VII Noch eine Überlebenschance

Bolitho lehnte sich an den hölzernen Lauf einer Kanonenattrappe und schaute durch die offene Pforte nach draußen. In der Nachmittagshitze war das Holz so heiß wie ein Rohr, das gerade abgefeuert worden war. Auf seinem Flaggschiff, der Themis, war es ungewöhnlich still. Nichts bewegte sich an Bord. Auch die Truculent lag reglos vor Anker, die See um sie herum glänzte wie ein Spiegel. Am Tisch der Kajüte schrieb Yovell Befehl nach Befehl für die Kommandanten beider Geschwader aus. Die eine oder andere Ausfertigung würde schließlich auch auf Sir Owen Godschales Tisch in der fernen Londoner Admiralität landen. Gelegentlich drang von Land das leise Grollen der Artillerie herüber, denn das englische Heer marschierte auf Kapstadt zu.

Jenour betupfte sich Gesicht und Hals mit einem Taschentuch und beugte sich über den Tisch, um etwas zu prüfen. Er sah bedrückt aus seit dem plötzlichen Verlust der Miranda. Die Truculent hatte die Besatzung des Branders an Bord genommen und sofort die Suche nach der französischen Fregatte begonnen. Dabei hatten sie auch mit Kapitän Varian gerechnet, der eigentlich jedes Schiff sehen mußte, das aus der Bucht entkam. Aber die französische Fregatte blieb verschwunden. Drei Tage später trafen sie die Zest, und Varian berichtete, er habe zwar ein fremdes Schiff gejagt, doch ohne Erfolg.

Bolitho versuchte, den Verlust der Miranda zu verdrängen, Tyackes Zorn und Schmerz zu vergessen, als dieser an Bord geklettert kam. Der Qualm der brennenden Holländer war viele Meilen weit zu sehen gewesen. Auch die Soldaten des Generals hatten den Rauchpilz bestimmt entdeckt und neuen Mut gefaßt. Bolitho versuchte vergeblich, seinen Trübsinn abzuschütteln. Das Ergebnis war den Einsatz wert gewesen. Doch wieder einmal hatte er den Männern zu nahe gestanden, die gefallen waren: Simcox, Jay, der scharfäugige Landsmann aus Penzance und viele andere.

Es klopfte, und Commander Maguire trat ein, den Hut unter dem Arm.»Sie ließen mich rufen, Sir Richard?«Durch das offene Fenster drang wieder das ferne Grollen von Kanonen.

«Bitte setzen Sie sich. «Bolitho trat an den Tisch.»Nach diesem Feldzug werden Sie heim nach England segeln, Commander Maguire. Ihre Order ist schon ausgeschrieben. Bis dahin stehen Sie unter dem Kommando von Commodore Popham.»

Der Mann zeigte keinerlei Regung. Wie viele andere im Geschwader hielt er den Einsatz des Branders und das Opfer der Miranda für sinnlos. Der Verlust der beiden Schoner und der beiden Holländer würde am Unentschieden dieser Kampagne nichts ändern.

Nebenan stieß etwas an, dann hörte man Männer eine schwere Last bewegen. Erst jetzt zuckte ein Nerv in Maguires Gesicht. Er hatte lange unter Commodore Warren gedient. Aber Warren war in dem Augenblick an seiner Lungenkrankheit gestorben, als die Segel der Truculent wieder über der Kimm auftauchten. Sein Schreiber und sein Steward hatten Warrens weltlichen Besitz in einer Kiste verstaut, die ein Transportschiff mit nach England nehmen sollte.

«Und was wird aus meinem Schiff?«fragte Maguire.

«Es wird endlich in eine Werft kommen und neu ausgerüstet werden.»

«Aber die Themis ist doch viel zu alt, Sir Richard!»

Bolitho überhörte den Einwand.»Sie ist nicht so alt wie mein früheres Flaggschiff. «Das sollte nicht scharf klingen, doch Maguire zuckte zusammen.»Der Krieg geht weiter, Commander, und wir brauchen jedes Schiff, jedes! Wenn es nur segeln und kämpfen kann. «Bolitho schaute aus dem Heckfenster ins Wasser, sah den Bewuchs am Kupferbeschlag.»England braucht mehr als hölzerne Kanonen!»

Damit entließ er den Commander.

«Das eben hat Ihnen mißfallen, nicht wahr, Stephen?»

Jenour richtete sich auf.»Nun, manchmal, Sir.»

Bolitho hob die Hand.»Ja, auch mir tat Warren leid. Aber irgendwie gehörte er nicht mehr in unsere Zeit. Wir müssen diesen verdammten Krieg gewinnen und uns deshalb um die Lebenden kümmern.»

Durch die zweite Tür trat Allday ein.»Es sind gerade ein paar Fässer Bier an Bord gebracht worden, Sir Richard, wohl noch für die Miranda. Und für Sie ist ein Fäßchen Brandy dabei — vom General persönlich.»

Bolitho zupfte sich das schweißnasse Hemd von der Brust.»Ja, das hat er mir in seinem Brief angekündigt. «Er dachte an General Baird, der jetzt an Land kämpfte. Von seinem Gegner, General Jansens, hielt er einiges. Der sei kein Mann, der sinnlos zerstöre, hatte er gesagt. Hieß das, Jansens würde sich eher ergeben, als Kapstadt kaputtschießen lassen? Bolitho fühlte plötzlich, wie ein kühler Schauer über seinen Rücken kroch. Ihm schien, als sei Warren immer noch in der Kajüte, voller Haß auf den Admiral, der nun über sein Schiff bestimmte.

«Alles in Ordnung, Sir Richard?«Allday fragte sich besorgt, ob etwa Bolithos Fieber zurückkehrte.

Vielleicht beobachtete ihn Warren ja wirklich, sagte sich dieser. Sie hatten ihn ganz in der Nähe der See übergeben, eingenäht und mit einer Kanonenkugel zu Füßen.

Draußen meldete der Posten:»Offizier der Wache, Sir!»

Der Leutnant trat fast lautlos ein.»Das Boot der Truculent hat abgelegt, Sir Richard.»

«Sehr gut, Mr. Latham. Empfangen Sie Leutnant Tyacke bitte mit allem Respekt. Er hatte das Kommando über die ganze Operation.»

Der Leutnant verbeugte sich und verschwand. Mehr als der Befehl verblüffte ihn, daß der Admiral sich an seinen Namen erinnerte.

Ozzard schlich herbei.»Ein frisches Hemd, Sir?»

Bolitho sah draußen das Boot der Truculent über das bleierne Wasser näherkommen.»Nein«, sagte er. Tyacke würde sich nicht wohlfühlen, wenn er ihm mit frischem Hemd gegenübersaß. Und das Gespräch zwischen ihnen war wichtig, sogar sehr wichtig.»Lassen Sie uns dann bitte allein.»

Schweigend sammelte Yovell seine Papiere ein.

Zu Jenour sagte Bolitho:»Ich werde heute abend mit Mr. Tyacke essen und möchte Sie gern dabeihaben. Aber jetzt muß ich allein mit ihm reden.»

Jenour zog sich zurück. Am Fallreep sah er die Seesoldaten das Gewehr präsentieren, als Tyacke an Bord kletterte, den Hut zog und zum Achterdeck grüßte. Von dieser Seite aus gewahrte Janour nur die unverletzte Gesichtshälfte Tyackes. So also hatte der Mann früher ausgesehen. Nicht schlecht.

Allday fing Tyacke achtern unter der Poop ab. Der Leutnant hielt inne und fragte kühl:»Die Herren erwarten mich wohl schon, wie?»

Allday verstand seinen abweisenden Ton. Der entstellte Mann hatte jetzt auch sein Schiff verloren.»Behandeln Sie den Admiral freundlich, Sir«, bat er.»Er denkt jetzt daran zurück, wie er sein letztes Schiff verlor. Das geht ihm so nahe wie Ihnen.»

Tyacke nickte schweigend. Allday hatte ihn aus dem Konzept gebracht. All seine Argumente, die sorgfaltig vorbereiteten Erklärungen schienen ihm plötzlich entwertet.

Beim Weggehen stolperte Allday fast über das Brandyfäßchen, und Ozzard ließ sich hinter ihm vernehmen:»Laß ja die Finger davon, John. Ich seh's dir an, wenn du an seinem Brandy warst!»

An Land feuerten die Kanonen lange Salven in ununterbrochenem Donner, der von den fremden Hügeln zurückgeworfen wurde.»Weißt du, warum sie kämpfen?«fragte

Allday.

«Keine Ahnung. «Ozzard rollte das Brandyfäßchen aus dem Weg, und Allday seufzte. Ein kleiner Schluck wäre jetzt genau richtig gewesen.

Tyacke wartete, als der Posten seinen Namen rief, der ihn kein einziges Mal angesehen hatte. Als er die Tür aufstieß, saß Bolitho auf der Bank unter den Heckfenstern; bis auf sie beide war die Kajüte leer und so unpersönlich wie früher. Nichts verriet, daß Warren hier jahrelang gelebt hatte. Tyacke dachte an seine enge, vollgestopfte Kajüte auf der Miranda. Die lag nun auf dem Meeresboden.

«Bitte setzen Sie sich. «Bolitho deutete auf einen kleinen Tisch mit Wein und zwei Gläsern.»Ich danke Ihnen für Ihr Kommen.»

Tyacke richtete sich auf. Seine geborgten Kleider waren viel zu eng.»Entschuldigen Sie meinen Aufzug, Sir Richard, aber die Offiziere der Truculent haben mir gegeben, was sie entbehren konnten.»

Bolitho nickte.»Mir ging's schon öfter ähnlich. Alles, was ich besaß, war plötzlich versunken. «Er schenkte kühlen Rheinwein ein.»Auch auf diesem Schiff bin ich nicht zu Hause.»

Er setzte sich Tyacke gegenüber und streckte die Beine aus.»So, und nun berichten Sie mir von den Männern, die bei Ihnen waren. Der Seesoldat zum Beispiel — hat er sein Mitmachen bereut?»

Tyacke berichtete von ihrem langen Weg in die Bucht. Ferne Gestalten wurden vor ihren Augen lebendig, als er von ihrem Mut und ihrer Furcht erzählte: von Buller, dem Scharfschützen, von Swayne, dem Deserteur, und von Midshipman Segrave, der plötzlich Mut gefaßt hatte und Tyacke half, als er es am dringendsten brauchte. Dabei tranken sie, ohne es zu merken.

«Ich möchte, daß Sie heute abend mit mir speisen«, sagte Bolitho schließlich.»Wir wollen dabei aber nicht über den Krieg reden, der beschäftigt mich schon Tag und Nacht genug.»

Hatte er richtig gehört? Der Vizeadmiral lud ihn, den Leutnant, der sein Schiff verloren hatte, zum Essen ein?» Gern. Danke. Aber erwarten Sie keine Schmeicheleien von mir, Sir. Ich tue alles für Sie, aber ich verschaffe mir keine Vorteile durch Süßholzraspeln.»

«Ich auch nicht«, antwortete Bolitho.»Wir sind beide Marineoffiziere, wenn auch mit verschiedenen Dienstgraden. Unser Land braucht heute jedes Schiff und jeden Mann, vor allem so mutige und erfahrene Offiziere wie Sie.»

«Wollen Sie, daß ich die Miranda schneller vergesse? Wollen Sie mich auf einem anderen Schiff als Offizier haben?«Tyacke fühlte sich wie in einer Falle.

«Kennen Sie die Brigg Larne, Mr. Tyacke?»

«Sie segelt in Commodore Pophams Geschwader. «Das klang unsicher.»Unter Commander Blackmore.»

Bolitho beugte sich über ein Blatt mit Yovells sauberer Schrift.»Blackmore übernimmt ein größeres Schiff. Sie werden die Larne befehligen.»

Tyacke sah ihn ungläubig an.»Aber kann ich das? Ich bin doch nur…»

Bolitho reichte ihm einen Umschlag.»Hier ist Ihre offizielle Order. Und Sie sind mit sofortiger Wirkung zum Commander befördert. Ihre Lordschaften in London werden das später bestätigen. «Er amüsierte sich über Tyackes Verlegenheit.»Mein Flaggleutnant wird dafür sorgen, daß Sie sofort die passende

Uniform bekommen. «Er goß Wein nach.»Wollen Sie also das Schiff übernehmen und mir damit einen Wunsch erfüllen?»

Tyacke war aufgestanden.»Ich werde es übernehmen, und einen besseren Grund als Ihren Wunsch brauche ich nicht.»

Bolitho stand ebenfalls auf.»Hören Sie das?«Sein Blick hatte sich verändert.»Die Kanonen — sie schweigen. Das heißt, Commander Tyacke, unser Feldzug ist zu Ende. Der Feind hat sich ergeben.»

Es klopfte, Jenour stürzte herein.»Gerade haben wir ein Signal empfangen: Die Holländer haben die Fahne gestrichen!»

Der Admiral lächelte.»Jetzt können wir nach Hause segeln.»

Kapitän Poland stand mit verschränkten Armen da und sah seinen Männern zu, die halbnackt auf ihre Manöverstationen rannten. Am Ankerspill erklang eine Fiedel, und ein Shantyman stimmte ein anfeuerndes Lied an. In den kurzen Pausen zwischen den Strophen brüllte ein Bootsmannsgehilfe:»Los, Männer, los! Sonst kommen wir nie nach England.»

Der Erste Offizier räusperte sich diskret neben Poland.»Der Admiral kommt, Sir.»

Poland blickte ihn an.»Danke, Mr. Williams. Aber wir haben hier nichts zu verbergen. «Er grüßte, als Bolitho unter dem Besan erschien, der im Licht der sinkenden Sonne kupferrot leuchtete.»Wir sind soweit, Sir Richard.»

Bolitho sah in der Ferne den Tafelberg und in der Bucht das verankerte Geschwader. Die Schiffe schimmerten wie glühendes Metall. Nur ein leichter Landwind riffelte die See.

Bolitho spürte die verwehende Hitze des Tages und fragte sich, warum Poland keinerlei Bewegung zeigte beim Beginn ihrer langen Heimreise.

Am Ankerspill warfen sich die Männer in die Spaken. Der Bootsmann brüllte sie ermunternd an, und dann klickte das riesige Spill. Die dicke Trosse begann sich zu bewegen.

Die offenen Stückpforten der anderen Schiffe sahen aus wie Augen, die sie beobachteten. Aber sie hatten hier ihre Pflicht erfüllt, über der Festungsbatterie an Land wehte die englische Flagge. Und da würde sie von nun an bleiben.

Einige Einheiten des Geschwaders waren schon früher ankeraufgegangen und hatten den langen Heimweg angetreten: zwei

Linienschiffe, fünf Fregatten, auch Varians Zest, und eine ganze Flottille kleinerer Schiffe. Sie wurden dringend in England gebraucht. Andere wie die Themis würden folgen, sobald die Truppen fest in Kapstadt etabliert waren und niemand mehr England den Ankergrund hier streitig machen konnte. Die rauchgeschwärzten Spanten der beiden Ostindienfahrer waren eine harsche Warnung.

Bolitho erinnerte sich an Tyackes festen Handschlag beim Abschied.»Die Larne ist ein gutes Schiff«, hatte der neue Commander gesagt.»Nach der Miranda natürlich eine Herausforderung für mich. Aber wir werden gut miteinander auskommen.»

Irgendwo da hinten ankerte er nun. Bolitho wußte, daß Tyacke an Deck sein würde, um die Truculent ankeraufgehen zu sehen.

Er trat zur Seite, damit Kapitän Poland und die Männer auf dem Achterdeck mehr Platz hatten. Segrave lehnte an den Finknetzen.»Wie fühlen Sie sich, Mr. Segrave? Es war wohl ein kurzer Aufenthalt — aber mit einer Menge neuer Erfahrungen.»

Der Junge hatte im Abendlicht ein dunkelrotes Gesicht.»Ich bin froh, daß ich hier war, Sir Richard. «Sein Haar flatterte im Wind, während er die Männer am Ankerspill beobachtete. Sie gingen jetzt schneller, die dicke Ankertrosse kam zügig an Bord.

Bolitho erinnerte sich an seine ersten Jahre als Midshipman.»Tut's Ihnen leid, daß wir heimsegeln?»

Segrave nickte und vergaß einen Augenblick, daß er mit einem Vizeadmiral sprach.»Aber wenn ich auf mein altes Schiff zurückkehre, muß alles anders werden.»

Bolitho sah ein Wachboot vorbeirudern, der Leutnant im Heck grüßte die Flagge der Truculent. »Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Sie haben hier Ihren Mut entdeckt.»

Jenour stand in der Nähe und hörte zu. Er wußte, daß Bolitho längst einen Brief an Segraves früheren Kommandanten geschrieben hatte. Leuteschinder zogen sich Bolithos Zorn zu, aber davon wußte der Midshipman natürlich nichts.

Endlich kam der erwartete Ruf von vorn:»Anker ist kurzstag, Sir!»

Pfeifen schrillten, fluchend hastete ein Mann nach vorn, dem ein Tampen Beine gemacht hatte.

«Alles klar, Sir!«meldete Williams.

«Fock und Klüver setzen!«Polands Stimme klang ruhig und unbewegt. Was hatte dieser Mann eigentlich gegen Varian? Und was suchte er im Leben außer Beförderung? Auf den Rahen arbeiteten die Männer und ließen das Tuch auswehen. Unten an Brassen, Halsen und Schoten warteten andere auf den Befehl, der das stilliegende Schiff in einen schnellen Segler verwandeln würde.

Was würde in England auf sie zukommen? Würde man sie an Bord festhalten, bis neue Befehle eingingen? Oder würde man sie auf andere Schiffe verteilen, zwischen die unerfahrenen Landratten und Opfer der Preßkommandos? Die Fiedel spielte flotter, und das Ankerspill drehte sich noch schneller.

«Es ist Sommer in England, wenn wir zurückkehren, Stephen«, sagte Bolitho plötzlich.»Wie schnell so ein Jahr vergeht.»

Jenour drehte sich zu ihm um.»Ein Jahr der Siege!»

Bolitho schüttelte den Kopf.»Kaum. Es wird Rückschläge geben.»

«Der Anker ist frei!»

Bolitho hielt sich an den Finknetzen fest, als sich das Schiff leicht überlegte und der Anker festgezurrt wurde. In England würden sie den anderen Anker benutzen — auch so ein Ritual.

Die Truculent fiel ab, Leinwand knallte, Männer rannten an Schoten und Brassen, und über allem ertönte die Stimme von Hull, dem Master:»Komm auf! Gut so — Kurs halten!»

Bolitho beobachtete den Master. Seine beiden Rudergänger griffen in die Speichen des großen Rades, ihre Augen blitzten. Master zu werden, war Simcox' größter Wunsch gewesen.

Die Marssegel füllten sich, und die Truculent nahm Fahrt auf, glitt an der Huk vorbei auf die offene, rötlich glänzende See hinaus.

«Westsüdwest, Sir! Voll und bei!»

Poland verzog den Mund zu einer harten Linie.»Gehen Sie höher an den Wind, Hull, so hoch sie kann!«Als der Erste wieder auf dem Achterdeck erschien, befahl er:»Bramsegel setzen und auch die Royals, sobald hier alles klar ist, Mr. Williams. «Er blickte zum Admiral an den Netzen hinüber.»Und daß mir keine Fehler passieren!»

Bolitho blieb an Deck, bis die Dunkelheit das Land und die davor verankerten Schiffe verschluckt hatte. Ihre Welt war jetzt nur noch die See und die Gischt, die am Bug hochsprang und seitlich davonwirbelte. Der Himmel ging dunkel in den Ozean über.

Unten erwartete ihn Ozzard mit einem späten Imbiß.

An den salzverkrusteten Heckfenstern der Kajüte stehend, dachte Bolitho an seine Zeit als Kommandant einer Fregatte. Das Auslaufen war damals immer spannend gewesen, ein Vorstoß auf die freie See. Poland sah das offenbar ganz anders. Vielleicht zählte er aber auch nur die Tage, bis er seine ungeliebte Last loswurde, den Vizeadmiral an Bord. Bolitho sah hoch, als er Schritte an Deck hörte. Der Wind wehte Stimmen herunter, und das Rigg sirrte. Es zog ihn nach oben, wie gern hätte er selbst die Kommandos gegeben, die Kurse ausgerechnet, das Schiff geführt! Aber sein Dienstrang machte das unmöglich.

Er war jetzt neunundvierzig Jahre alt und wirkte viel jünger. Sicher fragte mancher Offizier Jenour drüben in der Messe nach dem Admiral aus. Sei's drum. Besser so, als daß Gerüchte über ihn umgingen. Davon gab es schon genug, über ihn und Catherine. Sie war eine betörend schöne Frau, nach der sich alle Männer umdrehten, bei Hofe ebenso wie auf der Straße. Er spürte sinnlose Eifersucht auf jeden, der jetzt das Glück hatte, sie zu sehen.

Allday schaute herein.»Soll Ozzard den Imbiß auftragen?«Er machte sich Gedanken über die Melancholie seines Admirals. England zu verlassen, war schlimm für Bolitho gewesen, aber die Rückkehr wurde vielleicht noch schlimmer. Was war Catherine widerfahren in all den Monaten?

«Ich bin nicht hungrig.»

Eine See rauschte mit Macht am Rumpf vorbei, und Bolitho wußte, daß das Schiff jetzt das offene Meer erreicht hatte und das Land weit hinter ihnen lag. Wie lange würde die Truculent nach England brauchen?

Allday blieb hartnäckig.»Es gibt gebratenes Schweinefleisch, in Brotkrumen paniert, genau, wie Sie es mögen. So was Feines haben Sie in den letzten Wochen bestimmt nicht gegessen.»

Bolitho drehte sich nach ihm um.»Ich möchte, daß du mir morgen das Haar kurzschneidest. «Als Allday schwieg, fragte er:»Du hältst mich sicher für verrückt?»

Allday antwortete diplomatisch:»Die meisten Herren in der Offiziersmesse tragen ihr Haar jetzt kurz, es ist die neue Mode. «Er schüttelte seinen geteerten Zopf.»Mir würde so was nicht stehen.»

«Aber du kannst es schneiden?»

«Natürlich, Sir Richard«, antwortete Allday mit breitem Grinsen.

«Darf ich noch was sagen?»

«Habe ich dich je daran gehindert? Sag, was du loswerden willst.»

«Also, was Sie für Tyacke getan haben, war sehr anständig. So hat er noch eine Chance.»

«Jeder andere hätte das auch getan.«»Eben nicht!»

Sie sahen einander an wie Zweikämpfer, bis Bolitho fragte:»Wie meinst du das?«»Ich meine, man sollte nun auch was für Sie tun. So wie Sie was für andere tun.»

Höflich klapperte Ozzard mit Tellern und Geschirr in der Pantry nebenan. Bolitho ging zum Tisch.»Ich werde wohl doch was essen, sonst laßt ihr mir keine Ruhe. «Ozzard kam und schenkte ihm Wein ein.»Mach das Brandyfäßchen auf«, sagte Bolitho und zu Allday gewandt:»Wir könnten wirklich ein paar tausend Leute wie dich brauchen. Der General hatte recht.»

Ozzard stellte die Flasche in einen tönernen Weinkühler. Schade um das Schränkchen, das mit der Hyperion untergegangen war, dachte er. Es war ein Geschenk von Catherine gewesen.

«Bedien' dich aus dem Fäßchen, Allday. Und dann Schluß für heute. Gute Nacht.»

Allday verließ die Kajüte. Bolitho aß allein und zerstreut sein Abendbrot. In Gedanken war er schon daheim in Cornwall.

In den folgenden Wochen kämpfte sich die Truculent nach Nordwesten, an den Kapverdischen Inseln vorbei. Während der langen Heimreise durch die wechselnden Windzonen zog Bolitho sich noch mehr zurück als bei der Ausreise.

Allday wußte, daß Bolitho nichts zu tun hatte. Nicht einmal das Schiff durfte ihn beschäftigen, das war Polands Sache. Zwar umgaben ihn ständig Offiziere und Matrosen, wenn er an Deck kam, doch vom Admiral hielten sie sich fern.

Wenn er um die Mittagszeit oben erschien, beobachtete er den Master, der die Midshipmen an Karte und Sextant unterrichtete. Und er sah ins Logbuch, zählte die Tage und Etmale. Poland vermutete dahinter wortlose Kritik. Als Bolitho einmal Jenour wegen einer Kleinigkeit anfuhr, entschuldigte er sich hinterher:»Die Untätigkeit bringt mich noch um, Stephen. «Gereizt starrte er auf die leere See hinaus. In seinen Träumen war Catherine bei ihm. Doch immer wieder tauchte eine Hand auf, die sie wegzerrte, ohne daß sie sich dagegen wehren konnte.

Sieben Wochen und zwei Tage, nachdem sie den Tafelberg verlassen hatten, fuhr er in der Morgendämmerung hoch, weil Allday an seiner Koje stand, einen dampfenden Becher Kaffee in der Hand.»Was ist los?«fragte er und folgte Allday in die Kajüte.

Draußen vor den Heckfenstern glitzerte die See hart und grau wie poliertes Zinn. Allday deutete aus dem seitlichen Fenster.»Ich weiß, es ist noch sehr früh, die Morgenwache ist gerade erst aufgezogen. Aber ich dachte, ich sollte Sie trotzdem wecken.»

Bolitho rieb mit dem Ärmel die Scheibe sauber. Keine brennende Sonne, kein beißendes Morgenlicht. Aus dem häsigen Grau an Backbord schälte sich Land, Brecher leckten an Felsen hoch. Ihr fernes Rumoren blieb unhörbar.

«Du weißt, wo wir sind, alter Freund? Ein perfekter Landfall! Um acht Glasen werden wir Falmouth querab haben.»

Er schritt in der Kajüte auf und ab, dankbar dafür, daß Allday ihn geweckt hatte und er hören konnte, wie der Mann im Ausguck laut aussang:»Land in Lee!«Es war nicht irgendein Stück Land, sondern Cornwall, das Kap Lizzard. Catherine würde jetzt wohl noch schlafen, ahnungslos, daß Bolitho ihr so nahe war.

Allday holte die Kanne.»Noch etwas Kaffee?»

Er wurde nicht gehört. Bolitho hatte das Medaillon geöffnet und starrte auf Catherines Bild nieder. Grau sickerte der Morgen in die Kajüte.

In der kleinen Kammer schlief Ozzard auf dem Boden, einen Arm über das Brandyfäßchen gehakt. Vorsichtig schob Allday ihn zur Seite, hielt den Becher unter den Hahn und füllte ihn. Endlich wieder zu Hause! Darauf konnte man schon einen Becher Brandy leeren.

An Deck schrillten die Pfeifen und rissen die Besatzung in den neuen Arbeitstag.

Es wurde wirklich Zeit, daß sie heimkamen.

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