse sein konnte. Anna Pawlowna wandte sich zu ihm, nickte ihm mit christlicher Sanftmut zum Zeichen der Verzeihung für seine Hitzköpfigkeit zu und sagte:

»Ich hoffe, Sie bald wiederzusehen; aber ich hoffe auch, daß Sie Ihre Ansichten ändern werden, mein lieber Monsieur Pierre.«

Als sie dies zu ihm gesagt hatte, antwortete er keine Silbe; er verbeugte sich nur und ließ alle Anwesenden noch einmal sein Lächeln sehen, welches nichts weiter sagte als etwa nur dies: »Meinungen sind eben Meinungen; aber seht nur, was für ein gutmütiger, prächtiger Bursche ich bin.« Und Anna Pawlowna sowie alle ihre Gäste empfanden das unwillkürlich.

Fürst Andrei trat in das Vorzimmer hinaus, und während er seine Schultern dem Diener hinhielt, der ihm den Mantel umlegte, hörte er gleichgültig dem Geplauder seiner Frau mit dem Fürsten Ippolit zu, der ebenfalls in das Vorzimmer herausgekommen war. Fürst Ippolit stand bei der hübschen, schwangeren Fürstin und blickte sie starr und unverwandt durch seine Lorgnette an.

»Gehen Sie wieder hinein, Annette, Sie werden sich noch erkälten«, sagte die kleine Fürstin, sich von Anna Pawlowna verabschiedend. »Also abgemacht!« fügte sie leise hinzu.

Anna Pawlowna hatte bereits Zeit gefunden, mit Lisa über die Heirat zu sprechen, die sie zwischen Anatol und der Schwägerin der kleinen Fürstin zustande bringen wollte.

»Ich rechne auf Sie, liebe Freundin«, sagte Anna Pawlowna gleichfalls leise. »Schreiben Sie also an sie, und teilen Sie mir dann mit, wie der Vater über die Sache denkt. Auf Wiedersehen!« Damit ging sie aus dem Vorzimmer hinaus.

Fürst Ippolit trat zu der kleinen Fürstin, beugte sein Gesicht nahe zu ihr herab und begann ihr etwas beinahe im Flüsterton zu sagen.

Zwei Diener, von denen der eine der Fürstin, der andre ihm gehörte, standen mit dem Schal der Fürstin und dem Mantel Ippolits hinter ihnen, warteten, bis sie aufhören würden zu reden, und hörten dem ihnen unverständlichen französischen Gespräch mit einer Miene zu, als ob sie alles, was da geredet wurde, verständen und dies nur nicht zeigen wollten. Die Fürstin sprach, wie immer, lächelnd und hörte lachend zu.

»Ich bin sehr froh, daß ich nicht zu dem Gesandten gefahren bin«, sagte Fürst Ippolit. »Furchtbar langweilig da … War ein sehr netter Abend hier, nicht wahr, sehr netter Abend?«

»Es heißt, der Ball werde heute dort ganz prächtig sein«, antwortete die Fürstin und zog die kleine Oberlippe mit dem Schnurrbärtchen in die Höhe. »Alle schönen Frauen aus der guten Gesellschaft werden dasein.«

»Nicht alle, da Sie nicht dasein werden; nicht alle!« sagte Fürst Ippolit vergnügt lachend. Dann nahm er dem Diener das Schaltuch ab, stieß ihn energisch beiseite und legte der Fürstin das Tuch um.

Aus Unbeholfenheit oder absichtlich (das hätte niemand entscheiden können) ließ er längere Zeit die Arme nicht wieder sinken, als der Schal bereits herumgelegt war, und umarmte gewissermaßen auf diese Art die junge Frau.

Mit einer anmutigen Bewegung machte sie sich frei, behielt aber ihre lächelnde Miene bei; dann drehte sie sich um und blickte zu ihrem Mann hin. Fürst Andrei hielt die Augen geschlossen; er schien müde und schläfrig zu sein.

»Sind Sie fertig?« fragte er seine Frau, an ihr vorbeisehend. Fürst Ippolit zog eilig seinen Mantel an, der ihm nach der neuen Mode bis an die Hacken reichte, und sich mit den Füßen in ihn verwickelnd, lief er die Stufen vor der Haustür hinab der Fürstin nach, welcher der Diener beim Einsteigen in den Wagen behilflich war.

»Auf Wiedersehen, Fürstin!« rief er und verwickelte sich dabei mit der Zunge ebenso wie mit den Beinen.

Die Fürstin faßte ihr Kleid zusammen und setzte sich in dem dunklen Wagen zurecht; ihr Mann brachte seinen Säbel in Ordnung, um auch einzusteigen; Fürst Ippolit gab sich den Anschein, als wolle er gute Dienste erweisen, war aber nur hinderlich.

»Erlauben Sie, mein Herr«, sagte Fürst Andrei auf russisch trocken und unfreundlich zu dem Fürsten Ippolit, der ihn behinderte vorbeizukommen.

»Ich erwarte dich, Pierre!« rief dann dieselbe Stimme des Fürsten Andrei in freundlichem, herzlichem Ton aus dem Wagen heraus.

Der Vorreiter setzte sich in Bewegung, und der Wagen fuhr davon. Fürst Ippolit brach in sein stoßweises Lachen aus, während er auf den Stufen vor der Haustür stand und auf den Vicomte wartete, dem er versprochen hatte, ihn nach Hause zu bringen.


»Nun, mein Teuerster«, sagte der Vicomte, nachdem er sich mit Ippolit in den Wagen gesetzt hatte, »Ihre kleine Fürstin ist ja allerliebst! Ganz allerliebst!« Er küßte seine Fingerspitzen. »Und vollständig, vollständig wie eine Französin!«

Ippolit prustete und lachte laut los.

»Und wissen Sie, Sie sind ja ein ganz gefährlicher Mensch mit Ihrer Unschuldsmiene«, fuhr der Vicomte fort. »Ich bedaure den armen Ehemann, diesen kleinen Wicht von Offizier, der sich ein Air gibt, als wäre er ein regierender Herr.«

Ippolit prustete immer noch und sagte mühsam während des Lachens:

»Und da haben Sie gesagt, die russischen Damen seien im Vergleich mit den Französinnen doch rückständig. Aber man muß die Sache nur richtig anzufassen wissen.«

Pierre, der den Wagen des Fürsten Andrei überholt hatte, ging als Freund des Hauses in das Arbeitszimmer des Fürsten Andrei, legte sich dort sofort seiner Gewohnheit nach auf das Sofa, nahm aus einem Regal das erstbeste Buch, das ihm in die Hände kam (es waren die Kommentare Cäsars), stützte sich auf den Ellbogen und begann irgendwo in der Mitte zu lesen.

»Wie hast du nur der armen Anna Pawlowna mitgespielt? Sie wird jetzt gewiß ganz krank davon sein!« sagte Fürst Andrei, ins Zimmer tretend, und rieb sich die kleinen, weißen Hände.

Pierre wälzte sich mit dem ganzen Körper herum, so daß das Sofa knarrte, wendete sein lebhaft erregtes Gesicht dem Fürsten Andrei zu, lächelte und machte eine Handbewegung, die ungefähr besagte: »Ach Gott, Anna Pawlowna!«

»Nein«, sagte er, »dieser Abbé ist wirklich ein sehr interessanter Mann; nur hat er eine falsche Auffassung der Sache, mit der er sich beschäftigt … Möglich ist meiner Ansicht nach der ewige Friede; aber ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll … indessen gewiß nicht durch das politische Gleichgewicht.«

Fürst Andrei schien sich für derartige abstrakte Gespräche nicht zu interessieren.

»Man darf nicht an jedem Ort alles sagen, was man denkt, mein Lieber. – Nun, wie ist’s?« fragte er dann nach einem kurzen Stillschweigen. »Hast du dich nun endlich für irgendeinen Beruf entschieden? Willst du zur Gardekavallerie gehen oder Diplomat werden?«

Pierre setzte sich auf dem Sofa aufrecht hin, indem er die Beine unter den Leib schob.

»Können Sie sich das vorstellen? Ich weiß es immer noch nicht. Von diesen beiden Berufen gefällt mir der eine so wenig wie der andre.«

»Aber du mußt dich doch für irgend etwas entscheiden. Dein Vater wartet darauf.«

Pierre war in seinem zehnten Lebensjahr mit einem Abbé, der ihn erziehen sollte, ins Ausland geschickt worden, wo er dann bis zu seinem zwanzigsten Jahr gelebt hatte. Als er nach Moskau zurückgekehrt war, hatte sein Vater den Abbé entlassen und zu dem jungen Mann gesagt: »Fahr du jetzt nach Petersburg, sieh dich um und wähle. Ich bin mit allem einverstanden. Da hast du einen Brief an den Fürsten Wasili, und hier hast du Geld. Schreibe mir über alles; ich werde dir in allen Dingen behilflich sein.« Nun wählte Pierre schon drei Monate lang einen Beruf und tat nichts. Und über diese Wahl beabsichtigte Fürst Andrei jetzt mit ihm zu reden. Pierre rieb sich die Stirn.

»Aber er wird wohl Freimaurer sein«, sprach er; er sprach von dem Abbé, den er auf der Abendgesellschaft kennengelernt hatte.

»Das ist ja alles Torheit«, unterbrach ihn Fürst Andrei wieder in seinem Gedankengang. »Laß uns doch lieber von etwas Ernstem reden! Bist du in der Gardekavalleriekaserne gewesen?«

»Nein, ich bin nicht dagewesen. Aber da ist mir etwas durch den Kopf gegangen; das wollte ich Ihnen sagen. Wir haben jetzt Krieg gegen Napoleon. Wäre das ein Krieg für die Freiheit, dann würde ich für ihn Verständnis haben und würde der erste sein, der in den Kriegsdienst träte; aber den Engländern und Österreichern gegen den größten Mann der Welt beizustehen … das ist nicht schön.«

Fürst Andrei zuckte zu Pierres kindlichen Reden nur die Achseln. Er machte ein Gesicht, welches besagte, daß man auf solche Dummheiten eigentlich nicht antworten könne; und wirklich war es schwer, auf diese naive Äußerung etwas anderes zu erwidern als das, was Fürst Andrei zur Antwort gab:

»Wenn alle Menschen nur nach Maßgabe ihrer Überzeugungen Krieg führten, so würde es keinen Krieg geben«, sagte er.

»Das wäre ja aber wunderschön«, erwiderte Pierre.

Fürst Andrei lächelte.

»Wunderschön wäre es vielleicht; aber dahin wird es niemals kommen.«

»Nun, warum ziehen Sie denn in den Krieg?« fragte Pierre.

»Warum ich in den Krieg ziehe? Das weiß ich nicht. Ich muß eben. Außerdem ziehe ich in den Krieg …« Er stockte. »Ich ziehe in den Krieg, weil das Leben, das ich hier führe, nicht nach meinem Geschmack ist.«

VII


Im Nebenzimmer raschelte ein Frauenkleid. Wie wenn er plötzlich aus dem Schlaf aufwachte, schüttelte sich Fürst Andrei, und sein Gesicht nahm denselben Ausdruck an, den es in Anna Pawlownas Salon gehabt hatte. Pierre schob seine Beine vom Sofa herunter. Die Fürstin trat ein. Sie hatte sich bereits umgezogen und trug jetzt ein Hauskleid, das aber ebenso elegant und frisch war. Fürst Andrei stand auf und rückte ihr höflich einen Sessel heran.

»Ich denke oft darüber nach«, begann sie, wie immer auf französisch, indem sie sich eilig und eifrig in dem Lehnstuhl zurechtsetzte, »warum Annette sich eigentlich nicht verheiratet hat. Wie dumm ihr Herren doch alle seid, daß ihr sie nicht geheiratet habt. Nehmt es mir nicht übel, aber Frauen könnt ihr absolut nicht beurteilen … Was sind Sie für ein Kampfhahn, Monsieur Pierre!«

»Auch mit Ihrem Mann streite ich mich immerzu; ich verstehe nicht, warum er in den Krieg ziehen will«, sagte Pierre, zu der Fürstin gewendet, ohne jede Künstelei, die doch im Verkehr eines jungen Mannes mit einem jungen weiblichen Wesen etwas ganz Gewöhnliches ist.

Die Fürstin zuckte zusammen; offenbar hatten Pierres Worte bei ihr einen empfindlichen Punkt berührt.

»Ach, ganz dasselbe sage ich ja auch!« antwortete sie. »Ich verstehe nicht, verstehe schlechterdings nicht, warum die Männer nicht ohne Krieg leben können. Woher kommt es, daß wir Frauen keine Wünsche haben, deren Erfüllung uns Lebensbedürfnis wäre? Nun, seien Sie einmal selbst Richter! Ich sage immer zu ihm: hier ist er Adjutant bei seinem Onkel, eine glänzende Stellung. Jeder Mensch kennt ihn und schätzt ihn hoch. Erst neulich hörte ich bei Aprarins, wie eine Dame sagte: ›Ist das nicht der berühmte Fürst Andrei?‹ Mein Ehrenwort darauf, so hat sie sich ausgedrückt.« Sie lachte. »Er ist überall so beliebt. Selbst Flügeladjutant könnte er mit größter Leichtigkeit werden. Sie wissen, der Kaiser hat sehr gnädig mit ihm gesprochen. Ich habe mit Annette darüber geredet; es ließe sich sehr leicht erreichen. Wie denken Sie darüber?«

Pierre sah den Fürsten Andrei an, und da er bemerkte, daß dieses Gespräch seinem Freund nicht behagte, so antwortete er nicht.

»Wann reisen Sie ab?« fragte er.

»Ach, reden Sie mir nicht von dieser Abreise, reden Sie nicht davon! Ich mag davon gar nichts hören!« sagte die Fürstin in demselben launischen, scherzenden Ton, dessen sie sich im Salon dem Fürsten Ippolit gegenüber bedient hatte, der aber in den Familienkreis, zu welchem auch Pierre gewissermaßen als Mitglied gehörte, augenscheinlich nicht hineinpaßte. »Als ich heute daran dachte, daß ich diesen ganzen mir so lieb gewordenen Verkehr aufgeben muß … Und dann, weißt du, Andrei?« Sie blinzelte ihrem Mann bedeutsam zu. »Ich ängstige mich, ich ängstige mich!« flüsterte sie und krümmte wie schaudernd den Rücken zusammen.

Ihr Mann blickte sie mit einem Gesicht an, als ob er erstaunt wäre zu bemerken, daß sich außer ihm und Pierre noch jemand im Zimmer befinde, und sagte zu ihr mit kühler Höflichkeit und fragender Miene:

»Wovor fürchtest du dich, Lisa? Ich kann das nicht verstehen.«

»Ja, da sieht man recht, was für Egoisten die Männer sind; alle, alle sind sie Egoisten! Aus reiner Laune, Gott weiß warum, verläßt er mich und verbannt mich auf das Land, wo ich ganz allein bin.«

»Mein Vater und meine Schwester sind da bei dir; das solltest du nicht vergessen«, sagte Fürst Andrei leise.

»Allein bin ich da doch, da ich von meinen Freunden fern bin … Und da will er, daß ich mich nicht ängstigen soll!«

Ihr Ton war jetzt mürrisch und zänkisch; die Oberlippe zog sich in die Höhe, was dem Gesicht in diesem Fall keinen fröhlichen Ausdruck verlieh, sondern den eines erregten Eichhörnchens. Sie schwieg und deutete dadurch an, daß sie es unpassend finde, in Pierres Gegenwart über ihre Schwangerschaft zu sprechen, was doch den eigentlichen Kern der Sache bilde.

»Ich habe dich immer noch nicht verstanden. Wovor ängstigst du dich?« fragte Fürst Andrei langsam, ohne die Augen von seiner Frau wegzuwenden. Die Fürstin errötete und hob wie in Verzweiflung die Arme in die Höhe.

»Nein, Andrei, du hast dich so sehr verändert, so sehr verändert …«

»Dein Arzt verlangt, daß du dich früher schlafen legen sollst«, sagte Fürst Andrei. »Du solltest zu Bett gehen.«

Die Fürstin erwiderte nichts; aber auf einmal fing ihre kurze Oberlippe mit dem Schnurrbärtchen an zu zittern. Fürst Andrei stand auf, zuckte mit den Achseln und ging im Zimmer hin und her.

Pierre sah mit naivem Erstaunen durch seine Brille bald ihn, bald die Fürstin an und rührte sich, als ob er gleichfalls aufstehen wollte, besann sich dann aber doch eines anderen.

»Was mache ich mir daraus, daß Monsieur Pierre zugegen ist«, sagte die kleine Fürstin plötzlich, und ihr hübsches Gesicht verzog sich zu einer weinerlichen Grimasse. »Ich habe dir das schon lange sagen wollen, Andrei: warum hast du dich mir gegenüber so sehr verändert? Was habe ich dir getan? Du gehst zur Armee, und mit mir hast du kein Mitleid. Warum bist du so zu mir?«

»Lisa!« sagte Fürst Andrei nur; aber in diesem Wort lag eine Bitte und eine Drohung und vor allem die Versicherung, daß sie selbst ihre Worte bereuen werde. Sie jedoch redete eilig weiter:

»Du behandelst mich wie eine Kranke oder wie ein Kind. Ich merke das alles. Vor einem halben Jahr warst du ein ganz anderer!«

»Lisa, ich bitte Sie aufzuhören«, sagte Fürst Andrei noch nachdrücklicher.

Pierre, der während dieses Gespräches in immer größere Aufregung gekommen war, stand auf und trat zu der Fürstin hin. Es machte den Eindruck, als ob er den Anblick von Tränen nicht ertragen könne und selbst nahe daran sei loszuweinen.

»Beruhigen Sie sich, Fürstin. Das scheint Ihnen nur so, weil … Aber ich versichere Ihnen, ich weiß aus seinem eigenen Mund … Weswegen denn …? Weil … Nein, entschuldigen Sie, ein Fremder ist hier überflüssig. Nein, beruhigen Sie sich … Adieu!«

Fürst Andrei hielt ihn am Arm zurück und sagte:

»Nicht doch, bleibe hier, Pierre. Die Fürstin hat ein so gutes Herz, daß sie mich nicht wird des Vergnügens berauben wollen, den Abend mit dir zuzubringen.«

»Nein, er denkt immer nur an sich selbst!« murmelte die Fürstin, ohne die Tränen des Zornes zurückzuhalten.

»Lisa!« sagte Fürst Andrei streng, indem er den Ton derart in die Höhe zog, daß es deutlich war: seine Geduld war erschöpft.

Plötzlich ging der zornige Eichhörnchenausdruck des hübschen Gesichtchens der Fürstin in einen reizenden, mitleiderregenden Ausdruck von Furcht über; sie blickte mit ihren schönen Augen ihren Mann schräg von untenher an, und auf ihrem Gesicht zeigte sich jener schüchterne, um Verzeihung bittende Ausdruck, welchen man häufig bei einem Hund beobachten kann, der schnell, aber nur ganz leise mit dem herabhängenden Schwanz wedelt.

»O mein Gott, o mein Gott!« murmelte die Fürstin, und indem sie mit der einen Hand den Rock ihres Kleides zusammenfaßte, trat sie an ihren Mann heran und küßte ihn auf die Stirn.

»Gute Nacht, Lisa«, sagte Fürst Andrei, stand auf und küßte ihr höflich wie einer fremden Dame die Hand.

VIII


Die beiden Freunde schwiegen. Weder der eine noch der andere mochte zu reden anfangen. Pierre warf ab und zu einen Blick zum Fürsten Andrei hin; Fürst Andrei rieb sich mit seiner kleinen Hand die Stirn.

»Komm, wir wollen Abendbrot essen«, sagte er endlich seufzend, stand auf und schritt zur Tür.

Sie traten in das geschmackvoll, neu und luxuriös eingerichtete Speisezimmer. Alles, von den Servietten bis zum Silbergerät, dem Porzellan und dem Kristall, trug jenes besondere Gepräge der Neuheit an sich, welches in der Wirtschaft junger Ehegatten das gewöhnliche ist. Mitten während des Abendessens stützte Fürst Andrei sich mit dem Ellbogen auf den Tisch: er machte den Eindruck eines Menschen, der lange etwas auf dem Herzen gehabt hat und nun plötzlich den Entschluß faßt, sich auszusprechen. Mit einer nervösen Erregung, wie sie Pierre noch nie auf dem Gesicht seines Freundes gesehen hatte, sagte er:

»Heirate niemals, mein Freund, niemals. Oder ich will meinen Rat so formulieren: heirate nicht eher, als bis du alles geleistet hast, wozu deine Kräfte dich befähigen, und nicht eher, als bis du die Frau, die du dir ausgewählt hast, aufgehört hast zu lieben, nicht eher, als bis du ein völlig klares Urteil über sie hast; andernfalls begehst du einen Fehler, der sich grausam rächt und sich nicht wiedergutmachen läßt. Heirate, wenn du ein Greis bist, der zu nichts mehr taugt. Sonst wird alles, was in dir Gutes und Hohes wohnt, zugrunde gehen. Alles wird für nichtigen Kram verausgabt werden. Ja, ja, ja! Sieh mich nicht so verwundert an! Wenn du gehofft hattest, in der Zukunft etwas zu sein und zu leisten, so wirst du als Ehemann auf Schritt und Tritt spüren, daß für dich alles zu Ende ist, daß dir jede Arena verschlossen ist, außer dem Salon, wo du dann mit einem lakaienhaften Höfling und einem Idioten auf gleicher Linie stehen wirst … Ein schöner Genuß!«

Er machte eine energische, wegwerfende Bewegung mit der Hand.

Pierre nahm seine Brille ab, was seinem Gesicht einen andern Ausdruck verlieh, insofern es jetzt noch gutherziger aussah, und blickte seinen Freund erstaunt an.

»Meine Frau«, fuhr Fürst Andrei fort, »ist ein vortreffliches Weib. Sie ist eine jener seltenen Frauen, bei denen man für seine Ehre unbesorgt sein kann; aber großer Gott, was würde ich jetzt nicht darum geben, wenn ich unverheiratet wäre! Du bist der erste und einzige Mensch, dem ich das sage, und ich sage es dir, weil ich dich in mein Herz geschlossen habe.«

Während Fürst Andrei dies sagte, war er noch weniger als vorher jenem Bolkonski ähnlich, der sich auf Anna Pawlownas Lehnsesseln hingerekelt und, den Mund kaum öffnend, mit halb zugekniffenen Augen, französische Phrasen von sich gegeben hatte. Sein mageres Gesicht zitterte in allen Teilen infolge der nervösen Erregung eines jeden Muskels, und die Augen, in denen vorher alle Lebensglut erloschen zu sein schien, strahlten jetzt in hellem, leuchtendem Glanz. Es war deutlich, daß er in solchen Augenblicken der Gereiztheit um so energischer war, je schlaffer er für gewöhnlich zu sein schien.

»Du begreifst nicht, woher es kommt, daß ich so spreche«, fuhr er fort. »Ja, da liegt eine ganze Lebensgeschichte zugrunde. Du sprichst von Bonaparte und seiner Laufbahn«, sagte er, obgleich Pierre von Bonaparte gar nicht gesprochen hatte, »du sprichst von Bonaparte; aber Bonaparte, wenn er arbeitete, sah, daß er Schritt für Schritt seinem Ziel näherkam; er war frei, er hatte sich um nichts zu kümmern als um sein Ziel, und er hat sein Ziel erreicht. Aber binde dich an eine Frau, und du verlierst wie ein in Ketten geschmiedeter Sträfling jede Freiheit. Und alles, was an Hoffnungen und Kräften in dir steckt, das alles lastet lediglich mit schwerem Druck auf dir und quält dich mit steter Reue. Salons, Klatschgeschichten, Bälle, Eitelkeit, nichtiges Treiben, das ist der verhexte Kreis, aus dem ich nicht herauskommen kann. Ich gehe jetzt in den Krieg, in den größten Krieg, den es je gegeben hat; aber ich verstehe nichts vom Krieg und bin zu nichts zu gebrauchen. Ich bin ein guter Plauderer und habe eine scharfe Zunge«, fuhr Fürst Andrei fort, »und in Anna Pawlownas Salon hört man zu, wenn ich rede. Und diese dumme sogenannte gute Gesellschaft, ohne die meine Frau nicht leben kann, und diese Frauen … Wenn du nur wüßtest, was alle diese vornehmen Damen für eine Art von Menschen sind, und die Frauen überhaupt! Mein Vater hat ganz recht: Selbstsucht, Eitelkeit, Beschränktheit, Hohlheit in jeder Hinsicht, das ist das wahre Wesen der Frauen, wenn sie sich so zeigen, wie sie wirklich sind. Wenn man sie im geselligen Verkehr sieht, so möchte man meinen, daß etwas an ihnen dran wäre; aber nichts, nichts, nichts! Nein, heirate nicht, mein Teuerster, heirate nicht!« schloß Fürst Andrei.

»Es scheint mir wunderlich«, erwiderte Pierre, »daß Sie, gerade Sie sich für einen untauglichen Menschen und Ihr Leben für ein verfehltes Leben halten. Eine große, reiche Zukunft liegt vor Ihnen, und Sie werden noch …«

Er sprach diesen Satz »Sie werden noch« nicht zu Ende; aber schon der Ton dieser Worte zeigte, wie hoch er seinen Freund schätzte und wieviel er von ihm in der Zukunft erwartete.

»Wie kann er nur so reden«, dachte Pierre. Er hielt den Fürsten Andrei namentlich deswegen für den Inbegriff aller Vollkommenheiten, weil Fürst Andrei im höchsten Grad alle diejenigen guten Eigenschaften in sich vereinigte, die ihm selbst mangelten, und die man am zutreffendsten mit dem Wort »Willenskraft« zusammenfassend bezeichnen kann. Pierre bewunderte immer die Fähigkeit des Fürsten Andrei, mit Menschen aller Art in ruhigen Formen zu verkehren, ferner sein außerordentliches Gedächtnis, seine Belesenheit (er hatte alles gelesen, kannte alles, hatte für alles Verständnis), und vor allem seine Fähigkeit zu arbeiten und zu lernen. Und wenn Pierre nicht selten darüber erstaunt war, daß dem Fürsten Andrei die Befähigung für hochfliegende philosophische Spekulationen abging (wozu Pierre eine besondere Neigung hatte), so sah er auch darin nicht sowohl einen Mangel als vielmehr ein Zeichen von Kraft. Selbst in den besten, aufrichtigsten Freundschaftsverhältnissen ist Schmeichelei oder Lob unentbehrlich, gerade wie für Wagenräder die Schmiere notwendig ist, damit sie sich ordentlich drehen.

»Ich bin ein abgetaner, erledigter Mensch«, sagte Fürst Andrei. »Wozu sollen wir über mich noch reden? Wir wollen lieber über dich sprechen«, fuhr er nach kurzem Stillschweigen fort und mußte selbst über dieses Trostmittel, das ihm in den Sinn kam, lächeln. Dieses Lächeln spiegelte sich in demselben Augenblick auf Pierres Gesicht wieder.

»Aber was ist von mir zu sagen?« erwiderte Pierre, indem er den Mund zu einem sorglosen, fröhlichen Lächeln verzog. »Was bin ich für ein Mensch? Ein illegitimer Sohn bin ich.« Sein Gesicht überzog sich auf einmal mit einer dunklen Röte. Es war klar, daß es ihn große Anstrengung gekostet hatte, dies auszusprechen. »Ich habe keinen Namen, kein Vermögen … Na, was liegt daran; ich möchte wirklich …« Er sprach den Satz nicht zu Ende. »Ich bin vorläufig frei, und es geht mir ganz gut. Ich weiß nur absolut nicht, was ich anfangen soll. Daher wollte ich Sie in allem Ernst bitten, mir einen Rat zu geben.«

Fürst Andrei sah ihn mit seinen guten Augen an. Aber in seinem freundlichen, wohlwollenden Blick kam doch das Bewußtsein seiner eigenen Überlegenheit zum Ausdruck.

»Du bist mir ganz besonders deshalb lieb und wert, weil du der einzige frische, natürliche Mensch in unserem ganzen Gesellschaftskreis bist. Du bist gut daran. Wähle, welchen Beruf du willst, das wird keinen Unterschied machen: es wird dir in jedem Beruf gutgehen, da du in jedem Beruf ein guter, tüchtiger Mensch sein wirst. Nur eins: geh nicht mehr zu diesen Kuragins, und gib diese Lebensweise auf. Sie paßt auch gar nicht für dich: alle diese Gelage, und die dummen Streiche, und was sonst noch alles damit zusammenhängt.«

»Was ist da zu machen?« antwortete Pierre achselzuckend. »Die Weiber, lieber Freund, die Weiber!«

»Das verstehe ich nicht«, entgegnete Andrei. »Anständige Frauen, das wäre eine andere Sache; aber Frauen in Kuragins Geschmack, ›Weiber und Wein‹, das verstehe ich nicht.«

Pierre wohnte bei dem Fürsten Wasili Kuragin und beteiligte sich an dem ausschweifenden Leben seines Sohnes Anatol, desselben, den man zu seiner Besserung mit der Schwester des Fürsten Andrei zu verheiraten beabsichtigte.

»Wissen Sie«, sagte Pierre, als ob ihm ganz unerwartet ein glücklicher Gedanke gekommen wäre, »im Ernst, ich habe mir das auch schon lange gesagt. Bei dieser Lebensweise kann ich keine ordentliche Überlegung anstellen und keinen Entschluß fassen. Ich habe immer Kopfschmerzen und kein Geld. Er hat mich zu heute wieder eingeladen; aber ich will nicht hingehen.«

»Gib mir dein Ehrenwort, daß du nicht hingehst!«

»Mein Ehrenwort!«

IX


Ein Uhr nachts war schon vorüber, als Pierre aus dem Haus seines Freundes trat. Es war eine Petersburger Juninacht, in der es nicht dunkel wird. Pierre setzte sich mit der Absicht, nach Hause zu fahren, in eine Droschke. Aber je mehr er sich dem Ziel seiner Fahrt näherte, um so stärker empfand er die Unmöglichkeit, in dieser Nacht einzuschlafen, die mehr einem Abend als einem Morgen ähnlich war. In den menschenleeren Straßen konnte man weit entlangsehen. Unterwegs erinnerte sich Pierre, daß sich an diesem Abend der Abrede gemäß die gewöhnliche Spielgesellschaft bei Anatol Kuragin hatte versammeln sollen; nach dem Spiel pflegte man dann tüchtig zu zechen und zuletzt mit Pierres Lieblingsamüsement zu schließen.

»Es wäre doch recht nett, wenn ich zu Kuragin führe«, dachte er. Aber sofort fiel ihm auch das Ehrenwort ein, das er dem Fürsten Andrei gegeben hatte, sich heute nicht zu Kuragin zu begeben.

Aber im nächsten Augenblick überkam ihn, wie das bei labilen Menschen so zu gehen pflegt, ein so leidenschaftliches Verlangen, diese ihm so wohlbekannten Ausschweifungen noch einmal durchzukosten, daß er sich doch entschloß hinzufahren. Und sogleich schoß ihm auch der Gedanke durch den Kopf, daß das gegebene Ehrenwort ja nichts zu bedeuten habe, da er schon vor dem Gespräch mit dem Fürsten Andrei dem Fürsten Anatol gleichfalls sein Ehrenwort gegeben hatte, zu ihm zu kommen. Und endlich sagte er sich, daß all solche Ehrenworte eigentlich doch nur konventionelle Dinge ohne rechten vernünftigen Sinn seien, namentlich wenn man erwäge, daß er vielleicht morgen schon sterben oder ihm sonst etwas Außerordentliches zustoßen werde, so daß es dann für ihn nichts Ehrenhaftes oder Unehrenhaftes mehr gebe. Derartigen Überlegungen, durch die all seine Entschlüsse und Vorsätze über den Haufen gestoßen zu werden pflegten, gewährte Pierre nicht selten Raum. Er fuhr zu Kuragin.

Als er nicht weit von der Gardekavalleriekaserne bei dem großen von Anatol bewohnten Haus vorgefahren war, stieg er die erleuchteten Stufen vor dem Portal und dann im Haus die Treppe hinauf und trat in die offene Tür. Im Vorzimmer war niemand; leere Flaschen, Mäntel und Überschuhe bildeten einen wüsten Wirrwarr; es roch nach Wein; von weiterher war Reden und Geschrei zu hören.

Das Spiel und das Abendessen waren schon beendet; aber die Gäste noch nicht gegangen. Pierre warf seinen Mantel ab und trat in das erste Zimmer, wo noch die Überreste des Abendessens auf dem Tisch standen und ein Diener, in dem Glauben, daß ihn niemand sehe, heimlich austrank, was noch in den Gläsern war. Aus dem dritten Zimmer erscholl wüster Lärm, Lachen, das Geschrei bekannter Stimmen und das Gebrüll eines Bären. Acht junge Männer drängten sich, aufgeregt redend, um ein geöffnetes Fenster. Drei andere tollten mit einem jungen Bären umher, welchen einer an der Kette hierhin und dorthin schleppte, um die andern zu erschrecken.

»Ich wette hundert für Stevens!« rief einer.

»Aber nicht festhalten!« rief ein anderer.

»Ich wette auf Dolochow!« schrie ein dritter. »Schlag durch, Kuragin!«

»Na, nun laßt doch den Bären; hier wird gewettet.«

»Aber ohne abzusetzen, sonst hat er verloren«, schrie ein vierter.

»Jakow, gib eine Flasche Rum her!« rief der Hausherr selbst, ein großgewachsener, hübscher junger Mann, der in Hemdsärmeln, das feine Hemd auf der Brust geöffnet, mitten in dem Schwarm stand. »Warten Sie, meine Herren! Da ist er, unser Pierre, unser lieber Freund!« wandte er sich zu Pierre.

Eine andere Stimme, die eines Mannes von mäßigem Wuchs, mit klaren, blauen Augen, eine Stimme, die mitten unter allen diesen betrunkenen Stimmen namentlich dadurch auffiel, daß man ihr die Nüchternheit anhörte, rief vom Fenster her: »Komm hierher und schlage die Wette durch!« Dies war Dolochow, ein Offizier vom Semjonower Regiment, ein berüchtigter Spieler und Raufbold, der mit Anatol zusammenwohnte. Pierre lächelte und blickte vergnügt ringsum.

»Ich verstehe nichts. Um was handelt es sich denn?« fragte er.

»Wartet mal, er ist nicht betrunken. Gib eine Flasche her!« sagte Anatol, nahm ein Glas vom Tisch und trat auf Pierre zu. »Vor allen Dingen trinke erst mal!«

Pierre trank ein Glas nach dem andern, betrachtete, schräg nach der Seite hinblickend, die betrunkenen Gäste, die sich wieder bei dem Fenster zusammendrängten, und horchte auf ihr Gespräch. Anatol goß ihm fortwährend Wein ein und erzählte ihm, Dolochow habe mit dem Engländer Stevens, einem Seemann, der hier anwesend sei, gewettet, er, Dolochow, werde eine Flasche Rum austrinken, während er hier im dritten Stockwerk mit nach außen hängenden Beinen im Fenster sitze.

»Na, trink die Flasche ganz aus!« sagte Anatol und goß Pierre das letzte Glas ein. »Anders lasse ich dich nicht los!«

»Nein, ich mag nicht«, erwiderte Pierre, schob Anatol zurück und trat ans Fenster. Dolochow hielt die Hand des Engländers in der seinen und wiederholte klar und deutlich die Bedingungen der Wette, wobei er sich vornehmlich an Anatol und Pierre wandte.

Dolochow war ein Mann von Mittelgröße, mit krausem Haar und hellen, blauen Augen. Er war fünfundzwanzig Jahre alt. Er trug, wie alle Infanterieoffiziere, keinen Schnurrbart, und sein Mund, das auffallendste Stück seines Gesichtes, war vollständig zu sehen. Die Linien dieses Mundes waren überaus fein geschwungen. In der Mitte senkte sich die Oberlippe mit einem energischen Ausdruck keilförmig zu der kräftigen Unterlippe herab, und in den Mundwinkeln bildete sich beständig eine Art von doppeltem Lächeln, auf jeder Seite eins. Das Gesicht in seiner Gesamtheit, namentlich auch mit Einschluß des festen, frechen, klugen Blickes, machte einen solchen Eindruck, daß es einem jeden mit Notwendigkeit auffallen mußte. Dolochow war unbemittelt und ohne alle Konnexionen. Und trotzdem Anatol gewaltige Summen verbrauchte, wohnte Dolochow mit ihm zusammen und hatte sich eine solche Position zu schaffen gewußt, daß alle ihre gemeinsamen Bekannten ihn höher schätzten als den großartig auftretenden Anatol. Dolochow verstand alle Spiele, die es gab, und gewann fast immer. Er mochte trinken, soviel er wollte, er behielt immer einen klaren Kopf. Kuragin und Dolochow waren zu jener Zeit zwei Berühmtheiten in den Kreisen der Taugenichtse und Zecher Petersburgs.

Die Flasche Rum wurde gebracht. Zwei Diener versuchten, den Fensterrahmen herauszubrechen, der das Sitzen auf der äußeren Böschung des Fensters unmöglich machte; sie bemühten sich offenbar nach Kräften, waren aber durch die Ratschläge der um sie herumstehenden Herren und das Anschreien ganz konfus geworden.

Anatol trat mit seiner Siegermiene zum Fenster. Er hatte die größte Lust, irgend etwas zu zerbrechen. Die Diener zurückstoßend, riß er an dem Rahmen; aber der Rahmen gab nicht nach. Anatol zerschmetterte eine Fensterscheibe.

»Na, nun probier du mal, du Kraftmensch!« rief er Pierre zu. Dieser packte das Fensterkreuz und zog es mit solcher Gewalt an sich, daß der eichene Rahmen krachend teils zerbrach, teils sich loslöste.

»Heraus mit dem ganzen Rahmen!« sagte Dolochow. »Sonst denkt womöglich einer, daß ich mich festhalte.«

»Der Engländer prahlt, er werde gewinnen … Nun? Alles in Ordnung?« sagte Anatol.

»Alles in Ordnung!« antwortete Pierre und blickte Dolochow an, der, die Rumflasche in der Hand, zum Fenster schritt. Durch das Fenster sah man den hellen Himmel und wie Abendröte und Morgenröte an ihm ineinanderflossen. Dolochow sprang mit der Rumflasche in der Hand auf das Fensterbrett.

»Aufgepaßt!« rief er, auf dem Fensterbrett stehend und sich nach dem Zimmer hinwendend. Alle wurden still. »Ich wette« (er sprach französisch, damit ihn der Engländer verstehen könnte, war aber dieser Sprache nicht recht mächtig), »ich wette auf fünfzig Imperials … oder wünschen Sie auf hundert?« fügte er, zu dem Engländer gewendet, hinzu.

»Nein, auf fünfzig«, antwortete der Engländer.

»Schön, auf fünfzig Imperials, daß ich eine ganze Flasche Rum, ohne sie vom Mund abzusetzen, austrinken werde, und zwar indem ich außerhalb des Fensters, hier auf dieser Stelle« (er beugte sich nieder und zeigte auf den abschüssigen Mauervorsprung draußen vor dem Fenster) »sitzen werde, ohne mich an etwas festzuhalten … Stimmt es?«

»Jawohl, stimmt!« antwortete der Engländer.

Anatol wandte sich zu dem Engländer und begann, indem er ihn an einem Frackknopf festhielt und von oben auf ihn heruntersah (der Engländer war von kleiner Statur), ihm auf englisch die Bedingungen der Wette zu wiederholen.

»Warte mal!« rief Dolochow und klopfte mit der Flasche auf das Fenster, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Warte mal, Kuragin! Hören Sie, meine Herren! Wenn einer von Ihnen dasselbe macht, so bezahle ich ihm hundert Imperials. Verstanden?«

Der Engländer nickte mit dem Kopf, ohne deutlich zu machen, ob er diese neue Wette anzunehmen gesonnen sei oder nicht. Anatol ließ den Engländer nicht los, und obwohl dieser durch Kopfnicken zu verstehen gab, daß er alles richtig erfaßt habe, übersetzte ihm Anatol Dolochows Worte ins Englische. Ein schmächtiger junger Mensch, Leibhusar, der an diesem Abend im Spiel sein ganzes Geld verloren hatte, stieg auf das Fensterbrett, bog sich hinaus und blickte nach unten.

»Ui …! ui …! ui …!« machte er, als er draußen unter dem Fenster das Steinpflaster des Trottoirs erblickte.

»Achtung!« rief Dolochow und zog den Offizier vom Fenster herunter. Dieser sprang, mit den Sporen anstoßend, ungeschickt ins Zimmer.

Dolochow stellte die Flasche auf das Fensterbrett, um sie bequem erreichen zu können, und stieg sachte und vorsichtig in das Fenster. Indem er die Beine hinaushängen ließ und sich mit beiden Armen auf den Rand des Fensters stützte, probierte er den Platz aus, setzte sich hin, ließ die Arme los, rückte noch ein wenig nach rechts und nach links und langte sich die Flasche. Anatol brachte zwei Kerzen und stellte sie auf das Fensterbrett, obwohl es schon ganz hell war. Dolochows Rücken in dem weißen Hemd und sein kraushaariger Kopf waren von beiden Seiten beleuchtet. Alle standen dichtgedrängt beim Fenster, der Engländer in der vordersten Reihe. Pierre lächelte, ohne etwas zu sagen. Einer der Anwesenden, älter als die andern, drängte sich auf einmal mit erschrockenem, ärgerlichem Gesicht nach vorn und wollte Dolochow am Hemd ergreifen.

»Meine Herren, das sind Dummheiten; er wird herunterstürzen und sich das Genick brechen!« sagte dieser Vernünftigere.

Anatol hielt ihn zurück.

»Rühr ihn nicht an; du erschreckst ihn, und er fällt herunter. Na, und was sagst du dann, he?«

Dolochow drehte sich um, richtete sich gerade auf und stemmte sich wieder auf die Arme.

»Wenn mich noch einmal jemand stört«, sagte er, indem er die Worte einzeln zwischen den zusammengepreßten feinen Lippen herausdrückte, »so werfe ich ihn sofort hier hinunter … Also jetzt!«

Als er »Also jetzt!« gesagt hatte, drehte er sich wieder um, nahm die Arme aus der Stützstellung, faßte die Flasche, führte sie an den Mund, legte den Kopf zurück und hob, um das Gleichgewicht herzustellen, die freie Hand in die Höhe. Ein Diener, welcher angefangen hatte, die Scherben der Fensterscheibe aufzusammeln, verharrte unbeweglich in seiner gebückten Haltung, ohne die Augen vom Fenster und von Dolochows Rücken wegzuwenden. Anatol stand gerade aufgerichtet mit weitgeöffneten Augen da. Der Engländer streckte die Lippen vor und blickte zur Seite. Derjenige, der die Sache zu verhindern gesucht hatte, lief in eine Ecke des Zimmers und legte sich auf ein Sofa, mit dem Gesicht nach der Wand zu. Pierre hatte sich die Augen mit den Händen bedeckt; ein schwaches Lächeln war wie infolge einer Vergeßlichkeit auf seinem Gesicht zurückgeblieben, während dieses doch jetzt den Ausdruck des Schreckens und der Angst trug. Alle schwiegen. Pierre nahm die Hände wieder von den Augen. Dolochow saß noch in derselben Stellung da; nur war sein Kopf weiter zurückgebogen, so daß das krause Nackenhaar den Hemdkragen berührte, und die Hand mit der Flasche hob sich zitternd und mit Anstrengung immer höher und höher. Die Flasche leerte sich offenbar, und in demselben Maß hob sie sich und zwang zu weiterem Zurückbiegen des Kopfes. »Wie kann das nur so lange dauern?« dachte Pierre. Es kam ihm vor, als sei schon mehr als eine halbe Stunde vergangen. Auf einmal machte Dolochow mit dem Rücken eine Bewegung nach rückwärts, und sein Arm begann nervös zu zittern; dieses Zittern war ausreichend, um den ganzen Körper des auf der abschüssigen Böschung Sitzenden zu verschieben. Dolochow bewegte sich von der Stelle, und sein Arm und sein Kopf zitterten vor Anstrengung noch stärker. Der eine Arm streckte sich bereits aus, um nach dem Fensterbrett zu greifen, zog sich aber wieder zurück. Pierre schloß von neuem die Augen und nahm sich vor, sie nicht wieder zu öffnen. Auf einmal merkte er, daß alles um ihn herum in Bewegung geriet. Er machte die Augen auf und sah hin: Dolochow stand auf dem Fensterbrett; sein Gesicht war blaß, aber vergnügt.

»Leer!«

Er warf die Flasche dem Engländer zu, der sie geschickt fing. Dolochow sprang vom Fenster herab. Er roch stark nach Rum.

»Ausgezeichnet! Ein famoser Kerl! Das war mal eine Wette! Donnerwetter noch einmal!« wurde von allen Seiten geschrien.

Der Engländer holte seine Börse hervor und zählte das Geld hin. Dolochow kniff die Augen zusammen und schwieg. Pierre sprang plötzlich auf das Fensterbrett.

»Meine Herren, wer will mit mir wetten? Ich mache dasselbe!« rief er. »Oder es ist auch gar keine Wette nötig; ich mache es einfach so. Laß mir nur eine Flasche Rum geben, Anatol … Ich werde es machen … Her mit der Flasche!«

»Laßt es ihn nur versuchen! Immerzu!« sagte Dolochow lächelnd.

»Was redest du? Bist du verrückt geworden? Das lassen wir nicht zu! Du wirst ja schon auf einer Leiter schwindlig!« riefen alle durcheinander.

»Ich werde austrinken! Gebt mir eine Flasche Rum!« schrie Pierre, schlug mit der Hartnäckigkeit eines Betrunkenen heftig auf den Tisch und stieg ins Fenster. Mehrere ergriffen ihn an den Armen; aber er war so stark, daß er alle, die ihm zu nahe kamen, durch seine Stöße zurücktaumeln ließ.

»Nein, so ist er nicht zurückzuhalten, absolut nicht!« sagte Anatol. »Wartet, ich werde ihn schon auf andere Weise herumkriegen. Hör mal, ich will mit dir wetten, aber erst morgen; jetzt wollen wir alle zu den *** fahren.«

»Jawohl, jawohl!« schrie Pierre. »Da wollen wir hinfahren! Und den Bären nehmen wir auch mit!« Er packte den Bären, umfaßte ihn, hob ihn in die Höhe und tanzte mit ihm im Zimmer herum.

X


Fürst Wasili erfüllte das Versprechen, das er auf der Soiree bei Anna Pawlowna der Fürstin Drubezkaja gegeben hatte, von der er gebeten worden war, sich für ihren einzigen Sohn Boris zu verwenden. Er trug die Sache dem Kaiser vor, und der junge Mann wurde aus besonderer Gnade als Fähnrich in das Semjonower Garderegiment versetzt. Zu Kutusows Adjutanten wurde aber Boris denn doch nicht ernannt, trotz aller Bemühungen und Intrigen von seiten Anna Michailownas. Bald nach jener Abendgesellschaft bei Anna Pawlowna kehrte Anna Michailowna wieder nach Moskau zurück, und zwar gleich wieder in das Haus ihrer reichen Verwandten, der Rostows, bei denen sie sich gewöhnlich in Moskau aufhielt, und bei denen auch ihr vor kurzem in einem Linienregiment zum Fähnrich beförderter und dann sogleich zur Garde versetzter Sohn, ihr vergötterter Boris, von seiner Kindheit an erzogen war und viele Jahre gelebt hatte. Die Garde hatte Petersburg schon am 10. August verlassen, und der neue Gardefähnrich, der zum Zweck seiner Equipierung noch in Moskau geblieben war, sollte sie auf dem Weg nach Radsiwilow einholen.

Bei Rostows feierten zwei Familienmitglieder, welche beide Natalja hießen, ihren Namenstag: die Mutter und die jüngere Tochter. Vom Vormittag an war bei dem großen, in ganz Moskau bekannten gräflich Rostowschen Haus in der Powarskaja-Straße ein beständiges Kommen und Abfahren von Equipagen mit Gratulanten. Die Gräfin saß mit ihrer schönen älteren Tochter und den fortwährend einander ablösenden Gästen im Salon.

Die Gräfin hatte ein mageres Gesicht von orientalischem Typus; sie war etwa fünfundvierzig Jahre alt und offenbar durch die Entbindungen, deren sie zwölf durchgemacht hatte, stark mitgenommen. Die von ihrer Kraftlosigkeit herrührende Langsamkeit ihrer Bewegungen und ihrer Sprache verlieh ihr ein vornehmes Wesen, welches Respekt einflößte. Die Fürstin Anna Michailowna Drubezkaja saß, als zum Haus gehörig, gleichfalls im Salon und war beim Empfang und bei der Unterhaltung der Besucher behilflich. Die Jugend hatte es nicht für nötig befunden, sich an der Entgegennahme der Visiten zu beteiligen, sondern befand sich in den hinteren Zimmern. Der Graf dagegen empfing die Gratulanten, begleitete sie wieder hinaus und lud alle zum Diner ein.

»Sehr, sehr dankbar bin ich Ihnen, meine Teuerste oder mein Teuerster« (»meine Teuerste« oder »mein Teuerster« sagte er zu allen Besuchern ohne Ausnahme, sowohl zu denen, welche höher als er, wie auch zu denen, die tiefer standen), »für meine eigene Person und im Namen meiner beiden Angehörigen, welche heute ihren Namenstag begehen. Haben Sie doch die Güte, heute zum Mittagessen zu uns zu kommen. Eine Ablehnung würde mir gar zu schmerzlich sein, mein Teuerster. Ich bitte Sie herzlich im Namen der ganzen Familie, meine Teuerste.« Diese Worte sagte er ohne Variationen zu allen ohne Ausnahme, mit dem gleichen Ausdruck in dem vollen, vergnügten, sauber rasierten Gesicht, mit dem gleichen kräftigen Händedruck und mit den gleichen, mehrmals wiederholten kurzen Verbeugungen. Sobald der Graf einen Gast hinausbegleitet hatte, kehrte er zu den Besuchern oder Besucherinnen zurück, welche noch im Salon waren, rückte sich einen Sessel heran, setzte sich, und indem er mit der Miene eines Mannes, dem es Freude macht zu leben und der auch zu leben versteht, forsch und munter die Beine auseinanderspreizte, die Hände auf die Knie legte und sich bedeutsam hin und her wiegte, stellte er Vermutungen über das Wetter auf und tauschte gute Ratschläge über die Gesundheit aus, und zwar bald auf russisch, bald in sehr schlechtem, aber zuversichtlich vorgebrachtem Französisch. Und dann stand er wieder von neuem auf, um mit der Miene eines zwar ermüdeten, aber mit treuer Festigkeit seine Pflicht erfüllenden Mannes Gästen das Geleit zu geben, wobei er sich die spärlichen grauen Haare auf der kahlen Platte zurechtstrich und immer wieder zum Mittagessen einlud. Bisweilen ging er, bei der Rückkehr aus dem Vorzimmer, durch das Blumenzimmer und das Geschäftszimmer nach dem großen Marmorsaal mit heran, wo eine Tafel zu achtzig Gedecken bereitet wurde, sah einen Augenblick den Dienern zu, welche Silber und Porzellan herbeitrugen, die Tische zurechtstellten und die Damasttischtücher auflegten, rief seinen Dmitri Wasiljewitsch, einen Mann von adliger Herkunft, der ihm sämtliche geschäftlichen Angelegenheiten besorgte, zu sich heran und sagte: »Na ja, lieber Dmitri, sieh nur zu, daß alles recht schön wird. Gut so, gut so«, bemerkte er beifällig, indem er mit Vergnügen den riesigen Ausziehtisch betrachtete. »Die Hauptsache ist immer die Ausstattung der Tafel. Ja, ja …« Und dann ging er mit einem kleinen selbstgefälligen Seufzer wieder in den Salon.

»Marja Lwowna Karagina nebst Tochter!« meldete mit seiner Baßstimme ein hünenhafter Rostowscher Lakai, indem er in die Tür des Salons trat. Die Gräfin überlegte einen Augenblick lang und schnupfte aus einer goldenen Dose, die auf dem Deckel das Bild ihres Mannes trug.

»Diese Visiten haben mich schon ganz krank gemacht«, sagte sie. »Nun, diese will ich noch annehmen; das soll dann aber auch die letzte sein. Die Dame ist gar zu förmlich und würde es mir übelnehmen … … Ich lasse bitten!« sagte sie zu dem Diener in so traurigem Ton, als ob sie sagen wollte: »Nun, dann tötet mich nur vollends!«

Eine Dame von hoher, stattlicher Figur und stolzem Gesichtsausdruck und ihr rundköpfiges, lächelndes Töchterchen traten, mit den Kleidern raschelnd, in den Salon.

»Es ist schon sehr lange her … Gräfin … Sie ist krank gewesen, das arme Kind … Auf dem Ball bei Rasumowskis … Die Gräfin Apraxina … Ich habe mich so sehr gefreut …«, so ließen sich nun lebhafte weibliche Stimmen vernehmen; eine unterbrach immer die andere, und mit dem Ton der Stimmen vermischte sich das Rascheln der Kleider und das Geräusch der Stühle, die zurechtgerückt wurden. Dann begann ein Gespräch von jener Art, wie man es anscheinend nur anknüpft mit der Absicht, bei der ersten eintretenden Pause wieder aufzustehen, mit den Kleidern zu rascheln, zu sagen: »Ich habe mich sehr, sehr gefreut … Mamas Befinden … Die Gräfin Apraxina …«, um dann wieder, mit den Kleidern raschelnd, in das Vorzimmer zu gehen, den Pelz oder Mantel anzuziehen und wegzufahren.

Das Gespräch behandelte auch die wichtigste Neuigkeit, die es damals in Moskau gab, die Krankheit des alten Grafen Besuchow, bekannt als Krösus und als einer der schönsten Lebemänner zur Zeit der Kaiserin Katharina; so kam man auch auf seinen natürlichen Sohn Pierre, der sich auf einer Soiree bei Anna Pawlowna Scherer so unpassend benommen haben sollte.

»Ich bedaure den armen Grafen außerordentlich«, sagte die Besucherin. »Sein Befinden ist so schon so schlecht, und nun noch dieser Kummer über den Sohn. Das wird sein Tod sein!«

»Was ist denn eigentlich geschehen?« fragte die Gräfin, als ob ihr der Vorfall, von dem die Besucherin sprach, unbekannt wäre, wiewohl sie doch bereits ungefähr fünfzehnmal die Ursache von Graf Besuchows Kummer gehört hatte.

»Da haben wir die Folgen der heutigen Erziehung! Und noch dazu der Erziehung im Ausland!« sagte die Besucherin. »Dieser junge Mann ist vollständig sich selbst überlassen gewesen, und jetzt hat er, wie man hört, in Petersburg so schreckliche Dinge begangen, daß ihn die Polizei aus der Stadt ausgewiesen hat.«

»Unerhört!« sagte die Gräfin.

»Er ist in einen schlechten Bekanntenkreis hineingeraten«, mischte sich die Fürstin Anna Michailowna in das Gespräch. »Der eine Sohn des Fürsten Wasili, er und ein gewisser Dolochow sollen ganz tolle Geschichten angestellt haben. Nun haben sie dafür ihre Strafe bekommen. Dolochow ist zum Gemeinen degradiert, und Besuchows Sohn ist nach Moskau verwiesen. Was Anatol Kuragin betrifft – für den hat der Vater auf irgendeine Weise eine Milderung der Strafe erwirkt. Aber Petersburg hat er auch verlassen müssen.«

»Aber was haben sie denn getan?« fragte die Gräfin.

»Ganz ruchlose Menschen müssen das sein, namentlich dieser Dolochow«, antwortete die Besucherin. »Er ist ein Sohn von Frau Marja Iwanowna Dolochowa, einer so hochachtbaren Dame, und nun so etwas! Können Sie sich das vorstellen: die drei haben sich irgendwo einen Bären verschafft, haben sich mit ihm in einen Wagen gesetzt und ihn in die Wohnung von Schauspielerinnen mitgenommen. Die Polizei kam eilig herbei, um dem Unfug Einhalt zu tun; da haben sie den Reviervorsteher ergriffen, ihn Rücken an Rücken mit dem Bären zusammengebunden und den Bären in den Moika-Kanal geworfen; der Bär schwamm im Wasser, und der Reviervorsteher auf ihm drauf.«

»Eine hübsche Figur muß der Reviervorsteher dabei gemacht haben, meine Teuerste!« rief der Graf, der vor Lachen beinahe sterben wollte.

»Ach, es ist ja doch eine ganz entsetzliche Handlungsweise! Was ist dabei nur zu lachen, Graf?«

Aber unwillkürlich lachten die Damen ebenfalls.

»Nur mit Mühe gelang es, den Unglücklichen zu retten«, fuhr die Besucherin fort. »Auf eine so löbliche Weise amüsiert sich der Sohn des Grafen Kirill Wladimirowitsch Besuchow!« fügte sie hinzu. »Und dabei hieß es, er wäre so gut erzogen und so verständig! Da sieht man, wohin diese ganze ausländische Erziehung führt! Hoffentlich wird ihn hier trotz seines Reichtums niemand empfangen. Es wollte ihn mir jemand vorstellen; aber ich habe mich entschieden geweigert; ich habe Töchter, auf die ich Rücksicht nehmen muß.«

»Warum sagen Sie, daß dieser junge Mann so reich sei?« fragte die Gräfin; sie bog sich von den jungen Mädchen weg, die sich auch sogleich den Anschein gaben, als ob sie nicht zuhörten. »Graf Besuchow hat doch nur illegitime Kinder. Und wie es scheint, ist auch Pierre ein solches.«

Die Besucherin deutete durch eine Handbewegung an, wie arg es damit stände, und bemerkte: »Ich glaube, er hat zwanzig illegitime Kinder.«

Hier griff wieder die Fürstin Anna Michailowna in das Gespräch ein; sie wünschte offenbar an den Tag zu legen, was für hohe Verbindungen sie besitze, und wie gut sie über alle Vorgänge in den höheren Gesellschaftskreisen orientiert sei.

»Die Sache verhält sich so«, sagte sie beinahe im Flüsterton mit wichtiger Miene. »Das Renommee des Grafen Kirill Wladimirowitsch ist ja allgemein bekannt. Wieviel Kinder er hat, weiß er wohl selbst nicht; aber dieser Pierre war sein Lieblingskind.«

»Wie schön der alte Mann war!« sagte die Gräfin. »Noch im vorigen Jahr! Ich habe nie in meinem Leben einen schöneren Mann gesehen.«

»Jetzt sieht er sehr verändert aus«, erwiderte Anna Michailowna. »Also ich wollte sagen«, fuhr sie fort, »durch seine Frau ist Fürst Wasili der rechtmäßige Erbe des ganzen Vermögens; aber diesen Pierre hat der Vater sehr geliebt, er hat sich angelegentlich um seine Erziehung gekümmert und eine Eingabe an den Kaiser gemacht, so daß niemand weiß, wenn er stirbt (und es steht mit ihm so schlecht, daß das jeden Augenblick erwartet wird; auch Doktor Lorrain ist aus Petersburg hergerufen worden), wem dann dieses riesige Vermögen zufällt, ob dem jungen Pierre oder dem Fürsten Wasili. Vierzigtausend Seelen und viele Millionen Rubel. Ich weiß das ganz sicher, weil es mir Fürst Wasili selbst gesagt hat. Auch ist Kirill Wladimirowitsch durch meine Mutter mit mir als Onkel dritten Grades verwandt. Er ist auch der Taufpate meines Boris«, fügte sie so leichthin hinzu, als ob sie diesem Umstand keine besondere Wichtigkeit beilegte.

»Fürst Wasili ist gestern nach Moskau gekommen«, bemerkte die Besucherin. »Ich habe gehört, er befinde sich auf einer Inspektionsreise.«

»Ja, aber das ist, unter uns gesagt, nur ein Vorwand«, entgegnete die Fürstin. »Eigentlich ist er wegen des Grafen Kirill Wladimirowitsch hergekommen, weil er erfahren hat, daß es so schlecht mit ihm steht.«

»Aber, meine Teuerste, das war doch ein famoser Streich«, sagte der Graf; und als er merkte, daß die ältere Besucherin nicht hinhörte, wandte er sich zu den beiden jungen Damen. »Ich kann mir vorstellen, was für einen hübschen Anblick der Reviervorsteher dabei dargeboten hat!«

Und indem er mimisch veranschaulichte, was für Bewegungen der Reviervorsteher mit den Armen gemacht haben mochte, brach er wieder in ein herzhaftes, tieftönendes Lachen aus, das seinen gesamten vollen Körper erschütterte, so wie Leute lachen, die immer gut gegessen und besonders immer gut getrunken haben. »Also haben Sie die Güte, heute bei uns zu Mittag zu speisen!« sagte er.

XI


Es trat eine Pause im Gespräch ein. Die Gräfin blickte ihre Besucherin freundlich lächelnd an, ohne indes zu verbergen, daß sie sich ganz und gar nicht grämen würde, wenn diese jetzt aufstehen und weggehen wollte. Die Tochter der Besucherin machte bereits ihr Kleid zum Aufstehen zurecht und blickte fragend ihre Mutter an, da wurde plötzlich aus dem Nebenzimmer hörbar, wie eine ganze Anzahl männlicher und weiblicher Füße zur Tür gelaufen kamen und ein angestoßener Stuhl mit Gepolter umfiel, und ins Zimmer herein kam ein dreizehnjähriges Mädchen gestürzt, das etwas in den Falten ihres kurzen Musselinkleides versteckt hielt und mitten im Zimmer stehenblieb. Es war klar, daß sie ohne Absicht, weil sie sich in ihrem schnellen Lauf nicht hatte hemmen können, so weit gestürmt war. In der Tür erschienen in demselben Augenblick ein Student in seiner Uniform mit dem himbeerroten Kragen, ein Gardeoffizier, ein fünfzehnjähriges Mädchen und ein dicker, rotbackiger Knabe in kurzer Jacke.

Der Graf sprang auf, und sich hin und her wiegend, umfing er das so eilig hereingekommene Mädchen mit weit ausgebreiteten Armen.

»Ah, da ist sie ja, das liebe, kleine Persönchen, das heute seinen Namenstag hat!« rief er lachend.

»Mein liebes Kind, man muß sich immer schicklich benehmen«, sagte die Gräfin mit erkünstelt strenger Miene zu ihrem Töchterchen; und ihrem Mann machte sie dann den Vorwurf: »Du verwöhnst sie immer, lieber Ilja.«

»Guten Tag, mein Herzchen, und meinen Glückwunsch zum Namenstag!« sagte die Besucherin, und sich zur Mutter wendend, fügte sie hinzu: »Welch ein reizendes Kind!«

Das schwarzäugige, nicht schöne, aber muntere Mädchen, mit dem großen Mund, mit den unbedeckten, schmalen Kinderschultern, die sich infolge des schnellen Laufens zuckend in ihrem Mieder bewegten, mit den schwarzen, unordentlich zurückgeworfenen Locken, mit den dünnen, nackten Armen, mit den kleinen Beinen in den Spitzenhöschen und den zierlichen Füßchen in den ausgeschnittenen Schuhchen, stand in jenem liebenswürdigen Alter, wo das junge Mädchen kein Kind mehr und das Kind noch kein junges Mädchen ist. Aus den Armen des Vaters herausschlüpfend, lief sie zu der Mutter, verbarg, ohne sich um den erhaltenen strengen Verweis im geringsten zu kümmern, ihr heißes, rotes Gesichtchen in deren Spitzenmantille und brach in ein lautes Gelächter aus. Sie erzählte in abgebrochenen Worten unter fortwährendem Lachen etwas von ihrer Puppe, die sie aus den Falten ihres Kleidchens hervorholte.

»Seht ihr wohl …? Meine Puppe … Mimi … seht nur …« Natascha1 konnte nicht weitersprechen; die Sache erschien ihr gar zu lächerlich. Sie warf sich wieder gegen die Mutter und lachte so laut und herzlich, daß alle, sogar die sehr förmliche Besucherin, unwillkürlich mitlachten.

»Nun geh aber, geh weg mit deinem häßlichen Balg«, sagte die Mutter und schob, ärgerlich tuend, die Tochter von sich. »Das ist meine Jüngste«, bemerkte sie entschuldigend, sich zu der Besucherin wendend. Natascha hob für einen Augenblick ihr Gesicht von dem spitzenbesetzten Busentuch ihrer Mutter auf, blickte von unten durch Tränen des Lachens zu ihr in die Höhe und verbarg ihr Gesicht wieder.

Die Besucherin, die diese Familienszene mitansehen mußte, hielt für nötig, sich irgendwie daran zu beteiligen.

»Sagen Sie doch, mein Herzchen«, begann sie, zu Natascha gewendet, »wie ist denn diese Mimi eigentlich mit Ihnen verwandt? Sie ist wohl Ihre Tochter?«

Dem kleinen Mädchen mißfiel der Ton, in welchem die Dame zu ihr sprach, diese herablassende Nachahmung kindlicher Redeweise. Sie antwortete nicht und blickte die Besucherin ernsthaft an.

Inzwischen hatte die gesamte jugendliche Generation, nämlich: der Fähnrich Boris, der Sohn der Fürstin Anna Michailowna, dann der Student Nikolai, der älteste Sohn des Grafen, ferner eine fünfzehnjährige Nichte des Grafen, namens Sonja, und endlich der kleine Petja, der jüngste Sohn, diese alle hatten sich im Salon hier und da niedergelassen und gaben sich offenbar große Mühe, die Munterkeit und Lustigkeit, die sich in ihren Mienen aufs deutlichste aussprach, in den Grenzen des Anstandes zu halten. Zweifellos hatten sie in den Hinterzimmern, von wo sie alle mit solchem Ungestüm nach dem Salon gelaufen waren, vergnüglichere Gespräche geführt, als diejenigen waren, die sie nun hier über Stadtklatsch, über das Wetter und über die Gräfin Apraxina zu hören bekamen. Ab und zu sahen sie sich untereinander an und konnten dann kaum das Lachen zurückhalten.

Die beiden jungen Männer, der Student und der Offizier, seit ihrer Kindheit miteinander befreundet, waren von gleichem Alter und beide hübsch, hatten aber miteinander keine Ähnlichkeit. Boris war ein hochgewachsener Jüngling, mit blondem Haar, regelmäßigen, feinen Zügen und einem ruhigen Gesichtsausdruck. Nikolai war nur mittelgroß, kraushaarig, mit offener Miene. Auf seiner Oberlippe zeigten sich schon schwarze Härchen, und sein ganzes Gesicht trug das Gepräge des Ungestüms und der Schwärmerei. Nikolai wurde rot, als er in den Salon trat; man konnte ihm anmerken, daß er nach etwas suchte, das er sagen könnte, aber nichts fand. Boris dagegen fühlte sich sofort in seinem Fahrwasser und erzählte in ruhigem, scherzendem Ton, er habe diese Puppe Mimi schon gekannt, als sie noch ein kleines Mädchen und ihre Nase noch nicht abgestoßen gewesen sei; aber in den fünf Jahren, auf die er sich zurückbesinnen könne, sei sie recht gealtert und habe jetzt einen Sprung über den ganzen Schädel. Nach diesen Bemerkungen sah er Natascha an. Natascha wandte sich von ihm weg und blickte zu ihrem jüngeren Bruder hin, der mit zusammengekniffenen Augen vor lautlosem Lachen am ganzen Leib zitterte. Bei diesem Anblick war Natascha nicht imstande, sich länger zu beherrschen; sie sprang auf und lief, so schnell ihre flinken Beinchen sie nur tragen konnten, aus dem Zimmer. Boris war ganz ruhig geblieben und hatte nicht gelacht.

»Sie wollten ja wohl auch ausfahren, Mamachen?« fragte er lächelnd seine Mutter. »Möchten Sie jetzt den Wagen haben?«

»Ja, geh nur, geh nur und laß den Wagen bereitmachen«, antwortete sie ebenfalls lächelnd. Boris verließ ruhigen Schrittes den Salon und folgte dann der kleinen Natascha nach; der dicke Knabe lief ärgerlich hinter ihnen her, als sei er empört darüber, daß nun sein Amüsement ein Ende gefunden habe.

Fußnoten


1 Koseform für Natalja.

Anmerkung des Übersetzers.


XII


Von dem jungen Volk waren nun, das zu Besuch anwesende Fräulein und die älteste Tochter der Gräfin nicht mitgerechnet (diese war vier Jahre älter als ihre Schwester und hielt sich schon für erwachsen), im Salon nur Nikolai und die Nichte Sonja zurückgeblieben. Sonja war eine kleine, schmächtige Brünette, mit weichblickenden, von langen Wimpern beschatteten Augen; das schwarze Haar war in einen schweren Zopf geflochten, der zweimal ihren Kopf umschlang; die Haut hatte im Gesicht und namentlich an den entblößten, mageren, aber graziösen und muskulösen Armen sowie auch am Hals einen gelblichen Farbton. Mit der Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen, der weichen Biegsamkeit ihrer kleinen Gliedmaßen und ihrem listig zurückhaltenden Wesen erinnerte sie an ein hübsches, aber noch nicht ausgewachsenes Kätzchen, das später einmal eine prächtige Katze werden wird. Sie hielt es wohl für ein Gebot der Höflichkeit, durch ein Lächeln ihr Interesse für das allgemeine Gespräch zu bekunden; aber wider ihren Willen blickten ihre Augen unter den langen, dichten Wimpern hervor mit einer so leidenschaftlichen, mädchenhaften Schwärmerei nach dem Vetter hin, der demnächst zur Armee abgehen sollte, daß ihr Lächeln niemand auch nur einen Augenblick lang täuschen konnte; es war ganz klar, daß das Kätzchen sich nur in der Absicht hingesetzt hatte, bald einen noch kräftigeren Sprung zu tun und ihr Spiel mit dem Vetter von neuem zu beginnen, sowie sie nur, wie Boris und Natascha, aus diesem Salon würden wieder herausgekommen sein.

»Ja, meine Teuerste«, sagte der alte Graf zu der Besucherin, indem er auf seinen Nikolai wies, »sein Freund Boris ist Offizier geworden, und aus Freundschaft will er sich nun nicht von ihm trennen. Er läßt die Universität und mich alten Mann im Stich und tritt in das Heer ein. Und es war schon eine Stelle in der Archivverwaltung für ihn in Bereitschaft und auch sonst alles geregelt. Das nennt man Freundschaft, nicht wahr?« schloß der Graf in fragendem Ton.

»Es heißt ja, daß der Krieg schon erklärt ist«, sagte die Besucherin.

»So heißt es schon lange«, erwiderte der Graf. »Es wird davon geredet und geredet, und weiter wird nichts. Ja, sehen Sie, meine Teuerste, das nennt man Freundschaft!« sagte er noch einmal. »Er tritt bei den Husaren ein.«

Da die Besucherin nicht wußte, was sie sagen sollte, so wiegte sie den Kopf hin und her.

»Ich tue es ganz und gar nicht aus Freundschaft«, entgegnete Nikolai; er war dunkelrot geworden und rechtfertigte sich wie gegen eine kränkende Verleumdung. »Ganz und gar nicht aus Freundschaft, sondern einfach, weil ich den Beruf zum Soldaten in mir fühle.«

Er sah sich nach seiner Kusine und dem zu Besuch gekommenen Fräulein um; beide blickten ihn beiläufig lächelnd an.

»Heute wird der Kommandeur des Pawlograder Husarenregimentes, Oberst Schubert, bei uns zum Diner sein. Er ist auf Urlaub hier in Moskau gewesen und nimmt unsern Sohn gleich mit. Was soll man dagegen tun?« sagte mit Achselzucken der Graf, welcher in scherzendem Ton über eine Angelegenheit sprach, die ihm offenbar viel Kummer machte.

»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, lieber Papa«, erwiderte der Sohn, »daß ich, wenn Sie mich nicht weglassen mögen, hierbleiben werde. Aber ich weiß, daß ich zu nichts anderem tauge, als zum Soldaten; ich bin weder Diplomat noch Beamter; ich verstehe es nicht, meine Empfindungen zu verbergen«, sagte er, wobei er fortwährend mit der bei jungen, hübschen Leuten gewöhnlichen Koketterie zu Sonja und der andern jungen Dame hinblickte.

Das Kätzchen wandte kein Auge von ihm und schien jeden Augenblick bereit, das Spiel von neuem zu beginnen und seine ganze Katzennatur zu betätigen.

»Na, na, laß nur gut sein!« sagte der alte Graf. »Er wird immer gleich hitzig. Dieser Bonaparte hat ihnen allen den Kopf verdreht; nun denken sie alle daran, wie der aus einem einfachen Leutnant Kaiser geworden ist. Na, Gott geb’s!« fügte er hinzu, ohne das spöttische Lächeln der Besucherin zu bemerken.

Die Erwachsenen gerieten nun in ein Gespräch über Bonaparte hinein. Julja, die Tochter der Frau Karagina, wandte sich an den jungen Rostow.

»Wie schade, daß Sie Donnerstag nicht bei Archarows waren. Ich habe Sie recht sehr vermißt«, sagte sie mit einem entgegenkommenden Lächeln. Der geschmeichelte junge Mann setzte sich mit dem koketten Lächeln der Jugend an sie heran und ließ sich mit der lächelnden Julja in ein besonderes Gespräch ein, ohne auch nur zu ahnen, daß dieses sein unwillkürliches Lächeln das Herz der errötenden und gekünstelt lächelnden Sonja mit Messerstichen der Eifersucht zerfleischte. Mitten im Gespräch sah er zufällig einmal zu ihr hin. Sonja warf ihm einen Blick voll heißer Leidenschaft und lodernden Zornes zu, stand auf und verließ das Zimmer, da sie kaum mehr die Tränen in den Augen zurückhalten und das gekünstelte Lächeln auf den Lippen bewahren konnte. Nikolais ganze Lebhaftigkeit war mit einem Schlag verschwunden. Er paßte die erste Pause, die im Gespräch eintrat, ab und ging mit verstörtem Gesicht aus dem Zimmer, um Sonja aufzusuchen.

»Wie durchsichtig doch die Geheimnisse all dieser jungen Leute sind!« bemerkte Anna Michailowna, auf den hinausgehenden Nikolai deutend. »Ja, Vettern und Kusinen, das ist ein gefährlich Ding!« fügte sie hinzu.

»Ja«, sagte die Gräfin, nachdem der Sonnenstrahl, der mit dieser jungen Generation Eingang in den Salon gefunden hatte, nun wieder verschwunden war, und es klang, als antwortete sie damit auf eine Frage, die niemand an sie gerichtet hatte, die sie aber unaufhörlich beschäftigte, »wieviel Leid und Sorge hat man durchmachen müssen, um sich jetzt der Kinder zu freuen! Und auch jetzt hat man mehr Angst als Freude, das ist sicher. Immer schwebt man in Furcht, immerzu! Es ist gerade das Alter, das für die Mädchen und für die Knaben am gefährlichsten ist.«

»Es kommt dabei alles auf die Erziehung an«, meinte die Besucherin.

»Ja, da haben Sie recht«, fuhr die Gräfin fort. »Bis jetzt bin ich, Gott sei Dank, die Freundin meiner Kinder gewesen und besitze ihr volles Vertrauen.« (Sie teilte eben die Illusionen vieler Eltern, welche fest glauben, daß ihre Kinder vor ihnen keine Geheimnisse haben.) »Ich weiß, daß ich immer die erste Ratgeberin meiner Töchter sein werde, und daß unser Nikolai, auch wenn er infolge seines hitzigen Temperamentes einmal dumme Streiche machen sollte (ohne das geht es ja bei jungen Männern nicht ab), doch ein ganz anderer Mensch werden wird als diese Petersburger Herren.«

»Ja, es sind prächtige, prächtige Kinder!« fügte der Graf bekräftigend hinzu, welcher verwickelte Fragen, die ihm Schwierigkeiten machten, immer dadurch entschied, daß er alles prächtig fand. »Was soll man machen? Er will nun einmal Husar werden! Ja, was ist da zu tun, meine Teuerste!«

»Was ist aber Ihre Jüngste für ein allerliebstes Wesen!« äußerte die Besucherin. »Welch eine sprühende Lebhaftigkeit!«

»Jawohl, eine sprühende Lebhaftigkeit«, sagte der Graf beistimmend. »Sie artet nach mir. Und was sie für eine Stimme hat! Obgleich sie meine Tochter ist, muß ich doch wahrheitsgemäß sagen: sie wird eine bedeutende Sängerin werden, eine zweite Salomoni. Wir lassen ihr von einem Italiener Unterricht geben.«

»Ist das nicht etwas früh? Es heißt doch, es wäre der Stimme schädlich, wenn man in diesem Lebensalter schon Gesangstunden nimmt.«

»O nein, wie sollte das zu früh sein!« entgegnete der Graf. »Unsere Mütter haben ja doch im Alter von zwölf, dreizehn Jahren sogar schon geheiratet!«

»Sie ist schon jetzt in Boris verliebt! Was sagen Sie dazu?« bemerkte die Gräfin, indem sie mit einem leisen Lächeln die Mutter des jungen Boris anblickte, und fuhr dann, offenbar in Verfolgung eines Gedankens, der sie dauernd beschäftigte, fort: »Sehen Sie, wenn ich streng gewesen wäre und es ihr verboten hätte … Gott weiß, was die beiden dann heimlich getan haben würden« (die Gräfin meinte damit, daß sie sich dann vielleicht geküßt hätten); »aber jetzt weiß ich jedes Wort, das über Nataschas Lippen kommt. Ganz von selbst kommt sie abends immer zu mir gelaufen und erzählt mir alles. Vielleicht verwöhne ich sie etwas; aber das scheint doch wirklich immer noch besser zu sein als das Gegenteil. Die Älteste habe ich streng gehalten.«

»Ja, ich bin ganz anders erzogen worden«, sagte die älteste Tochter, die schöne Gräfin Wjera, lächelnd. Aber durch dieses Lächeln wurde Wjeras Gesicht nicht verschönert, wie es doch bei den meisten Menschen der Fall ist; ihr Gesicht bekam dabei vielmehr etwas Unnatürliches und deshalb Unangenehmes. Die älteste Tochter Wjera war hübsch, sie war klug, hatte in der Schule vortrefflich gelernt, war gut erzogen, hatte eine angenehme Stimme; was sie da soeben gesagt hatte, war richtig und passend; aber merkwürdig: sowohl die Besucherin als auch die Gräfin sahen sie an, als wenn sie erstaunt wären, wozu sie das gesagt habe, und hatten dabei eine unbehagliche Empfindung.

»Mit den ältesten Kindern stellt man immer allerlei Experimente an«, sagte die Besucherin. »Man will immer aus ihnen etwas Besonderes machen.«

»Ich muß allerdings gestehen, meine Teuerste: meine liebe Frau hat mit Wjera herumexperimentiert«, sagte der Graf. »Na, aber trotzdem: sie ist doch ein prächtiges Mädchen geworden«, fügte er hinzu, indem er der Tochter beifällig mit den Augen zuzwinkerte.

Die beiden Besucherinnen standen auf und entfernten sich, nachdem sie versprochen hatten, zum Diner wiederzukommen.

»Was das für eine Manier ist! Sie haben ja eine Ewigkeit dagesessen!« sagte die Gräfin, nachdem sie den Besuch ins Vorzimmer begleitet hatte.

XIII


Als Natascha den Salon so eilig verlassen hatte, war sie nur bis in das Blumenzimmer gelaufen. Hier blieb sie stehen, horchte auf das Gespräch im Salon und wartete darauf, daß Boris herauskommen werde. Sie begann schon ungeduldig zu werden, stampfte mit dem Füßchen und war schon nahe daran, in Tränen darüber auszubrechen, daß er nicht sofort kam, als sie die wohlanständigen, weder zu langsamen noch zu schnellen Schritte des jungen Mannes hörte. Schnell sprang Natascha zwischen die Blumenkübel und versteckte sich.

Boris blieb mitten im Zimmer stehen, sah sich um, entfernte mit der Hand einige Stäubchen vom Ärmel seiner Uniform, trat dann an den Spiegel und betrachtete sein hübsches Gesicht. Natascha, die sich mäuschenstill verhielt, lugte aus ihrem Versteck hervor, in Erwartung, was er nun wohl tun werde. Er stand ein Weilchen vor dem Spiegel, lächelte und schritt dann zur Ausgangstür hin. Natascha wollte ihn zuerst anrufen, besann sich aber dann eines anderen.

»Mag er mich suchen«, sagte sie sich. Kaum war Boris fort, als durch die andere Tür Sonja hereintrat; ihr Gesicht war dunkelrot, die Tränen standen ihr in den Augen, und sie flüsterte zornig etwas vor sich hin. Nataschas erste Bewegung war, hervorzustürzen und zu ihr hinzueilen; aber sie beherrschte sich noch, blieb in ihrem Versteck und sah nun wie unter einer Tarnkappe zu, was da im Zimmer vorging. Sie empfand dabei ein ganz neues, eigenartiges Vergnügen. Sonja murmelte etwas Unverständliches und sah dabei nach der Tür, die zum Salon führte. Durch diese Tür kam jetzt Nikolai in das Blumenzimmer.

»Sonja, was hast du? Wie kannst du nur so sein?« rief Nikolai und eilte zu ihr hin.

»Nichts, nichts, lassen Sie mich!« schluchzte Sonja.

»Nein, ich weiß, was du hast.«

»Nun, wenn Sie das wissen, dann ist es ja schön! Dann gehen Sie nur zu ihr!«

»So-o-onja! Hör nur ein Wort! Wie kannst du nur mich und dich um eines solchen Hirngespinstes willen quälen?« sagte Nikolai und ergriff sie bei der Hand. Sonja entriß ihm ihre Hand nicht und hörte auf zu weinen.

Ohne sich zu rühren, mit angehaltenem Atem und leuchtenden Augen verfolgte Natascha aus ihrem Versteck diesen Vorgang. »Was wird nun weiter geschehen?« dachte sie.

»Sonja, ich frage nichts nach der ganzen Welt! Du bist mein ein und alles!« sagte Nikolai. »Ich will es dir beweisen.«

»Ich kann es nicht ertragen, wenn du mit einer andern so redest wie vorhin.«

»Nun, ich werde es nicht wieder tun; aber nun verzeih mir auch, Sonja!« Er zog sie an sich und küßte sie.

»Ach, wie schön!« dachte Natascha, und als Sonja und Nikolai aus dem Zimmer hinausgegangen waren, ging sie ihnen nach und rief Boris zu sich.

»Boris, kommen Sie doch mal hierher!« sagte sie mit wichtiger schlauer Miene. »Ich muß Ihnen etwas sagen. Hierher, hierher!« Damit führte sie ihn das Blumenzimmer zu der Stelle zwischen den Blumenkübeln, wo sie sich versteckt gehalten hatte. Boris folgte ihr lächelnd.

»Nun, was wird denn das für eine wichtige Mitteilung sein?« fragte er. Sie wurde verlegen, sah sich rings um und erblickte ihre Puppe, die sie auf einen Blumenkübel geworfen hatte; sie nahm sie in beide Hände.

»Küssen Sie doch mal meine Puppe!« sagte sie.

Boris betrachtete ihr erregtes Gesicht mit prüfendem, freundlichem Blick und antwortete nichts.

»Wollen Sie das nicht? Nun, dann kommen Sie hierher«, fuhr sie fort, ging tiefer in das Dickicht der Gewächse hinein und warf die Puppe hin. »Näher, noch näher!« flüsterte sie. Sie faßte den jungen Offizier mit beiden Händen an dem einen Ärmelaufschlag, und auf ihrem erröteten Gesicht prägten sich ein feierlicher Ernst und eine gewisse Bangigkeit aus.

»Aber mich, wollen Sie mich küssen?« flüsterte sie kaum hörbar und blickte ihn mit gesenkter Stirn von unten herauf an, lächelnd und gleichzeitig vor Aufregung beinahe weinend.

Boris errötete.

»Aber wie komisch Sie sind!« murmelte er, beugte sich zu ihr herab und errötete noch stärker, aber ohne etwas zu unternehmen; er wartete, was etwa noch weiter kommen würde.

Plötzlich sprang sie auf einen Blumenkübel hinauf, so daß sie höher mit dem Kopf war als Boris, umarmte ihn, so daß ihre beiden dünnen, bloßen Ärmchen ihn oberhalb des Halses umschlangen, warf mit einer ruckartigen Kopfbewegung ihr Haar nach hinten zurück und küßte ihn gerade auf den Mund.

Dann schlüpfte sie zwischen den Blumentöpfen hindurch nach der andern Seite der Blumengruppe und blieb dort mit gesenktem Kopf stehen.

»Natascha«, sagte er, »Sie wissen, daß ich Sie liebhabe, aber …«

»Lieben Sie mich?« unterbrach ihn Natascha.

»Ja, ich liebe Sie; aber ich bitte Sie, wir wollen das nicht wieder tun, was Sie jetzt eben … Noch vier Jahre … Dann werde ich Sie um Ihre Hand bitten.« Natascha dachte nach.

»Dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn …«, zählte sie an ihren feinen Fingerchen. »Nun schön! Also abgemacht?« Und ein Lächeln der Freude und Beruhigung erhellte ihr erregtes Gesichtchen.

»Abgemacht!« erwiderte Boris.

»Für immer«, fragte das kleine Mädchen. »Bis zum Tod?«

Sie faßte ihn unter den Arm und ging mit glückstrahlendem Gesicht langsam an seiner Seite nach dem Sofazimmer.

XIV


Die Gräfin war von den vielen Besuchen, die sie empfangen hatte, dermaßen ermüdet, daß sie Befehl gab, niemand weiter anzunehmen; der Portier wurde angewiesen, alle, die noch zum Gratulieren kommen würden, ausnahmslos einfach zum Diner einzuladen. Die Gräfin hatte den innigen Wunsch, sich mit der Fürstin Anna Michailowna, ihrer Freundin von den Tagen der Kindheit her, mit der sie seit deren Rückkehr aus Petersburg noch nicht ordentlich zusammen gewesen war, unter vier Augen auszusprechen. Anna Michailowna mit ihrem vergrämten, aber angenehmen Gesicht rückte näher an den Sessel der Gräfin heran.

»Dir gegenüber werde ich völlig aufrichtig sein«, sagte Anna Michailowna. »Wie wenige von uns alten Freundinnen sind jetzt noch übrig! Daher lege ich auch so hohen Wert auf deine Freundschaft.«

Anna Michailowna blickte wiederholt nach Wjera hin und schwieg dann. Die Gräfin drückte ihrer Freundin die Hand.

»Wjera«, sagte die Gräfin zu ihrer ältesten Tochter, der sie offenbar weniger Liebe zuwendete als der jüngeren, »daß ihr Kinder manchmal so schwer begreift! Merkst du denn nicht, daß deine Anwesenheit hier unerwünscht ist? Geh zu den andern oder …«

Die schöne Wjera lächelte geringschätzig, fühlte sich aber anscheinend nicht im geringsten gekränkt.

»Wenn Sie mir das vorhin gesagt hätten, liebe Mama, so wäre ich sofort gegangen«, erwiderte sie und verließ den Salon, um nach ihrem Zimmer zu gehen.

Aber als sie durch das Sofazimmer kam, sah sie, daß dort an den beiden Fenstern symmetrisch zwei Paare saßen. Wieder geringschätzig lächelnd blieb sie stehen. Sonja saß dicht neben Nikolai, der ihr von einigen Versen, den ersten, die er jemals verfertigt hatte, eine Abschrift machte. Boris und Natascha saßen an dem andern Fenster und brachen bei Wjeras Eintritt ihr Gespräch ab. Sonja und Natascha blickten mit schuldbewußten, glückseligen Gesichtern Wjera an.

Es war eigentlich vergnüglich und rührend, diese beiden verliebten Mädchen zu sehen; aber bei Wjera erweckte ihr Anblick offenbar keine angenehmen Empfindungen.

»Wie oft habe ich euch nicht schon gebeten, meine Sachen nicht zu nehmen«, sagte sie. »Ihr habt ja doch euer eigenes Zimmer.« Mit diesen Worten nahm sie ihrem Bruder Nikolai das Tintenfaß weg.

»Gleich, gleich!« rief er und tauchte schnell noch einmal ein.

»Ihr benehmt euch doch fortwährend unschicklich«, schalt Wjera weiter. »Vorhin kamt ihr in den Salon in einer Weise hereingestürmt, daß wir alle uns für euch schämen mußten.« Obwohl oder gerade weil das, was sie sagte, durchaus richtig war, antwortete ihr niemand, und alle vier wechselten nur untereinander Blicke. Wjera, das Tintenfaß in der Hand haltend, zögerte noch, das Zimmer zu verlassen.

»Und wie könnt ihr denn in eurem Lebensalter Heimlichkeiten miteinander haben, Natascha mit Boris, und ihr beiden andern? Immer nur Dummheiten!«

»Sollst du dich denn darum kümmern, Wjera?« erwiderte als Verteidigerin der vier Getadelten Natascha mit leiser, sanfter Stimme. Sie schien heute gegen alle Menschen noch gutmütiger und freundlicher gesinnt zu sein, als sie sonst schon immer war.

»Ein dummes Benehmen ist das!« sagte Wjera. »Ich schäme mich für euch. Was sind das für Heimlichkeiten?«

»Jeder hat seine besonderen Heimlichkeiten. Wir machen dir ja auch keine Vorwürfe wegen deines Herrn Berg«, versetzte Natascha, die nun hitzig wurde.

»Das will ich meinen, daß ihr das nicht tut und nicht tun könnt«, erwiderte Wjera. »In meinem Verhalten wird nie jemand etwas Ungehöriges finden können. Aber ich werde Mama erzählen, wie du mit Boris umgehst.«

»Natalja Iljinischna geht mit mir sehr gut und freundlich um«, bemerkte Boris. »Ich kann mich nicht beklagen.«

»Reden Sie nicht so, Boris«, sagte Natascha, »Sie sind ja ein arger Diplomat« (dem Wort »Diplomat« hatten die Kinder eine besondere Bedeutung beigelegt und gebrauchten es in dieser Bedeutung sehr häufig). »Das ist ja unerträglich«, fuhr sie fort, und ihre Stimme zitterte im Gefühl der erlittenen Kränkung. »Warum fängt sie immer mit mir an?«

»Du wirst dafür nie ein Verständnis haben«, sprach sie, zu Wjera gewendet, weiter, »weil du nie jemand geliebt hast; du hast kein Herz; du bist nur eine Madame de Genlis«1 (diesen Spitznamen, der als eine schwere Beleidigung betrachtet wurde, hatte Nikolai seiner Schwester Wjera beigelegt), »und für dich ist es das größte Vergnügen, anderen Menschen Unannehmlichkeiten zu bereiten. Aber du, du darfst natürlich mit Herrn Berg kokettieren, soviel du Lust hast!« Sie hatte schnell und hastig gesprochen.

»Jedenfalls werde ich nicht vor den Augen fremder Gäste einem jungen Mann nachlaufen …«

»Na, nun hat sie erreicht, was sie wollte!« griff jetzt Nikolai in das Gespräch ein. »Sie hat uns allen Kränkendes gesagt und uns allen die Laune verdorben. Kommt, wir wollen in das Kinderzimmer gehen!« Wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm erhoben sich alle vier und verließen das Zimmer.

»Ihr habt mir Kränkendes gesagt, ich niemandem«, entgegnete Wjera.

»Madame de Genlis! Madame de Genlis!« riefen lachende Stimmen noch von der andern Seite der Tür zurück.

Die schöne Wjera, durch deren Reden sich alle so unangenehm berührt und gereizt fühlten, lächelte; anscheinend ohne daß das, was ihr gesagt worden war, irgendeinen Eindruck auf sie gemacht hätte, trat sie an den Spiegel und brachte ihre Schärpe und ihre Frisur in Ordnung; während sie ihr schönes Gesicht betrachtete, schien sie immer kühler und ruhiger zu werden.


Im Salon nahm das begonnene Gespräch seinen Fortgang.

»Ach ja, meine Teuere«, sagte die Gräfin, »auch in meinem Leben ist nicht alles voller Rosen. Ich kann nicht blind dagegen sein, daß bei dem ganzen Zuschnitt unseres Lebens unser Vermögen nicht mehr lange vorhalten wird! Und das Schlimmste dabei ist der Klub und meines Mannes Gutherzigkeit. Selbst wenn wir auf dem Land wohnen, führen wir kein stilles, ruhiges Leben: da finden Theateraufführungen und Jagden und Gott weiß was alles statt. Aber wozu sprechen wir von mir? Wie hast denn du eigentlich deine ganzen Angelegenheiten zurechtgebracht? Ich bewundere dich oft, liebe Anna, wie du bei deinen Jahren so ganz allein weite Strecken im Reisewagen auf der Landstraße hin und her jagst, wie du bald nach Moskau, bald nach Petersburg fährst, zu allen Ministern, zu allen vornehmen Leuten gehst und alle zu behandeln verstehst; ich bewundere dich! Nun, wie hat sich denn alles einrichten lassen? Siehst du, ich, ich verstehe mich auf all solche Dinge nicht.«

»Ach, liebes Herz«, antwortete die Fürstin Anna Michailowna, »Gott wolle verhüten, daß du je erfährst, wie schwer es ist, als Witwe ohne Stütze zurückzubleiben und für einen heißgeliebten Sohn sorgen zu müssen. Aber man lernt schließlich alles«, fuhr sie mit einem gewissen Stolz fort. »Mein Prozeß hat mich in mancher Hinsicht klug gemacht. Wenn ich eins dieser großen Tiere notwendig sprechen muß, so schreibe ich ihm ein Billett: ›Die Fürstin Soundso wünsche Herrn Soundso zu sprechen‹ und fahre persönlich in einer gewöhnlichen Droschke nötigenfalls zweimal, dreimal, viermal zu ihm hin, bis ich erreicht habe, was ich brauche. Was so einer dann von mir denkt, ist mir ganz gleichgültig.«

»Nun, wen hast du denn für deinen Boris um seine Verwendung gebeten?« fragte die Gräfin. »Dein Sohn ist ja jetzt schon Gardeoffizier, und unser Nikolai tritt erst als Junker ein. Er hat keinen hohen Fürsprecher. An wen hast du dich denn gewendet?«

»An den Fürsten Wasili. Er war überaus freundlich und sofort zu allem bereit; er hat die Sache dem Kaiser vorgetragen«, berichtete die Fürstin Anna Michailowna ganz entzückt; all die Demütigungen, denen sie sich hatte unterziehen müssen, um ihr Ziel zu erreichen, vergaß sie dabei vollständig.

»Der sieht wohl auch schon recht alt aus, der Fürst Wasili?« fragte die Gräfin. »Ich habe ihn, seit wir bei Rumjanzews zusammen Theater spielten, nicht mehr wiedergesehen. Ich denke mir, er hat mich vergessen. Er machte mir damals die Cour.« Die Gräfin lächelte bei dieser Erinnerung.

»Er ist immer noch derselbe«, antwortete Anna Michailowna. »In Liebenswürdigkeiten und Gefälligkeiten kann er sich gar nicht genugtun. Seine hohe Stellung hat in seinem Wesen keine Veränderung herbeigeführt. ›Es tut mir leid, daß ich nur so wenig für Sie tun kann, liebe Fürstin‹, sagte er zu mir; ›aber verfügen Sie ganz über mich.‹ Wirklich, er ist ein prächtiger Mensch, ein außerordentlich guter Verwandter. Aber du kennst meine Liebe zu meinem Sohn, Natalja. Ich weiß nichts, was mir zu schwer wäre, um sein Glück zu fördern. Aber meine pekuniären Verhältnisse sind so schlecht«, fuhr Anna Michailowna mit trauriger Miene und leiser Stimme fort, »so schlecht, daß ich mich jetzt in der allerschrecklichsten Lage befinde. Mein unseliger Prozeß frißt alles auf und kommt nicht vom Fleck. Kannst du dir das vorstellen: ich habe manchmal nicht zehn Kopeken in meinem Besitz und weiß jetzt nicht, wie ich die Equipierung meines Boris bezahlen soll.« Sie nahm das Taschentuch heraus und fing an zu weinen. »Ich brauche fünfhundert Rubel und besitze gerade noch einen einzigen Fünfundzwanzigrubelschein. Ich bin in einer solchen Lage, daß … Meine einzige Hoffnung beruht jetzt auf dem Grafen Kirill Wladimirowitsch Besuchow. Wenn der sich nicht geneigt zeigt, sein Patenkind zu unterstützen (er ist ja der Taufpate meines Boris) und ihm eine Summe zu seinem Unterhalt auszusetzen, so sind alle meine bisherigen Bemühungen zwecklos gewesen: ich habe kein Geld, um ihn zu equipieren.«

Der Gräfin traten vor Mitgefühl die Tränen in die Augen; sie schwieg, in Überlegungen versunken.

»Ich denke oft«, fuhr die Fürstin fort, »es ist ja vielleicht Sünde, aber ich denke oft: da lebt nun Graf Kirill Wladimirowitsch Besuchow ganz einsam und allein … so ein riesiges Vermögen … und wozu lebt er? Ihm ist das Leben nur noch eine Last, Boris dagegen fängt eben erst an zu leben.«

»Er wird deinem Boris gewiß etwas hinterlassen«, sagte die Gräfin.

»Gott weiß, ob er das tut, liebe Freundin! Diese reichen, hohen Herren sind so entsetzlich egoistisch. Aber ich will doch gleich jetzt mit Boris zu ihm fahren und ihm offen sagen, wie es steht. Mögen die Leute von mir denken, was sie wollen; mir ist das wirklich ganz gleichgültig, wenn das Schicksal meines Sohnes davon abhängt.« Die Fürstin erhob sich. »Jetzt ist es zwei Uhr, und um vier beginnt bei euch das Diner. Da habe ich noch Zeit hinzufahren.«

Und als praktische Petersburgerin, die die Zeit auszunutzen weiß, ließ Anna Michailowna ihren Sohn rufen und ging mit ihm ins Vorzimmer.

»Adieu, mein Herz!« sagte sie zu der Gräfin, die ihr bis zur Tür das Geleit gab. »Wünsche mir guten Erfolg«, fügte sie, mit Rücksicht auf den Sohn, flüsternd hinzu.

»Sie wollen zum Grafen Kirill Wladimirowitsch, meine Teuerste?« fragte der Graf vom Speisesaal aus und kam ebenfalls ins Vorzimmer. »Wenn es ihm besser geht, so laden Sie doch Pierre zum Diner bei uns ein. Er hat ja früher in unserm Haus verkehrt und mit den Kindern getanzt. Vergessen Sie ja nicht, ihn dringend einzuladen, meine Teuerste. Na, nun wollen wir mal sehen, ob unser Koch Taras uns heute Ehre macht. Er sagt ja, daß es nicht einmal beim Grafen Orlow jemals ein solches Diner gegeben hat, wie unseres heute sein wird.«

Fußnoten


1 Eine französische Schriftstellerin; sie schrieb Lustspiele, in denen keine Männerrollen und keine Liebesintrigen vorkommen, sowie eine Menge von pädagogischen Büchern.

Anmerkung des Übersetzers.


XV

»Lieber Boris«, sagte die Fürstin Anna Michailowna zu ihrem Sohn, als die Equipage der Gräfin Rostowa, in der sie saßen, auf der mit Stroh belegten Straße hinfuhr und nun in den weiten Hof des Grafen Kirill Wladimirowitsch Besuchow einbog. »Lieber Boris«, sagte die Mutter, indem sie ihre Hand unter der alten Saloppe hervornahm und sie mit einer schüchternen, freundlichen Bewegung auf die Hand des Sohnes legte, »sei recht freundlich und liebenswürdig. Graf Kirill Wladimirowitsch ist doch dein Pate und von ihm hängt dein künftiges Schicksal ab. Vergiß das nicht, lieber Sohn, und sei recht liebenswürdig, wie du es ja zu sein verstehst.«

»Wenn ich wüßte, daß dabei etwas anderes für uns herauskommt als Demütigungen …«, antwortete der Sohn kalt. »Aber ich habe es Ihnen versprochen und werde es Ihnen zu Gefallen tun.«

Mutter und Sohn traten, ohne sich anmelden zu lassen, geradewegs in die durch hohe Glasfenster erhellte, rechts und links durch je eine Reihe von Statuen in Nischen flankierte Vorhalle; aber der Portier musterte die beiden, und obwohl sie in einer feinen Equipage gekommen waren, die nun vor dem Portal hielt, so fragte er doch nach einem bedeutsamen Blick auf die alte Saloppe, zu wem sie zu gehen wünschten, ob zu den Prinzessinnen oder zu dem Grafen; und als er hörte, daß sie zu dem Grafen wollten, erwiderte er, das Befinden Seiner Erlaucht sei heute schlechter und Seine Erlaucht nähmen niemand an.

»Dann wollen wir doch wieder zurückfahren«, sagte der Sohn auf französisch.

»Lieber Sohn«, erwiderte die Mutter in flehendem Ton und berührte wieder die Hand des Sohnes, als ob diese Berührung ihn beruhigen oder anregen könnte.

Boris entgegnete nichts und blickte, ohne den Mantel abzulegen, seine Mutter fragend an.

»Lieber Freund«, sagte Anna Michailowna mit außerordentlich sanfter Stimme zu dem Portier, »ich weiß, daß Graf Kirill Wladimirowitsch sehr krank ist … eben deswegen bin ich gekommen … ich bin eine Verwandte von ihm … Wenn es ihm so schlecht geht, werde ich ihn nicht belästigen … Dann möchte ich nur den Fürsten Wasili Sergejewitsch sprechen; der logiert ja hier. Bitte, melde uns bei ihm an.«

Der Portier zog mürrisch die nach dem oberen Stockwerk hinaufgehende Schnur und wendete sich von den beiden Besuchern ab.

»Die Fürstin Drubezkaja zu dem Fürsten Wasili Sergejewitsch«, rief er dem Diener in Frack, Schuhen und Kniehosen zu, der von oben heruntergelaufen kam und von dem Treppenabsatz aus herunterblickte.

Die Mutter legte die Falten ihres aufgefärbten Seidenkleides zurecht, betrachtete sich in dem venezianischen, aus einer einzigen großen Scheibe bestehenden Wandspiegel und stieg tapfer in ihren schiefgetretenen Schuhen die mit einem Teppich belegte Treppe hinan.

»Lieber Sohn, du hast mir versprochen …«, wandte sie sich wieder an ihren Sohn und suchte ihn wieder durch eine Berührung seiner Hand zu einem ihren Wünschen entsprechenden Verhalten zu bewegen. Boris ging mit niedergeschlagenen Augen ruhig hinter ihr her.

Sie traten in einen Saal, aus welchem eine Tür in die dem Fürsten Wasili angewiesenen Gemächer führen sollte.

Mutter und Sohn gingen bis in die Mitte des Saales und wollten gerade einen alten Diener, der bei ihrem Eintritt aufgesprungen war, fragen, wohin sie sich zu wenden hätten, da drehte sich an einer der Türen der Bronzegriff, und Fürst Wasili, in einem mit Samt bezogenen Pelz, mit nur einem Ordensstern, also im Hausanzug, erschien in der Tür und begleitete einen schönen Herrn mit schwarzem Haar hinaus. Dieser Herr war der berühmte Petersburger Arzt Dr. Lorrain.

»Es ist also sicher?« fragte der Fürst.

»Errare humanum est, Fürst; aber …«, antwortete der Arzt; er schnarrte dabei das r und sprach die lateinischen Worte mit französischer Aussprache.

»Gut, gut!«

Als Fürst Wasili die Fürstin Anna Michailowna und ihren Sohn bemerkte, trennte er sich mit einer Verbeugung von dem Arzt und trat schweigend, aber mit fragender Miene, auf sie zu. Der Sohn bemerkte, wie die Augen seiner Mutter auf einmal einen Ausdruck tiefen Grames annahmen, und lächelte leise.

»Ja, unter was für traurigen Umständen müssen wir uns wiedersehen, Fürst … Nun, wie geht es unserm teuren Kranken?« fragte sie, als ob sie den beleidigend kalten Blick, mit dem der Fürst sie ansah, nicht bemerkte.

In dem fragenden Blick, welchen Fürst Wasili auf die Mutter und dann auf den Sohn richtete, lag sein höchstes Erstaunen über die Anwesenheit der beiden hier. Boris verbeugte sich höflich. Ohne die Verbeugung zu erwidern, wandte sich Fürst Wasili zu Anna Michailowna und antwortete auf ihre Frage durch eine Bewegung des Kopfes und der Lippen, welche zu verstehen gab, daß für den Kranken nicht mehr viel zu hoffen sei.

»Also wirklich?« rief Anna Michailowna. »Ach, das ist ja schrecklich! Ein furchtbarer Gedanke …! Dies ist mein Sohn«, fügte sie, auf Boris weisend, hinzu. »Er wollte Ihnen persönlich seinen Dank sagen.« Boris verbeugte sich nochmals höflich.

»Seien Sie überzeugt, Fürst, daß mein Mutterherz nie vergessen wird, was Sie für uns getan haben.«

»Ich freue mich, daß ich Ihnen habe eine kleine Gefälligkeit erweisen können, liebe Anna Michailowna«, erwiderte der Fürst, indem er sein Jabot in Ordnung brachte; seine Gebärden und sein Ton hatten der von ihm protegierten Anna Michailowna gegenüber hier in Moskau noch weit mehr von vornehmer Würde an sich als in Petersburg auf der Soiree bei Annette Scherer.

»Bemühen Sie sich, Ihren Dienst ordentlich und pünktlich zu tun und sich der Ihnen gewordenen Auszeichnung würdig zu zeigen«, fügte er, zu Boris gewendet, in strengem Ton hinzu. »Es freut mich … Sie sind auf Urlaub hier?« fuhr er in seinem gleichgültigen Ton fort.

»Ich warte auf Befehl, Euer Durchlaucht, um mich zu meiner neuen Bestimmung zu begeben«, antwortete Boris. Er ließ weder Verdruß über den scharfen Ton des Fürsten noch den Wunsch, mit diesem in ein Gespräch zu kommen, merken, sondern sprach so ruhig und respektvoll, daß der Fürst ihn aufmerksam anblickte.

»Sie wohnen bei Ihrer Frau Mutter?«

»Ich wohne bei dem Grafen Rostow«, antwortete Boris und fügte wieder hinzu: »Euer Durchlaucht.«

»Das ist jener Ilja Rostow, welcher Natalja Schinschina geheiratet hat«, bemerkte Anna Michailowna.

»Ich weiß, ich weiß«, erwiderte Fürst Wasili mit seiner eintönigen Stimme. »Es ist mir immer unbegreiflich gewesen, wie Natalja sich hat entschließen können, diesen widerwärtigen Tölpel zu heiraten. Ein ganz dummes, lächerliches Subjekt. Überdies auch noch ein Spieler, wie man hört.«

»Aber ein guter Mensch, Fürst«, erwiderte Anna Michailowna mit herzgewinnendem Lächeln; der Sinn war: auch sie wisse recht wohl, daß Graf Rostow ein solches Urteil verdiene; sie bäte aber, mit dem armen alten Mann nicht zu streng ins Gericht zu gehen.

»Was sagen die Ärzte?« fragte die Fürstin nach einem kurzen Stillschweigen, und wieder wurde auf ihrem vergrämten Gesicht jener Ausdruck tiefer Traurigkeit sichtbar.

»Es ist wenig Hoffnung«, antwortete der Fürst.

»Und ich hätte so gern dem Onkel noch einmal für alle die Wohltaten gedankt, die er mir und meinem Boris erwiesen hat. Er ist sein Taufpate«, fügte sie in einem Ton hinzu, als ob diese Nachricht dem Fürsten Wasili die größte Freude bereiten müßte.

Fürst Wasili schwieg nachdenklich und runzelte die Stirn. Anna Michailowna merkte, daß er in ihr eine Rivalin um die Erbschaft des Grafen Besuchow zu finden fürchtete; sie beeilte sich, ihn darüber zu beruhigen.

»Wenn ich nicht eine so innige Liebe und Verehrung für den Onkel hegte …«, sagte sie und sprach dabei das Wort Onkel mit besonderer Selbstverständlichkeit und Achtlosigkeit aus; »ich kenne ja seinen edlen, geraden Charakter. Aber es ist jetzt niemand bei ihm als die Prinzessinnen; und diese sind noch recht jung.« Sie neigte den Kopf und fügte flüsternd hinzu: »Hat er auch seine letzte Pflicht erfüllt, Fürst? Diese letzten Augenblicke sind kostbar, sie dürfen nicht unbenutzt bleiben. Man darf nicht warten, bis sich sein Zustand noch mehr verschlimmert; er muß notwendigerweise vorbereitet werden, wenn es so schlecht mit ihm steht. Wir Frauen, Fürst«, hier lächelte sie sanft, »wissen immer, wie man über solche Dinge mit einem Kranken sprechen muß. Ich muß ihn unter allen Umständen sehen. Und wenn es mir auch noch so schmerzlich ist … aber ich bin ja schon gewohnt zu leiden.«

Der Fürst verstand offenbar ihre Absicht und sagte sich, gerade wie auf der Abendgesellschaft bei Annette Scherer, daß es schwer sein würde, Anna Michailowna loszuwerden.

»Wenn dieses Wiedersehen ihn nur nicht zu sehr angreifen wird, liebe Anna Michailowna«, sagte er. »Wir wollen doch damit bis zum Abend warten; die Ärzte haben erklärt, es stehe eine Krisis bevor.«

»Aber wir dürfen nicht warten, Fürst, bei der kurzen Spanne Zeit, die ihm vielleicht nur noch vergönnt ist. Bedenken Sie, es handelt sich um die Rettung seiner Seele. Ach! Es ist ein schreckliches Ding um die Pflicht eines Christen …«

Eine nach den inneren Zimmern führende Tür öffnete sich, und eine der Prinzessinnen, welche die Nichten des Grafen waren, trat ein, eine Dame mit mürrischem, kaltem Gesicht und einer im Verhältnis zu den Beinen auffallend langen Taille.

Fürst Wasili wandte sich zu ihr.

»Nun, wie befindet er sich?«

»Es ist immer derselbe Zustand. Und es ist ja auch nicht anders zu erwarten; dieser ewige Lärm …«, erwiderte die Prinzessin und blickte dabei Anna Michailowna an, als ob sie sie absolut nicht kenne.

»Ah, meine Teuerste! Ich hatte Sie gar nicht erkannt!« sagte Anna Michailowna mit einem glückseligen Lächeln und ging mit leichten, hurtigen Schritten zu der Nichte des Grafen hin. »Ich bin hergekommen, um Ihnen bei der Pflege meines lieben Onkels beizustehen. Ich kann mir vorstellen, was Sie haben durchmachen müssen!« fügte sie, teilnahmsvoll die Augen zur Decke richtend, hinzu.

Die Prinzessin antwortete nicht, lächelte auch nicht einmal und ging sofort aus dem Zimmer. Anna Michailowna zog sich die Handschuhe aus, setzte sich, wie in einer eroberten Position, bequem in einem Lehnstuhl zurecht und forderte den Fürsten Wasili auf, sich neben sie zu setzen.

»Boris«, sagte sie lächelnd zu ihrem Sohn, »ich werde zu dem Grafen, meinem Onkel, gehen, und du, lieber Sohn, geh doch unterdessen zu Pierre. Und vergiß nicht, ihm die Einladung von Rostows zu bestellen. – Sie laden ihn für heute zum Diner ein; aber ich möchte meinen: er wird nicht hingehen?« sagte sie, zu dem Fürsten gewendet.

»O doch, doch!« erwiderte der Fürst, der sichtlich schlechter Laune geworden war. »Ich würde sehr froh sein, wenn Sie mich von diesem jungen Mann befreiten. Er sitzt hier nur herum. Der Graf hat noch nicht ein einziges Mal nach ihm gefragt.«

Er zuckte die Achseln. Ein Diener führte den jungen Boris hinunter und eine andere Treppe wieder hinauf zu Pierre oder, wie er hier hieß, zu Pjotr Kirillowitsch.

XVI


Pierre war in Petersburg nicht dazu gekommen, sich einen bestimmten Beruf zu erwählen, und war wirklich wegen der begangenen Exzesse nach Moskau verwiesen worden. Die Geschichte, die beim Grafen Rostow erzählt wurde, hatte sich tatsächlich so zugetragen. Pierre hatte bei dem Zusammenbinden des Reviervorstehers mit dem Bären mitgewirkt. Jetzt nun war er vor einigen Tagen in Moskau angekommen und hatte, wie immer, bei seinem Vater Wohnung genommen. Obgleich er sich dachte, daß seine Skandalgeschichte wohl schon in Moskau bekannt sei, und daß die Damen, welche seinen Vater umgaben, bei ihrer ihm von jeher übelwollenden Gesinnung diesen Vorfall dazu benutzen würden, den Grafen gegen ihn aufzubringen, so begab er sich doch noch am Tag seiner Ankunft nach der Zimmerflucht, welche sein Vater bewohnte. Als er den Salon, den gewöhnlichen Aufenthaltsort der Prinzessinnen, betrat, begrüßte er die drei Damen, von denen zwei am Stickrahmen beschäftigt waren, während die dritte ihnen aus einem Buch vorlas. Die Vorleserin war die Älteste, ein peinlich sauber gekleidetes, strengblickendes Fräulein mit langer Taille, dieselbe, von deren Begegnung mit Anna Michailowna oben erzählt wurde; die beiden jüngeren stickten, zwei rotwangige, hübsche Mädchen, die sich untereinander nur dadurch unterschieden, daß die eine einen Leberfleck auf der Oberlippe hatte, der ihr Gesicht besonders nett und interessant erscheinen ließ. Pierre fand einen Empfang, als ob er ein Gespenst oder ein Pestkranker wäre. Die Älteste brach plötzlich mit dem Vorlesen ab und blickte ihn schweigend mit erschrockenen Augen an; die zweite, die ohne Leberfleck, zeigte genau den gleichen Gesichtsausdruck; die jüngste jedoch, die mit dem Leberfleck, ein Mädchen von heiterem, lachlustigem Wesen, beugte sich über den Stickrahmen hinab, um ihr Lächeln über die wahrscheinlich bevorstehende Szene, deren Komik sie vorhersah, zu verbergen. Sie zog den Wollfaden nach unten und bückte sich, als wollte sie das Muster genau betrachten, hielt aber nur mit Mühe das Lachen zurück.

»Guten Tag, liebe Kusinen«, sagte Pierre. »Sie erkennen mich wohl nicht?«

»Ich erkenne Sie nur zu gut, nur zu gut!« erwiderte die Älteste.

»Wie steht es mit dem Befinden des Grafen? Kann ich ihn wohl sehen?« fragte Pierre in unbeholfener Weise, wie immer, aber ohne irgendwelche Verlegenheit.

»Der Graf ist körperlich und seelisch leidend, und wie es scheint, haben Sie sich alle Mühe gegeben, ihm noch mehr seelische Leiden zu bereiten.«

»Kann ich den Grafen sehen?« fragte Pierre noch einmal.

»Hm …! Wenn Sie ihn töten, vollständig töten wollen, dann können Sie ihn sehen. Olga, geh doch einmal hin und sieh nach, ob die Bouillon für den Onkel fertig ist; es ist bald Zeit«, fügte sie hinzu, um dadurch Pierre zu verstehen zu geben, daß sie beschäftigt seien, und zwar beschäftigt mit der Pflege seines Vaters, während er offenbar nur darauf ausgehe, ihn seelisch zugrunde zu richten.

Olga ging hinaus. Pierre blieb noch ein Weilchen stehen, blickte die Schwester an und sagte schließlich mit einer Verbeugung: »Dann werde ich also wieder auf mein Zimmer gehen. Sobald ich ihn sehen kann, lassen Sie es mir, bitte, sagen.« Er ging hinaus, und ein hellklingendes, aber nur leises Lachen der Schwester mit dem Leberfleck ertönte hinter ihm.

Am folgenden Tag kam Fürst Wasili an und logierte sich gleichfalls im Haus des Grafen ein. Er ließ Pierre zu sich rufen und sagte zu ihm:

»Mein Lieber, wenn Sie sich hier so betragen wollen, wie Sie es in Petersburg getan haben, so wird es mit Ihnen ein böses Ende nehmen. Darauf können Sie sich verlassen. Der Graf ist sehr, sehr krank; es wäre ganz unzweckmäßig, wenn Sie sich vor ihm zeigten.«

Seitdem war Pierre von niemand inkommodiert worden und saß den ganzen Tag allein oben auf seinem Zimmer.

In dem Augenblick, als Boris zu ihm hereintrat, ging Pierre gerade in seinem Zimmer auf und ab; mitunter blieb er in dieser oder jener Ecke stehen, wobei er drohende Gebärden gegen die Wand machte, als wollte er einen unsichtbaren Feind mit einem Degen durchbohren, und grimmig über seine Brille wegblickte; dann begann er seine Wanderung von neuem, murmelte undeutliche Worte, zuckte mit den Achseln und breitete die Arme auseinander.

»Mit England geht es zu Ende … jawohl, zu Ende!« stieß er mit gerunzelter Stirn hervor. Er zeigte mit dem Finger auf jemand. »Mister Pitt wird als Verräter an der Nation und am Völkerrecht zum Tod …« Er glaubte in diesem Augenblick Napoleon in eigener Person zu sein, hatte in der Gestalt dieses seines Heros bereits die gefährliche Überfahrt über den Pas de Calais bewerkstelligt und London eingenommen, wurde nun aber, gerade als er dabei war, das Urteil über Pitt zu fällen, unterbrochen: denn er erblickte einen jungen, hübschen, schlanken Offizier, der zu ihm ins Zimmer trat. Pierre blieb stehen. Er hatte Boris als vierzehnjährigen Knaben zum letztenmal gesehen und besaß schlechterdings keine Erinnerung mehr an ihn; aber trotzdem drückte er ihm in der raschen, treuherzigen Art, die in seinem Wesen lag, die Hand und lächelte ihn freundlich an.

»Erinnern Sie sich meiner?« fragte Boris ruhig mit einem angenehmen Lächeln. »Ich bin mit meiner Mutter hergekommen, um dem Grafen einen Besuch zu machen; aber er scheint ja recht krank zu sein.«

»Ja, das ist er, wie es scheint. Man macht ihm gar zu viel Unruhe«, erwiderte Pierre und strengte sein Gedächtnis an, um herauszubringen, wer dieser junge Mann wohl sei.

Boris merkte, daß Pierre ihn nicht erkannte, hielt es aber nicht für nötig, seinen Namen zu nennen, und blickte ihm, ohne die geringste Verlegenheit zu empfinden, gerade ins Gesicht.

»Graf Rostow läßt Sie bitten, heute zum Diner zu ihm zu kommen«, sagte er nach einem ziemlich langen und für Pierre unbehaglichen Stillschweigen.

»Ah, Graf Rostow!« rief Pierre freudig. »Also Sie sind sein Sohn Ilja. Denken Sie nur, ich hatte Sie im ersten Augenblick nicht erkannt. Erinnern Sie sich noch, wie wir mit Madame Jacquot eine Partie nach den Sperlingsbergen machten? Es ist freilich schon lange her.«

»Sie irren sich«, antwortete Boris ohne besondere Eile mit einem frischen, ein wenig spöttischen Lächeln. »Ich bin Boris, der Sohn der Fürstin Anna Michailowna Drubezkaja. Graf Rostow, der Vater, heißt Ilja, sein Sohn aber Nikolai. Und eine Madame Jacquot habe ich nie gekannt.«

Pierre schlug mit dem Kopf und den Armen hin und her, als ob ein Schwarm Mücken oder Bienen über ihn hergefallen wäre.

»Ach, was habe ich da gemacht! Lauter Konfusion! Ich habe aber auch so viele Verwandte hier in Moskau! Sie sind Boris … ja. Nun, jetzt sind wir also miteinander einig. Also wie denken Sie über die Boulogner Expedition? Meinen Sie nicht auch, daß es den Engländern schlimm ergehen wird, wenn Napoleon über den Kanal setzt? Ich glaube, daß die Expedition sehr wohl durchführbar ist. Wenn nur Villeneuve nicht den rechten Augenblick verpaßt!«

Boris wußte nichts von der Boulogner Expedition. Er las keine Zeitungen und hatte von Villeneuve bisher noch nie etwas gehört.

»Wir hier in Moskau interessieren uns mehr für Diners und Klatschgeschichten als für Politik«, sagte er in seinem ruhigen, spöttischen Ton. »Ich weiß von diesen Dingen nichts und habe darüber kein Urteil. Moskaus Interesse geht so gut wie ganz in Stadtklatsch auf. Jetzt spricht man von Ihnen und von dem Grafen.«

Pierre lächelte in seiner gutherzigen Weise, wie wenn er um des andern willen besorgt sei, dieser könne etwas sagen, was gesagt zu haben ihm nachher leid tun würde; aber Boris sprach mit vollem Bedacht, klar und bestimmt weiter, indem er Pierre gerade in die Augen blickte:

»Die Moskauer haben nichts weiter zu tun als zu klatschen. Alle Leute hier erörtern eifrig die Frage, wem der Graf sein Vermögen hinterlassen wird. Und dabei wird er vielleicht uns alle überleben, und ich wünsche ihm das von Herzen …«

»Ja, das ist alles sehr schmerzlich«, fiel Pierre schnell ein, »sehr schmerzlich!« Er fürchtete noch immer, dieser junge Offizier könne unversehens auf ein Thema zu sprechen kommen, das dann ihm, dem Redenden, selbst peinlich sein würde.

»Sie müssen wohl zu der Vorstellung kommen«, sagte Boris mit leisem Erröten, aber ohne Stimme und Haltung zu ändern, »Sie müssen wohl zu der Vorstellung kommen, daß das Trachten aller nur darauf gerichtet sei, etwas von dem reichen Mann zu erhalten.«

»Ganz richtig!« dachte Pierre.

»Aber gerade das wollte ich Ihnen zur Vermeidung von Mißverständnissen sagen, daß Sie sich sehr irren, wenn Sie mich und meine Mutter mit zu diesen Leuten zählen. Wir sind sehr arm; aber (wenigstens kann ich das von mir sagen) der Umstand, daß Ihr Vater reich ist, bildet für mich keinen Grund, mich für seinen Verwandten zu halten, und weder ich noch meine Mutter werden ihn jemals um etwas bitten oder etwas von ihm annehmen.«

Pierre konnte lange nicht begreifen, was der andere eigentlich wollte; aber als er es begriffen hatte, sprang er vom Sofa in die Höhe, ergriff Boris mit der ihm eigenen Raschheit und Unbeholfenheit von untenher bei der Hand und begann, noch weit stärker als Boris errötend, in einem aus Scham und Ärger gemischten Gefühl zu reden:

»Das ist ja sonderbar. Habe ich etwa … Und wie dürfte überhaupt jemand denken … Ich weiß sehr wohl …«

Aber Boris unterbrach ihn.

»Ich freue mich, daß ich mir alles vom Herzen geredet habe. Wenn es Ihnen vielleicht unangenehm gewesen ist, so verzeihen Sie mir«, sagte er, seinerseits bemüht, Pierre zu beruhigen, statt sich von diesem beruhigen zu lassen. »Aber ich hoffe, daß ich Sie nicht gekränkt habe. Es ist mein Grundsatz, alles frei herauszusprechen. Was soll ich denn nun also bestellen? Werden Sie zu Rostows zum Diner kommen?«

Dem jungen Offizier wurde ganz leicht zumute, als habe er eine schwere Pflicht erledigt, und in dem Gefühl, daß er selbst aus einer unbehaglichen Lage herausgekommen sei und einen andern in eine solche versetzt habe, wurde er wieder ganz munter und unbefangen.

»Nein, hören Sie«, sagte Pierre, sich allmählich einigermaßen beruhigend. »Sie sind ein merkwürdiger Mensch. Was Sie da soeben gesagt haben, ist sehr schön, wirklich sehr schön! Es ist ja ganz natürlich, daß Sie mich nicht kennen; wir haben so lange keine Beziehungen zueinander gehabt … wir waren damals noch Kinder … Sehr erklärlich, daß Sie von mir die Vorstellung hatten … Ich verstehe Sie, verstehe Sie vollkommen. Ich für meine Person hätte das nicht fertiggebracht; ich hätte nicht den Mut dazu gefunden; aber es war von Ihnen ganz ausgezeichnet. Ich freue mich sehr, Sie kennengelernt zu haben. Sonderbar«, fügte er nach einem kurzen Stillschweigen lächelnd hinzu, »was Sie von mir für eine Vorstellung gehabt haben!« Er lachte auf. »Nun aber, was tut’s? Wir werden einander besser kennenlernen. Ich bitte Sie darum.« Er drückte Boris die Hand. »Wissen Sie, ich bin noch gar nicht bei dem Grafen gewesen. Er hat mich nicht rufen lassen … Er tut mir schon vom rein menschlichen Standpunkt aus herzlich leid … Aber was ist zu tun?«

»Und Sie glauben, daß es Napoleon gelingen wird, mit seiner Armee überzusetzen?« fragte Boris lächelnd.

Pierre verstand, daß Boris das Gespräch auf ein anderes Thema bringen wollte. Er war damit ganz einverstanden und begann die günstigen und ungünstigen Momente, die bei dem Boulogner Unternehmen in Betracht kamen, darzulegen.

Ein Diener kam, um Boris zur Fürstin zu rufen. Die Fürstin wollte wegfahren. Pierre versprach, zu dem Diner zu kommen, um mit Boris noch näher bekanntzuwerden, drückte ihm kräftig die Hand und blickte ihm durch seine Brille freundlich in die Augen. Nachdem Boris gegangen war, schritt Pierre noch lange in seinem Zimmer hin und her; aber er durchbohrte keinen unsichtbaren Feind mehr mit dem Degen, sondern lächelte bei der Erinnerung an diesen liebenswürdigen, verständigen, charakterfesten jungen Mann.

Wie es oft bei Menschen der Fall ist, die sich noch in den Zeiten der ersten Jugend befinden, und namentlich bei solchen, die allein dastehen, empfand er für diesen jungen Mann eine Zärtlichkeit, von der er sich nicht ganz Rechenschaft geben konnte, und faßte den Vorsatz, unbedingt Freundschaft mit ihm zu schließen.

Fürst Wasili begleitete die Fürstin hinaus. Die Fürstin hielt das Taschentuch an die Augen, und ihr Gesicht war von Tränen überströmt.

»Es ist schrecklich, schrecklich!« sagte sie. »Aber so schwer es mir auch werden mag, ich werde meine Pflicht erfüllen. Ich werde herkommen und die Nacht hier zubringen. So darf es nicht mit ihm bleiben. Jeder Augenblick ist kostbar. Ich begreife nicht, warum die Prinzessinnen noch länger zaudern. Vielleicht hilft mir Gott ein Mittel finden, um ihn vorzubereiten …! Leben Sie wohl, Fürst, Gott verleihe Ihnen Kraft …«

»Adieu, meine Liebe«, antwortete Fürst Wasili und wandte sich von ihr weg.

»Ach, er ist in einem schrecklichen Zustand!« sagte die Mutter zu dem Sohn, als sie wieder im Wagen saßen. »Er erkennt fast niemand mehr.«

»Ich bin mir darüber nicht klar, Mamachen: wie steht er eigentlich mit Pierre?« fragte der Sohn.

»Das Testament wird darüber Auskunft geben, lieber Sohn. Von diesem Testament hängt auch unser Schicksal ab.«

»Aber warum meinen Sie, daß er uns etwas hinterlassen wird?«

»Ach, lieber Sohn, er ist so reich und wir so arm!«

»Nun, das ist noch kein ausreichender Grund, Mamachen.«

»Ach, mein Gott, mein Gott! Wie krank er ist!« rief die Mutter.

XVII


Nachdem Anna Michailowna mit ihrem Sohn zu dem Grafen Kirill Wladimirowitsch Besuchow gefahren war, saß die Gräfin Rostowa längere Zeit still für sich da und drückte das Taschentuch gegen die Augen. Endlich klingelte sie.

»Was stellt das vor, meine Liebe?« sagte sie ärgerlich zu dem Stubenmädchen, das einige Minuten auf sich hatte warten lassen. »Sie wollen wohl Ihren Dienst nicht weiter verrichten, wie? Dann werde ich Ihnen einen andern Platz anweisen.«

Die Gräfin fühlte sich durch den Kummer und die demütigende Armut ihrer Freundin tief ergriffen und war deshalb schlechter Laune, was sich bei ihr immer dadurch äußerte, daß sie zu dem Stubenmädchen »meine Liebe« sagte und sie mit »Sie« anredete.

»Ich bitte um Verzeihung«, sagte das Mädchen.

»Ich lasse den Grafen bitten, zu mir zu kommen.«

Der Graf trat herein und näherte sich mit seinem watschelnden Gang seiner Frau; er machte, wie immer, eine etwas schuldbewußte Miene.

»Nun, meine liebe Gräfin, was das für ein ausgezeichnetes Haselhuhn-Sauté mit Madeira werden wird, meine Teuerste! Ich habe es gekostet; ich muß sagen: die tausend Rubel, die ich für unsern Koch Taras gegeben habe, waren nicht weggeworfen; er ist wirklich das Geld wert!«

Er setzte sich neben seine Frau, stützte in jugendlich unternehmender Haltung die Hände auf die Knie und fuhr sich mit den Fingern durch das graue Haar.

»Was befehlen Sie, meine liebe Gräfin?«

»Lieber Freund, ich möchte … Aber was hast du da für einen Fleck?« fragte sie, indem sie auf seine Weste zeigte. »Das ist gewiß von dem Sauté«, fügte sie lächelnd hinzu. »Also höre, lieber Graf, ich brauche Geld.«

Ihr Gesicht nahm einen trüben, schmerzlichen Ausdruck an.

»Ah, das ist es, meine liebe Gräfin!« Der Graf holte seine Brieftasche heraus, wurde aber sehr verlegen.

»Ich brauche viel Geld, Graf; ich brauche fünfhundert Rubel.« Sie zog ihr batistenes Taschentuch hervor und rieb damit an der Weste ihres Mannes.

»Sofort sollen Sie das Geld haben, sofort! – Heda! Wer gerade da ist!« rief er mit so lauter, befehlender Stimme, wie nur jemand ruft, der überzeugt ist, daß diejenigen, die er ruft, Hals über Kopf auf seinen Ruf herbeistürzen werden. »Sag mal zu Dmitri, er möchte zu mir kommen!«

Dmitri, jener junge Edelmann, der im Haus des Grafen erzogen worden war und jetzt die Verwaltung der sämtlichen geschäftlichen Angelegenheiten unter sich hatte, trat mit leisen Schritten ins Zimmer.

»Hör mal, mein Lieber«, sagte der Graf zu dem respektvoll dastehenden jungen Mann. »Bring mir mal …« Er überlegte. »Ja, bring mir mal siebenhundert Rubel. Ja! Aber bring nicht wieder so zerrissene, schmutzige Scheine wie das letztemal, sondern recht hübsche, für die Gräfin.«

»Ja, lieber Dmitri, bitte, recht saubere!« sagte die Gräfin mit einem traurigen Seufzer.

»Zu wann befehlen Euer Erlaucht das Geld?« fragte Dmitri. »Sie wissen ja, daß … Indessen seien Sie ganz unbesorgt«, fügte er hinzu, da er bemerkte, daß der Graf schwer und hastig zu atmen begann, was immer ein Vorzeichen nahenden Zornes war. »Ich hatte beinah vergessen … Befehlen Sie das Geld sofort?«

»Jawohl, jawohl, bring es nur her. Gib es der Gräfin.«

»Mein Dmitri ist doch wirklich ein Prachtmensch«, fügte der Graf hinzu, als der junge Mann hinausgegangen war. »Ein ›Unmöglich‹ gibt es bei ihm gar nicht. Und so etwas kann ich für meine Person auch durchaus nicht leiden. Möglich ist alles.«

»Ach, das Geld, Graf, das leidige Geld! Wieviel Kummer rührt davon auf der Welt her!« seufzte die Gräfin. »Aber diese Geldsumme brauche ich ganz notwendig.«

»Ja, Sie sind eine Verschwenderin, meine liebe Gräfin; das ist bekannt«, sagte der Graf; er küßte seiner Frau die Hand und ging wieder in sein Zimmer.

Als Anna Michailowna vom Grafen Besuchow zurückkehrte, lag bereits neben dem Platz, wo die Gräfin Rostowa saß, das Geld, lauter neue Banknoten, auf einem Tischchen unter einem Taschentuch, und Anna Michailowna bemerkte, daß die Gräfin über irgend etwas unruhig war.

»Nun, wie steht es, liebe Freundin?« fragte die Gräfin.

»Ach, er befindet sich in einem schrecklichen Zustand! Er ist gar nicht wiederzuerkennen, so schlecht steht es mit ihm, so entsetzlich schlecht! Ich bin nur einen Augenblick bei ihm gewesen und habe kaum ein paar Worte zu ihm gesprochen …«

»Annette, ich bitte dich recht herzlich, schlage es mir nicht ab«, sagte die Gräfin auf einmal und errötete dabei, was sich auf ihrem ältlichen, mageren, würdevollen Gesicht recht wunderlich ausnahm; sie nahm unter dem Tuch das Geld hervor. Anna Michailowna verstand sofort, um was es sich handelte, und beugte sich schon nieder, um im richtigen Augenblick die Gräfin geschickt zu umarmen.

»Da ist etwas von mir für Boris, zu seiner Equipierung …«

Anna Michailowna umarmte sie sofort und weinte. Die Gräfin weinte ebenfalls. Sie weinten beide darüber, daß sie so eng befreundet waren, und darüber, daß sie beide so gute Menschen waren, und darüber, daß zwei Jugendfreundinnen sich mit einem so unwürdigen Gegenstand abgeben mußten, wie es das Geld ist, und darüber, daß ihre Jugend dahin war … aber die Tränen der beiden Frauen waren angenehme, wohltätige Tränen …

XVIII


Die Gräfin Rostowa saß mit ihren Töchtern und mit einer großen Anzahl von Damen, die sich bereits eingefunden hatten, im Salon. Die Herren hatte der Graf in sein Zimmer geführt und bot ihnen seine türkischen Pfeifen an, deren er aus besonderer Liebhaberei eine ganze Sammlung besaß. Von Zeit zu Zeit ging er in den Salon zu seiner Frau und erkundigte sich, ob »sie« noch nicht angekommen sei. Die Erwartete war Marja Dmitrijewna Achrosimowa, die in der Gesellschaft den Spitznamen »der schreckliche Dragoner« hatte, eine Dame, die nicht infolge von Reichtum oder Vornehmheit, wohl aber wegen ihres gesunden Verstandes und der ungeschminkten Naivität ihres Benehmens sich einer gewissen Berühmtheit erfreute. Ganz Moskau und ganz Petersburg, ja selbst die kaiserliche Familie kannten diesen »Dragoner« Marja Dmitrijewna; die Angehörigen der höheren Gesellschaftskreise beider Residenzen schüttelten zwar oft verwundert über sie den Kopf, machten sich im stillen über ihre Grobheit lustig und erzählten sich Anekdoten von ihr; aber trotzdem empfanden alle vor ihr Respekt und hatten vor ihr Furcht.

In dem von Tabaksrauch erfüllten Herrenzimmer bildeten den Gegenstand des Gespräches der Krieg, der durch ein Manifest des Kaisers erklärt war, und die Aushebung. Gelesen hatte das Manifest noch niemand; aber alle wußten, daß es erschienen war. Der Graf saß auf einer Ottomane zwischen zwei Herren, welche rauchten und eifrig konversierten. Der Graf selbst rauchte nicht und redete nicht, sondern neigte den Kopf bald nach der einen, bald nach der andern Seite, blickte die beiden Raucher zu seiner Linken und zu seiner Rechten mit sichtlichem Vergnügen an und hörte ihrem Gespräch zu; übrigens hatte er selbst sie vorher aufeinandergehetzt.

Der eine der beiden Redenden war ein Zivilist, mit runzligem, verbissenem, magerem, glattrasiertem Gesicht, schon in ziemlich hohem Alter, obwohl er wie ein ganz junger Mensch nach der neuesten Mode gekleidet war. Er hatte, wie wenn er hier zu Hause wäre, die Füße unter sich auf das Sofa gezogen, hatte sich die Bernsteinspitze seitwärts tief in den Mund geschoben, zog ruckweise den Rauch ein und kniff die Augen zusammen. Es war ein alter Junggeselle namens Schinschin, ein Vetter der Gräfin; in den Moskauer Salons hieß es von ihm, er habe eine böse Zunge. Den Herrn, mit dem er jetzt redete, schien er mit nachsichtiger Herablassung zu behandeln. Dieser andere war ein frischer Gardeoffizier, mit rosigem Teint, tadellos sauber gewaschen, wohlfrisiert, den Uniformrock bis oben zugeknöpft; er hielt die Bernsteinspitze in der Mitte des Mundes, zog mit seinen roten Lippen sachte einen kleinen Schluck Rauch ein und ließ ihn in kleinen Ringen wieder aus seinem hübschen Mund hinaus. Dies war ein Leutnant im Semjonower Regiment, namens Berg, mit welchem Boris demnächst zum Regiment abgehen sollte, eben jener Leutnant Berg, mit welchem Natascha ihre ältere Schwester Wjera geneckt hatte, indem sie ihn als deren Courmacher bezeichnet hatte. Der Graf saß zwischen beiden und hörte ihrem Gespräch aufmerksam zu. Nächst dem Bostonspiel, das er leidenschaftlich liebte, kannte der Graf kein größeres Vergnügen als die Rolle des Zuhörers zu übernehmen, namentlich wenn es ihm gelungen war, zwei eifrige Disputanten aufeinanderzuhetzen.

»Nun gewiß, Väterchen, mon très honorable Alfons Karlowitsch«, sagte Schinschin in spöttischem Ton (er mischte ganz gewöhnliche Ausdrücke der russischen Volkssprache und gewählte französische Phrasen durcheinander, was eine besondere Eigentümlichkeit seiner Redeweise bildete), »vous comptez vous faire des rentes sur l’état, Sie möchten, daß von Ihrer Kompanie so nebenbei ein bißchen was für Sie abfällt?«

»Nicht doch, Pjotr Nikolajewitsch, ich will nur nachweisen, daß der Dienst bei der Infanterie gegenüber dem Dienst bei der Kavallerie mancherlei Vorteile bietet. Machen Sie sich jetzt nur meine Lage klar, Pjotr Nikolajewitsch …«

Berg sprach immer sehr präzis, ruhig und höflich und redete immer nur von sich und seinen Angelegenheiten. Er pflegte zu schweigen, solange das Gespräch sich um Dinge drehte, die in keiner direkten Beziehung zu seiner eigenen Person standen. Auf diese Weise schwieg er manchmal stundenlang, ohne daß er selbst dabei ein unangenehmes Gefühl empfunden oder bei anderen hervorgerufen hätte. Aber sobald das Gespräch eine solche Wendung bekam, daß es ihn persönlich betraf, begann er in längeren Ausführungen und mit sichtlichem Vergnügen zu sprechen.

»Machen Sie sich nur meine Lage klar, Pjotr Nikolajewitsch. Wenn ich bei der Kavallerie wäre, so würde ich als Leutnant nicht mehr als zweihundert Rubel alle vier Monate bekommen; jetzt aber bekomme ich zweihundertdreißig Rubel«, sagte er mit einem vergnügten, angenehmen Lächeln, indem er Schinschin und den Grafen ansah, als wäre es für ihn eine ausgemachte Sache, daß sein Wohlergehen stets das wichtigste Ziel der Wünsche aller übrigen Menschen bilden werde.

»Außerdem, Pjotr Nikolajewitsch«, fuhr Berg fort, »befinde ich mich infolge meiner Versetzung zur Garde an einer Stelle, wo ich beachtet werde; auch sind die Vakanzen bei der Gardeinfanterie weit häufiger. Und dann, bitte, überschlagen Sie sich das einmal selbst, wie gut ich mit zweihundertdreißig Rubeln auskommen kann; ich lege sogar noch etwas zurück und schicke es meinem Vater«, fuhr er fort und ließ einen Rauchring aus dem Mund.

»Gut kalkuliert, das muß man sagen. Ja, ja, der Deutsche drischt sein Getreide auf dem Beilrücken, wie es im Sprichwort heißt«, sagte Schinschin und schob, dem Grafen zuzwinkernd, die Bernsteinspitze nach dem andern Mundwinkel hinüber.

Der Graf lachte laut auf. Andere Gäste, welche sahen, daß Schinschin da mit jemand disputierte, traten näher heran, um zuzuhören. Ohne auch nur im geringsten die Spötteleien seiner Zuhörer oder ihren Mangel an Interesse zu bemerken, erzählte Berg ausführlich weiter, daß er durch seine Versetzung zur Garde vor seinen Kameraden vom Kadettenkorps her schon einen Grad voraus habe; der Kompaniechef könne im Krieg fallen, und er, der dann der rangälteste Offizier in der Kompanie sein werde, könne sehr leicht in die Stelle des Kompaniechefs einrücken; im Regiment könnten ihn alle sehr gut leiden, und sein lieber Papa sei über ihn ganz glücklich. Dem jungen Offizier machte es offenbar das allergrößte Vergnügen, dies alles vorzutragen, und er schien gar keine Ahnung davon zu haben, daß andere Leute gleichfalls ihre persönlichen Interessen haben könnten. Aber alles, was er vortrug, war so nett und ehrbar, und die Naivität seines jugendlichen Egoismus war so handgreiflich, daß seine Zuhörer ihm nicht böse sein konnten.

»Na, Väterchen, Sie werden überall, bei der Infanterie wie bei der Kavallerie, eine gute Karriere machen; das prophezeie ich Ihnen«, sagte Schinschin, indem er ihm auf die Schulter klopfte und die Beine von der Ottomane herunternahm. Berg lächelte vergnügt. Der Graf und ihm folgend die Gäste verließen das Herrenzimmer und begaben sich in den Salon.


Es war diejenige Zeit vor dem Diner, wo die bereits versammelten Gäste in der Erwartung, bald an das Büfett mit den kalten Vorspeisen gebeten zu werden, kein langes Gespräch mehr anknüpfen, dabei aber doch für notwendig erachten, sich zu bewegen und nicht stumm zu sein, um zu zeigen, daß sie durchaus nicht etwa ungeduldig darauf warten, sich an die Tafel setzen zu können. Der Hausherr und die Hausfrau blicken von Zeit zu Zeit nach der Tür und wechseln mitunter Blicke miteinander. Die Gäste bemühen sich, aus diesen Blicken zu erraten, auf wen oder auf was noch gewartet wird: ob auf einen sich verspätenden vornehmen Verwandten oder auf ein Gericht, das noch nicht gar ist.

Pierre war kurz vor dem Beginn des Diners angekommen und saß unbeholfen in der Mitte des Salons auf dem erstbesten Lehnstuhl, den er gerade gefunden hatte, und versperrte allen den Weg. Die Gräfin wollte ihn zum Sprechen veranlassen; aber er blickte ungeniert durch seine Brille rings um sich, als ob er jemand suchte, und antwortete auf alle Fragen der Gräfin sehr wortkarg. Er war lästig und unbequem, und dabei war er der einzige, der dies nicht merkte. Viele der Gäste, die seine Geschichte mit dem Bären kannten, betrachteten neugierig diesen großen, dicken Menschen, der sich so still verhielt, und konnten sich nicht genug wundern, wie ein so schwerfälliges, harmloses Individuum es fertiggebracht habe, mit dem Reviervorsteher ein so tolles Stück anzustellen.

»Sie sind erst vor kurzem hier in Moskau eingetroffen?« fragte ihn die Gräfin.

»Ja, ja, ja«, antwortete er und blickte um sich.

»Sie haben meinen Mann noch nicht gesehen?«

»Nein, noch nicht.«

Er lächelte, obwohl dazu gar kein Anlaß war.

»Sie sind ja wohl kürzlich in Paris gewesen? Ich denke mir das höchst interessant.«

»Ja, es ist höchst interessant.«

Die Gräfin tauschte einen Blick mit Anna Michailowna aus. Anna Michailowna verstand dies richtig dahin, daß sie gebeten wurde, diesen jungen Mann zu beschäftigen; so setzte sie sich denn zu ihm und begann von seinem Vater zu reden; aber wie der Gräfin, so gab er auch ihr nur einzelne, abgerissene Worte zur Antwort. Die Gäste waren alle in eifriger Unterhaltung miteinander begriffen.

»Bei Rasumowskis … Oh, es war ganz allerliebst … Sie sind sehr gütig … Die Gräfin Apraxina …«, so summte es von allen Seiten durcheinander. Die Gräfin stand auf und ging nach dem Vorsaal hinaus.

»Marja Dmitrijewna?« hörten die im Salon Befindlichen sie draußen sagen.

»Sie selbst«, antwortete eine derbe Frauenstimme, und gleich darauf trat Marja Dmitrijewna, von der Gräfin geleitet, in den Salon. Alle jungen Mädchen und sogar die verheirateten Damen, nur die ältesten ausgenommen, erhoben sich von ihren Plätzen. Marja Dmitrijewna blieb in der Tür stehen, reckte ihren fünfzigjährigen, mit grauen Locken geschmückten Kopf gerade aufrecht, ließ von der Höhe ihrer wohlbeleibten Gestalt herab ihre Blicke über die Gäste schweifen und brachte langsam die weiten Ärmel ihres Kleides in Ordnung, was den Eindruck machte, als ob sie sie aufstreifen wollte. Marja Dmitrijewna sprach immer russisch.

»Meinen Glückwunsch der lieben Hausfrau und ihrem Töchterchen, die heute ihren Namenstag feiern!« sagte sie mit ihrer lauten, tiefen, alles übertönenden Stimme. »Nun, wie geht es dir, du alter Sünder?« Mit diesen Worten wandte sie sich zu dem Grafen, der ihr die Hand küßte. »Es ist dir hier wohl zu langweilig in Moskau? Zu Hetzjagden findest du hier wohl keine Gelegenheit? Aber was ist da zu machen, mein Lieber? Wenn diese Vögelchen heranwachsen«, sie zeigte auf die jungen Mädchen, »dann muß man Bräutigame für sie suchen, ob es einem nun paßt oder nicht.«

»Na, und wie steht es mit dir, mein Kosak?« (Marja Dmitrijewna nannte Natascha gern so) sagte sie, indem sie mit der Hand Natascha liebkoste, die fröhlich und ohne Schüchternheit zu ihr herangetreten war, um ihr die Hand zu küssen. »Ich weiß, daß dieses Mädchen ein richtiges Unkraut ist; aber ich habe sie doch gern.«

Sie holte aus ihrem riesigen Ridikül ein Paar Ohrringe mit birnförmigen Saphiren daran heraus, reichte sie der freudestrahlenden, errötenden Natascha hin und wandte sich dann sofort von ihr ab und redete Pierre an.

»Heda, heda, lieber Freund! Komm doch mal her!« sagte sie mit gekünstelt sanfter, hoher Stimme. »Komm mal her, lieber Freund!« Dabei streifte sie, gleichsam drohend, ihre Ärmel noch höher auf.

Pierre trat heran und blickte sie durch seine Brille ohne Verlegenheit an.

»Komm nur heran, immer näher, lieber Freund. Auch bei deinem Vater bin ich die einzige gewesen, die ihm die Wahrheit sagte, als er hoch in Gunst stand; und nun fühle ich mich vor Gott verpflichtet, sie auch dir zu sagen.« Sie machte eine kleine Pause. Alle schwiegen in dem Gefühl, daß dies nur die Vorrede gewesen war, und in Erwartung dessen, was noch weiter kommen werde. »Ein nettes Bürschchen, das muß man sagen, ein nettes Bürschchen! Sein Vater liegt auf dem Sterbebett, und er amüsiert sich, indem er einen Reviervorsteher rittlings auf einen Bären setzt! Schäme dich, Verehrtester, schäme dich! Du würdest besser tun, in den Krieg zu gehen.«

Sie wandte sich von ihm weg und schob ihren Arm in den Arm des Grafen, der kaum das Lachen unterdrücken konnte. »Na also, wie ist’s? Zu Tisch? Ich glaube, es ist Zeit!« sagte Marja Dmitrijewna.

Voran gingen der Graf und Marja Dmitrijewna; dann folgte die Gräfin, welche der Husarenoberst führte, ein Mann, der für die Familie von hoher Wichtigkeit war, da Nikolai mit ihm zusammen das Regiment einholen sollte; hierauf Anna Michailowna mit Schinschin. Berg hatte Wjera den Arm gereicht; die lächelnde Julja Karagina ging mit Nikolai zu Tisch. Hinter ihnen kamen in langer Reihe, die sich durch den ganzen Saal hinzog, die andern Paare, und ganz zum Schluß, einzeln gehend, die Kinder, der Hauslehrer und die Gouvernante. Die Diener gerieten in Bewegung; mit lautem Geräusch wurden die Stühle gerückt; auf der Galerie setzte die Musik ein, und die Gäste verteilten sich auf ihre Plätze. Die Töne des gräflichen Hausorchesters verstummten dann und wurden abgelöst von dem Klappern der Messer und Gabeln, dem Gespräch der Gäste und den leisen Schritten der Diener. An dem einen Ende des Tisches saß obenan die Gräfin, rechts von ihr Marja Dmitrijewna, links Anna Michailowna; dann schlossen sich daran die andern Damen. Am andern Ende saß der Graf, links von ihm der Husarenoberst, rechts Schinschin; weiterhin die übrigen Herren. An der einen Seite des langen Tisches hatte die schon erwachsene Jugend ihre Plätze erhalten: Wjera neben Berg, Pierre neben Boris; auf der andern Seite saßen die Kinder, der Hauslehrer und die Gouvernante. Der Graf blickte hinter den kristallenen Karaffen und den kristallenen Fruchtschalen hervor hin und wieder hinüber zu seiner Frau und ihrer hohen Haube mit den blauen Bändern; er goß seinen Nachbarn eifrig Wein ein, ohne sich selbst dabei zu vergessen. Die Gräfin warf ebenfalls hinter den prächtigen Ananas hervor, ohne die Pflichten der Wirtin zu vergessen, bedeutsame Blicke zu ihrem Mann hin, dessen Glatze und Gesicht, wie es ihr vorkam, durch ihre Röte immer schärfer von den grauen Haaren abstachen. An demjenigen Ende, wo die Damen saßen, war ein gleichmäßiges Geplauder im Gang; bei den Herren dagegen erschollen die Stimmen immer lauter und lauter, besonders die Stimme des Husarenobersten, welcher, immer röter werdend, so viel aß und trank, daß der Graf ihn schon den andern Gästen als Muster hinstellte. Berg sprach, zärtlich lächelnd, mit Wjera davon, daß die Liebe keine irdische, sondern eine himmlische Empfindung sei. Boris nannte seinem neuen Freund Pierre die am Tisch sitzenden Gäste und wechselte Blicke mit Natascha, die ihm gegenübersaß. Pierre redete nur wenig, betrachtete die neuen Gesichter und aß sehr viel. Von den beiden Suppen (er hatte sich für die Schildkrötensuppe entschieden) und der Fischpastete an bis zu den Haselhühnern ließ er kein einziges Gericht vorübergehen und ebenso keinen der Weine, die der Haushofmeister in sorgsam mit Servietten umwickelten Flaschen geheimnisvoll hinter der Schulter des Tischnachbarn zum Vorschein brachte, indem er dazu »Dry Madeira« oder »Ungarwein« oder »Rheinwein« murmelte. Pierre hielt das erstbeste der vier mit dem Monogramm des Grafen versehenen Kristallgläser hin, die bei jedem Gedeck standen, und trank mit Genuß; und je mehr er trank, mit um so freundlicherer Miene betrachtete er um sich her die andern Gäste. Natascha, die ihm gegenübersaß, blickte Boris so an, wie dreizehnjährige Mädchen eben einen jugendlichen Angehörigen des anderen Geschlechts anblickten, mit dem sie sich kurz vorher zum erstenmal geküßt haben und in den sie verliebt sind. Diesen selben Blick richtete sie mitunter auch auf Pierre, und unter dem Blick dieses lachlustigen, lebhaften jungen Mädchens bekam er selbst Lust zu lachen, ohne zu wissen worüber.

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