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Der Fahrstuhl brachte Duff, Malcolm und den Hausmeister hinab ins Untergeschoss des Polizeihauptquartiers.

»Ich weiß, es ist Wochenende, aber sind Sie sicher, dass sich hier sonst niemand aufhält?«, fragte Duff den Hausmeister, mit dem Malcolm ausführlich von Tourtells Haus aus telefoniert hatte.

»Im Gegenteil«, erwiderte der Hausmeister. »Sie warten auf Sie.«

Duff war unfähig zu reagieren, bevor der Fahrstuhl unten ankam und sich die Türen vor ihm öffneten. Drei Leute waren da, allesamt bewaffnet und in schwarzen SWAT-Uniformen. Duff hielt den Atem an.

»Danke«, sagte Malcolm, »dass Sie so kurzfristig gekommen sind.«

»Für die Stadt«, sagte einer von ihnen.

»Für Angus«, sagte der Zweite.

»Für den Chief Commissioner«, sagte der Dritte, ein dunkelhäutiger Mann, der sich besonders gerade hielt. »Für uns heißt er jetzt Malcolm.«

»Vielen Dank, Ricardo«, sagte Malcolm und stieg aus dem Fahrstuhl.

Der Officer mit der aufrechten Haltung ging voran. »Haben Sie sonst noch mit jemandem gesprochen, Sir?«

»Ich habe den ganzen Abend am Telefon gesessen. Es ist natürlich nicht leicht, Leute dazu zu überreden, ihr Leben und ihren Job zu riskieren, um gegen eine Verschwörung zu kämpfen, für deren Existenz sie nur mein Wort haben. Zumal wir keine sofortige Unterstützung aus Capitol bekommen können. Trotzdem habe ich etwa dreißig Kollegen, zehn bis fünfzehn Männer vom Zivilschutz und vielleicht zehn von der Feuerwehr gewinnen können.«

»Der Fall macht vielleicht keinen allzu überzeugenden Eindruck, Sie dafür umso mehr, Malcolm.«

»Vielen Dank, Ricardo, aber ich glaube, Macbeths Taten sprechen für sich.«

»Ich dachte weniger an Ihre Worte, Sir. Ihr Mut spricht lauter.«

»Mir ist alles genommen worden, und ich hatte nicht viel zu verlieren, Ricardo. Trotzdem musste ich zurückkommen und meine Tochter holen. Ich habe sie inzwischen in Sicherheit bringen lassen. Ihr seid es, die Mut zeigen. Ihr werdet nicht von einem Vaterherz angetrieben, ihr handelt frei, folgt eurem eigenen Gerechtigkeitsgefühl. Was beweist, dass es in dieser Stadt durchaus Menschen gibt, die das Gute wollen.«

Sie kamen an der Drachenflagge vorbei.

»Und wo ist der Bürgermeister?«, fragte Ricardo.

»Der hat im Augenblick andere Dinge im Kopf.«

Ricardo blieb vor einer massiven Eisentür stehen, die aussah wie der Eingang zu einem Luftschutzbunker. Sie stand offen. »Hier.«

Die Regale im Inneren waren voll beladen mit eisernen Boxen und Feuerwaffen. Mitten auf dem Boden stand ein Safe. Malcolm nahm eine der Maschinenpistolen vom Regal.

»Jemand hat die Gatling-Gewehre und die dazugehörige Munition entnommen«, sagte Ricardo. »Mehr haben wir also nicht. Nur noch einen gepanzerten Wagen. Ich kann ihn sofort zum Hauptbahnhof fahren lassen. Es sind nicht genug Waffen für alle da, aber die Feuerwehrleute sind sowieso nicht an Waffen ausgebildet. Meine Männer und ich können allerdings heute Nacht noch zuschlagen.«

»Wir würden es sehr bevorzugen, wenn Macbeth freiwillig aufgeben würde«, sagte Malcolm. »Wie es aussieht, hat er wohl zwei Männer bei sich: Seyton und Olafson. Ich hoffe, wenn er sieht, wie viele Kräfte wir draußen mobilisieren konnten, wird er Kasi freilassen und kapitulieren.«

»Verhandlungen.« Ricardo nickte. »Ein sehr modernes Vorgehen im Fall einer Geiselnahme.«

»Ganz genau.«

»Modern und unnütz, wenn man es mit Macbeth zu tun hat. Er war mein Chef, Sir. Er hat die zwei besten Schützen des Landes und zwei Gatling-Gewehre auf seiner Seite. Während uns nur sehr wenig Zeit bleibt.«

»Was können Sie ausrichten gegen zwei Gatlings?«, fragte Malcolm und griff nach einer Bazooka.

Duff zuckte zusammen. Er hatte gesehen, was hinter der Bazooka lag.

»Die ist nicht sehr treffsicher auf große Distanz«, sagte Ricardo. »Aber ich entwerfe gerne einen Plan, wie wir das Inverness stürmen können, falls Macbeth nicht aufgibt.«

»Gut«, sagte Malcolm und schaute sich an, was Duff gefunden hatte. »Herrgott, wo kommt das denn her?«

»Aus den Ruinen nach der Razzia bei den Norse Riders«, sagte Ricardo. »Es ist immerhin eine Waffe, wenn auch nur ein Säbel.«

»Es ist nicht bloß irgendein Säbel«, sagte Duff und umfasste fest den Griff. Er schwang ihn hin und her und spürte das Gewicht des Stahls. »Es ist Swenos Säbel.«

»Sie haben doch wohl nicht vor, ihn mitzunehmen? Der kann keinen großen Schaden anrichten.«

»Falsch.« Duff ließ seinen Zeigefinger über die Klinge fahren. »Er kann Frauenbäuche und Kindergesichter aufschlitzen.«

Malcolm wandte sich an Ricardo. »Können Sie die Waffen eine Stunde vor Sonnenaufgang zum Hauptbahnhof bringen lassen?«

»Sie können sich drauf verlassen.«

»Vielen Dank. Wollen wir mal sehen, ob der Rest von uns ein paar Stunden die Augen zumachen kann.«


»Sir?«

Macbeth hob seinen Kopf von Ladys kalter Brust und schaute auf. Jack war zurückgekehrt, stand in der Tür.

»Unten an der Rezeption ist jemand, der mit Ihnen sprechen möchte.«

»Haben Sie j-j-jemanden reingelassen?«

»Er ist allein und hat nicht aufgehört zu klopfen. Ich musste ihn reinlassen. Und jetzt will er nicht wieder gehen.«

»Wer ist es?«

»Ein junger Mann namens Siwart.«

»Siwart?«

»Er sagt, Sie hätten ihm bei dem Einsatz gegen die Norse Riders unten am Kai das Leben gerettet.«

»Oh, die Geisel. W-w-was will er?«

»Sich freiwillig melden. Er sagt, Malcolm habe ihn kontaktiert. Er würde Leute zusammentrommeln, um das Inverness zu stürmen.«

»Dann«, sagte Macbeth, legte seinen Kopf wieder auf Ladys Brust und schloss die Augen, »s-s-sagen Sie ihm, er soll gehen.«

»Er will nicht, Sir.«

Macbeth seufzte schwer, rappelte sich auf und streckte eine Hand aus. »Leihen Sie mir die Pistole, die ich Ihnen gegeben habe, Jack.«

Sie gingen hinunter zur Rezeption, wo der junge Mann nervös wartete. Von der Treppe aus richtete Macbeth die Waffe auf ihn. »Raus!«

»Chief Commissioner …«, stammelte der Mann.

»Raus hier! Malcolm hat Sie geschickt, um mich zu töten. Raus, sofort!«

»Nein, nein, ich …«

»Sofort! Ich zähle bis drei. Eins …«

Der Mann taumelte rückwärts, griff nach der Türklinke, aber es war abgeschlossen.

»Zwei!«

Jack eilte mit den Schlüsseln herbei und öffnete die Tür.

»Drei!«

Die Tür schlug hinter dem Mann zu, und sie hörten ihn davonrennen, bis die Schritte in der Ferne verklangen.

»Glauben Sie wirklich, er wollte …«

»Nein«, sagte Macbeth und gab Jack die Waffe zurück. »Aber ein junger Bursche wie er hätte uns bloß im Weg gestanden.«

»Sie haben nicht viele Leute, und er ist im selben Alter wie Olafson, Sir.«

»Haben Sie getan, worum ich Sie gebeten habe, Jack?«

»Ich bin noch dabei, Sir.«

»Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie fertig sind. Ich bin im Spielsaal.«

Macbeth öffnete die Doppeltür zum Casino. Die Nacht wurde bereits alt und grau hinter den hohen Fenstern, die nach Osten zeigten.

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