V Wofür sie sterben müssen

«Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Sir Richard?«Der junge Hauptmann starrte Bolitho entgegen, der den sanft ansteigenden Strand emporstieg, als sei er gerade von einem anderen Stern gekommen.

Bolitho sah sich um. In der Bucht ankerten die englischen Schiffe dicht an dicht und zwischen ihnen und dem Festland waren alle Arten von kleinen Booten unterwegs. Einige setzten rotgekleidete Infanteristen ab, die durch das flache Wasser an Land wateten, andere waren so schwer mit Waffen und Ausrüstung beladen, daß sie zu kentern drohten.

Bolitho sah seine Gig hastig zur Miranda zurückkehren. Tyacke war sicher froh, wenn er diese Bucht wieder verlassen konnte.

Hier an Land war es um vieles heißer als an Bord, wie kochender Dunst stieg die Hitze aus der Erde. Bolitho fluchte, denn er trug seine Ausgehuniform und seinen goldbetreßten Hut für diesen Besuch beim Heer. Während er dem jungen Offizier folgte, versuchte er einzuschätzen, wie weit die Truppen bei ihrer Landung gekommen waren. Es wimmelte hier von Soldaten. Einige schleppten Kanonenkugeln und Pulverfässer den Strand hinauf, andere marschierten in geschlossenen Formationen auf die Hügel zu. Man schaute ihm neugierig nach, doch seine Rangabzeichen besagten hier nichts. Einige Soldaten waren braungebrannt vom Garnisonsdienst in Indien, anderen sah man die Rekruten schon von weitem an. Aber alle schwitzten fürchterlich in ihren roten Röcken und waren mit Waffen und Gepäck schwer behängt.

«Sieht nicht gut aus, Sir Richard. «Allday schob sich den Hut in die Stirn.

Weit weg hörte man leichtes Artilleriefeuer — englisches oder holländisches? Es klang ungefährlich und fern, aber die zugedeckten Toten am Wegesrand, die hier begraben werden sollten, redeten eine deutliche Sprache.

Der Hauptmann hielt an und deutete auf eine Reihe Zelte.»Hier liegt meine Kompanie, Sir Richard. Der General ist nicht da, wird aber sicher bald zurückkehren.»

Irgendwo brüllte ein Mann vor Schmerzen, wahrscheinlich im Lazarettzelt. Die Invasion ging wirklich ziemlich langsam voran, das Lazarett hätte längst hinter die Hügel verlegt sein müssen.

Der Hauptmann ließ Bolitho in ein Zelt eintreten, dessen Boden Teppiche bedeckten. Die Ordonnanzen hatten sicher lange suchen müssen, bis sie ein so großes ebenes Stück Boden entdeckt hatten. Ein Oberst mit sorgenvollem Gesicht erhob sich müde von einem Feldstuhl und verneigte sich.

«Ich kommandiere das 61. Regiment, Sir Richard. «Er schüttelte Bolithos Hand.»Wir wußten, daß Sie hier irgendwo kreuzen, aber nicht, daß Sie mitten unter uns sind. Leider hatten wir keine Zeit, Sie gebührend zu empfangen.»

Bolitho entdeckte oben im Zelt ein Loch, und der Oberst folgte seinem Blick.»Ein Scharfschütze schlich gestern abend durch unsere Linien. Er versprach sich hier wohl ein wertvolles Ziel. «Er nickte einer Ordonnanz zu, die mit gefüllten Gläsern erschienen war.»Das wird Ihren Durst stillen, während wir auf den General warten.»

«Hatte der Gegner mit uns gerechnet?»

«Er hat, Sir Richard. Und alle Vorteile sind auf seiner Seite. Aber er kämpft nicht soldatisch. Der Scharfschütze zum Beispiel trug keine Uniform, sondern Lumpen. Er tötete zwei meiner Männer, ehe wir ihn erwischten. Das ist nicht ehrenhaft.»

«Ich glaub', ich hab' den Mann draußen an einem Baum hängen sehen, Sir Richard«, bemerkte Allday trocken.

Der Oberst starrte ihn an, als sähe er ihn zum ersten Mal.»Wer sind denn Sie?»

«Meine Begleitung, Oberst«, sagte Bolitho knapp. Er sah, wie Allday sich ein Glas Wein vom Tablett nahm. Es schien in seiner Faust zu schrumpfen.

Der Oberst trat an einen Tisch voller Karten.

«Der Feind zieht sich zurück, wenn wir ihm nachsetzen. Er stellt sich nicht zum Kampf. Deshalb dauert alles viel zu lange. «Er sah Bolitho scharf an.»Und wenn Sie uns jetzt sagen, daß wir keinen Nachschub und keine Verstärkung bekommen, dann werden wir Kapstadt erst in ein paar Monaten statt in wenigen Wochen einnehmen.»

Hufe klapperten draußen, Kommandos wurden gerufen, Präsentiergriffe knallten. Der General betrat das Zelt, warf Hut und Handschuhe auf einen Stuhl. Er war ein zierlicher Mann mit durchbohrenden blauen Augen. Offenbar einer, der von seinen Untergebenen nur das forderte, was er selber zu leisten bereit war.

Sir David gab einige Befehle und verlangte dann, daß man sie allein ließ. Allday, der inzwischen drei Gläser Wein intus hatte, murmelte:»Ich bleibe in Hörweite, Sir Richard.»

Als die Zeltklappe fiel, murmelte der General:»Ein ungewöhnlicher Kerl…»

«Er hat mir schon einige Male das Leben gerettet und meinen Verstand noch öfter.»

Der Blick des Generals wurde etwas freundlicher.»Von seiner Sorte könnte ich hier ein paar tausend gebrauchen. «Das Lächeln verschwand wieder.»Die Landung hat geklappt, Commodore Popham hat wahre Wunder vollbracht. Und bis auf die unvermeidlichen Ausfälle lief zunächst alles gut. «Ernst sah er Bolitho an.»Aber jetzt sagt man mir, daß ich keine Verstärkungen erhalte. Ja, Sie wollen sogar noch einige Fregatten abziehen!»

Bolitho mußte an seinen Freund Thomas Herrick denken. Auch dessen Augen strahlten so blau, blickten so ernst und verläßlich.

«Was ich will, spielt keine Rolle, Sir David«, sagte er knapp.»Der König hat die Befehle unterschrieben, nicht ich.»

«Ich hätte trotzdem gern gewußt, wer ihm die Hand dabei führte.»

«Davon habe ich nichts gehört«, antwortete Bolitho. Der General lächelte gequält.»Das hängt auch keiner an die große Glocke.»

Wie zwei Duellanten, die sich plötzlich eines Besseren besannen, traten sie an den Kartentisch, und Bolitho legte seine Karte über alle anderen.»Sie sind Soldat, ich bin Seemann. Aber ich weiß, wie wichtig der Nachschub für die kämpfende Truppe ist. Der Feind erwartet bestimmt Verstärkung. Wenn die eintrifft, ehe Sie Kapstadt einnehmen können, Sir David — welche Chance für einen Sieg haben Sie dann noch?»

Der General schwieg lange, studierte die Karte und die Notizen, die an sie geklammert waren. Schließlich sagte er mit belegter Stimme:»Dann haben wir kaum noch Chancen. «Etwas von der früheren Schärfe kehrte in seinen Ton zurück:»Aber es ist die verdammte Pflicht der Marine, genau das zu verhindern. Blockieren Sie den Hafen, wehren Sie jeden Eindringling ab!«Das hörte sich fast wie eine Anklage an.

Bolitho dachte an die Handvoll Schiffe unter seinem Kommando. Jeder Kommandant wußte, was er zu tun hatte. Die drei Fregatten würden vor dem Kap kreuzen und das umliegende Seegebiet absuchen. Die beiden Schoner hatten den Kontakt zwischen ihnen und Kommodore Warren zu halten. Trotzdem konnten bei Dunkelheit feindliche Schiffe leicht zwischen ihnen durchbrechen und in den Schutz der Küstenbatterien gelangen. Dann blieben ihre Chancen so mäßig wie bisher, und ein Eindringen in die Bucht würde bestenfalls zu einem Waffenstillstand führen. Den schlimmsten Ausgang aber wollte sich Bolitho gar nicht vorstellen: daß die britischen Truppen sich geschlagen zurückziehen mußten, weil sie keinen Nachschub bekamen und der Feind hinhaltenden Widerstand leistete. Diese Niederlage würde durch ganz Europa schallen. Der grandiose Sieg bei Trafalgar war bestimmt schnell vergessen, wenn das Heer Kapstadt nicht einnehmen konnte. Die unfreiwilligen Alliierten Napoleons würden dann enger an ihn gefesselt werden, und der Widerstandswille in England konnte bröckeln.

«Keiner von uns hat sich nach diesem Auftrag gesehnt, Sir David.»

Aber der General wandte sich dem jungen Hauptmann zu, der plötzlich im Zelteingang stand.»Ja?»

«Eine Meldung von Major Browning, Sir. Er möchte seine Artillerie verlegen.»

«Er soll nichts tun, bis ich dort bin. Und lassen Sie mein Pferd holen. «Dann wandte er sich wieder Bolitho zu.»Ihre Nachricht wirft uns zurück, trotzdem verlasse ich mich auf Sie. Nicht weil ich an meinen Offizieren und Männern zweifle, sondern weil ich keine andere Wahl habe. Man wird die Lage am Kap genau beobachten. Wenn hier alles klappt, wird es auch in Europa gegen Napoleon vorangehen. Vergessen wir nicht, ein Sieg ist trotz aller Triumphe auf See erst errungen, wenn der Infanterist das feindliche Land besetzt hat.»

Stimmen erklangen draußen und der müde Hufschlag eines Pferdes, das zu einem neuen Gewaltritt gesattelt wurde. Der General leerte ein Glas Brandy und griff nach Hut und Handschuhen.»Sie erinnern mich an Nelson«, sagte er spöttisch.»Der war ein guter Seemann und hielt sich auch für einen guten Infanteriebefehlshaber.»

Kühl antwortete Bolitho:»Die Marine hat Bastia erobert und Calvi eingenommen, nicht die Infanterie.»

«Gut pariert. «Der General verließ das Zelt. Bolitho folgte ihm. Soldaten marschierten vorbei und wirbelten roten Staub auf. Der General drehte sich um.»Schauen Sie sich diese Leute an. Wofür werden sie sterben müssen?»

Bolitho sah Allday unten am Strand das Beiboot heranwinken.»Wenn Sie mich besser kennten, würden Sie mir eine solche Frage nicht stellen.»

Die blauen Augen des Generals waren kalt wie Eis, als er in den Sattel stieg.»Aber ich kenne Sie nicht, habe nur von Ihnen gehört, Sir Richard. Und ich frage nicht, als Soldat bitte ich Sie um Ihre

Hilfe!»

Der Oberst begleitete Bolitho den Strand hinunter zum Beiboot.»So habe ich den General noch nie erlebt, Sir Richard«, sagte er. Dann salutierte er zum Abschied.»Ich hoffe, wir sehen uns wieder.»

Bolitho musterte den flach abfallenden Strand.»Entweder in Kapstadt oder in der Hölle.»

Als sie den ankernden Schoner fast schon erreicht hatten, wandte sich Bolitho an Allday.»Erinnerst du dich an die Achates?»

Der Bootssteurer zog eine Grimasse und rieb sich die Brust.»Die vergesse ich bestimmt nicht. Aber das ist vier Jahre her.»

Bolitho legte ihm die Hand auf den Arm.»Trotzdem, mein Freund. Weißt du noch, wie wir sie fast verloren hätten?»

Allday spürte, daß es ihm trotz der Mittagshitze eiskalt über den Rücken lief.»Sie denken an einen Brander, Sir?«Er senkte die Stimme, die Männer an den Riemen sollten nichts mitbekommen.

Doch Bolitho sprach laut weiter.»Ich weiß, was ich damit von den Leuten verlange. «Ein Fisch sprang aus dem Wasser, fiel zurück.»Aber sonst verlieren wir noch mehr Männer und Schiffe.»

Der Rudergänger im Beiboot konzentrierte sich ganz auf das Anlegemanöver bei der Miranda. Schließlich würden sie wohl nie wieder einen Flaggoffizier an Bord haben. Niemand im Boot ahnte, was Bolitho durch den Kopf ging. Er sagte zu Allday:»Mr. Simcox hat etwas Wichtiges über den Wind hier gesagt. Es muß bald sein, denn der Feind könnte Anker lichten und davonsegeln. Aber wir können nur Freiwillige gebrauchen.»

Allday biß sich auf die Lippen. Die Männer auf dem Schoner waren ihm fremd, nicht Bolithos Leute, die mit ihm durch dick und dünn gegangen waren. Trotzdem… Er erinnerte sich an die Achates, wie sie in San Felipe vor Anker gelegen hatte. Das fremde Schiff hatte sich ihr scheinbar harmlos genähert und war dann in Flammen aufgegangen und auf sie zugetrieben. Wenn es etwas Schlimmeres gab, als einen Brander abzuwehren, dann war es für die eigenen Leute, diesen Brander zu bemannen. Dafür Freiwillige finden? Die waren so selten wie Jungfrauen in Seemannskneipen.

Bolitho griff in die Rüsten, als das Boot an der Miranda längsseits ging und die Mannschaft die Riemen hob. Er sah Allday an.»Trotzdem haben wir keine andere Wahl. «Damit zog er sich über das Schanzkleid und sprach sofort mit Tyacke. Der würde es dem Admiral kaum danken, schätzte Allday, nicht nach dem schrecklichen Brand, der ihm diese furchtbare Wunde beigebracht hatte.

Bolitho fühlte sich von Kommodore Warren beobachtet, als er Ozzard sein verschwitztes Hemd zuwarf und in ein frisches schlüpfte. Dann trat er zu den Heckfenstern in der Kajüte der Themis und sah ungeduldig zu, was auf dem nahen Versorger und dem gekaperten Sklavenhändler geschah. Wie lange brauchten die Leute bloß, um den Angriff vorzubereiten? Die Zeit wurde knapp. Und es war wichtig, daß Warren genau verstand, was er vorhatte.

«Der Schoner Dove wird Ihre Signale als Relaisstation an die Fregatten weitergeben, die draußen patrouillieren. «Bolitho sah im Geist die Searcher — eine Fregatte mit sechsunddreißig Kanonen — hinter dem Horizont kreuzen: Warrens erste Verteidigung gegen jeden Feind, der sich von Westen näherte. Der zweite Schoner hielt Kontakt zum Geschwader in der Saldanhabucht. Jeder Kommandant konnte selbst entscheiden, was er bei drehendem Wind oder bei Annäherung eines feindlichen Schiffes tun wollte, der Leutnant auf dem Schoner genauso wie der Kapitän der Fregatte. Das hatte Bolitho in seinen Befehlen präzise festgelegt. Aber einen Kampf Breitseite gegen Breitseite durfte es nur auf Befehl des Kommodore geben.

Warren protestierte:»Ich bin dagegen, Sir Richard. Wenn Sie bei diesem Handstreich fallen oder in Gefangenschaft geraten, wie soll ich das London erklären?»

Bolitho sah ihn mitleidig an. Als ob es dann noch auf Erklärungen ankäme. Hatte Varian mit seinem abfälligen Urteil über Warren vielleicht doch recht?» Ich lasse Ihnen dazu einige Briefe hier«, antwortete er.»Aber machen Sie sich darüber keine Sorgen. Es gibt in London einige, die das ganz gerne sähen.»

Allday kam mit dem alten Familiendegen und legte ihn Bolitho um. Er hatte seine kurze blaue Jacke und die weiße Leinenhose angezogen. Jetzt ermahnte er Ozzard mit einem Blick auf den prunkvollen Degen an der Wand:»Paß mir ja gut auf den auf!»

Bolitho beugte sich über die Seekarte. Die Truculent unter Kapitän Poland mußte inzwischen westlich der Tafelbucht stehen und auf die Miranda und ihre gefährliche Begleitung warten. Im Südwesten stand Varian mit ihrer stärksten Fregatte, der Zest. Wenn der Angriff gelang, sollte Varian die Schiffe verfolgen, die vor dem Brander auf die offene See flohen. Es war unwichtig, ob der Feind die Albacora wiedererkannte. Nur für die Männer an Bord war das von Bedeutung, die im letzten Augenblick in die Boote steigen mußten.

An der Tür meldete der Posten:»Der Schiffsarzt, Sir!»

Der Eintretende war so hager wie Warren und schien kein Lächeln zu kennen.»Tut mir leid, Sir, aber der Midshipman der Miranda möchte sofort auf sein Schiff zurück«, berichtete er.

Warren runzelte verärgert die Stirn.»Das müssen Sie entscheiden. Ich habe jetzt keine Zeit.»

«Geht's dem Fähnrich wieder besser?«fragte Bolitho.

Der Schiffsarzt schien verwirrt von der goldbetreßten Uniform, die Bolitho jetzt statt des gewohnten Hemdes trug.»Es ist eine schwere Wunde, Sir. Und ein tapferer junger Mann. «Mehr sagte er nicht.

«Dann soll er zu uns auf die Miranda kommen. Kümmern Sie sich bitte darum, Stephen. «Als der Flaggleutnant aufatmete, fügte Bolitho hinzu:»Ja, diesmal kommen Sie mit. Wenn Allday mein rechter Arm ist, dann sind Sie mein linker.»

Er erinnerte sich, wie Jenour ihn angesehen hatte, als er vor ein paar Stunden auf sein Flaggschiff zurückgekommen war. Ein Kurier hatte Depeschen überbracht und es so eilig gehabt, daß er nicht einmal ankerte.»Im Umschlag Ihrer Lordschaften ist auch ein privater Brief für Sie, Sir Richard.»

Bolitho drehte sich um.»Von wem?»

«Von Ihrer Lady«, hatte Jenour schnell geantwortet, und als er Bolithos Frage spürte, sofort hinzugefügt:»Aus Falmouth.»

Endlich, der erste Brief von Catherine! Hätte Belinda ihm geschrieben, hätte sie nur wieder mehr Geld für ihre aufwendige Lebensführung verlangt. Nun trug er Catherines Brief ungeöffnet in der Tasche bei sich, bis er in der drangvollen Enge der Miranda irgendwo ein Plätzchen fand, um ihn ungestört zu lesen. Nach dem Angriff würde er ihr antworten und all seine Sehnsucht in die dürren Worte legen. Und falls er fallen sollte? Dann lag im Safe des Schiffes ein Brief für sie.

Bolitho verließ die Kajüte. Draußen wartete Ozzard mit seinem Hut.»Wenn wir dies hier erledigt haben, geht's zurück nach Falmouth. «Seltsamerweise stieg bei diesen Worten Furcht in Ozzards Augen auf.»Hier bist du gut aufgehoben. Kommodore Warren wird sich um dich kümmern.»

Als er zum Fallreep eilte, folgten ihm alle Blicke. Sicher war man froh, daß er das Schiff verließ. Sein Bleiben schien nur Gefahr zu signalisieren.

Langsam sank die Sonne, hielt sich noch als feuriger Ball über ihrem eigenen Spiegelbild. Der Horizont leuchtete wie ein glühender Draht. Commodore Warren nahm den Hut ab, die Pfeifen schrillten, und die Seesoldaten präsentierten das Gewehr. Bolitho stieg ins Beiboot und sah den Midshipman neben Jenour und Allday sitzen.

«Guten Tag, Mr. Segrave. «Der Junge antwortete etwas, aber es blieb ungehört, weil das Boot ablegte und die Riemen ins Wasser tauchten.

Jenour sah zurück, froh, daß er nicht bei Yovell und Ozzard auf der Themis bleiben mußte. Er prüfte die Sorgleine, die sein Handgelenk mit dem Degenkorb verband, und schob das Kinn vor.

Allday sah die Sonne untergehen. Ihr Rot bedeutete diesmal Tod — für Freund oder Feind? fragte er sich.

«Und was steckt noch in Ihrem Postsack, Stephen?«fragte Bolitho in die Stille hinein.

«Eine Nachricht für die Miranda, Sir Richard. «Jenour dachte an den Privatbrief für Bolitho. Wie wichtig er für ihn gewesen war! Da befehligte der Mann mit kühlem Kopf eine ganze Flotte, aber ein einziger Brief aus Falmouth machte ihn weich und verletzlich.

Als Bolitho an Bord der Miranda kletterte, begrüßte Tyacke ihn an der Reling. Über das dunkle Wasser hinweg sahen sie die Albacora im Schein der untergehenden Sonne daliegen.

Der schmutzige Schoner sah aus, als ob er schon in Flammen stünde.

«Wir haben unser Bestes getan, Sir Richard«, berichtete Tyacke.»Sie hat keine Stückpforten, also haben wir Löcher ins Deck geschnitten. Trotzdem wird sie brennen wie eine Fackel, wenn's so weit ist. «Beide Schoner würden Anker lichten, sobald es dunkel genug war, und sich davonstehlen wie Diebe in der Nacht.»Früh morgens sollten wir dann auf die Truculent stoßen«, fuhr Tyacke fort.»Da werden Sie es dann bequemer haben als hier.»

Im rötlichen Sonnenlicht sah Tyackes entstelltes Gesicht aus, als blute es.»Ich brauche keine Bequemlichkeit«, antwortete Bolitho.»Ich habe hier gefunden, was ich suchte. Wenn alle Schiffe so geführt würden wie Ihres.»

Abrupt drehte sich Tyacke um.»Es gibt noch viel für mich zu tun, Sir. Bitte entschuldigen Sie mich.»

Die riesige rote Sonnenscheibe rutschte unter die Kimm. Eigentlich müßten dort Dampfwolken aufsteigen oder der Rauch einer Explosion, dachte Midshipman Segrave. Er stand am Niedergang, als Simcox ihn fand.»Heute wird es eng an Bord«, scherzte er.»Mal sehen, ob wir einen Platz für Sie finden. «Dann wurde er ernst.«»Bob Jay hat mir von Ihren alten Narben erzählt. «Und als der Junge ihn wütend anstarrte:»Das war seine verdammte

Pflicht mir gegenüber.»

Segrave ballte die Fäuste.»Dazu haben Sie kein Recht!»

«Wollen Sie mir meine Rechte erklären, Mr. Segrave? Ich trage des Königs Rock ein paar Jahre länger als Sie. Sagen Sie mir also nicht, was ich darf und was nicht. «Simcox' Gesicht war nur eine Handbreit von dem Segraves entfernt.»Man hat Sie auf Ihrem alten Schiff ausgepeitscht wie einen tollen Hund, daher die Narben. Irgendjemand wollte Ihnen zeigen, welche Macht er hat und wie schwach Sie sind. «Der Junge nickte betroffen.»Das ist jetzt vorbei. Jay wird nie vergessen, daß Sie ihm das Leben gerettet haben. «Er legte ihm die Hand auf die Schulter.»Ich mußte übrigens auch das dem Kommandanten melden.»

Segrave wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel.»Es war wohl Ihre Pflicht«, sagte er mit zitternder Stimme.

«Alles klar jetzt?«fragte Simcox.

«Nein. «Der Junge schüttelte verzweifelt den Kopf.»Ich habe auf der Themis gehört, daß ich auf mein altes Schiff zurück muß, wenn wir Kapstadt hinter uns haben. «Er stieg den Niedergang hinunter.»Verstehen Sie jetzt?»

Als die Dunkelheit fiel und die Sterne am dunklen Himmel hervortraten, saß Bolitho in seiner Kajüte am Tisch. Er hörte an Deck Kommandos und das Quietschen der Ankerwinde, als der Anker kurzstag gehievt wurde. Jay, der Mastergehilfe, war mit einer kleinen. Prisenmannschaft drüben auf der Albacora. Auf der Miranda mußte die reduzierte Mannschaft deshalb härter als sonst arbeiten und Wache um Wache gehen.

Tyacke schaute herein.»Wir können ankeraufgehen, Sir. Haben Sie noch Befehle?«Das klang anders als sonst.

«Gibt's Probleme?«fragte Bolitho.

«Ja. Ich habe neue Befehle bekommen: Segrave und Simcox müssen die Miranda verlassen, wenn das alles vorbei ist. «Tyacke versuchte zu lächeln, aber es mißlang ihm.»Ben Simcox ist ein alter Freund von mir. Und über den Midshipman denke ich jetzt auch anders.»

«Ich weiß. «Bolitho sah die Überraschung auf Tyackes entstelltem Gesicht. Als er weitersprach, bemerkte Tyacke zum erstenmal die fürchterliche Narbe auf Bolithos Stirn, die eine Strähne nur halb verdeckte.»Einer meiner Flaggleutnants bezeichnete meine Kommandanten und mich einmal als >eine kleine Schar Beglückten. Aber wir wurden immer weniger. Ich weiß, was es heißt, einen Freund zu gewinnen und ihn sofort wieder zu verlieren. Man könnte manchmal meinen, es sei besser, mit niemandem befreundet zu sein.»

Oben rief eine Stimme: «Albacora nimmt Fahrt auf!»

«Tut mir leid«, entschuldigte sich Tyacke,»ich wollte nicht an alte Wunden rühren.»

«Verstehe«, lächelte Bolitho.»Übrigens werde ich morgen Freiwillige brauchen.»

Tyacke drehte sich an der Tür um.»Keine Sorge, Sir Richard. Auf diesem Schiff werden Sie genügend Freiwillige finden. «Dann war er verschwunden. Sekunden später erklang der Ruf von Deck:»Anker auf!»

Bolitho blieb nachdenklich sitzen und hörte den Lärm oben nicht. Er brauchte Männer wie Tyacke und seine Besatzung nicht nur für den Kampf. Aber ob sie das je verstehen würden?

Dann öffnete er bedachtsam Catherines Brief. Ein Efeublatt fiel heraus. Er hielt den Brief dicht unter die schwingende Lampe und las: «Mein Geliebter. Dieses Blatt stammt von Deinem Haus, meinem neuen Heim ...»

Da legte er den Brief zur Seite, denn die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen.

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