13

»Aber ich will wissen, warum«, sagte Duff, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und das Kinn in die Hände. »Warum sind Andrianov und Hennessy nicht abgehauen? Warum sollten zwei bestochene Leibwächter erst ihren Boss umbringen und sich dann im Nebenzimmer schlafen legen, blutüberströmt und mit Beweisen von hier bis zur Hölle? Kommt schon, ihr seid Kriminalbeamte, ihr müsst doch wenigstens eine einzige beschissene Idee haben!«

Er schaute sich um. Mehrere der zwölf Beamten der Mordkommission saßen vor ihm im Raum, aber nur einer öffnete den Mund. Um zu gähnen. Es war Montagmorgen – vielleicht waren sie deshalb so unkommunikativ und sahen so unmotiviert und abwesend aus. Nein, diese Gesichter würden morgen noch genauso müde dreinblicken, wenn nicht irgendwer die Sache richtig anpackte. Es gab einen Grund, dass die Mordkommission ohne offiziellen Leiter geblieben war, seit Duncan dem letzten Inhaber des Postens vor zwei Monaten ein Ultimatum gestellt hatte: Er müsse zurücktreten oder eine interne Ermittlung wegen dringlichen Korruptionsverdachts über sich ergehen lassen. Es gab keine qualifizierten Bewerber. Unter Kenneth hatte die Mordkommission die niedrigste Aufklärungsrate des ganzen Landes gehabt, und die Korruption war dafür nicht der einzige Grund. Während die Mordkommission in Capitol über die besten Leute verfügte, setzte sie sich bei ihnen nur aus dem Bodensatz zusammen, aus den Apathischen und Nutzlosen.

»Wir müssen das Ruder herumreißen«, hatte Duncan gesagt. »Erfolg oder Misserfolg der Mordkommission bestimmen in hohem Maß das Vertrauen der Menschen in die Polizei. Deshalb setze ich auch einen unserer besten Beamten auf den Fall an. Sie, Duff.«

Duncan hatte es verstanden, seinen Mitarbeitern schlechte Nachrichten auf motivierende Weise schmackhaft zu machen. Duff stöhnte auf. Neben sich hatte er einen Stapel von Berichten, die das Papier nicht wert waren, auf das man sie geschrieben hatte – unnötig ausführliche Befragungen von Gästen des Inverness, die alle dieselbe Geschichte erzählten: Sie hatten nichts gesehen und gehört, bloß das höllische Gewitter. Duff hielt es für möglich, dass die Kollegen am Tisch sich vor seinem Zorn fürchteten und deshalb lieber den Mund hielten, aber das war ihm scheißegal. Das hier war kein Beliebtheitswettbewerb, und wenn er ihnen Angst einjagen musste, damit sie endlich in die Gänge kamen, sollte es ihm recht sein.

»Wir gehen also davon aus, dass die schuldigen Leibwächter den Schlaf der Gerechten geschlafen haben, ja? Als hätten sie bloß einen harten Arbeitstag hinter sich. Wer von euch Vollidioten hält das für die logische Erklärung?«

Keine Reaktion.

»Und wer glaubt das nicht?«

»Nicht der Gerechten«, sagte Caithness, die gerade durch die Tür hereingehuscht war. »Der Betäubten. Entschuldigt meine Verspätung, aber ich musste das hier abholen.« Sie schwenkte etwas, das entsetzlicherweise wie ein weiterer Bericht aussah. Was auch stimmte, wie Duff feststellte, als er vor dem Stapel auf dem Tisch landete. Genauer gesagt war es ein gerichtsmedizinischer Bericht. »Die bei Andrianov und Hennessy entnommenen Blutproben zeigen, dass sie genug Benzodiazepine in ihren Körpern hatten, um zwölf Stunden durchzuschlafen.« Caithness setzte sich auf einen der leeren Plätze.

»Leibwächter, die Schlaftabletten schlucken?«, fragte Duff ungläubig.

»Die entspannen halt so schön«, sagte ein Typ im Hintergrund, der mit seinem Stuhl kippelte. »Wenn man seinen Chef umbringen will, ist man vermutlich ein bisschen nervös. Viele Bankräuber schlucken Benzos.«

»Und vermasseln es dann«, sagte einer der Ermittler, der um die Nase herum ein nervöses Zucken hatte und ein Schulterholster über einem weißen Hemd mit Polokragen trug.

Gelächter. Das nicht lange anhielt.

»Was halten Sie davon, Caithness?«, fragte Duff.

Sie zuckte mit den Schultern. »Solche Schlussfolgerungen fallen nicht in mein Fachgebiet, aber ich würde sagen, dass sie etwas nehmen mussten, um ihre Nerven zu beruhigen. Aber sie wussten nicht genug über solche Mittel, also haben sie sich mit der Dosis vertan. Während der Tat wirkten die Narkotika wie gewünscht. Ihre Reflexe waren noch schnell, aber die Nervosität war verschwunden. Die glatten Schnitte deuten auch auf ruhige Hände hin. Aber nach dem Mord, als die Substanzen ihre eigentliche Wirkung entfaltet haben, verloren sie die Kontrolle über die Situation. Sie sind in der Gegend herumgeirrt, haben sich mit Blut besudelt und sind am Ende in ihren Sesseln eingeschlafen.«

»Ganz typisch«, sagte das Polohemd. »Einmal haben wir zwei zugedröhnte Bankräuber einkassiert, die in ihrem Fluchtwagen an der Ampel eingepennt waren. Kein Witz. Diese Kriminellen sind so bescheuert, da kann man …«

»Danke«, unterbrach Duff. »Woher wissen Sie, dass ihre Reflexe noch schnell waren?«

Caithness zuckte mit den Schultern. »Wer auch immer zuerst zugestochen hat, hat es geschafft, die Hand vom Griff des Dolches zu lösen, bevor das Blut ausgetreten ist. Die Analyse hat ergeben, dass das Blut am Griff hochgespritzt ist. Es ist nicht heruntergelaufen, hat nicht getropft und wurde auch nicht verschmiert.«

»In diesem Fall stimme ich all Ihren Schlussfolgerungen zu«, sagte Duff. »Möchte jemand widersprechen?«

Keine Reaktion.

»Stimmt jemand zu?«

Stummes Nicken.

»Gut, dann nehmen wir das jetzt mal so hin. Kommen wir nun zum anderen losen Ende. Malcolms Selbstmord.« Duff stand auf. »In seinem Brief heißt es, die Norse Riders hätten gedroht, seine Tochter zu töten, wenn er nicht dabei hilft, Duncan zu ermorden. Meine Frage lautet: Warum tut er, was Sweno und die Norse Riders von ihm wollen, und nimmt sich das Leben, statt zu Duncan zu gehen und seine Tochter in ein sicheres Haus bringen zu lassen? Drohungen sind für einen Polizisten doch nun wirklich nichts Neues. Was meinen Sie?«

Die anderen sahen zu Boden, sich gegenseitig an oder aus dem Fenster.

»Keine Meinungen? Wirklich? Ein ganzer Raum voller Kriminalbeamter und kei…«

»Malcolm weiß, dass Sweno Kontakte zur Polizei hat«, sagte der Stuhlkippler. »Er weiß, dass Sweno seine Tochter auf jeden Fall gefunden hätte.«

»Gut, wir kommen langsam voran.« Duff beugte sich vor und marschierte vor ihnen auf und ab. »Nehmen wir an, Malcolm glaubt, dass seine Tochter gerettet werden kann, wenn er tut, was Sweno von ihm will. Oder indem er stirbt, sodass Sweno keinen Grund mehr hat, seine Tochter umzubringen. Okay?« Er sah, dass keiner der Anwesenden eine Ahnung hatte, worauf er hinauswollte. »Wenn das stimmt, was der Brief behauptet – dass er nicht damit leben kann, vor die Wahl gestellt zu sein, entweder seine Tochter zu verlieren oder sich an Duncans Tod mitschuldig zu machen –, warum hat er sich dann nicht umgebracht, bevor Duncan ermordet wurde, und hätte so beide gerettet?«

Die Gesichter starrten ihn groß an.

»Wenn ich darf …«, begann Caithness.

»Bitte, Inspector.«

»Ihre Frage ist vielleicht logisch, aber die menschliche Psyche arbeitet nicht so.«

»Ach nein?«, entgegnete Duff. »Ich glaube schon. Irgendetwas an Malcolms scheinbarem Suizid passt nicht ins Bild. Unser Verstand wertet doch automatisch die zur Verfügung stehenden Informationen aus, wägt die Vor- und Nachteile ab und trifft dann eine logische Entscheidung, das ist unvermeidlich.«

»Warum empfinden wir dann manchmal Reue, obwohl wir keine neuen Informationen gewonnen haben?«

»Reue?«

»Reue, Inspector Duff.« Caithness schaute ihm direkt in die Augen. »Das ist ein Gefühl, das Menschen manchmal haben. Das uns wünschen lässt, wir könnten etwas, das wir getan haben, rückgängig machen. Wir können die Möglichkeit nicht ausschließen, dass es Malcolm so gegangen ist.«

Duff schüttelte den Kopf. »Das ist doch krank. Laut Einstein ist es ein Beweis von Geisteskrankheit, wenn man denselben Gedankengang von Neuem durchdenkt, weil man hofft, auf ein anderes Ergebnis zu kommen.«

»Dann lässt sich Einsteins Behauptung widerlegen, wenn wir mit der Zeit zu anderen Schlussfolgerungen kommen. Nicht, weil sich die Informationen in irgendeiner Weise geändert haben, sondern weil Menschen es eben einfach können.«

»Menschen ändern sich nicht!«

Duff bemerkte, dass die Beamten im Raum aufgewacht waren und nun aufmerksam zuhörten. Sie vermuteten wohl, dass es bei diesem Wortwechsel mit Caithness nicht mehr nur um Malcolms Tod ging.

»Vielleicht hat Malcolm sich geändert«, sagte Caithness. »Vielleicht hat Duncans Tod ihn verändert. Das können wir nicht ausschließen.«

»Ebenso wenig können wir ausschließen, dass er einen Selbstmordbrief geschrieben, sein Abzeichen ins Meer geworfen und die Fliege gemacht hat«, sagte Duff. »Wenn wir hier schon von typisch menschlichen Eigenschaften reden.«

Die Tür öffnete sich. Es war ein Kollege vom Rauschgiftdezernat. »Da ist jemand am Telefon für Sie, Inspector Duff. Er sagt, es gehe um Malcolm, und es sei dringend. Und er will nur mit Ihnen sprechen.«


Lady stand mitten im Schlafzimmer und betrachtete den Mann, der in ihrem Bett schlief. In ihrem gemeinsamen Bett. Es war schon nach neun, sie hatte bereits vor langer Zeit gefrühstückt, aber in den Körper unter den Seidenlaken war noch immer kein Leben eingekehrt. Sie setzte sich auf die Bettkante, streichelte seine Wange, zupfte an seinen dicken schwarzen Locken, rüttelte ihn. Unter seinen Augenlidern tauchten dünne weiße Streifen auf.

»Chief Commissioner! Wach auf! Die Stadt steht in Flammen!«

Sie lachte, als Macbeth stöhnte, sich auf die Seite rollte und ihr den Rücken zukehrte. »Wie spät ist es denn?«

»Spät.«

»Ich hab geträumt, es wäre Sonntag.«

»Du hast ’ne Menge geträumt, glaube ich.«

»Ja, das verdammte …«

»Was?«

»Nichts. Ich hab Sturmglocken gehört. Aber dann ist mir klar geworden, dass es Kirchenglocken waren. Die die Gemeinde zur Beichte und zu einer Taufe rufen.«

»Ich habe dir verboten, das Wort auszusprechen.«

»Taufe?«

»Macbeth!«

»Tut mir leid.«

»Die Pressekonferenz ist in weniger als zwei Stunden. Alle werden sich fragen, was mit ihrem neuen Chief Commissioner passiert ist.«

Er schwang seine Beine aus dem Bett. Lady hielt ihn zurück, nahm sein Gesicht in beide Hände und musterte ihn aufmerksam. Die Pupillen waren klein. Schon wieder.

Sie zupfte ein abstehendes Haar aus seiner Augenbraue.

»Außerdem haben wir ein Essen heute Abend«, sagte sie und suchte nach weiteren Haaren. »Das hast du doch nicht vergessen, oder?«

»Ist es wirklich in Ordnung, das so kurz nach Duncans Tod zu veranstalten?«

»Das Abendessen dient zur Pflege von Kontakten, es ist ja kein Freudenfest. Und wir müssen schließlich immer noch essen, Liebling.«

»Wer kommt?«

»Alle, die ich eingeladen habe. Der Bürgermeister. Einige deiner Kollegen.« Sie fand ein graues Haar, bekam es aber mit ihren langen roten Nägeln nicht zu fassen. »Wir werden darüber reden, wie wir die Bestimmungen für die Casinos verschärfen können. Im heutigen Leitartikel stand, dass der Obelisk offenbar unter dem Deckmantel des Casinos einen Prostitutionsring betreibt und dass er deshalb geschlossen werden sollte.«

»Es nützt nichts, wenn dein alter Freund, der Chefredakteur, schreibt, was du willst, solange keiner die Zeitung liest.«

»Das stimmt. Aber jetzt habe ich ja einen Chief Commissioner zum Mann.«

»Au!«

»Du solltest dir noch ein paar weitere graue Haare zulegen. Führungspersönlichkeiten stehen die sehr gut. Vielleicht kannst du dir unauffällig die Schläfen färben.«

»Meine Schläfen sind doch gar nicht zu sehen.«

»Genau. Deshalb werden wir dir auch die Haare schneiden lassen – damit man sie sehen kann.«

»Niemals!«

»Bürgermeister Tourtell könnte der Ansicht sein, dass diese Stadt einen Chief Commissioner braucht, der aussieht wie ein erwachsener Mann und nicht wie ein Junge.«

»Oh, machst du dir Sorgen?«

Lady zuckte mit den Schultern. »Normalerweise mischt sich der Bürgermeister nicht in die Personalpolitik der Polizei ein, aber er ist schließlich derjenige, der den neuen Chief Commissioner ernennt. Wir müssen sichergehen, dass er nicht auf komische Gedanken kommt.«

»Und wie sollen wir das anstellen?«

»Nun, wir müssen dafür sorgen, dass wir etwas über Tourtell in der Hand haben für den unwahrscheinlichen Fall, dass er uns Probleme bereiten sollte. Aber mach du dir keine Sorgen deswegen, mein Schatz.«

»Na schön. Apropos Probleme …«

Sie hörte mit ihrer Suche nach widerborstigen Haaren auf. Sie erkannte den Tonfall. »Gibt es etwas, was du mir verschwiegen hast, Liebster?«

»Banquo …«

»Was ist mit ihm?«

»Ich frage mich langsam, ob ich ihm trauen kann. Ob er nicht womöglich einen eigenen Plan ausheckt für sich und Fleance.« Er atmete tief ein, woran sie erkannte, dass er drauf und dran war, ihr etwas Wichtiges zu sagen. »Banquo hat Malcolm gestern nicht getötet, er hat ihn nach Capitol geschickt. Er hat sich damit rausgeredet, dass wir nichts riskieren, wenn wir sein Leben verschonen.«

Sie wusste, dass er auf ihre Reaktion wartete. Als keine kam, sagte er, sie scheine nicht sonderlich schockiert zu sein.

Sie lächelte.

»Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, um schockiert zu sein. Was glaubst du, hat er vor?«

»Er behauptet, Malcolm so eingeschüchtert zu haben, dass er garantiert den Mund hält. Aber ich nehme an, die beiden haben sich ein Szenario ausgedacht, bei dem Banquo am Ende einen besseren und sichereren Schnitt macht als bei mir.«

»Du glaubst doch nicht, dass der gute alte Banquo irgendwelche Ambitionen hegt, selbst Chief Commissioner zu werden?«

»Nein, nein, Banquo wollte nie führen, immer bloß geführt werden. Es geht ihm um seinen Sohn. Ich bin nur fünfzehn Jahre älter als Fleance, und wenn ich in den Ruhestand gehe, ist Fleance selbst schon alt und grau. Deshalb wäre es für ihn besser, der Kronprinz eines älteren Mannes wie Malcolm zu sein.«

»Du bist bloß müde, mein Schatz. Banquo ist viel zu loyal, um so etwas zu tun. Du hast selbst gesagt, für dich würde er in der Hölle schmoren.«

»Ja, er ist immer loyal gewesen. Und ich war es immer ihm gegenüber.« Macbeth erhob sich und stellte sich vor den großen, goldgerahmten Spiegel an der Wand. »Aber wenn man genauer hinschaut, ist diese gegenseitige Loyalität dann nicht immer für Banquo von größerem Vorteil gewesen? War er nicht die Hyäne, die den Spuren des Löwen hinterherläuft und die Beute frisst, die sie nicht selbst erlegen muss? Ich hab ihn zu meinem Stellvertreter beim SWAT-Team gemacht. Ich würde sagen, er ist gut bezahlt worden für die kleinen Dienste, die er mir erwiesen hat.«

»Ein Grund mehr, wieso du auf seine Treue zählen kannst, Liebster.«

»Ja, das habe ich auch geglaubt. Aber jetzt sehe ich …« Macbeth runzelte die Stirn und trat näher an den Spiegel. Legte eine Hand auf die Oberfläche, als wolle er überprüfen, ob da wirklich etwas war. »Er hat mich geliebt wie ein Vater seinen Sohn, aber das Gift der Eifersucht hat die Liebe in Hass umschlagen lassen. Ich habe ihn schließlich auf dem Weg nach oben überholt. Eigentlich hätte er mein Chef werden müssen, und nun bin ich plötzlich seiner. Und das heißt, er muss nicht nur meinen Anweisungen gehorchen, er muss auch noch die unausgesprochene Verachtung seines eigenen Fleisches und Blutes ertragen. Fleance hat doch genau gesehen, wie sein Vater jetzt vor dem Kuckuckskind Diener macht. Hast du je in die treuen braunen Augen eines Hundes geschaut, der zu dir aufblickt, mit dem Schwanz wedelt und hofft, dass du ihm zu fressen gibst? Er sitzt still da und wartet, weil man ihn dazu abgerichtet hat. Und du lächelst ihn an und tätschelst ihm den Kopf. Den Hass kannst du nicht sehen hinter der Gehorsamkeit. Du kannst nicht sehen, dass er dich angreifen, dir die Kehle rausreißen würde, wenn er die Gelegenheit dazu bekäme, wenn er die Chance sähe, einer Bestrafung zu entgehen. Dein Tod wäre sein Sprung in die Freiheit, und er würde dich halb aufgefressen in irgendeinem schmutzigen Gang liegen lassen.«

»Was ist denn los mit dir?«

»Das habe ich geträumt.«

»Du bist paranoid. Banquo ist wirklich dein Freund! Wenn er planen würde, dich zu hintergehen, hätte er einfach zu Malcolm gehen und ihm alles über deine Pläne verraten können.«

»Nein, er weiß, dass er mehr davon hat, wenn er sein Ass erst am Ende ausspielt. Erst muss er mich töten, einen gefährlichen Mörder, dann kann er Malcolm als Chief Commissioner zurückholen. Was für eine heldenhafte Tat! Wie kann man einen Mann und seinen Sohn dafür nur belohnen?«

»Glaubst du das wirklich?«

»Nein«, sagte Macbeth. Er stand jetzt ganz dicht vor dem Spiegel. Seine Nasenspitze berührte das Glas, das bereits beschlagen war. »Ich glaube es nicht, ich weiß es. Ich sehe es. Ich sehe die beiden. Banquo und Fleance. Ich muss sie aufhalten, aber wie?« Plötzlich drehte er sich zu ihr um. »Wie? Du, du mein Ein und Alles, musst mir helfen. Uns musst du helfen.«

Lady verschränkte die Arme. Wie verzerrt Macbeths Argumente auch klangen, sie waren nicht völlig unvernünftig. Er konnte recht haben. Und selbst wenn nicht: Banquo war ein Mitwisser, ein potenzieller Zeuge, der auspacken konnte. Je weniger Leute Bescheid wussten, desto besser. Und welchen echten Nutzen hatten Banquo und Fleance für sie? Keinen. Sie seufzte. Wie Jack gesagt hätte: Wenn man beim Black Jack weniger als zwölf auf der Hand hat, lässt man sich eine weitere Karte geben. Weil man nicht verlieren kann.

»Lad sie mal für einen Abend hierher ein«, sagte sie. »Dann haben wir sie, wo wir sie haben wollen.«

»Und wir tun es hier?«

»Nein, nein, im Inverness hat es genug Morde gegeben; ein weiterer würde den Verdacht auf uns lenken und außerdem meine Kundschaft vergraulen. Wir tun es auf der Straße.«

Macbeth nickte. »Ich sage Banquo und Fleance, dass sie mit dem Wagen kommen sollen. Ich behaupte einfach, wir hätten jemandem versprochen, dass sie ihn anschließend nach Hause fahren. Ich weiß ganz genau, welche Strecke er nehmen wird. Wenn wir ihnen sagen, dass sie pünktlich sein sollen, können wir auch genau berechnen, wann sie wo vorbeikommen werden. Weißt du was, Frau meiner Träume?«

Ja, dachte sie, als er sie umarmte, sie wusste, was er sagen wollte, ließ es ihn aber dennoch aussprechen.

»Ich liebe dich mehr als alles auf dieser Erde und am Himmel.«


Duff sah den Jungen am Rand des Kais auf einem Poller sitzen. Der Regen hatte eine Pause eingelegt, und mehr Licht als gewöhnlich durchbrach die weiße Wolkenschicht über ihnen. Draußen über dem Fluss stand jedoch schon ein neues Heer bläulich-grauer Wolken bereit, um ihnen auf den Nordwestwinden entgegenzureiten – das Einzige, worauf man sich in dieser Stadt wirklich verlassen konnte.

»Ich bin Duff. Bist du derjenige, der wegen Malcolm angerufen hat?«

»Coole Narbe«, sagte der Junge und zog sich seine Augenklappe zurecht. »Es heißt, Sie sind nicht mehr der Chef vom Rauschgiftdezernat?«

»Du sagtest, es sei dringend.«

»Es ist immer dringend, Mr Drogen-Bulle.«

»Passt mir gut. Raus damit.«

»Rein damit, heißt es bei uns eher.« Er tippte seinen Arm an.

»Ah, deshalb ist es so dringend. Wann brauchst du deinen nächsten Schuss?«

»Vor ein paar Stunden. Und da das hier so wichtig ist, dass der Boss persönlich auftaucht, würde ich sagen, Sie zahlen nicht nur für den nächsten, sondern für die nächsten zehn.«

»Oder ich warte einfach noch eine halbe Stunde, dann spuckst du’s dankbar für den halben Preis aus. Noch eine halbe Stunde, und es kostet wieder nur noch die Hälfte …«

»Kann ich nicht leugnen, Mr Drogen-Bulle, die Frage ist bloß: Wer von uns beiden hat es eiliger? Ich hab heute Morgen in der Zeitung das von Malcolm gelesen. Hab ihn auf dem Foto gleich erkannt. Ertrunken oder so was. Deputy Chief Commissioner. Ganz große Sache, oder?«

»Na red schon, Bursche, ich zahle dir dann, was es wert ist.«

Der einäugige Junge kicherte. »Tut mir leid, Mr Drogen-Bulle, aber ich traue den Cops nicht mehr. Ich geb Ihnen einen ersten Tipp. Neulich bin ich zwischen den Containern aufgewacht, die Sie da drüben sehen. Da kann man sich nämlich einen Schuss setzen, ohne ausgeraubt zu werden. Sie wissen, was ich meine? Mich sieht also keiner, aber ich sehe ihn – Malcolm, auf der anderen Seite vom Kanal. Na, Drogen-Bulle? Der erste Schuss war umsonst, der nächste wird Sie richtig was kosten. Kommt Ihnen das bekannt vor?« Der Junge lachte.

»Finde ich nicht sehr aufregend«, sagte Duff. »Wir wissen, dass Malcolm hier war, wir haben seinen Wagen gefunden.«

»Aber Sie wissen nicht, dass er nicht alleine hier war. Oder wer bei ihm war.«

Aus leidiger Erfahrung kannte Duff diese Junkies, aus deren Mund mehr Lügen kamen als Wahrheiten, vor allem, wenn sie sich damit ihren nächsten Schuss verdienen konnten. Normalerweise bevorzugten sie allerdings leichtere und schnellere Wege, um einen auszunehmen. Sie riefen nicht extra beim Hauptquartier an, um mit einem der Dienststellenleiter zu sprechen, und warteten dann eine Stunde im Regen – und all das ohne eine Garantie auf Bezahlung.

»Und du weißt das, ja?«, fragte Duff. »Wer diese zweite Person war.«

»Ich hab ihn schon mal gesehen, ja.«

Duff holte seine Brieftasche hervor. Zog Scheine heraus, zählte sie ab, reichte sie dem Jungen.

»Ich hatte ja eigentlich vor, Macbeth selbst anzurufen«, sagte der Junge, während er nachzählte. »Aber dann ist mir klar geworden, dass er sich geweigert hätte, mir zu glauben, wenn er erfahren hätte, wer es war.«

»Warum?«

»Dieser Malcolm hat mit dem Typ geredet, den Macbeth immer im Schlepptau hat«, sagte der Junge. »Der Alte mit den weißen Haaren.«

Duff schnappte unwillkürlich nach Luft. »Banquo?«

»Keine Ahnung, wie der heißt, aber ich hab ihn oft mit Macbeth am Bahnhof gesehen.«

»Und worüber haben Banquo und Malcolm geredet?«

»Sie waren zu weit weg, ich konnte sie nicht verstehen.«

»Wonach, ähm … sah es denn aus? Haben sie gelacht? Waren ihre Stimmen laut oder wütend?«

»Unmöglich zu sagen. Der Regen hat auf die Container runtergeprasselt, und sie haben mir die meiste Zeit den Rücken zugekehrt. Könnte sein, dass sie sich gestritten haben. Der alte Typ hat ’ne Weile mit seiner Knarre rumgefuchtelt. Aber dann sind sie ruhiger geworden, in einen Volvo gestiegen und weggefahren. Der Alte saß am Steuer.«

Duff kratzte sich am Kopf. Banquo und Malcolm unter einer Decke?

»Das ist zu viel«, sagte der Junge und hielt einen Schein hoch.

Duff schaute auf ihn hinab. Ein Junkie, der ihm Wechselgeld zurückgab? Er nahm den Schein. »Du hast mir das nicht nur erzählt, um dir einen Schuss leisten zu können, oder?«

»Hä?«

»Du hast gesagt, du hättest die Zeitung gelesen und wüsstest, dass das eine ganz große Sache ist. Dann war dir doch garantiert auch klar, dass du zehnmal so viel bekommen hättest, wenn du bei der Presse angerufen hättest und nicht bei der Polizei. Also hat dich entweder Hecate geschickt, damit du Falschinformationen unter die Leute bringst, oder du hast andere Hintergedanken.«

»Fahr zur Hölle, Drogen-Bulle.«

Duff packte den Junkie am Kragen und riss ihn von dem Poller. Der Junge wog fast nichts.

»Hör mir mal gut zu«, sagte Duff und bemühte sich, den Mundgeruch des Jungen nicht einzuatmen. »Ich kann dich hinter Schloss und Riegel bringen, und dann warten wir mal ab, wie’s dir geht, wenn der Cold Turkey einsetzt und du weißt, dass du zwei Tage ohne Nachschub auskommen musst. Oder du erzählst mir jetzt, warum du mich kontaktiert hast. Du hast fünf Sekunden. Vier …«

Der Junge schaute Duff voller Abscheu an.

»Drei …«

»Sie verdammtes Stück Bullenscheiße …«

»Zwei …«

»Mein Auge.«

»Eins …«

»Mein Auge, hab ich gesagt!«

»Was ist damit?«

»Ich wollte Ihnen helfen, den Mann zu fangen, der mein Auge zerstört hat.«

»Wer war es?«

Der Junge schnaufte. »Derselbe, der Ihnen den Arsch aufreißt. Wissen Sie nicht, wer hinter dieser ganzen Scheiße steckt? Es gibt nur einen in dieser Stadt, der einen Chief Commissioner umbringen und damit durchkommen kann, und das ist die Unsichtbare Hand.«

Hecate?

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