XII Sturmwarnung

Sir Charles Inskip sah übellaunig aus dem schmalen Fenster, dessen Scheiben unter einer Regenbö zitterten.»Diese Behandlung hätte ich nicht erwartet«, schnaufte er.

Bolitho trat neben ihn und sah auf die Schiffe hinaus, die vor ihnen im Hafen ankerten. Die dicken Eisengitter vor den Fenstern gefielen ihm nicht, ebensowenig die Art, jeden Dänen von ihnen fernzuhalten. Zwar waren ihre Räume in der Festung recht bequem, doch abends wurden die Türen abgeschlossen. Er sah drunten Truculent an ihrer Ankertrosse zerren, sie sah einsam und verletzlich aus. Die große dänische Fregatte Dryaden, die sie hierher eskortiert hatte, ankerte nur zwei Kabellängen entfernt. Bolitho lächelte. Das war nicht gerade ein Zeichen des Vertrauens. Ebensowenig, daß Truculent ein Ankerplatz genau unter den größten Kanonen der Festungsbatterie zugewiesen worden war. Kein sehr gesunder Platz, falls es zum Schlimmsten kam.

Sie warteten schon volle sieben Tage. Bolitho zwang sich, nicht ständig darüber nachzudenken. Inskip hatte ihm immer wieder versichert, sie lägen hier auf Wunsch eines dänischen Ministers. Dieser Christian Haarder wollte angeblich unbedingt verhindern, daß sein Land in den Krieg hineingezogen wurde — gleichgültig, ob auf Englands oder auf Frankreichs Seite. Dänemark besaß eine stolze Flotte trotz der schweren Verluste, die es vor fünf Jahren in diesen Gewässern erlitten hatte. Die Dänen hatten sicher alle ihre Schiffe von den Inseln und vom Festland hier versammelt und unter ein Oberkommando gestellt. Ein kluges Vorgehen.

«Ich habe zwei Botschaften an ihn geschickt. Auch der Hof ist informiert, aus Höflichkeit. Meine Briefe hätten längst zu einem Gespräch führen müssen!«Inskip war ungehalten.

«Die Leute werden sich fragen, was ein englisches Kriegsschiff hier will. «Bolitho beobachtete eine schnittige Galeere, die langsam an der Truculent vorbeiruderte. Die langen roten Riemen hoben und senkten sich im Gleichtakt, als käme die Besatzung geradewegs aus der Antike. Doch diese Galeeren waren gefährlicher, als sie aussahen. Sie konnten jedes Segelschiff ausmanövrieren, wie Bolitho aus eigener böser Erfahrung wußte. Ihre schwere

Bugkanone konnte das Heck jedes Kriegsschiffes zertrümmern, ohne Gegenwehr fürchten zu müssen. Wen mehrere Galeeren gleichzeitig angriffen, der wurde schnell zu einem Wrack, das diese behenden Wölfe der See zerrissen.

«Die Leute werden es bald erfahren, wenn wir hier noch länger liegen müssen«, knurrte Inskip.

Allday sammelte die Kaffeebecher ein, obwohl das eigentlich die Aufgabe von Inskips Diener gewesen wäre, der sich im Nebenraum zu schaffen machte. Bolitho sah auf die Uhr. Jenour hätte längst zurück sein müssen. Inskip hatte ihn vor Stunden mit einem weiteren Brief losgeschickt.

«Glauben Sie, daß die Franzosen in die Sache involviert sind?»

Inskip brachte seine Gedanken in Kiellinie.»Die Franzosen? Sie sehen die wohl überall, Bolitho. Aber vielleicht ist es tatsächlich so.»

Er unterbrach sich, als Agnew, sein Diener, mit vor Kälte roter Nase durch den Türspalt spähte.»Der Leutnant kehrt zurück, Sir Charles.»

Inskip rückte seine Perücke zurecht und stellte sich in Positur.»Er kommt nicht allein, wie man hört.»

Die Tür flog auf, Jenour trat ein. Hinter ihm erschien der Kommandant der Dryaden und ein großer Mann in dunklem Samtmantel, der nur Minister Haarder sein konnte.

Man begrüßte einander mit Verbeugungen, doch nur Inskip bot Haarder die Hand. Wie alte Gegenspieler standen sie sich gegenüber, dachte Bolitho, und schienen sich abzutasten.

Dann blickte Haarder Bolitho an.»An Sie erinnere ich mich noch von Ihrem letzten Besuch hier.»

Bolitho hörte keinen feindlichen Unterton in den Worten des Ministers.»Damals wurde ich mit großer Höflichkeit empfangen«, sagte er, und jedermann verstand, was er unausgesprochen ließ: aber diesmal nicht!

Haarder zuckte mit den Schultern.»Wir machen uns keine Illusionen, Admiral. Die dänische Flotte ist wieder eine Beute, die sich jeder gern einverleiben«, seine Augen funkelten,»oder auf den Grund des Meeres schicken würde, falls ihm ersteres nicht gelingt. «Ernst sah er sie an.»Meine Ministerkollegen sind von Ihren guten Absichten nur schwer zu überzeugen. «Er hob die Hand, um Inskips Protest zu unterdrücken.»Falls es stimmt, daß die Franzosen den

Oberbefehl über unsere Flotte anstreben, und das unterstellen Sie ja wohl — was sollen wir dagegen tun, meine Herren? Sollen wir gegen sie kämpfen? Und könnten wir diesen Kampf gewinnen, wenn doch das starke England schon zwölf Jahre lang vergeblich gegen Frankreich anrennt? Ehe Sie uns verurteilen, denken Sie lieber über unsere Lage nach. Wir wollen nur Frieden, selbst mit unseren alten Gegnern, den Schweden. Wir wollen Handel, nicht Krieg — kommt Ihnen das so fremd vor?»

Inskip lehnte sich zurück.»Sie können oder wollen uns in dieser Sache also nicht helfen?»

Haarder sah ihn mitfühlend an.»Ich hatte darauf gehofft. Aber meine Stimme ist nur eine gegen viele.»

Bolitho gab noch nicht auf.»Nie wieder sollte Dänemark solche Verluste einstecken müssen wie beim letzten Mal«, sagte er.»Darin werden Sie mir sicher zustimmen.»

Haarder erhob sich.»Ich werde es noch einmal versuchen«, antwortete er.»Inzwischen wird Kommandant Pedersen von der Dryaden Sie in offene Gewässer zurückbegleiten. «Er überreichte Inskip einen versiegelten Umschlag.»Für Ihren Premierminister von jemandem, der viel mächtiger ist als ich.»

Inskip starrte auf den Umschlag.»Lord Grenville mag solche Provokationen ebensowenig wie damals Mr. Pitt. «Er streckte dem Dänen die Hand hin.»Aber wir sind ja noch nicht am Ende.»

Haarder schüttelte sie nachdrücklich und sagte betont:»Wir haben noch nicht mal angefangen, alter Freund. «Zu Bolitho gewandt, fuhr er fort:»Ich bewundere, was Sie auf See und an Land erreicht haben. Mein König hätte Sie gern empfangen, aber wir sind da in der Klemme. Wer dem einen einen Vorteil gewährt, muß ihn auch dem anderen bieten, verstehen Sie?»

Verbeugungen, Händeschütteln, und dann war Haarder gegangen. Höflich meldete sich der dänische Kapitän:»Erlauben Sie?«Einige bewaffnete Seeleute betraten den Raum, um das Gepäck der Gäste an Bord zu schaffen.»Eine Gig wird Sie auf Ihr Schiff zurückbringen. Danach«, er sprach höflich, aber deutlich,»werden Sie bitte meine Anweisungen befolgen!»

Als der Kommandant den Raum verlassen hatte, fragte Inskip:»Warum haben sie uns bloß auf ihre Entscheidung so lange warten lassen? Wozu sieben Tage, wenn uns Haarder nur ausrichten sollte, daß Dänemark neutral bleibt?»

Bolitho sah sich um, als suche er Allday, aber er wollte nur vermeiden, daß Inskip sein Gesicht sah. Denn eine scheinbar hingeworfene Bemerkung Haarders war in seinem Kopf explodiert wie eine Mörsergranate. Oder hatte der Däne nur mit Worten gespielt? Hatte er da etwas gesagt, was nur ein Seemann, kein Diplomat verstehen konnte?

«Klemme«, hatte er gesagt. Und: Vorteil für den einen, Vorteil für den anderen. War das eine Warnung gewesen?

«Wenigstens werden wir bald nach England zurückkehren«, meinte Jenour.»Noch ehe die Winterstürme einsetzen. Immerhin ein Trost.»

Bolitho führte ihn am Arm zum Fenster.»Stephen, man hat uns hier mit Absicht so lange warten lassen. Das war kein Zufall. «Er sah, daß Jenour ihn verstand.»Aber kein Wort darüber, zu niemandem! Sorgen Sie nur dafür, daß wir so schnell wie möglich ankeraufgehen und auslaufen.»

Allday beobachtete sie und erkannte, wie hellwach Bolitho plötzlich geworden war, wie sich der junge Leutnant straffte. Jenour konnte seine Gefühle noch nicht ganz verbergen. Er legte Bolitho das Gehenk um.»Den Degen werden Sie wohl sicher bald brauchen, Sir Richard.»

Inskip kam in den Raum zurück und sah sie beide an.»Sie halten das sicher für einen vergeblichen Ausflug?»

Bolitho verbarg seinen Grimm, jetzt, da er die Gefahr erkannt hatte.»Wollen hoffen, daß es wirklich nur ein Ausflug gewesen ist.»

Eine Kutsche brachte sie unter Bewachung das kurze Stück zur Mole, wo die Gig wartete. Inskip wickelte sich in seinen Mantel, nickte dem dänischen Kapitän kurz zu und setzte sich ins Heck, offensichtlich noch in Gedanken bei dem, was ihm Haarder mitgeteilt und was er verschwiegen hatte.

Bolitho sah zu, wie das Gepäck verstaut wurde. Die regenverhangene Stadt wirkte mit ihren grünen Türmen und schönen Giebeln wie ein Aquarell, dessen Farben im Regen verliefen. Catherine hätte den Anblick gemocht. Der Kommandant beobachtete ihn. War es nur Neugier auf den seit Nelsons Tod jüngsten Vizeadmiral der Royal Navy? Oder sollte er verhindern, daß Bolitho Kontakt zu Leuten an Land aufnahm?

«Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise, Sir Richard. Werden wir uns wiedersehen?»

Nein, dieser Kapitän ahnte sicher nicht, warum man sie hatte so lange warten lassen.»Hoffentlich in friedlicheren Zeiten, Captain Pedersen. «Damit kletterte er ins Boot.

Die Passagiere schwiegen während der kurzen Überfahrt, man hörte nur die Kommandos des Bootsführers. Ein Wachboot ruderte vorbei, der Leutnant grüßte. Alles geschah nach Vorschrift, ganz wie im Frieden. Dabei war Bolitho fast sicher, daß er nächstes Mal Captain Pedersen über den Mündungen ausgerannter Kanonen wiedersehen würde, kurz vor einer Breitseite.

Kapitän Poland und seine Offiziere begrüßten die Ankömmlinge erleichtert an Bord der Truculent. In einem eiskalten Regenschauer löste sich die dänische Gig von ihren Großrüsten und verschwand.

«Bitte gehen Sie sofort ankerauf, Kapitän Poland«, befahl Bolitho.»Die Dryaden wird uns zwar durch den Belt begleiten, aber die Truculent ist schneller. Sobald wir die Enge hinter uns haben, muß die Truculent so schnell sein wie damals auf der Reise nach Kapstadt. «Wenn Poland ihn doch bloß nicht so anstarren wollte!» Ich erkläre Ihnen alles später genauer, aber ich fürchte, wir werden bald kämpfen müssen.»

Poland fuhr hoch.»Natürlich, Sir Richard!«Sein Blick suchte den Ersten Offizier.»Wenn es zum Kampf kommt, wird mein Schiff Sie nicht enttäuschen. «Doch da hatte der Vizeadmiral ihn bereits verlassen. In der Achterkajüte ging Bolitho sofort zur Seekarte. Wassertropfen aus Haar und Mantel fielen auf das Papier. Das Ankerspill klickte, am Vorschiff sang ein Shantymann, Wasser gurgelte um das Ruder. Das Schiff erzitterte. Gleich mußte Poland den Anker frei haben. Er würde das Schiff sicher aus dem Hafen und dem Belt führen.

Das andere war dann nicht mehr seine Sache. Bolitho beugte sich über die Karte.

Eine Hand auf der Schulter weckte ihn. Sein Flaggleutnant stand neben der Koje, eine Lampe in der Hand, das Gesicht regennass.»Erstes Tageslicht, Sir Richard. Sie wollten geweckt werden. «Jenour schluckte und schlug die Hand vor den Mund.»Mir ist schlecht…»

Bolitho hörte das Tosen von Wind und Wellen, das Stöhnen und Knarren des Holzes. Die Fregatte kämpfte sich durch einen ausgewachsenen Sturm. Er hörte jemanden stöhnen, wahrscheinlich

Inskip nebenan. Jetzt sah er auch Alldays Gestalt im Hintergrund der Kajüte, schräg geneigt wie ein Baum im Wind. Er näherte sich mit einem halbvollen Becher Kaffee.»Der letzte für lange Zeit, Sir Richard. Die Kombüse steht unter Wasser. «Dann sah er Jenour an und spottete:»Sie brauchen wohl ein Stück Speck am Faden?«Jenour verschwand eiligst.

Bolitho trank den heißen Kaffee in kleinen Schlucken.»Was liegt an?»

Allday fand Halt an einem Deckenbalken.»Wir laufen noch immer unter gerefften Marssegeln und Klüver. Der Kommandant wollte nicht Segel kürzen, bis ihm das Großbramsegel in Streifen davonflog. Der Master sagt, der Däne hat jetzt abgedreht.»

Bolitho glitt aus der Koje, und Allday nahm die Blenden von der Lampe, als er sich über die Karte beugte. Poland machte gute Fahrt trotz des schlechten Wetters, das sie hinter der Enge erwartet hatte. Die Truculent stand jetzt im nördlichen Kattegat und würde bald halsen, um mit Südwestkurs durchs Skagerrak in die Nordsee zu laufen, sich freizusegeln von der Küste und den Fischern, die sich bei diesem Hundewetter immer noch hinaus wagten.

«Der Wind hat seit der ersten Wache gedreht«, berichtete Allday weiter.»Jetzt haben wir einen steifen Nordost, direkt vom Nordpol und stark genug, um jede Spiere zu brechen. «Er half Bolitho in den schweren Ölmantel.

Oben an Deck klammerten sie sich beide an einen Neunpfünder. Allday spürte in der beißenden Kälte plötzlich seine alte Wunde, sie schmerzte wie ein frischer Schnitt quer über die Brust. Bolitho streckte ihm den Arm hin.»Halt dich fest!»

Der Schmerz verebbte.»Scheißwunde«, knirschte Allday und versuchte ein grimmiges Lächeln.»Piesackt mich, wann sie will, ohne daß man's vorher ahnt.»

«Du kennst meinen Vorschlag«, antwortete Bolitho,»er gilt immer noch. Du kannst dich jederzeit in Falmouth zur Ruhe setzen. «Er merkte, wie Allday seine Kräfte sammelte.»Du hättest es jedenfalls längst verdient nach allem, was du für dein Land getan hast. Und für mich.»

Allday wartete, bis das Deck sich wieder hob.»Und dann, Sir Richard? Soll ich in der Kneipe rumhängen und Garn spinnen wie die anderen Teerjacken? Oder den Schafhirten spielen? Vielleicht eine reiche Witwe heiraten? Von denen gibt's ja genug nach zwölf

Jahren Krieg.»

Bolitho gab es auf. Es hatte keinen Sinn, Allday überzeugen zu wollen. Außerdem raubte ihm der Wind fast den Atem. Beide Wachen waren an Deck, reagierten auf die Kommandofetzen und schlitterten durchs Wasser, das die Seitendecks spülte.

Poland hielt sich an der Achterreling fest.»Tut mir leid, Sir Richard, daß Sie so unsanft geweckt wurden.»

Bolitho lächelte.»Das Wetter kann man Ihnen wirklich nicht anlasten. «Hatte Poland das überhaupt gehört? Lauter fragte er:»Wo stehen wir jetzt?»

Poland deutete nach Lee voraus.»Da liegt Kap Skagen. In einer halben Stunde halsen wir. «Seine Stimme war rauh vom Befehlen in der stürmischen Nacht.»Wir haben kaum eine Stunde verloren.»

Bolitho nickte.»Ich weiß. Sie führen das Schiff sehr gut.»

«Die Dryaden hat in der Nacht eine Marsrah verloren und ihren Besan«, sagte Poland zufrieden.»Die sehen wir so bald nicht wieder.»

Bolitho fror. Gut, daß er wenigstens seinen Morgenkaffee getrunken hatte, den letzten für lange Zeit, wenn Allday recht behielt.

Die dänische Fregatte war also außer Sicht, allenfalls noch vom Masttopp aus zu entdecken. Aber wer mochte bei diesem Sturm da oben Ausguck gehen?

Poland rief etwas, als vier Männer an ihm vorbeirannten, um die Gig festzuzurren, die sich loszureißen drohte. Sie wateten hüfttief durch das eiskalte Wasser und schienen im nächsten Augenblick höher zu sein als das Achterdeck.

«Drei Männer liegen unten mit Verletzungen«, rief Poland Bolitho zu.»Keine Drückeberger, der Schiffsarzt hat mir das bestätigt!»

Bolitho duckte sich vor einem Schwall Gischt. Das war wieder mal typisch Poland, dachte er und rief:»Wenn wir erst aus dem Skagerrak sind, hilft uns dieser Wind sehr. «Poland nickte, ohne ihn zu verstehen.»Über die Nordsee wird uns jemand begleiten. Sie können dann die Segel kürzen, eventuelle Reparaturen ausführen und das Feuer in der Kombüse wieder anzünden lassen.»

Poland war keineswegs überrascht, daß Bolitho von dem gelöschten Herdfeuer wußte.»Sie haben sicher die Zest hierher beföhlen, nicht wahr?»

Bolitho nickte. Es war gut, daß er für diesen Fall vorgesorgt und Varian mit der Zest vors Skagerrak beordert hatte. Falls seine Annahme nicht stimmte, hatte er nichts verloren. Doch wenn sie stimmte.

«An Deck! Der Däne dreht ab!»

Poland bewegte sich mit der Leichtigkeit des erfahrenen Seemanns, als eine gewaltige See die Truculent vorn anhob, sie steil klettern und dann schnell ins Tal gleiten ließ. Kalter, beißender Gischt sprühte auf. Bolitho trat an die Seitenreling und suchte mit zusammengekniffenen Augen die Kimm an Backbord ab. Da lag der Schimmer von Land, näher als zwei Meilen. Poland lief so hoch er konnte, um Skagen sicher zu runden.

«Alle Mann an Deck! Klar zum Halsen!»

Wie alte müde Männer taumelten Matrosen und Seesoldaten an die Schoten und Brassen, zermürbt von der unbarmherzigen See und dem fauchenden Wind.

«Mr. Williams, Ihre besten Toppgasten nach oben! Ich möchte auf dem neuen Kurs sofort die Bramsegel setzen. «Poland sah Hull, den Master, fast drohend an.

Williams hob das Sprachrohr.»Klar auf dem Achterdeck!«Er wartete, schätzte den richtigen Augenblick ab.»Fall ab drei Strich nach Backbord.«Ärgerlich drohte er mit dem Sprachrohr, als eine See zwei Männer in die Netze fegte. Sie kletterten wasserspuckend zurück.

«Mr. Lancer! Noch vier Mann an die Leebrassen!«Poland nickte, das Kinn auf die Brust gesenkt.»Ruder nach Luv!»

Mit donnernden Segeln und quietschenden Blöcken ging die Truculent mit dem Heck durch den Wind. Einen Augenblick hielt er sie fast aufrecht, dann lag sie auf dem anderen Bug, und der Sturm preßte sie wieder ins Wasser.

Poland sah prüfend auf den Kompaß.»Halten Sie genau diesen Kurs, Mr. Hull!»

Grimmig meldete der Master:»West zu Nord liegt an, Sir.»

«An Deck!»

Poland sah mit seinen geröteten Augen genervt nach oben.»Was gibt's?»

«Segel an Steuerbord voraus!«brüllte der Ausguck herunter. Bolitho nickte vor sich hin.»Schicken Sie einen guten Mann mit einem Fernglas nach oben, Mr. Williams!«befahl Poland und fragte sich, woher Bolitho gewußt hatte, daß hier ein Segel auftauchen würde.

Hulls bester Gehilfe enterte auf. Und dann gellte seine Stimme durch den Lärm:»Kriegsschiff, Sir!«Eine lange Pause.»Kleines Schiff, Sir. Eine Korvette — ja, eine Korvette!»

Hull bestätigte:»Wenn er Korvette sagt, dann ist es eine.»

Poland näherte sich Bolitho, tippte grüßend an den Hut.»Ein Franzose, Sir Richard. Korvette. «Und nach kurzem Zögern:»Zu klein, um uns gefährlich zu werden.»

«Aber groß genug, um sich an uns zu hängen. Wir werden bald sehen, was passiert.»

Bolitho blickte erwartungsvoll nach Steuerbord. Natürlich hatte Poland recht, keine Korvette würde sich an eine Fregatte wagen, die sechsunddreißig Kanonen trug. Ihr Kommandant war also sicher, daß irgendwo hinter der Kimm Verstärkung wartete. Bolitho sagte:»Lassen Sie die Kombüse klar machen und das Herdfeuer wieder in Gang bringen. «Poland sah ihn verständnislos an; an die Kombüse hätte er bei diesem Wetter als letztes gedacht.»Ihre Männer sind jetzt zu erschöpft, um zu kämpfen. Aber eine heiße Mahlzeit und eine doppelte Portion Rum für jeden, Mr. Poland, und Sie haben wieder eine Besatzung, die im Gefecht nicht zaudern wird. «Poland nickte.»Ich gehe Sir Charles Inskip verständigen. Auf ihn wartet wieder eine unangenehme Überraschung.»

Allday hörte, wie ein Matrose in der Nähe seinem Nachbarn in die Rippen stieß und sagte:»Unser Dick macht sich keine Sorgen. Warum sollten wir?»

«Aha, unser Dick«, dachte Allday. Jetzt also waren sie wirklich Bolithos Männer. Er leckte sich die Lippen. Ein Schluck Rum war immer willkommen, vor allem, wenn es vielleicht der letzte im Leben sein würde.

Catherine verhielt am Fuß der Treppe und musterte die Straße mit ihren eleganten Häusern hinter den entlaubten Bäumen. Obwohl es erst später Nachmittag war, führten die Kutschen schon Laternen. Sie hatte in Begleitung Yovells einige Einkäufe gemacht. Nun winkte sie dem Kutscher.»Heute brauche ich Sie nicht mehr, danke!«Der Kutscher grüßte mit erhobener Peitsche. Er hatte sie von Falmouth nach London gebracht und war wie die Kutsche ein

Stück Heimat in der fremden Stadt. Heimat? Catherine lächelte. Falmouth und das große graue Steinhaus waren tatsächlich ihre Heimat geworden.

Eine von Lord Brownes Dienerinnen eilte die Treppe hinunter ihr entgegen, aber Catherine war schon in der Halle. Durch die offene Tür sah sie vor dem brennenden Kamin in der Bibliothek einen Mann in Uniform stehen.

Als ihr Puls sich wieder beruhigt hatte, erkannte sie: Es war nicht Bolitho. Der Mann drehte sich um. Ein Kapitän, groß, mit hellem Haar, blauäugig. Valentine Keen! Er beugte sich über ihre Hand.»Ich hatte in der Admiralität zu tun und wollte Sie besuchen.»

Sie hängte sich an seinen Arm, und zusammen traten sie vor das wärmende Feuer.»Sie sind immer willkommen, Val.»

Auch er kannte Richard schon viel länger als sie, hatte unter ihm als Midshipman und später als Leutnant gedient und war schließlich sein Flaggkapitän geworden.»Bitte nennen Sie mich Catherine, wir sind doch alte Freunde. «Sie setzte sich und wies auf einen anderen Stuhl.»Irgendetwas bedrückt Sie, Val. Wir haben uns Sorgen um Sie und Zenoria gemacht. Kann ich irgendwie helfen?»

Er schien ihre Frage überhört zu haben.»In der Admiralität sprach man von Sir Richard. «Er schaute sich um, als erwarte er ihn.»Ist er noch nicht zurück?»

Sie schüttelte den Kopf.»Es dauert viel länger als geplant. Heute vor vier Wochen hat er London verlassen.»

Was für eine schöne Frau, dachte Keen, als sie sich abwandte und ins Feuer starrte. Aber sie konnte nicht verbergen, daß sie sich um Richard große Sorgen machte.

«Einer von Lord Godschales Sekretären erklärte mir, daß Richard in wichtigem Auftrag unterwegs ist. Aber das Wetter spielt nicht mit. Vor allem in der Nordsee ist es winterlich rauh. Ich denke, sie wettern nur einen Sturm ab. «Keen spürte, daß seine Worte sie ein wenig beruhigten.

«Und was machen Ihre Heiratspläne?»

«Zenoria ist nach Cornwall gefahren, zu einem Onkel, dem sie seit ihrer Kindheit sehr vertraut. Er war lange in Westindien und ist erst kürzlich zurückgekehrt. Aber wo die beiden sich jetzt aufhalten, weiß ich nicht.»

Catherine fühlte seine Verzweiflung mit.»Sie lieben sie?»

Er nickte, verlegen wie ein Schuljunge.

«Und ich weiß, daß Zenoria Sie liebt. Sie haben ihr nicht nur das Leben gerettet, Sie haben sich auch um sie gekümmert, als andere sie verstießen. Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde sie suchen und finden. Sie muß lernen, was es heißt, mit einem Seemann verheiratet zu sein. Und Sie, lieber Val, dürfen nicht vergessen, was Zenoria an Schwerem erlebt hat: das Urteil, das Sträflingsschiff, die Peitsche. Vielleicht braucht sie noch ein wenig Zeit, Val.»

Er nickte dankbar.»Ich war bei Godschale, um mich zurückzumelden. Richard hat mir geschrieben. Ich werde sein Flaggkapitän auf der Black Prince.»

Sie stand auf und legte ihm die Hand auf die Schulter, neben die einzelne Epaulette.»Das freut mich, Val. Jetzt geht es mir schon viel besser.»

Die Tür öffnete sich, von draußen wehte Kühle herein.»Was ist, Maisie?»

Das Mädchen starrte erst sie an, dann Keen.»Entschuldigung, Mylady, aber da ist ein Bote für den Herrn Kapitän.»

Keen erhob sich.»Ich habe in der Admiralität hinterlassen, daß man mich hier erreichen kann.»

Erschreckt sah sie ihn an.»Bestimmt ist etwas passiert!»

Keen ging hinaus, kam aber schon kurz darauf wieder. Als er Catherines Hände ergriff, fühlten sie sich an wie Eis.

«Es war tatsächlich ein Bote von der Admiralität«, sagte er und griff fester zu, als sie ihre Hände wegziehen wollte.»Bitte, hören Sie mir zu. Richard möchte sicher, daß Sie dies wissen. «Er sah eine Ader an ihrem schönen Hals aufgeregt klopfen.»Es gab ein Seegefecht, und Richards Schiff war hineinverwickelt, schon auf dem Weg zurück nach England. Mehr weiß man noch nicht. Ein Schoner brachte die Nachricht nach Dover.»

Sie sah sich in dem großen Zimmer um wie ein gefangenes Tier.»Ist er verletzt? Was kann ich tun? Ich kann doch nicht hier sitzen und warten!»

Er führte sie zu ihrem Stuhl zurück. Ihre Stärke und ihr Mut hatten sie nicht verlassen, sie brauchte nur eine Richtung für ihr Tun.

«Sie bleiben hier, Catherine. «Als sie widersprechen wollte, fuhr er fort:»Richard würde genau das von Ihnen erwarten. Und ich bleibe hier bei Ihnen, bis wir mehr wissen.»

«Wann wird das sein?«fragte sie leise.

«Bald. Morgen oder übermorgen.»

Sie sah ins Feuer. War es das Ende? Das Ende seines Lebens, das Ende ihrer Liebe? Ein Bote kam und lieferte eine Meldung ab — aus. Plötzlich mußte sie an Nelson denken und an Emma Hamilton. Die am lautesten seinen Tod beklagten, dachten am wenigsten an die Frau, die Nelson geliebt hatte. Emma Hamilton war schon jetzt vergessen, niemand wußte, wo sie sich aufhielt.

Sie stand auf.»Ich möchte mich ein bißchen zurückziehen, um an Richard zu denken. Das verstehen Sie doch, Val?»

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