Kapitel 16

Krayes und Oxons methodische Suchaktion, bei der ich eben übersehen worden war, ging weiter. Der Boiler befand sich wie ich in dem Teil, den sie schon hinter sich gebracht hatten. Ich knipste das Licht in der Toilette aus, zwängte mich hinaus und erreichte über die Küche, den Speisesaal der Klubmitglieder, die Herrengarderobe und den Flur den Heizungsraum.

Obwohl es dort keine Tür hinaus gab, wußte ich, daß auf der anderen Seite links der Wiegeraum und rechts der Umkleideraum lagen, dazwischen die Trennwand. Von beiden Räumen aus konnte man das gedämpfte Brausen des Boilers hören. Das Licht, das ich ausgeknipst hatte, brannte wieder. Ich schaute mich um. Alles sah so normal aus wie vorher, bis auf — bis auf eine kleine Pfütze am Boden.

Heizkessel! Wir hatten in der Schule allerhand darüber gelernt. Vor sechzehn oder siebzehn Jahren, dachte ich bedrückt. Ich wußte noch genau, was der Lehrer damals zu Anfang gesagt hatte:

«Das erste, was man sich bei Heizkesseln merken muß, ist, daß sie explodieren können.«

Er war ein ausgezeichneter Lehrer. Die ganze Klasse hatte von diesem Augenblick an interessiert zugehört. Seither war meine Bekanntschaft mit Heizkesseln auf wenige Gelegenheiten beschränkt gewesen. Im Keller meines Wohnhauses hatte ich ab und zu eine Tasse Tee mit dem Hausmeister getrunken. Er interessierte sich für den Rennsport, und wir sprachen die meiste Zeit über Pferde, manchmal aber auch über seine Arbeit. Er hatte mir erzählt, daß es strenge Vorschriften für die Bedienung von Heizkesseln gab, außerdem alle drei Monate eine technische Überprüfung, und er wäre sehr froh darüber, weil er jeden Tag damit zu tun hätte.

Das erste, was man sich bei Heizkesseln merken muß, ist, daß sie explodieren können!

Ich will nicht behaupten, ich hätte keine Angst gehabt. Ich hatte sie. Wenn der Heizkessel platzte, würde das nicht nur große, neue Zugänge zum Wiegeraum und Umkleideraum schaffen, sondern auch alle Winkel mit kochendem Dampf ausfegen — eine Todesart, auf die ich nicht neugierig war.

Ich stand an der Tür und versuchte verzweifelt, mich an die damalige Schulstunde zu erinnern und herauszufinden, was hier los sein könnte.

Es war ein großer Dampfheizkessel, ein gewaltiger Zylinder, drei Meter hoch, eineinhalb Meter im Durchmesser — dicker Stahl, mit dunkelrotem Antirostlack bestrichen. Befeuert wurde er nicht mit Koks, wofür der Heizkessel eigentlich gebaut worden war, sondern mit Heizöl.

Der Kessel selbst mußte bis beinahe obenhin mit Wasser gefüllt sein. Die Ölflamme brachte das Wasser zum Kochen. Der erzeugte Dampf entwich oben unter starkem Druck in einem Rohr, das — ich verfolgte es mit dem Auge — zu einem großen, gelbgestrichenen, abgerundeten Zylinder führte, der horizontal an der Decke befestigt war. Dieser Tank sah aus wie ein Zeppelin. Es war, wenn ich mich recht erinnerte, ein Heizkörper. In ihm verlief das Dampfrohr in einer Spirale wie eine unbewegliche Feder. Der Tank selbst wurde direkt von der Wasserleitung mit dem zu erhitzenden Wasser versorgt, das dann zu den einzelnen Heizkörpern lief, zu den Heißwasserhähnen in der Küche, zu den Toiletten und Waschräumen. Die große Hitze des spiralförmigen Dampfrohrs teilte sich dem es umfließenden Wasser mit, so daß das kalte, in den Heizkörpern eintretende Wasser in der kurzen Zeit, bevor es am anderen Ende wieder herauskam, stark erhitzt wurde.

Der Dampf im Spiralrohr, dem dabei Hitze entzogen wurde, schlug sich langsam wieder als Wasser nieder. Ein Rohr führte von der Wand zu einem kleineren viereckigen Tank, der am Boden stand. Daraus sproß ein Rohr durch den Raum und verlief in der Nähe des Heizkessels zu einem bauchigen Metallkörper, der ein wenig größer war als ich: eine elektrische Pumpe. Sie schloß den Kreislauf, indem sie das kondensierte Wasser aus dem Tank am Boden in den Heizkessel zurückpumpte, wo das Ganze wieder von vorn begann.

Soweit, so gut. Wenn man in den Kreislauf eingriff, so daß das Wasser nicht in den Heizkessel zurückgelangte, gleichzeitig aber den Kessel voll beheizte, verwandelte sich im Laufe der Zeit das ganze Wasser in Dampf — der Kraft genug hatte, ein Schiff anzutreiben oder einen Zug — in diesem Falle aber nur durch ein dünnes spiralförmiges Rohr entweichen konnte.

Diese Art Kessel, nicht zum Antrieb einer Maschine, sondern nur zur Erhitzung des Wassers gebaut, hielt großem Druck nicht stand. Es kam auf dasselbe hinaus, auch wenn der Dampf eine schwache Stelle fand, um zu entweichen, bevor die Flammen die Unterseite des Kessels durchgebrannt hatten. In beiden Fällen mußte der Boiler explodieren.

An der Außenseite befand sich ein Wasserstandsanzeiger, ein langes, senkrechtes Glasrohr, mit zwei Anschlüssen befestigt. Oben zeigte ein schwarzer Strich den erforderlichen Wasserstand an. Ziemlich weit unten diente ein breiter roter Strich als Warnsignal.

Das Wasser im Meßrohr stand noch einen Zentimeter über dem roten Strich.

Ich war erleichtert, um es mild auszudrücken: Der Heizkessel drohte noch nicht gleich aus den Nähten zu platzen. Die Explosion lag noch in der Zukunft, was mir Zeit gab, etwas zu unternehmen. Vielleicht so viel Zeit, wie Oxon und Kraye für die Suchaktion brauchten.

Ich konnte die Flamme kleiner drehen, dann wäre Kraye und Oxon aufgefallen, daß das Brausen leiser wurde. Sie hätten einfach wieder aufgedreht, und nichts wäre gewonnen. Ich war überzeugt, daß man die Flamme größer gestellt hatte, als für die Nacht zulässig war, weil das Wasser im Damenwaschraum schon kochte.

Vorsichtig drehte ich das Einstellrad an der Ölleitung: eine halbe Umdrehung, eine ganze. Das Brausen wurde nicht leiser. Noch eine Umdrehung, und diesmal war der Unterschied deutlich zu merken, noch eine halbe Umdrehung mehr: deutlich leiser! Langsam drehte ich das Rad weiter, bis das Brausen zu einem leisen Summen absank. Zuviel! Hastig korrigierte ich. Als das Brausen wieder zu hören war, ließ ich das Rad los.

Ich starrte den viereckigen Kondenswassertank an. Aus ihm stammte die Pfütze, denn der Tank lief über, weil der Inhalt nicht mehr in den Heizkessel zurückgepumpt wurde. Wenn sie die Pumpe beschädigt haben, dachte ich verzweifelt, bin ich erledigt. Ich verstand nichts von elektrischen Pumpen.

Ein zweiter Satz aus der längst vergangenen Schulstunde fiel mir ein: >Um der Sicherheit willen muß jeder Heizkessel zwei Wasseranschlüsse haben!<

Ich kaute an der Unterlippe und sah, wie das Wasser auf den Boden rann. Schon in der kurzen Zeit, seit ich dort stand, war die Pfütze größer geworden. Die Wasserzufuhr war offenbar ausgeschaltet. Wo befand sich die andere?

Es gab Dutzende von Rohren im Heizungsraum; nicht nur Öl-und Wasserrohre, auch die elektrischen Kabel waren in Rohren verlegt.

Zwei Rohre, offenbar aufsteigende Wasserleitungen, führten vom Boden hinauf die Wand entlang in den Heizkörper. Beide Ventile waren offen. Keine Wasserleitung führte direkt in den Heizungskessel.

Rein durch Zufall befand ich mich halb hinter dem riesigen Zylinder und suchte nach einem Zuführungsrohr, als ich bemerkte, daß die Türklinke nach unten gedrückt wurde. Ich stürzte zu der einzigen Stelle, die als Versteck geeignet war: der Platz zwischen Heizkessel und Wand. Es war dort glühend heiß, fast unerträglich.

Kraye mußte die Stimme heben, um das Brausen zu übertönen.»Ist das noch nicht zu gefährlich?«

«Nein. Er explodiert frühestens in drei Stunden.«

«Das Wasser läuft schon heraus«, wandte Kraye ein.

«Im Tank ist sehr viel Wasser. «Oxons Stimme kam näher. Ich spürte, wie mein Herz zu hämmern begann.»Der Wasserstand ist noch nicht einmal unter den roten Strich gesunken. Auch wenn er darunter ist, dauert es noch eine Weile, bis der Kessel explodiert.«

«Wir müssen Halley finden«, sagte Kraye.»Wir müssen!«

Wenn Oxon noch einen einzigen Schritt machte, mußte er mich sehen.

«Ich fange von hier aus an, Sie von der anderen Seite. Schauen Sie in jeden Schrank. Der Mistkerl muß sich irgendwo versteckt haben.«

Oxons Antwort verstand ich nicht. Ich sah seinen Ärmel, als er sich umdrehte, und wich noch weiter zurück.

Wegen des Lärms, den der Heizkessel machte, konnte ich sie nicht hinausgehen hören, aber ich mußte es endlich riskieren, wieder hervorzukommen. Die Hitze war zu groß. Ich trat in die Mitte des Raumes, wo mir die an sich warme Luft wie ein kühles Bad erschien. Oxon und Kraye waren verschwunden.

Ich zog das Jackett aus und wischte mir mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

Zurück zu meinem Problem: Wasserzufuhr.

Die Pumpe schien in Ordnung zu sein. Nirgends sah ich lose hängende Drähte. Sie machte den Eindruck, als habe sich dort niemand zu schaffen gemacht. Wenn ich Glück hatte, war die Pumpe nicht beschädigt, sondern nur das Rohr verstopft worden, wo es aus dem Tank austrat. Ich zog auch das Hemd aus und legte es zusammen mit der Krawatte auf das Jackett am Boden.

Der Deckel des Tanks ließ sich leicht ablösen. Das Wasser war nicht übermäßig heiß. Ich trank aus der hohlen Hand. Das Rennen und die Hitze hatten mich sehr durstig gemacht, und obwohl ich lieber Eiswasser gehabt hätte, konnte es reineres Wasser kaum geben.

Ich steckte den Arm ins Wasser, nachdem ich neben dem Tank niedergekniet war. Ich konnte den Boden leicht erreichen und fand nach wenigen Sekunden einen losen Gegenstand. Ich zog ihn heraus. Es war ein dünner Maschenfilter, der ohne Zweifel auf die Öffnung des Rohrs gehörte.

Ich war überzeugt, daß man das Rohr von hier aus verstopft hatte, und griff wieder in das Wasser. Ich fand den Rand der Öffnung und tastete vorsichtig herum. Es gab keinen Widerstand. Ich beugte mich weiter, so daß ich halb mit der Schulter ins Wasser geriet und steckte zwei Finger in die Rohröffnung. Ich fühlte nichts Festes, schien aber ein Stück Schnur zu tasten. Es war schwierig, sie zwischen zwei Finger zu bekommen, um fest daran zerren zu können. Endlich gelang es mir, das Ding herauszuziehen.

Es ging mit einem solchen Ruck, daß ich beinahe umgekippt wäre. Das Abflußrohr gab einen merkwürdig brodelnden Laut von sich, und in der Pumpe knackte es.

Ich zog die Hand aus dem Wasser, um zu sehen, womit das Rohr verstopft war, und riß die Augen auf. Es war eine große Maus. Ich hatte sie am Schwanz herausgezogen.

Wie gehabt, dachte ich. Pech, wie in Seabury üblich. So unwahrscheinlich es auch war, daß eine Maus in einen Tank sprang — wobei der Filter zufällig nicht an seinem Platz war —, es wäre nicht zu beweisen, daß so etwas unmöglich war.

Ich legte die tote Maus in die Lücke zwischen Tank und Wand. Erleichtert stellte ich fest, daß das Wasser bereits geringfügig zu sinken begann, das heißt, daß die Pumpe wieder arbeitete, und der Heizkessel binnen kurzem wieder normal funktionieren würde.

Ich schüttete Wasser aus dem Tank auf den Boden, um eine größere Pfütze zu erzeugen, für den Fall, daß Kraye oder Oxon noch einmal hereinschauten, dann stülpte ich den Deckel wieder über den Tank. Ich zog Hemd und Jacke an und folgte mit den Augen den verschiedenen Rohren. Irgendwo mußte es noch ein Wasserzuführungsrohr geben. Ich fand es schließlich neben und hinter dem Einlaßrohr der Pumpe. Es wurde aus drei kleinen Tanks hoch oben an der Wand gespeist. Filter, dachte ich, damit die Wasserleitung ihre Mineralsalze nicht in den Heizkessel einbringt. Die Filtertanks wurden von einem Rohr versorgt, das von der großen Wasserleitung abzweigte und über ein eigenes Ventil verfügte. Ich griff hinauf und versuchte, das Rad zuzudrehen. Es bewegte sich nicht. Die Wasserleitung war abgedreht. Ich nickte zufrieden und drehte sie wieder auf.

Nachdem der Heizkessel wieder richtig funktionierte, sah ich mir das Meßrohr noch einmal an. Der Wasserstand hatte schon wieder die Mitte zwischen rotem und schwarzem Strich erreicht. Ich hoffte inständig, daß Oxon nicht noch einmal nachsehen würde, ging zur Tür und knipste das Licht aus.

Im Korridor war niemand. Ich zwängte mich hinaus, machte die Tür fast ganz zu, steckte die Hand durch den Spalt hinein und knipste das Licht wieder an. Kraye durfte nicht wissen, daß ich im Heizungsraum gewesen war.

Ich hielt mich nahe an der Wand und ging leise den Korridor entlang. Wenn ich die Tribünengebäude hinter mir lassen konnte, würde ich vielleicht in den anderen Häusern Unterschlupf suchen können. Dahinter lag die Zielgerade, der Weg zur Straße, zu den Menschen, zu Telefonen.

Da ließ mich das Glück im Stich.

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