36
Lady lehnte sich in die Kissen zurück und streckte den Fuß unter ihrem Morgenmantel hervor. Auf Macbeth zu, der auf einem niedrigen Hocker am Fußende des Bettes saß. Sie hatte zwei rote Kleider herausgehängt. Er streichelte ihren schlanken Knöchel und ihr glatt rasiertes Bein.
»Hecate wusste also von unseren Plänen«, sagte er. »Hat er erwähnt, wer es ihm erzählt hat?«
»Nein«, sagte Lady. »Aber er meinte, du würdest mein Tithonos werden, wenn wir uns benehmen.«
»Wer ist Tithonos?«
»Ein hübscher Grieche, dem ewiges Leben gewährt wurde. Er hat aber auch gesagt, er würde uns töten wie Hunde, die sich nicht dressieren lassen, wenn wir ihm nicht gehorchen.«
»Hm. Es kann nur Tourtell gewesen sein, der es ihm verraten hat.«
»Das sagst du nun schon zum dritten Mal, Liebling.«
»Und der schleimige Mistkerl hat nicht nur geplaudert. Zu allem Überfluss ist der Junge auch noch wirklich sein Sohn. Die Frage ist jetzt bloß, ob die Einwohner dieser Stadt einen Ehebrecher als Bürgermeister haben wollen.«
»Eine einzige Affäre vor fünfzehn Jahren?«, sagte Lady. »Für die Tourtell damals um Vergebung gebeten hat? Dann hat er sich auch noch um Mutter und Sohn gekümmert, und jetzt, da sie krank ist, nimmt der heilige Tourtell seinen Sohn bei sich auf. Die Leute werden ihn dafür lieben, mein Schatz. Er hat einen Fehler begangen, den die meisten Menschen verstehen werden, und anschließend hat er sich auch noch anständig und reuig verhalten. Tourtell gehört jetzt auch zum Volk. Diese Stellungnahme war ein Geniestreich. Sie werden in Scharen kommen, um ihm ihre Stimme zu geben.«
»Tourtell wird kandidieren und siegen. Was sollen wir jetzt tun?«
»Ja, was sollen wir tun? Nun, eins nach dem anderen. Welches Kleid, Jack?«
»Das spanische«, sagte Jack, nahm eine Tasse Tee vom Tablett und stellte sie auf Ladys Nachttisch.
»Danke. Was ist mit Tourtell und Hecate, Jack? Sollen wir etwas unternehmen, oder ist das zu riskant?«
»Ich bin kein Kriegsstratege, Ma’am. Aber ich habe gelesen, wenn man Feinde an zwei Fronten hat, gibt es zwei klassische Strategien. Die eine wäre, mit einem der beiden einen Waffenstillstand auszuhandeln und dann die gemeinsamen Kräfte darauf zu konzentrieren, den anderen auszuschalten, ihn ohne Vorwarnung anzugreifen. Die zweite wäre, die beiden Feinde gegeneinander auszuspielen, zu warten, bis sie sich gegenseitig geschwächt haben, und dann zuzuschlagen.«
Er reichte Macbeth eine Tasse Kaffee.
»Erinnern Sie mich daran, Sie zu befördern«, sagte Macbeth.
»Oh, er ist bereits befördert worden«, sagte Lady. »Wir sind die nächsten zwei Wochen vollständig ausgebucht, daher hat Jack jetzt einen Assistenten. Einen Assistenten, der ihn mit Sir anreden wird.«
Jack lachte. »Das war nicht meine Idee.«
»Nein, meine«, sagte Lady. »Und es ist nicht bloß eine Idee. Es ist nur vernünftig, Regeln über die Anredeformen aufzustellen. Das erinnert alle an die Hierarchien, und Missverständnisse lassen sich vermeiden. Würde ein Bürgermeister zum Beispiel den Notstand ausrufen, wäre es wichtig zu wissen, wer die Leitung der Stadt übernimmt. Und wer tut es?«
Jack schüttelte den Kopf.
»Der Chief Commissioner«, sagte Macbeth und nippte an seinem Kaffee. »Bis der Chief Commissioner den Notstand wieder rückgängig macht.«
»Wirklich?«, fragte Jack. »Und wenn der Bürgermeister stirbt? Übernimmt der Chief Commissioner dann auch?«
»Ja«, sagte Macbeth. »Bis ein neuer Bürgermeister gewählt ist.«
»Das sind Verordnungen, die Kenneth direkt nach dem Krieg eingeführt hat«, sagte Lady. »Damals wurde auf eine dynamische, durchsetzungsfähige Regierung in Krisenzeiten viel Wert gelegt.«
»Klingt vernünftig«, sagte Jack.
»Das Großartige an einem Notstand ist, dass der Chief Commissioner wirklich alles unter seiner Kontrolle hat. Er kann das Justizsystem aushebeln, die Presse zensieren, Wahlen auf unbestimmte Zeit aufschieben, kurz gesagt ist er …«
»Ein Diktator.«
»Ganz genau, Jack.« Lady rührte ihren Tee um. »Unglücklicherweise wird Tourtell kaum damit einverstanden sein, den Notstand auszurufen, daher werden wir uns mit der nächstbesten Option zufriedengeben müssen.«
»Und die wäre?«
»Dass Tourtell stirbt natürlich.« Lady nippte an ihrem Tee.
»Stirbt? Durch …?«
»Durch ein Attentat«, sagte Macbeth und massierte sanft ihre Wade. »Das hast du doch gemeint, oder, Liebste?«
Sie nickte. »Der Chief Commissioner gibt bekannt, dass er die Regierungsgeschäfte der Stadt übernimmt, solange die Hintergründe des Attentats ermittelt werden. Könnten politische Motive dahinterstecken? Hecate? Hatte es irgendetwas zu tun mit Tourtells Untreue? Die Ermittlungen ziehen sich natürlich in die Länge.«
»Ich kann nur vorübergehend regieren«, sagte Macbeth, »bis ein neuer Bürgermeister gewählt ist.«
»Aber schau doch, mein Schatz, die Straßen sind voller Blut. Polizeibeamte werden ermordet, und Politiker fallen Anschlägen zum Opfer. Der Chief Commissioner, der als Bürgermeister fungiert, würde vermutlich beschließen, den Notstand auszurufen. Und die Wahl so lange aufzuschieben, bis sich die Lage beruhigt hat. Und es ist der Chief Commissioner, der festlegt, wann sich die Lage beruhigt hat.«
Macbeth spürte dieselbe kindliche Freude wie damals, als er und Duff auf dem Spielplatz des Waisenhauses die unangefochtenen Könige gewesen waren und sogar die hartgesotteneren älteren Kinder es akzeptieren mussten. »Praktisch hätten wir grenzenlose Macht, so lange wir wollen. Und du bist dir sicher, dass Capitol nicht intervenieren kann?«
»Liebster, ich hatte heute eine lange und interessante Unterhaltung mit einem unserer Richter vom Obersten Gerichtshof. Capitol hat nur wenige oder gar keine Sanktionsmöglichkeiten, solange Kenneths Verordnungen nicht gegen Bundesgesetze verstoßen.«
»Verstehe.« Macbeth rieb sich das Kinn. »Wirklich interessant. Es ist also lediglich nötig, dass Tourtell stirbt oder selbst den Notstand ausruft.«
Jack hüstelte. »Haben Sie noch einen Wunsch, Ma’am?«
»Nein, danke, Jack.« Lady winkte fröhlich ab.
Macbeth hörte den dumpfen Bass aus dem Erdgeschoss, als Jack die Tür zum Korridor öffnete, und die heulende Sirene eines Krankenwagens, nachdem er sie geschlossen hatte.
»Tourtell schmiedet Pläne, um uns aufzuhalten«, sagte Lady. »Das Attentat wird bald stattfinden müssen.«
»Was ist mit Hecate? Wenn diese Schlange aus Tourtell und Hecate besteht, dann ist Tourtell der Schwanz und Hecate der Kopf. Ihr den Schwanz abzuschlagen, wird sie nur noch gefährlicher machen. Wir werden uns zuerst dem Kopf widmen müssen.«
»Nein.«
»Nein? Er sagt, er wird uns töten, wenn wir nicht gehorchen. Willst du sein abgerichteter Hund sein?«
»Sitz still und hör mir jetzt mal zu, Liebling. Du hast doch Jack gehört. Schließe einen Waffenstillstand mit einer Partei und greif die andere an. Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, um Hecate herauszufordern. Darüber hinaus bin ich mir gar nicht so sicher, dass Hecate und Tourtell wirklich zusammenarbeiten. Wäre es so, hätte Hecate gesagt, dass wir uns von Tourtell und dem Bürgermeisteramt fernhalten sollen. Aber das hat er nicht, nicht einmal nach den öffentlichen Spekulationen, dass du kandidieren würdest. Solange Hecate glaubt, wir hätten unsere Lektion gelernt und wären jetzt seine gehorsamen Hunde, wird er uns nur dafür applaudieren, dass wir die politische Kontrolle über die Stadt übernehmen – und damit indirekt sich selbst. Verstehst du? Wir kümmern uns jetzt erst einmal um einen Feind und bekommen, was wir wollen. Dann entscheiden wir, wie wir mit Hecate verfahren.«
Macbeth ließ seine Hand ihr Bein hinaufgleiten, an ihrem Knie vorbei. Sie verstummte, schloss die Augen, und er lauschte auf ihren Atem. Der Atem, der ohne Worte befahl, was seine Hand tun sollte und was nicht.
Den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht wusch der Regen die Stadt, die niemals sauber wurde. Hämmerte hinab auf das Dach des Grand Hotels, wo Fleance, Duff, Malcolm und Caithness bleiben wollten, bis alles vorüber war. Es war zwei Uhr morgens, als Caithness von einem Klopfen an ihrer Zimmertür geweckt wurde. Sie wusste sofort, wer es war.
Es war nicht die Häufigkeit des Klopfens, auch nicht die Abstände dazwischen oder der Nachdruck. Es war der Stil. Er klopfte mit der flachen Hand. Und sie kannte diese Hand, jede Falte und jede Kerbe darin.
Sie öffnete die Tür einen Spalt.
Regen tropfte von Duffs Sachen und seinem Haar, seine Zähne klapperten, und sein Gesicht war so blass, dass man kaum noch seine Narbe sehen konnte. »Entschuldige, aber ich brauche dringend eine heiße Dusche.«
»Hast du keine …«
»Fleance und ich teilen uns ein Zimmer mit Doppelstockbett und einem Waschbecken.«
Sie öffnete die Tür ein weiteres Stück, und er schlüpfte hinein.
»Wo warst du denn?«, fragte sie.
»Auf dem Friedhof«, sagte er vom Badezimmer aus.
»Mitten in der Nacht?«
»Da sind nicht so viele Leute unterwegs.« Sie hörte, dass das Wasser angestellt wurde. Sie stand dicht an der Badezimmertür. »Duff?«
»Ja?«
»Ich wollte nur sagen, dass es mir leidtut.«
»Was?«, rief er.
Sie räusperte sich und hob die Stimme. »Das mit deiner Familie.«
Sie lauschte auf das Platschen des Wassers, das ihre Worte übertönte. Und starrte den Dampf an, der ihn vor ihr verbarg.
Als Duff in dem Bademantel, der neben der Tür gehangen hatte, wieder aus dem Badezimmer kam, mit seinen nassen Sachen über einem Arm, hatte Caithness sich angezogen und lag auf dem breiten Bett. Er zog eine Packung Zigaretten aus der Tasche seiner nassen Hose. Sie nickte, und er legte sich neben sie. Caithness lehnte ihren Kopf an seinen Arm und schaute zur gewölbten gelben Deckenlampe hinauf. Die Glasschale war gepunktet mit toten Insekten.
»Das passiert, wenn man zu nahe ans Licht heranfliegt«, sagte er. Er war also immer noch dazu in der Lage, ihre Gedanken zu erraten.
»Ikarus«, sagte sie.
»Macbeth«, sagte er und zündete sich eine Zigarette an.
»Ich wusste gar nicht, dass du wieder mit dem Rauchen angefangen hast«, bemerkte sie.
»Tja, es ist schon seltsam. Ich habe das Scheißzeug eigentlich nie gemocht.« Er verzog das Gesicht und blies einen großen, dicken Rauchring zur Decke.
Sie lachte kurz. »Warum hast du dann angefangen?«
»Hab ich dir das nie erzählt?«
»Es gibt vieles, was du mir nie erzählt hast.«
Er hustete und reichte ihr die Zigarette »Weil ich wie Macbeth sein wollte.«
»Ich habe immer gedacht, dass er wie du sein wollte.«
»Er sah so verdammt gut aus. Und war so … frei. Im Einklang mit sich und glücklich, so glücklich in seiner eigenen Haut. Das war ich nie.«
»Dafür hattest du mehr Grips.« Sie inhalierte und reichte ihm die Zigarette zurück. »Und die Fähigkeit, andere davon zu überzeugen, dass du recht hast.«
»Die Leute stellen nicht gern fest, dass sie unrecht haben. Und ich konnte sie auch nicht dazu bringen, mich zu mögen. Er schon.«
»Ganz billiger Charme, Duff. Schau dir an, wer er heute ist. Er hat alle für dumm verkauft.«
»Nein.« Duff schüttelte den Kopf. »Nein, Macbeth hat niemanden für dumm verkauft. Er war immer ehrlich und direkt. Kein Heiliger, aber ohne Heimtücke – man wusste bei ihm immer, woran man war. Kann schon sein, dass er die Leute nicht mit seinem Witz und seiner Originalität beeindruckt hat, aber man hat jedem seiner Worte vertraut. Und das mit Recht.«
»Vertraut? Er ist ein gefühlloser Mörder, Duff.«
»Du irrst dich. Macbeth ist voller Gefühle. Deshalb kann er auch keiner Fliege etwas zuleide tun. Einer aggressiven Wespe, ja, vielleicht, aber einer wehrlosen Fliege? Niemals, ganz gleich, wie nervtötend sie ist.«
»Wie kannst du ihn verteidigen, Duff? Wo du doch so viel verloren …«
»Ich verteidige ihn nicht. Natürlich ist er ein Mörder. Ich sage doch nur, dass er nicht imstande wäre, jemanden umzubringen, der sich nicht zur Wehr setzen kann. Es ist nur einmal passiert. Und da hat er es getan, um mich zu retten.«
»Ach ja?«, sagte sie. »Willst du mir davon erzählen?«
Er zog tief an der Zigarette. »Das war, als er den Norse Rider auf der Landstraße bei Forres getötet hat. Ein junger Kerl, der gerade gesehen hatte, wie ich seinen Kameraden umbrachte, weil ich ihn fälschlicherweise für Sweno hielt.«
»Das heißt, sie haben ihre Waffen gar nicht auf euch gerichtet?«
Duff schüttelte den Kopf.
»Aber dann ist Macbeth nicht besser als du«, sagte Caithness.
»Doch, das war er. Ich habe aus Egoismus getötet. Er für jemand anderen.«
»Weil es das ist, was wir bei der Polizei tun. Wir kümmern uns umeinander.«
»Nein, weil er glaubte, er wäre es mir schuldig.«
Caithness stützte sich auf ihre Ellbogen. »Er wäre es dir schuldig?«
Duff hielt seine Zigarette der Decke entgegen, kniff ein Auge zu und richtete das andere auf die Glut. »Als Großvater starb und ich im Waisenhaus landete, war ich beinahe zu alt – ich war schon vierzehn. Macbeth und ich waren im selben Alter, aber er hatte dort gelebt, seit er fünf Jahre alt gewesen war. Macbeth und ich haben uns ein Zimmer geteilt und sind sofort Freunde geworden. Damals hat Macbeth noch gestottert. Besonders wenn sich der Samstagabend näherte, denn dann verschwand er immer mitten in der Nacht aus dem Zimmer und kehrte erst eine Stunde später zurück. Er wollte mir nie verraten, wo er hinging. Erst als ich ihm im Scherz drohte, ihn an Lorreal, den von allen gefürchteten Direktor, zu verpfeifen, meinte er, dass würde wohl nichts bringen.« Duff zog nachdrücklich an der Zigarette. »Denn genau bei dem war er gewesen.«
»Du meinst … der Direktor …«
»… hatte Macbeth missbraucht, solange er sich erinnern konnte. Ich traute meinen Ohren nicht. Lorreal hatte Dinge mit ihm gemacht … man kann sich nicht vorstellen, dass jemand das einem anderen Menschen antun oder Freude daran haben könnte. Das eine Mal, als Macbeth sich ihm widersetzt hatte, war er von Lorreal fast umgebracht worden, und er hatte ihn für zwei Wochen im sogenannten Besserungskeller eingesperrt. Eine echte Gefängniszelle im Grunde. Ich war so wütend, dass ich heulen musste. Weil ich wusste, dass jedes Wort stimmte. Macbeth lügt nie. Also sagte ich, wir müssten Lorreal umbringen. Ich würde ihm helfen. Und Macbeth war einverstanden.«
»Ihr habt geplant, ihn umzubringen?«
»Nein«, sagte Duff und reichte ihr die Zigarette. »Wir haben nicht groß geplant. Wir haben ihn einfach bloß umgebracht.«
»Ihr …«
»Wir sind an einem Donnerstag in sein Zimmer gegangen. Haben an der Tür gelauscht, ob Lorreal geschnarcht hat. Sind rein. Macbeth kannte den Raum in- und auswendig. Ich habe an der Tür Schmiere gestanden, während Macbeth zum Bett ging und ein Messer zog. Aber Zeit verging, und als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich, dass er starr wie eine Salzsäule dastand. Dann knickte er ein und kam zu mir herüber, flüsterte, er k-k-könne es nicht tun. Also habe ich das Messer genommen, bin zu Lorreal gegangen und habe es ihm fest in den schnarchenden Rachen gestoßen. Lorreal hat noch einmal gezuckt, dann hörte er auf zu schnarchen. Da war nicht viel Blut. Wir sind dann sofort abgehauen.«
»Mein Gott.« Caithness hatte sich in der Embryostellung zusammengekrümmt. »Was ist anschließend passiert?«
»Nicht viel. Es gab zweihundert junge Verdächtige, die Auswahl war groß. Keiner bemerkte, dass Macbeth noch schlimmer gestottert hat als vorher. Und als er ein paar Wochen später durchgebrannt ist, hat das niemand mit dem Mord in Verbindung gebracht. Kinder laufen ja dauernd weg.«
»Und dann habt ihr euch wiedergetroffen, Macbeth und du?«
»Ich habe ihn ein paarmal beim Hauptbahnhof gesehen. Ich wollte mit ihm reden, aber er hat immer sofort das Weite gesucht. Weißt du, wie ein Bankrotteur vor einem Gläubiger. Dann haben wir uns Jahre später auf der Polizeischule wiedergetroffen. Da war er schon wieder clean und hatte vollständig aufgehört zu stottern – er war ein ganz anderer Junge. Der Junge, der ich sein wollte.«
»Weil er ein anständiger, freundlicher Mann war, der keinen Mord auf dem Gewissen hatte – wie du?«
»Macbeth hat die Tatsache, dass er nicht in der Lage war, kaltblütig zu morden, nie als Stärke angesehen, immer als Schwäche. In seiner ganzen Zeit beim SWAT-Team hat er nur getötet, wenn er oder einer seiner Männer angegriffen wurden.«
»Und all diese Morde?«
»Er hat anderen befohlen, sie für ihn auszuführen.«
»Frauen und Kinder umzubringen. Ich glaube, er ist inzwischen nicht mehr der Mann, den du einmal gekannt hast, Duff.«
»Die Menschen ändern sich nicht.«
»Du hast dich geändert.«
»Habe ich das wirklich?«
»Wenn nicht, wärst du jetzt nicht hier. Würdest nicht diesen Kampf kämpfen. Hättest nicht so über Macbeth gesprochen. Du warst ein totaler Egoist. Immer bereit, über alles und jeden, der dir im Weg steht, hinwegzugehen. Über deine Kollegen, deine Familie. Mich.«
»Ich kann mich nur an einen Moment erinnern, an dem ich mich wirklich ändern wollte, und das war, als ich wie Macbeth sein wollte. Als ich feststellte, dass das unmöglich war, musste ich jemand werden, der noch besser war. Jemand, der sich nehmen konnte, was er wollte, selbst wenn es für mich weniger Wert hatte als für den, dem es gehörte, so wie Hecate das Auge dieses Jungen genommen hat. Weißt du, wann ich mich in Meredith verliebt habe?«
Caithness schüttelte den Kopf.
»Als wir zu viert zusammensaßen – Macbeth, ich, Meredith und ihre Freundin – und ich sah, wie Macbeth Meredith anschaute.«
»Sag, dass das nicht wahr ist.«
»Leider ist es wahr.«
»Du bist ein engstirniger, kleinlicher Mann, Duff.«
»Das versuche ich dir doch gerade zu sagen. Wenn du behauptest, ich würde diesen Kampf für andere kämpfen, weiß ich nicht, ob das stimmt oder ob ich einfach nur Macbeth etwas wegnehmen will, von dem ich weiß, dass er es haben will.«
»Aber er will es ja gar nicht, Duff. Die Stadt, Macht, Reichtum – das alles ist ihm doch völlig egal. Er will nur ihre Liebe.«
»Lady.«
»Es geht ihm immer nur um Lady. Hast du das nicht bemerkt?«
Duff blies einen deformierten Rauchring zur Decke. »Macbeth wird von Liebe angetrieben und ich von Neid und Hass. Wo er Gnade gezeigt hat, habe ich getötet. Und morgen werde ich denjenigen töten, der einmal mein bester Freund gewesen ist – ihn aus dem Hinterhalt überfallen –, und wieder werden Gnade und Liebe den Kürzeren ziehen.«
»Aus dir sprechen nur Zynismus und Selbstverachtung, Duff.«
»Hm.« Er drückte die Zigarette im Aschenbecher auf dem Nachttisch aus. »Du hast das Selbstmitleid vergessen.«
»Ja, stimmt. Und Selbstmitleid.«
»Ich bin mein ganzes Leben lang ein arroganter Egoist gewesen. Ich verstehe nicht, wie du mich hast lieben können.«
»Manche Frauen haben eine Schwäche für Männer, von denen sie sich retten lassen wollen, andere für Männer, von denen sie glauben, sie könnten sie selbst retten.«
»Amen«, sagte Duff und stand auf. »Ihr Frauen versteht einfach nicht, dass wir Männer uns nicht ändern. Nicht, wenn wir die Liebe entdecken, und nicht, wenn uns klar wird, dass wir sterben müssen. Niemals.«
»Manche benutzen falsche Arroganz, um ihren Mangel an Selbstvertrauen zu überdecken, aber deine Arroganz ist echt, Duff. Mehr Selbstvertrauen kann man nicht haben.«
Duff lächelte und zog sich seine feuchte Hose an. »Versuch jetzt zu schlafen. Wir müssen morgen unseren Verstand beisammen haben.«
Nachdem er gegangen war, stand Caithness auf, zog den Vorhang zur Seite und schaute auf die Straße hinab. Das Zischen der Autoreifen durch Regenpfützen. Verblichene Schilder für Joey’s Hamburger Bar, die Peking-Wäscherei und die Tandrella Bingo Hall. Eine Zigarette, die eine Sekunde lang in einer Gasse aufglühte.
In ein paar Stunden würde der Tag anbrechen.
Schlafen würde sie jetzt nicht mehr können.