XVII» Aber er hat ihre Herzen…»

Falls das Nordseegeschwader unter dem neuen Kommando Bolithos baldige Ablösung vom öden Blockadedienst erwartet hatte, so wurde es enttäuscht. Wochen und Monate vergingen, der Frühling vertrieb den eisigen Wind und die ewige, kalte Nässe des Nordens, und noch immer patrouillierten sie scheinbar sinnlos von den friesischen Inseln bis hoch zum Skagerrak, wo Poland seinen letzten Kampf ausgetragen hatte. Bolitho verlangte viel von ihnen, mehr als jeder andere zuvor. Segelmanöver, Kanonendrill, in Kiellinie segeln, nebeneinander segeln — alles übten sie mit so wenig Kommandos und Signalen wie möglich. Dann teilte er sein Geschwader in zwei Gruppen, ließ den würdigen Crowfoot von der Glorious die zweite Division übernehmen und führte sie gegeneinander. Inzwischen waren die beiden Vierundsiebziger Valkyrie und Tenacious wieder zum Geschwader zurückgekehrt und hatten einen kleinen Schoner mitgebracht, die Radiant unter dem Kommando eines älteren Leutnants, der früher beim Zoll gedient hatte.

Der Schoner war zwar klein, aber sehr handlig. Immer wieder stieß er zwischen die Inseln vor oder kreuzte dicht an die flache Küste heran, sah sich dort um und floh erst dann aufs offene Meer hinaus, wenn ein feindliches Patrouillenschiff endlich Anker gelichtet und Segel gesetzt hatte und ihm bedrohlich nahe kam.

Eines Morgens öffnete Allday ein Heckfenster — und frühlingshafte Wärme strömte herein. Bolitho starrte bei der Rasur an die Decke und fühlte das Messer über sein Kinn kratzen.»Ich glaube, alle hassen mich wegen des Drills, zu dem ich sie zwinge«, sagte er.

Allday dachte nach, rasierte aber weiter.»Das ist auch ganz gut so, Sir Richard. Auf einem kleinen Schiff sollte man den Drill nicht übertreiben, aber auf einem Dickschiff wie diesem sollten Offiziere und Mannschaften nicht zu eng zusammenwachsen.»

Bolitho sah ihn fragend an.»Wieder eine deiner Weisheiten. Und wie ist die zu verstehen?»

«Zwischen den Decks braucht man jemanden, den man hassen kann. Das macht einen Mann so scharf wie der Schleifstein das Messer.»

Bolitho lächelte und ließ seine Gedanken wandern. Cornwall mußte nach dem trüben Winter jetzt wunderbar frisch riechen. Gelber Stechginster und große Polster von Glockenblumen blühten bestimmt neben dem Pfad auf der Steilküste. Was Catherine jetzt wohl machte?

Sie hatte Somervells Besitzungen in London veräußert und, nachdem sie seine Schulden bezahlt hatte, ein kleines Haus an der Themse gekauft.»Wenn du in London zu tun hast, haben wir hier unser Zuhause«, hatte sie erklärt,»und müssen niemanden um Zuflucht bitten. «Zusammen mit Ferguson hatte sie in Falmouth mehr Land kultivieren lassen, denn sein Besitz sollte sich nicht nur selbst tragen, sondern auch Profit abwerfen. Nicht ein einziges Mal erwähnte sie Belinda, deren aufwendiger Lebensunterhalt große Summen verschlang.

Es klopfte, Keen trat ein und meldete:»Der Schoner ist in Sicht und möchte längsseits kommen.»

Allday tupfte Bolithos Gesicht trocken und musterte dabei verstohlen sein linkes Auge. Nichts deutete auf eine Verletzung hin oder auf eine Verschlechterung. Sollte es doch heilen?

«Neuigkeiten, Val?«fragte Bolitho.

«Er kommt aus der richtigen Richtung«, antwortete Keen unverbindlich.

Es dauerte, bis der Schoner aufgekreuzt war und in Lee der Black Prince ein Boot zu Wasser gelassen hatte. Sein Kommandant, Leutnant Evan Evans, hatte früher einen Zollkutter befehligt und sah mehr nach einem Piraten aus als nach einem gesetzestreuen

Leutnant der Königlichen Marine. Er war ein Berg von einem Mann, mit dichtem grauen Haar, das anscheinend mit einer Schafschere gekappt worden war. Sein ziegelrotes Gesicht zierten so viele Runzeln, daß es den starken Trinker verriet. Ozzard bot Rum an, und Evans leerte den Becher in einem Zug.

«Berichten Sie, was Sie beobachtet haben«, forderte Bolitho ihn auf.

Sie traten an den Tisch, auf dem die Karte und Bolithos Logbuch lagen.

Evans deutete mit einem Finger, der so dick und hart wie ein Marlspieker war, auf einen Punkt der Karte.»Hier, vor drei Tagen, Sir Richard. Sie segelte in die Deutsche Bucht, vorbei an Helgoland, jedenfalls war das die allgemeine Richtung.»

Bolitho zügelte seine Ungeduld. Evans rief seine Erinnerungen ab, und wenn er ihn hetzte, würden die Bilder ihre Schärfe verlieren. Er sprach mit starkem walisischem Akzent.

«Wer — sie?«half Keen vorsichtig weiter.

Evans sah ihn erstaunt an.»Na, ein Linienschiff, so groß wie eine Kathedrale. «Er hob die Schultern.»Dann kamen von irgendwoher aus der Sonne noch zwei Fregatten, eine davon ein Vierundvierziger. «Er runzelte die Stirn, bis seine hellen Augen fast verschwanden.

Bolitho richtete sich auf.»Haben Sie Namen erkennen können, Mr. Evans?»

«Nun ja, wir hatten's eilig, als sie mit ihrer Bugkarronade auf uns schoß. Da rissen wir die Hufe hoch und verschwanden.»

«Es war die Intrepide, habe ich recht?»

Evans starrte ihn an.»Woher wissen Sie das, Sir?»

«Nur eine Vorahnung. «Aber er spürte ganz deutlich, daß es bald losgehen würde.»Wie groß war das Linienschiff, was schätzen Sie?»

Evans trank einen zweiten Becher Rum, dann wischte er sich mit dem Handrücken die Lippen.»Genau kann ich das nicht sagen. «Er maß die Kajüte mit Blicken.»Jedenfalls größer als dieses Schiff, Sir Richard.»

«Wie bitte?«Bolitho sah Keen überrascht an.»Das muß ein Irrtum sein. Kein einziges Feindschiff mit mehr als vierundsiebzig Kanonen hat Trafalgar überlebt. Entweder sanken sie in der Schlacht oder im Sturm, der folgte. «Fast anklagend sah er Evans an.»Und kein Agent hat uns vom Neubau eines so großen Schiffes berichtet.»

Der Leutnant lächelte. Er war seinen Bericht losgeworden, die Verantwortung lag jetzt bei anderen, und der Rum war gut.»Ich habe aber eines gesehen, Sir Richard. Ich fahre seit fünfundzwanzig Jahren zur See und kenne Schiffe. Ich bin kein grüner Junge mehr!»

«Ich möchte, daß Sie diese Nachricht nach Portsmouth bringen. Sie ist eilig und wichtig.»

«Die Nore wäre schneller zu erreichen, Sir Richard.»

Bolitho schüttelte den Kopf.»In Portsmouth gibt es den optischen Telegrafen, der ist schneller. «Er sah, daß Evans einen dritten Becher Rum trank.»Sie haben doch einen verläßlichen Ersten?»

Der rauhe Waliser verstand, was gemeint war.»Keine Sorge, Sie können sich auf mich verlassen, Sir Richard. Am Montag bin ich in Portsmouth.»

«Außerdem gebe ich Ihnen einen Privatbrief mit. Würden Sie ihn bitte mit der Pferdepost nach Falmouth expedieren?»

Der Mann grinste breit.»Aber sicher doch, Sir Richard. Ich kenne die Burschen am Portsmouth Point, sie sind mir noch einen Gefallen schuldig.»

Um die Mittagszeit war der Schoner wieder unterwegs, und der Neid derer folgte ihm, die wußten, daß England sein Ziel war.

Tief unten im Rumpf hatten zwei Männer, angeleitet vom Gehilfen des Zahlmeisters, ein Faß Pökelfleisch aus der Last geholt und an Deck hieven lassen. Nun saßen die beiden in der Dunkelheit unten und leerten noch eine Flasche Cognac: Fittock, der ausgepeitscht worden war, und Duthy, ein Reepschläger aus Devon, erfahrene Seeleute beide.

Sie sprachen leise, weil sie wußten, daß sie sich hier eigentlich nicht aufhalten durften. Aber wie viele erfahrene Salzbuckel haßten sie es, zusammen mit den Neulingen zu leben.

«Ich fresse einen Anker vor Freude, wenn meine Dienstzeit um ist, Jim. Wenn ich heil an Land komme, weiß ich schon, was ich mache.»

Fittock schmeckte dem Cognac nach. Kein Wunder, daß die Herren Offiziere ihn mochten. Er nickte. »Wenn du heil an Land kommst, das ist der Punkt!»

«Glaubst du denn, wir werden hier je ein Gefecht erleben?»

Fittock juckten die Peitschennarben auf seinem Rücken, er rieb sich an einem Faß.»Du kennst doch das alte Sprichwort: Wenn der Tod durchs Schiff rast, soll er's halten wie mit dem Prisengeld.»

Sein Freund schüttelte den Kopf.»Versteh' ich nicht, Jim.»

Fittock lachte.»Mögen die Offiziere das meiste abbekommen!»

«Was machen Sie denn hier?«schnitt da eine Stimme durch die Dunkelheit.

Beide sprangen auf, als Midshipman Vincent seine Lampe hob und schadenfroh grinste. Hinter ihm stand mit weißem Koppel und gekreuzten weißen Brustriemen der Profos.

Kalt sagte Vincent:»Abschaum wie Sie lernt es wohl nie, Fittock!«Duthy protestierte:»Wir haben nichts Verbotenes gemacht, Sir. Haben hier unten nur gesessen und geredet.»

«Lüg mich nicht an, du Schwein!«Vincent streckte die Hand aus.»Gib mir die Flasche! Dafür werdet ihr ausgepeitscht.»

«Sie denken wohl, Sie können sich alles leisten, weil Ihr Onkel hier Vizeadmiral ist, Sie Scheißkerl? Ich habe lange unter ihm gedient, Sie gehören einfach nicht auf dasselbe Schiff wie er.»

«Korporal, nehmen Sie den Mann fest!«Vincent schrie jetzt fast.»Das ist ein Befehl!»

Der Korporal tat, als wolle er sein Gewehr von der Schulter nehmen.»Komm, Jim Fittock, du kennst die Regeln. Mach uns keinen Ärger.»

Plötzlich waren Schritte zu hören, weiße Kniehosen erschienen im Lampenlicht. Midshipman Segrave sagte ruhig:»Es wird keinen Ärger geben, Korporal.»

«Was wollen Sie, Segrave? Diese Männer haben getrunken, das ist verboten. Als ich sie entdeckte…»

«Waren sie sicher wieder aufsässig, nehme ich an?«Segrave war überrascht, wie leicht ihm die Maßregelung Vincents fiel.»Haut ab, ihr beiden!«Er drehte sich zum Korporal um, der ihn dankbar anlächelte.»Und Sie verschwinden hier auch, ich brauche Sie nicht.»

«Und der Cognac?«schrie Vincent.»Das ist der Beweis!»

Aber die Flasche war wie durch ein Wunder verschwunden. Im Gehen sagte Fittock leise zu Segrave:»Das werde ich Ihnen nie vergessen, Sir.»

«Noch was, Korporal!«Die gewichsten Stiefel und der weiße

Beinschutz verhielten auf der Leiter.»Schließen Sie bitte die Luke, wenn Sie oben sind!»

Vincent starrte Segrave ungläubig an.»Sind Sie ganz und gar verrückt geworden?»

Segrave zog seine Jacke aus und ließ sie fallen.»Ich kannte mal jemanden wie Sie. «Er rollte seine Ärmel auf.»Er machte allen das Leben zur Hölle.»

Vincent versuchte verächtlich zu lächeln.»Und das haben Sie wohl nicht ausgehalten?»

Segrave wunderte sich, wie kühl er blieb.»Stimmt, ich habe es nicht ausgehalten. Dann traf ich eines Tages Ihren Onkel und einen Mann mit halbem Gesicht. Seitdem konnte ich mit der Angst leben — und kann es immer noch.»

Oben klappte die Luke zu.

«Schon die ganze Zeit beobachte ich, wie Sie sich hinter dem Namen Ihres Onkels verstecken und Leute quälen, die sich nicht wehren können. Kein Wunder, daß man Sie bei der Ostindischen Kompanie gefeuert hat. «Da hatte er nur geraten, aber offensichtlich ins Schwarze getroffen.

«Ich fordere Sie!«rief Vincent.

Ein Faustschlag warf ihn zu Boden, aus seiner geplatzten Lippe rann Blut. Segrave taten die Fingerknöchel weh, aber in den Schlag hatte er Jahre des Leidens gelegt.»Zum Duell, du Muttersöhnchen?«Wieder schlug er zu.»Duelle sind was für Männer. Ich duelliere mich nicht mit Zwergen.»

Vier Decks über ihnen ging Leutnant Flemyng auf und ab und schaute ungeduldig auf die Sanduhr. Schließlich fuhr er einen Gehilfen des Bootsmanns an:»Holen Sie mir Mr. Vincent! Der treibt sich bestimmt wieder irgendwo rum.»

Der Mann wollte loseilen, aber der Erste Offizier stoppte ihn.»Noch nicht, Mr. Flemyng. «Und als der Dritte ihn fragend ansah:»Mr. Vincent braucht noch etwas Zeit!»

Admiral Lord Godschale wedelte mit einem parfümierten Taschentuch vor seiner Adlernase und klagte:»Der Fluß riecht heute abend ganz widerlich!»

In seiner Paradeuniform mit den goldenen Epauletten sah er sehr beeindruckend aus. Stolz und zufrieden blickte er auf die bunte Schar seiner Gäste, die sich auf der weitläufigen Terrasse seines

Hauses in Greenwich versammelt hatten. Es war wirklich heiß, und erst der Abend würde den Offizieren in ihren blauen und roten Tuchröcken Erleichterung bringen. Auf dem Fluß, der sich hier nach Blackwall Reach hinunter wand, segelten Frachtkähne, Fischer holten ihre Netze ein, und immer wieder sah man Jollen schnell das Fahrwasser queren. Das Haus machte großen Eindruck, und Godschale war froh, es so günstig erstanden zu haben. Sein Vorbesitzer hatte, als der Krieg mit Frankreich ausbrach, sein Land und allen Besitz verkauft und war nach Amerika geflohen. Der Lordadmiral sah zu, wie sich Sir Charles Inskip einen Weg durch die Gäste bahnte, hier ein Wort verlor, dort ein Kompliment anbrachte — ganz der geborene Diplomat. Aber Godschale fühlte sich unwohl in seiner Gegenwart.

Inskip trat neben ihn und nahm ein Weinglas vom Tablett eines schwitzenden Dieners.»Was für eine großartige Gesellschaft, Mylord!»

Godschale nickte, schließlich hatte er diesen Tag mit großer Sorgfalt geplant. Es kam eben auf die richtige Mischung an von Leuten, die gesellschaftlich etwas darstellten: Politiker ebenso wie Offiziere des Heeres und der Marine. Selbst der Premierminister hatte sein Kommen zugesagt.

Godschale sah seine Frau in vertrautem Gespräch mit zwei Freundinnen. Es fiel ihm schwer, in ihr noch das junge Mädchen zu sehen, das er als flotter Fregattenkapitän geheiratet hatte. Sie sah jetzt uninteressant aus, sogar langweilig. Wohlgefällig betrachtete er jedoch die Damen in ihrer Nähe. Ihnen kam der heiße Tag nur recht: nackte Schultern, tief ausgeschnittene Kleider — all das wäre noch vor zwei Jahren in London unvorstellbar gewesen.

Inskip bemerkte Godschales hungrige Blicke und fragte ablenkend:»Ist es wahr, daß Sie Sir Richard Bolitho zurückgerufen haben? Das hätten Sie uns sagen müssen!»

Godschale überhörte die Kritik.»Es war notwendig. Ich schickte die Tybalt nach ihm. Bolitho kam vor zwei Tagen in der Nore an.»

Inskip blieb unbeeindruckt.»Ich weiß nicht, was das nützen soll.»

Godschale löste seinen Blick von einer jungen Dame, die mit nacktem Busen dagestanden hätte, wäre das Dekollete ihres Kleides nur einen Finger breit tiefer gewesen. Er sprach jetzt flüsternd.»Sie kennen die letzten Neuigkeiten? Napoleon hat einen Vertrag mit Rußland geschlossen und jetzt die verdammte Frechheit, Schweden und Dänemark zu befehlen — ich sagte: befehlen — , ihre Häfen vor uns zu schließen. Zusätzlich verlangt Frankreich, daß ihm beide Flotten unterstellt werden. Das wären an die zweihundert Schiffe, verdammt! Warum hat das niemand vorhergesehen? Ihre Leute sollten doch in Dänemark Augen und Ohren offenhalten!«Inskip zuckte mit den Schultern.»Zaubern können wir nicht. Aber ich möchte wissen, was wir als nächstes tun. «Godschale zupfte an seinem Halstuch, als ersticke er.»Tun? Das ist doch wohl klar!»

Inskip erinnerte sich plötzlich an Bolithos Verbitterung und Härte auf der Truculent, als die drei französischen Schiffe aufgetaucht waren.»Darum also ist Bolitho hier!«sagte er.

Godschale antwortete ihm nicht direkt.»Admiral Gambier stellt gerade eine Kriegsflotte zusammen, dazu so viele Transportschiffe, wie wir brauchen, um eine Armee nach Dänemark zu befördern.»

«Also eine Invasion! Aber die Dänen werden nie kapitulieren. Ich denke, wir sollten noch abwarten.»

«Wirklich?«Wütend sah Godschale ihn an.»Glauben Sie, Ihre empfindlichen Dänen liegen mir mehr am Herzen als das Überleben Englands? Und nur darüber reden wir, verdammt noch mal!«Er riß ein Glas vom Tablett eines Dieners und leerte es in zwei Zügen.

Das Orchester spielte jetzt eine muntere Gigue, aber kaum einer der Gäste hatte Lust, die Terrasse zu verlassen und zu tanzen. Und Godschale ahnte, warum. Am Morgen hatte er Bolitho in der Admiralität von dem Empfang erzählt, und dieser hatte keinen Zweifel daran gelassen, unter welcher Bedingung er kommen würde.

«Es werden viele Damen da sein. Ich nehme an, Sie befehlen mich dorthin, ohne meine einzuladen?»

Plötzlich knurrte Godschale laut:»Der Mensch stellte sich hin und sagte mir, er käme nur in Begleitung seiner Lady!»

«Überrascht Sie das?«Inskip lächelte, als er merkte, wie unwohl sich Godschale fühlte. Denn man erzählte sich, der Lord unterhalte in London gleich zwei Geliebte.»Ich weiß, was Lady Somervell für Bolitho getan hat.»

Godschale sah, daß sein Sekretär ihm zuwinkte, und rief laut:»Seine Exzellenz, der Premierminister!»

Der Herzog von Portland, ein Tory, schüttelte Hände und sah sich wohlgefällig um.»Nettes Aufgebot, Godschale. Immer dieses Gerede vom Untergang der Aristokratie — blanker Unsinn, sage ich!»

Inskip mußte an Bolithos Männer denken, die er im Gefecht hatte sterben sehen. Die Leute hier sahen dagegen aus wie Puppen im Theater.

Der Premierminister begrüßte einen ernst blickenden Herrn in perlgrauem Anzug.»Sir Paul Sillitoe. «Der Angesprochene lächelte flüchtig.»Mein geschätzter Ratgeber in dieser unvorhergesehenen Krise. «Inskip warf ein:»Nicht ganz unvorhergesehen.»

Godschale unterbrach ihn:»Ich habe alles unter Kontrolle. Wir haben ein neues Geschwader in der Nordsee stehen. Es hat eine einzige Aufgabe: zu beobachten, ob die Franzosen Skandinavien angreifen.»

Sillitoes Augen leuchteten auf.»Unter Sir Richard Bolitho, ja. Ihn würde ich gern kennenlernen.»

«Ich nicht!«Der Premierminister betupfte sich den Mund.

Sillitoe sah ihn unbewegt an. Seine Augen lagen jetzt im Schatten, sein Gesicht verriet nichts.»Ich fürchte, dann werden Sie kaum länger im Amt bleiben als Ihr Vorgänger. «Gelassen bemerkte er die aufflackernde Wut seines Vorgesetzten.»Der französische Admiral Villeneuve sagte nach seiner Gefangennahme, bei Trafalgar sei jeder englische Kommandant ein Nelson gewesen. Ich bin zwar kein Seemann, aber ich weiß, wie Matrosen leben — kaum besser als in einem Gefängnis. Männer wie Nelson haben sie trotzdem begeistert, und für sie vollbringen sie Wunder. «Er schaute sich um.»Bolitho ist kein Nelson, aber der beste, den wir haben. Vergessen können Sie das, aber nur auf eigene Gefahr.»

Unter den Gästen kam Unruhe auf, und Godschale folgte ihren Blicken. Da entdeckte er Bolitho. Die Strähne über seiner Stirnnarbe hatte ein paar weiße Fäden mehr. Und neben ihm, eine Hand auf seinem Arm, stand eine strahlend schöne Lady Catherine. Sie hatte die Trauerkleidung abgelegt. Ihr hochgekämmtes Haar glänzte in der Sonne. Sie trug ein grünes Kleid, dessen Seide mit jedem Schritt changierte. An ihrem Handgelenk hing ein kleiner Fächer.

Sie sah weder nach rechts noch nach links. Godschale spürte schon von weitem ihre Kraft und merkte, daß sie sich nichts aus dem machte, was über sie und den hochgewachsenen Marineoffizier an ihrer Seite geflüstert wurde.

Godschale ergriff ihre Hand.»Mylady. In der Tat, so eine Überraschung!»

Sie erkannte den Premierminister und verbeugte sich leicht.»Machen Sie uns bekannt?»

Der Premierminister wollte sich umdrehen, doch Bolitho sagte ruhig:»Der Herzog von Portland — Lady Catherine Somervell. «Er verbeugte sich.»Welche Ehre!»

Sir Paul Sillitoe stellte sich selbst gelassen vor, dann nahm er Catherines Hand und hielt sie einen Augenblick fest.»Sie beflügeln ihn, Mylady. «Leicht berührte er ihre Hand mit seinen Lippen.»Und vielleicht beflügeln Sie England durch ihn.»

Ihr Mund verzog sich in einem ironischen Lächeln, als sie ihre Hand zurücknahm. Eine Ader an ihrem Hals klopfte heftig. Aufmerksam forschte sie in Sillitoes Gesicht, und als sie keinen Spott darin entdeckte, antwortete sie:»Sie sind sehr gütig, Sir.»

Sillitoe hatte alle Menschen um sich herum vergessen, selbst Bolitho. Er sagte leise:»Die Wolken sammeln sich wieder, Lady Catherine. Ich fürchte, Sir Richard wird bald so dringend gebraucht wie nie zuvor.»

«Muß denn immer er es sein?«fragte sie zurück.»Ich weiß von Collingwood und Duncan — und bestimmt gibt es noch mehr tüchtige Admiräle!»

Godschale wollte unterbrechen, doch Sillitoe blieb unbeirrt:»Sie alle sind gute Führer und haben das Vertrauen der Flotte. «Dann sah er Bolitho an.»Aber Bolitho hier hat ihre Herzen!»

Godschale räusperte sich, er fühlte sich nicht wohl bei dieser Unterhaltung. Man sah von überall zu ihnen herüber, selbst das Orchester war verstummt. Laut sagte er:»Das ist eben eines Seemanns Los. Es verlangt viel von uns allen, Lady Catherine.»

Sie spürte seine Blicke auf ihrem Busen.»Aber von einigen mehr als von anderen!»

Godschale wandte sich an einen Lakai, um seinen Ärger zu verbergen:»Sag dem Orchester, wir brauchen Musik!«Er lächelte dem Premierminister entschlossen zu.»Können wir jetzt mit der Beratung anfangen, Euer Ehren?»

Portland nickte Sillitoe zu.»Sie nehmen das für mich wahr. Morgen reden wir dann darüber, Godschale. Es gibt soviel zu tun!»

Wieder wollte er gehen, doch Bolitho wandte sich noch einmal an ihn:»Ich sehe Sie also nicht mehr vor meiner Abreise? Eigentlich wollte ich Ihnen noch einige wichtige Gedanken vortragen.»

Der Premierminister beäugte ihn, als vermute er hinter seinen

Worten versteckten Spott.»Später. «Er drehte sich zu Catherine um.»Einen guten Abend!»

Als Godschale seinen enteilenden Gast hinausgeleitete, flüsterte Bolitho Catherine zu:»Ich hätte dich nicht herbringen sollen. Ihre Heuchelei und ihr sattes Selbstbewußtsein machen mich krank.»

Sie lächelte.»Was viel wichtiger ist, hast du bei der Herfahrt erlebt, als die Leute uns begrüßten und uns beiden zuwinkten. Vergiß nie, Richard, sie bauen auf dich. Sie wissen, daß du sie nicht im Stich läßt. «Sie dachte an Sillitoe, den sie nicht einschätzen konnte. War er Freund oder Feind? Ehrlich war er in jedem Fall.»Du hast ihre Herzen, vergiß das nie!»

Sie schlugen einen schmalen Weg ein, der in einen ruhigen Teil des Gartens mit einem Springbrunnen führte. Hier war es leer und still. Von weitem wehte Musik herüber.

Bolitho umarmte und küßte sie.»Ich muß aber noch mit den Herren sprechen, Kate.»

Sie nickte strahlend.»Und danach fahren wir nach Hause, in unser Haus am Fluß.»

Als Sir Paul Sillitoe und Inskip mit Godschale auf die Terrasse zurückkehrten, fanden sie Bolitho allein vor. Er beobachtete, wie ein Lastkahn an der Isle of Dogs vorbei den Fluß hinunter manövrierte.

«Sie sind allein?«strahlte Godschale.

Bolitho lächelte.»Lady Catherine wandert durch den Garten. Das ist ihr lieber, als unter Fremden zu sein.»

Sillitoe sagte trocken:»Sie findet es hier wohl ein bißchen zu schwül.»

Godschale wollte antworten, doch seine Frau zog ihn am Ärmel zur Seite.»Ich hab' sie gesehen«, berichtete sie echauffiert.»Gerade eben, beim Springbrunnen. Er hat sie gestreichelt und geküßt!«Empört sah sie ihren Mann an.»Ich war so entsetzt, daß ich nicht länger hinschauen konnte.»

Godschale tätschelte ihren Arm. Für jemanden, der nicht hinschauen konnte, hatte sie gut beobachtet.»Ich muß leider zurück, Liebling. Es geht um etwas sehr Wichtiges. «Er sah, daß Sillitoe ihm auffordernd zunickte.

«Aber diese Frau dulde ich nicht in meinem Haus. Wenn sie auch nur ein Wort mit mir spricht, jage ich sie davon!»

Godschale ergriff ihr Handgelenk und sagte scharf:»Das wirst du nicht tun. Du wirst zurücklächeln und ihr freundlich antworten. Und jetzt geh zu deinen Freundinnen und überlaß uns den Krieg!«Er drehte sich auf dem Absatz um und ging neben seinem Sekretär zum Haus.

Dieser sagte sanft, bemüht um das weitere Wohlwollen seines Herrn:»Da war eine junge Dame, die Frau des Kommandanten der Alderney …«Er sah, daß Godschale sich erinnerte.»Sie sprach heute wieder vor, um etwas für ihren Mann zu erbitten. Sie ist wirklich sehr attraktiv, Mylord.»

Godschale nickte.»Arrangieren Sie einen Termin mit ihr. «Als er sein Arbeitszimmer betrat, wo die anderen auf ihn warteten, war er schon wieder ganz der alte:»Also, meine Herren, was nun den Krieg angeht.»

Bolitho öffnete die Glastür und trat hinaus auf den schmalen Eisenbalkon. Auf der Themse glitzerten die Lichter der Schiffe wie Glühwürmchen. Es war so heiß und windstill, daß sich die Vorhänge nicht bewegten. Sie hatten sich geliebt, sich total verausgabt, und doch spürte er noch immer Verlangen nach ihr.

Morgen würde er zur Nore zurückkehren, wo die Tybalt auf ihn wartete, um ihn zum Geschwader zurückzubringen. Er dachte an sein Geschwader, das draußen die Nordsee durchpflügte, immer noch in der Hoffnung zu erfahren, was der Gegner vorhatte. Für das, was vor ihnen lag, waren seine Erfahrung und sein Urteil entscheidend. Er war wie die Nabe eines großen Rades.

Zuerst hatte er sich mit der Black Prince vertraut gemacht, mit dem Schiff genauso wie mit seiner Besatzung. Er lernte Gesichter und Namen, Pflichten und Reaktionen der Männer an Bord, vor allem der Offiziere. Falls er ausfiel, mußten sie das Schiff führen: der Master, der Erste und die anderen Leutnants, die Stückführer — wie Speichen reichten diese Männer in alle Decks und Winkel des Schiffes.

Dann hatte er auch die anderen Offiziere seines Geschwaders kennengelernt, die im Kampf mit ihm segeln würden. Nur Adam mit seiner Fregatte hielt sich entfernt, weiter weg, als selbst der beste Ausguck sehen konnte, immer auf der Suche nach dem Gegner. Falls sich Napoleon die Flotten Dänemarks und Schwedens aneignen konnte, mußte England ihnen schon allein aufgrund ihrer Überzahl unterliegen. Denn noch immer waren die Lücken, die Trafalgar gerissen hatte, nicht aufgefüllt. Beide neutrale Flotten, so hörte man, hatten einhundertachtzig Schiffe. Bolitho hatte Godschale auch nach Herricks neuer Aufgabe gefragt. Der Admiral wollte zunächst nicht mit der Sprache heraus, doch als Bolitho beharrlich blieb, antwortete er:»Herrick kommandiert die Begleitschiffe für die Versorger. Eine lebenswichtige Aufgabe!»

Lebenswichtig? Ein alter müder Commodore wie Arthur Warren hätte diese Aufgabe leicht erfüllen können.

Der Mond trat hinter einer langen Wolke hervor und legte Glanz auf den Fluß. Bolitho packte das Balkongeländer und starrte ins Licht, bis er einen glänzenden Ring um den Mond sah, breit und verschwommen. Da schaute er weg und schluckte trocken. Schlimmer war sein Auge nicht geworden. Oder bildete er sich das nur ein? Er fühlte die Vorhänge gegen seine Beine wehen und wußte, Catherine war zu ihm getreten.

«Was ist, Richard?«Ihre Hand massierte seinen Rücken, verlockend und stark, löste seine Verspannung. Er drehte sich um und streichelte sie unter ihrer großen Stola aus den Spitzen, die er aus Madeira mitgebracht hatte. Sie zitterte wie in einer kühlen Brise, als seine Hand über ihren nackten Körper glitt.

«Ich segle morgen«, sagte er, schon vom Abschied gezeichnet.»Aber etwas wüßte ich gern noch von dir. «Sie drückte das Gesicht gegen seine Schulter.»Was denn?»

«Bei der Beerdigung von Somervell«, begann er,»habe ich gesehen, daß du ein Taschentuch ins Grab geworfen hast.»

Ihr Atem streifte warm seine Schulter.»Darin war sein Ring. Ich wollte nichts mehr von ihm besitzen.»

Das hatte er gehofft.»Würdest du meinen Ring tragen, wenn ich einen fände, der schön genug ist für dich?»

Sie hielt den Atem an. Der Mann, der morgen vielleicht in den Tod segeln mußte, fand Zeit, an einen Ring für sie zu denken! Sie ließ sich von ihm ins Zimmer führen und die Stola abnehmen. Ihr Körper glänzte im Licht der beiden Kerzen neben dem Bett.

«Ich wäre stolz darauf«, flüsterte sie, und er sah Tränen unter ihren Wimpern.»Aber sprechen wir nicht von morgen. Heute bin ich noch da — für dich, Liebster.»

Als der Morgen über London heraufzog, öffnete Bolitho die Augen. Catherines Kopf ruhte an seiner Schulter, ihr Haar lag ausgebreitet auf dem Kissen. Er entdeckte die roten Spuren seiner Zärtlichkeit auf ihrer Haut. Sie sah aus wie ein kleines Mädchen, als er ihr das Haar aus dem Gesicht strich.

Irgendwo läutete eine Glocke, und ein früher Wagen rollte über das Kopfsteinpflaster.

Die Zeit des Abschieds war gekommen.

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