VI Die Tapferen und die anderen

Leutnant James Tyacke umklammerte die Luvreling und starrte durch die Gischt voraus, als Bolitho nach oben kam.»Segel in Sicht, Sir!»

Bolitho griff haltsuchend nach einer Pardune.»Ich habe die Meldung gehört. Sie haben einen guten Mann oben, Mr. Tyacke.»

Der Ausguckposten hatte das fremde Schiff bei Beginn der Morgendämmerung gemeldet. In der Nacht hatte der Wind gedreht und kam jetzt aus Nord. Die Miranda lief rechtweisend Ost und lag so hart über, daß die Leereling oft genug durchs Wasser rauschte. Die Gischt war eiskalt.

Noch sah man die Kimm nicht, nur die Wellenkämme und die heranrauschenden Seen. Die Annäherung an den Feind würde für beide Schoner nicht leicht sein. Voraus entdeckte Bolitho einen Lichtpunkt, weniger als eine Kabellänge entfernt: das Heck der Albacora. Tyackes und Jays gute Seemannschaft hatte die beiden Schoner auch nachts zusammenbleiben lassen. Aber wenn jetzt die Sonne aufging, würden die Männer auf beiden Schiffen ihre Erschöpfung spüren, denn eine ganze Nacht Segeltrimmen und Manöverfahren zehrte an den Kräften.

«Wir schließen jetzt zur Albacora auf, Sir«, rief Tyacke Bolitho zu, dessen Augen sich noch nicht an das Zwielicht gewöhnt hatten. Erstaunlich, daß der Ausguck schon das ferne Segel sah. Es mußte die Truculent sein. Oder war es ein Feind?

«An Deck! Fregatte voraus — beigedreht!»

Also war es die Truculent. Bolitho hörte Simcox aufatmen. Kapitän Poland war wieder einmal zur rechten Zeit in der gewünschten Position.

Jemand meldete, daß die Albacora ein Boot zu Wasser gelassen hätte.»Was haben Sie wegen der Freiwilligen vor?«fragte Bolitho leise Tyacke.

«Das Flaggschiff hat uns den Deserteur geschickt. Und dann hat sich ein Seesoldat gemeldet — was immer der wert sein mag. «Aus seinen Worten klang die übliche Mißachtung des Seemanns für die Marineinfanterie.

«Sind das alle?»

«Der Rest kommt von der Miranda.«Erstes Licht schlich über die Kimm.»Ich habe mit meinen Männern geredet und kann mich auf sie verlassen.»

«Mr. Simcox weiß, was er auf der Albacora zu tun hat?»

Tyacke antwortete nicht sofort. Er beobachtete das Beiboot, das hart pullend über die See glitt, um in Lee der Miranda Schutz zu finden.»Mr. Simcox bleibt hier an Bord«, sagte er dann.

Bolitho verbarg seine Überraschung.»Sie führen hier das Kommando. Es ist also Ihre Entscheidung.»

Plötzlich stand Simcox zwischen ihnen.»Ich protestiere! Ich kenne die Gewässer besser, und überhaupt.»

Tyacke packte ihn am Arm.»Sie tun, was ich Ihnen sage, ich bin hier der Kommandant. Und jetzt kümmern Sie sich um das Beiboot da unten!»

Bolitho konnte Simcox' Gesicht nicht erkennen, aber er spürte, wie sehr dieser Befehl den Mann verletzt hatte.

«Ben ist ein großartiger Seemann, Sir«, erläuterte Tyacke.»Wenn er diesen verdammten Krieg überlebt, wird noch mehr aus ihm. «Wütend wandte sich der Kommandant dann an die Gruppe im Heck des Schoners:»Morgan, holen Sie diese Leine dicht, oder wollen Sie, daß das Beiboot zerschmettert wird?»

Zum erstenmal hatte Tyacke einen seiner Männer unberechtigt angeschnauzt. Ihn bedrückte wohl die Entscheidung, Simcox an Bord zu lassen und selbst auf den Brander zu gehen.

Männer eilten im Zwielicht hin und her, und dann stand Jay, der Mastergehilfe, an der Pinne.»Wir sind soweit, Sir. Wir können die Besatzungen jetzt auswechseln. «Er sah von Tyacke hinüber zu Simcox.»Geht Ben mit?»

«Nein, ich gehe. Sie bleiben hier bei ihm. Und bei diesem

Schiff!»

Als sich auch Segrave bereitmachte, sagte Tyacke leise zu Bolitho:»Er hat sich freiwillig gemeldet. Wenn's schlimm wird, kann ich einen zweiten Offizier gebrauchen. «Laut fragte er:»Na, wollen Sie immer noch mit, Mr. Segrave? Wenn Sie lieber bleiben wollen, tun Sie's. Niemand wird Sie deshalb für einen Feigling halten, nicht nach dem, was Sie für Mr. Jay getan haben.»

Das erste schwache Sonnenlicht fing sich in Segeln und Rigg.

«Ich komme mit, Sir«, sagte der Junge.

Von oben rief der Ausguck:»Es ist die Truculent, Sir. Sie schüttelt gerade ein paar Reffs aus und kommt näher.»

«Sie wird Sie an Bord nehmen wollen, Sir.»

Allday stand schon mit dem Kleidersack neben ihm, auch Jenour tauchte auf. Plötzlich blieb keine Zeit mehr. Männer stiegen ins Beiboot, und Tyacke hatte es eilig, auch wenn er als letzter überstieg. Er schwang gerade ein Bein übers Schanzkleid, als plötzlich Simcox neben ihm auftauchte.»Soll ich nicht doch mitkommen?»

Simcox schwankte, aber Tyacke fing ihn auf. Bolitho sah den kurzen Abschied zweier Freunde.»Du wirst mal ein guter Master, Ben. Such dir auch einen guten Kommandanten.»

Was Simcox antwortete, wurde vom Lärm an Deck und dem Klatschen der Seen übertönt. Dann war Tyacke verschwunden, und das Beiboot flog auf die Albacora zu.

«Schließen Sie zur Truculent auf, Mr. Simcox. Wenn wir übergesetzt haben, folgen Sie sofort dem Brander. «Warum hatte er

«Brander «gesagt und nicht Albacora? Wohl um Simcox das Unvermeidliche klarzumachen.

«Wir sollen also mit der Miranda den Brander verfolgen, Sir Richard?«Simcox hatte es akzeptiert.

«Richtig. Verfolgen Sie ihn zum Schein. Der Trick ist alt, aber er könnte Erfolg haben. Mr. Tyacke muß jedenfalls nahe an die feindlichen Schiffe herankommen, ohne zunächst ihren Verdacht zu wecken.»

«Und welche Chance hat die Crew auf dem Brander, Sir Richard?»

Bolitho sah ihn fest an.»Kaum eine. Es kostet viel Zeit, zum Feind aufzukreuzen. Wenn erst die Lunten brennen, müssen Tyacke und seine Besatzung ins Beiboot und zum Land rudern. Dort werden sie den Holländern in die Hände fallen. Aber man wird sie wohl ungeschoren lassen, denn unsere Truppen sind nahe. «Er spürte, daß Jenour seine Lüge durchschaute, und erläuterte:»Wenn Mr. Tyacke einen Fehler macht, werden wir zwölf gute Leute verlieren. Wenn wir aber direkt angreifen, würden wir alle Schiffe und jeden Mann opfern.»

Allday sah zur fernen Küste.»Keine leichte Entscheidung.»

Bolitho strich sich die Haarsträhne aus der Stirn. Was auch geschehen würde, das Resultat war in jedem Fall schlimm.

«Die Herren in London lassen sich deswegen sicher keine grauen Haare wachsen«, murmelte Allday.»Ich habe schon gefürchtet, Sie würden selbst auf den Brander gehen, Sir Richard.»

Bolitho sah Wolken über dem Land aufsteigen und meinte, Sand zwischen den Zähnen zu spüren.»Diesmal nicht.»

Die großen Segel der Truculent schoben sich näher heran. Ihr Deck dampfte bereits in der ersten Morgensonne. Sie drehte in den Wind, ein Beiboot wurde zu Wasser gelassen. Simcox pfiff seine Restbesatzung an Brassen und Schoten, um die Miranda in den Wind zu stellen, damit das Boot längsseits kommen konnte.

«Alles Gute, Mr. Simcox. Mein Bericht wird Ihnen bei der Masterprüfung sicherlich nützlich sein.»

Mühsam suchte Simcox nach den passenden Worten.»Danke, Sir Richard. Aber wir waren eben Freunde, und ich weiß, warum er das getan hat. «Er deutete auf die davonziehende Albacora. »Wenn einer es schaffen kann, dann Mr. Tyacke.»

Das Boot der Fregatte näherte sich ihnen, im Heck einen

Leutnant, der in dem unruhigen Wasser mühsam das Gleichgewicht hielt.

«Ich hoffe, wir sehen uns wieder, Mr. Simcox. Sie haben eine gute Besatzung und ein wunderbares Schiff. «Aber das hätte er besser nicht sagen sollen, denn irgendwann würde er vielleicht Schiff und Mannschaft in den Tod schicken müssen. Da erinnerte man sich lieber nicht allzu genau.

«Achtung! »

Bolitho nickte den Männern an der Pforte zu. Da stand der verläßliche Stückmeister Elias Archer. Jay, der Mastergehilfe, würde wahrscheinlich bald Simcox' früheren Platz einnehmen. Bootsmann Sperry fehlte, der war also bei Tyacke. Warum hatte aber der Midshipman darauf bestanden, auf den Brander umzusteigen? Er hatte doch gerade erst Befehl bekommen, auf sein altes Schiff zurückzukehren. Bolitho beschloß, nicht weiter darüber nachzugrübeln.»Ich denke an Ihr Bier, Mr. Simcox!»

Dann war er unten im Boot, stützte sich auf den Leutnant und versuchte, seinen Degen nicht zwischen den Beinen einzuklemmen.

«Also hier war es?«Tyacke blickte sich in der Kajüte der Albacora um.»Dreckig wie ein Schweinestall!»

Segrave starrte die Koje an, als läge dort noch die nackte Sklavin in Ketten. Wie alle anderen Räume unter Deck war auch dieser vollgestopft mit brennbarem Material. Der Brander stank: nach Öl, nach schimmeliger Leinwand, nach tranigem Werg, nach Holz aus Warrens Transportschiffen, das man mit Teer übergossen hatte: alles, was die Albacora in eine lodernde Fackel verwandeln würde. Segrave spürte den Luftzug durch das Loch im Deck streichen, der später die Flammen hochjagen würde. Und zum erstenmal, seit er sich gemeldet hatte, wurde ihm angst.

Das Schiff setzte weniger hart ein.»Wir laufen leichter, Sir«, sagte er.

Tyacke riß sich aus seinen Gedanken.»Wie? Ja, natürlich. Aber den Wind haben wir immer noch gegen uns. «Er hockte sich auf eine Kiste, wo sein verletztes Gesicht im Schatten lag.»Mr. Simcox hat mir von Ihren anderen Verletzungen erzählt«, begann er so ruhig, als habe er alle Zeit der Welt.»Man hat Sie geschlagen. Weil Sie an Bord nichts taugten?»

In der Erinnerung ballte Segrave die Fäuste. Der Kommandant damals hatte kein Interesse gehabt an dem, was bei den Midshipmen geschah. Ihn interessierten nur Ergebnisse, sonst nichts. Ein Leutnant hatte daraufhin die Offiziersanwärter in zwei Gruppen geteilt, die nun miteinander wetteiferten beim Kanonenexerzieren, in Seemann- schaft, bei Bootsmanövern. Wer verlor, wurde bestraft, wer gewann, erhielt kleine Belohnungen. Segrave gehörte als Neuling immer zu den Verlierern. Also hatte man ihn immer wieder nackt ausgezogen, über eine Lafette gebunden und ausgepeitscht. Seine Kameraden hatten das getan, aber auch der verantwortliche Leutnant. Sie hatten ihn erniedrigt und beleidigt, immer und immer wieder. Die Narben dieser Mißhandlung würde er nie mehr verlieren.

Mit Tyacke konnte er plötzlich über all das sprechen, in kurzen abgehackten Sätzen. Der Kommandant hörte stumm zu, bis der Junge schwieg.

«Solche Brutalität hat immer der Kommandant zu verantworten«, sagte er schließlich.»Wenn es ihm egal ist, wie die Offiziere seine Befehle ausführen oder ihre Aufgaben erfüllen, kommt es so weit. Kein Leutnant kann so etwas wagen, wenn ihn sein Kommandant dabei nicht decken würde. Haben Sie sich freiwillig auf den Brander gemeldet, weil Sie auf Ihre altes Schiff zurückkehren sollten?«Als Segrave schwieg, fuhr er fort:»Sie hätten den Leutnant umbringen sollen. Was Schlimmeres als hier hätte Sie dann auch nicht erwartet. Aber Ihnen wäre wohler gewesen. «Er legte Segrave die Hand auf die Schulter.»Doch Sie haben Ihre Entscheidung getroffen. «Ein Sonnenstrahl huschte über seine entstellte Gesichtshälfte.»Und ich die meine.»

Oben hörte man Schritte, die heisere Stimme des Bootsmanns scheuchte ein paar Männer auf ihre Stationen.

«Es tut mir nicht leid, daß ich hier bin«, sagte Segrave.»Gut!»

Zusammen stiegen sie an Deck, und die frische Luft tat ihnen wohl nach dem Gestank in der Kajüte. Tyacke sah zum Wimpel hoch, prüfte den Kurs am Kompaß. Ja, der Wind stand durch, hatte aber hier unter Land weniger Kraft. Er nahm das Teleskop aus seiner Halterung. Da fiel sein Blick auf den Deserteur namens Swayne. Er holte gerade die Lose aus einer Leine, bewegte sich dabei schnell und leicht: ein erfahrener Seemann. Seit er hier an Bord war, sah er nicht mehr so verzagt aus, denn solange man lebte, gab es Hoffnung. Auf dem Flaggschiff hätten ihn entweder zweihundert Hiebe oder der Strick erwartet. Der andere Fremde an Bord war ein Seesoldat namens Buller. Der hatte Rum gestohlen, sich betrunken und dann seinen Sergeanten verprügelt. Das war zuviel für die Truppe. Auch ihn hätte man gehenkt oder ausgepeitscht.

Die anderen Männer kannte Tyacke bereits genau, sie kamen von der Miranda. Sperry, der Bootsmann, ließ zwei Männer die Fockrah mit einer Kette festsetzen, denn wenn die Flammen erst nach oben schlugen, waren Ketten nötig, um Fahrt im Schiff zu halten. Das geteerte laufende Gut brannte sofort weg.

So jedenfalls hatte es Tyacke gehört. Wie jeder Seemann fürchtete er Feuer an Bord am meisten. Ob er die Sache durchstehen konnte? Er wußte, daß es darauf nur eine Antwort gab.

Der Kommandant hob das Glas und sah am Midshipman vorbei, dem das Haar ins Gesicht wehte. Das Land lag genau voraus, und die Huk, die die Einfahrt zur Bucht schützte, war im fahlen Morgenlicht gut zu erkennen: grün und felsig. Die Decksplanken unter seinen Füßen wurden langsam warm und würden bald trocken wie Zunder sein. Wenn der Feind vorn an der Landspitze weitreichende Kanonen plaziert hatte, würden sie nicht bis in die Bucht kommen. Kein Schiff hatte Chancen gegen eine Landbatterie, schon gar nicht, wenn sie mit glühenden Kugeln schoß. Tyacke versuchte nicht daran zu denken, was eine glühende Kanonenkugel unter Deck anrichten würde.

«An Deck!«Der Ausguckposten zeigte nach achtern.»Die Miranda geht über Stag.»

Tyacke drehte sich um. Die offene See achteraus hielt die Nacht noch länger fest. Mirandas große Segel schienen förmlich übers Wasser zu fliegen, ihr Toppsegel flatterte, als sie durch den Wind ging. Es sah wirklich so aus, als verfolge sie den schäbigen Sklavenhändler mit Feuereifer.

«Schütteln Sie alle Reffs aus, Mr. Sperry. Wir möchten doch nicht durch ein Schiff des Königs aufgebracht werden — oder?«Sperry grinste und verschwand.»Sie werden an der Pinne gebraucht, Mr. Segrave. Wir haben noch etwa zehn Meilen bis zum Angriff.»

Segrave nickte. Hinter Tyackes abstoßendem Äußeren hatte er seine gewinnende Kameradschaft entdeckt.

Im Fernglas öffnete sich jetzt vor ihnen die Bucht wie eine Bühne.

«Wir laufen nach Nordost«, befahl der Kommandant,»auf die Untiefe zu, wie jedes kleine Handelsschiff, das von einem Kriegsschiff gejagt wird. Dann wenden wir und halten auf Steuerbordbug genau auf die ankernden Schiffe zu. Falls sie noch da sind. «Tyacke rieb sich das Kinn; er hätte sich doch rasieren sollen.»Also klar zur Wende, Mr. Segrave!»

Segrave bestätigte und stellte sich an der Pinne neben den jungen Seemann, der damals unten in der Kajüte seine Messerwunde versorgt hatte.

«Wir werden's auch diesmal schaffen, Mr. Segrave«, sagte dieser.

«Ganz bestimmt. «Segrave lächelte zurück.

Als ein Schuß übers Wasser klang und Pulverrauch vom Bug der Miranda aufstieg, drehte sich Tyacke um. Simcox beherrschte das Spiel gut. Hoffentlich übertrieb er es nicht und holte die Albacora ein. Plötzlich mußte Tyacke an das Mädchen denken, das er in Portsmouth gekannt hatte. Marion, richtig. Er wischte sich den Schweiß vom Gesicht.

Ein zweiter Schuß rollte über die glitzernde See, die Kugel schlug eine Kabellänge achteraus ins Wasser.

«Neuer Kurs Nordost liegt an, Sir!«Zum erstenmal hörte er den stillen Segrave laut und deutlich rufen.

Gischt wehte über das schmutzige Deck. Der Bootsmann zuckte nur kurz mit den Schultern, als ein dritter Schuß fiel und schon etwas näher lag als der letzte. Sperry spähte durch das Skylight in die Kajüte hinunter. Hier hatte er sich damals mit der Schwarzen vergnügt.

So hing jeder seinen Gedanken nach. Tyacke fragte sich, ob das Mädchen Marion sich an ihn erinnern würde, wenn sie vom letzten Kommando eines gewissen Leutnant Tyacke in der Zeitung las.

Kapitän Daniel Poland hielt respektvollen Abstand zu Bolitho, der am Tisch mit dem Zirkel einige Entfernungen in der Karte nachmaß.

«Soweit wir wissen, ist niemand mehr in die Bucht eingelaufen«, überlegte der Vizeadmiral.»Sie oder Leutnant Varian hätten das doch bemerkt und mir gemeldet. Das heißt, die Ostindienfahrer und die Fregatte liegen noch in der Bucht. Hab' ich recht?»

«Die Bucht ist riesig, Sir Richard«, gab Poland zu bedenken.»Viermal so groß wie die Tafelbucht. «Er fühlte sich unter Bolithos forschendem Blick unwohl.»Aber es wird schon so sein, wie Sie sagen.»

Bolitho zog seine Uhr heraus. Tyackes Brander und die Miranda mußten jetzt auf den vorgesehenen Positionen stehen. Immer noch dachte er an den Leutnant, der seinen Platz mit dem des Freundes getauscht hatte.

Jenour, der unruhig aus den Heckfenstern geblickt hatte, meldete Kanonenschüsse, und Bolitho sah auf die Karte.»Es läuft wie geplant.»

Er sah sich in der Kajüte um. Nach der Miranda schien er hier so viel Platz zu haben wie auf einem Linienschiff. Er wandte sich Poland zu.»Lassen Sie klar Schiff zum Gefecht machen, wann es Ihnen paßt. Und bitten Sie Allday…»

Doch der war schon leise eingetreten und brachte Bolithos alten Degen. Bolitho hob die Arme, damit Allday ihm das Gehenk umlegen konnte.

«Wieder mal«, seufzte er dabei.

«Und wie immer«, antwortete Bolitho,»verlasse ich mich auf dich, alter Freund.»

Leutnant Tyacke senkte das Teleskop. Er würde sich jedem Beobachter verdächtig machen, wenn er die beiden Ankerlieger zu lange durchs Glas studierte, statt sich um den Schoner zu kümmern, der ihn verfolgte. Aber er hatte schon gesehen, was er suchte: Die beiden Schiffe, offensichtlich Ostindienfahrer, lagen vor Heck- und Buganker. Bolitho hatte also recht gehabt. Sie konnten wie eine Batterie an Land jeden Angreifer abwehren, der sich ihnen mühsam aufkreuzend näherte.»Sehen Sie sich das an, Mr. Segrave!«Der junge Matrose neben dem Midshipman deutete auf die Miranda. Mit Vollzeug ging sie durch den Wind, drehte fast auf der Stelle, nahm wieder Fahrt auf und kam so schnell näher, daß Segrave schon glaubte, Simcox mit seinem wehenden Haar drüben an der Pinne zu erkennen.

Wieder stieg ein Wölkchen von ihrem Bug auf, und diesmal schlug die Kugel nur eine Bootslänge entfernt ein. Gischt spritzte an Deck.»Verdammt«, fluchte Sperry,»wenn du noch mal so gut zielst, kriegst du's mit mir zu tun, Elias Archer!»

Segrave leckte sich die trockenen Lippen. Wie er und der junge Seemann hatte wohl auch der Bootsmann vergessen, daß sie den Stückmeister der Miranda nie wiedersehen würden.

«Wachboot, Sir!«schrie der Ausguck im Fockmast.

Tyacke prüfte den Wimpel und den Stand der Segel.»Klar zur Wende, Mr. Sperry. «Er schätzte die Entfernung und prüfte die Kraft des Windes. Sie waren jetzt schon eine Stunde lang tiefer in die Bucht hinein gesegelt, ohne daß sie jemand aufgehalten hätte. Sicherlich wurde aus vielen Ferngläsern beobachtet, wie hier ein Sklavenhändler vor einem Briten floh. Vielleicht hatte auch der holländische Kommandant die Albacora wiedererkannt.

Tyacke sah sich das Wachboot im Teleskop genauer an: ein kleiner Kutter, die Riemen schon eingelegt, löste sich gerade vom ihnen nächstgelegenen Handelsschiff. Messingknöpfe glänzten auf der Uniform eines Offiziers, der im Heck des Kutters stand. Das Wachboot würde sie anrufen und zum Beidrehen auffordern. Es gab nur eine Möglichkeit.

«Buller zu mir!«Der Seesoldat eilte zu Tyacke.»Man sagt, Sie seien ein guter Schütze?»

«Ich war der beste in meiner Kompanie, Sir!»

Tyacke grinste.»Sehr gut. Also nehmen Sie Ihre Muskete und erschießen Sie den Offizier da in dem Kutter. Die haben eine Drehbasse im Bug, Sie sollten also besser gleich beim ersten Schuß treffen.»

Der Soldat bückte sich und öffnete hinter dem Schanzkleid seinen Rock, unter dem er seine Waffe verborgen hatte.»Alles klar, Sir!»

Tyacke sah zu Segrave hinüber.»Alles klar auch bei Ihnen?»

Der Midshipman nickte, bleich und entschlossen.

Tyacke ging zur Heckreling. Ja, ihr Beiboot hing noch in seinen Taljen. Er starrte zum Land, dann nach Backbord, wo die Feindschiffe lagen. Das Wachboot schien es nicht besonders eilig zu haben, sich der Albacora zu nähern, der die Miranda dicht auf den Fersen war.

«Klar zur Wende. Leeruder! Los die Schoten — und hol sinnig dicht!«Tyackes Stimme trieb die Männer an, bis sie schwitzten. Für ein Wendemanöver brauchte man eigentlich doppelt so viele Leute.

Segrave rutschte aus, fand Halt auf dem geteerten Deck, stemmte sich gegen die Pinne und sah die riesigen Segel übergehen. Der Schoner drehte durch den Wind und fiel ab.

«Komm auf, verdammt noch mal!«fluchte der junge Seemann neben ihm. Die Segel wurden hart angebraßt, der Schoner lief hoch am Wind auf neuem Bug. Wo voraus Land gewesen war, ankerten jetzt die Schiffe; im Sonnenlicht leuchteten deren bunte holländische Flaggen. Tyacke suchte irgendwo Halt. Dies war zwar nicht die Miranda, aber auch ein wendiges Schiff. Er sah den Wachkutter. Seine Segel killten, er verlor an Fahrt. Nun tauchten die Riemen ein. Das Boot drehte auf der Stelle, sodaß seine kleine Bugkanone nicht mehr auf sie zeigte, sondern auf die Miranda.

Sperry hielt die Luft an.»Die Miranda bläst den doch glatt aus dem Wasser. Was hat er bloß vor?»

Der Ausguck rief:»An Deck! Die Fregatte nimmt Fahrt auf!»

Tyacke drehte sich um und sah erschrocken, daß sich die Marssegel der Fregatte blähten und sie von ihrem Ankerplatz auf sie zuglitt.

«Die läßt uns keine Chance. «Sperry rieb sich verzweifelt die Augen.»Sie geht viel höher an den Wind als wir!»

«Fallen Sie einen Strich ab, Mr. Segrave«, befahl Tyacke ruhig. Er hob sein Glas und hielt den Atem an.»Sie hat's auf die Miranda abgesehen. O Gott!«Dann brüllte er, so laut er konnte:»Verschwinde, Ben! Fall ab, du bist schneller!«Natürlich konnte ihn niemand an Bord der Miranda hören.»Hau ab, Ben!»

«Was ist los?«fragte Segrave leise.

«Die Fregatte schneidet ihm den Fluchtweg ab«, antwortete der zweite Rudergänger.

Segrave sah, daß die Miranda jetzt die Gefahr erkannte. Ihre Linien wurden kürzer, sie drehte ab.

Tyacke beobachtete die Fregatte im Glas. Sie war kleiner als die Truculent, doch genauso elegant. Ihre mächtigen Segel blähten sich im Wind, schoben sie immer schneller voran, und dann sah man an der Großmaststenge die französische Trikolore auswehen. Der Kommandant suchte ganz offensichtlich freien Seeraum.

Tyacke wurde es fast übel, als er sah, wie die Fregatte ihre Kanonen ausrannte. Er bildete sich ein, die Befehle drüben zu hören. Auf nur eine Meile Entfernung mußte sie die Miranda vernichtend treffen. Er sah Rauch aus den Kanonen aufsteigen und hörte das dumpfe Stakkato der Abschüsse. Die See vor und hinter der Miranda schien zu kochen, weiße Säulen stiegen gen Himmel wie Springbrunnen, schienen zu erstarren und fielen in sich zusammen.

Gab es doch noch Hoffnung? Trotz der kurzen Distanz hatte kein einziger Schuß den Rumpf getroffen.

Doch da hörte er seine Männer aufstöhnen. Als ob ein riesiger Vogel seine Flügel faltete, so fielen die Segel der Miranda herab und begruben das Schiff unter sich. Die Masten waren ihr weggeschossen worden, die Rahen und Spieren stürzten hinterher.

Doch die französische Fregatte feuerte kein zweites Mal. Sie setzte ihre Royals, winzige Figuren legten auf den Rahen aus, und ihr Bug drehte auf Südostkurs. Der Wind jagte sie auf die offene freie See hinaus.

Tyacke behielt die Miranda im Auge und begriff, warum der Franzose kein zweites Mal gefeuert hatte. Das Deck des Schoners war an vielen Stellen aufgerissen, schon stieg Rauch davon auf.

Die Miranda brannte.

Doch dann verschwand der Rauch so plötzlich, wie er aufgestiegen war. Die See hatte den Schoner verschluckt.

Tyacke ließ das Glas sinken. Die Miranda war nicht mehr. Die ihm helfen wollten, waren selbst zu Opfern geworden.

Segrave und ein paar Männer beobachteten ihn.

Sein Befehl kam mit ruhiger Stimme:»Nehmen Sie die Segel weg, Mr. Sperry. Die Jagd ist zu Ende. «Er deutete auf das Wachboot, wo einige Männer an den Riemen ihnen zuwinkten.»Die halten uns für Freunde!»

Langsam, um den Gegner zu täuschen, machten sich seine Männer an die Arbeit. Tyacke stand neben Segrave, eine Hand auf der des Jungen. Gemeinsam legten sie Ruder, bis ihr Steven genau auf die Lücke zwischen den beiden verankerten Handelsschiffen zeigte.

«Halten Sie diesen Kurs!«Tyacke sah sich um. Da standen seine Männer und dachten an die Miranda, an Ben Simcox, an Bob Jay, an den alten Archer. Wer von ihnen die Breitseite überlebt hatte, würde nun ein Opfer der Haie werden.

«Fertig, Männer!»

Er setzte gerade seinen Hut auf, als drüben ein Trompetensignal erscholl.»Sie schlagen Alarm!«Sofort wurde es auf dem Wachboot unruhig, die Riemen droschen wild ins Wasser, und der Bug des Kutters drehte drohend auf sie zu.»Klar zum Schuß, Buller!«Der Seesoldat kniete schon hinter dem Schanzkleid, die geladene Muskete neben sich.

«Denken Sie an die Miranda. Und an die Peitsche, die Sie verdient haben, aber nicht mehr spüren werden!«Der Offizier im Kutter bemühte sich, seine Männer wieder im Gleichtakt rudern zu lassen.»Feuer!»

Die Muskete schlug im Rückstoß gegen Bullers kräftige Schulter. Tyacke sah den Holländer die Arme senken, über die Seite kippen und im Wasser davontreiben. Einige Männer versuchten, mit den Riemen nach dem Offizier zu angeln. Dann krachte das kleine Buggeschütz des Kutters, und der junge Seemann neben Segrave brach schreiend zusammen. Wieder schoß Buller. Ein Mann an der Drehbasse fiel rücklings zwischen seine Kameraden. Die Riemen wirbelten durcheinander. Segrave sah nun auch Bootsmann Sperry auf den Planken knien, die Zähne vor Schmerz gebleckt. Zwischen seinen Fingern quoll es blutig aus seinem Bauch hervor. Er hatte wahrscheinlich den Hauptteil der Schrotladung abbekommen.

Tyacke kniff die Augen zusammen. Da lagen die dicken Ostindienfahrer — Bug gegen Bug mit einer halben Kabellänge Abstand. Nichts würde sie mehr retten können. Aber Sperry lag jetzt auf dem Rücken, sein Blut floß durch die Speigatten außenbords; er hauchte sein Leben aus.

Was hielten die Holländer wohl von der Albacora, fragte sich Segrave. Sahen sie schon den Brander in ihr? Als habe er Segraves Gedanken erraten, rief Tyacke plötzlich:»Es geht los, Leute! Unter Deck, Mr. Segrave, und Feuer an die Zündschnüre!»

Segrave spürte Furcht in sich hochkriechen. Sie standen auf ihrem eigenen Scheiterhaufen. Aber dann rannte er an dem toten Bootsmann vorbei, hörte Trompetensignale jetzt auf beiden Schiffen und das Quietschen von Lafetten. Ein paar Offiziere drüben hatten endlich erkannt, was sich abspielte. Segrave schluchzte hemmungslos, als er die stinkende Kajüte der Albacora erreichte, denn immer noch sah er vor sich, wie die Miranda sank. Sein einziger Freund, Jay, den er gerettet hatte, war tot. Und den kleinen Schoner, ihre ganze Welt, gab es nicht mehr.

Segrave zuckte zurück, als die Zündschnur wie eine böse Schlange zu zischen begann. Er griff zur zweiten. Diesmal war seine Hand ruhig, als er das Zündholz hielt.

Dann hastete er nach oben. Wenn seine Mutter oder sein Onkel, der Admiral in Plymouth ihn jetzt gesehen hätten, wären sie dann endlich zufrieden gewesen? Doch er spürte bei dem Gedanken keine

Bitterkeit mehr.

Oben stand Tyacke an der Pinne, als sei er ein Teil des Schiffs.»Schauen Sie dort hinüber!»

Männer rannten über die Decks der Kaufahrer, andere kletterten ins Rigg, und ein paar versuchten, die Ankertrossen zu kappen.

Etwas explodierte unter seinen Füßen mit dumpfem Knall. Schwerer schwarzer Rauch quoll nach oben, und dann leckten die ersten Rammen aus dem Deck der Albacora.

«Holt das Boot längsseits!»

Segrave beobachtete, wie sich das Feuer durch die Decksnähte fraß, und spürte, daß der Rumpf unter ihm heiß wurde wie eine Herdplatte. Tyacke stand noch immer wie festgenagelt an der Pinne.

Ein Mann schrie:»In's Boot, Sir!«Das war der Deserteur.

Ganz ruhig sprach Segrave auf Tyacke ein:»Sie dürfen nicht an Bord bleiben und mit der Albacora verbrennen, Sir. «Tyacke wandte ihm sein zerstörtes Gesicht zu.»Bitte nicht, wir brauchen Sie. «Er hörte das Feuer unter sich lauter prasseln.»Auf der Miranda sind alle gestorben, das darf nicht umsonst geschehen sein. Um Ihrer Freunde willen — kommen Sie!»

Tyacke straffte sich.»Du hast recht, mein Junge. Ich will dich noch als Offizier sehen.»

Zusammen kletterten sie ins Beiboot. Kaum waren sie aus dem Schatten der Albacora gepullt, sahen sie, wie ihr Rumpf aufplatzte und Flammen mit wütendem Fauchen gen Himmel schossen.

Tyacke saß an der Pinne.»Pullt, Leute! Wenn wir die Huk erreichen, können wir uns vielleicht an Land verstecken.»

Ein Mann rief plötzlich:»Jetzt sind sie dran! O mein Gott!«In seinen aufgerissenen Augen spiegelten sich die Flammen, als der brennende Schoner gegen den ersten Ostindienfahrer stieß.

Das Feuer raste seine geteerten Wanten empor, jagte die Rahen entlang. Männer, die aufgeentert waren und versucht hatten, noch rechtzeitig Segel zu setzen, fanden sich zwischen Absturz und Verbrennen gefangen. Sie fielen wie Puppen an Deck, denn das war ein schneller Tod, schneller als der durch Flammen oder Haie. Der zweite Ostindienfahrer war noch von seinem Heckanker freigekommen, aber zu spät. Feuerzungen leckten gierig nach seinem Vordeck und rasten die Finknetze entlang nach achtern.

Im Boot schwiegen alle. Nur die Riemen quietschten.»Sucht eine gute Stelle, wo wir an Land gehen können!«befahl Tyacke.

Buller hatte wieder eine Kugel in seine Muskete gerammt.»Wir werden keinen Strand brauchen, Sir. «Seine Stimme klang ungläubig.

Tyacke folgte seinem Blick auf See hinaus und packte Segraves Arm.»Da ist die Truculent!«, rief er.»Sie holt uns!»

Sie drehten und ruderten mit aller Kraft auf die Landspitze zu, als hinter ihr die Masten der Fregatte sichtbar wurden. Achteraus von ihnen stieg eine schwarze Rauchwand gen Himmel, aus der Flammen züngelten. Das Ende der Ostindienfahrer war schrecklich.

Segrave sah Tyacke an und wußte, daß der Leutnant fast an Bord der Albacora geblieben wäre. Doch er, der geschundene Kadett, hatte es erreicht, daß Tyacke nun weiterleben wollte.

Auch er selbst würde nicht aufgeben, schwor er sich. Niemals.

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