30

Duff eilte breite Straßen hinab, vorbei an prächtigen alten Gebäuden, durch Parkanlagen, passierte Straßenmusiker und Porträtmaler. Ein lächelndes Paar auf der Terrasse eines Restaurants zeigte ihm die Richtung, als er ihnen die Adresse auf seinem Zettel zeigte. Starrte seinen Bart an, der sich an einer Seite gelöst hatte. Auf seinem Weg ließ Duff die Kathedrale von Capitol hinter sich und versuchte, nicht zu rennen.

Hutchinson hatte sich noch einmal umgedreht.

Hatte sich auf der Leiter umgedreht und war zurück nach oben gekommen. Hatte sich Duffs Geschichte angehört. Und selbst als Duff ihm Einzelheiten erzählt hatte, die er an seiner Stelle selbst wohl nicht geglaubt hätte, nickte Hutchinson bloß, als würde er etwas wiedererkennen. Als wäre ihm nichts fremd, wenn es darum ging, was Menschen sich gegenseitig antun konnten. Und als Duff fertig war, schlug der Ingenieur ihm einen Fluchtplan vor. Ohne zu zögern, so simpel und naheliegend, dass Duff annahm, der Ingenieur müsse ihn sich irgendwann für sich selbst ausgedacht haben. Duff sollte Hutchinsons Kleidung anziehen und sich an der Reling bereithalten.

»Achte nur drauf, dass du der Brücke den Rücken zukehrst, damit der Kapitän dein Gesicht nicht sieht und denkt, du wärst ich. Der Bootsmann wird dir die Leiter überlassen, wenn du bereitstehst. Klettere rechtzeitig runter und bleib ganz unten stehen, wenn das Schiff des Lotsen vorbeikommt. Sag ihm, du müsstest an Land, bevor die Glamis anlegt, weil du in der Hafenmeisterei ein Ersatzteil holen musst, das wir für die Winde brauchen, die die Taue am Kai festziehen.«

»Warum?«

»Hä?«

»Warum tust du das für mich?«

Hutchinson zuckte mit den Schultern. »Ich war letztes Mal eingeteilt, die Munitionskisten abzuladen. Da war so ein dünner, glatzköpfiger Bulle, der mit verschränkten Armen rumgestanden und geguckt hat, als wolle er uns anspucken, als wir das Zeug auf seinen Laster geladen haben.«

Duff wartete. Auf den Rest der Erklärung.

»Menschen tun Dinge füreinander«, sagte Hutchinson und schniefte. »Wie’s aussieht.« Schniefer. »Wenn ich dich richtig verstanden habe, stehst du allein da gegen …«, er deutete zu den Decks über ihnen, »… die. Und ich weiß ein bisschen was darüber, wie sich das anfühlt.«

Allein. Die.

»Ich danke dir.«

»Alles klar, Johnson.« Der Ingenieur schüttelte Duffs Hand. Nur kurz, beinahe schüchtern. Und dann fuhr er sich mit den Fingern über das Pflaster auf seiner Stirn. »Nächstes Mal bin ich vorbereitet, und dann kriegst du ’ne ordentliche Abreibung.«

»Klar.«

Duff war jetzt östlich des Stadtzentrums.

»Entschuldigen Sie. Distrikt 6?«

»Da drüben.«

Er kam an einem Zeitungskiosk vorbei. Die Häuser wurden kleiner, die Straßen enger.

»Tannery Street?«

»Die Straße runter bis zur Ampel und dann die zweite oder dritte rechts.«

Eine Polizeisirene heulte auf und verebbte wieder. Sie hatten hier in Capitol einen anderen Klang, nicht so harsch und scharf. Und eine andere Melodie. Nicht so düster, nicht so durchdringend unharmonisch.

»Dolphin?«

»Der Nachtclub? Hat der nicht geschlossen? Ist ja egal, sehen Sie das Café da? Direkt daneben.« Aber die Augen blieben zu lange an der Narbe hängen, versuchten, sich an etwas zu erinnern.

»Vielen Dank.«

»Kein Problem.«

Tannery Street 66.

Duff studierte die Klingelschilder neben der wurmstichigen Haustür. Keiner der Namen sagte ihm auch nur das Geringste. Er drückte gegen die Tür. Offen. Genauer gesagt: Das Schloss war aufgebrochen. Im Inneren war es dunkel. Er stand still, bis sich seine Pupillen zu weiten begannen. Eine Treppe. Nasse Zeitungen, Uringeruch. Schwindsüchtiges Husten hinter einer Tür. Etwas, das sich anhörte wie ein harter, feuchter Schlag. Duff stieg die Treppe hinauf. In jedem Stock gab es zwei Wohnungstüren sowie eine niedrige Tür auf jedem Treppenabsatz dazwischen. Er drückte eine der Klingeln. Aus der Wohnung ertönten das wütende Bellen eines Hundes und schlurfende Schritte. Eine kleine, beinahe komisch aussehende runzlige Dame öffnete die Tür. Keine Sicherheitskette.

»Ja, Süßer?«

»Hallo, mein Name ist Inspector Johnson.«

Sie beäugte ihn misstrauisch. Duff vermutete, dass sein Esso-T-Shirt immer noch stark nach Hutchinson roch. Der Geruch schien zumindest das bellende Fellknäuel eingeschüchtert zu haben.

»Ich suche nach …« Ja, wonach suchte er eigentlich? »… jemandem. Ein Freund hat mir die Adresse gegeben – Banquo.«

»Tut mir leid, junger Mann. Ich kenne keinen Banquo.«

»Alfie?«

»Ach, Alfie. Der wohnt im zweiten Stock, auf der rechten Seite. Entschuldigen Sie, aber Sie … ähm … Sie verlieren Ihren Bart.«

»Vielen Dank.«

Duff riss sich den Bart und die Brille vom Kopf, während er in den zweiten Stock hinaufstieg. An der Tür auf der rechten Seite gab es kein Namensschild, und der Klingelknopf hing an einer metallenen Feder.

Duff klopfte. Wartete. Klopfte noch einmal, lauter. Ein weiterer feuchter Schlag aus dem Erdgeschoss. Er rüttelte an der Tür. Abgeschlossen. Sollte er einfach warten, bis jemand auftauchte? Das war zumindest besser, als sich unten auf der Straße zu zeigen.

Lautes Husten. Es drang hinter der niedrigen Tür am Treppenabsatz hervor. Duff ging die fünf Stufen hinunter und drehte den Türknauf. Er bewegte sich ein Stück, als würde ihn jemand von innen festhalten. Duff klopfte.

Keine Antwort.

»Hallo? Hallo, ist da jemand drin?«

Er hielt den Atem an und legte das Ohr an die Tür. Er hörte etwas, das wie das Rascheln von Papier klang. Jemand versteckte sich da drin.

Duff ging mit lauten, schweren Schritten die Treppe hinunter, zog sich im ersten Stock die Schuhe aus und schlich auf Zehenspitzen wieder hinauf.

Er griff nach dem Türknauf und zog mit Wucht daran. Bemerkte, wie etwas durch die Luft flog, als die Tür aufschwang. Ein Stück Faden.

Er stand sich selbst gegenüber.

Das Bild war nicht besonders groß und unten rechts auf der Seite abgedruckt, unter einer Schlagzeile.

Die Zeitung senkte sich, und Duff starrte in das Gesicht eines alten Mannes mit langem, ungepflegtem Bart. Er saß nach vorn gebeugt da, und die Hose hing ihm an den Knöcheln.

Ein Etagenklo. Duff hatte so etwas schon in den alten Arbeiterkasernen entlang des Flusses gesehen. Man nannte sie Spritzkästen. Wohl wegen des Geräusches, das die Scheiße machte, wenn sie von den oberen Stockwerken auf den Auffangbehälter im Erdgeschoss traf. Wie ein nasser Schlag.

»Tut mir leid«, sagte Duff. »Sind Sie Alfie?«

Der Mann antwortete nicht, starrte Duff bloß an. Dann drehte er langsam die Zeitung um, schaute sich das Foto an und wieder auf zu Duff. Befeuchtete seine Lippen. »Lauter«, sagte er und deutete mit einer Hand auf sein Ohr.

Duff hob die Stimme. »Sind Sie Alfie?«

»Lauter.«

»Alfie!«

»Schhh. Ja. Das ist Alfie.«

Vielleicht lag es an der Schreierei, aber Duff hatte nicht gehört, dass sich ihm von hinten jemand genähert hatte. Er spürte nur, dass ein harter Gegenstand gegen seinen Hinterkopf gedrückt wurde. Außerdem kam ihm etwas vage bekannt vor an der Stimme, die ihm jetzt ins Ohr flüsterte: »Ja, dies ist eine Waffe, Inspector. Also rühren Sie sich nicht; sagen Sie mir einfach nur, wie Sie uns gefunden haben und wer Sie geschickt hat.«

Duff wollte sich umdrehen, aber eine Hand drückte sein Gesicht wieder nach vorn, sodass er Alfie ansehen musste. Dieser hielt das Problem offenkundig für gelöst und fuhr fort, seine Zeitung zu lesen.

»Ich weiß nicht, wer Sie sind«, sagte Duff. »Ich habe den Abdruck einer Adresse auf dem Notizblock in Banquos Wagen gefunden. Und mich hat niemand geschickt. Ich bin allein.«

»Warum sind Sie hergekommen?«

»Weil Macbeth mich umbringen will. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er auch Banquo und Fleance hat töten lassen. Deshalb dachte ich, wenn Banquo eine sichere Adresse hat, wäre sie auch für mich ein guter Unterschlupf.«

Eine Pause. Scheinbar um nachzudenken.

»Kommen Sie mit.«

Duff wurde herumgedreht, aber so, dass sich die Person mit der Waffe immer noch hinter ihm hielt. Dann wurde er die Stufen hinaufgedrängt zu der Tür, an der er eben noch geklopft hatte. Sie stand jetzt offen. Er wurde in einen großen Raum geschubst, in dem es abgestanden roch, obwohl die Fenster weit offen standen. Der Raum enthielt einen großen Tisch mit drei Stühlen, eine Küchenecke mit Spüle, einen Kühlschrank sowie ein schmales Bett, ein Sofa und eine Matratze auf dem Boden. Und eine weitere Person. Der Mann saß auf einem der Stühle, hatte die Unterarme und Hände auf den Tisch gelegt und starrte Duff mit großen Augen an. Die Brille war die alte, ebenso wie die langen Beine, die unter dem Tisch hervorragten. Aber etwas war anders an ihm. Vielleicht der Bart. Oder sein Gesicht war schmaler geworden.

»Malcolm«, sagte Duff. »Sie sind am Leben.«

»Duff. Setzen Sie sich.«

Duff nahm gegenüber vom Deputy Chief Commissioner Platz.

Malcolm begann, seine Brille zu putzen. »Sie haben also geglaubt, ich hätte mich ertränkt, nachdem ich Duncan umgebracht hatte, ja?«

»Anfangs schon. Bis mir klar wurde, dass Macbeth hinter dem Mord an Duncan steckt. Danach bin ich davon ausgegangen, dass er Sie ertränkt hat, um den Weg zum Büro des Chief Commissioners freizuräumen. Und dass der Selbstmordbrief eine Fälschung war.«

»Macbeth hat gedroht, meine Tochter zu töten, wenn ich nicht unterschreibe. Was wollen Sie, Duff?«

»Er sagt …«, begann die Stimme hinter Duff.

»Ich habe Sie gehört«, unterbrach Malcolm. »Und ich habe die Zeitungsberichte gesehen, wonach Macbeth hinter Ihnen her ist, Duff. Aber es könnte natürlich auch sein, dass Sie mit ihm zusammenarbeiten und diese Artikel lanciert wurden, damit Sie sich bei uns einschleichen können.«

»Und meine Familie wurde ermordet, um mich zu decken?«

»Davon habe ich auch gelesen, aber inzwischen traue ich nichts und niemandem mehr, Duff. Wenn Macbeth und die Polizei tatsächlich so wild darauf wären, Sie zu fangen, hätten sie es gewiss längst geschafft.«

»Ich hatte Glück.«

»Und dann sind Sie hierhergekommen.« Malcolm trommelte mit seinen Fingern auf der Tischplatte. »Warum?«

»Sicherer Unterschlupf.«

»Sicher?« Malcolm schüttelte den Kopf. »Sie sind Polizeibeamter, Duff, und Sie wissen doch genau: Wenn Sie uns hier so leicht finden können, kann Macbeth es auch. Ein einigermaßen intelligenter Mann, nach dem gefahndet wird, rührt sich nicht vom Fleck. Er geht nicht andere Leute besuchen, die ebenfalls auf der Fahndungsliste stehen. Also geben Sie mir eine bessere Antwort. Warum sind Sie hier?«

»Was glauben Sie?«

»Ich möchte es aus Ihrem Mund hören. Die Waffe ist auf die Stelle gerichtet, wo Ihr Herz sitzt, wenn Sie denn eins haben.«

Duff schluckte. Warum war er hierhergekommen? Er hatte schon sehr hoch pokern müssen. Aber es war eben seine einzige Hoffnung gewesen. Die Chancen standen schlecht, trotzdem war die Rechnung einfach. Duff atmete tief ein.

»Banquo wollte mich treffen, um mir etwas zu sagen – in der Nacht, in der er gestorben ist. Und er war der Letzte, der Sie an dem Tag gesehen hat, an dem Sie verschwunden sind. Ich dachte, dass ich Sie möglicherweise hier finden könnte. Und dass wir einander helfen könnten. Ich habe Beweise dafür, dass Macbeth Duncan getötet hat. Macbeth weiß das, und deshalb will er jetzt mich beseitigen.«

Malcolm hob eine Augenbraue. »Und wie sollen wir einander helfen? Sie glauben ja wohl nicht, dass uns die Polizei hier in Capitol beistehen wird, oder?«

Duff schüttelte den Kopf. »Sie haben Anweisung bekommen, uns festzunehmen und augenblicklich an Macbeth auszuliefern. Aber wir können Macbeth gemeinsam stürzen.«

»Um Ihre Familie zu rächen?«

»Ja, das war mein erster Gedanke.«

»Aber?«

»Es gibt etwas Größeres als Rache.«

»Den Posten des Chief Commissioners?«

»Nein.«

»Was dann?«

Duff nickte dem offenen Fenster zu. »Capitol ist eine wunderbare Stadt, nicht wahr? Es ist schwer, sie nicht zu mögen. Sich sogar in sie zu verlieben – so eine lächelnde blonde Schönheit mit Sonnenschein in den Augen. Aber Sie und ich können sie niemals lieben, nicht wahr? Weil wir unser Herz an die verkommene, kaputte Stadt an der Westküste verschenkt haben. Ich habe mich von ihr losgesagt, habe geglaubt, sie würde mir nichts mehr bedeuten. Dass ich und meine Karriere wichtiger wären als die Stadt, die nichts anderes getan hat, als uns die Laune zu verderben, unsere Herzen zu korrumpieren und unser Leben zu verkürzen. Eine absurde, verschwendete Liebe, habe ich gedacht. Aber so ist es eben. Zu spät stellen wir fest, wen wir wirklich lieben.«

»Und Sie sind bereit, sich für eine derartige Stadt selbst zu opfern?«

»Das ist leicht.« Duff lächelte. »Ich habe alles verloren. Es gibt nicht mehr viel zu opfern, außer meinem Leben. Was ist mit Ihnen, Malcolm?«

»Ich habe meine Tochter zu verlieren.«

»Und retten können Sie sie nur, indem wir Macbeth zu Fall bringen. Hören Sie. Sie sind der Mann, der Duncans Werk fortsetzen kann. Deshalb bin ich hergekommen. Um Ihnen zu folgen, wenn Sie bereit sind, den Posten als Chief Commissioner zu übernehmen und für Gerechtigkeit zu sorgen.«

Malcolm musterte ihn misstrauisch. »Ich?«

»Ja.«

Malcolm lachte. »Vielen Dank für die moralische Unterstützung, Duff, aber lassen Sie mich erst einmal ein paar Dinge klarstellen.«

»Ja?«

»Erstens habe ich Sie nie gemocht.«

»Verständlich«, sagte Duff. »Ich habe nie einen Gedanken an irgendjemanden verschwendet außer an mich selbst. Ich will nicht behaupten, ich sei ein neuer Mensch, aber was passiert ist, hat mich einiges begreifen lassen. Ich bin immer noch nicht besonders clever, aber vielleicht etwas weniger dämlich als früher.«

»Schon möglich, aber vielleicht sagen Sie auch nur, was ich hören will. Ich will aber keinen Unsinn über Ihre Bekehrung hören. Sie haben sich vielleicht ein wenig geändert, die Welt ist aber immer noch dieselbe.«

»Was meinen Sie damit?«

»Ich freue mich, dass Sie mich für relativ anständig halten. Aber wenn Sie zu meinem Team gehören wollen, muss ich wissen, ob Ihre Engelsflügel Sie nicht davon abhalten, mit beiden Füßen auf dem Boden zu stehen. Ihnen ist doch wohl klar, dass man bei gewissen Dingen ein Auge zudrücken muss, oder? Dass man gewisse … etablierte Praktiken akzeptieren muss, dass bestimmte Leute mit bestimmten Dingen durchkommen und dass einige dicke braune Umschläge den Besitzer wechseln. Wie wollen Sie die Loyalität eines schlecht bezahlten Polizisten erreichen, wenn Sie ihm über Nacht alles nehmen? Und ist es nicht besser, hin und wieder ein paar kleinere Schlachten zu gewinnen, als darauf zu bestehen, immer die großen zu verlieren?«

Duff schaute den Mann mit dem Bart an, als müsse er sichergehen, dass es sich wirklich um Malcolm handelte. »Sie meinen, man sollte nicht gegen Hecate vorgehen, sondern gegen seine kleineren Mitbewerber?«

»Ich meine, Sie sollten realistisch sein, mein lieber Duff. Niemandem ist mit einem Chief Commissioner gedient, der keine Ahnung davon hat, wie die Dinge in dieser Welt laufen. Wir müssen eine bessere und sauberere Stadt aufbauen, als es unsere Vorgänger geschafft haben, Duff, aber für diesen Job muss man uns verdammt noch mal auch bezahlen.«

»Wir sollen Bestechungsgelder annehmen, meinen Sie?«

»Wir können nicht gegen Hecate gewinnen, Duff. Noch nicht. In der Zwischenzeit können wir ihn ruhig einen Teil unserer Gehälter zahlen lassen. Damit wir gut genug ausgestattet sind, um gegen all die anderen Verbrechen in unserer Stadt zu kämpfen. Gott weiß, es gibt genug davon.«

Zuerst spürte Duff eine tiefe Erschöpfung. Und eine merkwürdige Erleichterung. Der Kampf war vorüber; er konnte aufgeben, konnte sich endlich ausruhen. Mit Meredith. Er schüttelte den Kopf. »Ich kann das nicht akzeptieren. Ich hatte gehofft, dass Sie ein anderer Mensch wären, Malcolm. Das heißt, jetzt ist meine letzte Hoffnung dahin.«

»Glauben Sie, es gibt bessere Menschen? Sind Sie ein besserer Mensch?«

»Ich nicht. Aber im Bauch eines Schiffes habe ich Männer getroffen, die besser sind als Sie und ich, Malcolm. Dann gehe ich jetzt. Sie werden sich schnell entscheiden müssen, ob Sie mich ziehen lassen oder mich erschießen.«

»Ich kann Sie nicht gehen lassen, da Sie jetzt wissen, wo ich bin. Es sei denn, Sie schwören, meinen Aufenthaltsort nicht preiszugeben.«

»Ein Versprechen unter Verrätern wäre nicht viel wert, Malcolm. Ich werde auch nicht schwören. Bitte schießen Sie mir in den Kopf – auf mich wartet meine Familie.«

Duff stand auf, aber Malcolm tat es ihm gleich, legte ihm beide Hände auf die Schulter und drückte ihn zurück auf seinen Stuhl.

»Sie haben mir ziemlich viele Fragen gestellt, Duff. Und in einem Verhör sind die Fragen oft wahrer und verraten mehr als die Antworten. Ich habe Sie angelogen, und Ihre Antworten waren die richtigen. Aber ich war mir nicht sicher, ob Ihre rechtschaffene Empörung echt war. Bis jetzt, als Sie bereit waren, sich für eine saubere Polizei und eine saubere Stadt eine Kugel in den Kopf schießen zu lassen.«

Duff blinzelte. Sein Körper fühlte sich plötzlich so schwer an, dass er glaubte, gleich ohnmächtig zu werden.

»In diesem Raum befinden sich drei Männer«, sagte Malcolm. »Drei Männer, die bereit sind, alles zu opfern, um fortzusetzen, wofür Duncan gestanden hat.« Er setzte sich die Brille auf. »Drei Männer, die vielleicht nicht besser sind als andere. Vielleicht haben wir einfach schon so viel verloren, dass es uns nicht viel kostet, den Rest zu opfern. Aber dies ist die Saat und die Logik der Revolution, also wollen wir uns nicht mitreißen lassen von unserer eigenen moralischen Überlegenheit. Sagen wir einfach, wir haben den Willen, das Richtige zu tun, ganz gleich, ob wir dabei angetrieben werden von einem Sinn für Gerechtigkeit …«, er zuckte mit den Schultern, »… dem Wunsch eines Familienvaters, Rache zu üben, der Scham eines Verräters, dem Übereifer eines privilegierten Mannes oder einer gottesfürchtigen Angst davor, in der Hölle zu schmoren. Denn dies ist der richtige Weg, und was wir nun brauchen, ist nur noch der Wille. Es gibt keine einfachen Wege zu Gerechtigkeit und Reinheit, nur den schwierigen.«

»Drei Männer«, sagte Duff.

»Sie, ich und …«

»Und Fleance«, sagte Duff. »Wie hast du das geschafft, Junge?«

»Mein Vater hat mich aus dem Wagen getreten, und ich bin die Brücke hinuntergestürzt«, sagte die Stimme hinter ihm. »Mir hat er nämlich etwas beigebracht, was er bei Macbeth nie geschafft hat: Schwimmen.«

Duff schaute Malcolm an, der aufseufzte und dann lächelte. Und zu seiner Überraschung bemerkte Duff, dass er ebenfalls lächelte. Und dass etwas in seiner Kehle aufstieg. Ein Schluchzen. Aber dann brach es als ein Gelächter aus ihm heraus, nicht als Tränen, da er sah, dass erst Malcolm und dann auch Fleance laut zu lachen begannen. Das Gelächter des Kriegs.

»Was’n hier los?«

Sie drehten sich um und sahen den alten Alfie im Türrahmen stehen, mit verdutzter Miene und der Zeitung in der Hand, und nun lachten sie noch lauter.

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