IV Wer suchet, der findet

In der Achterkajüte der Themis war es heiß wie in einem Ofen trotz der offenen Stückpforten und der Sonnensegel über den Niedergängen. Bolitho saß am Tisch und prüfte den Inhalt der Ledertasche, die ihm von der Miranda geschickt worden war. Commodore Warren hockte zusammengesunken in einem Sessel, blickte mit aschfahlem Gesicht nach draußen und hoffte auf ein wenig frische Luft. Ab und zu zupfte er sich das Hemd oder die Uniformjacke vom schweißnassen Körper.

Neben Bolitho machte sich Yovell, der rundliche Schreiber, eifrig Notizen und schob dabei immer wieder seine goldgefaßte Brille hoch.

«Hat Sie die Antwort des Generals überrascht, Sir Richard?«fragte Warren plötzlich.

Bolitho hob den Blick. Was die echte Karte der Albacora zeigte, war interessant. Doch was der lange Brief eines französischen Kaufmanns aus Kapstadt enthielt, war noch wichtiger.

«Ich hab' sie erwartet, Commodore«, antwortete er.»Sir David Bairds Soldaten werden jetzt gerade landen. Das können wir nicht mehr verhindern.»

Leutnant Jenour an den Heckfenstern beobachtete, wie reglos die Miranda über ihrem Spiegelbild auf dem unbewegten Wasser stand. Ihr Kommandant hatte gerade noch Glück gehabt, denn jetzt war der Wind völlig eingeschlafen. Er drehte sich um, als Bolitho sagte:»Ihr Französisch ist doch hervorragend, Stephen. Fiel Ihnen etwas auf, als Sie mir diesen Brief übersetzten?»

Jenour versuchte, die Hitze zu ignorieren. Bolitho sah von ihnen allen am frischesten aus, wie er so in Breeches und Hemd am Tisch saß; sein Uniformrock lag über einer Seekiste. Seit Mirandas Segel in der Morgendämmerung an der Kimm aufgetaucht waren, war er ruhelos in seiner Kajüte auf und ab gegangen. Jetzt, in der Mittagshitze, hörte man gereizte Stimmen an Deck. Diese Sonnenglut und das Warten war gefährlich für die Disziplin. Auf See und in Fahrt wäre es anders gewesen.

Jenour rieb sich das Kinn.»Ich konnte keinen Code entdecken, Sir Richard. Solche Briefe schreibt ein Kaufmann dem anderen und läßt sie per Schiff befördern. Es ist doch nicht ungewöhnlich, daß französische Kaufleute in Kapstadt leben, oder?»

Bolitho rieb sich die Stirn. Der Brief enthielt ein Geheimnis, ganz bestimmt. Aber warum konnte es selbst der kluge Jenour nicht entdecken?

Yovell, der in seine Notizen starrte, hatte den richtigen Einfall.»Es ist die Schlacht von Trafalgar, Sir. Der Schreiber berichtet darüber seinem Freund.»

Bolitho sah seine Männer an.»Sehr gut, Yovell. Die Truculent segelte ungeheuer schnell von England hierher, und niemand hier wußte bei unserer Ankunft von der Schlacht und Nelsons Tod. Bis auf diesen Briefeschreiber. Der Sklavenhändler muß den Brief also von einem Franzosen bekommen haben, der vor uns hier ankam!»

Warren tupfte sich sorgfältig den Mund ab.»Ein französisches Kriegsschiff?»

Jenour ballte ungläubig die Fäuste.»Sollte es vor Brest die Blockade durchbrochen haben?»

«Der Schlüssel liegt in Kapstadt, meine Herren. Aber ich weiß noch nicht, wo. «Bolitho beugte sich über die Karte.»Lassen Sie den Kommandanten der Miranda rufen, Stephen.»

Als Jenour schon die Kajüte verlassen wollte, räusperte sich Warren entschuldigend.»Ich hatte es ganz vergessen, Sir Richard, aber Leutnant Tyacke ist bereits an Bord. Er brachte die Tasche persönlich.»

Bolitho spürte Ärger in sich aufsteigen. So ging das nicht: zwei Fregattenkapitäne, die einander haßten, und ein Commodore, den die ganze Operation nicht im geringsten interessierte. Dazu ein Haufen Schiffe, die noch nie miteinander manövriert hatten. Das mußte geändert werden, schnell. Doch zuerst kam Tyacke.

«Bitten Sie ihn rein, Stephen.»

Warren fuhrt verlegen fort:»Sie müssen wissen, daß Leutnant Tyacke….»

Jenour trat in der Nachbarkajüte auf den Mann zu, der aus der Stückpforte auf das stille Wasser blickte, die Hände auf dem Rücken verschränkt.»Würden Sie bitte nach nebenan kommen? Sir Richard Bolitho wünscht Sie zu sprechen.»

Man hatte dem Leutnant wenigstens eine Erfrischung angeboten, wahrscheinlich ein Glas von diesem schrecklichen Rotwein.»Tut mir leid, wir wußten nicht, daß Sie noch an Bord sind. «Entsetzt starrte Jenour in das zerstörte Gesicht Tyackes. Wie konnte er damit nur leben?

«Und wer sind Sie?«fragte Tyacke scharf. Dann sah er das Gold auf Jenours Schulterstück.»Flaggleutnant, ach so.»

Wieder mußte sich Jenour entschuldigen.»Ich wußte nicht, daß Sie.»

Tyacke rückte seinen Säbel gerade und drehte sich weg.»Ich bin solche Blicke gewöhnt, Sir. Aber Freude machen sie mir nicht. «Er ließ sich seinen Ärger anmerken. Was waren das für Kameraden, die ihn so anstarrten?

Er bückte sich, trat in die große Kajüte und blieb überrascht stehen. Den Commodore hatte er schon einmal gesehen, also mußte der bebrillte Mann in einfacher blauer Uniformjacke der berühmte Bolitho sein. Nicht gerade eine Heldenfigur. Aber die meisten Flaggoffiziere, die Tyacke bisher getroffen hatte, sahen nicht aus wie Bühnenhelden.

«Bitte entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit, Mr. Tyacke. «Bolitho kam aus dem Schatten, und Yovell zog sich zurück.»Ich wußte nicht, daß Sie noch an Bord sind. Bitte nehmen Sie Platz.»

Tyacke setzte sich unsicher. War er zu lange auf See gewesen, daß er sich so täuschen konnte? Der Mann im weißen Hemd, der ihn so freundlich begrüßte, sollte ein Admiral sein? Er schien kaum älter als er selbst zu sein, obwohl er näher an Fünfzig als an Vierzig sein mußte. Nur die scharfen Linien um seinen Mund und eine weiße Haarsträhne über der Stirn verrieten, daß er kein Jüngling mehr war. Dazu offene graue Augen. Tyacke fühlte sich plötzlich wie ein Midshipman, so stumm und verlegen.

«Ihr Fund auf dem Sklavenschiff war für uns wichtiger, als Sie ahnen. «Bolitho lächelte und sah dadurch noch jünger aus.»Ich lote gerade aus, was in ihm steckt.»

Die Tür öffnete sich, und ein kleiner Steward kam über den gewürfelten Teppich auf Tyacke zu.»Ein Glas Rheinwein, Sir?«Er beobachtete den Leutnant und fügte hinzu:»Er ist schön kühl, Sir. «Offenbar war das etwas Besseres, als sonst auf dem Flaggschiff angeboten wurde.

Tyacke trank. Der Steward hatte genau wie der Admiral beim Anblick seines Gesichts mit keiner Wimper gezuckt und ihn auch nicht neugierig oder entsetzt angestarrt. Bolitho beobachtete den Leutnant. Ein gezeichneter Mann, Überlebender einer furchtbaren Seeschlacht.»Wo ist die Albacora jetzt?»

Tyacke riß sich aus seinen Gedanken.»Sie wird in zwei Tagen hier sein, Sir Richard. Ich ließ eine kleine Prisenbesatzung an Bord. Und einen verletzten Midshipman.»

Bolitho nickte.»Ich habe in Ihrem Bericht von ihm gelesen. Scheint ein tapferer junger Mann zu sein.»

«Mich hat er überrascht«, gab Tyacke zu.

Bolitho wandte sich seinem Sekretär zu.»Yovell, schreiben Sie einen Befehl für unseren anderen Schoner aus. Ich möchte, daß die Albacora bei einem großen Versorgungsschiff längsseits geht, dem Land abgekehrt und nachts. Von Land aus darf man sie auf keinen Fall entdecken. Der Schoner soll sie abfangen. Würden Sie sich bitte darum kümmern, Commodore Warren?»

Warren richtete sich auf, aber ein heftiger Husten überfiel ihn.

«Ich möchte auf Ihrem Schoner mitsegeln, Mr. Tyacke«, fuhr Bolitho fort und registrierte Überraschung und Unglauben im Gesicht des anderen.»Ich bin kleine Schiffe gewöhnt, machen Sie sich also keine Sorge um meine — hm — Würde.»

Der Commodore verließ die Kajüte, doch Bolitho hörte ihn noch immer husten. Jenour sah dem Schreiber über die Schulter, der den Befehl in Schönschrift zu Papier brachte.

Einen Augenblick schien es, als seien sie beide allein in der Kajüte.»Wo ist das passiert?«fragte Bolitho leise.

Der Leutnant zuckte zusammen und hielt dann seinem Blick stand.»In der Schlacht bei Abukir, Sir. Ich war auf der Majestic.»

«Unter Kapitän Westcott. Ein guter Mann. Schade um ihn. «Der Admiral berührte vorsichtig das Lid über seinem verletzten Auge.»Bitte kehren Sie auf die Miranda zurück. Sobald Ihre Prise einläuft, sollten wir ankerauf gehen. Ich möchte mir das Kap genauer ansehen, auch das Land und die See dahinter. Hier an Bord bin ich zu nichts nütze.»

Als Tyacke die Kajüte verlassen wollte, rief ihn Bolitho noch einmal zurück.»Sie sind ein tapferer Mann, Mr. Tyacke. Geben Sie mir Ihre Hand. «Sein Griff war fest.»Sie haben mir Mut gemacht. Vielen Dank!»

Etwas verwirrt fand Tyacke sich im Beiboot der Miranda wieder. Simcox saß an der Pinne, aufgeregt und neugierig. Tyacke wartete, bis die Männer ihren Takt fanden; ohne Vorbereitung sagte er dann:»Der Admiral will mit uns zum Kap.»

«Ein Admiral? Auf der Miranda?»

Der Leutnant nickte nur.

Irgendwas war an Bord des Flaggschiffs vorgefallen, spürte Simcox. Irgend etwas Wichtiges. Hoffentlich hatte niemand Tyacke verletzt.»Ich wette, Sie haben vergessen, ihn um das Bier zu bitten!«sagte er.

Aber Tyacke hörte gar nicht zu.»Und wenn es sein muß, werden wir mit diesem Admiral zur Hölle und zurück segeln, so wahr ich hier sitze«, murmelte er. Dann schwiegen sie, bis das Boot an der Miranda festmachte.

Richard Bolitho quetschte sich in die Ecke seiner Koje auf der Miranda und streckte die Beine aus. Sie war weiß Gott ein unruhiges Schiff. Er war alle Arten von Seegang gewöhnt, aber hier an Bord meldete sich selbst sein abgehärteter Magen.

Tyacke war seit dem Ankerlichten an Deck geblieben. Obwohl Bolitho nur ein Stück blauen Himmel durch das Skylight sah, hoffte er auf stetigeren Seegang, wenn sie erst einmal weiterab von Land standen, jenseits der unruhigen Küstenströmung. Er bedauerte, daß Ozzard nicht mitgekommen war, der seine Wünsche erriet, noch ehe er sie aussprechen konnte. Aber auf diesem kleinen Schiff war der Raum zu beengt. Und die Mannschaft der Miranda hätte es sicher nicht gern gesehen, wenn er seinen eigenen Steward mitbrachte. Er hatte auf dem Weg in die Kajüte Überraschung, Neugier und Ablehnung in den Augen der Männer entdeckt. Sie sahen sein AnBord-Kommen nicht als Ehre, sondern als Eindringen eines Fremden. Gut, daß auch Jenour auf dem Flaggschiff geblieben war; seine Augen und Ohren waren dort nützlicher.

Bolitho hatte das Sklavenschiff neben einem der Versorger festmachen gesehen, war aber nicht an Bord gegangen. Er hatte von der Frau in der Achterkajüte gehört und von dem Deserteur, der jetzt in Eisen auf sein Urteil wartete. Aber Tyacke hatte in seinem Bericht sicherlich nicht alles erwähnt.

Er hörte, daß sich das Marssegel knallend im Wind blähte, und meinte zu spüren, wie das Schiff sich in seinen neuen Kurs fand. Dabei fiel ihm wieder Alldays Kritik ein:»Das ist nichts für einen Vizeadmiral. Jedes Kohlenschiff bietet mehr Bequemlichkeit.»

Allday war jetzt irgendwo an Deck, entweder immer noch allein oder schon neben einem neuen Kumpel bei einem Schluck Rum. Auf diese Weise erfuhr er in wenigen Stunden mehr über Besatzung und Schiff als Bolitho in einem ganzen Jahr.

Den verwundeten Midshipman hatte Tyacke auf der Themis in der Obhut des Arztes gelassen, aber nichts weiter erwähnt. Bolitho fragte sich, ob Tyacke immer so verschlossen war; nur der Master schien so etwas wie sein Freund zu sein. Tyacke war wohl schon immer ein einsamer Mann gewesen, und die schreckliche Entstellung vergrößerte diese Einsamkeit noch.

Bolitho entrollte die Karte unter einer schwingenden Laterne; sie schaukelte längst nicht mehr so wild wie noch vor kurzem. Die großen Segel eines Schoners waren wie Flügel, sie hielten das Schiff mit seinem großen Tiefgang in einem Seegang, in dem andere Schiffe wie Korken getanzt hätten, auf relativ ebenem Kiel.

Bolitho studierte die Tiefenangaben auf der Karte, die Peilungen und Landmarken und rieb sein linkes Auge. Er schwitzte. Allday hatte wohl doch recht: Die Miranda war wirklich kein bequemer Aufenthaltsort. Die kleine, vollgestopfte Kajüte erinnerte ihn an seine frühere auf dem Kutter Supreme. 1803 hatten die Franzosen ihn aufgebracht und das Feuer eröffnet. Dabei war eine Kanonenkugel in einen Eimer Sand geschlagen und hatte ihn umgeworfen, mittags im hellsten Sonnenlicht. Als man Bolitho danach wieder auf die Beine half, umgab ihn Dunkelheit. Sein linkes Auge machte ihm seither Schwierigkeiten, und auf der Hyperion hätte er deshalb fast das Leben verloren. Die Folge der Verletzung war ein Nebel, der ihn manchmal halb erblinden ließ. Der berühmte Chirurg Sir Piers Blachford hatte Bolitho gewarnt: Er müsse sich schleunigst an Land untersuchen und behandeln lassen, wenn er das linke Auge nicht verlieren wollte. Aber eine Garantie für den medizinischen Erfolg konnte auch Blachford nicht geben.

Bolitho meinte, tief im Innern des Auges Schmerz zu fühlen. Das war nur Einbildung oder Furcht, schalt er sich. Natürlich hätte er an Land bleiben sollen zur Behandlung. Aber Männer mit seiner Erfahrung wurden auf See gebraucht, besonders nach der Schlacht von Trafalgar, seit Nelson gefallen war und der Feind an Land immer noch unbesiegt. Bald würde sein nächster Angriff erfolgen.

Die Tür flog auf, Tyacke ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. Er atmete hastig wie nach einem Zweikampf, und sein Hemd war völlig durchnäßt. Unwillkürlich hatte er sich so gesetzt, daß sein entstelltes Gesicht im Schatten blieb.

«Wir laufen rechtweisend Süd, Sir«, berichtete er.»Der Wind schralt ein bißchen, aber das ist gut für den Fall, daß wir schnell über Stag gehen müssen. Sind Sie sicher, daß Sie auf Ihre Rangabzeichen verzichten wollen?»

Bolitho lächelte. Von der Decke hing sein Uniformrock ohne Schulterstücke; er sah aus wie der Tyackes.»Nicht immer sagt das Etikett etwas über den Inhalt aus. Ich hoffe, Ihre Leute fühlen sich wohler, wenn sie mich ohne Epauletten sehen. Ich möchte es so, also machen Sie sich keine Gedanken. Ist Ihre Besatzung wohlauf?»

«Bis auf einen Mann — ja. Mit dem muß ich noch reden. «Das klang etwas besorgt.»Eine interne Sache, Sir Richard, die mit unserem Auftrag nichts zu tun hat.»

«Schon gut. «Bolitho faltete die Karte zusammen. Die Mannschaft der Miranda war vollzählig bis auf den Midshipman, der das Leben des Mastergehilfen gerettet hatte. Eine interne Sache, hatte Tyacke gesagt. Also nicht meine, dachte Bolitho.

Tyacke sah ihn lächeln und entspannte sich etwas.»Es wird gleich zu essen geben, Sir.»

Bolitho spürte seinen Magen knurren. Ja, er hatte Hunger, trotz allem. Wenigstens behelligte ihn sein verletztes Auge jetzt nicht mehr. Vielleicht gab es trotz Blachfords Warnung noch ein Wunder.

Während er auf die Rückkehr der Miranda wartete, hatte er einen Truppentransporter besichtigt und war überrascht gewesen, daß noch keiner der Soldaten dort gestorben war. An Bord roch es wie auf einem Bauerhof, nicht wie auf einem Kriegsschiff Seiner Majestät. Männer, Pferde, Kanonen, Gepäck, Wagen waren in die Decks hineingepfercht. Auf einem Sträflingsschiff hätte es mehr Platz gegeben. Die Besatzung mußte es nun in dieser stinkenden Enge aushallen, bis Sir David mit seiner Artillerie und Infanterie sich nach Kapstadt durchgekämpft hatte. Wenn sich aber die Holländer stärker als erwartet wehrten? Sie konnten den Vormarsch der Engländer immer noch stoppen, und dann gab es nur noch den kleinen Verband von Commodore Warren, der seine Seeleute und Soldaten im Rücken des Feindes anlanden konnte. Aber die Elendsgestalten, die Bolitho auf dem Transporter gesehen hatte, würden ein schwieriges Landemanöver kaum schaffen und die folgenden Gefechte bestimmt nicht überstehen.

Nebenan war Alldays tiefe Stimme zu hören, der einem von Tyackes Männern half, das Essen für die Offiziere zu holen.

«Bei Ihrer Erfahrung, Mr. Tyacke, sollten Sie ein größeres Schiff kommandieren. «Bolitho sah, wie der andere sich verschloß.»Sie hätten längst befördert werden müssen.»

Tyackes Augen blitzten.»Man hat mir's angetragen, Sir, aber ich habe abgelehnt. «Das klang wie Trotz.»Die Miranda reicht mir. Niemand kann sich über sie beklagen.»

Bolitho drehte sich um, als ein Matrose dampfende Schüsseln auftrug, dem Allday kritisch über die Schulter schaute.»Schon gut, alter Freund«, sagte er.»Danke.»

Die beiden verließen die Kajüte, und Tyacke beobachtete beim Essen insgeheim Bolitho, der das fette Schweinefleisch wie eine große Delikatesse verzehrte. Was war der Admiral bloß für ein Mann? Simcox hatte ihn das immer wieder gefragt. Aber wie sollte er ihm begreiflich machen, daß Bolitho keine bohrenden Fragen stellte, obwohl er es bei seinem Rang gedurft hätte? Und wer konnte die Freundschaft zwischen Allday und Bolitho erklären?

Tyacke dachte an Simcox' Wunsch, goß lächelnd zwei Gläser Madeira ein und sagte:»Bier würde uns gut tun, Sir, wenn wir es hier irgendwo bekommen könnten.»

Bolitho hob das Glas gegen das Licht und starrte es an. Aber es war das Glas, das beschlug, sein Auge blieb klar.»Bier? Natürlich. Ich werde Ihren Wunsch den Kameraden vom Heer übermitteln. Wenigstens das könnten sie ja für uns tun. «Wieder hob er sein Glas und fragte:»Heute ist doch Samstag, nicht wahr? Also trinken wir einen Toast!»

«Auf Freundinnen und Frauen, Sir?»

Bolitho berührte das Medaillon unter seinem Hemd.»Auf alle, die wir lieben. Mögen sie Geduld haben mit uns.»

Tyacke trank schweigend mit. Er wußte niemanden, dem sein Leben oder Sterben etwas bedeutet hätte.

Bolithos Gedanken aber waren in diesem Augenblick weit weg im heimatlichen Cornwall.

Allday wischte das blitzende Rasiermesser sauber.»Das war's, Sir Richard. Zu mehr ist das Wasser auf diesem Schiff nicht zu gebrauchen. «Er ließ seiner Verachtung freien Lauf.»Das nächste Mal steigen wir dann auf einen Fischerkahn um, könnte ich mir vorstellen.»

Bolitho seufzte und schlüpfte in das zerknitterte Hemd. Den Luxus frischer Wäsche vermißte er hier am meisten. Er sah Morgenlicht durchs Skylight sickern und machte sich überrascht klar, daß er diese Nacht fest durchgeschlafen hatte.

Allday reichte ihm Kaffee.»Nicht gut mit diesem Wasser. «Wie schaffte es Allday bloß, ihn zu rasieren in diesem schwankenden Raum, in dem er sich nicht einmal aufrichten konnte? In all den Jahren hatte Allday ihn nie geschnitten. Aber mit dem Kaffee hatte er recht. Er mußte wirklich Bier anfordern, das würde helfen, bis sie frisches Wasser bunkern konnten.

Eigentlich hätte Commodore Warren sich darum kümmern müssen, doch der war wohl schon jenseits von allem. Bolitho schob den Kaffee zur Seite.

An Deck hörte er Pumpen quietschen und Wasser plätschern: Die Mannschaft machte rein Schiff. Auf diesem kleinen Schoner waren alle Geräusche sehr nahe.

«Ich gehe nach oben«, sagte er und rieb sich den Kopf, weil er an einen Decksbalken gestoßen war.

Allday klappte das Rasiermesser zusammen.»Ein Pißpott, mehr nicht. «Murrend folgte er Bolitho an Deck.

Im feuchten Morgenwind ging Bolitho zum Kompaßhäuschen. Überall arbeiteten Männer, schrubbten das Deck, arbeiteten in den Webleinen oder besserten das laufende Gut aus, wo immer es nach der windigen Nacht nötig war.

Tyacke grüßte.»Guten Morgen, Sir. Unser Kurs ist Südost zu Süd. «Er deutete über das Schanzkleid.»Das Kap liegt vier Meilen voraus. «Er lächelte stolz.»Näher würde ich nicht unter Land gehen, denn auf die Tiefenangaben in der Karte kann man sich hier nicht verlassen. Wo es abgrundtief sein soll, entdeckt man plötzlich

Riffe.»

Bolitho drehte sich um und sah, wie jedermann an Deck schnell wegschaute. Tyacke merkte es.»Machen Sie sich bitte nichts daraus, Sir. Der ranghöchste Offizier, der bisher an Bord kam, war — mit Verlaub — der Kommandeur der Wache in Gibraltar.»

Simcox gesellte sich zu ihnen.»Es klart auf, Sir. «Das war eine völlig unnötige Bemerkung, doch Bolitho wußte, daß sich Simcox in seiner Gegenwart genauso gehemmt fühlte wie die ganze Besatzung.

«Wann werden Sie Master, Mr. Simcox?»

Der Mann wand sich.»Weiß nicht, Sir. «Er sah zu Tyacke hinüber, und Bolitho begriff: Simcox würde als Master auf ein anderes Schiff versetzt werden, dann blieb Tyacke allein auf der Miranda zurück. Keiner von beiden wollte das.

Bolitho beschattete seine Augen. Die See änderte im ersten Morgenlicht ihre Farbe, Schwärme von Vögeln kündeten vom nahen Land. Er sah voraus den gewaltigen Tafelberg und einen zweiten Berg ebenfalls an Backbord, noch vom Morgennebel umhüllt. Nur sein Kamm glänzte wie Gold.

Simcox räusperte sich.»Der Wind steht günstig, Sir Richard. Aber es sind schon Schiffe südlich von hier vom Sturm bis zum Kap Agulhas gejagt worden, ehe sie umkehren konnten.»

Bolitho nickte. War das eine gutgemeinte Warnung? Wenn feindliche Kriegsschiffe hinter dem vorspringenden Kap lagen — würden sie wegen eines zerbrechlichen Schoners auslaufen? Kaum. Andererseits war auch die Supreme nur ein Schoner gewesen, und trotzdem hatte sich die französische Fregatte über sie hergemacht.

Tyacke setzte sein Teleskop ab.»Alle Mann an Deck, Ben!«Simcox' Vorname war ihm wohl aus Versehen entschlüpft.»Wir wenden und laufen rechtweisend Ost. «Er sah Bolitho an.»In die Höhle des Löwen!»

Bolitho blickte zum Stander des Kommandanten hoch.»Anders geht's nicht, Mr. Tyacke, aber bringen Sie das Schiff nicht unnötig in Gefahr.»

Die Besatzung rannte an Brassen und Schoten, löste Belegnägel, warf Leinen los und tat das alles so sicher und flink, daß kein Ruf oder Ruch sie antreiben mußte. Der Himmel wurde schnell heller. Bolitho fühlte, wie sein Magen sich beim Gedanken an seinen nächsten Schritt zusammenzog. Allday, der in der Nähe des Rudergängers stand, musterte ihn besorgt, denn er wußte, daß der Admiral gleich aufentern würde.

Als Bolitho im Alter von achtzehn Jahren Leutnant geworden war, hatte ihn das endlich befreit von einer Pflicht, die er fürchtete und haßte wie keine zweite: in die Webleinen aufzuentern, wenn Alarm geschlagen wurde, oder wenn er aus einem anderen Grund in den Ausguck mußte. Denn an die Höhe hatte er sich nie gewöhnen können. Er hatte sich oben stets verzweifelt an einen Halt geklammert und die Männer bewundert, die nichts von dem Schiff unter sich zu sehen schienen und nur in die Ferne spähten. Er hatte

Männer einen schlimmen Tod sterben sehen, wenn der Sturm sie von Rahen oder Stagen riß oder tobende Leinwand sich nicht einfangen ließ. Andere waren noch lebend in die See gestürzt und hatten beim Auftauchen ihr Schiff erbarmungslos davonsegeln sehen. Es war wirklich kein Wunder, daß junge Männer sich versteckten, wenn an Land die Preßkommandos unterwegs waren.

«Klar zum Wenden!«Tyacke wischte sich mit dem Handrücken über das zerstörte Gesicht und musterte seine Männer, den Stand der Segel, den Wind.»Hol dicht! Ruder nach Lee! Gut so. Da geht sie durch den Wind! Fier auf! Gut so. Tom, ein Mann mehr an die Vorbrasse.»

Die Schatten von Groß- und Stagsegel huschten übers Deck. Die Pinne wurde gelegt, Leinwand knallte protestierend. Bolitho fühlte, wie er ausrutschte, sah die See unter der Leereling schäumen und das hügelige Land weit vor dem Bug auswandern.»Die dreht ja auf dem Teller«, hörte er Allday hinter sich bewundernd sagen. Aber das Kompliment bekam keiner außer ihnen beiden mit.

«Stützruder! Gut so. Fall ab einen Strich.»

Der älteste Rudergänger meldete dem Kommandanten:»Neuer Kurs Ost zu Nord liegt an, Sir.»

«Gut so. «Tyacke starrte nach oben.»Schicken Sie ein paar Männer hoch, um das Marssegel zu reffen, Mr. Simcox. «Er grinste.»Bei diesem Wind könnten wir es sonst verlieren.»

Die beiden Masten des Schoners tanzten und lehnten sich dann unter dem Druck des Windes weit nach Lee über.»Ein Glas, bitte«, befahl Bolitho.»Ich will vorne aufentern. «Er übersah Alldays stummen Protest.»An Land wird es so früh nicht allzu viele neugierige Augen geben.»

Er ging nach vorn, schätzte das Stampfen des Bugs ab, zog sich aufs Schanzkleid und begann, in den Webleinen emporzuklettern. Höher und höher stieg er und zwang sich, nicht nach unten zu blicken. Was mochte die Besatzung wohl von ihm denken? Ein Vizeadmiral, der sich in den Webleinen nach oben zog! Der Ausguck im Mast hatte ihn die ganze Zeit beobachtet und begrüßte ihn, als er atemlos oben ankam, mit:»Schöner Tag heute, Sir Richard.»

Bolitho klammerte sich an ein Stag und wartete, bis sein Herz wieder ruhiger schlug; als man ihn das letzte Mal nach oben gehetzt hatte, war er Midshipman gewesen. Dann wandte er sich an den

Ausguck:»Sie kommen aus Cornwall, nicht wahr?»

Der Mann nickte grinsend. Anscheinend hielt er sich nirgendwo fest.»Aus Penzance, Sir.»

Bolitho zerrte das Teleskop nach vorn. Hier oben trafen sich also zwei Männer aus demselben Landstrich. Es dauerte eine Weile, bis er sich an das Stampfen des Schoners gewöhnt hatte und das Glas ruhig halten konnte. Dann sah er eine Huk, scharf vorspringend, Gischt wirbelte vor ihr hoch — ein Riff also, wie Tyacke vorhergesehen hatte.

Es war inzwischen so warm, daß sein Hemd am Rücken klebte. Deutlich sah er den Verlauf der Strömungen unter dem Kap. Sie vermischten sich miteinander, brachen sich und schickten ihre Ausläufer auf das Land zu. Hier trafen sich zwei Ozeane, der Atlantik und der Indische Ozean. Hier öffnete sich die Ferne, das Tor nach Indien, nach Ceylon, nach New South Wales. Darum war Kapstadt so wichtig. Wie Gibraltar zum Mittelmeer, so war Kapstadt der Schlüssel zum Indischen Ozean.

«Schiffe, Sir. An Backbord.»

Bolitho fragte nicht, wie der Mann sie ohne Fernglas entdeckt hatte. Man wurde als guter Ausguckposten geboren, konnte diese Kunst nicht erlernen. Bolitho hatte solche Männer immer bewundert. Sie entdeckten von oben gefürchtete Brecher, vor denen keine Karte warnte. Mancher Kapitän hatte so sein Schilf und das Leben seiner Mannschaft retten können.

Bolitho wartete, bis er mit dem Glas die Schiffe eingefangen hatte. Es waren zwei, die da vor Bug- und Heckanker lagen. Das sah aus, als sollten sie als wehrhafte Batterie gegen einen Angreifer von See her dienen.

«Es sind holländische Kauffahrer aus Indien, Sir.»

Bolitho nickte. Wie die Ostindische Kompanie Englands besaß auch ihr holländisches Gegenstück gut bemannte und bewaffnete Handelsschiffe, die sich gegen Kaperer wehren und manches Kriegsschiff in die Flucht jagen konnten. Die Schiffe hier stellten eine Gefahr dar. Sie hatten wahrscheinlich Truppen und Nachschub nach Kapstadt gebracht und warteten jetzt auf weitere.

Bolitho sah nach unten und erschrak. Der Mast lag so weit über, daß unter ihm nur Wasser war und er seinen eigenen Schatten über die Wellen gleiten sah.

«Sie können halsen, Mr. Tyacke!«Hatte man ihn gehört? Doch die Männer liefen schon auf ihre Manöverstationen.

Plötzlich sprang eine Wassersäule vor ihnen aus der See, und Sekunden später hörte Bolitho das Echo eines Kanonenschusses. Woher kam der? Er lag zu nahe, als daß er ignoriert werden konnte.

Bolitho wollte schon nach unten klettern, als der Ausguck ihm zurief:»Da ist noch ein drittes Schiff, Sir.»

Bolitho setzte das Glas wieder an. Er mußte sich beeilen, denn schon tobte der Klüver und knallte wie wild, während unten Ruder gelegt wurde. Dann sah er — trotz der schnellen Bewegungen der Miranda — das dritte Schiff. Sein niedriger Rumpf war bisher von den beiden Kauffahrern verdeckt worden. Bolitho hatte drei Fregatten kommandiert und erkannte eine, wenn er sie sah. Das da hinten war eine Fregatte, eine holländische oder französische. Vielleicht wartete sie auf den Brief, den Tyackes Männer mit der Albacora abgefangen hatten. Bolitho wischte sich das Haar aus dem Gesicht. Der Mast schwang auf die andere Seite hinüber, und die Saling ächzte, als wolle sie bersten.

Nach Tyackes Karte war diese Bucht zwanzig Meilen breit, also größer als die Tafelbucht, die sie vor der Dämmerung passiert hatten. Was immer der holländische Oberbefehlshaber am Kap vorhatte, diese Bucht und die hier ankernden Schiffe würde er schützen. Ein Frontalangriff des englischen Geschwaders mußte teuer werden und konnte möglicherweise in einem Desaster enden.

Bolitho tippte dem Ausguck auf die Schulter.»Bewahren Sie sich Ihre guten Augen. «Dann begann er seinen Abstieg, ohne die Antwort des Mannes abzuwarten.

Tyacke unten hörte ihm genau zu, dann sagte er:»Die könnten versuchen, unser Geschwader zu spalten.»

«Zu spalten, bis sie Verstärkung bekommen. Das denke ich auch. Bitte versuchen Sie, so schnell es geht zum Geschwader zurückzusegeln. Danach werden wir auch mit dem General reden müssen. Sir David wird das alles gar nicht gern hören.»

Tyacke trat zur Seite, rief Befehle, überwachte Kompaß und Ruder, während Simcox auf der Schiefertafel den neuen Kurs berechnete.

Neben den Luvwanten traf Bolitho auf Allday.

«Ist Ihnen die Größe der Kanonenkugel aufgefallen, Sir Richard? Die wurde von einem Fort abgeschossen, nicht von der Fregatte. Wir brauchen mehr Schiffe, und selbst dann wird's nicht leicht.»

Allday seufzte. Seine Wunde schmerzte ihn wieder, er rieb sich die Brust.

Bolitho sah ihn freundlich an.»Ich möchte nicht, daß hier Männer sinnlos fallen. Wir segeln zurück. Es gibt nur einen Weg zu beiden Zielen, und wenn wir den verpassen, vermasseln wir alles.»

Tyacke stand in Lee, als Simcox nähertrat, sich das Gesicht mit einem roten Tuch wischend.»Das eben war nur knapp vorbei, James.»

Tyacke sah, daß Bolitho Allday die Hand auf die Schulter legte. Der jugendliche Vizeadmiral in seinem nassen Hemd und den teerbeschmierten Strümpfen lachte so lange, bis endlich auch sein Bootsteurer grinsen mußte.

«Wir haben's noch lange nicht geschafft, Ben. «Tyacke verspürte Erleichterung, als das Land hinter ihnen im Dunst verschwand.»Aber wenn es so weit ist, werden unsere Männer nicht schlechter kämpfen als die anderen. Obwohl es ihr erstes Gefecht sein wird.»

Doch Simcox hörte ihn nicht mehr, er war schon wieder bei seinen Leuten.

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