23

»Meredith und ich werden heiraten«, sagte Duff. Seine Augen leuchteten, als würde die Sonne darin scheinen.

»Wirklich. Das … ähm …. ging ja schnell.«

»Ja! Willst du mein Trauzeuge sein, Macbeth?«

»Ich?«

»Natürlich. Wer sonst?«

»Ähm. Wann …?«

»Am sechsten Juli. Im Sommerhaus von Merediths Eltern. Alles ist arrangiert. Heute sind die Einladungen rausgegangen.«

»Ist sehr nett, dass du mich fragst, Duff. Ich werde mal drüber nachdenken.«

»Nachdenken?«

»Ich … ich hatte für Juli eine längere Reise geplant. Juli ist schwierig für mich, Duff.«

»Reise? Davon hast du mir gar nichts erzählt.«

»Nein, das kann schon sein.«

»Aber wir haben ja auch eine ganze Weile nicht mehr miteinander geredet. Wo hast du eigentlich gesteckt? Meredith hat nach dir gefragt.«

»Hat sie? Ach, hier und da. War ziemlich beschäftigt.«

»Und wo geht deine Reise hin?«

»Nach Capitol.«

»Capitol?«

»Ja, ich … ähm … war noch nie da. Ist doch mal an der Zeit, unsere Hauptstadt zu sehen, oder? Da soll es ja viel schöner sein als hier.«

»Jetzt hör mal zu, mein lieber Macbeth. Ich zahle dir den Hin- und Rückflug von Capitol. Das kann ja wohl nicht sein, dass mein bester Freund nicht dabei ist, wenn ich heirate. Das wird die Party des Jahres! Denk doch nur mal an die ganzen alleinstehenden Freundinnen, die Meredith hat …«

»Und von Capitol aus wollte ich ins Ausland. Es wird eine lange Reise, Duff. Ich werde vermutlich den gesamten Juli weg sein.«

»Aber … hat das irgendwas zu tun mit dem kleinen Flirt, den du mal mit Meredith gehabt hast?«

»Wenn wir uns also eine Weile nicht sehen, wünsche ich dir schon mal alles Gute für die Hochzeit und … na ja, für alles.«

»Macbeth!«

»Danke, Duff, aber ich werde nicht vergessen, dass ich dir Drachenblut schulde. Grüß Meredith von mir und bestell ihr herzlichen Dank für unseren kleinen Flirt.«

»Macbeth, Sir!«

Macbeth schlug die Augen auf. Er lag im Bett. Ein Traum. Trotzdem. Waren das die Worte, die sie damals gesprochen hatten? Drachenblut. Lorreal. Hatte er das wirklich gesagt?

»Macbeth?!«

Die Stimme kam von der anderen Seite der Schlafzimmertür und wurde nun von erbittertem Klopfen begleitet. Er schaute auf die Uhr auf dem Nachttisch. Drei Uhr morgens.

»Sir, ich bin’s, Jack!«

Macbeth drehte sich um. Er war allein. Von Lady keine Spur.

»Sir, Sie müssen …«

Macbeth riss die Tür auf. »Was ist los, Jack?«

»Sie schlafwandelt.«

»Was? Sollten Sie sie nicht im Auge behalten?«

»Es ist schwierig diesmal, Sir … Sie müssen mitkommen.«

Macbeth gähnte, schaltete das Licht ein, zog sich einen Morgenmantel über und wollte gerade den Raum verlassen, als sein Blick auf den Tisch unter dem Spiegel fiel. Der Schuhkarton war nicht mehr da.

»Schnell. Bringen Sie mich zu ihr, Jack.«

Sie fanden sie auf dem Dach. Jack blieb auf der Schwelle der offenen Metalltür stehen. Es hatte aufgehört zu regnen, und nichts war zu hören außer dem Wind und dem gleichmäßigen Rauschen des Verkehrs, der niemals schlief. Sie stand direkt an der Kante, im Licht der Bacardi-Werbung, und kehrte ihnen den Rücken zu. Ein Windstoß bauschte ihr dünnes Nachthemd auf.

»Lady!« Macbeth wollte auf sie zustürzen, doch Jack hielt ihn zurück. »Der Psychiater meinte, man dürfe sie auf keinen Fall aufwecken, wenn sie schlafwandelt, Sir.«

»Aber sie könnte vom Dach fallen!«

»Sie kommt oft hier herauf und steht bloß da«, sagte Jack. »Sie sieht alles, auch wenn sie schläft. Der Psychiater sagt, Schlafwandler würden selten zu Schaden kommen, aber wenn man sie weckt, verlieren sie womöglich die Orientierung und verletzen sich.«

»Warum hat mir niemand gesagt, dass sie hier heraufkommt? Ich habe gedacht, dass sie bloß die Flure rauf und runter spaziert.«

»Sie hat mir ausdrücklich gesagt, dass ich nicht darüber sprechen soll, was sie im Schlaf tut, Sir.«

»Was tut sie denn?«

»Manchmal spaziert sie nur über die Flure, wie Sie gesagt haben. Manchmal geht sie in den Waschraum und benutzt die starke Seife. Schrubbt sich die Hände ab, manchmal bis sie ganz rot werden. Danach steigt sie hier herauf aufs Dach.«

Macbeth schaute sie an. Seine geliebte Lady. So ausgesetzt und verwundbar in der sturmgepeitschten Nacht. So allein in der Dunkelheit ihres Geistes, der Dunkelheit, von der sie ihm erzählt hatte, in die sie ihn jedoch nicht mitnehmen konnte. Er konnte nichts tun. Nur warten und hoffen, dass sie sich dazu entschloss, aus der Nacht zurückzukommen. So nah war sie und doch so unerreichbar.

»Warum glauben Sie, dass sie sich heute Nacht das Leben nehmen könnte?«

Jack warf Macbeth einen überraschten Blick zu. »Ich glaube nicht, dass sie das tun wird, Sir.«

»Was ist es dann, Jack?«

»Was ist was, Sir?«

»Was hat Sie so beunruhigt, dass Sie mich gerufen haben?«

In diesem Augenblick brach das Mondlicht durch einen Spalt in den Wolken. Und als wäre es ein abgesprochenes Signal, drehte Lady sich um und kam auf sie zu.

»Das, Sir.«

»Gott steh uns bei«, flüsterte Macbeth und trat rasch einen Schritt zurück.

Sie hielt ein Bündel in den Armen. Ihr Nachthemd hatte sie heruntergezogen, um eine Brust freizulegen, die sie dem offenen Ende des Bündels entgegenhielt. Macbeth sah den Hinterkopf eines Babys. Vier Löcher zählte er darin.


»Schläft sie?«, fragte Macbeth.

»Ich glaube schon«, flüsterte Jack.

Sie waren ihr dicht gefolgt, als sie das Dach verlassen hatte, die Treppe hinunter und zurück in die Suite gegangen war. Jetzt standen sie neben ihrem Bett, wo sie die Decke über sich und das Kind gezogen hatte.

»Sollen wir es ihr abnehmen?«

»Lassen Sie es ihr«, entgegnete Macbeth. »Was kann es schaden? Aber ich möchte, dass Sie hier sitzen bleiben und heute Nacht auf sie aufpassen. Ich habe ein wichtiges Radiointerview sehr früh am Morgen und muss schlafen. Geben Sie mir einfach den Schlüssel für ein anderes Zimmer.«

»Natürlich«, sagte Jack. »Ich sage jemandem Bescheid, der die Rezeption für mich übernimmt.«

Während Jack fort war, streichelte Macbeth die Wange des Babys. Kalt, steif, ein kaputtes Kind. Lady und er waren nicht anders gewesen. Aber sie hatten es geschafft, wieder auf die Beine zu kommen. Macbeth hatte Hilfe gehabt. Von Banquo. Und vorher vom Waisenhaus, von Duff. Wenn Duff nicht Lorreal getötet hätte, Macbeth hätte sich früher oder später gewiss das Leben genommen. Auch nach seiner Flucht von dort hatte er vier schwarze Löcher in seinem Herzen gehabt. Vier Löcher, die mit etwas gefüllt werden mussten. Brew war das schnellste und einfachste Füllmaterial gewesen. Aber zumindest hatte er es geschafft, sich am Leben zu halten. Duff, dem Bastard, hatte er dafür zu danken.

Und dann war da natürlich Lady. Die ihm gezeigt hatte, dass sich Herzen auch mit Liebe verschließen ließen, dass man Schmerz mit Sex lindern konnte. Er streichelte ihre Wange. Warm. Weich.

Gab es Wege zurück, oder hatten sie vergessen, Pläne für einen möglichen Rückzug zu schmieden? Hatten sie nur an Siege gedacht? Ja, und Siege hatten sie eingefahren. Doch was, wenn das Siegen einen bitteren Nachgeschmack hinterließ, was, wenn es einen zu hohen Preis kostete und man eine billigere Niederlage bevorzugen würde? Was sollte man dann tun? Abtreten, die königlichen Insignien aufgeben, demütig um Verzeihung bitten und zu den Pflichten des Alltags zurückkehren? Wenn man über die Dachkante trat und die Pflastersteine des Rotlichtbezirks auf einen zurasten, bat man dann die Erdanziehungskraft, seinen schlecht überlegten Schritt rückgängig machen zu dürfen? Nein. Man nahm es, wie es kam. Machte das Beste draus. Sorgte dafür, dass man auf den Füßen landete und sich höchstens ein, zwei Beine brach. Aber man überlebte. Und wurde zu einem besseren Menschen, der gelernt hatte, seine Schritte beim nächsten Mal sorgsamer abzuwägen.

Jack kam ins Zimmer. »Ich habe jemanden für die Rezeption gefunden.« Er reichte Macbeth einen Schlüssel.

Dieser schaute ihn an. »Duncans Zimmer?«

Jack schlug sich die Hand vor den Mund. »Ich dachte, das wäre das beste Zimmer, aber wenn es Ihnen lieber ist …«

»Schon gut, Jack. So bin ich auch in der Nähe, wenn irgendetwas sein sollte. Außerdem glaube ich nicht an Gespenster. Und wie alle wissen, hätte ich von Duncans Geist ja auch nichts zu befürchten.«

»Nein, nicht das Geringste.«

»In der Tat, nicht das Geringste. Gute Nacht.«


Sie kamen, sobald er die Augen geschlossen hatte.

Duncan und Malcolm. Sie lagen links und rechts von ihm unter der Decke.

»Hier ist nicht genug Platz für uns alle«, schrie Macbeth und trat sie auf den Boden, wo sie zischten, bis Rattenschwänze an den Wänden entlangraschelten und sie verschwunden waren.

Aber dann öffnete sich die Tür, und herein krochen Banquo, Fleance und Duff, jeder von ihnen mit einem erhobenen Dolch in der Hand und bereit zuzustechen.

»Was wollt ihr?«

»Gerechtigkeit und unseren Schlaf zurück.«

»Ha, ha, ha!« Macbeth lachte und krümmte sich in seinem Bett. »Den Menschen, der mir etwas anhaben kann, hat noch keine Frau geboren! Nur Bertha kann mich vom Stuhl des Chief Commissioners vertreiben! Ich bin unsterblich! Macbeth ist unsterblich! Hinaus mit euch, ihr toten Sterblichen!«

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