Kapitel 14

Chefinspektor Cornish war erfreut, versuchte das aber zu verbergen.

«Das können Sie für Ihre Firma verbuchen«, meinte er.

«Er ist uns direkt in die Hände gelaufen, um gerecht zu sein.«

«War aber gleich wieder weg«, erwiderte er trocken.

Ich schnitt eine Grimasse.»Sie sind ihm ja noch nicht

begegnet.«

«Solche Leute müssen Sie uns überlassen!«

«Wo waren Sie denn?«

«Auch wahr«, gab er lächelnd zu. Er sah sich die Kugel noch einmal an.»Prima. Nur schade, daß er einen Revolver hatte, keine Pistole. Es wäre gut gewesen, auch noch die Hülse untersuchen zu können.«

«Sie kriegen nie genug«, meinte ich.

Er starrte die Aluminiumleiter, das Plakat auf seinem

Schreibtisch und die Fotos an. Zwei klare Abzüge zeigten das Nummernschild des Kombis, vier weitere Fred bei der Auseinandersetzung mit Chico.

«Mit so viel Material spüren wir ihn auf, bevor er richtig zu sich kommt.«

«Prima«, sagte ich.»Je früher Fred aus dem Verkehr gezogen wird, desto besser. Bevor er in Seabury noch etwas anstellen kann. Er ist aber unverschämt stark und kann Judo. Wenn er nicht soviel Verstand gehabt hat, die Waffe wegzuwerfen, trägt er sie immer noch bei sich.«

«Wir denken dran«, sagte er.»Nochmals vielen Dank.«

Wir schüttelten uns die Hände, ich ging.

Auch in der Firma hatte sich einiges ergeben. Als ich eintraf, sagte mir Dolly, Jack Copeland wünschte mich zu sprechen. Ich stieg die Treppe hinauf. Jack strahlte mich über seine Brille hinweg an.

«George hat es geschafft bei Kraye.«

Ich ging zu George hinüber. George strahlte auch. Nachdem er zwei Minuten lang gesprochen hatte, mußte ich zugeben, daß es berechtigt war.

«Nur für alle Fälle habe ich mir ein glattes Stück Kristall ausgeborgt, das Kraye neulich im Geologiemuseum in der Hand hatte, und von Sammy die Fingerabdrücke sichern lassen — zwei oder drei verschiedene. Wir haben sie fotografiert. Hier gab es keine Archivunterlagen, deshalb haben wir auf alle Fälle die Interpol eingeschaltet. Das war genau richtig. Unser Freund Kraye steht in der Verbrecherkartei von New York.«

«Was hat er angestellt?«

«Vorsätzliche Körperverletzung.«

«Ist er über ein Mädchen hergefallen?«fragte ich.

George hob die Brauen.

«Über den Vater eines Mädchens. Kraye hatte das Mädchen geschlagen, offenbar mit ihrer Erlaubnis. Sie beschwerte sich nicht. Ihr Vater sah aber die Spuren und explodierte. Er sagte, er würde Kraye wegen Vergewaltigung anzeigen, obwohl das Mädchen in dieser Hinsicht nicht unwillig gewesen zu sein schien. Es sah aber sehr schlecht aus für Kraye. Er packte einen Stuhl, schlug ihn dem Vater auf den Schädel und verduftete. Man erwischte ihn am Flughafen, wo er sich nach Südamerika verdrücken wollte, und brachte ihn zurück. Der Vater hatte einen schweren Hirnschaden. Die medizinischen Einzelheiten sind zu kompliziert, jedenfalls fand er sich nachher nicht mehr zurecht. Kraye wurde zwar nicht wegen Vergewaltigung verurteilt, aber man unterstellte Tötungsabsicht bei dem Vater und brummte ihm vier Jahre auf. Drei Jahre danach tauchte er mit Geld und einem neuen Namen in England auf und heiratete bald. Es war die Frau, die sich wegen seelischer Grausamkeit scheiden ließ. Ein netter Bursche.«

«Und ob«, sagte ich.»Wie heißt er in Wirklichkeit?«

«Wilbur Potter«, sagte George ironisch.»Und das nächste erraten Sie nie. Er war von Beruf Geologe, ständig unterwegs. Charakterbeurteilung: geschickt, guter Redner, Blender. Er hatte immer mehr Geld, als er verdiente, gab furchtbar an, aber keine Straftaten. Die Mißhandlung des Vaters war sein erster Zusammenstoß mit dem Gesetz. Damals war er vierunddreißig.«

Sammy von der Vermißtenabteilung hatte mehr getan, als Krayes Fingerabdrücke zu fotografieren. Es war ihm beinahe gelungen, Smith ausfindig zu machen.

«Die Intersouth hat uns heute früh angerufen«, sagte er.»Smith gab seine alte Firma als Referenz an. Er hat sich in Birmingham um eine neue Stelle beworben.«

«Gut«, sagte ich.

«Bis nachmittag wissen wir seine Adresse.«

In meiner Abteilung griff ich nach Dollys Telefon und ließ mich mit >Charing, Street and King< verbinden.

«Mr. Bolts Sekretärin am Apparat«, sagte die ruhige Stimme.

«Ist Mr. Bolt da?«fragte ich.

«Leider nicht, wie ist bitte Ihr Name?«

«Haben Sie nicht zufällig eine Akte von mir?«

«Oh.«, sagte sie lachend.»Ich habe sie unabsichtlich mitgenommen. Tut mir sehr leid.«

«Haben Sie sie bei sich?«

«Nein«, sagte sie.»Ich habe sie nicht mit hierher genommen, damit Mr. Bolt sie nicht sieht. Auf der Außenseite ist >Hunt Radnor< aufgedruckt und ein roter Klebezettel mit dem Text >Archivsache für Sid Halleyc.«

«Ja, das wäre eine Katastrophe«, gab ich zu.

«Sie liegt bei mir zu Hause. Brauchen Sie sie dringend?«

«Nein, eigentlich nicht. Hauptsache, sie ist in Sicherheit. Könnte ich Sie übermorgen abholen, am Sonntag vormittag? Vielleicht fahren wir ein bißchen hinaus und essen irgendwo zu Mittag?«

Es blieb kurze Zeit still, dann sagte sie laut:»Ja, bitte. Ja.«

«Sind die Rundschreiben hinausgegangen?«fragte ich.

«Ja, gestern.«

«Dann bis Sonntag, Miss Martin.«

Im Parterre setzte ich mich in einem Polstersessel Radnor gegenüber und ließ mir sagen, daß von den Streifen in Seabury nichts Außergewöhnliches berichtet worden sei.

«Fison hat eben angerufen. Alles normal, wie an jedem anderen Renntag, meinte er. Das Publikum müßte bald eintreffen. Er und Tom sind noch einmal mit Captain Oxon den ganzen Platz abgegangen. Offenbar ist alles in Ordnung.«

Ich war nicht zufrieden.

«Wenn ich ein Zimmer bekomme, bleibe ich heute nacht dort«, sagte ich.

«Dann rufen Sie mich aber während des Abends zu Hause an.«

«Gern.«

Ich hatte ihn auch am Tag zuvor beim Essen gestört, um ihm von Fred und dem Spiegel zu erzählen.

«Kann ich die Fotos zurückhaben, wenn Sie damit fertig sind?«fragte ich.»Ich möchte anhand der Initialen prüfen, ob einer von den Arbeitern in Seabury in Frage kommt.«

«Tut mir leid, Sid, ich habe sie nicht.«

«Sind sie schon wieder oben?«»Nein, sie sind überhaupt nicht hier, Lord Hagbourne hat sie.«

«Warum denn?«

Ich richtete mich auf.

«Er war gestern nachmittag hier. Im großen und ganzen scheint er hundertprozentig auf unserer Seite zu stehen. Jedenfalls hat er nicht von den Kosten gesprochen, das ist immer ein gutes Zeichen. Auf alle Fälle wollte er Beweise sehen, daß Kraye die Aktien aufgekauft hat: die Fotos der

Aktienübertragung! Er wußte davon. Er sagte, Sie hätten es ihm erzählt.«

«Richtig.«

«Er wollte sie sehen, das konnte ich schlecht abschlagen. Er fragte mich höflich, ob er sie mitnehmen könnte, weil er sie den Direktoren von Seabury zeigen wollte. Sie haben heute vormittag eine Versammlung abgehalten. Er war der Meinung, vielleicht könnte man sie antreiben, wenn sie selbst sähen, wie viele Aktien Kraye besitzt.«

«Und die anderen Fotos?«

«Er hat alle mitgenommen. Sie lagen durcheinander, und er hatte es eilig. Er sagte, er würde sie später selbst sortieren.«

«Er hat sie mit nach Seabury genommen?«fragte ich betroffen.

«Allerdings. Zu der Versammlung. «Radnor schaute auf die Uhr.»Sie müßte jetzt gerade im Gange sein. Wenn Sie sie haben wollen, können Sie sie ja von ihm verlangen.«

«Mir wäre es lieber gewesen, Sie hätten sie ihm nicht mitgegeben.«

«Das kann doch nicht schaden. Selbst wenn er sie verliert, haben wir immer noch die Negative.«

Allerdings wußte er nicht, daß die Negative in einem Haus in Finchley lagen, in der Akte Brinton. Ich rang mir kein Geständnis ab, statt dessen sagte ich:»Na schön. Dann fahre ich also los.«

Ich packte in meiner Wohnung eine Reisetasche. Die Sonnenstrahlen fielen ins Zimmer und ließen die sanften Farben warm hervortreten. Nach zwei Jahren begann ich mich hier endlich zu Hause zu fühlen — ein Zuhause ohne Jenny. Glück ohne Jenny. Beides war offenbar möglich. Jedenfalls war ich wieder halbwegs der Alte.

Auch in Seabury schien noch die Sonne, allerdings nicht auf sehr viele Zuschauer. Die Rennen waren erstaunlich schlecht besetzt. Dafür, daß ein solcher Haufen schlechter Pferde mühsam über die Runden kam, hatte ich mich nun mit Lord Hagbourne, Captain Oxon, Kraye, Bolt, Fred und diversen anderen herumgeschlagen.

Es gab den ganzen Tag keine Zwischenfälle: Runde eins an Chico und mich.

Trotzdem wurde ich eine gewisse Unruhe nicht los. Lord Hagbourne hatte die Fotografien nicht.

«Sie sind nur verlegt worden, Sid«, sagte er beruhigend.

«Machen Sie doch kein solches Theater. Sie finden sich schon.«

Er hatte sie bei der Versammlung auf den Tisch gelegt. Nach Abschluß der Tagesordnung hatte er sich im Stehen mit ein paar Leuten unterhalten. Als er sich umdrehte, um die Schachtel vom Tisch zu nehmen, war sie nicht mehr da. Der ganze Tisch war abgeräumt, die Aschenbecher geleert. Man brauchte den Tisch, um ihn fürs Essen zu decken.

Ich erkundigte mich, was bei der Versammlung herausgekommen sei. Man hatte, wie mir Lord Hagbourne erzählte, die ganze Sache um acht bis vierzehn Tage hinausgeschoben. Es war nicht dringend. Auf alle Fälle durften wir weitermachen.

Ich erkundigte mich überall nach den Fotografien, aber sie waren spurlos verschwunden.

Ich fragte Mr. Fotherton, den Administrator. Ich fragte Captain Oxon, ich fragte eine Sekretärin und eine Reihe anderer Leute. Niemand wußte, wo sich die Fotografien befanden.

«Keine Sorge, Sid«, sagte Lord Hagbourne,»sie tauchen schon wieder auf.«

Aber sie blieben verschwunden.

Ich blieb auf dem Rennplatz, bis um sechs Uhr die Streife abgelöst wurde. Mit dem Dienst fingen jetzt wieder die Leute von der Nacht zuvor an, vier erfahrene und tüchtige ehemalige Polizeibeamte alle schon etwas älter. Sie machten es sich im Pressezimmer bequem, mit Fenstern nach hinten und vorn, Zentralheizung und vier Telefonen — weit angenehmer als bei ihren sonstigen Aufträgen, sagten sie. Zwischen dem letzten Rennen und sechs Uhr überredete ich Captain Oxon dazu, mich durch alle Räumlichkeiten zu führen.

Er zeigte sich durchaus willig, aber wir fanden nichts Außergewöhnliches.

Ich fuhr nach Seabury und mietete mich in einem Hotel ein. Es war nur halbvoll. Früher hatte man bei Rennveranstaltungen dort kein freies Bett bekommen können.

Nach dem Essen ging ich am Strand spazieren. Die Nacht war trocken und kalt, und der Wind roch nach Tang. Ich dachte über Kraye und seine Manöver nach und wanderte ziemlich lange herum, bis mir einfiel, daß ich versprochen hatte, im Laufe des Abends Radnor zu Hause anzurufen.

Es gab nicht viel zu erzählen. Ich beeilte mich nicht, und es war schon fast zehn Uhr, als ich nach Seabury zurückkam. Es gab nicht in allen Zimmern Telefon, deshalb trat ich in eine Zelle an der Promenade.

Am Apparat war Chico, und ich erkannte sofort an seiner

Stimme, daß etwas Furchtbares passiert sein mußte.

«Sid«, sagte er,»Sid, hören Sie, ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll. Was nützt das Herumreden? Wir haben den ganzen Abend versucht, Sie zu erreichen.«

«Was ist los?«Ich schluckte.

«Jemand hat Ihre Wohnung in die Luft gesprengt.«

«In die Luft gesprengt«, wiederholte ich tonlos.

«Mit einer Plastikbombe. Die Wand zur Straße hat es einfach hinausgeblasen. Alle Wohnungen in der Nähe wurden schwer beschädigt, aber die Ihre. Sie ist einfach nicht mehr da — nur ein Riesenloch. Sid. Sind Sie noch da?«

«Ja.«

«Es tut mir leid. Wirklich sehr leid. Aber das ist noch nicht alles. Im Büro ist genau dasselbe passiert. Die Bombe explodierte in der Rennsportabteilung. Das ganze Haus ist demoliert, einfach gräßlich!«

«Chico!«

«Ich weiß, ich weiß. Der alte Mann ist jetzt drüben und starrt ins Leere. Er hat mich hier warten lassen, weil er sagte, daß Sie anrufen würden, für den Fall, daß jemand von der Streife etwas braucht. Ernsthafte Verletzungen hat es nicht gegeben, das ist das einzig Gute. Ein halbes Dutzend Menschen sind leicht verletzt in Ihrem Haus, die Büroräume waren ja leer.«

«Wann.«

«Die Bombe im Büro ist vor ungefähr eineinhalb Stunden explodiert, die in Ihrer Wohnung kurz nach sieben. Der Alte und ich waren mit der Polizei dort, als über Funk die Nachricht von der Explosion ins Büro kam. Die Polizei ist der Ansicht, daß jemand etwas gesucht hat. Die Leute, die unter Ihnen wohnen, hörten zwei Stunden lang, ehe die Bombe explodierte, jemanden in der Wohnung rumoren, aber sie dachten nur, Sie machten einmal mehr Lärm als sonst. Offenbar ist alles in Ihrer Wohnung in der Mitte zusammengeschichtet und die Bombe dorthinein gelegt worden. Die Polizei sagte, das bedeutete, man habe das Gesuchte nicht gefunden und für den Fall alles zerstört, daß es übersehen worden sei.«

«Alles?«

«Restlos alles. Sid, ich. Aber was kann man machen?«

Die Briefe Jennys, als sie mich noch geliebt hatte — das einzige Foto von meinen Eltern, meine Renntrophäen. Alles! Ich lehnte wie betäubt an der Zellenwand.

«Sid, sind Sie noch da?«

«Ja.«

«Im Büro war es genauso. Die Leute auf der anderen Straßenseite sahen mehrmals Lichtschein und ein paar Schatten. Man dachte, wir machten Überstunden. Der Alte sagte, wir müßten davon ausgehen, daß sie nicht gefunden haben, was sie suchten. Er möchte wissen, was es war.«

«Ich weiß es nicht«, sagte ich.

«Sie müssen es wissen!«

«Nein, ich weiß es nicht.«

«Überlegen Sie es sich auf dem Rückweg.«

«Ich komme nicht zurück — heute nacht nicht! Das nützt gar nichts. Ich gehe lieber wieder auf den Rennplatz, um mich zu vergewissern, daß dort nichts passiert.«

«Na schön. Ich sage ihm Bescheid, wenn er anruft. Er will die ganze Nacht in der Cromwell Road bleiben.«

Wir legten auf, und ich trat in die kalte Nacht hinaus. Radnor hatte sicher recht. Wir mußten unbedingt herausfinden, was die Bombenwerfer gesucht hatten. Ich lehnte an der Telefonzelle und dachte nach; absichtlich nicht über die Wohnung, an die ich mich gewöhnt hatte, an all das, was verlorengegangen war.

Um etwas zu suchen, mußte man wissen, daß es existierte.

Wenn man Bomben verwendete, war das Zerstören wichtiger als das Finden. Was hatte ich in meinem Besitz, das Kraye vernichten wollte?

Die Kugel, die Fred in den Spiegel geschossen hatte? Man würde sie nicht finden, weil sie sich beim Schußwaffensachverständigen der Polizei befand. Und wenn man die Meinung gehabt hätte, sie wäre in meinem Besitz, hätte man sie am Tag zuvor schon gesucht.

Das Rundschreiben Bolts? Davon gab es Hunderte!

Der Brief, den Mervyn Brinton für mich geschrieben hatte? Aber das hieße ja.

Ich trat wieder in die Zelle und rief Mervyn Brinton an. Zu meiner Erleichterung war er zu Hause.

«Alles in Ordnung, Mr. Brinton?«

«Ja. Was ist los?«

«Sie haben keinen Besuch erhalten? Sie haben niemandem erzählt, daß ich bei Ihnen war oder daß Sie den Brief Ihres Bruders auswendig wissen?«

Seine Stimme klang verängstigt.»Nein. Passiert ist nichts. Ich würde keinem Menschen etwas davon erzählen.«

«Gut«, sagte ich.»Das ist prima. Ich wollte nur noch einmal nachfragen.«

Brintons Brief kam also nicht in Frage.

Die Fotos! dachte ich. Sie waren die ganze Zeit im Büro gewesen, bis Radnor sie Lord Hagbourne mitgegeben hatte. Niemand außerhalb unserer Firma mit Ausnahme von Lord Hagbourne und Charles hatte gewußt, daß es sie gab. Bis heute früh, als Lord Hagbourne sie nach Seabury mitgenommen und dort verloren hatte.

Wenn sie nun nicht verlegt, sondern gestohlen worden waren? Von jemandem, der Kraye kannte und der Meinung war, er müßte sie ihm zuschanzen? An den Daten der fotografierten

Unterlagen konnte Kraye erkennen, wann die Fotos aufgenommen worden waren. Und wo!

Meine Kopfhaut zog sich zusammen. Ich mußte also jetzt davon ausgehen, daß sie über mich Bescheid wußten.

Ich bekam es plötzlich mit der Angst zu tun und rief in Aynsford an. Charles war selbst am Apparat.

«Charles«, sagte ich,»tu bitte, was ich sage, sofort und ohne zu fragen! Nimm Mrs. Cross mit, setz dich in den Wagen, fahr ein gutes Stück vom Haus weg und ruf mich unter Seabury 79411 an! Verstanden? Seabury 79411!«

Er sagte» Ja «und legte auf.

Ich war erleichtert. Vielleicht blieb nicht mehr viel Zeit. Die Bombe im Büro war vor eineinhalb Stunden explodiert; die Fahrt von London nach Aynsford dauerte genauso lange.

Zehn Minuten später läutete es. Ich nahm den Hörer ab.

«Es hieß, du bist in einer Zelle«, sagte Charles.

«Stimmt, und du?«

«Ich bin in der Wirtschaft im Dorf. Was ist los?«

Ich erzählte ihm von den Bomben, was er mit Entsetzen quittierte, und von den vermißten Fotos.

«Ich wüßte nicht, was sie sonst suchen sollten.«

«Aber du hast doch gesagt, daß sie sie haben.«

«Und die Negative?«meinte ich.

«O ja. Sie waren weder in deiner Wohnung noch im Büro?«

«Nein, durch Zufall nicht.«

«Und du glaubst, daß sie auch nach Aynsford kommen, wenn sie immer noch suchen?«

«Wenn sie so verzweifelt sind, wie ich glaube, dann schon. Vielleicht nehmen sie an, daß du weißt, wo ich meine Sachen verstecke. Vielleicht wollen sie sogar versuchen, aus dir etwas herauszupressen. Ich habe dich gebeten, so schnell wie möglich zu verschwinden, weil ich das nicht riskieren will. Wenn sie nach Aynsford gefahren sind, müßten sie jeden Augenblick eintreffen. Sie wissen schon, daß ich die Fotos in deinem Haus aufgenommen habe.«

«Von den Daten. Ja, stimmt. Ich setze mich mit der Polizei in Verbindung und verlange sofort, daß man das Haus bewacht.«

«Charles, einer von den Kerlen — wenn er der mit den Bomben ist, brauchtest du eine ganze Kompanie.«

Ich beschrieb Fred und seinen Kombi und gab das Kennzeichen durch.

«In Ordnung. Warum sind die Fotos so wichtig für die Leute? So wichtig, meine ich, daß sie Bomben werfen?«

«Wenn ich das nur wüßte.«

«Sei vorsichtig!«

«Ja.«

Ich war vorsichtig. Statt ins Hotel zurückzugehen, rief ich an. Der Geschäftsführer, mit dem ich seit langen Jahren bekannt war, sagte:»Sid, wo sind Sie denn, man hat schon den ganzen Abend versucht, Sie zu erreichen, auch die Polizei.«

«Ja, Joe, ich weiß. Alles in Ordnung. Ich habe mit den Leuten in London gesprochen. Ist inzwischen jemand im Hotel erschienen, der nach mir gefragt hat?«

«Ja, jemand ist in Ihrem Zimmer, Ihr Schwiegervater, Admiral Roland.«

«Wirklich? Sieht er aus wie ein Admiral?«

«Ich denke schon«, meinte er verblüfft.

«Ein Gentleman?«

«Ja natürlich.«

Also nicht Fred!

«Das ist nicht mein Schwiegervater. Ich habe gerade mit ihm in Oxfordshire telefoniert. Holen Sie ein paar Leute, und werfen

Sie den Kerl hinaus!«

Ich legte seufzend auf. Daß jemand in meinem Zimmer saß, bedeutete wohl, daß alles, was ich nach Seabury mitgebracht hatte, verloren sein würde. Mir blieben also nur die Kleider, die ich am Leib trug, und der Wagen.

Ich rannte wie der Blitz zu der Stelle, wo ich ihn geparkt hatte. Er war abgesperrt und unbeschädigt. Ich tätschelte ihn dankbar, stieg ein und fuhr zum Rennplatz hinaus.

Загрузка...