XIV Ehrenhändel

«Nun, das hat Ihnen doch nicht viel ausgemacht, Sir Richard. Ihnen als altem Krieger. «Sir Piers Blachford schob die Ärmel noch weiter hoch und wusch seine knochigen Hände in einer Schüssel heißen Wassers, die ein Diener in das hohe, kühle Zimmer gebracht hatte. Er lächelte dabei. Bolitho lehnte sich im Sessel zurück und entspannte sich langsam. Der Himmel trug schon die Rottöne des nahenden Abends, obwohl es erst drei Uhr nachmittags war. Immer wieder prasselte Regen gegen die Fenster, und von der Straße drang das Klappern der Hufe und Knarren der Räder herauf.

Bolitho hob die Hand an sein verletztes Auge. Es fühlte sich wund und entzündet an nach der gründlichen Untersuchung durch Blachford. Er hatte auch eine Flüssigkeit benutzt, die erbarmungslos brannte.

Blachford sah ihn streng an.»Bitte nicht reiben! Noch nicht!«Er trocknete seine Hände an einem weißen Handtuch ab und winkte den Diener herbei.»Kaffee für Sie?»

Bolitho verneinte. Unten wartete Catherine und machte sich

Sorgen.»Ich muß leider gehen. Aber sagen Sie mir jetzt, was Sie herausgefunden haben.»

Blachford schüttelte den Kopf.»Sie sind immer noch derselbe ungeduldige Mann wie damals auf der Hyperion. Erinnern Sie sich? Damals hat es noch Hoffnung gegeben.»

Bolitho hielt Blachfords Blick stand. Dieser dürre Mann mit dem grauen Stoppelhaar war auf der Hyperion bis zum Ende dabeigewesen und hatte viele Leben gerettet. Damals wie heute erinnerte er Bolitho an einen Reiher, der am Flußufer geduldig wartete, bis er zupacken konnte.

Catherine war sofort zu Blachford gefahren, noch während Bolitho in der Admiralität Bericht erstattete. Trotz seiner vielen Verpflichtungen und Operationen hatte sich Sir Piers Zeit genommen für den Admiral. Bei der Untersuchung half ihm ein kleiner energischer Arzt, der mit kehligem Akzent sprach. Bolitho glaubte in ihm, der sich Rudolf Braks nannte, einen Deutschen oder geflohenen Holländer zu erkennen. Beide Ärzte hatten Nelsons Augenverletzung sehr genau gekannt und einiges darüber veröffentlicht.

Blachford lehnte sich zurück.»Ich möchte mich zuerst mit meinem berühmten Kollegen beraten«, sagte er.»Ihr Auge ist eher sein Gebiet als meins. Wir müssen Sie sicher noch einmal untersuchen, Sir Richard. Sie sind doch hoffentlich noch eine Zeitlang in London?»

Bolitho dachte an Falmouth. Der Winter kam näher, er mußte dorthin zurück. Er hatte zwar damit gerechnet, auf der Truculent zu fallen, aber jetzt rief ihn Cornwall.

«Ich wollte eigentlich nach Hause, Sir Piers.»

Ein kurzes Lächeln.»Also haben wir nur noch ein paar Tage. Wie ich höre, bekommen Sie ein neues Flaggschiff?«Er verriet nicht, woher er das wußte. Bolitho erinnerte sich an Admiral Godschales scheinheiliges Mitgefühl. Dabei hatte er wahrscheinlich schon einen Ersatz parat gehabt, falls Bolitho nicht zurückgekehrt wäre. Hatte Godschale mit Blachford gesprochen?

«Ein paar Tage bin ich noch hier, Sir Piers. Vielen Dank für Ihre Bemühungen. Und vor allem für Ihre Freundlichkeit Lady Catherine gegenüber.»

Blachford erhob sich.»Selbst wenn ich aus Stein wäre, was ja manche behaupten, hätte ich ihrem Wunsch nachgeben müssen.

Eine Frau wie sie trifft man nur selten. «Er streckte ihm seine knochige Rechte entgegen.»Ich melde mich wieder.»

Bolitho verließ den Raum und stieg die große Freitreppe hinunter. Unten öffnete ihm ein Diener die Tür zum Wartezimmer. Catherines dunkle Augen waren voller Fragen. Er küßte sie und drückte sie an sich.»Es ist kein schlimmes Urteil«, beruhigte er sie.

Sie suchte in seinem Gesicht nach einem verborgenen Sinn und fand keinen.

Bolitho sah nach draußen in den Regen.»Wollen wir den Kutscher nicht nach Hause schicken und zu Fuß gehen? So weit ist es gar nicht.»

Als sie dann unter seinem weiten Mantel über das nasse Pflaster schlenderten und sich weder von Kutschen noch einem Trupp Kavallerie stören ließen, erzählte sie, daß sie die Naval Gazette gelesen hatte.»Kein Wort über Charles Inskip oder dich!»

Er hatte ihr von dem Gefecht berichtet und von Anemones rechtzeitigem Auftauchen, das sie alle gerettet hatte, und von Varians schändlichem Verschwinden.»Der Mann wird mir dafür hängen!«hatte er gedroht.

Jetzt erzählte er ihr mehr.»Weder Sir Charles noch ich waren offiziell an Bord. Das wird man vielleicht nicht glauben, aber es verbreitet doch Unsicherheit. Und vor allem — die Franzosen können unseren Besuch nicht gegen die Dänen verwenden.»

«In dem Bericht heißt es, Poland habe die beiden Fregatten bekämpft, bis dein Neffe erschien. Aber in Wirklichkeit hast doch du das Gefecht geführt!»

Bolitho zuckte die Schultern.»Poland war tapfer. Aber er ahnte wohl, daß er fallen würde. Er hat Varian verflucht, ehe er starb.»

Bolitho schwieg und dachte an Sir Charles Inskip, seinen Sekretär und seinen Diener. Die drei hatten einsilbig und schnell die Truculent verlassen.

Sie kamen vor Lord Brownes Haus an, als der Regen heftiger wurde.»Nanu, zwei Kutschen? Ich dachte, wir haben diesen Abend für uns.»

Die Tür öffnete sich, als sie auf der ersten Stufe standen. Mrs. Robbins, die Lord Browne den Haushalt führte und während seiner Abwesenheit auf seinem Herrensitz in Sussex wohnte, begrüßte sie. Sie hatte sich damals rührend um Catherine gekümmert, aber als echte Londonerin eine feste Meinung, was sich schickte und was nicht.

Catherine nahm den Hut ab.»Schön, Sie wiederzusehen, Mrs. Robbins!»

Doch die Haushälterin blickte an ihr vorbei.»Ich wußte nicht, wo Sie sind, Sir! Mr. Allday ist nicht da, Ihr Leutnant ist in Southampton — so geht's doch nicht!»

Bolitho hatte sie noch nie so erregt gesehen. Er nahm ihren Arm.»Was ist denn passiert, Mrs. Robbins?»

Sie vergrub das Gesicht in der Schürze.»Seine Lordschaft — er braucht Sie. «Sie sah die große Treppe hinauf.»Der Arzt ist jetzt bei ihm. Bitte, beeilen Sie sich!»

Catherine wollte schon zur Treppe eilen, doch Bolitho sah, wie die Haushälterin den Kopf schüttelte. Da sagte er:»Bleib hier, Kate, und kümmere dich um Mrs. Robbins. Laßt euch was Heißes zu trinken bringen. Ich bin bald wieder unten.»

Ein älterer Diener saß oben vor der großen Tür, zu betroffen, um zu grüßen. Bolitho erinnerte er an Allday.

In dem großen Raum war es dunkel, drei Männer saßen im Lichtschein der Lampe an Brownes Bett. Einer, offensichtlich der Arzt, hielt seine Hand und zählte den Puls.

Ein anderer sagte leise:»Er ist gekommen, Oliver.»

Sie machten ihm Platz, und Bolitho setzte sich auf die Bettkante. Da lag der Mann, der sein Flaggleutnant gewesen war, bis er seines Vaters Adelstitel und Besitz geerbt hatte. Er trug ein Tageshemd, und seine Haut glänzte vor Schweiß. Seine Augen weiteten sich, als er Bolitho erkannte. Er flüsterte:»Es geht dir gut — schön. Ich dachte schon, du lebst nicht mehr.»

«Nur ruhig, Oliver, ruhig. Was ist denn passiert?«fragte Bolitho den Arzt.

Wortlos hob dieser einen Verband an. Das Hemd war aufgeschnitten, die Brust mit Blut bedeckt.

Eine Schußwunde.»Wer war das?«fragte Bolitho.

«Näher, komm näher!«Brownes Stimme trug nicht mehr weit.

Bolitho senkte das Ohr dicht an den Mund des jungen Mannes. Wie oft war er unbewegt mit ihm über das Achterdeck geschritten, wenn um sie herum die Hölle tobte. Ein tapferer junger Mann, der hier seinen letzten Kampf verlor.

«Es war Somervell. Ein Duell. «Jedes Wort schmerzte ihn, doch er gab nicht nach.»Deine Lady ist jetzt Witwe. «Er biß sich auf die blutleeren Lippen.»Aber mich hat's auch erwischt.»

Verzweifelt fragte Bolitho den Arzt:»Können Sie denn nichts für ihn tun?»

Der schüttelte den Kopf.»Daß er so lange überlebt hat, ist schon ein Wunder. «Browne griff nach Bolithos Arm.»Der verdammte Somervell hat damals auch meinen Bruder getötet«, flüsterte er mühsam.»Jetzt hab' ich's ihm heimgezahlt. «Sein Kopf rollte zur Seite, er hatte seine letzte Kraft verbraucht und war für immer verstummt.

Bolitho drückte ihm die Augen zu. Nach einer Weile stand er auf.»Ich sage es jetzt Catherine, Oliver. «Sein Auge schmerzte ihn stärker als je zuvor. Er ging zur Tür, wollte noch etwas sagen, spürte aber, daß niemand ihm zuhörte, und schloß die Tür leise von außen.

Unten wartete Catherine auf ihn mit einem Glas Brandy.»Ich weiß es schon«, sagte sie.»Allday ist wieder da und hat es mir erzählt. Browne hat meinen Mann getötet und wurde dabei selbst tödlich verwundet. Es tut mir so leid um deinen Freund, aber für meinen Mann empfand ich schon lange nur noch Abscheu. «Sie reichte ihm das Glas.

«Oliver prägte das Wort von den wenigen Beglückten«, sagte er.»Diese Schar ist mit seinem Tod noch viel kleiner geworden.»

In der Küche saß Allday vor einer Lammpastete, von der er nur die Hälfte geschafft hatte, stopfte seine Pfeife und sagte:»Ein Krug Bier wäre jetzt willkommen, liebe Mrs. Robbins. Und bei längerem Nachdenken auch noch etwas von dem schönen Rum da drüben!»

Die Haushälterin war betroffen vom Tod ihres Herrn und besorgt um ihre eigene Zukunft. Lord Oliver, wie man ihn in der Küche nannte, war der letzte der Familie. Nach seinem Tod würden Titel und Besitz an einen entfernten Cousin übergehen — und was wurde dann aus ihr?

«Wie können Sie nur in dieser traurigen Stunde so unbeschwert essen, trinken und rauchen?«fragte sie böse.

Allday sah sie aus rotgeränderten Augen an.»Das will ich Ihnen erklären. Ich habe überlebt«, er zeigte nach oben,»wir haben überlebt. Ich vergieße für jeden toten Kameraden eine Träne, aber wirklich kümmern tu' ich mich nur um uns!»

Sie schob ihm den Steinkrug zu, obwohl er schon angetrunken war.»Benehmen Sie sich bloß anständig, wenn die Bestatter nachher die Leiche abholen. Adel oder nicht, das Duell war gegen das Gesetz!»

Schnell zog sie den Becher Rum weg, als Alldays Kopf auf den Tisch fiel. In diesem Haus war der Krieg immer sehr weit entfernt gewesen, hier hatte nie Mangel geherrscht. Nur wenn Lord Oliver selbst auf See gewesen war, hatte man an den Krieg gedacht. Doch mit Alldays letztem Satz war er wieder zurückgekehrt.

Sie hörte eine Tür klappen. Sicher gingen die beiden jetzt zur Totenwache nach oben. Ihre strengen Züge wurden mild. Lord Oliver hätte es gefreut, so gute Freunde an seiner Bahre zu wissen.

Der Arzt, der beim Duell dabeigewesen war, machte kein Hehl daraus, daß er es eilig hatte, das Haus zu verlassen. Er konnte nichts mehr tun, beide Duellanten waren tot.

«Oliver hat also in einem Brief hinterlassen, daß er in Sussex bestattet werden wollte?«fragte Bolitho.»War er denn so sicher, daß er sterben würde?»

Der Arzt sah kummervoll zu Catherine am Kamin hinüber und antwortete leise:»Viscount Somervell galt als erfahrener Duellant. Lord Brownes Brief war nur eine kluge Vorsorge.»

Unten an der Treppe wurde geflüstert, Türen öffneten und schlossen sich. Man bereitete alles für die Überführung des Toten auf den Familiensitz in Sussex vor.

Catherine sagte:»Mein letzter Dienst an Somervell ist hoffentlich bald getan. Keine Sorge, Richard, ich werde dich dabei nicht enttäuschen. «Sie nahm seine Hand, als seien sie beide allein im Raum.

Wieder einmal war Bolitho überrascht von ihrer Kraft. Mit Hilfe des Doktors hatte sie Somervells Leiche bereits in das große Haus am Grosvenor Platz bringen lassen. Mußte sie nun in jenem Haus alle Vorkehrungen für die Beerdigung ihres Mannes treffen? Er streichelte ihre Hand. Wenn sie das tun mußte, würde er ihr dabei helfen. Den Skandal konnte das kaum noch verschlimmern.

Ein Diener mit verweinten Augen öffnete die Tür.»Pardon, aber der Leichenwagen ist jetzt da.»

Neue Stimmen, viele Schritte, dann trat ein kräftiger Mann in dunkler Kleidung ein und stellte sich als Hector Croker vor, der Verwalter des Browneschen Landsitzes. Er mußte sofort aufgebrochen und ohne Rast und Ruh über die gewundenen

Landstraßen nach London gejagt sein. Der Arzt übergab ihm einen Umschlag mit Papieren, offensichtlich sehr erleichtert.

Croker sah Mrs. Robbins zwischen ihren Taschen und Koffern stehen.»Sie fahren mit uns. Seine Lordschaft hat bestimmt, daß Sie auf dem Gut bleiben. «Mrs. Robbins verschwand ohne langen Abschied.

Im Erdgeschoß beobachteten sie, wie dunkelgekleidete Männer den Sarg durch die Halle und in den Wagen trugen. Bolitho folgte ihnen und gab ihrem Vormann ein paar Münzen. Catherine trat zu ihm vor die Tür und schob eine Hand unter seinen Arm.»Auf Wiedersehen, Oliver. Ruhe in Frieden.»

Ein Regenschauer jagte heran, aber sie blieben mit entblößten Häuptern draußen stehen, bis der Wagen abgebogen war.

Im Haus wandte sich Yovell an Bolitho:»Soll ich packen, Sir Richard?»

Catherine kam seiner Antwort zuvor.»Ich packe selber, Sie werden anderweitig viel zu tun haben. «Sie sah Bolitho an:»Du willst doch bestimmt an Val schreiben, aber auch an Konteradmiral Herrick.»

«Ja«, sagte Bolitho nachdenklich.»Sie kannten Oliver so gut wie ich.»

Valentine Keen war in Chatham dabei, die Black Prince in Dienst zu stellen. Das Schiff war inzwischen vom Stapel gelaufen, doch nun begann die aufreibendste Arbeit. Erfahrene Seeleute und Unteroffiziere mußten gesucht werden, es gab endlose Verhandlungen mit den Proviantverwaltern. Wenn man nicht alles kontrollierte, wurde oft schlechtere Ware als bestellt angeliefert, auf daß sich Krämer und Zahlmeister den Gewinn teilen konnten. Aus einem Eichenwäldchen ein gut funktionierendes Kriegsschiff zu machen, einen Baustein in den hölzernen Mauern, die England schützten, das war eine kräftezehrende, schier endlose Aufgabe.

Bolitho mußte auch Adam benachrichtigen, der die lecke Truculent mit seiner Anemone in den Hafen geschleppt, aber dort kaum Zeit zum Ankern gehabt hatte, so schnell wurde er wieder auf See gebraucht. Auch Adam war einer von Bolithos früheren Flaggleutnants. Mehr als andere wußte gerade er, wie sehr dieser Posten den Mann an den Admiral band.

Catherine sagte in seine Gedanken:»Mit Somervells Tod ändert sich für uns nichts, Liebster. «Bolitho nickte. Catherine war frei, aber er nicht. Belinda würde in eine Scheidung niemals einwilligen.»Ich werde bei dir bleiben und dir helfen«, versprach er.

«Er hatte kaum Verwandte. Und die auch nur in Übersee.»

«Aber Freunde bei Hofe hatte er«, sagte Bolitho. Ihm fiel auf, daß sie ungern Somervells Namen nannte.

Sie nickte.»Allerdings war der König ungehalten über seine wilden Launen und seine Spielsucht. Er hat alles verspielt, was ich je besaß. Und nun werde ich erben, was von seinem Besitz noch übrig ist. Seltsam, nicht wahr?»

Nachmittags traf Jenour ein, außer Atem und schmutzbespritzt. Er hatte sechs Pferde auf dem Weg von Southampton nach London müde geritten, nachdem er dort von Lord Brownes Tod gehört hatte.»Mein Platz ist jetzt wohl bei Ihnen«, sagte er zu Bolitho.»Ich weiß, wie sehr Sie ihn geschätzt haben.»

Catherine war in Yovells Begleitung zu Somervells Notar gegangen und hatte Bolitho nicht mitnehmen wollen. Sie war also wieder frei und vielleicht sogar finanziell unabhängig, wenn Somervell Besitztümer hatte. Ob da Falmouth bei seiner häufigen Abwesenheit wirklich ein Ersatz für das Leben war, das sie in London kannte — und sich vielleicht wieder wünschte? Und was blieb ihr, wenn er fiel? Vorsichtig berührte er sein linkes Auge.

«Was kann ich für Sie tun, Sir Richard?»

Bolitho hatte Jenour fast vergessen.»Wir brechen nach Chatham auf, zu unserem neuen Flaggschiff. Und dann müssen wir noch zur Kriegsgerichtsverhandlung gegen Kapitän Varian. Er hat uns im Stich gelassen, genau wie er damals Poland auf Jamaika im Stich ließ.»

Jenour nickte.

Die Tür öffnete sich, ein Bote brachte Nachricht von Dr. Rudolf Braks, dem Augenarzt, daß sich Bolitho am nächsten Morgen um zehn Uhr bei ihm einfinden solle. Es wirkte mehr wie ein Befehl als wie eine Einladung.

Für Jenour klang der Name Braks ausländisch. Woher kannte er ihn? Sein Vater hatte ihn einmal erwähnt — aber in welchem Zusammenhang?

Bolitho bedankte sich mit einem Trinkgeld. Als er Catherine kurz darauf zurückkehren hörte, bat er Jenour:»Erwähnen Sie Braks nicht gegenüber Lady Catherine. Sie hat genug Probleme, um die sie sich jetzt kümmern muß.»

Sie begrüßte Jenour herzlich und umarmte Bolitho.»War es schlimm?«fragte er.

Sie hob die Schultern.»Noch nicht. Der Bericht des Arztes ging an die Behörden, und da beide Duellanten gefallen sind, kann niemand angeklagt werden. «Als Jenour das Zimmer verlassen hatte, fuhr sie fort:»Ich weiß, was du jetzt befürchtest, Richard, und wenn ich dich nicht so sehr liebte, wäre ich verärgert. Du hast mich aufgenommen, als ich keinen Penny besaß, jetzt kann ich auch etwas für dich tun, Liebster. «Sie blickte ins Kaminfeuer.»Wir müssen bald aufbrechen. Ich werde dieses Haus vermissen, von dem die Welt so weit entfernt war. «Sie schaute aus dem Fenster; immer noch rann Regen über die Scheiben.»Aber hier ist es dunkel geworden.»

Der Tag von Somervells Trauerfeier endete schneller, als beide dachten. In dem großen Haus am Grosvenor Square gingen Leute ein und aus, die sie kaum kannten, Freunde des Toten und Neugierige, die einen Blick auf die Leiche und Catherine werfen wollten.

Der Arzt, der an Olivers Totenbett gestanden hatte, war ebenfalls zugegen und fragte die Witwe, ob sie den Toten noch einmal sehen wolle.

Catherine schüttelte den Kopf.»Ich habe gewiß manche Fehler, aber eine Heuchlerin bin ich nicht!»

Es gab nur einen bösen Zwischenfall, als der letzte Besucher des Tages gemeldet wurde: Oberst Collyear von der Königlichen Gardekavallerie. Er war ein großer, arroganter Soldat mit grausamem Mund.»So sehen wir uns also doch noch mal«, sagte er zu Lady Catherine.»Ich fände es grotesk, Ihnen mein Beileid auszusprechen. Doch der Anstand verlangt, daß ich Ihrem toten Gatten einen letzten Gruß entbiete.»

Dann bemerkte er Bolitho und fuhr in demselben überheblichen Ton fort:»Zuerst dachte ich, Sie seien sein Gegner gewesen, Sir. In dem Fall hätte ich Sie gefordert.»

Ruhig antwortete Bolitho:»Sie finden mich jederzeit bereit, falls Sie es wagen sollten, mich oder diese Dame zu beleidigen. Zwingen Sie mich nicht dazu, den Ernst dieses Tages zu vergessen.»

Catherine sagte nur:»Bitte gehen Sie. Jedes weitere Wort wäre zuviel.»

Sporen und Säbel klirrten, als der Mann sich steif verabschiedete.

Bolitho mußte an den Ersten Offizier der Hyperion denken, der mit dem Schiff untergegangen war. Leutnant Parris war verwundet worden und hatte sich erschossen, um nicht unter das Messer des Chirurgen zu kommen. Aber zuvor hatte er ihm noch seine unselige Leidenschaft für Somervell gestanden. Der arrogante Oberst Collyear war sicherlich auch so ein Männerfreund des Viscount gewesen.

Jenour lehnte an einer Säule.»Ist sein Steward noch im Haus?«fragte ihn Catherine.

«Ja, Mylady. Ich fand ihn in seinem Zimmer, weinend.»

«Geben Sie ihm sein Geld und schicken Sie ihn weg. Ich möchte ihn nicht mehr im Hause haben. «Sie wandte sich an Bolitho.»Dieses Haus gehört nun mir, aber mein Heim wird es nie. «Sie küßte ihn.»Ich könnte dich hier nicht umarmen.»

Als die Diener Stroh auf der Straße ausgebreitet hatten, um den Lärm vorbeirollender Kutschen zu dämpfen, und die Haustür abgeschlossen war, saßen beide immer noch vor dem Kaminfeuer, das langsam verglühte.

Ozzard legte später Holz nach, sah, daß beide auf der Couch unter Bolithos schwerem Mantel ruhten, und verließ den Raum. In der Küche stieß er auf Allday.

«Trink einen Schluck mit«, schlug der Bootssteurer vor.»Übrigens, du bist doch ein gelehrter Mann…»

«Wieso?«Ozzard verbarg seine Überraschung. Ahnte Allday etwas, wußte er gar, was damals im Haus des Schreibers geschehen war?

«Ich habe hier ein Buch gefunden über Schafzucht. Lies mir daraus vor.»

Der große Bootssteurer und der kleine Diener ließen sich am Küchentisch nieder.

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