Er stand in Weste und baumwollenem Hemd bei seinem Laden, der nach der Straße hinaus lag. Als er Alpatytsch erblickte, trat er auf ihn zu.

»Sei willkommen, Jakow Alpatytsch. Unsere Leute hier gehen aus der Stadt weg, und du kommst herein«, sagte der Herbergswirt.

»Wieso denn aus der Stadt weg?« fragte Alpatytsch.

»Ja, ich sage es ja auch: die Leute sind dumm. Alle fürchten sie sich vor den Franzosen.«

»Weibergeschwätz, Weibergeschwätz!« erwiderte Alpatytsch.

»Das ist meine Ansicht auch, Jakow Alpatytsch. Ich sage: es ist Befehl gegeben worden, ihn nicht hereinzulassen; also kann man sich auch darauf verlassen. Ja, und die Bauern verlangen drei Rubel für eine Fuhre … die Unchristen!«

Jakow Alpatytsch hatte nur unaufmerksam zugehört. Er ließ sich einen Samowar bringen, den Pferden Heu geben, und nachdem er seinen Tee getrunken hatte, legte er sich schlafen.

Die ganze Nacht über marschierten auf der Straße Truppen an der Herberge vorbei. Am andern Tag zog Alpatytsch ein Kamisol an, das er immer nur in der Stadt trug, und machte seine Geschäftsgänge. Es war ein sonniger, schon von acht Uhr an heißer Vormittag. »Ein prachtvoller Tag für die Getreideernte!« dachte Alpatytsch. Von außerhalb der Stadt her hörte man schon vom frühen Morgen an schießen.

Von acht Uhr an gesellte sich zu den Gewehrschüssen auch Kanonendonner. Auf den Straßen war viel Volk, das es eilig hatte, hierhin und dorthin zu laufen, auch viele Soldaten; aber die Droschken fuhren ebenso wie sonst immer, und die Kaufleute standen in ihren Ladentüren, und in den Kirchen wurde Gottesdienst gehalten. Alpatytsch ging in verschiedene Läden, auf die Bureaus mehrerer Behörden, auf die Post und zum Gouverneur. Auf den Bureaus, in den Läden und auf der Post sprachen alle Menschen von der Armee und vom Feind, der schon die Stadt angriff; alle fragten sich gegenseitig, was sie tun sollten, und jeder suchte den anderen zu beruhigen.

Bei dem Haus des Gouverneurs fand Alpatytsch eine große Menge Volks, eine Anzahl Kosaken und einen Reisewagen, der dem Gouverneur gehörte. Auf den Stufen vor der Haustür begegnete er zwei Edelleuten, von denen er den einen kannte. Der ihm bekannte Edelmann, ein früherer Bezirkshauptmann, redete sehr hitzig.

»Die Sache ist ja doch kein Spaß!« sagte er. »Gut noch, wenn einer alleinsteht. Wenn er dann auch arm ist, so hat er doch nur für sich zu sorgen; aber wenn so eine Familie aus dreizehn Köpfen besteht und das ganze Vermögen dahin ist, was dann …? Nun haben sie es glücklich dahin gebracht, daß wir alle ruiniert sind; was soll man von einer Obrigkeit, die sich so verhält, denken …? Aufhängen lassen würde ich alle diese Schurken, wenn’s auf mich ankäme …«

»Aber, aber, was reden Sie? Es wird Ihnen noch übel bekommen!« sagte der andere.

»Was scher ich mich darum; mögen sie es hören! Sind wir denn Hunde, daß wir uns so behandeln lassen müßten?« sagte der ehemalige Bezirkshauptmann und erblickte, als er sich umsah, Alpatytsch.

»Ah, Jakow Alpatytsch! Was willst du denn hier?«

»Auf Befehl Seiner Durchlaucht zu dem Herrn Gouverneur«, antwortete Alpatytsch, indem er stolz den Kopf in die Höhe hob und die Hand vorn in die Brust steckte, was er immer tat, wenn er den Fürsten erwähnte. »Der Fürst hat mir befohlen, über den Stand der Dinge Erkundigungen einzuziehen«, fügte er hinzu.

»Na, da will ich dir gleich etwas sagen«, schrie der Gutsbesitzer. »Durch die Schuld dieser Bande ist es so weit gekommen, daß jetzt nicht einmal eine Fuhre zu haben ist, nichts …! Da sind sie, hörst du wohl?« fuhr er fort und zeigte nach der Seite, von der das Schießen herübertönte.

»Die Behörden sind schuld daran, daß wir alle zugrunde gehen, … die Schurken!« sagte er noch einmal und stieg die Stufen hinab.

Kopfschüttelnd trat Alpatytsch ins Haus und ging die Treppe hinauf. Im Wartezimmer befanden sich Kaufleute, Frauen, Beamte, die schweigend einander ansahen. Die Tür des Arbeitszimmers öffnete sich; alle erhoben sich von ihren Plätzen und drängten nach vorn. Aus der Tür kam eilig ein Beamter heraus, redete ein paar Worte mit einem Kaufmann, rief einem dicken Beamten mit einem Orden am Hals zu, er möge ihm folgen, und verschwand wieder durch die Tür, augenscheinlich bemüht, allen sich auf ihn richtenden Blicken und beabsichtigten Fragen zu entgehen. Alpatytsch stellte sich unter die Vordersten, und als der Beamte das nächste Mal hereinkam, schob er die Hand vorn in den zugeknöpften Rock, wandte sich zu dem Beamten und hielt ihm die beiden Briefe hin.

»An den Herrn Baron Asch vom General en chef Fürsten Bolkonski«, sagte er mit solcher Feierlichkeit und Wichtigkeit, daß der Beamte sich zu ihm hinwendete und ihm die Briefe abnahm.

Einige Minuten darauf wurde Alpatytsch von dem Gouverneur empfangen, der hastig zu ihm sagte:

»Bestell dem Fürsten und der Prinzessin, daß mir nichts bekannt gewesen ist; ich habe nach höheren Befehlen gehandelt. Hier, nimm das mit!« Er gab Alpatytsch ein gedrucktes Blatt. »Übrigens, da der Fürst krank ist, so möchte ich ihnen raten, nach Moskau überzusiedeln. Ich fahre selbst sogleich dorthin. Bestelle …«

Aber der Gouverneur konnte den Satz nicht zu Ende sprechen; denn ein mit Staub und Schweiß bedeckter Offizier trat eilig herein und begann, ihm etwas auf französisch zu sagen. Jäher Schrecken malte sich auf dem Gesicht des Gouverneurs.

»Geh nur«, sagte er zu Alpatytsch, indem er ihm mit dem Kopf zunickte, und richtete einige Fragen an den Offizier.

Gespannte, ängstliche, hilflose Blicke richteten sich auf Alpatytsch, als er aus dem Arbeitszimmer des Gouverneurs heraustrat. Unwillkürlich auf die jetzt schon nahen und immer lauter klingenden Schüsse hinhorchend, beeilte er sich, wieder nach seiner Herberge zu kommen. Auf dem Blatt, das ihm der Gouverneur gegeben hatte, stand folgendes:

»Ich versichere Ihnen, daß der Stadt Smolensk noch nicht die geringste Gefahr bevorsteht und daß sie wahrscheinlich von einer solchen überhaupt nicht bedroht werden wird. Ich rücke von der einen und Fürst Bagration von der andern Seite heran, um uns vor Smolensk zu vereinigen; diese Vereinigung wird am 22. vollzogen werden, und beide Heere werden mit vereinten Kräften ihre Landsleute in dem Ihnen anvertrauten Gouvernement beschützen, bis es ihren Anstrengungen gelungen sein wird, die Feinde des Vaterlandes von ihnen wegzutreiben, oder bis ihre tapferen Reihen bis auf den letzten Mann gefallen sein werden. Sie sehen hieraus, daß Sie durchaus berechtigt sind, die Bewohner von Smolensk zu beruhigen; denn wer von zwei so tapferen Heeren verteidigt wird, kann sich ihres Sieges versichert halten. (Amtliches Schreiben Barclay de Tollys an den Zivilgouverneur von Smolensk, Baron Asch, 1812.)«

Das Volk huschte unruhig in den Straßen umher.

Wagen, die mit Stühlen, Schränken und Küchengerät hochbepackt waren, kamen fortwährend aus den Torwegen der Häuser herausgefahren und fuhren dann die Straßen entlang. Vor dem Haus neben dem Ferapontowschen standen mehrere Fuhrwerke, und die Weiber nahmen mit vielem Gerede und mit vielem Heulen Abschied. Der Hofhund sprang bellend vor den angeschirrten Pferden hin und her.

Alpatytsch begab sich mit eiligerem Schritte, als es sonst in seiner Gewohnheit lag, auf den Hof und ging geradewegs unter das Schuppendach zu seinen Pferden und seinem Wagen. Der Kutscher schlief. Er weckte ihn, befahl ihm anzuspannen und ging ins Haus auf den Flur. Aus dem Zimmer der Wirtsleute war das Weinen eines Kindes, das laute, krampfhafte Schluchzen einer Frau und die heisere, zornig schreiende Stimme Ferapontows zu hören. Die Köchin lief, als Alpatytsch eintrat, ganz verstört wie eine geängstigte Henne im Flur umher.

»Halbtot hat er sie geschlagen … seine Frau! So furchtbar hat er sie geschlagen, durch das ganze Zimmer hat er sie geschleppt …!«

»Weswegen denn?« fragte Alpatytsch.

»Sie bat ihn, er möchte sie mit einem Wagen fortschaffen. ›Ich muß doch als Mutter für die Familie sorgen‹, sagte sie. ›Schaff mich fort; morde mich nicht mit den kleinen Kindern! Alle Leute‹, sagte sie, ›sind schon weggefahren; wozu bleiben wir noch hier?‹ sagte sie. Und da hat er sie geprügelt. So furchtbar hat er sie geprügelt, und in der Stube umhergeschleppt hat er sie!«

Alpatytsch nickte wie zustimmend zu diesen Worten mit dem Kopf und ging, da er nichts weiter davon hören mochte, zu dem der Stube der Wirtsleute gegenüberliegenden Zimmer hin, in welchem er seine Einkäufe liegen hatte.

»Du Bösewicht, du Mörder!« schrie in diesem Augenblick eine magere, blasse Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm und mit heruntergerissenem Kopftuch, welche aus der Tür herausgestürzt kam und die Treppe hinunter auf den Hof lief.

Hinter ihr her kam Ferapontow aus dem Zimmer; als er Alpatytsch erblickte, schob er sich seine Weste zurecht, brachte sein Haar in Ordnung, gähnte und ging hinter Alpatytsch her in dessen Zimmer.

»Willst du denn schon abfahren?« fragte er.

Ohne auf die Frage zu antworten und ohne sich nach dem Wirt umzuwenden, suchte Alpatytsch die eingekauften Sachen zusammen und fragte, wieviel er ihm für das Quartier schuldig wäre.

»Wir berechnen uns schon noch miteinander! Nun, bist du beim Gouverneur gewesen?« fragte Ferapontow. »Was hast du denn für Bescheid bekommen?«

Alpatytsch antwortete, daß der Gouverneur ihm nichts Bestimmtes gesagt habe.

»Können wir uns etwa bei unserem Geschäft davonmachen?« sagte Ferapontow. »Und bis Dorogobusch gibt man für eine Fuhre sieben Rubel. Ich sage ja: die Kerle sind die reinen Unchristen!« Dann fuhr er fort: »Seliwanow, der hat es am Donnerstag gut getroffen; er hat sein Mehl an die Armee für neun Rubel den Sack verkauft. Na, wie ist’s? Willst du noch Tee trinken?« fügte er hinzu.

Während die Pferde angespannt wurden, tranken Alpatytsch und Ferapontow zusammen Tee und unterhielten sich über den Getreidepreis, über die Ernte und über das gute Erntewetter.

»Das Schießen ist doch stiller geworden«, sagte Ferapontow, nachdem er drei Tassen Tee getrunken hatte, und stand auf. »Gewiß haben die Unsrigen gesiegt. Es war ja auch angekündigt worden, sie würden den Feind nicht hereinlassen. Ja, ja, ein starkes Heer! Und neulich hieß es, Matwjei Iwanowitsch Platow habe sie in die Marina getrieben und so gegen achtzehntausend an einem Tag ersäuft.«

Alpatytsch nahm seine Einkäufe zusammen, übergab sie dem eintretenden Kutscher und bezahlte dem Wirt, was er schuldig war. Man hörte vom Torweg her, wie der Reisewagen hinausfuhr: die Räder rasselten, die Hufe klapperten, die Schellen klingelten.

Der Mittag war schon lange vorüber; die eine Hälfte der Straße lag im Schatten, die andere war hell von der Sonne beschienen. Alpatytsch warf einen Blick durch das Fenster und ging zur Tür. Auf einmal erscholl ein seltsamer Laut: ein fernes Pfeifen und ein ferner Schlag, und gleich darauf ertönte das ineinanderfließende Getöse einer gewaltigen Kanonade, von der die Fenster erzitterten.

Alpatytsch trat auf die Straße hinaus; auf der Straße liefen zwei Männer nach der Brücke zu. Von verschiedenen Stellen her hörte man das Pfeifen und Einschlagen der Kanonenkugeln und das Platzen der Granaten, die in der Stadt niederfielen. Aber diese Töne waren viel weniger zu vernehmen und zogen die Aufmerksamkeit der Einwohner in weit geringerem Grad auf sich als der Donner der Kanonade, der von außerhalb her nach der Stadt herübertönte. Es war dies das Bombardement, das Napoleon um fünf Uhr aus hundertunddreißig Geschützen auf die Stadt hatte eröffnen lassen. Anfänglich begriff das Volk die Bedeutung dieses Bombardements noch nicht.

Der Schall der niederfallenden Granaten und Kanonenkugeln erweckte zunächst nur Neugier. Ferapontows Frau, die bis dahin immer noch unter dem Schuppendach geheult hatte, wurde still, kam mit dem Kind auf dem Arm zum Torweg hinaus, blickte schweigend auf das Volk und horchte nach den ungewohnten Tönen hin.

Auch die Köchin und der Ladendiener kamen ans Tor. Alle bemühten sich mit fröhlicher Neugier, die über ihre Köpfe hinfliegenden Geschosse mit den Augen zu verfolgen. Um die Straßenecke herum kamen einige Männer in lebhaftem Gespräch.

»Das hat einmal eine Wucht!« sagte der eine. »Das Dach und die Decke hat es kurz und klein geschlagen.«

»Und die Erde hat es aufgewühlt wie ein Schwein«, fügte der andre hinzu. »Ja, das ist etwas Großartiges; da hat er uns einmal recht aufgemuntert!« bemerkte er lachend. »Sei nur froh, daß du noch beiseite sprangst; sonst hättest du etwas abbekommen.«

Die Volksmenge wandte sich zu diesen Männern. Sie blieben stehen und erzählten, daß dicht neben ihnen Kanonenkugeln in ein Haus eingeschlagen wären. Unterdessen flogen unaufhörlich andere Geschosse, bald mit schnellem, mürrischem Sausen Kanonenkugeln, bald mit angenehm klingendem Pfeifen Granaten, über die Köpfe der Volksmenge hin; aber kein einziges Geschoß fiel in der Nähe nieder; alle flogen drüber weg. Alpatytsch setzte sich in seinen Wagen; der Wirt stand am Tor.

»Was hast du da zu suchen?« schrie er der Köchin zu, die mit aufgestreiften Ärmeln, im roten Unterrock, die nackten Ellbogen hin und her bewegend, nach der Straßenecke gegangen war, um zu hören, was da erzählt wurde.

»Erstaunlich, erstaunlich!« sagte sie einmal über das andere. Aber als sie die Stimme des Wirtes hörte, kam sie, den aufgeschürzten Unterrock zurechtziehend, wieder zurück.

Wieder, aber diesmal sehr nahe, pfiff etwas wie ein von oben nach unten herabfliegender Vogel; Feuer blitzte mitten auf der Straße auf; ein Knall ertönte, und die Straße wurde von Rauch verdunkelt.

»Du Biest von Kugel, was richtest du da an?« schrie der Wirt und lief zu der Köchin hin.

In dem gleichen Augenblick fingen auf verschiedenen Seiten Weiber kläglich zu heulen an; das kleine Kind weinte erschrocken los; schweigend und mit bleichen Gesichtern drängte sich das Volk um die Köchin. Aus diesem Schwarm heraus waren die Schmerzenslaute und Klagen der Köchin deutlich vernehmbar.

»O weh, ach, ach, liebe Leute! Meine lieben, guten Leute! Laßt mich nicht sterben! Meine lieben, guten Leute!«

Fünf Minuten darauf war niemand mehr auf der Straße. Die Köchin, der ein Granatsplitter die Hüfte zerrissen hatte, hatte man in die Küche getragen. Alpatytsch, sein Kutscher, Ferapontows Frau mit ihren Kindern und der Hausknecht saßen im Keller und horchten. Der Donner der Geschütze, das Pfeifen der Geschosse und das klägliche Gestöhn der Köchin, welches alle andern Laute übertönte, verstummten keinen Augenblick. Die Wirtin schaukelte bald ihr kleines Kind hin und her und redete ihm beruhigend zu, bald fragte sie flüsternd einen jeden, der in den Keller kam, wo ihr Mann sei, der auf der Straße geblieben war. Der Ladendiener, der ebenfalls in den Keller kam, teilte ihr mit, ihr Mann sei mit vielen anderen Leuten in die Kathedrale gegangen, wo das wundertätige Muttergottesbild von Smolensk ausgestellt worden sei.

Als es zu dämmern begann, wurde die Kanonade schwächer. Alpatytsch ging aus dem Keller hinaus und trat in die Haustür. Der vorher klare Abendhimmel war ganz mit Rauch überzogen. Und durch diesen Rauch schimmerte die junge, hochstehende Mondsichel seltsam hindurch. Seit der frühere furchtbare Geschützdonner schwieg, schien über der Stadt Ruhe zu lagern, die nur durch ein scheinbar durch die ganze Stadt verbreitetes Geräusch von Schritten, von Gestöhn, von fernem Geschrei und vom Knistern der Feuersbrünste unterbrochen wurde. Das Stöhnen der Köchin war jetzt verstummt. Auf zwei Seiten erhoben sich schwarze Rauchsäulen von Feuersbrünsten und zerteilten sich oben. Auf der Straße gingen und liefen, nicht in geordneten Reihen, sondern wie Ameisen aus einem zerstörten Haufen, Soldaten in verschiedenen Uniformen und nach verschiedenen Richtungen. Vor Alpatytschs Augen liefen einige von ihnen auf Ferapontows Hof. Alpatytsch trat in den Torweg. Irgendein Regiment, das hastig und sich drängend zurückging, versperrte die Straße.

»Die Stadt wird dem Feinde überlassen werden; fahren Sie weg, fahren Sie weg«, sagte zu ihm ein Offizier, der ihn bemerkt hatte; dann wandte er sich sogleich zu den Soldaten und schrie sie an:

»Ich will euch lehren, auf die Höfe zu laufen!«

Alpatytsch kehrte in das Haus zurück, rief den Kutscher und sagte ihm, daß sie jetzt fahren wollten. Hinter Alpatytsch und dem Kutscher traten auch alle Hausgenossen Ferapontows aus dem Haus. Als sie den Rauch und sogar das Feuer der Brände sahen, das jetzt in der hereinbrechenden Dunkelheit sichtbar wurde, erhoben die Weiber, die bis dahin geschwiegen hatten, auf einmal ein lautes Klagen und Jammergeschrei. Wie um ihnen zu sekundieren, erscholl ein gleiches Geschrei am andern Ende der Straße. Alpatytsch und der Kutscher brachten mit zitternden Händen die verwirrten Zügel und Stränge der Pferde unter dem Schuppendach in Ordnung.

Als Alpatytsch aus dem Tor herausfuhr, sah er, daß in Ferapontows offenstehendem Laden ein Dutzend Soldaten unter lauten Gesprächen ihre Brotbeutel und Tornister mit Weizenmehl und Sonnenblumenkernen füllten. In demselben Augenblick trat, von der Straße kommend, Ferapontow herein. Als er die Soldaten erblickte, wollte er sie zunächst heftig anschreien; aber plötzlich hielt er inne, griff sich in die Haare und brach in eine Art von schluchzendem Lachen aus.

»Schleppt alles weg, Kinder! Laßt es nicht diesen Teufeln in die Hände fallen!« schrie er, griff selbst nach einigen Säcken und warf sie auf die Straße.

Einige von den Soldaten liefen erschrocken hinaus, andere aber fuhren fort einzusacken. Als Ferapontow den reisefertigen Alpatytsch erblickte, wandte er sich zu ihm.

»Es ist zu Ende mit Rußland!« schrie er. »Alpatytsch, es ist zu Ende! Ich will selbst alles anzünden. Es ist zu Ende!« Damit lief Ferapontow auf den Hof.

Auf der Straße zogen, sie in ihrer ganzen Breite versperrend, ununterbrochen Soldaten vorüber, so daß Alpatytsch nicht abfahren konnte und sich gezwungen sah zu warten. Ferapontows Frau saß mit ihren Kindern gleichfalls auf einem Bauernwagen und wartete darauf, daß sie würde herausfahren können.

Es war schon völlige Nacht. Am Himmel standen die Sterne, und ab und zu schimmerte der meist vom Rauch verhüllte junge Mond hindurch. Wo sich der Weg zum Dnjepr hinabsenkte, mußten die Fuhrwerke Alpatytschs und der Wirtin, die sich langsam zwischen den Reihen der Soldaten und den andern Wagen fortbewegten, wieder stillhalten. Nicht weit von der Straßenkreuzung, wo die Fuhrwerke hielten, brannten in der Querstraße ein Haus und mehrere Budenläden. Das Feuer war schon heruntergebrannt. Bald schien die Flamme zu ersterben und sich in dem schwarzen Rauch zu verlieren, bald schlug sie auf einmal wieder hell empor und beleuchtete mit seltsamer Deutlichkeit die Gesichter der Menschen, die dichtgedrängt an der Straßenkreuzung standen. Vor dem Feuer huschten schwarze Menschengestalten vorbei, und durch das nie verstummende Knistern der Glut hindurch hörte man reden und schreien. Alpatytsch, der von seinem Wagen heruntergestiegen war, weil er sah, daß dieser so bald doch nicht weiterkommen könne, bog in die Querstraße ein, um sich den Brand anzusehen. Soldaten liefen unaufhörlich an dem Feuer vorbei irgendwohin und wieder zurück, und Alpatytsch sah, wie zwei derselben und mit ihnen ein Mann in einem Friesmantel aus dem Brand brennende Balken über die Straße nach einem Nachbargrundstück schleppten; andere trugen Arme voll Heu.

Alpatytsch trat zu einem großen Menschenhaufen hin, der gegenüber einem hohen, lichterloh brennenden Speicher Posten gefaßt hatte. Alle Wände waren vom Feuer ergriffen, die Hinterwand hatte sich schief gezogen, das Bretterdach war zusammengeknickt, die Balken brannten. Offenbar wartete die Menge auf den Augenblick, wo das Dach herunterstürzen werde. Auf eben dieses bevorstehende Ereignis wartete auch Alpatytsch.

»Alpatytsch!« rief auf einmal den alten Mann eine bekannte Stimme an.

»Väterchen, Euer Durchlaucht!« antwortete Alpatytsch, der sofort die Stimme seines jungen Fürsten erkannt hatte.

Fürst Andrei, in den Mantel gehüllt, hielt auf einem Rappen hinter dem Menschenhaufen und blickte Alpatytsch an.

»Wie kommst du denn hierher?« fragte er.

»Euer … Euer Durchlaucht«, stieß Alpatytsch heraus und begann zu schluchzen. »Euer … Euer … sind wir denn wirklich verloren? Der Vater …«

»Wie kommst du hierher?« fragte Fürst Andrei noch einmal.

Die Flamme loderte in diesem Augenblick hell auf und ließ Alpatytsch das blasse, ausgemergelte Gesicht seines jungen Herrn deutlich erkennen. Er erzählte, wozu er hierher gesandt sei, und daß er jetzt Mühe habe fortzukommen.

»Wie ist das, Euer Durchlaucht? Sind wir wirklich verloren?« fragte er wieder.

Fürst Andrei zog, ohne ihm eine Antwort zu geben, sein Notizbuch heraus, hob das Knie in die Höhe und schrieb mit Bleistift auf einem ausgerissenen Blatt. Er schrieb an seine Schwester:

»Smolensk wird dem Feind überlassen werden. In einer Woche wird Lysyje-Gory von den Franzosen besetzt sein. Fahrt sofort nach Moskau. Antworte mir sogleich, wann ihr abfahrt; schicke die Antwort durch besonderen Boten nach Uswjasch.«

Nachdem er dies geschrieben und das Blatt dem alten Verwalter eingehändigt hatte, setzte er ihm mündlich auseinander, wie die Abreise des Fürsten, der Prinzessin und des Sohnes nebst seinem Lehrer bewerkstelligt werden und wie und wohin ihm sogleich Antwort gesandt werden solle. Er war mit seinen Anweisungen noch nicht fertig, als ein Stabsoffizier zu Pferde, von einem Gefolge begleitet, zu ihm heransprengte.

»Sie sind Oberst?« schrie der Stabsoffizier mit deutscher Klangfarbe und mit einer Stimme, die dem Fürsten Andrei bekannt vorkam. »In Ihrer Gegenwart werden Häuser angezündet, und Sie stehen ruhig dabei? Was soll das heißen? Sie werden sich dafür zu verantworten haben!« schrie Berg, der jetzt Gehilfe des Chefs des Stabes des stellvertretenden Stabschefs des Kommandeurs des linken Flügels der Infanterie der ersten Armee war, »ein sehr angenehmer Posten, der die Blicke auf sich zieht«, wie sich Berg auszudrücken pflegte.

Fürst Andrei blickte ihn an und fuhr, ohne ihm zu antworten, in seinem Gespräch mit Alpatytsch fort:

»Bestelle also, daß ich bis zum zehnten auf Antwort warten werde; sollte ich aber am zehnten noch nicht die Nachricht erhalten haben, so werde ich selbst alles stehen- und liegenlassen und nach Lysyje-Gory kommen.«

»Ich habe Ihnen das nur deshalb gesagt, Fürst«, sagte Berg, der inzwischen den Fürsten Andrei erkannt hatte, zu seiner Entschuldigung, »weil es meine Pflicht ist, die mir erteilten Befehle auszuführen; denn diese führe ich immer auf das genaueste aus. Bitte, nehmen Sie mir nichts übel.«

Es krachte etwas im Feuer. Die Flamme beruhigte sich für einen Augenblick. Schwarze Rauchwolken wälzten sich unter dem Dach hervor. Noch einmal krachte es furchtbar im Feuer, und etwas Großes, Wuchtiges stürzte herab.

»Hu-hu-hu!« heulte die Menge auf und begleitete damit den Einsturz des Speicherdaches. Von dem verbrennenden Getreide verbreitete sich ein Geruch, wie wenn Kuchen gebacken würde. Die Flamme loderte wieder in die Höhe und erleuchtete die freudig erregten und zugleich erschöpften Gesichter der Menschen, die um den Brand herumstanden.

Der Mann im Friesmantel reckte die Arme in die Höhe und rief:

»Prächtig, Kinder! Das Feuer hat schon gefaßt! Prächtig!«

»Es ist der Hausbesitzer selbst«, sagten einige aus der Menge.

»Nun also«, schloß Fürst Andrei sein Gespräch mit Alpatytsch, »dann bestelle alles, wie ich es dir gesagt habe«, und ohne zu Berg, der schweigend neben ihm geblieben war, ein Wort der Antwort zu sagen, trieb er sein Pferd an und ritt in die Querstraße.

V


Von Smolensk aus zogen sich die russischen Truppen immer weiter zurück, und die Feinde folgten ihnen. Am 10. August kam das Regiment, das Fürst Andrei befehligte, auf der großen Straße an dem Weg vorüber, der nach Lysyje-Gory abzweigte. Schon seit mehr als drei Wochen herrschten Hitze und Trockenheit. Täglich zogen am Himmel krause Wolken hin, die ab und zu die Sonne verdeckten; aber zum Abend klärte es sich immer wieder auf, und die Sonne ging in braunrotem Dunst unter. Nur in der Nacht erfrischte starker Tau die Erde. Das noch auf dem Feld stehende Getreide verdorrte und fiel aus. Die Sümpfe waren ausgetrocknet. Das Vieh, das auf den von der Sonne verbrannten Wiesen keine Nahrung fand, brüllte vor Hunger. Nur nachts und in den Wäldern, solange der Tau sich noch hielt, war es kühl. Aber auf der großen Landstraße, auf der die Truppen marschierten, merkte man selbst bei Nacht und in den Wäldern nichts von dieser Abkühlung. In dem Sandstaub des mehr als eine Spanne tief zertretenen und aufgewühlten Weges war kein Tau zu spüren. Sowie es morgens dämmerte, wurde der Marsch angetreten. Lautlos bewegte sich alles in dem weichen, dunstigen, bei Nacht nicht abgekühlten, heißen Staub vorwärts, in den die Wagen und die Geschütze bis an die Naben, die Fußgänger bis an die Knöchel einsanken. Ein Teil dieses Sandstaubes wurde durch die Füße und Räder zusammengeknetet; aber ein anderer Teil stieg in die Höhe, stand als Wolke über den Truppen und setzte sich in den Augen, den Haaren, den Ohren, den Nasenlöchern und ganz besonders in den Lungen der Menschen und Tiere fest, die auf diesem Weg dahinzogen. Je höher die Sonne stieg, um so höher erhob sich auch diese Staubwolke, und durch diesen feinen, heißen Staub hindurch konnte man in die Sonne, auch wenn sie nicht von Wolken verhüllt war, mit bloßem Auge hineinsehen. Die Sonne erschien als ein großer, purpurner Ball. Wind war nicht vorhanden, und die Menschen erstickten fast in dieser unbeweglichen Luft. Auf dem Marsch banden sie sich Tücher um Nase und Mund. Kam man zu einem Dorf, so stürzten alle zu dem Ziehbrunnen hin. Man schlug sich um das Wasser und trank es bis auf den schmutzigen Grund aus.

Fürst Andrei kommandierte ein Regiment, und seine Zeit und sein Interesse waren hinreichend damit ausgefüllt, daß er sein Regiment in guter Ordnung hielt, für das Wohlergehen seiner Leute sorgte und die notwendigen Befehle empfing und erteilte. Der Brand von Smolensk und die Räumung dieser Stadt bildeten für des Fürsten Andrei gesamte Anschauungsweise eine Epoche. Ein neues Gefühl des Hasses gegen den Feind ließ ihn seinen eigenen Kummer vergessen. Er widmete sich völlig der Tätigkeit für sein Regiment, sorgte treu für seine Mannschaft und für seine Offiziere und war gegen sie freundlich. Im Regiment wurde er »unser Fürst« genannt; man war stolz auf ihn und liebte ihn. Aber gut und freundlich war er nur gegen die Angehörigen seines Regiments, gegen Timochin und Leute von dessen Art, gegen völlig neue Menschen aus einer fremden Sphäre, gegen Menschen, die von seiner Vergangenheit nichts wissen und nichts verstehen konnten; aber sowie er mit einem seiner früheren Kameraden aus dem Stab zusammentraf, kehrte er sofort wieder alle Stacheln heraus und nahm einen boshaften, spöttischen, geringschätzigen Ton an. Alles, was in ihm die Erinnerung an die Vergangenheit wachrief, stieß ihn ab, und daher war sein Bestreben, wo er mit dieser seiner früheren Welt in Berührung kam, lediglich darauf gerichtet, sich nichts Unrechtes zuschulden kommen zu lassen und seine Pflicht zu erfüllen.

Allerdings erschien dem Fürsten Andrei alles in trübem, düsterem Licht, namentlich nachdem Smolensk, das man nach seiner Ansicht hätte verteidigen können und verteidigen müssen, am 6. August geräumt war, und nachdem sich für seinen kranken Vater die Notwendigkeit ergeben hatte, zu flüchten und das so sehr geliebte Lysyje-Gory der Plünderung preiszugeben, das er selbst gebaut und mit Einwohnern besiedelt hatte; aber trotzdem war Fürst Andrei dank seiner Stellung als Regimentskommandeur imstande, an einen anderen Gegenstand zu denken, der mit allgemeinen Fragen in gar keinem Zusammenhang stand: eben an sein Regiment. Am 10. August kam die Heeresabteilung, zu der sein Regiment gehörte, an Lysyje-Gory seitwärts vorbei. Fürst Andrei hatte zwei Tage vorher die Nachricht erhalten, daß sein Vater, sein Sohn und seine Schwester nach Moskau abgereist seien. Obgleich Fürst Andrei unter diesen Umständen nun eigentlich in Lysyje-Gory nichts mehr zu tun hatte, entschloß er sich mit der ihm eigenen Passion, in seinem Gram zu wühlen, dennoch, einen Abstecher dorthin zu machen.

Er ließ sich ein frisches Pferd satteln und ritt, von der marschierenden Kolonne seitlich abbiegend, nach seinem väterlichen Gut, wo er geboren war und seine Kindheit verlebt hatte. Als er an dem Teich vorbeikam, an dem sonst immer Dutzende von Weibern unter munterem Geschwätz ihre Wäsche mit den Holzschlegeln klopften und spülten, bemerkte er, daß niemand am Teich war und das losgerissene Floß, halb vom Wasser überspült, schief mitten auf dem Teich schwamm. Fürst Andrei ritt zu dem Wächterhäuschen hin. Bei dem steinernen Eingangstor war kein Mensch zu sehen, und die Tür stand offen. Die Gartenwege waren schon mit Unkraut bewachsen, und Kälber und Pferde gingen im englischen Garten umher. Fürst Andrei ritt nach den Treibhäusern: die Glasscheiben waren zerbrochen, von den Bäumen in Kübeln manche umgeworfen, andere vertrocknet. Er rief nach dem Gärtner Taras; aber niemand antwortete. Als er dann um die Treibhäuser herum nach dem Vorplatz bog, sah er, daß der Lattenzaun völlig zerstört und die Pflaumen mitsamt den Zweigen von den Bäumen heruntergerissen waren. Ein alter Bauer (Fürst Andrei hatte ihn in seiner Kindheit manchmal am Tor gesehen) saß auf einer grünen Bank und flocht Bastschuhe.

Er war taub und hatte nicht gehört, daß Fürst Andrei herangeritten kam. Er saß auf derselben Bank, auf der sonst der alte Fürst immer gern gesessen hatte; neben ihm hing der Bast auf den Zweigen einer umgeknickten, vertrockneten Magnolie.

Fürst Andrei ritt nach dem Haus hin. Mehrere Linden in dem alten Garten waren umgehauen; eine scheckige Stute mit ihrem Fohlen ging dicht vor dem Haus zwischen den Rosenstöcken umher. Am Haus waren die Fensterläden geschlossen. Nur ein einziges Fenster unten war offen. Ein Gutsjunge, der den Fürsten Andrei erblickte, lief schnell ins Haus hinein; Alpatytsch, der seine Familie fortgeschickt hatte, war allein in Lysyje-Gory zurückgeblieben; er saß im Haus und las die Heiligenlegenden. Sobald er von der Ankunft des Fürsten Andrei erfuhr, kam er, noch mit der Brille auf der Nase und sich im Gehen den Rock zuknöpfend, eilig aus dem Haus, trat auf den Fürsten zu, brach, ohne ein Wort zu sagen, in Tränen aus und küßte dem Fürsten Andrei das Knie.

Dann wandte er sich, ärgerlich über seine eigene Schwäche, ab und begann ihm über den Stand der Dinge Bericht zu erstatten. Alle Kostbarkeiten und Wertgegenstände waren nach Bogutscharowo gebracht. Auch das Korn, etwa hundert Tschetwert, war dorthin transportiert; das Heu hatten die Soldaten genommen, auch hatten sie das noch unreife, nach Alpatytschs Angabe in diesem Jahr ungewöhnlich gute Sommergetreide abgemäht. Die Bauern waren zugrunde gerichtet; die meisten waren ebenfalls nach Bogutscharowo gezogen; ein kleiner Teil war zurückgeblieben.

Fürst Andrei fragte, ohne seinen Bericht zu Ende zu hören:

»Wann sind mein Vater und meine Schwester abgereist?« Er meinte damit, wann sie nach Moskau gefahren wären.

Alpatytsch, welcher glaubte, die Frage beziehe sich auf die Abreise nach Bogutscharowo, antwortete, sie seien am 7. abgereist, begann wieder ausführlich von Wirtschaftsangelegenheiten zu sprechen und erbat sich Instruktionen.

»Befehlen Sie, daß den Truppen Hafer gegen Quittung abgelassen wird? Wir haben noch sechshundert Tschetwert übrig«, fragte Alpatytsch.

»Was soll ich ihm darauf antworten?« dachte Fürst Andrei, während er auf den in der Sonne glänzenden Kahlkopf des alten Mannes blickte und aus dem Gesichtsausdruck desselben entnahm, daß dieser sich des Unzeitgemäßen dieser Fragen selbst sehr wohl bewußt war und nur fragte, um seinen eigenen Kummer zu übertäuben.

»Ja, ja, laß nur ab«, erwiderte er.

»Wenn Sie im Garten Unordnung bemerkt haben«, sagte Alpatytsch, »so wollen Sie deswegen nicht zürnen: es war unmöglich, es zu verhüten; drei Regimenter sind hier durchgezogen und haben hier übernachtet, namentlich auch Dragoner. Ich habe die Namen und Titel der Kommandeure aufgeschrieben, um Beschwerden einzureichen.«

»Nun, und was wirst du selbst denn jetzt anfangen? Wirst du hierbleiben, wenn der Feind kommt?« fragte ihn Fürst Andrei.

Alpatytsch wandte sein Gesicht dem Fürsten Andrei zu, blickte ihn an und hob plötzlich mit feierliche Gebärde die Hände zum Himmel.

»Er ist mein Beschützer; Sein Wille geschehe!« sagte er.

Ein Haufe von Bauern und Gutsleuten kam barhäuptig über die Wiese und näherte sich dem Fürsten Andrei.

»Nun, dann leb wohl!« sagte Fürst Andrei und beugte sich zu Alpatytsch hinunter. »Geh nur auch fort und nimm mit, was du kannst; die Leute laß auf das Rjasansche Gut oder auf das bei Moskau gehen.«

Alpatytsch drückte sich gegen das Bein des Fürsten und schluchzte. Fürst Andrei schob ihn behutsam zurück, trieb sein Pferd an und galoppierte die Allee hinunter.

Auf dem Vorplatz bei den Treibhäusern saß immer noch ebenso teilnahmslos wie vorher, einer Fliege auf dem Antlitz eines teuren Verstorbenen vergleichbar, der Alte und klopfte an dem Leisten eines Bastschuhes herum, und zwei kleine Mädchen, die Kleiderschöße voll Pflaumen, die sie von den in den Treibhäusern gezogenen Bäumchen abgerissen hatten, kamen von dort gelaufen und stießen gerade auf den Fürsten Andrei. Als sie den jungen Herrn erblickten, ergriff das ältere Mädchen, auf dessen Gesicht sich der Schreck deutlich ausprägte, ihre jüngere Kameradin bei der Hand und versteckte sich mit ihr hinter einer Birke, ohne sich Zeit zu nehmen, einige dabei hingefallene grüne Pflaumen aufzusammeln.

Mit ängstlicher Eile wendete sich Fürst Andrei von ihnen ab, damit sie nicht merken möchten, daß er sie gesehen hatte. Diese hübsche ältere Kleine, die einen solchen Schreck bekommen hatte, tat ihm leid. Er fürchtete sich, sie anzusehen, hatte aber gleichzeitig ein unwiderstehliches Verlangen, es zu tun. Ein neues, tröstliches, beruhigendes Gefühl war über ihn gekommen, als er beim Anblick dieser Mädchen die Existenz anderer, ihm völlig fremder und doch ebenso berechtigter menschlicher Interessen erkannt hatte, wie es diejenigen waren, die ihn beschäftigten. Diese beiden kleinen Mädchen hatten offenbar nur den einen leidenschaftlichen Wunsch, diese grünen Pflaumen davonzutragen und aufzuessen, ohne dabei ertappt zu werden, und Fürst Andrei wünschte mit ihnen ihrem Unternehmen ein gutes Gelingen. Er konnte sich doch nicht enthalten, noch einmal nach den beiden hinzublicken. Sich bereits in Sicherheit glaubend, sprangen sie aus ihrem Versteck hervor, und mit den hellen Stimmchen lustig zwitschernd und die Kleiderschöße in die Höhe haltend, liefen sie schnell und munter mit ihren verbrannten, nackten Füßchen durch das Gras der Wiese dahin.

Fürst Andrei hatte es als eine Erfrischung empfunden, daß er für eine Weile aus dem Bereich des Staubes der großen Landstraße, auf der die Truppen marschierten, herausgekommen war. Aber nicht weit von Lysyje-Gory bog er wieder in die große Straße ein und erreichte sein Regiment an einem Rastplatz, bei dem Damm eines kleinen Teiches. Es war zwei Uhr nachmittags. Die Sonne, ein roter Ball in dem Staub, brannte und stach unerträglich auf dem Rücken durch den schwarzen Rock hindurch. Der Staub, der sich noch nicht vermindert hatte, schwebte unbeweglich über den lagernden Truppen, deren Redegesumm weithin zu hören war. Kein Lüftchen rührte sich. Als Fürst Andrei auf den Damm ritt, wehte ihm vom Teich her eine leise Kühlung und der Geruch von Schlamm und Wasserpflanzen entgegen. Ein Verlangen zu baden kam ihm an, mochte das Wasser auch noch so schmutzig sein. Er blickte nach dem Teich hin, von welchem Geschrei und Gelächter herübertönte. Der kleine, trübe, mit grünen Wasserpflanzen durchwachsene Teich war augenscheinlich um einen Fuß gestiegen und überflutete den Damm, weil er ganz voll war von einer Menge nackter, weißer, darin umherplätschernder Soldatenleiber mit ziegelroten Händen, Gesichtern und Hälsen. All dieses nackte, weiße Menschenfleisch plätscherte unter Lachen und Kreischen in dieser schmutzigen Pfütze umher, wie Karauschen, die in eine Gießkanne zusammengepfercht sind. Dieses Plätschern zeugte von Frohsinn und Heiterkeit und machte eben dadurch einen um so schmerzlicheren Eindruck.

Ein junger, blonder Soldat von der dritten Kompanie (Fürst Andrei kannte ihn sogar), mit einem kleinen Riemen unterhalb der Wade, bekreuzte sich und trat dann ein paar Schritte zurück, um einen ordentlichen Anlauf zu nehmen und sich ins Wasser zu stürzen; ein anderer, ein schwarzhaariger, immer strubbliger Unteroffizier, stand bis über die Hüften im Wasser, zuckte wohlig mit dem muskulösen Körper und prustete vergnügt, indem er sich mit seinen schwarzbehaarten Händen Wasser über den Kopf schüttete. Man hörte, wie die Soldaten einander klatschende Schläge versetzten, kreischten und juchzten.

An den Ufern und auf dem Damm und im Teich, überall sah man weißes, gesundes, muskulöses Fleisch. Der rotnasige Offizier Timochin trocknete sich auf dem Damm mit einem Handtuch ab und genierte sich, als er den Fürsten erblickte; indes entschloß er sich doch, ihn anzureden.

»Das tut wohl!« sagte er. »Euer Durchlaucht sollten es auch tun!«

»Es ist gar zu schmutzig«, erwiderte Fürst Andrei, die Stirn runzelnd.

»Wir werden es sofort für Sie reinigen.« Und noch nicht angekleidet lief Timochin hin, um die Reinigung anzuordnen.

»Der Fürst will baden.«

»Welcher? Unser Fürst?« fragten mehrere Soldaten, und alle gerieten so in Hast und Eifer, daß Fürst Andrei sie nur mit Mühe beruhigen konnte. Es war ihm der Gedanke gekommen, sich lieber in der Scheune des Müllers mit Wasser zu begießen.

»Menschenfleisch, chair à canon, Kanonenfutter!« dachte er, als er seinen eigenen nackten Körper ansah, und schauderte zusammen, nicht sowohl vor Kälte, als vielmehr infolge eines ihm selbst nicht recht verständlichen Widerwillens und Schreckens, den er beim Anblick dieser gewaltigen Menge von Menschenleibern, die in dem schmutzigen Teich umherplätscherten, empfunden hatte.


Am 7. August schrieb Fürst Bagration von seinem an der Smolensker Landstraße gelegenen Marschquartier Michailowka aus den folgenden Brief:


»Gnädiger Herr Graf Alexei Andrejewitsch!«

(Er schrieb an Araktschejew, wußte aber, daß auch der Kaiser seinen Brief lesen werde, und überlegte daher, soweit er dazu imstande war, jedes seiner Worte.)

»Ich meine, der Minister wird bereits berichtet haben, daß Smolensk dem Feind überlassen ist. Es ist schmerzlich und tief betrübend, daß man einen so wichtigen Platz ohne zwingenden Grund aufgegeben hat, und die ganze Armee ist darüber in Verzweiflung. Ich meinerseits habe den Minister persönlich und zuletzt auch schriftlich auf das allerdringlichste gebeten; aber nichts vermochte Eindruck auf ihn zu machen. Ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre, daß Napoleon sich in einer solchen Sackgasse befand, wie nie vorher, und daß er Smolensk nicht hätte nehmen, wohl aber die Hälfte seiner Armee verlieren können. Unsere Truppen haben sich so tapfer geschlagen wie nie vorher und werden das auch künftig tun. Ich habe mit fünfzehntausend Mann länger als fünfunddreißig Stunden standgehalten und die Feinde geschlagen; aber er hat nicht einmal vierzehn Stunden dableiben wollen. Das ist eine Schmach und Schande für unsere Armee, und er selbst täte meines Erachtens am besten, aus der Welt zu gehen. Wenn er berichtet, daß unser Verlust groß sei, so ist das eine Unwahrheit; vielleicht gegen viertausend Mann, nicht mehr, und auch das nicht; aber wenn es auch zehntausend wären, so wäre nichts darüber zu sagen … es ist eben Krieg. Aber dafür hat der Feind eine Unmenge von Leuten verloren.

Was wäre es denn für uns für eine Anstrengung gewesen, noch zwei Tage dazubleiben? Schließlich wären die Franzosen von selbst abgezogen, weil sie kein Wasser für die Mannschaften und für die Pferde hatten. Er hatte mir sein Wort gegeben, nicht wegzugehen; aber auf einmal schickte er mir seine Disposition, daß er in der Nacht aufbrechen werde. Auf die Art ist eine ordentliche Kriegführung unmöglich, und wir können den Feind bald nach Moskau hinführen …

Es geht das Gerücht, daß Sie an Frieden denken. Gott behüte uns jetzt vor einem Friedensschluß! Wenn Sie nach all diesen Opfern und nach einem so sinnlosen Rückzug Frieden schließen wollten, würden Sie ganz Rußland gegen sich aufbringen, und jeder von uns würde es für eine Schande halten, die Uniform zu tragen. Da es einmal so weit gekommen ist, müssen wir uns auch schlagen, solange Rußland kann und solange wir Truppen auf den Beinen haben.

Das Kommando muß einer haben, nicht zwei. Ihr Minister ist vielleicht brauchbar dazu, ein Ministerium zu verwalten, aber als General ist er nicht etwa nur mäßig, sondern geradezu jammervoll; und einem solchen Mann hat man das Schicksal unseres ganzen Vaterlandes in die Hände gelegt … Wahrhaftig, ich verliere den Verstand vor Ärger; verzeihen Sie mir, daß ich so dreist schreibe. Das ist klar: wer da rät, den Minister die Armee kommandieren zu lassen und Frieden zu schließen, der liebt den Kaiser nicht und wünscht uns allen den Untergang. Also ich gebe Ihnen den guten Rat: setzen Sie die Landwehr in Bereitschaft. Denn der Minister führt in der meisterhaftesten Art und Weise unsere fremden Gäste hinter sich her nach der Hauptstadt. Das größte Mißtrauen erweckt bei der ganzen Armee der Herr Flügeladjutant Wolzogen. Man sagt, er stehe mehr auf Napoleons Seite als auf der unsrigen, und doch ist er es, der den Minister in allem berät. Ich bin gegen ihn nicht nur höflich, sondern gehorche ihm sogar wie ein Korporal, obwohl ich einen höheren Dienstrang habe. Das ist schmerzlich für mich; aber aus Liebe zu meinem Kaiser und Wohltäter gehorche ich. Mir tut nur der Kaiser leid, daß er seine prächtige Armee solchen Menschen anvertraut. Stellen Sie sich vor, daß wir durch unsern Rückzug mehr als fünfzehntausend Mann infolge von Erschöpfung und in den Hospitälern verloren haben; wenn wir angegriffen hätten, wäre das nicht geschehen. Ich bitte Sie um alles in der Welt: was wird unsere Mutter Rußland dazu sagen, daß wir uns so feige zeigen, und warum vertrauen wir unser braves, opferfreudiges Vaterland diesem Gesindel an und erfüllen das Herz eines jeden Untertanen mit Haß und Beschämung? Wovor brauchen wir denn Angst zu haben, und wen haben wir zu fürchten? Ich kann nichts dafür, daß der Minister unentschlossen, feige, unverständig und langsam ist und alle möglichen schlechten Eigenschaften besitzt. Die ganze Armee ist darüber unglücklich, schimpft auf ihn und wünscht ihm den Tod.«

VI


Man kann die Erscheinungen des sozialen Lebens, wie nach unzähligen anderen Einteilungsprinzipien, so auch danach einteilen, ob bei ihnen der Inhalt oder die Form vorwiegt. Zu diesen letzteren ist, im Gegensatz zu dem Leben auf dem Land, in den Provinzialstädten, ja selbst in Moskau, das Leben in Petersburg zu zählen, und ganz besonders das Leben in den Salons.

Dieses Leben unterliegt keinen Veränderungen. Seit dem Jahr 1805 hatten wir mit Bonaparte Frieden geschlossen und von neuem Streit bekommen, hatten Staatsverfassungen geschaffen und wieder aufgehoben; aber der Salon Anna Pawlownas und der der Gräfin Besuchowa waren genau dieselben geblieben, die sie, der eine sieben, der andere fünf Jahre vorher, gewesen waren. Ganz in derselben Weise wie früher sprach man bei Anna Pawlowna mit verständnisloser Verwunderung von Bonapartes Erfolgen und sah sowohl in diesen Erfolgen als auch in der Nachgiebigkeit der europäischen Monarchen gegen ihn lediglich das Resultat einer boshaften Verschwörung, deren einziger Zweck es sei, denjenigen Kreis der Hofgesellschaft, dessen Repräsentantin Anna Pawlowna war, zu ärgern und zu beunruhigen. Und die gleiche Unveränderlichkeit wies auch der Salon der schönen Helene auf, welche sogar Rumjanzew selbst seiner Besuche würdigte und für eine Frau von bemerkenswertem Verstand erklärte: hier sprach man im Jahr 1812 genauso wie im Jahre 1808 mit Enthusiasmus von der großen Nation und dem großen Mann und bedauerte lebhaft unseren Bruch mit Frankreich, der nach der Ansicht der Personen, die sich in Helenes Salon versammelten, baldigst durch einen Friedensschluß beendet werden müsse.

In der letzten Zeit, nach der Rückkehr des Kaisers von der Armee, hatte sich dieser beiden einander gegenüberstehenden Salonkreise eine gewisse Erregung bemächtigt, und es waren mehrmals Demonstrationen des einen Kreises gegen den andern erfolgt; aber die Richtung der beiden Kreise war unverändert geblieben. In Anna Pawlownas Kreis fanden von Franzosen nur eingefleischte Legitimisten Aufnahme, und der Patriotismus bekundete sich in der Forderung, man solle nicht mehr das französische Theater besuchen, und in der Entrüstung darüber, daß die Unterhaltung dieser Schauspielertruppe ebensoviel koste wie die Unterhaltung eines ganzen Armeekorps. Die Ereignisse auf dem Kriegsschauplatz verfolgte man mit lebhaftestem Interesse und kolportierte die für unsere Armee günstigsten Gerüchte. In Helenes Kreis dagegen, der französisch gesinnt war und auch Rumjanzew zu seinen Mitgliedern zählte, wurde den Gerüchten über die Grausamkeit des Feindes und die Greuel des Krieges widersprochen und alle Versuche Napoleons, eine Aussöhnung herbeizuführen, anerkennend gewürdigt. In diesem Kreis schalt man auf diejenigen, die zu verfrühten Maßnahmen geraten hatten, so zu einer Verlegung des Hofes und der unter dem Protektorat der Kaiserinmutter stehenden weiblichen Erziehungsanstalten nach Kasan. Überhaupt wurde in Helenes Salon der ganze Krieg als eine leere Demonstration aufgefaßt, die sehr bald durch den Friedensschluß ein Ende finden werde, und es herrschte die Anschauung Bilibins, der jetzt in Petersburg Helenes Hausfreund war (jeder geistreiche Mann mußte in ihrem Salon verkehren), daß der Streit nicht durch das Pulver, sondern durch diejenigen, die es erfunden hätten, erledigt werde. In diesem Kreis machte man sich in ironischer und sehr geistreicher Weise, jedoch mit großer Vorsicht, über den Moskauer Enthusiasmus lustig, von welchem zugleich mit der Rückkehr des Kaisers Nachrichten nach Petersburg gelangt waren.

In Anna Pawlownas Kreis dagegen war man von diesem Enthusiasmus entzückt und sprach von den Moskauern wie Plutarch von den Patrioten des Altertums. Fürst Wasili, der immer noch dieselben hohen Ämter bekleidete, bildete das Verbindungsglied zwischen den beiden Kreisen. Er verkehrte, wie er sich ausdrückte, sowohl bei seiner guten Freundin Anna Pawlowna als auch in dem Diplomatensalon seiner Tochter, und bei dem beständigen Hin- und Herwechseln von einem Lager in das andere verwirrte er sich oft und sagte bei Helene etwas, was er bei Anna Pawlowna hätte sagen sollen, und umgekehrt.

Bald nach der Rückkehr des Kaisers beteiligte sich Fürst Wasili bei Anna Pawlowna an einem Gespräch über die Kriegsangelegenheiten, tadelte dabei Barclay de Tolly auf das schärfste, war sich aber noch nicht klar darüber, wer am zweckmäßigsten zum Oberkommandierenden zu ernennen sei. Ein anderer Gast, bekannt unter der Bezeichnung »ein Mann von großen Verdiensten«, erzählte, er habe heute gesehen, wie der zum Befehlshaber der Petersburger Landwehr ernannte Kutusow sich im Kameralhof an einer Beratung über die Einstellung der Wehrleute beteiligt habe, und knüpfte daran vorsichtig die Vermutung, daß Kutusow wohl der Mann sein könne, der allen Anforderungen entsprechen werde.

Anna Pawlowna lächelte trübe und bemerkte, Kutusow habe dem Kaiser bisher immer nur Unannehmlichkeiten bereitet.

»Ich habe in der Adelsversammlung geredet und geredet«, fiel ihr Fürst Wasili ins Wort, »aber man wollte nicht auf mich hören. Ich habe gesagt, seine Wahl zum Befehlshaber der Landwehr werde dem Kaiser nicht gefallen. Aber sie hörten nicht darauf.

Es herrscht eine wahre Manie, zu frondieren«, fuhr er fort. »Und gegen wen? Und das kommt alles daher, daß wir den dummen Enthusiasmus der Moskauer nachäffen wollen«, sagte Fürst Wasili, der für einen Augenblick vergaß, daß man sich bei Helene über den Enthusiasmus der Moskauer lustig machen, bei Anna Pawlowna aber von ihm entzückt sein mußte. Aber er kam sogleich wieder in das richtige Geleise. »Nun, paßt sich das etwa, daß Graf Kutusow, der älteste General in Rußland, im Kameralhof sitzt? Den Oberbefehl zu bekommen wird ihm ja doch nicht gelingen. Kann denn etwa zum Oberkommandierenden ein Mann ernannt werden, der nicht zu Pferde sitzen kann, der bei Beratungen einschläft und dessen unmoralischer Lebenswandel allgemein bekannt ist? Ein nettes Renommee hat er sich in Bukarest gemacht! Von seinen Eigenschaften als General will ich nicht reden; aber kann denn in einem solchen Augenblick zum Oberkommandierenden ein Mensch ernannt werden, der altersschwach und blind ist? Jawohl, geradezu blind. Ein blinder General, das wird sich vorzüglich machen! Er sieht gar nichts. Es wird das reine Blindekuhspiel werden … Absolut nichts sieht er!«

Niemand hatte etwas darauf zu entgegnen.

Am 24. Juli war dies vollständig richtig. Aber am 29. Juli wurde Kutusow in den Fürstenstand erhoben. Diese Erhebung konnte ja nun freilich auch die Bedeutung haben, daß man sich von ihm freizumachen wünschte, und darum war das Urteil des Fürsten Wasili noch nicht als unrichtig erwiesen, wiewohl er sich jetzt nicht mehr beeilte es auszusprechen. Aber am 8. August wurde ein Komitee, bestehend aus dem Generalfeldmarschall Saltykow, Araktschejew, Wjasmitinow, Lopuchin und Kotschubei, berufen, welches über die Kriegsangelegenheiten ein Gutachten abgeben sollte. Und dieses Komitee kam zu dem Schluß, die Mißerfolge seien auf die Vielköpfigkeit der Oberleitung zurückzuführen; und obgleich den Personen, die das Komitee bildeten, die Abneigung des Kaisers gegen Kutusow bekannt war, brachte das Komitee dennoch nach kurzer Beratung die Ernennung Kutusows zum Oberkommandierenden in Vorschlag. Und noch an demselben Tag wurde Kutusow zum unumschränkten Oberkommandierenden der Armee und des ganzen von den Truppen besetzten Gebietes ernannt.

Am 9. August traf Fürst Wasili bei Anna Pawlowna wieder mit dem Mann von großen Verdiensten zusammen. Der Mann von großen Verdiensten bemühte sich sehr um Anna Pawlownas Gunst, weil er den Wunsch hatte, zum Kurator eines weiblichen Erziehungsinstitutes ernannt zu werden. Fürst Wasili trat mit der Miene eines glücklichen Siegers ins Zimmer, mit der Miene eines Mannes, der das Ziel seiner Wünsche erreicht hat.

»Nun, Sie kennen gewiß schon die große Neuigkeit. Fürst Kutusow ist Feldmarschall. Alle Meinungsverschiedenheiten in der Oberleitung haben nun ein Ende. Ich bin so glücklich, so froh!« sagte Fürst Wasili. »Das ist endlich einmal ein Mann!« fügte er hinzu und blickte alle im Salon Anwesenden ernst und bedeutungsvoll an.

Der Mann von großen Verdiensten konnte trotz seines Wunsches, die Stelle zu bekommen, sich nicht enthalten, den Fürsten Wasili an das Urteil zu erinnern, das dieser vor kurzem ausgesprochen hatte. (Dies war unhöflich, sowohl gegen den Fürsten Wasili in Anna Pawlownas Salon als auch gegen Anna Pawlowna, welche diese Neuigkeit ebenso freudig begrüßt hatte; aber er konnte sich eben nicht beherrschen.)

»Aber, Fürst, es heißt doch, er sei blind«, bemerkte er, um damit den Fürsten Wasili an dessen eigene Worte zu erinnern.

»Sagen Sie das nicht; der sieht schon genug!« erwiderte Fürst Wasili schnell mit tiefer Stimme und einem besonderen Räuspern, mit jener Stimme und jenem Räuspern, womit er alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen gewohnt war.

»Sagen Sie das nicht; der sieht schon genug«, wiederholte er. »Und worüber ich mich besonders freue, das ist, daß der Kaiser ihm unumschränkte Gewalt über alle Armeen und den gesamten Kriegsschauplatz gegeben hat. Das ist eine Macht, wie sie noch nie ein Oberkommandierender besessen hat; er ist geradezu ein zweiter Herrscher«, schloß er mit einem siegesfrohen Lächeln.

»Gott gebe dazu seinen Segen!« sagte Anna Pawlowna.

Der Mann von großen Verdiensten, der in der höfischen Gesellschaft noch ein Neuling war, wollte gern Anna Pawlowna dadurch etwas Angenehmes erweisen, daß er für eine von ihr früher ausgesprochene Ansicht einen Beleg beibrachte, und äußerte daher:

»Es heißt, der Kaiser habe Kutusow diese Macht nur ungern übertragen. Er soll rot geworden sein wie ein junges Mädchen, dem man Lafontaines ›Jaconde‹ vorliest, als er zu ihm sagte: ›Der Herrscher und das Vaterland übertragen Ihnen dieses ehrenvolle Amt.‹«

»Mag sein, daß sein Herz nicht dabei beteiligt war«, sagte Anna Pawlowna.

»O nein, nein!« fiel Fürst Wasili mit der Wärme eines eifrigen Verteidigers ein. Jetzt durfte er nicht mehr dulden, daß jemand von Kutusow etwas Nachteiliges sagte. Nach des Fürsten Wasili Ansicht war Kutusow nicht nur selbst ein vortrefflicher Mensch, sondern er wurde auch von allen vergöttert. »Nein, das ist unmöglich; der Kaiser hat ihn schon früher außerordentlich zu schätzen gewußt«, sagte er.

»Gott gebe nur«, sagte Anna Pawlowna, »daß Fürst Kutusow tatsächlich eine so umfassende Amtsgewalt erhalten hat und sich von niemandem Knüttel in die Räder werfen läßt.«

Fürst Wasili verstand sofort, auf wen das ging: »von niemandem«. Er bemerkte flüsternd:

»Ich weiß bestimmt, daß Kutusow als unerläßliche Bedingung verlangt hat, der Thronfolger dürfe nicht bei der Armee sein. Wissen Sie, was er zum Kaiser gesagt hat?«

Und Fürst Wasili führte die Worte an, die Kutusow angeblich zum Kaiser gesagt hatte: »Ich kann ihn nicht bestrafen, wenn er etwas schlecht macht, und nicht belohnen, wenn er etwas gut macht.«

»Oh, er ist ein überaus kluger Kopf, der Fürst Kutusow; ich kenne ihn seit langer Zeit«, fügte Fürst Wasili hinzu.

»Es heißt sogar«, sagte der Mann von großen Verdiensten, der noch keinen höfischen Takt besaß, »der durchlauchtige Fürst habe zur unerläßlichen Bedingung gemacht, daß der Kaiser selbst nicht zur Armee komme.«

Sowie er das gesagt hatte, wendeten sich im gleichen Augenblick Fürst Wasili und Anna Pawlowna von ihm weg und blickten einander traurig mit einem Seufzer über seine Naivität an.

VII


Während dies in Petersburg vorging, hatten die Franzosen bereits Smolensk passiert und rückten Moskau immer näher. Napoleons Geschichtsschreiber Thiers sagt in dem Bemühen, seinen Helden zu rechtfertigen, ebenso wie die anderen Geschichtsschreiber Napoleons, Napoleon sei wider seinen Willen zu den Mauern Moskaus hingeleitet worden. Er hat in demselben Maß recht, in welchem alle Geschichtsschreiber recht haben, die die historischen Ereignisse aus dem Willen eines einzelnen Menschen zu erklären suchen; er hat in demselben Maß recht, in welchem die russischen Geschichtsschreiber recht haben, welche behaupten, Napoleon sei durch die Kunst der russischen Heerführer nach Moskau gelockt worden. Hier kommt außer dem Gesetz der Retrospektivität (der rückschauenden Betrachtung), nach welchem alles Vorhergehende als eine Vorbereitung auf das stattgefundene Ereignis aufgefaßt wird, noch die Wechselseitigkeit in Betracht, durch welche die ganze Sache verwirrt wird. Wenn ein guter Schachspieler eine Partie verloren hat, so wird er fest überzeugt sein, daß der Verlust der Partie von einem Fehler herrührt, den er begangen hat, und wird diesen Fehler in den Anfangsstadien des Spieles suchen; aber er vergißt dabei, daß bei jeder seiner Kombinationen, im Verlauf des ganzen Spieles, ihm ebensolche Fehler begegnet sind, und daß kein einziger Zug völlig korrekt gewesen ist. Der Fehler, auf den er seine Aufmerksamkeit richtet, scheint ihm nur deswegen bemerkenswert, weil der Gegner ihn ausgenutzt hat. Und um wieviel komplizierter als eine Schachpartie ist nun noch das Spiel des Krieges, das unter bestimmten zeitlichen Bedingungen vor sich geht, und wo nicht etwa ein einziger Wille leblose Maschinen lenkt, sondern alles das Resultat zahlloser Zusammenstöße der mannigfaltigsten selbständigen Willensregungen ist?

Nach Smolensk suchte Napoleon eine Schlacht bei Dorogobusch, dann bei Wjasma, dann bei Zarewo-Saimischtsche; aber infolge des Zusammentreffens zahlloser Umstände war es den Russen nicht möglich, früher als bei Borodino, 112 Werst von Moskau, eine Schlacht anzunehmen. Von Wjasma aus traf Napoleon die Anordnungen für den direkten Marsch nach Moskau.

»Moskau, die asiatische Hauptstadt dieses großen Reiches, die heilige Stadt der Völker Alexanders, Moskau mit seinen unzähligen Kirchen in Gestalt chinesischer Pagoden«, dieses Moskau ließ der Phantasie Napoleons keine Ruhe. Bei dem Marsch von Wjasma nach Zarewo-Saimischtsche ritt Napoleon auf seinem isabellfarbenen, anglisierten Paßgänger, begleitet von einer Abteilung seiner Garde, von seiner Leibwache, seinen Pagen und Adjutanten. Der Stabschef Berthier war zurückgeblieben, um einen von der Kavallerie eingebrachten russischen Gefangenen zu verhören. Im Galopp holte er, von dem Dolmetscher Lelorgne d’Ideville begleitet, Napoleon ein und hielt mit vergnügtem Gesicht sein Pferd an.

»Nun?« fragte Napoleon.

»Ein Platowscher Kosak sagt, das Platowsche Korps vereinige sich jetzt mit der großen Armee; Kutusow sei zum Oberkommandierenden ernannt worden. Ein sehr intelligenter, redseliger Mensch!«

Napoleon lächelte, befahl, den Kosaken auf ein Pferd zu setzen und zu ihm zu bringen; er wünsche selbst mit ihm zu reden. Einige Adjutanten sprengten davon, und eine Stunde darauf kam Lawrenti, Denisows Leibeigener, den er seinem Freund Rostow überlassen hatte, in seiner Burschenjacke, auf einem französischen Kavalleriepferd, mit schlauem, betrunkenem, vergnügtem Gesicht zu Napoleon herangeritten. Napoleon hieß ihn, neben ihm herzureiten, und begann ihn zu befragen:

»Sie sind Kosak?«

»Jawohl, Kosak, Euer Wohlgeboren.«

»Der Kosak«, sagt Thiers, der diese Episode in sein Werk aufgenommen hat, »der nicht wußte, in welcher Gesellschaft er sich befand (denn in Napoleons einfacher äußerer Erscheinung lag nichts, woraus eine orientalische Phantasie auf die Anwesenheit eines Monarchen hätte schließen können), unterhielt sich mit dem Kaiser in der zutraulichsten Weise über die Angelegenheiten des gegenwärtigen Krieges.« Der Hergang war dieser gewesen: Lawrenti hatte sich tags zuvor betrunken, für seinen Herrn kein Mittagessen beschafft, war mit Ruten gepeitscht und in ein Dorf geschickt worden, um Hühner zu holen; dort hatte er im Eifer des Marodierens es an Vorsicht fehlen lassen und war von den Franzosen gefangengenommen worden. Lawrenti war einer jener lümmelhaften, frechen, mit allen Hunden gehetzten Bedienten, die es für ihre Pflicht halten, stets schändlich und pfiffig zu handeln, die ihrem augenblicklichen Herrn zu jedem Dienst bereit sind und die die Schwächen der Vornehmen, namentlich Eitelkeit und Kleinlichkeit, schlau zu erraten verstehen.

Als Lawrenti in Napoleons Gesellschaft geriet, dessen Persönlichkeit er mit großer Sicherheit und Leichtigkeit erkannte, wurde er nicht im mindesten verlegen und war nur aus allen Kräften darauf bedacht, sich die Gunst dieses neuen Gebieters zu erwerben.

Er wußte sehr genau, daß dies Napoleon selbst war, und die Gegenwart Napoleons vermochte ihn nicht in höherem Grad in Verwirrung zu setzen als die Gegenwart Rostows oder des Wachtmeisters, der die Ruten in der Hand hielt; denn er besaß nichts, was ihm der Wachtmeister oder Napoleon hätten wegnehmen können.

Er schwatzte munter alles hin, was unter den Offiziersburschen geredet worden war, und vieles davon war zutreffend. Aber als ihn Napoleon fragte, ob die Russen meinten, sie würden den Bonaparte besiegen, oder nicht, da kniff Lawrenti die Augen zusammen und überlegte.

Er sah hierin eine feine List, wie denn Leute von Lawrentis Schlag immer in allem eine List sehen, zog die Augenbrauen zusammen und schwieg eine Weile.

»Das ist nämlich so«, sagte er endlich nachdenklich: »Wenn eine Schlacht geliefert wird, das heißt bald, dann siegt ihr. Das ist sicher. Na, aber wenn drei Tage vergehen, von heute an, na, dann zieht es sich mit der Schlacht noch länger hin.«

Dem Kaiser wurde dies folgendermaßen übersetzt: »Wenn die Schlacht innerhalb dreier Tage geliefert wird, so werden die Franzosen sie gewinnen; wird sie aber erst später geliefert, so kann niemand den Ausgang vorher wissen.« So verdolmetschte es Lelorgne d’Ideville lächelnd. Napoleon lächelte nicht, wiewohl er offenbar bester Laune war, und ließ sich diese Worte noch einmal wiederholen.

Lawrenti hatte das gemerkt, und um dem Kaiser ein Vergnügen zu machen, redete er weiter, indem er tat, als kennte er ihn nicht.

»Wir wissen, daß ihr einen Bonaparte habt, der alle in der Welt verhauen hat; na, aber mit uns wird das denn doch eine andere Sache sein …«, fügte er hinzu, ohne selbst zu wissen, wie es zuging, daß schließlich auf einmal in seinen Worten ein großsprecherischer Patriotismus zum Vorschein kam.

Der Dolmetscher übersetzte dem Kaiser diese Worte ohne den letzten Satz, und Bonaparte lächelte. »Der junge Mann brachte den mächtigen Herrscher, der sich mit ihm unterhielt, zum Lächeln«, sagt Thiers. Nachdem Napoleon schweigend einige Schritte weitergeritten war, wandte er sich an Berthier und sagte, er möchte gern die Wirkung kennenlernen, die auf diesen Sohn der donischen Steppe die Nachricht ausüben würde, daß der Mann, mit dem er, dieser Sohn der donischen Steppe, rede, der Kaiser selbst sei, eben jener Kaiser, der seinen unsterblichen Siegernamen auf die Pyramiden geschrieben habe.

Es wurde dem Kosaken diese Eröffnung gemacht.

Lawrenti, dem es nicht entging, daß dies geschah, um ihn zu verblüffen, und daß Napoleon erwartete, er werde einen Schreck bekommen, stellte sich, um es seinem neuen Gebieter zu Dank zu machen, sofort höchst erstaunt und wie betäubt, riß die Augen auf und schnitt dasselbe Gesicht, das er gewöhnlich machte, wenn er abgeführt wurde, um gepeitscht zu werden. »Kaum hatte«, sagt Thiers, »Napoleons Dolmetscher dem Kosaken diese Mitteilung gemacht, als dieser, von einer Art Erstarrung ergriffen, kein Wort mehr herausbrachte und beim Weiterreiten die Augen unverwandt auf diesen Eroberer gerichtet hielt, dessen Name durch die Steppen des Ostens hindurch bis zu ihm gedrungen war. Seine ganze Redseligkeit war plötzlich gehemmt, um einem Gefühl schweigender, naiver Bewunderung Platz zu machen. Napoleon beschenkte ihn und befahl, ihn freizulassen wie einen Vogel, den man seinen heimatlichen Fluren zurückgibt.«

Napoleon ritt weiter, in Gedanken an jenes Moskau versunken, das seine Einbildungskraft so lebhaft beschäftigte; der Vogel aber, den man seinen heimatlichen Fluren zurückgegeben hatte, galoppierte zu den russischen Vorposten hin und legte sich schon im voraus all das zurecht, was sich zwar nicht begeben hatte, was er aber seinen Kameraden erzählen wollte. Das hingegen, was ihm wirklich begegnet war, beabsichtigte er nicht zu erzählen, namentlich deshalb, weil es nach seinem Urteil nicht erzählenswert war. Er ritt an die Kosaken heran, erkundigte sich, wo sich sein Regiment befinde, das zum Platowschen Korps gehörte, und fand noch an demselben Abend seinen Herrn Nikolai Rostow wieder, der in Jankowo in Quartier lag und gerade zu Pferd stieg, um mit Iljin einen Spazierritt durch die umliegenden Dörfer zu machen. Er ließ seinem Burschen Lawrenti ein frisches Pferd geben und nahm ihn mit.

VIII


Prinzessin Marja war nicht in Moskau und nicht außer Gefahr, wie Fürst Andrei glaubte.

Nach Alpatytschs Rückkehr aus Smolensk war es, als ob der alte Fürst plötzlich aus dem Schlaf erwachte. Er befahl, aus den Dörfern die Landwehrleute zusammenzurufen und zu bewaffnen, und schrieb an den Oberkommandierenden einen Brief, in welchem er ihm mitteilte, daß er entschlossen sei, bis zum Äußersten in Lysyje-Gory auszuharren und sich zu verteidigen, wobei er es seinem Ermessen anheimstellte, ob er seinerseits Maßregeln zur Verteidigung von Lysyje-Gory treffen wolle oder nicht, wo möglicherweise einer der ältesten russischen Generale gefangengenommen oder getötet werden würde. Auch seinen Hausgenossen kündigte er an, daß er in Lysyje-Gory bleiben werde.

Aber während er selbst in Lysyje-Gory bleiben wollte, ordnete er an, daß die Prinzessin und Dessalles nebst dem kleinen Fürsten nach Bogutscharowo und von da nach Moskau reisen sollten. Prinzessin Marja, beängstigt durch die fieberhafte Tätigkeit ihres Vaters, die an Stelle seiner früheren Mattigkeit getreten war und ihm den Schlaf raubte, konnte sich nicht entschließen, ihn alleinzulassen, und wagte zum erstenmal in ihrem Leben, ihm ungehorsam zu sein. Sie weigerte sich abzufahren, und es entlud sich infolgedessen über sie ein furchtbares Ungewitter seines Zornes. Er zählte ihr aus der Vergangenheit allerlei Geschehnisse auf, bei denen in Wirklichkeit er es gewesen war, der ihr schweres Unrecht getan hatte; aber in dem Bemühen, sie zu beschuldigen, sagte er, sie habe ihn zu Tode gequält, sie habe ihn mit seinem Sohn entzweit, habe gegen ihn einen häßlichen Verdacht gehegt, habe es sich zur Lebensaufgabe gemacht, ihm sein Leben zu vergiften. Dann wies er sie aus seinem Zimmer, indem er ihr noch sagte, wenn sie hierbleibe, so sei ihm das ganz gleichgültig; er wolle von ihrer Existenz nichts mehr wissen, warne sie aber, sich nicht etwa zu erkühnen, ihm wieder vor Augen zu kommen. Daß er, entgegen ihren Befürchtungen, nicht befahl, sie gewaltsam wegzuschaffen, sondern ihr nur verbot, ihm vor Augen zu kommen, dieser Umstand freute Prinzessin Marja. Sie erkannte darin einen Beweis dafür, daß er im geheimsten Grunde seiner Seele darüber froh war, daß sie dablieb und nicht wegfuhr.

Am Vormittag des nächsten Tages legte, nachdem Nikolenka abgereist war, der alte Fürst seine Uniform an und machte sich fertig, um zum Oberkommandierenden zu fahren. Die Kutsche stand schon vor dem Portal. Prinzessin Marja sah, wie er in voller Uniform und mit allen seinen Orden aus dem Haus trat und in den Garten ging, um eine Musterung der bewaffneten Bauern und Gutsleute abzuhalten. Prinzessin Marja saß am Fenster und horchte auf seine Stimme, die aus dem Garten herübertönte. Da kamen plötzlich aus der Allee mehrere Leute mit erschrockenen Gesichtern auf das Haus zugelaufen.

Prinzessin Marja lief vor die Haustür, den Blumensteig entlang und in die Allee hinein. Dort bewegte sich ihr ein großer Haufe von Landwehrmännern und Gutsleuten entgegen, und inmitten dieses Haufens hielten mehrere Männer den kleinen Greis in seiner Uniform und mit seinen Orden unter den Armen gefaßt und schleppten ihn in dieser Weise vorwärts. Prinzessin Marja lief zu ihm hin, konnte aber bei dem Spiel des Lichtes, das in kleinen, beweglichen Kreisen durch den Schatten der Lindenallee fiel, sich zunächst über die Veränderung, die in diesem Gesicht vorgegangen war, nicht klarwerden. Das einzige, was sie sah, war, daß an die Stelle des früheren strengen, entschlossenen Ausdruckes seines Gesichtes ein Ausdruck von Schüchternheit und Fügsamkeit getreten war. Als er seine Tochter erblickte, bewegte er die kraftlosen Lippen und röchelte. Es war nicht möglich, zu verstehen, was er wollte. Die Männer hoben ihn auf ihre Arme, trugen ihn in sein Zimmer und legten ihn auf jenes Sofa, vor dem er sich in der letzten Zeit so sehr gefürchtet hatte.

Der Arzt, der gerufen wurde und noch in derselben Nacht kam, nahm einen Aderlaß vor und erklärte, daß den Fürsten auf der rechten Seite der Schlag getroffen habe.

Aber in Lysyje-Gory zu bleiben wurde immer gefährlicher, und so wurde denn der Fürst am Tag nach dem Schlaganfall nach Bogutscharowo transportiert. Der Arzt fuhr mit ihm.

Als sie in Bogutscharowo ankamen, war Dessalles mit dem kleinen Fürsten schon nach Moskau abgereist.

Etwa eine Woche lang lag der alte Fürst immer in demselben Zustand, ohne daß es besser oder schlechter geworden wäre, vom Schlag gelähmt in Bogutscharowo in dem neuen Haus, das Fürst Andrei gebaut hatte. Der alte Fürst war ohne rechtes Bewußtsein; er lag da wie ein entstellter Leichnam. Unaufhörlich murmelte er etwas und bewegte zuckend die Augenbrauen und die Lippen; aber man konnte nicht erkennen, ob er für das, was um ihn herum vorging, Verständnis hatte oder nicht. Nur eines sah man mit Sicherheit: daß er litt und das Bedürfnis hatte, noch irgend etwas zum Ausdruck zu bringen. Aber was dies war, das konnte niemand erkennen: ob es irgendeine Laune des Kranken und Halbirrsinnigen war, ob es sich auf den Gang der großen Ereignisse oder auf Familienangelegenheiten bezog.

Der Arzt sagte, die von ihm bekundete Unruhe habe weiter nichts zu bedeuten und sei auf physische Ursachen zurückzuführen; aber Prinzessin Marja glaubte (und der Umstand, daß durch ihre Anwesenheit seine Unruhe immer gesteigert wurde, diente ihr als Bestätigung ihrer Vermutung), daß er ihr etwas sagen wolle.

Augenscheinlich litt er sowohl körperlich als auch seelisch. Hoffnung auf Genesung war nicht vorhanden. Ihn zu transportieren war unmöglich. Was hätte geschehen sollen, wenn er unterwegs gestorben wäre? »Wäre es nicht das beste, wenn das Ende käme, das gänzliche Ende?« dachte Prinzessin Marja manchmal. Sie beobachtete ihn Tag und Nacht, fast ohne zu schlafen, und (so furchtbar es ist, dies auszusprechen) beobachtete ihn oft nicht mit der Hoffnung, Symptome der Besserung, sondern mit dem Wunsch, Symptome des herannahenden Endes zu finden.

Wie furchtbar es auch der Prinzessin war, sich dieses Wunsches bewußt zu werden, aber er war in ihrer Seele vorhanden. Und was ihr noch schrecklicher war, das war dies, daß seit der Krankheit ihres Vaters (sogar vielleicht schon früher, vielleicht schon damals, als sie in Erwartung irgendwelchen Unheils bei ihm in Lysyje-Gory geblieben war) in ihrer Seele alle jene persönlichen Wünsche und Hoffnungen, die sie schon längst für entschlafen und vergessen gehalten hatte, wieder erwacht waren. Gedanken, die ihr seit Jahren nicht mehr in den Sinn gekommen waren, Gedanken an ein freies Leben ohne Furcht vor dem Vater, ja sogar Gedanken an die Möglichkeit von Liebe und glücklichem Familienleben erfüllten jetzt wie Versuchungen des Teufels beständig ihre Phantasie. Eine Frage drängte sich ihr trotz alles Bemühens, sie abzuwehren, immer wieder auf: die Frage, wie sie nun, nach dem zu erwartenden Ereignis, sich ihr Leben einrichten werde. Dies waren Versuchungen des Teufels, und Prinzessin Marja wußte das. Sie wußte, daß die einzige Schutzwaffe gegen den Versucher das Gebet war, und sie versuchte zu beten. Sie nahm die beim Gebet übliche Haltung an, blickte nach den Heiligenbildern hin und sprach die Worte des Gebetes; aber zu beten vermochte sie nicht. Sie fühlte, daß sie jetzt in eine andere Welt hineinkam, in eine Welt irdischer, freier Tätigkeit, ganz entgegengesetzt jener geistigen Welt, in der sie bisher eingeschlossen gewesen war und in der sie ihren besten Trost im Gebet gefunden hatte. Sie vermochte nicht zu beten und nicht zu weinen; irdische Sorgen hatten sich ihrer bemächtigt.

In Bogutscharowo zu bleiben wurde gefährlich. Von allen Seiten hörte man Nachrichten über das Heranrücken der Franzosen, und in einem Dorf fünfzehn Werst von Bogutscharowo war das Gutshaus von französischen Marodeuren ausgeraubt worden.

Der Arzt bestand darauf, der Fürst müsse weitertransportiert werden; der Adelsmarschall schickte einen Beamten zu Prinzessin Marja, der ihr dringend riet, sobald als möglich abzureisen; der Bezirkshauptmann kam persönlich nach Bogutscharowo und empfahl ihr dasselbe, indem er bemerkte, die Franzosen ständen nur noch vierzig Werst entfernt, in den Dörfern seien bereits französische Proklamationen in Umlauf, und wenn die Prinzessin nicht mit ihrem Vater bis zum 15. abreise, könne er für nichts einstehen.

Die Prinzessin faßte den Entschluß, am 15. abzureisen. Die Sorge für die Vorbereitungen und das Erteilen von Weisungen, die ein jeder sich von ihr erbat, nahmen sie den ganzen vorhergehenden Tag über in Anspruch. Die Nacht vom 14. auf den 15. verbrachte sie wie gewöhnlich, ohne sich auszukleiden, in einem Zimmer neben dem, in welchem der Fürst lag. Mehrmals, wenn sie aufwachte, hörte sie sein Ächzen und Murmeln und das Knarren der Bettstelle und die Schritte Tichons und des Arztes, die ihn herumdrehten. Einigemal horchte sie an der Tür, und es kam ihr vor, als ob er heute lauter murmelte als sonst und häufiger herumgedreht werden mußte. Sie konnte nicht schlafen, ging wiederholt an die Tür, horchte und wäre gern hineingegangen, konnte sich aber doch nicht entschließen, es zu tun. Obgleich er nicht sprechen konnte, sah und wußte Prinzessin Marja doch, wie unangenehm ihm jede Bekundung von Besorgnis um ihn war. Sie merkte, wie unzufrieden er sich von ihrem Blick abwandte, wenn sie ihn manchmal unwillkürlich länger ansah. Sie wußte, daß es ihn aufregen werde, wenn sie jetzt in der Nacht, zu so ungewohnter Zeit, zu ihm hereinkomme.

Aber nie war es ihr so schmerzlich, nie so furchtbar gewesen wie jetzt, daß sie ihn verlieren sollte. Sie erinnerte sich an ihr ganzes Zusammenleben mit ihm und fand in jedem seiner Worte, in jeder seiner Handlungen einen Ausdruck seiner Liebe zu ihr. Mitunter drängten sich mitten in diesen Erinnerungen in ihre Phantasie jene Versuchungen des Teufels ein, Gedanken daran, wie es nach dem Tod ihres Vaters sein werde, und wie sich ihr neues, freies Leben gestalten werde. Aber voll Abscheu wies sie diese Gedanken von sich. Gegen Morgen wurde der Fürst still, und Prinzessin Marja schlief ein.

Sie erwachte spät. Jene Aufrichtigkeit, die dem Erwachenden eigen ist, stellte ihr klar vor Augen, womit sie sich in Wirklichkeit während der Krankheit des Vaters am meisten beschäftigt hatte. Sie horchte nach dem hin, was hinter der Tür vorging, und als sie das Ächzen des Vaters hörte, sagte sie sich mit einem Seufzer, daß alles unverändert sei.

»Aber was ist denn das für eine Veränderung, auf die ich warte? Was habe ich denn gewünscht? Ich wünsche seinen Tod«, rief sie voll Empörung über sich selbst.

Sie kleidete sich an, wusch sich, sprach ihr Gebet und trat vor die Haustür. Dort standen, noch ohne Bespannung, die Wagen, auf die das Gepäck aufgeladen wurde.

Es war ein warmer, grauer Morgen. Prinzessin Marja blieb vor der Haustür stehen; sie war immer noch tief erschrocken über die Schlechtigkeit ihres Herzens und suchte ihre Gedanken in Ordnung zu bringen, ehe sie zu ihrem Vater hineinging.

Der Arzt kam heraus und trat zu ihr.

»Es geht ihm heute etwas besser«, sagte er. »Ich habe Sie gesucht. Es ist einzelnes von dem, was er sagt, zu verstehen; der Kopf ist klarer. Kommen Sie! Er ruft nach Ihnen …«

Das Herz begann der Prinzessin Marja bei dieser Mitteilung so stark zu schlagen, daß sie ganz blaß wurde und sich an die Tür lehnen mußte, um nicht umzufallen. Ihn zu sehen, mit ihm zu sprechen, ihm unter die Augen zu kommen, gerade jetzt, wo ihr ganzes Herz von diesen furchtbaren, verbrecherischen Versuchungen erfüllt war, das erschien ihr, bei aller Freude, als eine schreckliche Pein.

»Kommen Sie«, sagte der Arzt.

Prinzessin Marja ging zu ihrem Vater hinein und trat an sein Bett. Er lag auf dem Rücken da; der Oberkörper war hochgelegt; die kleinen, knochigen, mit bläulichen, knotigen Adern überzogenen Hände lagen auf der Bettdecke; das linke Auge war geradeaus gerichtet, das rechte schielte; die Augenbrauen und die Lippen waren regungslos. Seine ganze Gestalt sah überaus mager, klein und jammervoll aus. Sein Gesicht schien ganz zusammengetrocknet zu sein, die Gesichtszüge sahen wie verschwommen aus. Prinzessin Marja küßte ihm die Hand. Mit seiner linken Hand drückte er die ihrige so stark, daß sie daraus ersah, er habe schon lange auf sie gewartet. Er zog ihre Hand an sich heran, und seine Augenbrauen und Lippen begannen sich ungeduldig und ärgerlich zu bewegen.

Sie blickte ihn erschrocken an und bemühte sich zu erraten, was er von ihr wollte. Als sie, ihre Stellung ändernd, so an ihn herangerückt war, daß sein linkes Auge ihr Gesicht sah, beruhigte er sich für einige Sekunden und sah sie unverwandt an. Dann kamen seine Lippen und seine Zunge in Bewegung; Laute wurden vernehmbar, und er begann zu reden, wobei er sie schüchtern und flehend anblickte, offenbar in der Besorgnis, daß sie ihn nicht verstehe.

Prinzessin Marja spannte ihre Aufmerksamkeit aufs äußerste an und blickte ihm ins Gesicht. Die komischen Bemühungen, mit denen er seine Zunge herumdrehte, zwangen die Prinzessin Marja, die Augen niederzuschlagen, und nur mit Mühe unterdrückte sie das Schluchzen, das ihr in der Kehle aufstieg. Er sagte etwas und wiederholte seine Worte mehrere Male. Prinzessin Marja war nicht imstande, sie zu verstehen; aber sie versuchte zu erraten, was er sagte, und wiederholte die von ihm gesprochenen Laute in fragendem Ton mit ihren Ergänzungen.

»Lei … lei … he … he …«, wiederholte er mehrmals.

Es war unmöglich, diese Laute zu verstehen. Der Arzt glaubte, den Sinn zu erraten, und fragte: »Sollen wir den Leib noch mehr heben?« Er schüttelte verneinend mit dem Kopf und wiederholte wieder dasselbe …

»Ein Leid drückt Ihr Herz?« riet und fragte Prinzessin Marja.

Er stieß einen unartikulierten Laut der Bejahung aus, erfaßte ihre Hand und drückte sie gegen verschiedene Stellen seiner Brust, wie wenn er den richtigen Platz für sie suchen wollte.

»Immer Gedanken! An dich … Gedanken …« Er sprach jetzt, wo er überzeugt war verstanden zu werden, weit besser und deutlicher als vorher.

Prinzessin Marja drückte ihren Kopf auf seine Hand und bemühte sich, ihr Schluchzen und ihre Tränen zu verbergen.

Er strich ihr mit der Hand über das Haar.

»Ich habe die ganze Nacht über nach dir gerufen …«, sagte er.

»Wenn ich das gewußt hätte …«, erwiderte sie durch ihre Tränen hindurch. »Ich scheute mich, hereinzukommen.«

Er drückte ihr die Hand.

»Hast du nicht geschlafen?«

»Nein, ich habe nicht geschlafen«, antwortete Prinzessin Marja und schüttelte verneinend den Kopf.

Unwillkürlich dem Vater nachahmend, redete sie jetzt in ähnlicher Weise wie er: sie bemühte sich, mehr durch Zeichen zu sprechen, und bewegte anscheinend ebenfalls nur mit Mühe die Zunge.

»Mein liebes Kind …« oder »Mein Liebling …« (Prinzessin Marja konnte es nicht genau verstehen; aber nach dem Ausdruck seines Blickes zu urteilen, hatte er sicherlich ein zärtliches Kosewort gesprochen, wie er es sonst nie über seine Lippen gebracht hatte.) »Warum bist du nicht gekommen?«

»Und ich habe seinen Tod gewünscht!« dachte Prinzessin Marja.

Er schwieg ein Weilchen.

»Ich danke dir … liebe Tochter, mein gutes Kind … für alles, für alles … verzeih mir … ich danke dir … verzeih mir … ich danke dir …!« Und Tränen rannen ihm aus den Augen. »Ruft doch Andrei«, sagte er auf einmal, und eine Art von kindlicher Schüchternheit und Unsicherheit prägte sich bei diesen Worten auf seinem Gesicht aus.

Er schien selbst zu wissen, daß sein Verlangen keinen Sinn hatte. So kam es wenigstens der Prinzessin Marja vor.

»Ich habe einen Brief von ihm erhalten«, antwortete sie.

Er blickte sie erstaunt und schüchtern an.

»Wo ist Andrei denn?«

»Er ist beim Heer, lieber Vater, in Smolensk.«

Er schloß die Augen und schwieg lange. Dann nickte er bejahend mit dem Kopf wie zur Antwort auf seine Zweifel und zur bekräftigenden Versicherung, daß er jetzt alles verstanden habe und sich an alles erinnere, und öffnete wieder die Augen.

»Ja«, sagte er leise, aber deutlich. »Rußland ist verloren! Sie haben es zugrunde gerichtet!«

Er fing wieder an zu schluchzen, und die Tränen rannen ihm aus den Augen. Prinzessin Marja konnte sich nicht länger beherrschen und weinte ebenfalls, indem sie sein Gesicht ansah.

Er schloß von neuem die Augen. Sein Schluchzen brach auf einmal ab. Er machte mit der Hand ein Zeichen nach den Augen zu, und Tichon, der dieses Zeichen verstand, wischte ihm die Tränen weg.

Dann machte er die Augen auf und sagte etwas, was lange Zeit niemand verstehen konnte; endlich verstand es Tichon als der einzige und teilte es den andern mit. Prinzessin Marja hatte den Sinn seiner Worte in denjenigen Vorstellungskreisen gesucht, denen das angehörte, was er eine Minute vorher gesagt hatte. Nacheinander hatte sie gedacht, er rede von Rußland, oder vom Fürsten Andrei, oder von ihr, oder von seinem Enkel, oder von seinem Tod. Und aus diesem Grund hatte sie den Sinn seiner Worte nicht erraten können.

»Zieh dein weißes Kleid an; das sehe ich gern«, hatte er gesagt.

Als sie erfuhr, daß er dies gesagt habe, begann sie noch lauter zu schluchzen. Der Arzt faßte sie unter den Arm, führte sie aus dem Zimmer auf die Terrasse und redete ihr zu, sie möchte sich beruhigen und sich mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigen.

Nachdem Prinzessin Marja das Zimmer des Fürsten verlassen hatte, fing er wieder an von seinem Sohn, vom Krieg und vom Kaiser zu reden, zuckte ärgerlich mit den Augenbrauen, zwang seine heisere Stimme zu lautem Sprechen und erlitt zum zweiten-und letztenmal einen Schlaganfall.

Prinzessin Marja war auf der Terrasse stehengeblieben. Das Wetter hatte sich aufgeklärt; es war sonnig und heiß geworden. Sie konnte nichts begreifen, denken und fühlen als ihre leidenschaftliche Liebe zu ihrem Vater, eine Liebe, von der sie, wie es ihr schien, bis zu diesem Augenblick gar nicht gewußt hatte, daß sie in dieser Stärke in ihrer Seele vorhanden war. Schluchzend lief sie in den Garten, auf den vom Fürsten Andrei angelegten und mit jungen Linden eingesäumten Steigen hinunter zum Teich.

»Und ich … ich … ich habe seinen Tod gewünscht! Ja, ich habe gewünscht, daß es recht bald zu Ende sein möchte … Ich wollte zur Ruhe kommen … Aber was wird aus mir werden? Was habe ich von der Ruhe, wenn er nicht mehr ist!« murmelte Prinzessin Marja hörbar vor sich hin, während sie mit schnellen Schritten durch den Garten ging und die Hände gegen die Brust preßte, aus der ein krampfhaftes Schluchzen hervorbrach.

Als sie im Garten ringsherum gegangen und so wieder zum Haus zurückgelangt war, sah sie Mademoiselle Bourienne mit einem ihr unbekannten Herrn ihr entgegenkommen. (Mademoiselle Bourienne war in Bogutscharowo geblieben und hatte von dort nicht wegfahren wollen.) Dieser Herr war der Adelsmarschall des Kreises, der persönlich zur Prinzessin kam, um ihr die unbedingte Notwendigkeit einer schleunigen Abreise vorzustellen. Prinzessin Marja hörte, was er zu ihr sagte, verstand es aber nicht. Sie führte ihn ins Haus, lud ihn ein, zu frühstücken, und setzte sich mit ihm hin. Dann aber entschuldigte sie sich bei ihm und ging an die Tür des alten Fürsten. Der Arzt kam mit aufgeregtem Gesicht zu ihr heraus und sagte, sie könne jetzt nicht hereinkommen.

»Gehen Sie, Prinzessin, gehen Sie, gehen Sie!«

Prinzessin Marja ging wieder in den Garten und setzte sich unten am Abhang, beim Teich, an einer Stelle, wo niemand sie sehen konnte, ins Gras. Sie wußte nicht, wie lange sie dort gesessen haben mochte, als eilige weibliche Schritte, die auf dem Steig herankamen, sie wieder zur Besinnung brachten. Sie stand auf und sah, daß ihr Stubenmädchen Dunjascha herbeigelaufen kam, augenscheinlich um ihr etwas zu sagen, und plötzlich, wie wenn sie beim Anblick ihrer Herrin erschrecken würde, stehenblieb.

»Bitte, kommen Sie, Prinzessin … der Fürst …«, sagte Dunjascha mit fast versagender Stimme.

»Sogleich, ich komme, ich komme …«, antwortete die Prinzessin, ohne dem Mädchen Zeit zu lassen, ihr vollständig mitzuteilen, was sie ihr zu sagen hatte, und lief nach dem Haus, wobei sie es vermied, Dunjascha anzusehen.

»Prinzessin, was geschieht, ist Gottes Wille; Sie müssen sich auf alles gefaßt machen«, sagte der Adelsmarschall, der ihr bei der Haustür begegnete.

»Lassen Sie mich; es ist nicht wahr!« schrie sie ihn heftig an.

Der Arzt wollte sie aufhalten. Sie stieß ihn zurück und lief zur Tür des Krankenzimmers. »Warum wollen mich diese Leute, die so erschrockene Gesichter machen, aufhalten? Was habe ich mit ihnen zu schaffen? Und was tun sie hier?« Sie öffnete die Tür und erschrak über das helle Tageslicht in diesem bisher halbdunklen Zimmer. In dem Zimmer waren mehrere Frauen, auch die alte Kinderfrau. Alle traten von dem Bett zurück und machten der Prinzessin Platz. Er lag ganz wie sonst auf dem Bett; aber die strenge Miene seines ruhigen Gesichtes hielt die Prinzessin Marja an der Schwelle des Zimmers zurück.

»Nein, er ist nicht gestorben; es ist nicht möglich!« sagte sie zu sich und trat zu ihm heran; sie überwand den Schrecken, der sie überkommen hatte, und drückte ihre Lippen an seine Wange. Aber im selben Augenblick fuhr sie auch von ihm zurück. Die ganze Kraft der Zärtlichkeit, die sie in ihrem Herzen gegen ihn empfunden hatte, war momentan verschwunden und hatte einem Gefühl des Grauens vor dem, was da vor ihr war, Platz gemacht. »Nein, er ist nicht mehr! Er ist nicht mehr; und hier, an derselben Stelle, wo er war, ist nun etwas Fremdes, Feindliches, ein furchtbares, beängstigendes, abstoßendes Geheimnis!« Prinzessin Marja verbarg das Gesicht in den Händen und fiel in die Arme des Arztes, der sie auffing.


In Tichons und des Arztes Gegenwart wuschen die Weiber das, was ehemals Fürst Bolkonski gewesen war, banden ein Tuch um den Kopf, damit der Mund nicht in geöffneter Stellung erstarre, und banden mit einem anderen Tuch die sich spreizenden Beine zusammen. Dann zogen sie dem Toten seine Uniform mit den Orden an und legten den kleinen, zusammengetrockneten Körper auf den Tisch. Gott weiß, wer die Sorge dafür übernommen hatte und wann alles besorgt worden war; aber alles war wie von selbst geschehen: am Abend war ein Sarg da, um welchen ringsherum Kerzen brannten; auf dem offenen Sarg lag eine Decke; auf den Fußboden war Wacholderreisig gestreut; unter den verschrumpften Kopf des Toten war ein gedrucktes Gebet gelegt, und in der Ecke saß ein Küster, der Psalmen las.

So wie um ein totes Pferd herum die anderen Pferde scheuen, sich drängen und schnauben, so drängte sich im Salon um den Sarg eine Menge Volk, teils Angehörige des Hauses, teils fremde Leute, der Adelsmarschall, der Dorfschulze und Weiber, und alle bekreuzten sich erschrocken mit starren Augen und verneigten sich und küßten die kalte, starre Hand des alten Fürsten.

IX


Über das Gut Bogutscharowo hatte, ehe Fürst Andrei sich dort einen Wohnsitz geschaffen hatte, von jeher die Herrschaft so gut wie keine Aufsicht ausgeübt, und die Bauern von Bogutscharowo hatten einen ganz anderen Charakter als die von Lysyje-Gory. Sie unterschieden sich von ihnen auch durch die Sprache, durch die Kleidung und durch die Gebräuche. Sie wurden Steppenbauern genannt. Der alte Fürst lobte sie wegen ihrer Ausdauer bei der Arbeit, wenn sie nach Lysyje-Gory kamen, um bei der Ernte zu helfen oder Teiche und Kanäle auszugraben, hatte sie aber wegen ihrer Wildheit nicht gern.

Auch dadurch, daß in letzter Zeit Fürst Andrei in Bogutscharowo gewohnt und mancherlei Neues eingeführt, namentlich Krankenhäuser und Schulen gebaut und den Pachtzins ermäßigt hatte, auch dadurch waren ihre Sitten nicht gemildert, sondern im Gegenteil jener Charakterzug, den der alte Fürst Wildheit nannte, nur noch verstärkt worden. Unter ihnen waren immer irgendwelche unklaren Redereien im Gange: bald von einer bestehenden Absicht, sie alle zu den Kosaken auszuheben, bald von einem neuen Glauben, zu dem man sie bekehren wolle, bald von irgendeiner Proklamation des Zaren, bald von einem Eid des Kaisers Pawel Petrowitsch im Jahre 1797 (sie behaupteten, es sei damals ein Erlaß über die Bauernbefreiung erschienen, aber die Edelleute hätten die Sache vereitelt), bald von Pjotr Feodorowitsch, der in sieben Jahren den Thron besteigen werde, und unter dessen Regierung alle frei sein würden und alles so schlicht zugehen werde, daß es keine Adligen mehr geben werde. Die Gerüchte vom Krieg und von Bonaparte und von seinem Eindringen verbanden sich in ihren Köpfen mit ebenso unklaren Vorstellungen vom Antichrist, dem Weltende und der völligen Freiheit.

In der Gegend um Bogutscharowo herum lagen lauter große Dörfer, teils fiskalische, teils herrschaftliche. Es wohnten aber in dieser Gegend nur sehr wenige Gutsbesitzer; auch gab es dort nur sehr wenige Gutsleute und nur wenig Menschen, die lesen und schreiben konnten, und in dem Leben der Bauern dieser Gegend machten sich deutlicher und stärker als anderwärts jene geheimnisvollen Strömungen des russischen Volkslebens spürbar, deren Ursachen und Bedeutung den Zeitgenossen vielfach unerklärlich sind. Zu den Erscheinungen dieser Art gehörte auch eine fünfundzwanzig Jahre vorher unter den Bauern dieser Gegend hervorgetretene Bewegung, die auf die Übersiedelung nach irgendwelchen »warmen Flüssen« hinzielte. Hunderte von Bauern, darunter auch die von Bogutscharowo, begannen auf einmal ihr Vieh zu verkaufen und mit ihren Familien irgendwohin nach Südosten zu ziehen. Wie die Vögel irgendwohin über die Meere fliegen, so strebten diese Leute mit Weib und Kind dorthin, nach Südosten, wo niemand von ihnen vorher gewesen war. In ganzen Karawanen brachen sie auf; einige hatten sich losgekauft, die meisten entflohen; und so fuhren und gingen sie dorthin, zu den warmen Flüssen. Viele wurden bestraft und nach Sibirien geschickt; viele starben unterwegs an Kälte und Hunger; viele kehrten aus eigenem Entschluß zurück; und die ganze Bewegung legte sich von selbst, geradeso wie sie ohne sichtbaren Grund entstanden war. Aber die tiefen Unterströmungen hörten bei diesem eigentümlichen Menschenschlag nicht auf zu fließen und sammelten neue Kraft, um sich später nach irgendwelcher Richtung hin in ebenso sonderbarer und unerwarteter und zugleich in ebenso schlichter, natürlicher, kraftvoller Weise wieder zu betätigen. Jetzt, im Jahre 1812, konnte, wer in enger Berührung mit dem Volk lebte, leicht merken, daß diese Unterströmungen stark wirkten und ihr Hervorbrechen nahe bevorstand.

Alpatytsch, der einige Zeit vor dem Hinscheiden des alten Fürsten nach Bogutscharowo gekommen war, hatte bemerkt, daß im Volk eine Erregung im Gange war und daß, im Gegensatz zu dem, was in der Gegend von Lysyje-Gory in einem Umkreis von sechzig Werst geschah, wo alle Bauern fortzogen (und den Kosaken ihre Dörfer zur Verwüstung überließen), in dieser Steppengegend von Bogutscharowo die Bauern Beziehungen mit den Franzosen unterhielten, von diesen allerlei Flugschriften bekamen, die dann von Hand zu Hand gingen, und in ihren Wohnsitzen blieben. Er wußte durch Gutsleute, die ihm zugetan waren, daß ein in der Bauernschaft sehr einflußreicher Bauer, namens Karp, der neulich mit einer fiskalischen Fuhre weggewesen war, bei der Rückkehr die Nachricht mitgebracht hatte, die Kosaken plünderten die Dörfer, aus denen die Einwohner weggezogen seien, die Franzosen dagegen tasteten nichts in ihnen an. Er wußte, daß ein anderer Bauer gestern sogar aus dem Dorf Wislouchowo, wo die Franzosen standen, ein Flugblatt eines französischen Generals mitgebracht hatte, in welchem den Einwohnern erklärt wurde, wenn sie dablieben, werde ihnen nichts Übles geschehen, und für alles, was man von ihnen requiriere, würden sie Zahlung erhalten. Zum Beweis dessen hatte der Bauer aus Wislouchowo hundert Rubel in Banknoten mitgebracht (er wußte nicht, daß sie unecht waren), die ihm für Heu im voraus gezahlt waren.

Endlich, und das war das Allerwichtigste, wußte Alpatytsch, daß an eben dem Tag, an welchem er dem Dorfschulzen befohlen hatte, die nötigen Fuhren für den Transport des Gepäcks der Prinzessin zusammenzubringen, morgens im Dorf eine Gemeindeversammlung stattgefunden hatte, in welcher beschlossen worden war, nicht fortzuziehen, sondern zu warten. Unterdessen aber war es die höchste Zeit geworden. Der Adelsmarschall hatte am Todestag des Fürsten, am 15. August, die Prinzessin Marja auf das dringendste ersucht, noch an demselben Tag abzureisen, da das Bleiben gefährlich werde. Nach dem 16., hatte er gesagt, könne er keinerlei Verantwortung mehr übernehmen. Er selbst war gleich am Todestag des Fürsten abends wieder abgefahren, hatte aber versprochen, am andern Tag zur Beerdigung wiederzukommen. Aber er konnte am andern Tag nicht kommen, da nach den ihm zugegangenen Nachrichten die Franzosen unerwarteterweise vorgerückt waren und er kaum noch Zeit hatte, seine Familie und seine wertvollste Habe von seinem Gut wegzuschaffen.

Seit mehr als zwanzig Jahren bekleidete in Bogutscharowo das Amt eines Dorfschulzen ein gewisser Dron, den der alte Fürst gern mit der Verkleinerungsform Dronuschka genannt hatte.

Dron war einer von jenen körperlich und geistig kräftigen Bauern, die, wenn sie in die Jahre gelangt sind, wo ihnen der Bart wächst, von da an nun auch, ohne sich in ihrem Äußern irgendwie zu verändern, bis zum Alter von sechzig oder siebzig Jahren leben, ohne ein einziges graues Haar oder eine Zahnlücke, als Sechzigjährige noch ebenso aufrecht und kräftig, wie sie als Dreißigjährige waren.

Dron war bald nach der Auswanderung zu den warmen Flüssen, an der er sich ebenso wie die andern beteiligt hatte, zum Dorfschulzen in Bogutscharowo ernannt worden und hatte seitdem dreiundzwanzig Jahre lang dieses Amt tadellos verwaltet. Die Bauern fürchteten sich vor ihm mehr als vor dem Herrn selbst. Die Herrschaft, sowohl der alte als auch der junge Fürst und der Verwalter, wußten seinen Wert zu schätzen und nannten ihn scherzhaft den Minister. Während der ganzen Zeit seiner Amtsführung war Dron kein einziges Mal betrunken oder krank gewesen; niemals, weder nach schlaflosen Nächten, noch nach Arbeiten irgendwelcher Art, zeigte er die geringste Müdigkeit, und obwohl er nicht lesen und schreiben konnte, vergaß er niemals einen Geldposten oder ein Pud Mehl bei den gewaltigen Wagenladungen, die er verkaufte, und wußte ganz genau, wieviel Garbenmandel sich auf jedem Acker der Feldflur von Bogutscharowo befanden.

Diesen Dron also ließ Alpatytsch, nachdem er aus dem verwüsteten Lysyje-Gory angekommen war, am Begräbnistag des Fürsten zu sich rufen und befahl ihm, zwölf Pferde für die Equipagen der Prinzessin und achtzehn Fuhren für das aus Bogutscharowo mitzunehmende Gepäck bereitzustellen. Obgleich die Bauern auf Pachtzins gesetzt waren, konnte doch nach Alpatytschs Meinung die Ausführung dieses Befehles auf keine Schwierigkeiten stoßen, da in Bogutscharowo zweihundertdreißig Familien lebten und die Bauern wohlhabend waren. Aber nachdem der Dorfschulze Dron den Befehl angehört hatte, schlug er schweigend die Augen nieder. Alpatytsch nannte ihm einige Bauern, die er kannte, und befahl ihm, von diesen die Pferde und Fuhren zu requirieren.

Dron antwortete, diese Bauern hätten ihre Pferde unterwegs. Alpatytsch nannte ihm andere Bauern. Auch diese hatten nach Drons Angabe keine Pferde zur Verfügung: manche Pferde seien mit fiskalischen Fuhren weg; andere seien entkräftet; vielen Bauern seien auch die Pferde aus Mangel an Futter krepiert. Es war nach Drons Meinung überhaupt nicht möglich, Pferde zu beschaffen, weder für das Gepäck noch für die Equipagen.

Alpatytsch blickte den Dorfschulzen forschend an und zog die Augenbrauen zusammen. Wie Dron ein Muster von einem Dorfschulzen war, so hatte auch Alpatytsch nicht vergebens die Güter des Fürsten zwanzig Jahre lang verwaltet und war ein Muster von einem Verwalter. Er war im höchsten Grade befähigt, instinktiv die Bedürfnisse und Wünsche des Volkes, mit dem er zu tun hatte, zu erkennen, und eben darum war er ein so vorzüglicher Verwalter. Als er Dron anblickte, erkannte er sofort, daß Drons Antworten nicht dessen eigene Anschauung zum Ausdruck brachten, sondern die allgemeine Stimmung der Bauernschaft von Bogutscharowo, von der sich der Dorfschulze beeinflussen ließ. Zugleich aber wußte Alpatytsch auch, daß der reich gewordene und bei der Bauernschaft verhaßte Dron nicht anders konnte, als zwischen den beiden Lagern, dem der Herrschaft und dem der Bauernschaft, zu schwanken. Dieses Schwanken bemerkte Alpatytsch an Drons Blick, und darum trat er, die Stirne runzelnd, ganz nahe an ihn heran.

»Hör mal, Dronuschka«, sagte er, »mach mir da keinen Wind vor. Seine Durchlaucht Fürst Andrei Nikolajewitsch selbst hat mir befohlen, die ganze Einwohnerschaft wegzuschicken und sie mit dem Feind nicht in Berührung kommen zu lassen; auch besteht darüber ein Befehl des Zaren. Wer hierbleibt, ist ein Verräter am Zaren. Hörst du wohl?«

»Ich höre«, erwiderte Dron, ohne die Augen aufzuschlagen.

Alpatytsch begnügte sich mit dieser Antwort nicht.

»Ei, ei, Dron, das wird euch schlimm bekommen!« sagte er, den Kopf hin und her wiegend.

»Es steht in Euren Händen!« antwortete Dron traurig.

»Na, Dron, nun hör aber mal auf!« sagte Alpatytsch, nahm die Hand heraus, die er vorn in den Rock gesteckt hatte, und wies mit feierlicher Gebärde auf den Boden unter Drons Füßen. »Ich sehe nicht nur quer durch dich hindurch, sondern auch unter dir drei Ellen tief in die Erde hinein.« Dabei blickte er nach dem Boden unter Drons Füßen.

Dron wurde ängstlich, warf einen verstohlenen Blick nach Alpatytsch hin und schlug die Augen wieder nieder.

»Hör nun auf, Unsinn zu reden, und sage den Leuten, sie sollen sich fertigmachen, ihre Wohnungen zu verlassen und nach Moskau zu gehen, und sie sollen morgen früh die Fuhren für das Gepäck der Prinzessin stellen; du selbst aber geh nicht in die Gemeindeversammlung. Hast du gehört?«

Dron warf sich auf einmal Alpatytsch zu Füßen.

»Jakow Alpatytsch, entlaß mich aus meinem Amt! Nimm mir die Schlüssel ab; entlaß mich, um Christi willen!«

»Hör auf!« sagte Alpatytsch in strengem Ton. »Ich sehe unter dir drei Ellen tief in die Erde«, wiederholte er, weil er wußte, daß seine Meisterschaft in der Bienenzucht, seine ausgezeichnete Kenntnis der besten Saatzeit für den Hafer und die Kunst, mit der er es verstanden hatte, zwanzig Jahre lang es dem alten Fürsten zu Dank zu machen, ihm schon längst den Ruf eines Zauberers eingetragen hatten, und daß den Zauberern die Fähigkeit zugeschrieben wird, drei Ellen tief unter einem Menschen in die Erde hineinzusehen.

Dron stand auf und wollte etwas sagen; aber Alpatytsch unterbrach ihn:

»Was ist euch denn in den Kopf gefahren? He? Was denkt ihr euch eigentlich? He?«

»Was soll ich mit diesem Volk anfangen?« erwiderte Dron. »Sie sind ganz außer Rand und Band. Ich habe ihnen schon gesagt …«

»Das scheint mir allerdings«, sagte Alpatytsch. »Trinken sie?« fragte er kurz.

»Ganz außer Rand und Band sind sie, Jakow Alpatytsch; schon das zweite Faß Branntwein haben sie herangeschleppt.«

»Also höre nun: ich fahre zum Bezirkshauptmann, und du mach den Leuten bekannt, sie sollen ihre Torheiten lassen und die Fuhren stellen.«

»Zu Befehl«, antwortete Dron.

Weiter setzte ihm Jakow Alpatytsch nicht zu. Er war lange genug bei diesem Volk Verwalter gewesen, um zu wissen, daß das wichtigste Mittel zur Erzielung des Gehorsams darin besteht, die Leute nicht merken zu lassen, daß man einen Ungehorsam von ihrer Seite für möglich hält. Nachdem Jakow Alpatytsch von Dron dieses gehorsame »Zu Befehl« erreicht hatte, begnügte er sich damit, obwohl er nicht nur an dem Gehorsam zweifelte, sondern beinahe überzeugt war, daß ohne Hilfe einer Abteilung Militär die Lieferung der Fuhren nicht durchzusetzen sein werde.

Und wirklich waren am Abend die Fuhren nicht zur Stelle. Im Dorf hatte wieder beim Krug eine Gemeindeversammlung stattgefunden, und in dieser war beschlossen worden, die Pferde in den Wald zu treiben und keine Wagen herauszugeben. Ohne der Prinzessin hiervon etwas zu sagen, befahl Alpatytsch, von den aus Lysyje-Gory gekommenen Wagen seine eigenen Sachen abzuladen und diese Pferde für die Equipagen der Prinzessin bereitzuhalten; er selbst aber fuhr zur Obrigkeit.

X


Nach dem Begräbnis ihres Vaters schloß sich Prinzessin Marja in ihrem Zimmer ein und ließ niemand zu sich. Das Stubenmädchen kam an die Tür und sagte, Alpatytsch sei gekommen, um sich von ihr Befehle in betreff der Abreise zu erbitten. (Dies war noch vor Alpatytschs Gespräch mit Dron.) Prinzessin Marja richtete sich ein wenig vom Sofa auf, auf dem sie lag, und sagte durch die verschlossene Tür hindurch, sie werde nie wegfahren und nirgendshin und bitte, man möge sie in Ruhe lassen.

Die Fenster des Zimmers, in welchem Prinzessin Marja lag, gingen nach Westen hinaus. Sie lag auf dem Sofa mit dem Gesicht nach der Wand zu und fingerte an den Knöpfen des ledernen Kissens herum; sie sah nichts als dieses Kissen, und ihre unklaren Gedanken waren immer nur auf einen Punkt gerichtet: sie dachte an die Unwiederbringlichkeit dessen, was ihr der Tod geraubt hatte, und an die Schlechtigkeit ihres eigenen Herzens, die sie bis jetzt nicht gekannt hatte und die erst während der Krankheit ihres Vaters zutage getreten war. Sie wollte beten, aber sie wagte es nicht; sie wagte nicht in der seelischen Verfassung, in der sie sich befand, sich an Gott zu wenden. In diesem Zustand lag sie lange da.

Die Sonne war nach dieser Seite des Hauses herumgegangen und beleuchtete nun mit ihren schrägfallenden abendlichen Strahlen durch die geöffneten Fenster hindurch das Zimmer und einen Teil des Saffiankissens, auf das Prinzessin Marja hinblickte. Dadurch wurde der Gang ihrer Gedanken auf einmal gehemmt. Ohne sich dessen selbst recht bewußt zu werden, richtete sie sich in die Höhe, strich sich das Haar zurecht, stand auf und trat zum Fenster; unwillkürlich zog sie die frische, kühle Luft des klaren, aber windigen Abends tief ein.

»Ja, jetzt kannst du dich gemächlich des Abends freuen! Er ist nicht mehr auf der Welt, niemand stört dich«, sagte sie zu sich selbst; sie ließ sich auf einen Stuhl sinken und legte den Kopf auf das Fensterbrett. Vom Garten her rief jemand sie mit zärtlicher, leiser Stimme und küßte sie auf den Kopf. Sie blickte auf. Es war Mademoiselle Bourienne in einem schwarzen Kleid mit Trauerbesatz. Sie war leise an Prinzessin Marja herangetreten, hatte sie seufzend geküßt und war dann sogleich in Tränen ausgebrochen. Prinzessin Marja sah sie an. Alle die früheren heftigen Szenen mit ihr und ihre Eifersucht gegen sie kamen ihr ins Gedächtnis; aber sie erinnerte sich auch, wie ihr Vater in der letzten Zeit sein Verhalten gegen Mademoiselle Bourienne geändert hatte, sie nicht mehr hatte sehen mögen, und wie ungerecht also die Vorwürfe gewesen waren, die sie der Französin in ihrem Herzen gemacht hatte. »Und steht es etwa mir, mir, die ich seinen Tod gewünscht habe, zu, jemand zu verurteilen?« dachte sie.

Prinzessin Marja stellte sich lebhaft die Lage der Französin vor, die in der letzten Zeit von dem Verkehr mit ihr ausgeschlossen war und dabei doch von ihr abhing und in einem fremden Haus lebte. Und sie bemitleidete sie, blickte sie freundlich fragend an und streckte ihr die Hand hin. Laut weinend begann Mademoiselle Bourienne sogleich diese Hand zu küssen und von dem Leid zu sprechen, das die Prinzessin betroffen habe, wobei sie sich selbst als Teilnehmerin an diesem Leid darstellte. Sie sagte, ihr einziger Trost in diesem Leid sei, daß die Prinzessin ihr erlaube, es mit ihr zu teilen; alle früheren Mißverständnisse müßten angesichts dieses großen Leides in ein Nichts verschwinden; sie fühle sich allen gegenüber rein, und »er« sehe von dort oben ihre Liebe und Dankbarkeit. Die Prinzessin hörte ihr zu, ohne den Sinn ihrer Worte zu verstehen; aber sie blickte sie manchmal an und lauschte auf den Ton ihrer Stimme.

»Ihre Lage ist doppelt schrecklich, liebe Prinzessin«, fuhr Mademoiselle Bourienne nach einem kurzen Stillschweigen fort. »Ich verstehe es, daß Sie nicht imstande gewesen sind, an sich selbst zu denken, und auch jetzt noch nicht dazu imstande sind; aber ich fühle mich durch meine Liebe zu Ihnen verpflichtet, dies zu tun … Ist Alpatytsch bei Ihnen gewesen? Hat er mit Ihnen über die Abreise gesprochen?« fragte sie.

Prinzessin Marja antwortete nicht. Sie verstand gar nicht, wer abreisen sollte und wohin die Reise gehen sollte. Konnte man denn jetzt irgend etwas vornehmen, jetzt an irgend etwas anderes denken? War nicht alles ganz gleichgültig? Sie antwortete nicht.

»Wissen Sie auch wohl, liebe Marja«, sagte Mademoiselle Bourienne, »wissen Sie auch wohl, daß wir uns in Gefahr befinden, daß wir von den Franzosen umringt sind? Wegzureisen ist jetzt gefährlich. Wenn wir abfahren, so geraten wir fast mit Sicherheit in Gefangenschaft, und Gott weiß …«

Prinzessin Marja blickte ihre Gesellschafterin an, ohne zu verstehen, was diese sagte.

»Ach, wenn jemand wüßte, wie gleichgültig mir jetzt alles, alles ist«, sagte sie. »Natürlich möchte ich jetzt um keinen Preis von ihm wegfahren … Alpatytsch hat mir etwas von Abreise gesagt … Reden Sie mit ihm; ich kann nichts und will nichts, nichts …«

»Ich habe mit ihm geredet; er hofft, daß wir morgen noch werden abreisen können; aber ich meine, es würde jetzt das beste sein, hierzubleiben«, sagte Mademoiselle Bourienne. »Denn, sagen Sie selbst, liebe Marja, es wäre doch schrecklich, wenn wir unterwegs den Soldaten oder den aufrührerischen Bauern in die Hände fielen.«

Mademoiselle Bourienne zog aus ihrem Ridikül eine nicht auf gewöhnlichem russischen Papier gedruckte Proklamation des französischen Generals Rameau, in der es hieß, die Einwohner möchten ihre Häuser nicht verlassen, es werde ihnen seitens der französischen Behörden der nötige Schutz zuteil werden, und reichte sie der Prinzessin hin.

»Ich glaube, es wäre am besten, sich an diesen General zu wenden«, sagte Mademoiselle Bourienne, »und ich bin überzeugt, daß Ihnen die schuldige Achtung erwiesen werden wird.«

Prinzessin Marja las das Blatt, und ein tränenloses Schluchzen ließ ihr Gesicht zusammenzucken.

»Durch wen haben Sie dieses Blatt erhalten?« fragte sie.

»Wahrscheinlich hat man aus meinem Namen ersehen, daß ich Französin bin«, erwiderte Mademoiselle Bourienne errötend.

Prinzessin Marja stand mit dem Blatt in der Hand vom Fenster auf, ging mit blassem Gesicht aus dem Zimmer und begab sich in das frühere Arbeitszimmer des Fürsten Andrei.

»Dunjascha, rufe mir Alpatytsch oder Dron oder sonst jemand!« sagte Prinzessin Marja. »Und sage zu Amalia Karlowna, sie möchte nicht zu mir hereinkommen«, fügte sie hinzu, als sie die Stimme der Französin hörte. »Ich will so schnell wie möglich abreisen! So schnell wie möglich!« sagte sie, tief erschrocken bei dem Gedanken, daß sie, wenn sie dabliebe, in die Gewalt der Franzosen geraten könne.

Wenn Fürst Andrei erführe, daß sie in die Gewalt der Franzosen geraten wäre! Wenn sie, die Tochter des Fürsten Nikolai Andrejewitsch Bolkonski, sich genötigt sähe, den Herrn General Rameau um seinen Schutz zu bitten und sich von ihm Wohltaten erweisen zu lassen! Dieser Gedanke versetzte sie in Schrecken, ließ sie zusammenfahren, erröten und eine ihr bisher noch unbekannte Aufwallung von Zorn und Stolz empfinden. Alles, was ihre Lage Drückendes und namentlich Unwürdiges hatte, trat ihr lebhaft vor Augen. »Sie, die Franzosen, werden in diesem Haus ihr Quartier aufschlagen; der Herr General Rameau wird sich das Zimmer des Fürsten Andrei zu seinem Logis aussuchen; er wird zu seiner Unterhaltung Andreis Briefe und Papiere durchstöbern und lesen. Mademoiselle Bourienne wird ihm die Honeurs von Bogutscharowo machen. Mir wird man aus Gnade und Barmherzigkeit ein Zimmerchen anweisen. Die Soldaten werden das frische Grab des Vaters aufwühlen, um ihn der Ordenskreuze und Ordenssterne zu berauben; sie werden mir von ihren Siegen über die Russen erzählen, werden heuchlerisch mit meinem Gram Mitleid bekunden …«, dachte Prinzessin Marja. Es entsprach das nicht ihrer eigenen Denkweise, sondern sie fühlte sich gewissermaßen verpflichtet, in der Art ihres Vaters und ihres Bruders zu denken. Ihr persönlich war es völlig gleichgültig, wo sie blieb und was aus ihr wurde; aber sie fühlte sich gleichzeitig als Vertreterin ihres verstorbenen Vaters und des Fürsten Andrei. Unwillkürlich dachte und empfand sie in deren Art zu denken und zu empfinden. Was diese beiden jetzt sagen und tun würden, eben dasselbe glaubte auch sie tun zu müssen. Hier in dem Arbeitszimmer des Fürsten Andrei bemühte sie sich, sich in seine Anschauungen zu versetzen, und überdachte in diesem Sinn ihre Lage.

Die Forderungen des wirklichen Lebens, von denen sie geglaubt hatte, sie seien mit dem Tod des Vaters abgetan, drängten sich ihr plötzlich mit neuer, noch unbekannter Kraft auf und nahmen sie in Anspruch.

Mit erregtem, gerötetem Gesicht ging sie im Zimmer hin und her und schickte bald nach Alpatytsch, bald nach Michail Iwanowitsch, bald nach Tichon, bald nach Dron. Dunjascha, die Kinderfrau und die sämtlichen Stubenmädchen wußten nicht zu sagen, inwieweit Mademoiselle Bouriennes Angaben richtig seien. Alpatytsch war nicht anwesend; er war zur Kreisbehörde gefahren. Der herbeigerufene Baumeister Michail Iwanowitsch erschien bei der Prinzessin Marja mit verschlafenen Augen und konnte ihr nichts sagen. Mit ganz demselben zustimmenden Lächeln, mit dem er fünfzehn Jahre lang sich gewöhnt hatte auf die Äußerungen des alten Fürsten zu antworten, ohne eine eigene Meinung auszusprechen, antwortete er auf die Fragen der Prinzessin Marja, so daß es unmöglich war, aus seinen Antworten etwas Bestimmtes zu entnehmen. Und der alte Kammerdiener Tichon mit dem abgemagerten, verfallenen Gesicht, das das Gepräge untröstlichen Leides trug, antwortete auf alle Fragen der Prinzessin Marja: »Zu Befehl«, und konnte, wenn er sie anblickte, kaum das Schluchzen unterdrücken.

Endlich trat der Dorfschulze Dron ins Zimmer, verbeugte sich tief vor der Prinzessin und blieb am Türpfosten stehen.

Prinzessin Marja ging durch das Zimmer auf ihn zu und trat vor ihn hin.

»Dronuschka«, begann sie; sie sah in ihm, ohne im geringsten zu zweifeln, einen Freund, schon in Erinnerung daran, daß er ihr vor seiner jährlichen Fahrt zum Jahrmarkt nach Wjasma jedesmal eine bestimmte Sorte Pfefferkuchen mitbrachte, die er ihr dann lächelnd überreichte. »Dronuschka, jetzt, nach unserm Unglück …«, sagte sie und verstummte, da sie nicht imstande war weiterzusprechen.

»Wir stehen alle in Gottes Hand«, sagte er mit einem Seufzer. Beide schwiegen eine Weile.

»Dronuschka, Alpatytsch ist irgendwohin weggefahren; ich habe niemand, an den ich mich wenden könnte; ist das richtig, was mir gesagt wird, daß ich nicht mehr wegfahren kann?«

»Warum solltest du nicht mehr wegfahren können, Euer Durchlaucht? Wegfahren kann man schon«, antwortete Dron.

»Es ist mir gesagt, es wäre gefährlich wegen des Feindes. Lieber Dron, ich allein vermag nichts und verstehe nichts und habe niemand zu meinem Beistand. Ich möchte unter allen Umständen in der Nacht oder morgen früh wegfahren.«

Dron schwieg. Mit gesenktem Kopf blickte er unter den Brauen hervor die Prinzessin Marja an.

»Es sind keine Pferde zu haben«, erwiderte er. »Ich habe es auch schon zu Jakow Alpatytsch gesagt.«

»Warum denn nicht?« fragte die Prinzessin.

»Das kommt alles von der Heimsuchung, die uns Gott gesandt hat«, antwortete Dron. »Viele Pferde sind für die Truppen requiriert, und viele sind krepiert: es ist ein schlimmes Jahr. Es ist kein Futter für die Pferde da, und man kann froh sein, wenn man nur selbst nicht Hungers stirbt! Drei Tage lang sitzen die Leute schon ohne Nahrung da. Es ist nichts vorhanden; sie sind völlig ruiniert.«

Prinzessin Marja hatte aufmerksam angehört, was er zu ihr gesagt hatte.

»Die Bauern sind ruiniert? Haben sie kein Getreide mehr?« fragte sie.

»Sie verhungern geradezu«, antwortete Dron. »Von den Pferden ganz zu schweigen …«

»Aber warum hast du das denn nicht schon früher gesagt, Dronuschka? Kann man ihnen denn nicht helfen? Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht …«

Es war der Prinzessin Marja ein seltsamer Gedanke, daß es jetzt, in diesem Augenblick, wo ein solches Leid ihre Seele erfüllte, reiche und arme Menschen geben konnte, die Reichen aber den Armen nicht sollten helfen können. Sie hatte einmal gehört und wußte unklar, daß es herrschaftliches Getreide gibt und daß den Bauern unter Umständen davon etwas gegeben wird. Sie wußte auch, daß weder ihr Bruder noch ihr Vater den Bauern in der Not eine derartige Bitte abgeschlagen haben würden; sie fürchtete nur, hinsichtlich dieser Getreideverteilung an die Bauern, die sie anordnen wollte, nicht die richtigen Worte zu treffen. Sie freute sich, daß sich ihr ein Anlaß zu einer ernsten Tätigkeit darbot, zu einer Tätigkeit von der Art, daß sie sich keinen Vorwurf zu machen brauchte, wenn sie um ihretwillen ihr Leid zeitweilig vergaß. Sie fing an, den Dorfschulzen eingehend über die Not der Bauern zu befragen, und ob herrschaftliches Getreide in Bogutscharowo vorhanden sei.

»Wir haben doch wohl herrschaftliches Getreide, das meinem Bruder gehört?« fragte sie.

»Das herrschaftliche Getreide ist noch vollständig unangerührt«, sagte Dron mit einem gewissen Stolz. »Unser Fürst hat befohlen, nichts zu verkaufen.«

»Gib es den Bauern; gib ihnen, soviel sie nötig haben; ich erlaube es dir im Namen meines Bruders«, sagte Prinzessin Marja.

Dron antwortete nicht, sondern stieß nur einen tiefen Seufzer aus.

»Verteile dieses Getreide unter sie, wenn es für sie ausreicht. Verteile alles. Ich befehle es dir, im Namen meines Bruders; sage ihnen: was uns gehört, das gehört auch ihnen. Es ist uns für sie kein Opfer zu groß. Das sage ihnen.«

Dron blickte die Prinzessin, während sie sprach, unverwandt an.

»Entlaß mich aus meinem Amt, Mütterchen, ich bitte dich um Gottes willen; befiehl, daß mir die Schlüssel genommen werden«, sagte er. »Dreiundzwanzig Jahre lang habe ich das Amt verwaltet und nichts Unrechtes getan; entlaß mich, um Gottes willen!«

Prinzessin Marja verstand nicht, was er von ihr wollte und warum er um seine Entlassung bat. Sie antwortete ihm, sie habe nie an seiner Ergebenheit gezweifelt und sei bereit, für ihn und für die Bauern alles zu tun, was in ihren Kräften stehe.

XI


Eine Stunde darauf kam Dunjascha zu der Prinzessin mit der Nachricht, Dron sei gekommen, und alle Bauern hätten sich, wie die Prinzessin befohlen habe, beim Speicher versammelt und wünschten mit der Herrin zu reden.

»Aber ich habe sie ja gar nicht herbestellt«, erwiderte Prinzessin Marja. »Ich habe nur zu Dron gesagt, er möchte Getreide an sie verteilen.«

»Befehlen Sie nur um Gottes willen, die Leute fortzujagen, liebste, beste Prinzessin, und gehen Sie nicht zu ihnen hin. Es ist alles nur Hinterlist«, sagte Dunjascha. »Sobald Jakow Alpatytsch zurückkommt, können wir abfahren … Aber lassen Sie sich nicht mit diesen Leuten ein …«

»Wieso denn Hinterlist?« fragte die Prinzessin erstaunt.

»Ja, das weiß ich; hören Sie nur auf mich, ich bitte Sie herzlich. Hier, Sie können ja auch die Kinderfrau fragen. Es heißt, die Bauern wollen nicht von hier wegziehen, wie Sie es befohlen haben.«

»Was du da redest, stimmt nicht. Ich habe gar nicht befohlen, daß sie wegziehen sollen …«, erwiderte Prinzessin Marja. »Ruf mir doch einmal Dron her.«

Dron kam und bestätigte Dunjaschas Worte: die Bauern seien gekommen, wie die Prinzessin befohlen habe.

»Aber ich habe sie doch gar nicht herbestellt«, sagte die Prinzessin. »Du hast gewiß meinen Auftrag nicht richtig an sie ausgerichtet. Ich habe nur gesagt, du solltest ihnen Getreide geben.«

Dron gab keine Antwort, sondern seufzte nur.

»Wenn Sie befehlen, werden die Bauern wieder fortgehen«, sagte er endlich.

»Nein, nein, ich werde zu ihnen hingehen«, erwiderte Prinzessin Marja.

Obwohl Dunjascha und die Kinderfrau ihr sehr davon abrieten, ging Prinzessin Marja vor die Haustür hinaus. Dron, Dunjascha, die Kinderfrau und Michail Iwanowitsch folgten ihr.

»Die Bauern denken wahrscheinlich, daß ich sie durch das Angebot von Getreide zum Hierbleiben veranlassen will, selbst aber fortfahre und sie der Willkür der Franzosen preisgebe«, dachte Prinzessin Marja. »Ich will ihnen Wohnungen auf dem Gut bei Moskau und monatliche Unterstützungen versprechen; ich bin überzeugt, daß Andrei an meiner Stelle noch mehr für sie tun würde«, dachte sie, während sie in der Dämmerung zu der Menge hinging, die auf dem Anger beim Speicher stand.

Die Menge geriet in Bewegung und drängte sich zusammen; die Mützen wurden schnell abgenommen. Mit niedergeschlagenen Augen und sich mit den Füßen in ihr Kleid verwickelnd, trat Prinzessin Marja nahe an sie heran. Es waren so viele verschiedenartige alte und junge Augen auf sie gerichtet, und es waren so viele verschiedene Gesichter da, daß Prinzessin Marja kein einziges Gesicht klar sah; sie fühlte die Notwendigkeit, zu allen zugleich zu sprechen, wußte aber nicht, wie sie das anstellen sollte. Aber das Bewußtsein, daß sie die Vertreterin ihres Vaters und ihres Bruders sei, verlieh ihr auch jetzt wieder Kraft, und kühn begann sie ihre Rede.

»Ich freue mich sehr, daß ihr gekommen seid«, sagte Prinzessin Marja, ohne die Augen aufzuschlagen, und fühlte dabei, wie schnell und stark ihr das Herz schlug. »Dron hat mir gesagt, der Krieg habe euch zugrunde gerichtet. Das ist unser gemeinsames Leid, und es wird mir kein Opfer zu groß sein, um euch zu helfen. Ich selbst werde wegfahren, weil es hier gefährlich ist … und der Feind nahe ist … und weil … Ich gebe euch alles, meine Freunde, und bitte euch, alles zu nehmen, unser ganzes Getreide, damit ihr keinen Mangel leidet. Und wenn euch gesagt sein sollte, daß ich euch das Getreide gebe, um euch zum Hierbleiben zu bewegen, so ist das unrichtig. Im Gegenteil bitte ich euch, mit euer ganzen Habe nach unserem Gut bei Moskau zu ziehen, und ich nehme es auf mich und verspreche euch, daß ihr dort keine Not leiden sollt. Es wird euch Unterkommen und Getreide gegeben werden.«

Die Prinzessin hielt inne; aus der Menge waren nur Seufzer zu hören.

»Ich tue das nicht von mir aus«, fuhr die Prinzessin fort, »ich tue es im Namen meines seligen Vaters, der euch ein guter Herr gewesen ist, sowie an Stelle meines Bruders und seines Sohnes.«

Sie hielt wieder inne. Niemand unterbrach das Schweigen.

»Das Leid ist uns allen gemeinsam, und wir wollen alles, was wir haben, miteinander teilen. Alles, was mein ist, gehört euch«, sagte sie und ließ ihren Blick über die Gesichter der vor ihr Stehenden hinschweifen.

Alle blickten sie mit dem gleichen Ausdruck an, dessen Bedeutung ihr unverständlich blieb. War es nun Neugier oder Ergebenheit und Dankbarkeit, oder Angst und Mißtrauen, aber der Ausdruck auf allen Gesichtern war ein und derselbe.

»Wir danken bestens für Ihre Güte; aber das herrschaftliche Getreide nehmen, das dürfen wir nicht«, sagte eine Stimme aus dem Hintergrund.

»Aber warum denn nicht?« fragte die Prinzessin.

Niemand antwortete, und als Prinzessin Marja die Menge anschaute, bemerkte sie, daß jetzt alle Augen, denen sie begegnete, sich sofort zu Boden richteten.

»Aber warum wollt ihr denn das nicht?« fragte sie noch einmal.

Es erfolgte wieder keine Antwort.

Der Prinzessin wurde dieses Schweigen peinlich; sie versuchte den Blick irgendeines der Bauern aufzufangen.

»Warum redet ihr nicht?« wandte sie sich an einen alten Mann, der auf seinen Stock gestützt vor ihr stand. »Sprich doch, wenn du glaubst, daß ihr sonst noch etwas nötig habt. Ich werde alles tun«, sagte sie.

Sie hatte seinen Blick aufgefangen; er aber, wie wenn er darüber ärgerlich wäre, ließ nun den Kopf ganz sinken und murmelte:

»Damit sind wir nicht einverstanden. Getreide brauchen wir nicht.«

»Sollen wir denn alles im Stich lassen? Damit sind wir nicht einverstanden; damit sind wir nicht einverstanden … Dazu geben wir unsere Zustimmung nicht. Wir bedauern dich, aber dazu geben wir unsere Zustimmung nicht. Fahr du nur selbst weg, allein …«, wurde von verschiedenen Seiten aus der Menge gerufen.

Und wieder zeigte sich auf allen Gesichtern dieser Menge ein und derselbe Ausdruck, und jetzt war es bereits sichtlich nicht der Ausdruck der Neugier oder der Dankbarkeit, sondern der Ausdruck ingrimmiger Entschlossenheit.

»Ihr habt mich gewiß nicht verstanden«, sagte Prinzessin Marja mit einem trüben Lächeln. »Warum wollt ihr nicht wegziehen? Ich verspreche, euch Wohnung und Lebensunterhalt zu geben. Hier dagegen wird euch der Feind zugrunde richten …«

Aber ihre Stimme wurde durch die Stimmen der Menge übertönt.

»Damit sind wir nicht einverstanden! Mögen sie uns zugrunde richten! Dein Getreide nehmen wir nicht; wir geben unsere Zustimmung nicht!«

Prinzessin Marja bemühte sich von neuem, den Blick irgendeines der Bauern aufzufangen; aber kein einziger Blick war auf sie gerichtet; die Augen aller vermieden es offenbar, den ihrigen zu begegnen. Es wurde ihr seltsam und unheimlich zumute.

»Sieh mal an, wie schlau sie uns zu überreden sucht, daß wir als ihre Sklaven mitziehen sollen! Unsere Häuser sollen wir zerstören und in die Knechtschaft wandern. Na so was! ›Ich will euch Getreide geben!‹ sagt sie.« So hörte sie in der Menge reden.

Prinzessin Marja senkte den Kopf, trat aus dem Kreis heraus und ging wieder ins Haus. Nachdem sie dem Dorfschulzen den Befehl gegeben hatte, für morgen Pferde zur Abreise zu beschaffen, begab sie sich in ihr Zimmer und blieb dort mit ihren Gedanken allein.

XII


Lange saß Prinzessin Marja in dieser Nacht in ihrem Zimmer am offenen Fenster und hörte das laute Reden der Bauern, von dem einzelne Laute aus dem Dorf herüberklangen; aber sie dachte nicht an die Bauern. Sie fühlte, daß, soviel sie auch über die Bauern nachdenken mochte, sie doch zu keinem Verständnis dieser Menschen kommen werde. Sie dachte jetzt immer nur an eines: an ihr Leid, das jetzt nach der Unterbrechung, die durch die Sorge um die Gegenwart herbeigeführt war, für sie schon ein Stück der Vergangenheit geworden war. Sie vermochte jetzt schon daran zurückzudenken, zu weinen und zu beten. Mit Sonnenuntergang hatte sich der Wind gelegt. Die Nacht war still und frisch. Kurz vor Mitternacht verstummten auch die Gespräche der Bauern; ein Hahn krähte; hinter den Linden stieg der Vollmond herauf; ein frischer, weißer Nebeltau erhob sich, und im Dorf sowie im Herrenhaus herrschte tiefe Stille.

Bilder aus der letzten Vergangenheit traten ihr eines nach dem andern vor die Seele: Bilder aus der Krankheit ihres Vaters und von seinen letzten Augenblicken. Und mit einer Art von wehmütiger Freude verweilte sie jetzt bei diesen Vorstellungen und wehrte nur das ein letzte Bild mit Grauen von sich ab, das Bild seines Todes, das auch nur mit der Einbildungskraft in dieser stillen, geheimnisvollen Stunde der Nacht anzuschauen sie sich unfähig fühlte. Und diese Bilder stellten sich ihr in solcher Klarheit und so mit allen Einzelheiten ausgestattet dar, daß sie ihr bald als Wirklichkeit, bald als Vergangenheit, bald als Zukunft erschienen.

Einmal tauchte deutlich in ihrer Erinnerung der Augenblick auf, als ihn der Schlag gerührt hatte und die Männer, die ihn unter die Arme gefaßt hatten, ihn aus dem Garten von Lysyje-Gory herausschleppten und er mit kraftloser Zunge etwas murmelte und mit den grauen Augenbrauen zuckte und sie unruhig und schüchtern ansah.

»Er hat mir schon damals das sagen wollen, was er mir an seinem Todestag gesagt: hat«, dachte sie. »Die ganze Zeit über hat er das im Sinn gehabt, was er mir nachher ausgesprochen hat.« Und da kam ihr mit allen Einzelheiten jene Nacht in Lysyje-Gory ins Gedächtnis, am Tag vor dem Schlaganfall, jene Nacht, wo sie, ein Unheil ahnend, gegen seinen Willen bei ihm geblieben war. Sie hatte nicht schlafen können, war in der Nacht auf den Zehen nach unten gegangen, hatte sich der Tür nach dem Blumenzimmer genähert, in welchem für diese Nacht das Bett ihres Vaters aufgeschlagen war, und hatte auf seine Stimme gelauscht. Er hatte in mattem, müdem Ton mit Tichon gesprochen. Von der Krim hatte er etwas gesagt und von den warmen Nächten und von der Kaiserin. Es war ihm offenbar Bedürfnis gewesen, etwas zu reden. »Warum hat er mich nicht rufen lassen? Warum hat er mir nicht erlaubt, Tichons Stelle einzunehmen?« hatte Prinzessin Marja damals gedacht und dachte sie auch jetzt. »Nun wird er zu niemandem jemals mehr all das aussprechen, womit sich seine Seele beschäftigte. Nun wird niemals mehr für ihn und für mich der Augenblick wiederkehren, wo er mir, und nicht dem alten Kammerdiener, alles, was er wollte, hätte sagen können und ich ihn gehört und verstanden hätte. Warum bin ich damals nicht in sein Zimmer hineingegangen?« dachte sie. »Vielleicht hätte er mir schon damals das gesagt, was er mir nachher an seinem Todestag gesagt hat. Auch damals, in dem Gespräch mit Tichon, hat er zweimal nach mir gefragt. Er wünschte mich zu sehen, und ich stand dort hinter der Tür. Es war für ihn etwas Peinliches, Trauriges, mit Tichon zu reden, der ihn nicht verstand. Ich erinnere mich, daß er mit ihm von Lisa wie von einer Lebenden zu reden anfing (er hatte vergessen, daß sie gestorben war) und Tichon ihn daran erinnerte, daß sie gestorben sei, und er dann schrie: ›Dummkopf!‹ Es war ihm peinlich. Ich hörte hinter der Tür, wie er sich ächzend auf das Bett legte und laut rief: ›Mein Gott!‹ Warum bin ich damals nicht hineingegangen? Was hätte er mir tun können? Was hatte ich zu verlieren? Vielleicht wäre er schon damals freundlich geworden und hätte dieses Wort zu mir gesagt.« Und Prinzessin Marja sprach laut das Kosewort aus, das er an seinem Todestag zu ihr gesagt hatte: »Mein Liebling!« Sie wiederholte das Wort mehrere Male und brach in Tränen aus, die ihr das Herz erleichterten. Sie sah jetzt sein Gesicht vor sich. Es war nicht das Gesicht, daß sie gekannt hatte, solange sie sich erinnern konnte, und das sie immer nur von weitem gesehen hatte, sondern jenes schüchterne, schwache Gesicht, das sie zum erstenmal mit all seinen Runzeln und kleinen Einzelheiten erblickt hatte, als sie sich zu seinem Mund niederbeugte, um zu hören, was er sagte.

»Mein Liebling!« wiederholte sie.

»Was hat er gedacht, als er dieses Wort sprach? Und was mag er jetzt denken?« Diese Frage kam ihr plötzlich in den Sinn, und gleichsam als Antwort darauf sah sie ihn vor sich mit dem Ausdruck, den sein mit dem weißen Tuch umbundenes Gesicht im Sarg getragen hatte. Und jener Schreck, der sie damals gepackt hatte, als sie ihn berührte und inneward, daß das nicht mehr er war, sondern etwas Geheimnisvolles, Abstoßendes, dieser Schreck ergriff sie auch jetzt. Sie wollte an etwas anderes denken, wollte beten; aber sie vermochte nichts davon zu tun. Mit großen, weitgeöffneten Augen blickte sie nach dem Mondlicht und den Schatten und erwartete jeden Augenblick, sein totes Gesicht zu sehen, und fühlte sich von der Stille, die um das Haus und im Haus herrschte, gleichsam in Fesseln geschmiedet.

»Dunjascha!« flüsterte sie. »Dunjascha!« schrie sie dann laut mit wilder Stimme und stürzte, sich aus dem Bann dieser Stille losreißend, nach dem Mädchenzimmer hin, wo ihr die Kinderfrau und die Stubenmädchen erschrocken entgegengelaufen kamen.

XIII


Am 17. August machten Rostow und Iljin, von dem soeben aus der Gefangenschaft zurückgekehrten Lawrenti und einer Husarenordonnanz begleitet, von ihrem Quartier Jankowo aus, das fünfzehn Werst von Bogutscharowo entfernt lag, einen Spazierritt, um ein neues Pferd, das sich Iljin gekauft hatte, zu probieren und in Erfahrung zu bringen, ob nicht in den Dörfern Heu vorhanden sei.

Bogutscharowo befand sich seit drei Tagen zwischen den beiden feindlichen Armeen, so daß gleich die russische Nachhut und die französische Vorhut sich dort einfinden konnte; und darum wollte Rostow als sorglicher Eskadronchef den Franzosen die etwa in Bogutscharowo vorhandene Furage vorwegnehmen.

Rostow und Iljin waren in heiterster Stimmung. Auf dem Weg nach Bogutscharowo, das, wie sie wußten, ein fürstliches Gut mit einem Herrenhaus war, und wo sie unter einer zahlreichen Dienerschaft auch hübsche Mädchen zu finden hofften, befragten sie bald Lawrenti über Napoleon und lachten über seine Erzählungen, bald ritten sie um die Wette, um Iljins Pferd auf die Probe zu stellen.

Rostow wußte nicht und ahnte nicht, daß dieses Dorf, wohin er ritt, ein Gut eben jenes Bolkonski sei, der mit seiner Schwester verlobt gewesen war.

An dem Abhang vor Bogutscharowo veranstalteten Rostow und Iljin zum letztenmal einen Wettritt, und Rostow, der vor Iljin einen Vorsprung erlangt hatte, sprengte als der erste in die Dorfstraße von Bogutscharowo herein.

»Du hast gewonnen!« sagte Iljin, der ganz rot geworden war.

»Ja, ich habe immer gewonnen; als wir vorhin auf der Wiese um die Wette ritten, habe ich gewonnen und nun jetzt hier«, antwortete Rostow und streichelte mit der Hand sein schaumbedecktes donisches Pferd.

»Aber ich auf meiner französischen Stute, Euer Erlaucht«, sagte Lawrenti, der hinter ihnen ritt (er bezeichnete damit das schlechte Wagenpferd, auf dem er saß), »hätte Sie überholt; ich wollte Sie nur nicht beschämen!«

Sie ritten im Schritt an einen Speicher heran, bei dem eine große Menge von Bauern stand.

Einige von den Bauern nahmen die Mützen ab; andere betrachteten, ohne die Mützen abzunehmen, die Heranreitenden. Zwei alte Bauern, beide von langer Gestalt, mit runzligen Gesichtern und dünnen Bärten, kamen aus dem Krug heraus und näherten sich lächelnd und schwankend, indem sie unharmonisch ein Lied sangen, den Offizieren.

»Na, liebe Leute«, sagte Rostow lachend, »wie ist’s? Habt ihr Heu?«

»Wie die beiden einander gleichen!« bemerkte Iljin.

»Unsre lus…lus…lust’ge Kumpa…pa …«, sang einer der Bauern mit glückseliger Miene.

Aus der Menge trat ein Bauer heraus und kam zu Rostow heran.

»Von welcher Partei seid ihr?« fragte er.

»Wir sind Franzosen«, antwortete Iljin lachend. »Und dies hier ist Napoleon selbst«, sagte er, auf Lawrenti weisend.

»Ihr seid also doch wohl Russen?« fragte der Bauer.

»Sind viele Truppen von eurem Heer hier in der Gegend?« fragte ein anderer, kleiner Bauer, der zu ihm trat.

»Jawohl, viele, sehr viele!« antwortete Rostow. »Aber warum habt ihr euch denn hier versammelt?« fügte er hinzu. »Ihr habt wohl einen Festtag, wie?«

»Die Ältesten haben sich in Gemeindeangelegenheiten versammelt«, antwortete der Bauer und ging wieder von ihm weg.

In diesem Augenblick erschienen auf dem Weg, der vom Herrenhaus herführte, zwei Frauenspersonen und ein Mann, der einen weißen Hut trug, und gingen eilig auf die Offiziere zu.

»Die im rosa Kleid gehört mir; daß mir keiner ins Gehege kommt!« sagte Iljin, als er Dunjascha bemerkte, die mutig auf ihn zulief.

»Uns wird sie gehören, uns!« sagte Lawrenti, die Augen zusammenkneifend, zu Iljin.

»Nun, meine Schöne, was wünschst du?« fragte Iljin lächelnd.

»Die Prinzessin läßt fragen, von welchem Regiment die Herren sind, und wie sie heißen.«

»Das hier ist Graf Rostow, der Eskadronchef, und ich bin euer gehorsamster Diener.«

»Kumpa…pa…nei …!« sang der betrunkene Bauer; er lächelte glückselig und sah Iljin an, der mit dem Mädchen eine Unterhaltung anknüpfte. Hinter Dunjascha her trat Alpatytsch an Rostow heran, nachdem er schon in weiter Entfernung den Hut abgenommen hatte.

»Ich bin so kühn, Sie zu belästigen, Euer Erlaucht«, sagte er respektvoll, aber doch mit einiger Geringschätzung, die sich auf das jugendliche Alter dieses Offiziers bezog; auch hatte er die Hand vorn in die Brust gesteckt. »Meine Herrin, die Tochter des am 15. dieses Monats verschiedenen Generals en chef Fürsten Nikolai Andrejewitsch Bolkonski, befindet sich infolge der Roheit dieser Leute« (er wies auf die Bauern) »in einer schwierigen Lage und bittet Sie, sich zu ihr zu bemühen … Wäre es Ihnen vielleicht gefällig«, fuhr Alpatytsch mit trübem Lächeln fort, »ein wenig zur Seite zu reiten; es ist peinlich, hier in Gegenwart dieser …« Alpatytsch zeigte auf die beiden betrunkenen alten Bauern, die sich hinter ihnen herumbewegten wie Bremsen um ein Pferd.

»Aha …! Alpatytsch … Aha, Jakow Alpatytsch … Schön, schön! Nimm’s nur nicht übel! Schön, schön!« sagten die Bauern und lachten ihn fröhlich an.

Rostow betrachtete die beiden Betrunkenen und lächelte.

»Oder vielleicht macht dieses Schauspiel Euer Erlaucht Vergnügen?« sagte Jakow Alpatytsch mit ruhiger, ernster Miene und zeigte mit derjenigen Hand, die er nicht in die Brust gesteckt hatte, auf die beiden Alten.

»Nein, dabei ist wenig Vergnügen«, antwortete Rostow und ritt zur Seite. »Um was handelt es sich denn eigentlich?« fragte er.

»Ich bin so frei, Euer Erlaucht zu melden, daß das hiesige grobe Volk die Herrin nicht vom Gut fortlassen will und die Pferde auszuspannen droht, so daß, obgleich seit dem frühen Morgen alles gepackt ist, Ihre Durchlaucht nicht abreisen kann.«

»Nicht möglich!« rief Rostow.

»Ich habe die Ehre, Ihnen die reine Wahrheit zu berichten«, erklärte Alpatytsch.

Rostow stieg vom Pferd, übergab es der Ordonnanz und ging mit Alpatytsch nach dem Haus zu. Unterwegs erkundigte er sich nach den Einzelheiten der Vorgänge. Das gestrige Anerbieten der Prinzessin, den Bauern Getreide zu geben, und ihre Gespräche mit Dron und der Bauernmenge hatte wirklich die Sache dermaßen verdorben, daß Dron endgültig die Schlüssel abgegeben und sich den Bauern angeschlossen hatte und nicht mehr erschienen war, wenn Alpatytsch ihn rufen ließ, und daß am Morgen, als die Prinzessin befohlen hatte anzuspannen, um wegzufahren, die Bauern in einem großen Schwarm zum Speicher gezogen waren und erklärt hatten, sie würden die Prinzessin nicht aus dem Dorf hinauslassen; es sei ein hoher Befehl ergangen, daß niemand seinen Wohnsitz verlassen solle, und sie würden die Pferde wieder ausspannen. Alpatytsch war mehrmals zu ihnen hinausgegangen und hatte ihnen Vorhaltungen gemacht; aber sie hatten ihm geantwortet (am meisten hatte Karp gesprochen; Dron hatte sich im Haufen gehalten und nicht blicken lassen), sie dürften die Prinzessin nicht weglassen; es sei darüber ein hoher Befehl ergangen. Die Prinzessin möge nur ruhig dableiben; dann würden sie ihr wie bisher dienen und in allem gehorchen.

In dem Augenblick, als Rostow und Iljin auf der Landstraße herangaloppiert kamen, hatte Prinzessin Marja trotz aller Gegenvorstellungen von seiten Alpatytschs, der Kinderfrau und der Dienstmädchen gerade Befehl zum Anspannen gegeben und fortfahren wollen; aber als man die herbeisprengenden Kavalleristen gesehen hatte, hatte man sie für Franzosen gehalten, die Kutscher waren davongelaufen, und die Weiber hatten im Haus ein großes Geheul erhoben.

»Väterchen! Du bist unser Retter! Dich hat uns Gott gesandt!« riefen die Weiber jetzt kläglich, als Rostow durch die Vorhalle ging.

Prinzessin Marja saß verstört und kraftlos im Saal, als Rostow zu ihr hereingeführt wurde. Sie hatte kein Verständnis dafür, wer er war, und warum er da war, und was aus ihr werden würde. Aber als sie sein russisches Gesicht erblickte und an der Art seines Eintretens und den ersten Worten, die er sprach, ihn als einen Mann ihres eigenen Standes erkannte, da schaute sie ihn mit ihrem tiefen, leuchtenden Blick an und begann mit stockender, vor Aufregung zitternder Stimme zu reden. Rostow fand gleich im ersten Augenblick diese Begegnung außerordentlich romantisch. »Ein schutzloses, von schwerem Leid niedergebeugtes Mädchen, ganz allein, der Willkür roher, aufrührerischer Bauern preisgegeben! Und welch eine seltsame Fügung des Schicksals hat mich hierhergeführt!« dachte Rostow, während er ihr zuhörte und sie ansah. »Und welch eine Sanftmut, welch ein Adel in ihren Zügen und in dem Ausdruck ihres Gesichtes«, dachte er weiter beim Anhören ihrer schüchternen Erzählung.

Als sie berichtete, daß dies alles sich am Tag nach der Beerdigung ihres Vaters zugetragen habe, fing ihre Stimme an zu beben. Sie wandte sich ab; dann aber schien sie zu fürchten, Rostow könne ihre Worte als einen Versuch, ihn zu rühren, auffassen, und blickte ihn ängstlich an. Rostow hatte Tränen in den Augen. Prinzessin Marja bemerkte dies und sah ihn dankbar mit jenem ihr eigenen leuchtenden Blick an, der einen jeden die Unschönheit ihres Gesichtes vergessen ließ.

»Ich kann gar nicht sagen, Prinzessin, wie glücklich es mich macht, daß ich zufällig hierhergekommen bin und imstande sein werde, Ihnen meine Dienstwilligkeit zu beweisen«, sagte Rostow, sich erhebend. »Bitte, fahren Sie ab, und ich stehe Ihnen mit meiner Ehre dafür, daß niemand wagen wird, Ihnen Unannehmlichkeiten zu bereiten, wenn Sie mir nur erlauben wollen, Sie zu geleiten.« Er verbeugte sich so ehrerbietig, wie man es vor Damen aus kaiserlichem Blut zu tun pflegt, und ging zur Tür.

Durch seinen besonders ehrerbietigen Ton schien Rostow andeuten zu wollen, daß, obwohl er es für ein hohes Glück halte, die Bekanntschaft der Prinzessin gemacht zu haben, er doch ihr Unglück nicht dazu benutzen wolle, um ihr in aufdringlicher Weise näherzutreten.

Prinzessin Marja verstand diese Absicht seines Tones und wußte sie zu würdigen.

»Ich bin Ihnen sehr, sehr dankbar«, sagte sie zu ihm auf französisch. »Aber ich hoffe, daß dies alles nur ein Mißverständnis gewesen ist und niemand dabei eine Schuld trifft.« Plötzlich brach sie in Tränen aus. »Entschuldigen Sie mich«, sagte sie.

Rostow verbeugte sich mit finsterem Gesicht noch einmal tief vor ihr und verließ das Zimmer.

XIV


»Nun, wie steht’s? Ist deine Prinzessin nett? Nein, Bruder, meine im rosa Kleid ist ein entzückendes Wesen; sie heißt Dunjascha …«

Aber hier warf Iljin einen Blick auf Rostows Gesicht und verstummte. Er sah, daß sein Held und Vorgesetzter sich in einer ganz anderen Gemütsverfassung befand.

Rostow sah sich grimmig nach Iljin um und ging, ohne ihm zu antworten, mit schnellen Schritten in der Richtung nach dem Dorf weiter.

»Ich werde es ihnen zeigen, ich werde es ihnen gehörig geben, diesen Räubern!« sagte er vor sich hin.

Alpatytsch konnte mit einer Art von schleifendem Schritt, um nicht geradezu Trab zu laufen, Rostow nur mit Mühe einholen.

»Was haben Sie für einen Entschluß gefaßt?« fragte er, als er ihn erreicht hatte.

Rostow blieb stehen und trat auf einmal mit geballten Fäusten drohend auf Alpatytsch zu.

»Entschluß? Was für einen Entschluß? Alter Dummkopf!« schrie er ihn an. »Warum hast du denn ruhig zugesehen? He? Die Bauern revoltieren, und du verstehst nicht mit ihnen fertigzuwerden? Du bist selbst so ein Verräter! Ich kenne euch; das Fell werde ich euch allen abziehen …« Und wie wenn er seinen Vorrat an Heftigkeit vorzeitig zu verschwenden fürchtete, ließ er Alpatytsch stehen und ging schnell vorwärts.

Alpatytsch unterdrückte seine Empfindlichkeit über die ihm zugefügte Beleidigung, eilte mit seinem schleifenden Gang hinter Rostow her und begann ihm seine Auffassung der Sachlage auseinanderzusetzen. Er sagte, die Bauern seien so hartnäckig und verstockt, daß es im jetzigen Augenblick unvernünftig sein würde, ihnen schroff entgegenzutreten, wenn man nicht ein Kommando Soldaten zur Verfügung habe; es würde vielleicht das beste sein, vorher ein solches Kommando holen zu lassen.

»Ich werde ihnen ein Kommando Soldaten zeigen! Bin selbst ein Kommando Soldaten! Ich werde ihnen schon schroff entgegentreten!« rief Nikolai wie ein Unsinniger; er konnte kaum atmen vor sinnloser, tierischer Wut und vor dem Verlangen, diese Wut an jemand auszulassen.

Ohne darüber nachzudenken, was er eigentlich tun wollte, ging er ohne weiteres mit schnellem, entschlossenem Schritt auf den Menschenhaufen los. Und je näher er demselben kam, um so stärker wurde bei Alpatytsch das Gefühl, daß dieses unvernünftige Verfahren doch am Ende zu einem guten Resultat führen könne. Dieselbe Empfindung hatten auch die Bauern, als sie Rostows schnellen, festen Gang und entschlossenen, finsteren Gesichtsausdruck wahrnahmen.

Nachdem die Husaren in das Dorf gekommen waren und Rostow sich zu der Prinzessin begeben hatte, war in der Menge Verlegenheit und Zwiespalt entstanden. Einige Bauern hatten gesagt, die Angekommenen seien Russen, und es sei zu befürchten, daß sie sich der Prinzessin annehmen würden, wenn man ihr hinderlich wäre abzureisen. Derselben Ansicht war auch Dron gewesen; aber sowie er sie ausgesprochen hatte, waren Karp und andere Bauern heftig über den bisherigen Dorfschulzen hergefallen.

»So viele Jahre lang hast du die Bauernschaft geschunden und ausgesogen!« hatte ihn Karp angeschrien. »Dir ist ja natürlich alles gleich. Du gräbst deinen Geldkasten aus und nimmst ihn mit weg; was kümmert es dich, ob unsere Häuser zerstört werden oder nicht!«

»Es ist doch Befehl gekommen, es soll alles in Ordnung bleiben, und niemand soll seinen Wohnsitz verlassen; nicht das geringste darf weggeschafft werden. Danach muß es gehen!« hatte ein anderer gerufen.

»Dein Sohn war an der Reihe, Soldat zu werden«, hatte auf einmal ein kleiner Alter, hastig redend, den früheren Dorfschulzen angegriffen. »Aber dein dicker Junge hat dir wohl leid getan, und du hast statt seiner meinem Iwan den Kopf scheren lassen. Na, warte nur, wir werden dich noch einmal vor Gott verklagen!«

»Ja, ja, wir werden dich vor Gott verklagen!«

»Ich habe nie etwas zum Schaden der Bauernschaft getan«, hatte Dron gesagt.

»Nie etwas zum Schaden der Bauernschaft getan! Einen Bauch hast du dir angemästet!«

Auch die beiden betrunkenen langen Bauern hatten in ihrer Weise mit hineingeredet.

Sobald sich Rostow, von Iljin, Lawrenti und Alpatytsch begleitet, der Menge näherte, trat Karp heraus und ihm entgegen; er hatte die Finger in seinen Gurt gesteckt und lächelte leise. Dron dagegen zog sich in die hinteren Reihen zurück, und der Haufe schloß sich dichter zusammen.

»He! Wer ist hier bei euch der Dorfschulze?« rief Rostow, schnellen Schrittes auf die Menge zugehend.

»Der Dorfschulze? Was wollen Sie von dem …?« fragte Karp.

Aber er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als ihm die Mütze auf die Erde flog und ihm der Kopf infolge des starken Schlages zur Seite hing.

»Die Mützen herunter, ihr Verräter!« schrie Rostow mit kräftiger Stimme. »Wo ist der Dorfschulze?« schrie er wütend noch einmal.

»Den Dorfschulzen ruft er; er ruft nach dem Dorfschulzen … Dron Sacharytsch, Sie ruft er!« hörte man hier und dort eilig und kleinlaut sagen, und die Mützen verschwanden von den Köpfen.

»Wir dürfen uns doch nicht gegen den hohen Befehl, der gekommen ist, auflehnen; wir müssen auf Ordnung halten«, sagte Karp, und im gleichen Augenblick ließen sich einige Stimmen aus dem Hintergrund vernehmen:

»Was die Alten beschlossen haben, das tun wir. Was haben wir mit euch Offizieren zu schaffen?«

»Räsonieren wollt ihr? Rebellion! Ihr Räuber, ihr Verräter!« brüllte Rostow wütend mit entstellter Stimme und packte Karp am Kragen. »Bindet ihn, bindet ihn!« schrie er, obgleich niemand da war, der ihn hätte binden können, als Lawrenti und Alpatytsch.

Lawrenti indessen lief zu Karp hin und faßte ihn von hinten bei den Armen.

»Befehlen Sie, unsere Leute vom Berg herzurufen?« rief er.

Alpatytsch wandte sich an die Bauern und rief zwei von ihnen mit Namen auf, mit dem Auftrag, Karp zu binden. Die Bauern traten gehorsam aus dem Haufen heraus und banden ihre Gürtel ab.

»Wo ist der Dorfschulze?« rief Rostow.

Dron trat mit finsterem, blassem Gesicht aus dem Haufen heraus.

»Du bist der Dorfschulze? Binde ihn, Lawrenti!« rief Rostow, als ob auch dieser Befehl auf kein Hindernis stoßen könnte.

Und wirklich machten sich noch zwei Bauern daran, Dron zu binden, der, als ob er ihnen behilflich sein wollte, seinen Gürtel abband und ihnen hinreichte.

»Hört mal alle zu, was ich sage!« wandte sich Rostow an die Bauern. »Sofort marsch nach Hause mit euch, und daß ich keinen Ton mehr von euch höre!«

»Na aber, wir haben doch niemandem etwas zuleide getan! Wir haben ja doch nur aus Dummheit … Wir haben bloß eine Torheit begangen … Ich habe gleich gesagt, daß sich das nicht gehörte«, redeten die Bauern, die nun einander wechselseitig Vorwürfe machten.

»Seht ihr wohl, ich habe euch gewarnt!« sagte Alpatytsch, der wieder in die Rechte seines Amtes eintrat. »Das war nicht hübsch von euch, Kinder!«

»Wir haben’s ja nur aus Dummheit getan, Jakow Alpatytsch!« antworteten mehrere, und die Menge begann sogleich auseinanderzugehen und sich im Dorf zu verteilen.

Die beiden gebundenen Bauern wurden in das Gutsgebäude gebracht. Die beiden Betrunkenen gingen hinter ihnen her.

»Na ja, da sieht man, wie es dir bekommen ist!« sagte einer von ihnen, zu Karp gewendet.

»Darf man denn aber auch so zu der Herrschaft sprechen? Was war denn das für ein Einfall von dir? Du Dummkopf!« stimmte ihm der andere bei. »Ein rechter Dummkopf bist du, wahrhaftig!«

Zwei Stunden darauf standen die Wagen auf dem Hof des Gutshauses von Bogutscharowo; die Bauern trugen eifrig die Sachen der Herrschaft heraus und verluden sie auf die Wagen, und Dron, der auf den Wunsch der Prinzessin Marja aus dem Verschlag, in den man ihn eingesperrt hatte, herausgelassen war, stand auf dem Hof und gab den Bauern dabei Anweisungen.

»Lege sie nicht so schlecht hin«, sagte einer der Bauern, ein großer Mensch mit rundem, lächelndem Gesicht, der aus den Händen eines Stubenmädchens eine Schatulle in Empfang genommen hatte und sie nun mit einem andern Bauern zusammen verpackte. »Sie hat ja doch auch ein schönes Stück Geld gekostet. Wenn du sie so schmeißt, das verträgt sie nicht, und so unter dem Strick, da scheuert sie sich. So etwas kann ich nicht leiden. Es muß alles ehrlich und nach der Ordnung zugehen. Siehst du, so, unter die Matte, und nun decke noch Heu darüber; so ist es gut!«

»Seht mal, Bücher und Bücher!« sagte ein anderer Bauer, der die Bibliotheksschränke des Fürsten Andrei mit heraustrug. »Stoß nicht an! Aber die haben ein Gewicht, Kinder; das sind mal tüchtige Bücher!«

»Ja, wer die geschrieben hat, der muß fleißig zu Hause gesessen haben!« bemerkte mit bedeutsamem Blinzeln der große Bauer mit dem runden Gesicht, indem er auf die obenauf liegenden Lexika wies.


Rostow, der der Prinzessin seine Bekanntschaft nicht aufdrängen wollte, ging nicht weiter zu ihr, sondern blieb im Dorf und wartete dort auf ihre Abfahrt. Sobald die Wagen der Prinzessin Marja aus dem Tor des Gutshauses herausfuhren, setzte sich Rostow zu Pferd und begleitete sie so bis zu dem von unseren Truppen besetzten Weg, fünfzehn Werst von Bogutscharowo. In Jankowo, im Herbergshaus, nahm er von ihr respektvoll Abschied und erlaubte sich zum erstenmal ihr die Hand zu küssen.

»Aber ich bitte Sie«, antwortete er errötend auf die Danksagungen der Prinzessin Marja für ihre Rettung (wie sie seine Tat nannte). »Jeder Landreiter hätte dasselbe getan. Wenn wir nur mit Bauern zu kämpfen hätten, so hätten wir die Feinde nicht so weit ins Land hineinkommen lassen«, sagte er, sich beschämt fühlend und bemüht, das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu bringen. »Ich bin glücklich darüber, daß ich Gelegenheit gehabt habe, Sie kennenzulernen. Leben Sie wohl, Prinzessin; ich wünsche Ihnen Glück und Trost und würde mich freuen, wenn ich Ihnen später einmal unter glücklicheren Verhältnissen wiederbegegnen sollte. Wenn Sie mich nicht zum Erröten zwingen wollen, so bitte danken Sie mir nicht.«

Aber wenn ihm die Prinzessin auch nicht mehr mit Worten dankte, so dankte sie ihm durch den ganzen Ausdruck ihres von Erkenntlichkeit und innigem Gefühl strahlenden Gesichtes. Sie konnte ihm nicht glauben, daß sie keinen Anlaß hätte, ihm zu danken. Im Gegenteil war es ihr unzweifelhaft, daß, wenn er nicht gewesen wäre, ihr durch die aufrührerischen Bauern und durch die Franzosen das Verderben sicher gewesen sei, und daß er, um sie zu retten, sich den augenscheinlichsten, furchtbarsten Gefahren ausgesetzt habe; und noch weniger zweifelhaft war ihr, daß er ein Mann von hochherziger, edler Gesinnung war, der ihre Lage und ihren Kummer zu würdigen verstand. Seine guten, ehrlichen Augen, die sich mit Tränen gefüllt hatten, als sie, selbst weinend, mit ihm von ihrem Verlust sprach, kamen ihr nicht aus dem Sinn.

Als sie von ihm Abschied genommen hatte und allein geblieben war, fühlte sie auf einmal Tränen in ihren Augen, und es drängte sich ihr, nicht mehr zum erstenmal, die Frage auf, ob sie nicht etwa diesen Mann liebe.

Dunjascha, die mit der Prinzessin in demselben Wagen saß, bemerkte bei der Weiterfahrt nach Moskau mehrmals, daß die Prinzessin, obwohl ihre Lage keineswegs eine erfreuliche war, den Kopf aus dem Wagenfenster heraussteckte und wehmütig und zugleich freudig lächelte.

»Nun, was tut es, wenn ich ihn auch wirklich liebe?« dachte Prinzessin Marja.

Wie sehr sie sich auch schämte, es sich einzugestehen, daß sie ihrerseits zuerst einen Mann liebgewonnen habe, der ihre Liebe vielleicht nie erwidern werde, so tröstete sie sich doch mit dem Gedanken, daß ja niemand etwas davon erfahren werde, und daß sie ja nichts Böses tue, wenn sie bis zum Ende ihres Lebens, ohne jemandem etwas davon zu sagen, den Mann liebe, dem als dem ersten und einzigen sich ihre Neigung zugewendet habe.

Sie mußte an seine teilnahmsvollen Blicke und Worte denken, und dann schien es ihr mitunter nicht unmöglich, daß sie noch einmal glücklich werden könne. Das waren die Augenblicke, in denen Dunjascha bemerkte, daß sie lächelnd aus dem Wagenfenster blickte.

»Und daß er nach Bogutscharowo kommen mußte, und gerade in einem solchen Augenblick!« dachte Prinzessin Marja. »Und daß seine Schwester sich von dem Fürsten Andrei lossagen mußte!« Und in alledem sah Prinzessin Marja den Willen der Vorsehung.

Der Eindruck, den Prinzessin Marja auf Rostow gemacht hatte, war ein sehr angenehmer. Sooft er sich an sie erinnerte, wurde ihm fröhlich zumute, und wenn die Kameraden, die von seinem Abenteuer in Bogutscharowo gehört hatten, ihn neckten, er sei nach Heu ausgeritten und habe sich eines der reichsten heiratsfähigen Mädchen Rußlands gefischt, so wurde er ärgerlich. Er wurde namentlich deswegen ärgerlich, weil der Gedanke an eine Heirat mit der sanften Prinzessin Marja, die ihm so gut gefiel und ein so gewaltiges Vermögen besaß, ihm wider seinen Willen schon mehrmals durch den Kopf gegangen war. Für sich persönlich konnte Nikolai gar keine bessere Frau wünschen als Prinzessin Marja; auch würde die Gräfin, seine Mutter, über diese Heirat glücklich sein, da auf diese Weise die Verhältnisse seines Vaters in Ordnung kommen würden; und endlich würde sogar (das fühlte Nikolai) auch Prinzessin Marja dadurch glücklich werden.

Aber Sonja? Und sein Wort, das er ihr gegeben hatte? Und eben dies war der Grund, weswegen sich Rostow ärgerte, wenn er mit der Prinzessin Bolkonskaja geneckt wurde.

XV


Nachdem Kutusow den Oberbefehl über die Armee übernommen hatte, erinnerte er sich auch an den Fürsten Andrei und sandte ihm den Befehl, nach dem Hauptquartier zu kommen.

Fürst Andrei traf in Zarewo-Saimischtsche gerade an dem Tag und gerade zu der Tageszeit ein, als Kutusow die erste Truppenschau abhielt. Fürst Andrei hielt im Dorf bei dem Haus des Geistlichen an, vor welchem die Equipage des Oberkommandierenden stand, setzte sich auf ein Bänkchen am Torweg und wartete auf den Durchlauchtigen, wie Kutusow jetzt von allen genannt wurde. Auf dem Feld außerhalb des Dorfes ertönten bald die Klänge der Regimentskapellen, bald das Geschrei einer gewaltigen Menge von Stimmen, die dem neuen Oberkommandierenden Hurra zuriefen. Ebendort am Torweg, etwa zehn Schritt vom Fürsten Andrei entfernt, standen, die Abwesenheit des Durchlauchtigen sich zunutze machend und das schöne Wetter genießend, zwei Offiziersburschen sowie ein Kurier und ein Haushofmeister. Ein schwarzhaariger, kleiner Husarenoberstleutnant mit starkem Schnurr- und Backenbart kam zum Torweg geritten und fragte, indem er den Fürsten Andrei anblickte, ob hier der Durchlauchtige wohne und ob er bald kommen werde.

Fürst Andrei antwortete ihm, er gehöre nicht zum Stab des Durchlauchtigen und sei selbst soeben erst gekommen. Der Husarenoberstleutnant wandte sich an einen der eleganten Burschen, und der Bursche des Oberkommandierenden sagte ihm mit jener besonderen Art von Geringschätzung, mit welcher die Burschen hoher Chefs mit Offizieren reden:

»Was? Der Durchlauchtige? Er wird wahrscheinlich gleich kommen. Was wünschen Sie denn?«

Der Husarenoberstleutnant lächelte über diesen Ton des Burschen in seinen Schnurrbart hinein, stieg vom Pferd, gab es seiner Ordonnanz und trat zu Bolkonski, dem er eine leichte Verbeugung machte. Bolkonski rückte auf der Bank zur Seite. Der Husarenoberstleutnant setzte sich neben ihn.

»Warten Sie auch auf den Oberkommandierenden?« fragte der Ankömmling. »Es heißt ja, daß niemandem der Zutritt zu ihm versagt wird. Gott sei Dank! Bisher, bei den Wurstmachern, war das ein reines Elend! Es hatte schon seinen guten Grund, wenn Jermolow darum bat, zum Deutschen befördert zu werden. Jetzt wird es vielleicht auch den Russen möglich sein, ein Wort zu reden. Weiß der Teufel, was die Herren für Geschichten gemacht haben: immer haben wir zurückgehen müssen, immer zurückgehen! Haben Sie den Feldzug mitgemacht?« fragte er.

»Ich hatte nicht nur das Vergnügen, an dem Rückzug teilzunehmen«, antwortete Fürst Andrei, »sondern es war mir auch beschieden, bei diesem Rückzug alles zu verlieren, was mir teuer war: abgesehen von meinen Gütern und meinem Vaterhaus auch meinen Vater selbst, der vor Gram gestorben ist. Ich bin aus dem Gouvernement Smolensk.«

»Ah …! Sie sind Fürst Bolkonski? Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen. Oberstleutnant Denisow, bekannter unter dem Namen Waska«, sagte Denisow, drückte dem Fürsten Andrei die Hand und blickte ihm aufmerksam und mit einem außerordentlich gutherzigen Ausdruck ins Gesicht. »Ja, ich habe davon gehört«, sagte er teilnahmsvoll. Und nachdem er ein Weilchen geschwiegen hatte, fuhr er fort: »Da haben wir nun den Skythenkrieg. Alles ganz schön, nur nicht für diejenigen, die den Schaden davon persönlich zu spüren bekommen. Also Sie sind Fürst Andrei Bolkonski?« Er wiegte den Kopf hin und her. »Sehr erfreut, Fürst, sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen«, fügte er nochmals mit trübem Lächeln hinzu und drückte ihm noch einmal die Hand.

Fürst Andrei kannte Denisow aus Nataschas Erzählungen von ihrem ersten Freier. Diese zugleich süße und traurige Erinnerung führte ihn wieder zu jenen schmerzlichen Empfindungen zurück, die ihm schon lange nicht mehr zum Bewußtsein gekommen waren, aber immer noch in seiner Seele lebten. In der letzten Zeit hatten so viele andere, so ernste Eindrücke auf ihn eingewirkt (die Preisgabe von Smolensk, sein Besuch in Lysyje-Gory, die tags zuvor erhaltene Nachricht von dem Tod seines Vaters) und er hatte so viele schmerzliche Empfindungen durchmachen müssen, daß ihm diese Erinnerungen schon lange nicht mehr gekommen waren und jetzt, wo sie kamen, bei weitem nicht mit ihrer früheren Stärke auf ihn wirkten. Auch für Denisow gehörte diese Reihe von Erinnerungen, die der Name Bolkonski bei ihm wachrief, einer fernen, romantischen Vergangenheit an, als er nach dem Abendessen und nach Nataschas Gesang, ohne selbst recht zu wissen, wie es zuging, dem fünfzehnjährigen Mädchen einen Heiratsantrag gemacht hatte. Er lächelte bei der Erinnerung an jene Zeit und an seine Liebe zu Natascha und ging sofort zu dem Gegenstand über, der ihn jetzt leidenschaftlich und ausschließlich beschäftigte. Es war dies ein Feldzugsplan, den er sich beim Vorpostendienst während des Rückzuges ausgesonnen hatte. Er hatte diesen Plan Barclay de Tolly vorgelegt und wollte ihn jetzt zu Kutusows Kenntnis bringen. Der Plan gründete sich darauf, daß die Operationslinie der Franzosen zu weit ausgedehnt sei, und lief darauf hinaus, wir müßten, statt in der Front zu operieren und den Franzosen den Weg zu versperren (oder gleichzeitig mit diesen Operationen), gegen ihre Verbindungen operieren. Er begann dem Fürsten Andrei seinen Plan auseinanderzusetzen.

»Sie können diese ganze Linie nicht halten. Das ist unmöglich; ich stehe dafür, daß ich sie durchbreche. Geben Sie mir fünfhundert Mann, und ich durchbreche sie; das ist ganz sicher. Streifkorps, das ist das einzige hier zweckmäßige System.«

Denisow stand auf und erläuterte dem Fürsten Bolkonski seinen Plan unter lebhaften Gestikulationen. Mitten in seine Darlegungen hinein ertönte von dem Platz der Truppenschau her das Hurrarufen des Heeres. Es klang jetzt noch unharmonischer und über einen weiteren Raum ausgedehnt als vorher und floß mit der Musik und dem Gesang von Liedern zusammen. Im Dorf hörte man Pferdegetrappel und Schreien.

»Jetzt kommt er selbst!« rief ein Kosak, der am Tor stand. »Er kommt!«

Bolkonski und Denisow traten an das Tor, wo eine Abteilung Soldaten, die Ehrenwache, Aufstellung genommen hatte, und erblickten Kutusow, der auf einem kleinen Braunen die Dorfstraße entlanggeritten kam. Eine gewaltige Suite von Generalen ritt hinter ihm, Barclay fast an seiner Seite; eine Menge von Offizieren lief hinter ihnen und um sie her und schrie Hurra.

Ihm voraus sprengten mehrere Adjutanten in den Hof hinein. Kutusow stieß ungeduldig sein Pferd in die Weichen, einen Paßgänger, der in weichem Gang seinen schweren Reiter trug, und legte unaufhörlich, mit dem Kopf nickend, die Hand an die weiße Chevaliergarde-Mütze (mit rotem Besatz und ohne Schirm), die er trug. Als er zu der salutierenden Ehrenwache gekommen war, prächtigen, strammen, großenteils mit Orden geschmückten Grenadieren, musterte er sie ein Weilchen schweigend mit dem aufmerksam prüfenden Blick des Vorgesetzten und wandte sich dann zu der ihn umgebenden Schar der Generale und Offiziere. Sein Gesicht nahm auf einmal einen feinen, klugen Ausdruck an; er zuckte mit einer Gebärde der Verwunderung die Achseln.

»Und mit solchen Prachtkerlen geht man immer nur rückwärts und rückwärts!« sagte er. »Nun, auf Wiedersehen, General«, fügte er hinzu und trieb sein Pferd ins Tor, an dem Fürsten Andrei und Denisow vorüber.

»Hurra! Hurra! Hurra!« schallte es hinter ihm her.

Seit Fürst Andrei ihn zum letztenmal gesehen hatte, war Kutusow noch dicker, fetter, schwammiger geworden. Aber das ihm bekannte weiße Auge und die Narbe und der Ausdruck von Müdigkeit in seinem Gesicht und in seiner ganzen Gestalt waren unverändert geblieben. Er trug einen Uniform-Oberrock; über der Schulter hing an einem dünnen Riemen die Peitsche. Schwerfällig zusammengesunken und hin und her schwankend saß er auf seinem munteren Pferdchen. »Fü … fü … fü …«, pfiff er ganz leise, während er auf den Hof ritt. Auf seinem Gesicht prägte sich die Freude aus, die man empfindet, wenn man lästigen Repräsentationspflichten genügt hat und sich nun auszuruhen und zu erholen gedenkt. Er zog den linken Fuß aus dem Steigbügel, bog sich mit dem ganzen Oberkörper nieder, brachte, vor Anstrengung die Stirn runzelnd, das linke Bein mit Mühe auf den Sattel, stemmte sich mit dem Knie auf, ächzte und ließ sich in die Arme der Kosaken und Adjutanten sinken, die ihn auffingen.

Er richtete sich gerade und blickte mit seinen zusammengekniffenen Augen um sich; den Fürsten Andrei sah er an, aber offenbar ohne ihn zu erkennen; dann schritt er mit seinem gleitenden Gang der Freitreppe zu. »Fü … fü … fü …«, pfiff er wieder und sah sich noch einmal nach dem Fürsten Andrei um. Der Eindruck, den er von dem Gesicht des Fürsten Andrei empfangen hatte, verband sich, wie das bei Greisen oft vorkommt, erst nach einigen Sekunden mit der Erinnerung an seine Persönlichkeit.

»Ah, guten Tag, Fürst; guten Tag, mein Lieber. Komm nur mit …«, sagte er mit müder Stimme, indem er sich umsah, und stieg schwerfällig die Freitreppe hinan, die unter seinem Gewicht knarrte.

Er knöpfte sich den Rock auf und setzte sich auf ein Bänkchen, das auf der Plattform stand.

»Nun, was macht der Vater?«

»Gestern habe ich die Nachricht von seinem Tod erhalten«, antwortete Fürst Andrei kurz.

Kutusow blickte den Fürsten Andrei mit erschrockenen, weitgeöffneten Augen an; dann nahm er die Mütze ab und bekreuzte sich:

»Sei ihm das Himmelreich beschieden! Gottes Wille geschehe an uns allen!« Er seufzte schwer aus tiefster Brust und schwieg eine Weile. »Ich habe ihn herzlich geliebt und geschätzt und teile deinen Schmerz von ganzer Seele.«

Er umarmte den Fürsten Andrei, drückte ihn an seine fette Brust und hielt ihn lange fest. Als er ihn dann losließ, sah Fürst Andrei, daß Kutusows aufgeschwemmte Lippen zitterten und ihm die Tränen in den Augen standen. Kutusow seufzte und faßte mit beiden Händen nach der Bank, um aufzustehen.

»Komm zu mir, komm, wir wollen noch miteinander reden«, sagte er.

Aber in diesem Augenblick stieg Denisow, der sich vor seinem hohen Vorgesetzten ebensowenig fürchtete wie vor dem Feind, obgleich die Adjutanten an der Freitreppe ihn mit zornigem Flüstern zurückzuhalten suchten, sporenklirrend die Stufen hinan und trat auf die Plattform. Kutusow, der immer noch die Arme auf die Bank gestemmt hielt, blickte ihn unzufrieden an.

Denisow nannte seinen Namen und erklärte, er habe Seiner Durchlaucht eine Sache von großer Wichtigkeit für das Wohl des Vaterlandes mitzuteilen. Kutusow betrachtete ihn mit müdem Blick, nahm mit einer ärgerlichen Gebärde die Hände wieder in die Höhe, legte sie über dem Bauch zusammen und fragte: »Für das Wohl des Vaterlandes? Nun, was denn also? Sprich!« Denisow wurde rot wie ein junges Mädchen (dieses Erröten nahm sich auf dem schnurrbärtigen, alten Trinkergesicht ganz seltsam aus) und begann dreist seinen Plan einer Durchbrechung der feindlichen Operationslinie zwischen Smolensk und Wjasma auseinanderzusetzen. Denisow hatte in diesen Gegenden gelebt und kannte das Terrain genau. Sein Plan schien zweifellos gut zu sein, namentlich nach der Überzeugungsfreudigkeit zu urteilen, mit der er sprach. Kutusow sah auf seine Füße und blickte sich mitunter nach dem Hof des benachbarten Bauernhauses um, als wenn er von dort etwas Unangenehmes erwartete. Wirklich erschien aus dem Bauernhaus, nach dem er hinschaute, während der Auseinandersetzung Denisows ein General mit einer Mappe unter dem Arm.

»Nun?« sagte Kutusow mitten in Denisows Darlegung hinein. »Schon fertig?«

»Jawohl, Euer Durchlaucht«, erwiderte der General.

Kutusow wiegte den Kopf hin und her, als ob er sagen wollte: »Wie kann nur ein einziger Mensch das alles schaffen?« und fuhr fort Denisow zuzuhören.

»Ich gebe mein Ehrenwort als russischer Offizier«, sagte Denisow, »daß ich die Verbindung Napoleons durchbrechen werde.«

»Wie ist der Oberintendant Kirill Andrejewitsch Denisow mit dir verwandt?« unterbrach ihn Kutusow.

»Er ist mein Onkel, Euer Durchlaucht.«

»So, so! Wir waren befreundet«, sagte Kutusow heiter. »Schön, schön, mein Lieber; bleibe nur hier beim Stab; wir wollen morgen weiter darüber reden.«

Er nickte Denisow zu, wandte sich von ihm weg und streckte die Hand nach den Papieren aus, die ihm Konownizyn gebracht hatte.

»Ist es Euer Durchlaucht nicht gefällig, sich ins Zimmer zu bemühen?« fragte der diensttuende General in unzufriedenem Ton. »Es ist erforderlich, daß Euer Durchlaucht Terrainpläne ansehen und einige Papiere unterschreiben.«

Ein Adjutant, der aus der Tür trat, meldete, daß in dem Quartier alles bereit sei. Aber Kutusow, der offenbar erst dann ins Zimmer gehen wollte, wenn er mit allem fertig sein würde, runzelte die Stirn.

»Nein, mein Lieber, laß mir ein Tischchen hierherbringen; ich werde die Sachen hier ansehen«, erwiderte er. »Geh du nicht fort«, fügte er, zu dem Fürsten Andrei gewendet, hinzu.

Fürst Andrei blieb auf der Freitreppe, so daß er den Bericht des diensttuenden Generals mit anhörte.

Während dieses Berichtes vernahm Fürst Andrei hinter der Haustür das Geflüster von Frauenstimmen und das Knistern eines seidenen Frauenkleides. Bei mehrmaligem Hinblicken nach dieser Richtung bemerkte er hinter der Tür eine volle, rotwangige, hübsche Frau in einem rosa Kleid und einem lila seidenen Kopftuch, die mit einer Schüssel offenbar auf den Eintritt des Oberkommandierenden wartete. Kutusows Adjutant erklärte dem Fürsten Andrei flüsternd, dies sei die Hausfrau, die Gattin des Popen, die Seiner Durchlaucht Brot und Salz zu überreichen beabsichtige; ihr Mann habe den Durchlauchtigen in der Kirche mit dem Kreuz empfangen, und sie wolle ihn nun im Haus begrüßen. »Ein sehr hübsches Frauchen«, fügte der Adjutant lächelnd hinzu. Bei diesen Worten sah sich Kutusow um. Er hörte den Bericht des diensttuenden Generals (der Hauptgegenstand desselben war eine Kritik der Position bei Zarewo-Saimischtsche) in derselben Weise an, wie er soeben Denisow und wie er sieben Jahre vorher die Debatten im Kriegsrat bei Austerlitz angehört hatte. Er hörte augenscheinlich nur deswegen, weil er Ohren hatte, die, obwohl in dem einen von ihnen ein Stückchen Schiffseil steckte, nicht umhin konnten zu hören; aber es war klar, daß nichts von alledem, was ihm der diensttuende General sagen konnte, imstande war, ihn in Verwunderung zu setzen oder sein Interesse zu erregen, daß er vielmehr alles, was ihm gesagt wurde, vorherwußte und es nur deswegen anhörte, weil er es eben anhören mußte, gerade wie man in der Kirche die Liturgie anhören muß. Alles, was Denisow gesagt hatte, war gescheit und vernünftig gewesen; was der diensttuende General sagte, war noch gescheiter und vernünftiger; aber es war klar, daß Kutusow Wissen und Verstand geringschätzte und etwas anderes für wichtiger hielt, wonach er alle Fragen entscheiden zu müssen glaubte, etwas anderes, was mit Wissen und Verstand nichts zu tun hatte. Fürst Andrei beobachtete aufmerksam den Gesichtsausdruck des Oberkommandierenden, und der einzige Ausdruck, den er dabei wahrnehmen konnte, war ein Ausdruck von Langeweile sowie ein Ausdruck von Neugier, was wohl das Geflüster der Frauenstimme hinter der Tür zu bedeuten habe, und der Wunsch, den Anstand zu wahren. Es war augenscheinlich, daß Kutusow Verstand und Wissen und sogar das patriotische Gefühl, das Denisow an den Tag gelegt hatte, geringschätzte, aber nicht etwa gegenüber seinem eigenen Verstand, Gefühl und Wissen (denn diese suchte er gar nicht zu zeigen), sondern einem andern Moment gegenüber. Er schätzte sie gering gegenüber seinem Alter und seiner Lebenserfahrung. Die einzige eigene Willensäußerung, die bei diesem Rapport von Kutusow ausging, erfolgte, als es sich um das Marodieren der russischen Truppen handelte. Der diensttuende General legte gegen Ende seines Rapportes dem Durchlauchtigen ein Schriftstück zur Unterschrift vor, in dem auf die Beschwerde eines Gutsbesitzers hin angeordnet wurde, es sollten mehrere Kommandeure wegen Abmähens grünen Hafers zur Verantwortung gezogen werden.

Nachdem Kutusow den Bericht hierüber angehört hatte, schmatzte er mit den Lippen und wiegte den Kopf hin und her.

»In den Ofen damit … ins Feuer!« sagte er. »Und ich will dir ein für allemal sagen, mein Lieber: alle solche Beschwerden ins Feuer! Mögen die Soldaten mit Gesundheit das Getreide abmähen und das Holz verbrennen! Ich befehle das weder noch erlaube ich es; aber bestrafen kann ich dafür niemand. Ohne das geht es nun einmal nicht. Wo Holz gehauen wird, fliegen die Späne.« Er blickte noch einmal in das Schriftstück hinein. »O diese deutsche Peinlichkeit!« sagte er kopfschüttelnd.

XVI


»Nun, jetzt ist alles erledigt«, sagte Kutusow, nachdem er das letzte Schriftstück unterschrieben hatte. Er erhob sich schwerfällig, reckte die Falten seines dicken, weißen Halses zurecht und schritt mit heiter gewordenem Gesicht auf die Tür zu.

Die Popenfrau, der alles Blut ins Gesicht gestiegen war, griff nach ihrer Schüssel, die sie, trotzdem alles schon so lange vorbereitet war, bisher immer noch nicht hatte überreichen können. Mit einer tiefen Verneigung bot sie sie Kutusow dar.

Dieser kniff die Augen zusammen, lächelte, faßte die Popenfrau unter das Kinn und sagte:

»Was für eine schöne Frau! Danke, mein Täubchen!«

Er holte aus der Hosentasche einige Goldstücke und legte sie auf die Schüssel. »Nun, wie geht es dir?« fragte er sie und begab sich nach der für ihn eingerichteten guten Stube. Die Popenfrau lächelte, so daß die Grübchen auf ihren roten Bäckchen sichtbar wurden, und ging hinter ihm her in die Stube. Der Adjutant kam zum Fürsten heraus auf die Freitreppe und lud ihn zum Frühstück ein; nach einer halben Stunde wurde Fürst Andrei wieder zu Kutusow gerufen. Kutusow hatte noch denselben aufgeknöpften Rock an und lag auf einem Lehnstuhl. In der Hand hielt er ein französisches Buch, das er beim Eintritt des Fürsten Andrei, nachdem er das Papiermesser als Zeichen hineingelegt hatte, zumachte. Es waren »Die Schwanenritter« von Madame de Genlis, wie Fürst Andrei auf dem Umschlag las.

»Nun, setz dich, setz dich hierher; wir wollen noch miteinander reden«, sagte Kutusow. »Es ist traurig, sehr traurig. Aber vergiß nicht, mein Lieber, daß ich dir ein Vater bin, ein zweiter Vater …«

Fürst Andrei erzählte Kutusow alles, was er von dem Tod seines Vaters wußte und was er in Lysyje-Gory gesehen hatte, als er durchkam.

»So weit … so weit haben sie es gebracht!« stieß Kutusow plötzlich aufgeregt hervor; augenscheinlich machte er sich nach der Erzählung des Fürsten Andrei ein klares Bild von dem Zustand, in dem sich Rußland befand.

»Wartet nur, laßt mir nur Zeit!« fügte er mit ingrimmigem Gesichtsausdruck hinzu; und offenbar in dem Wunsch, dieses Gespräch, das ihn aufregte, nicht fortzusetzen, sagte er: »Ich habe dich gerufen, um dich bei mir zu behalten.«

»Ich danke Euer Durchlaucht«, antwortete Fürst Andrei. »Aber ich fürchte, daß ich nicht mehr für den Stab tauge.« Er sagte das mit einem Lächeln, welches Kutusow nicht entging.

»Die Hauptsache ist«, fügte Fürst Andrei hinzu, »ich habe mich an das Regiment gewöhnt, ich habe meine Offiziere liebgewonnen, und es scheint auch, daß die Leute mich gern haben. Es würde mir leid tun, wenn ich das Regiment verlassen müßte. Wenn ich auf die Ehre verzichte, in Ihrer näheren Umgebung zu bleiben, so wollen Sie überzeugt sein …«

Ein kluger, gutherziger und zugleich fein spöttischer Ausdruck leuchtete auf Kutusows dickem Gesicht auf. Er unterbrach Bolkonski.

»Es tut mir leid; ich hätte dich gern bei mir gehabt; aber du hast recht, ganz recht. Hier können wir Männer der Tat nicht brauchen. Ratgeber gibt es immer in Mengen, aber Männer der Tat nicht. Die Regimenter würden anders beschaffen sein, wenn all die vielen Ratgeber so bei den Regimentern dienten wie du. Ich erinnere mich deiner von Austerlitz her. Ich erinnere mich, ich erinnere mich an dich, wie du die Fahne nahmst«, sagte Kutusow, und ein freudiges Erröten überzog das Gesicht des Fürsten Andrei bei dieser Erinnerung.

Kutusow zog ihn am Arm zu sich heran und hielt ihm die Wange zum Kuß hin, und wieder sah Fürst Andrei in den Augen des alten Mannes Tränen. Obgleich Fürst Andrei wußte, daß Kutusow überhaupt leicht weinte, und daß seine besondere Freundlichkeit und Zärtlichkeit gegen ihn aus dem Wunsch hervorging, Teilnahme für seinen Verlust zu zeigen, so war ihm diese Erinnerung an Austerlitz doch angenehm und schmeichelhaft.

»Geh mit Gott deinen Weg. Ich weiß, dein Weg wird der Weg der Ehre sein.« Er schwieg einen Augenblick. »Es tat mir leid, daß ich dich in Bukarest nicht bei mir behalten konnte; ich mußte dich fortschicken.« Und den Gesprächsgegenstand wechselnd begann Kutusow vom türkischen Krieg und vom Friedensschluß mit der Türkei zu reden. »Ja, es sind mir nicht wenig Vorwürfe gemacht worden«, sagte er, »sowohl wegen des Krieges als auch wegen des Friedensschlusses … aber es ist alles zur rechten Zeit geschehen. Alles kommt rechtzeitig für den, der zu warten versteht.« (Er zitierte dieses Sprichwort französisch.) »Ratgeber aber gab es auch dort nicht weniger als hier«, fuhr er fort, indem er auf die Ratgeber zurückkam, ein Gegenstand, der ihn offenbar lebhaft beschäftigte. »O die Ratgeber, die Ratgeber!« sagte er. »Wenn ich auf die alle hätte hören wollen, so hätten wir dort in der Türkei weder Frieden geschlossen noch den Krieg gut beendet. Immer soll es recht schnell gehen; aber das Schnelle stellt sich gerade als das Langsame heraus. Wenn Kamenski nicht gestorben wäre, so wäre er zugrunde gegangen. Er stürmte mit dreißigtausend Mann Festungen. Eine Festung zu nehmen ist nicht schwer; schwer ist’s dagegen, einen Feldzug zu gewinnen. Dazu aber ist es nicht nötig, zu stürmen und zu attackieren; sondern dazu sind nur Geduld und Zeit erforderlich. Kamenski schickte gegen Rustschuk Soldaten; ich brachte nur diese beiden Mittel, Geduld und Zeit, zur Anwendung und habe doch mehr Festungen genommen als Kamenski und habe die Türken dahin gebracht, daß sie Pferdefleisch aßen.« Er wiegte den Kopf hin und her. »Und das werden die Franzosen auch tun; verlaß dich auf mein Wort!« rief Kutusow in starker Erregung und schlug sich gegen die Brust. »Ich werde sie dahin bringen, daß sie Pferdefleisch essen.« Seine Augen hatten sich wieder mit Tränen überzogen.

»Aber eine Schlacht anzunehmen wird doch notwendig sein?« fragte Fürst Andrei.

»Wenn es alle wollen, dann wird es wohl notwendig werden; da ist dann eben nichts zu machen … Aber glaube mir, mein Lieber: es gibt nichts Stärkeres als diese beiden Streiter: Geduld und Zeit; die bringen alles zustande. Aber die sind nicht nach dem Geschmack der Ratgeber; das ist das Malheur. Und was die einen wollen, das wollen die andern wieder nicht. Was soll man da machen?« fragte er, offenbar eine Antwort erwartend. »Ja, was würdest du anordnen?« fragte er noch einmal, und aus seinem Auge leuchtete tiefer, klarer Verstand. »Ich will dir sagen, was man tun muß«, redete er weiter, da Fürst Andrei trotzdem nicht antwortete. »Ich werde dir sagen, was man tun muß und was ich tun werde. Wenn du Bedenken hast, mein Lieber« (hier schwieg er einen Augenblick), »so halte dich zurück«, sagte er wieder mit einem französischen Sprichwort. »Nun lebe wohl, lieber Freund; vergiß nicht, daß ich von ganzem Herzen an deinem Verlust teilnehme und daß ich für dich nicht der Durchlauchtige, nicht der Fürst und nicht der Oberkommandierende bin, sondern ein Vater. Wenn du etwas wünschst, so wende dich direkt an mich. Lebe wohl, mein Lieber!«

Er umarmte und küßte ihn noch einmal. Fürst Andrei war noch nicht aus der Tür hinaus, als Kutusow einen Seufzer der Erleichterung ausstieß und wieder nach dem angefangenen Roman der Madame Genlis, »Die Schwanenritter«, griff.

Wie es zuging und woher es kam, das konnte sich Fürst Andrei nicht erklären; aber nach diesem Gespräch mit Kutusow kehrte er zu seinem Regiment zurück mit einem Gefühl der Beruhigung hinsichtlich des allgemeinen Ganges der Dinge und hinsichtlich des Mannes, dem die Oberleitung anvertraut war. Je mehr er sich von dem Fehlen jedes persönlichen Momentes bei diesem alten Mann überzeugte, bei dem gewissermaßen statt der Leidenschaften nur die gewohnheitsmäßigen Formen der Leidenschaften und statt des Verstandes, der die Ereignisse gruppiert und daraus Schlüsse zieht, nur die Fähigkeit einer ruhigen Beobachtung des Ganges der Ereignisse geblieben war, um so beruhigter war er darüber, daß alles so geschehen werde, wie es geschehen müsse. »Er wird nichts Eigenes leisten: keine neuen Ideen, keine großartigen Unternehmungen«, dachte Fürst Andrei; »aber er wird alles anhören, sich alles einprägen, alles an den richtigen Platz stellen, nichts Nützliches verhindern und nichts Schädliches zulassen. Er versteht, daß es etwas Stärkeres, Größeres gibt als seinen Willen, nämlich den unhemmbaren Gang der Ereignisse; und er versteht, sie zu sehen, ihre Bedeutsamkeit zu erkennen und angesichts dieser Bedeutsamkeit auf ein Mitwirken bei diesen Ereignissen und auf einen persönlichen, andere Ziele verfolgenden Willen zu verzichten. Die Hauptsache aber«, dachte Fürst Andrei, »weswegen man ihm Vertrauen schenken kann, ist, daß er ein Russe ist, trotz des Romans der Genlis und trotz der französischen Sprichwörter, und daß seine Stimme zitterte, als er sagte: ›So weit haben sie es gebracht!‹ und daß er zu schluchzen anfing, als er davon sprach, daß er sie dahin bringen werde, Pferdefleisch zu essen.«

Ebenso wie Fürst Andrei urteilten über Kutusow alle, wenn auch großenteils nur in sehr unklarer Weise, und auf dieser Beurteilung beruhte auch die einmütige und allgemeine Billigung, welche die dem Wunsch des Volkes entsprechende, den höfischen Anschauungen zuwiderlaufende Wahl Kutusows zum Oberkommandierenden fand.

XVII


Nach der Abreise des Kaisers von Moskau floß das Moskauer Leben wieder in der früheren gewohnten Ordnung dahin, und dieses Leben war wieder ein so alltägliches geworden, daß es einem schwerfiel, sich an die vorhergegangenen Tage enthusiastischer patriotischer Begeisterung wie an etwas wirklich Geschehenes zu erinnern und zu glauben, daß Rußland tatsächlich in Gefahr sei, und daß die Mitglieder des Englischen Klubs zugleich Söhne des Vaterlandes seien, die sich vor keinem Opfer scheuten. Das einzige, was an die gehobene patriotische Stimmung erinnerte, die bei der Anwesenheit des Kaisers überall in Moskau geherrscht hatte, war das Einfordern der Opferspenden an Mannschaften und an Geld, die, sobald sie einmal zugesagt waren, in gesetzliche, offizielle Form gebracht worden waren und nun notwendigerweise geliefert werden mußten.

Mit dem immer näheren Heranrücken des Feindes an Moskau wurde bei den Moskauern die Auffassung ihrer Lage keineswegs ernster, sondern im Gegenteil noch leichtsinniger, wie das stets bei Menschen der Fall ist, die eine große Gefahr herannahen sehen. Bei der Annäherung einer Gefahr reden in der Seele des Menschen immer zwei Stimmen gleich stark: die eine mahnt verständig, der Mensch solle das wahre Wesen der Gefahr erwägen und auf Mittel zur Rettung sinnen; die andere sagt noch verständiger, es sei zu lästig und schrecklich, an die Gefahr zu denken, da es doch nicht in der Macht des Menschen stehe, alles vorherzusehen und sich aus dem allgemeinen Gang der Dinge zu retten, und daher sei es das beste, sich von dem Schrecklichen abzuwenden, solange es noch nicht herangekommen sei, und an Angenehmes zu denken. Ist der Mensch für sich allein, so hört er meist auf die erste Stimme, in Gesellschaft dagegen auf die zweite. So war es auch jetzt mit den Einwohnern Moskaus. Seit langer Zeit hatte man sich in Moskau nicht so amüsiert wie in diesem Jahr.

Rastoptschins Flugblätter, oben mit der Abbildung einer Schenke, eines Schankwirtes und des Moskauer Kleinbürgers Karpuschka Tschigirin, »der, zur Landwehr eingezogen, ein Gläschen Schnaps zuviel trinkt und, als er hört, Bonaparte wolle nach Moskau kommen, in Zorn gerät, mörderlich auf alle Franzosen schimpft, aus der Schenke herausgeht und unter dem Adlerwappen eine Ansprache an das sich um ihn versammelnde Volk hält«, wurden ganz in derselben Weise gelesen und kritisiert wie die letzten Reimspiele von Wasili Lwowitsch Puschkin.

Im Klub versammelte man sich in einem bestimmten Eckzimmer, um diese Flugblätter zu lesen, und manchen gefiel es, daß Karpuschka sich über die Franzosen lustig machte und sagte, sie bekämen vom Kohlessen einen aufgeblähten Leib, von Grütze platzten sie auseinander, und an russischer Krautsuppe erstickten sie; sie seien sämtlich Zwerge, und ein einziges altes Weib werfe ihrer drei mit der Heugabel weg. Manche dagegen billigten diesen Ton nicht und sagten, daß sei unwürdig und dumm. Man sprach davon, daß Rastoptschin die Franzosen und sogar auch alle andern Ausländer aus Moskau weggeschafft habe, weil sich unter ihnen Spione und Agenten Napoleons befunden hätten; aber man sprach davon namentlich, um bei dieser Gelegenheit ein Witzwort weiterzuverbreiten, dessen sich Rastoptschin bei ihrer Wegschaffung bedient hatte. Die Ausländer sollten zu Schiff nach Nischni transportiert werden, und Rastoptschin hatte zu ihnen auf französisch gesagt: »Gehen Sie in sich, gehen Sie in dieses Schiff, und sorgen Sie dafür, daß es Ihnen nicht ein Nachen des Charon werde.« Man sprach davon, daß bereits alle Gerichts- und Verwaltungsbehörden aus Moskau fortgeschafft seien, und schloß einen Witz von Schinschin daran an, daß schon allein dafür Moskau dem Kaiser Napoleon dankbar sein müsse. Man erzählte, dem reichen Mamonow komme sein Regiment auf achthunderttausend Rubel zu stehen, und Besuchow habe für seine Landwehrleute noch mehr ausgegeben; aber das beste an Besuchows Handlungsweise sei doch, daß er selbst die Uniform anziehen und vor dem Regiment einherreiten werde, ohne für die Plätze der Zuschauer, die ihn dabei sehen möchten, ein Entree zu erheben.

»Aber Sie haben doch auch mit niemand Erbarmen«, sagte Julja Drubezkaja, indem sie mit ihren schlanken, ringgeschmückten Fingern ein Häufchen Scharpie zusammenstrich und zusammendrückte.

Julja beabsichtigte, am nächsten Tag von Moskau wegzufahren, und gab eine Abschiedssoiree.

»Besuchow est ridicule«, fuhr sie fort; »aber er ist ein so braver, netter Mensch. Ein sonderbares Vergnügen, so caustique zu sein!«

»Geldstrafe!« rief ein junger Mann in Landwehruniform, den Julja »mon chevalier« zu nennen pflegte und der mit ihr nach Nischni fahren wollte.

In Juljas Gesellschaften, wie in vielen anderen Moskaus, sollte einer gemeinsamen Festsetzung gemäß nur russisch gesprochen werden, und wer dagegen verstieß und französische Ausdrücke gebrauchte, bezahlte eine Geldstrafe zum Besten des Opferfonds.

»Und noch eine zweite Geldstrafe für den Gallizismus«, sagte ein russischer Schriftsteller, der gleichfalls im Salon anwesend war. »›Ein Vergnügen, zu sein‹ ist nicht russisch.«

»Sie haben mit niemand Erbarmen«, fuhr Julja, zu dem Landwehroffizier gewendet, fort, ohne zunächst auf die Bemerkung des Schriftstellers einzugehen. »Für caustique bin ich straffällig und werde ich bezahlen; und für das Vergnügen, Ihnen die Wahrheit gesagt zu haben, bin ich sogar bereit noch etwas dazuzuzahlen. Für Gallizismen aber« (hier wandte sie sich an den Schriftsteller) »kann ich nicht verantwortlich gemacht werden; ich habe weder das Geld noch die Zeit dazu, mir wie Fürst Golizyn einen Lehrer zu nehmen und russisch zu lernen. Aber da ist er ja selbst!« unterbrach sie sich. »Quand on … Nein, nein«, wandte sie sich an den Landwehroffizier, »Sie sollen mich nicht noch einmal fangen. Wenn man von der Sonne spricht, sieht man ihre Strahlen«, sagte sie mit dem liebenswürdigen Lächeln der Hausfrau zu dem eintretenden Pierre. »Wir haben soeben von Ihnen gesprochen«, fuhr sie mit der den Weltdamen eigenen Gewandtheit im Lügen fort. »Wir sagten, daß Ihr Regiment gewiß noch besser sein wird als das Mamonowsche.«

»Ach, reden Sie mir nicht von meinem Regiment«, antwortete Pierre, indem er der Wirtin die Hand küßte und sich neben sie setzte. »Mein Regiment ist mir schon ganz zuwider geworden.«

»Sie werden es doch wohl gewiß selbst kommandieren?« fragte Julja und warf dem Landwehroffizier einen schlauen, spöttischen Blick zu.

Aber der Landwehroffizier war in Pierres Gegenwart nicht mehr so caustique und brachte durch seine Miene seine Verwunderung darüber zum Ausdruck, was denn Juljas Lächeln zu bedeuten habe. Trotz seiner Zerstreutheit und Gutmütigkeit unterdrückte Pierres Persönlichkeit von vornherein jeden Versuch, in seiner Gegenwart über ihn zu spotten.

»Nein«, antwortete Pierre lachend, indem er seinen großen, dicken Körper betrachtete. »Es würde den Franzosen doch gar zu leicht sein, mich zu treffen, und dann fürchte ich auch, daß ich gar nicht aufs Pferd hinaufkomme.«

Nachdem Julja und ihre Gäste eine Reihe von anderen Personen durchgehechelt hatten, kamen sie auch auf die Familie Rostow zu sprechen.

»Die Verhältnisse der Familie sind, wie es heißt, sehr schlecht«, sagte Julja. »Und er, der Graf selbst, ist so unverständig. Rasumowskis wollten ihm sein hiesiges Haus und sein Landhaus vor der Stadt abkaufen; aber die Sache zieht sich immer noch hin, weil er zu viel fordert.«

»Nicht doch, es scheint, daß der Verkauf in diesen Tagen zustande kommen wird«, sagte jemand. »Wiewohl es jetzt geradezu sinnlos ist, in Moskau etwas zu kaufen.«

»Wieso?« fragte Julja. »Meinen Sie wirklich, daß für Moskau Gefahr besteht?«

»Warum reisen Sie denn weg?«

»Ich? Eine sonderbare Frage. Ich reise weg, weil … nun, weil alle wegreisen, und dann … ich bin keine Jeanne d’Arc und keine Amazone.«

»Nun ja, ja.«

»Reichen Sie mir doch, bitte, noch ein paar Läppchen herüber.«

»Wenn er richtig zu wirtschaften verstände, so könnte er alle seine Schulden bezahlen«, nahm der Landwehroffizier das Gespräch über den alten Grafen Rostow wieder auf.

»Ein guter alter Mann, aber ein armer Tropf. Und warum wohnen sie denn so lange hier? Sie wollten ja schon längst auf das Land ziehen. Natalja ist ja doch wohl jetzt wieder gesund?« fragte Julja mit schlauem Lächeln den neben ihr sitzenden Pierre.

»Sie erwarten den jüngeren Sohn«, antwortete Pierre. »Er war bei Obolenskis Kosaken eingetreten und nach Bjelaja Zerkow gereist. Da wird das Regiment formiert. Aber jetzt haben die Eltern seine Versetzung in mein Regiment veranlaßt und erwarten ihn jeden Tag. Der Graf wollte schon längst wegziehen; aber die Gräfin läßt sich um keinen Preis darauf ein, von Moskau wegzugehen, ehe nicht der Sohn ankommt.«

»Ich habe Rostows vorgestern bei Archarows gesehen. Natalja ist wieder recht hübsch geworden, auch heiterer. Sie sang ein gefühlvolles Lied. Wie leicht doch bei manchen Menschen alles vorübergeht!«

»Was geht vorüber?« fragte Pierre unwillig.

Julja lächelte.

»Wissen Sie, Graf, solche Ritter, wie Sie, kommen sonst nur in den Romanen von Madame Souza vor.«

»Was soll ich denn für ein Ritter sein? Wieso?«

»Nun, lassen Sie es gut sein, lieber Graf; c’est la fable de tout Moscou. Je vous admire, ma parole d’honneur.«

»Strafe, Strafe!« rief der Landwehroffizier.

»Nun, meinetwegen. Aber man kann ja gar nicht mehr reden; recht öde!«

»Was ist das Stadtgespräch von ganz Moskau?« fragte Pierre ärgerlich und stand auf.

»Lassen Sie es gut sein, Graf. Das wissen Sie ja!«

»Nichts weiß ich«, erwiderte Pierre.

»Ich weiß, daß Sie mit Natalja in freundschaftlichem Verhältnisse standen, und darum … Ich meinerseits habe mich immer mehr zu Wjera hingezogen gefühlt. Die liebe Wjera!«

»Nein, Fürstin«, fuhr Pierre unwillig fort. »Ich habe ganz und gar nicht die Rolle eines Ritters der Komtesse Rostowa übernommen und bin schon beinahe einen Monat lang nicht bei ihnen gewesen. Aber ich begreife die Grausamkeit nicht …«

»Qui s’excuse, s’accuse«, sagte Julja lächelnd und machte mit der Hand, in der sie die Scharpie hielt, eine bedeutsame Geste. Und um das letzte Wort zu behalten, wechselte sie sogleich das Thema der Unterhaltung. »Was sagen Sie dazu? Ich habe heute gehört, die arme Marja Bolkonskaja ist gestern in Moskau angekommen. Sie wissen wohl schon, daß sie ihren Vater verloren hat?«

»Oh! Ist es möglich! Wo ist sie? Ich würde sie gern aufsuchen«, sagte Pierre.

»Ich bin gestern den Abend über bei ihr gewesen. Sie fährt heute oder morgen früh mit ihrem Neffen auf ihr Landgut hier in der Nähe.«

»Nun, und wie geht es ihr?« fragte Pierre.

»Nur mäßig; sie ist sehr traurig. Aber wissen Sie, wer sie gerettet hat? Es ist ein vollständiger Roman. Nikolai Rostow. Sie war umringt, man wollte sie ermorden, mehrere ihrer Leute waren schon verwundet. Da eilte er herbei und rettete sie …«

»Also noch ein Roman!« rief der Landwehroffizier. »Diese allgemeine Flucht ist entschieden in Szene gesetzt, damit alle alten Jungfern unter die Haube kommen. Numero eins Catiche, Numero zwei die Prinzessin Bolkonskaja.«

»Wissen Sie, ich glaube wahrhaftig, sie ist un petit peu amoureuse du jeune homme.«

»Strafe, Strafe, Strafe!«

»Aber wie kann man das überhaupt auf russisch sagen?«

XVIII


Als Pierre nach Hause zurückkehrte, wurden ihm zwei Rastoptschinsche Flugblätter überreicht, die an diesem Tag erschienen waren.

In dem ersten war gesagt, das Gerücht, Graf Rastoptschin habe verboten, daß die Einwohner Moskau verließen, sei unwahr; im Gegenteil freue sich Graf Rastoptschin darüber, daß die adligen Damen und Kaufmannsfrauen aus Moskau wegreisten; es werde nun weniger Furcht und weniger Neuigkeitskrämerei in der Stadt geben. Dann hieß es in dem Flugblatt weiter: »Aber ich verbürge mich mit meinem Kopf dafür, daß der Bösewicht nicht nach Moskau hineingelangen wird.« Aus diesen Worten ersah Pierre zum erstenmal klar, daß die Franzosen in Moskau einziehen würden. Im zweiten Flugblatt wurde mitgeteilt, unser Hauptquartier befinde sich in Wjasma; Graf Wittgenstein habe die Franzosen besiegt; aber da viele Einwohner den Wunsch hätten, sich zu bewaffnen, so würden für sie im Zeughaus Waffen bereitgehalten: Säbel, Pistolen, Gewehre; diese würden den Einwohnern für billigen Preis abgelassen. Der Ton dieser Flugblätter war nicht mehr so scherzhaft wie in den früheren Gesprächen Tschigirins. Pierre wurde durch diese Flugblätter sehr nachdenklich gestimmt. Die furchtbare Gewitterwolke, die er mit aller Kraft seiner Seele herbeirief und die ihn zugleich unwillkürlich mit Schrecken erfüllte, rückte offenbar näher.

»Soll ich in den Militärdienst eintreten und zur Armee gehen oder abwarten?« Diese Frage legte sich Pierre zum hundertstenmal vor. Er nahm ein Spiel Karten, das in seinem Zimmer auf dem Tisch lag, und schickte sich an, Patience zu legen.

»Wenn diese Patience aufgeht«, sagte er zu sich selbst, als er die Karten gemischt hatte und sie nun in der Hand hielt und nach oben sah, »wenn sie aufgeht, so bedeutet das … ja, was bedeutet das?«

Er war sich noch nicht darüber schlüssig geworden, was das bedeuten sollte, als er vor der Tür seines Zimmers die Stimme der ältesten Prinzessin hörte, welche fragte, ob sie hereinkommen dürfe.

»Dann bedeutet es, daß ich zur Armee gehen soll«, beendete Pierre seine Überlegung. »Herein, herein!« rief er dann, sich nach der Prinzessin hinwendend.

Nur die älteste Prinzessin, die mit der langen Taille und dem versteinerten Gesicht, lebte noch in Pierres Haus; die beiden jüngeren hatten sich verheiratet.

»Verzeihen Sie, Kusin, daß ich zu Ihnen komme«, sagte sie aufgeregt und in vorwurfsvollem Ton. »Wir müssen doch endlich einen bestimmten Entschluß fassen. Was soll denn nun mit uns eigentlich werden? Die ganze bessere Gesellschaft hat Moskau verlassen, und das Volk rebelliert. Warum bleiben wir denn noch hier?«

»Im Gegenteil, es scheint ja doch alles gut zu stehen, liebe Kusine«, erwiderte – Pierre mit jener gewohnheitsmäßigen Scherzhaftigkeit, die er sich im Verkehr mit ihr zu eigen gemacht hatte, da es ihn der Prinzessin gegenüber immer verlegen machte, die Rolle eines Wohltäters zu spielen.

»Jawohl, gut zu stehen! Wenn Sie das ›gut stehen‹ nennen! Mir hat Warwara Iwanowna heute erst erzählt, was für Heldentaten unsere Truppen verrichten! Geradezu stolz kann man darauf sein! Und auch das Volk ist schon ganz rebellisch geworden und gehorcht nicht mehr; sogar mein Mädchen fängt an grob zu werden. Auf die Art wird es bald dahin kommen, daß sie uns prügeln. Auf den Straßen kann man schon gar nicht mehr gehen. Und was die Hauptsache ist: heute oder morgen werden die Franzosen kommen; worauf warten wir da noch? Ich habe nur die eine Bitte, Kusin«, sagte die Prinzessin, »ordnen Sie an, daß ich nach Petersburg fahren kann; mag ich im übrigen sein, wie ich will, aber unter der Herrschaft Bonapartes zu leben, dazu bin ich nicht imstande.«

»Aber beruhigen Sie sich doch, liebe Kusine! Woher schöpfen Sie denn Ihre Nachrichten? Im Gegenteil …«

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