Bolitho verhielt sein Pferd neben einer niedrigen, moosbewachsenen Mauer und blickte über die Felder zu den kleinen Häusern an der Straße nach Penryn hinüber. So glückliche und zufriedene drei Tage wie seit seiner Rückkehr hatte er noch nie im Leben genossen. Catherine war jede Minute an seiner Seite gewesen und hatte in dieser unbeschwerten Zeit viel aus seinem Leben erfahren. Er war hier geboren, war zwischen diesen Dörfern und Höfen aufgewachsen, bis er wie alle Bolithos zur See gegangen war.
Die Manxman, sein erstes Schiff, lag damals mit ihren achtzig Kanonen in Plymouth. England sonnte sich in einem kurzen Frieden, trotzdem erschrak der zwölfjährige Seekadett Bolitho beim Anblick des Schiffes so sehr wie nie wieder in seinem Leben. Die Höhe der gewaltigen Masten, das Gewirr aus laufendem und stehendem Gut jagten ihm Angst ein. Wie würde er sich je darin und unter den herumhastenden Seeleuten zurechtfinden? Aber er lernte schnell. Daß er einmal unter seiner eigenen Admiralsflagge Schiffe ins Gefecht führen würde, wäre ihm allerdings nicht im Traum eingefallen.
Catherine trieb ihr Pferd näher heran und fragte:»Was denkst du gerade?«Sie griff nach seiner Hand.»Du warst ganz weit weg.»
Er lächelte ihr zu. Sie trug ein dunkelgrünes Reitkostüm, hatte ihr Haar geflochten und über den Ohren aufgerollt.»Ich dachte an alles mögliche, aber vor allem daran, wie sehr ich dich liebe. «Er erwiderte ihren Händedruck.
Sie hatten beim Ausritt am Strand in der Steilküste eine Höhle gefunden und sie erforscht. Ein Stein mit einem Ring daran brachte ihm viele Erinnerungen zurück. Hier hatte er als Junge sein Boot festgemacht. Dann war die Flut gekommen, und er hatte nicht mehr wegrudern können. Ein Suchtrupp hatte ihn gefunden, wie er an den Felsen hing, die Füße bereits von den Wellen umspült. Sein Vater war auf See gewesen, sonst hätte er eine fürchterliche Tracht Prügel für seinen Leichtsinn bezogen.
Catherine hatte vorgeschlagen:»Daraus machen wir jetzt unsere Höhle!«Noch immer rauschte sein Blut, wenn er daran dachte, wie sie sich auf dem Sand der Höhle geliebt hatten, bis die Welt um sie versank.
Jetzt sahen sie weit über das friedliche Land. Die Pferde zupften am Gras und rieben gelegentlich die Köpfe aneinander. Über dem steten Summen der Bienen hing das Trillern unsichtbarer Lerchen, und weit weg schlug eine Glocke an.
«Ich mag deine Schwester Nancy«, begann Catherine.»Sie ist sehr lieb und hat mir viel geholfen, obwohl sie eine wie mich bestimmt noch nie kennengelernt hat. «Sie blickte hinab auf das große Haus.»Auch ihr Mann hat mir seine Hilfe angeboten, ohne daß ich darum bitten mußte.»
Das Haus, das Nancy und Lewis Roxby bewohnten, gehörte seit Generationen der Familie des Squires. Doch Bolitho wußte, daß Lewis, von vielen» der König von Cornwall «genannt, statt dessen lieber das Haus der Bolithos bewohnt hätte. Alle seine Vorfahren waren Gutsbesitzer und Friedensrichter gewesen, aber Lewis reichte das nicht. Er besaß inzwischen Zinngruben und hatte sogar ein Fuhrgeschäft gegründet. Wenn seine Unternehmen ihn nicht beanspruchten, ritt er häufig Jagden und trank auch gern. Mit Bolitho verband ihn wenig, doch Nancy liebte er sehr.
Sie trieben ihre Pferde an. Bolitho hatte seiner Schwester Felicity ein paar Zeilen geschickt und seinen Besuch angekündigt. Zu Pferd wirkte es formloser als eine Vorfahrt in der Kutsche.
Zwei Pferdeknechte eilten ihnen im Hof entgegen und sahen mit großen Augen, wie Catherine ohne Hilfe aus dem Sattel glitt. Bolitho lächelte sie an.
«Man beobachtet uns aus einem Fenster«, sagte sie und wurde einen Augenblick unsicher.»Ich hätte vielleicht doch nicht mitkommen sollen.»
«Dann wollen wir ihnen noch etwas zum Glotzen geben«, sagte er, küßte sie auf die Wange und legte ihr den Arm um die Schultern.»Ich bin sehr stolz auf dich.»
Ein Diener öffnete die große Tür, und Lewis Roxby, rundlich und rotgesichtig, kam ihnen jovial entgegen. Catherine erwiderte seine Begrüßung mit einem warmen Lächeln und einem Händedruck.
«Richard, du Schurke! Du hättest uns wirklich mehr Zeit gönnen können, miteinander vertraut zu werden!«Lewis legte Catherine den Arm um und führte sie in ein großes Zimmer, durch dessen offene Türen sie den Rosengarten bewundern konnten. Das ganze Zimmer duftete. Catherine klatschte überwältigt in die Hände. So mochte sie gespielt haben in den Elendsstraßen von London, wo sie aufgewachsen war, dachte Bolitho. Durch eine Glastür sah er zwei Damen auf das Haus zukommen.
Nancy hatte zwar etwas zugenommen, sich aber sonst seit ihrem letzten Treffen nicht verändert. Sie hatte die Schönheit ihrer Mutter geerbt und deren zarte Haut. Neben ihr schritt Felicity. Ihr Profil verriet die geborene Bolitho, doch ihr Haar schimmerte schon grau, und ihr Gesicht war aschfahl, als habe sie gerade ein Fieber überstanden. Sie nickte ihm schon von weitem zu, aber er fühlte, da kam eine Fremde zu ihnen herauf.
Nancy lief ihm entgegen, umarmte und küßte ihn.»Und hier ist Felicity, nach so vielen Jahren endlich wieder zu Hause. «Ihre Stimme klang eine Spur zu fröhlich.
«Ich möchte dich gern mit Catherine bekanntmachen«, sagte Bolitho.
Felicity musterte sie kühl, neigte nur kurz den Kopf.»Leider kann ich Sie hier nicht willkommen heißen, denn dies ist nicht mein Haus. Ich habe im Augenblick keins.»
«Das werden wir bald ändern«, warf Roxby ein.
«Mein Beileid zum Tod deines Mannes«, sagte Bolitho.»Es muß ein schrecklicher Verlust für dich gewesen sein.»
Sie schien ihn nicht gehört zu haben.»Ich habe gerade erst Edmund benachrichtigen lassen. Mein zweiter Sohn Miles ist gleich mit mir nach England gereist. «Ihre tiefliegenden Augen sahen Catherine an.»Wir hatten noch eine Tochter, aber sie starb in Indien.»
Voll Mitgefühl sagte Catherine:»Das tut mir sehr leid. Ich bin in solch einem Klima aufgewachsen und kann Ihnen den Schmerz nachfühlen.»
Felicity nickte.»Natürlich, bevor Sie Ihren jetzigen Mann in Südamerika trafen, waren Sie ja mit einem Spanier verheiratet.»
Roxby unterbrach:»Ein Glas Wein, Richard?»
Bolitho schüttelte den Kopf. War Felicity schon immer so giftig gewesen?» Du weißt, daß du jederzeit in unserem Haus willkommen bist, bis du weißt, wo du dich niederlassen willst«, sagte er zu ihr.»Während ich auf See bin, handelt Catherine in meinem Namen.»
Felicity setzte sich in einen hochlehnigen Stuhl.»Es ist nicht mehr mein Haus, seit ich Raymond geheiratet habe. Und jetzt ist dort bestimmt kein Platz für mich. «Sie blickte Bolitho unbewegt an.»Aber du warst ja schon immer ein taktloser Mensch.»
«Sagen Sie das nicht, Mrs. Vincent. Ich kenne niemanden, der sich mehr um andere Menschen kümmert als Ihr Bruder. «Catherines Augen blitzten, doch ihre Stimme klang beherrscht.»Selbst wenn andere seine Fürsorge nicht erwidern.»
Felicity wischte Staub von ihrem Ärmel.»Natürlich. Und Sie wissen das bestimmt besser als jeder andere hier!»
Bolitho sah, wie Catherines Finger sich in den Stoff ihres Kleides gruben. Es war ein Fehler gewesen, herzukommen.
«Doch um etwas muß ich dich bitten, Richard. «Felicitys Gesicht blieb unbewegt.»Mein Sohn Miles dient nicht mehr bei der East India Company. Würdest du bitte dafür sorgen, daß er in die Royal Navy eintreten kann? Ich besitze einige Ersparnisse, er sollte also schnell befördert werden.»
Bolitho nahm Catherines Arm.»Ich werde für Miles tun, was ich kann. Er soll mich mal besuchen. «Nach einer Pause fuhr er fort:»Ich verstehe deinen Schmerz über den Verlust deines Mannes, aber nicht deine Ungezogenheit gegenüber Catherine. Dies ist auch nicht mein Haus, sonst würde ich deutlicher werden!»
Catherine war erstarrt, Nancy den Tränen nahe, Roxby blies die Backen auf und wünschte sich woanders hin; nur Felicity blieb kühl und unbeeindruckt. Bolitho nahm Catherines Arm und ging.
Draußen an der Tür murmelte der Hausherr, während ihre Pferde gebracht wurden:»Tut mir leid, Richard, sie hat sich schändlich benommen. «Und zu Catherine gewandt:»Aber sie wird sich wieder fangen. Witwen sind eben manchmal seltsam. «Er küßte ihre Hand.
Catherine lächelte.»Ich kannte ihren Mann nicht, aber ob er mit ihr glücklich war? Meinetwegen muß sie sich übrigens nicht ändern.»
Vor dem Hof nahm Bolitho ihre Hand.»Es tut mir so leid, Kate!»
Sie zitterte vor Wut.»Ich bin es gewöhnt. Aber niemand darf so über dich reden. «Die Pferde blieben stehen, als spürten sie Catherines Ärger.»Und das soll deine Schwester sein? Weiß sie eigentlich, was du für dieses Land tust?»
Er streichelte ihren Arm.»Meine Tigerin!»
Sie wischte sich mit dem Handschuh über die Augen.»Zur Hölle mit ihr! Wir reiten um die Wette nach Hause!»
Ihr Pferd warf schon Schmutz von der Straße hoch, ehe Bolitho noch losreiten konnte. Roxby blickte ihnen nach, bis sie in den Feldern verschwunden waren. Was für ein Temperament, dachte er. Kein Wunder, daß Richard so gut aussieht, diese Frau hält ihn jung. Er blieb vor einem Spiegel stehen. Mit einer Frau wie Catherine würde er. Aber er verbot sich diese Gedanken.
Als er das Zimmer betrat, war er froh, nur seine Frau anzutreffen.
«Felicity hat sich hingelegt, Lewis.»
Roxby sah Tränenspuren in Nancys Gesicht und trat zu ihr, um sie zu streicheln.»Es wird Zeit, daß ich ein Haus für sie finde. Aber woher weiß sie das alles über Catherine? Wir haben ihr nichts erzählt.»
Nancy nahm seine Hand.»Das wüßte ich auch gern. Richard sieht übrigens sehr viel besser aus als bei seinem letzten Urlaub. Diese Frau tut ihm gut.»
Roxby sah, daß kein Diener in der Nähe war, und tätschelte den vollen Busen seiner Frau.»Du mir auch«, sagte er. Errötend richtete sie ihre Frisur.
Aber er dachte noch immer an die beiden, die da eben losgaloppiert waren, als bedrücke sie nichts auf der Welt. So hatte sein Leben mit Nancy auch einmal ausgesehen, ehe die Kinder kamen und der Kampf um Besitz und Macht ihm das letzte abverlangte.
Zwei Wochen vergingen, und die restliche Welt existierte nicht für sie. Nur einmal sprachen sie davon, als sie zur Mündung des Helford River ritten. Eine Fregatte segelte sich gerade von Land frei, ihre Segel blitzten in der Sonne, ihr schnittiger Rumpf teilte die
Wellen.
«Wann erwartest du neue Befehle?«fragte Catherine.
Er legte den Arm um ihre Taille.»Bald. Es gab schon ein paar Hinweise in der Admiralität. Man will ein neues Geschwader aufstellen — falls man genügend Schiffe findet.»
Auf der Fregatte entfalteten sich die Toppsegel. Im ablandigen Wind nahm sie Fahrt auf wie ein Vogel, der freigelassen worden war.
In London hatte Bolitho auch von Adam gehört. Sein Neffe hatte das Kommando über die Anemone bekommen. Mit ihren achtunddreißig Kanonen machte sie Blockade- und Patrouillendienst vor der niederländischen Küste. Und als seinen Bootsteurer hatte Adam Alldays Sohn an Bord.
Allday hatte diese Nachricht nicht sonderlich bewegt. Er hatte sich bei seiner Rückkehr nach Falmouth sofort von Yovell und Ozzard getrennt, um schnell seine alte Freundin, die Wirtstochter, zu besuchen. Aber das Wirtshaus hatte den Besitzer gewechselt, und die Wirtstochter war jetzt mit einem Bauern aus Redruth verheiratet. Seither war Allday trübsinnig.
Am Ende von Bolithos zweiter Urlaubswoche berichtete die Naval Gazette über die Eroberung Kapstadts. Der Bericht enttäuschte ihn: kein Wort über den Brander oder über Tyacke. Er legte das Blatt zur Seite. Allday trat ein und meldete Miles Vincent.
«Na, dann schick meinen Neffen rein.»
Catherine arbeitete mit Ferguson im Kontor an Preisen und Plänen für das kommende Erntejahr. Bolitho fragte sich, woher sie ihr Wissen nahm. Sie kannte die Getreidepreise in Cornwall, aber auch die weiter im Norden und sogar in Schottland. Ferguson war dankbar für ihre Hilfe und die neuen Ideen.
Die Tür öffnete sich, und dann stand Felicitys jüngerer Sohn vor ihm. Er trug eine schmucklose blaue Jacke und ein gefälteltes weißes Hemd, alles makellos sauber. Irgendwie erinnerte der Junge an Adam, kam Bolitho allerdings ein wenig schwerblütiger vor.
«Bitte setz dich. «Bolitho schüttelte seine Hand.»Wir bedauern den frühen Tod deines Vaters. Er hat die Familie sicherlich schwer getroffen.»
«Das stimmt, Sir Richard. «Der junge Mann nahm Platz und faltete die Hände im Schoß.
Er sitzt da wie einer, der beim Vater um die Hand seiner Tochter anhält, dachte Bolitho. Schüchtern, aber entschlossen. Man sah ihm den Bolitho an. Miles war neunzehn Jahre alt und hatte die grauen Augen und das dunkle Haar seiner Mutter. Und er besaß die Selbstsicherheit, die man von einem Offizier erwartete.
«Du willst also Offizier bei der Kriegsmarine werden? Ich sehe da keine Probleme. Grüne Midshipmen haben wir genug, aber erfahrene junge Anwärter wie du sind selten.»
Bolitho beobachtete Miles' Reaktion. Was hatte Felicity ihm erzählt? Sie sahen einander heute zum ersten Mal. Einem Vizeadmiral gegenüberzusitzen, dessen Taten in aller Munde waren, machte ihn sicherlich sehr gehemmt. Doch sein Neffe überraschte Bolitho.
«Ich bin verblüfft, Sir Richard«, sagte der junge Mann.»In der East India Company war ich bereits diensttuender Leutnant, Wachoffizier und für die Navigation zuständig. Man hätte mich sehr bald als Leutnant bestätigt. Sie denken doch nicht, daß ich wieder als Midshipman anfangen werde!«Seine Zurückhaltung war der Empörung gewichen.
«Langsam, langsam«, mahnte Bolitho.»Der Dienst in der Navy hat mit dem in der Company nicht viel gemein. Man besoldete euch dort besser, ihr hattet mehr Platz. Aber Companyleute kämpfen nur für die eigene Fracht. In der Navy kämpft man gegen den Feind, wer es auch ist. Meine Leute fechten nicht für Geld oder Gewinn und selten genug für König und Vaterland. «Die Augen des jungen Mannes wurden groß.»Sie kämpfen für sich selber und für ihr Schiff, ihre Kameraden, bis der verhaßte, harte Dienst sie schließlich als Wracks ausspuckt. Falls sie Glück haben und überleben.»
Miles stotterte:»Das war mir nicht klar, Sir Richard. «Jetzt sah er wieder aus wie einer, der um die Hand der Tochter anhält.
«Wenn du immer noch zur Navy willst, werde ich dir helfen. Wir werden einen guten Kapitän finden, der einen erfahrenen jungen Mann braucht. Bei deinen Dienstjahren wirst du schon in ein paar Monaten zum Leutnant befördert werden, vielleicht sogar noch schneller. Wir brauchen Offiziere dringender als je zuvor, aber wenn sie nicht führen können und kein gutes Beispiel geben, haben wir keine Verwendung für sie.»
«Ein Beispiel, wie Sie selber es für alle sind, Sir Richard!«Miles sprang auf, weil Catherine eintrat.
Sie sah erst Bolitho, dann den Gast an.»Sie müssen Miles sein«, sagte sie, warf ihren breitkrempigen Gartenhut auf eine Truhe und küßte Bolitho. Miles holte ihr einen Stuhl.»Danke.»
Beim Abschied sah Miles die Porträts im Treppenhaus.»Ich wäre gern einer von ihnen«, sagte er und drehte sich kurz nach Catherine um.»Ich würde den Bolithos Ehre machen!«Damit verneigte er sich und ging.
«Er sieht dir sehr ähnlich«, meinte Catherine.»Komm, laß uns vor dem Abendessen noch Spazierengehen. Ich möchte viel mehr wissen. «Sie deutete auf die Bilder.»Von dir und deiner Familie.»
«Und ich wüßte gern, was du für Pläne mit Ferguson schmiedest.»
Allday schloß hinter ihnen die Tür.»Hast du den jungen Mann gesehen, der zu uns will?«fragte er Ozzard.
«Ja, aber ich wüßte zu gern, warum er die Company verlassen hat«, antwortete Ozzard.
«Die wollten ihn vielleicht nicht mehr. So was kommt vor. Mein Mädchen wollte mich auch nicht mehr. Sie hätte doch warten können«, sagte Allday bitter.
«Frauen warten nie, mein Freund. Je eher du das kapierst, desto besser für dich.»
Allday sah Ozzard verblüfft hinterher. Woher diese plötzliche Schärfe? Ozzard war doch sonst so ein sanfter Typ.
Es wurde ein wunderbarer Sommer. Das Korn stand hoch, die Schafe hatten gut gelammt, und selbst die Fischer klagten nicht über zu magere Fänge. Man hätte wie im tiefen Frieden gelebt, wenn nicht überall die jungen Männer gefehlt hätten. Vom Krieg hörte man selten in Cornwall. Nur manchmal erfuhren sie von feindlichen Schiffen, die angeblich die Blockade durchbrochen hatten und in der Biskaya gesichtet wurden. Dann, am letzten Augusttag, kam Order für Bolitho.
Sie ritten an den Klippen entlang, aber diesmal gingen sie nicht in die verborgene Höhle, wo sie sich so heftig geliebt hatten. Sie blieben draußen und hielten ihre Pferde.
«Wo immer du bist, ich werde bei dir sein«, sagte Catherine.
Zu Hause schien die späte Abendsonne fast waagrecht durch das westliche Fenster. Im Haus regte sich nichts. Bolitho schlitzte den schweren, rot versiegelten Umschlag auf, der in der Ecke das Zeichen der Admiralität trug, den Anker mit der unklar gekommenen Leine.
Catherine stand mit dem Rücken zu ihm, den Strohhut in der Hand. Sie sah in den Garten und versuchte ruhig zu bleiben, schmeckte aber Salz auf ihren Lippen. Von Gischt oder Tränen?
Er legte den Umschlag beiseite.
«Ich bekomme das Geschwader. «Er trat zu ihr.»Und ein neues Flaggschiff. Alles schon sehr bald.»
«Wie lange bleibst du noch?«Sie ließ den Hut fallen.
«Ich muß zuerst nach London. Wir müssen nach London, wenn du willst. «Er nahm sie in die Arme.»Mein Flaggschiff ist die Black Prince. Sie wird gerade erst in Chatham ausgerüstet, in der Königlichen Werft. Dahin nehme ich dich mit. Ich will, daß wir so lange es geht zusammen bleiben.»
Sie setzte sich vor den kalten Kamin. Er schritt, die Hände auf dem Rücken, wie an Deck eines Schiffes auf und ab.»Ich brauche einen guten Flaggkapitän. Darauf bestehe ich!»
«Du denkst an Valentine Keen?»
Er trat zu ihr, nahm ihre Hände.»Du kennst alle meine Gedanken. Aber Val ist noch nicht wieder im Dienst. Den Tag seiner Hochzeit hat er uns allerdings bisher nicht angekündigt. Und auch Zenoria hat dir nicht geschrieben, oder?«Er schüttelte den Kopf.»Nein, Val kann ich nicht bitten. Er und Zenoria würden es mir niemals danken. Er hat, genau wie ich, ziemlich spät die Frau fürs Leben gefunden.»
Sie sah, wie sich die Abendsonne in seinen Augen spiegelte.»Versprich mir, zum Arzt zu gehen, wenn wir in London sind«, bat sie.»Tu's mir zuliebe!«Er mußte lächeln.»Wenn dafür Zeit bleibt. In zwei Tagen brechen wir auf. Ich hasse diese Reisen nach London, sie kommen mir jedesmal länger vor.»
Sie gingen zur Fenstertür.»Und wenn Zeit dafür bleibt, zeige ich dir in London etwas, damit du nicht immer so schlecht gelaunt bist, wenn du zu Ihren Lordschaften mußt«, versprach Catherine. Sie traten in den Garten hinaus und gingen auf die Mauer mit der Pforte zu, wo sie ihn begrüßt hatte.»Mach dir auf See um mich keine Sorgen. Ich werde nie zwischen dir und deinem Schiff stehen. Du gehörst mir, und ich gehöre dir.»
Ozzard polierte Zinnteller für Mrs. Ferguson und drehte sich nicht um, als Allday eintrat.»Es geht also wieder los?»
«Ja, aber erst nach London.»
Ozzard rieb stumm an dem Teller herum, obwohl der bereits fleckenlos glänzte.
«Wir bekommen die Black Prince mit vierundneunzig Kanonen. Größer als alles, was wir gewöhnt sind. Fast ein Palast!»
Aber Ozzard war in Gedanken ganz woanders. Er war in London, wieder auf der Straße in Wapping Wall, auf die er so verstört gerannt war — damals. Er hörte wieder ihr Betteln und dann die Schreie. Und zuletzt die furchtbare Stille, nachdem er seine junge Frau und ihren Liebhaber mit der Axt erschlagen und zerhackt hatte, bis sein Arm erlahmte. Ozzard. An diesen Namen hatte sich der Schiffsarzt auf der Hyperion erinnert, der damals in London Gerichtsmediziner gewesen war. Da hatte der Steward mit dem sinkenden Schiff untergehen, ein Ende machen wollen mit all den blutigen Erinnerungen.
Aber es war anders gekommen.
«Also gut, nach London«, seufzte er.