Kapitel 7

«Chico«, sagte ich,»wie kippt man einen Lastwagen genau an einer Stelle um, die man sich vorher ausgesucht hat?«

«Was? Das ist einfach. Da brauchst du nur schweres Hebewerkzeug. Einen großen hydraulischen Wagenheber, einen Kran, irgend etwas in dieser Richtung.«

«Und wie lange würde das dauern?«

«Wenn Kran und Lastwagen schon an Ort und Stelle sind, meinst du?«

«Ja.«

«Nur ein paar Minuten. Was für eine Art von Lastwagen?«

«Ein Tankfahrzeug.«

«Benzintransporter?«

«Ein bißchen kleiner. Eher die Größe von den Milchtankfahrzeugen.«

«Nichts dabei. Der Schwerpunkt liegt ziemlich tief, man braucht also viel Kraft, aber trotzdem ist es kein Problem.«

Ich sah Dolly an.

«Hat Chico schon was zu tun, oder können Sie ihn entbehren?«

Dolly beugte sich vor, kaute an ihrem Bleistift und überflog den Dienstplan. Die Wickelbluse erzielte ihre Wirkung.

«Ich könnte jemand anderen nach Kempton schicken.«

Sie sah meinen Blick, lachte und richtete sich ein bißchen auf.

«Ja, Sie können ihn haben. «Sie warf ihm einen liebevollen Blick zu.

«Chico«, sagte ich,»fahr nach Seabury und versuch herauszufinden, ob vergangenen Freitag in der Nähe der

Rennbahn schweres Hebezeug gesehen worden ist. Die kleinen Häuser sind voll von Menschen, die nichts zu tun haben, als zum Fenster hinauszugucken. Du könntest auch herumforschen, ob in der Nähe ein solches Gerät gemietet worden ist, aber soviel Glück haben wir sicher nicht. Die Straße müßte ein paar Minuten lang gesperrt gewesen sein, bevor der Tanklaster umgeworfen wurde, nehme ich an. Vielleicht findest du jemanden, der etwas gesehen hat — Umleitungsschilder zum Beispiel. Und dann gehst du zu den Gemeindeämtern und läßt dir die alten Karten zeigen, wegen der Abzugskanäle.«

Ich erklärte ihm, wo sich der unterirdische Wassergraben befand, damit er wußte, wonach er auf den Landkarten zu suchen hatte.

«Und sei vorsichtig.«

«Mach dich naß«, sagte er grinsend.

«Unser Freund versteht keinen Spaß.«

«Und du möchtest nicht, daß er uns anschleichen sieht?«

«Genau.«

«Der kleine Chico kommt schon zurecht.«

Nachdem er gegangen war, rief ich Lord Hagbourne an und schilderte ohne Umschweife den Zustand der Rennbahn.

«Sie brauchen ein paar Bulldozer und zwar schnell. Offenbar haben sie aber kein Geld in der Kasse, Kann man denn nicht aus dem Unterstützungsfonds.«

«Wir können keine Geschenke verteilen«, unterbrach er mich.»Aber ich werde sehen, was sich tun läßt. Noch nicht einmal halb ausgegraben, sagten Sie? Hm. Captain Oxon, der Verwalter, hat Weatherby aber versichert, daß die Bahn bis zur nächsten Veranstaltung rennfertig sein wird. Hat er seine Meinung geändert?«

«Ich konnte nicht mit ihm sprechen, Sir, er war unterwegs.«

«Oh. «Lord Hagbournes Stimme wurde kühler.»Dann hat er

Sie nicht gebeten, meine Hilfe zu erbitten? Es tut mir leid, da kann ich mich nicht einmischen. Als Rennbahnverwalter trägt er die Verantwortung, und daran können wir nichts ändern. Hm, ja. Wenn er Rat braucht, wird er sich an den Administrator wenden.«

«Der Administrator ist Mr. Fotherton, der in Bristol wohnt. Er führt auch die Aufsicht über den dortigen Rennplatz und ist dort mit den Veranstaltungen von morgen und am Montag beschäftigt.«

«Ja, stimmt.«

«Sie könnten Captain Oxon doch einmal anrufen und sich erkundigen, wie die Arbeit vorangeht, Sir«, schlug ich vor.

«Ich weiß nicht.«

«Sie können mich beim Wort nehmen, Sir. Wenn es weiter so langsam vorwärtsgeht, finden am nächsten Wochenende in Seabury keine Rennen statt. Ich glaube nicht, daß Captain Oxon sich darüber im klaren ist, wie langsam die Männer vorankommen.«

«Ausgeschlossen«, protestierte er.»Er hat versichert.«

«Noch eine Absage in letzter Minute gibt Seabury den Rest«, sagte ich nachdrücklich.

Es blieb eine Weile still, dann sagte er widerstrebend:»Ja, das kann wohl sein. Gut, ich erkundige mich bei Captain Oxon und Mr. Fotherton, ob sie mit dem bisherigen Verlauf zufrieden sind.«

Ein größeres Zugeständnis konnte ich ihm nicht abringen, es würde zweifellos nicht genügen. Der Dienstweg bricht Seabury das Genick, dachte ich.

Ich behielt Dollys Telefon gleich bei mir, rief als nächstes bei der Polizeistation in Epping an und sprach mit Chefinspektor Cornish.

«Etwas Neues im Fall Andrews?«fragte ich.

«Man kann wohl nicht bestreiten, daß Sie persönlich interessiert sind. «Er lachte.»Ich habe inzwischen eine Schwester von ihm ermitteln können. Bei der gestrigen gerichtlichen Untersuchung haben wir sie zur Identifizierung als Zeugin aufgerufen, weil sie die einzige Angehörige ist. Aber wenn Sie mich fragen, wußte sie nicht genau Bescheid. Sie sah sich die Überreste im Leichenschauhaus an und kippte um.«

«Armes Mädel, das kann man ihr nicht verdenken.«

«Nein. Sie sah nicht lange genug hin, um ihn identifizieren zu können. Aber Ihre Aussage genügte, und wir brachten es nicht fertig, sie noch einmal hineinzuschicken.«

«Wie ist er gestorben? Konnten Sie das feststellen?«

«Allerdings. Er wurde von hinten erschossen. Die Kugel prallte an einer Rippe ab und blieb im Brustbein stecken. Der Schußwaffensachverständige hat diese Kugel mit der verglichen, die man aus der Wand Ihres Büros herausgeholt hat. Es gibt keinen Zweifel, er wurde mit der Waffe umgelegt, die er gegen Sie gerichtet hatte.«

«Ist sie gefunden worden?«

«Keine Spur. Der Tatbestand lautet: Mord durch unbekannte Täter. Und ganz unter uns, so wird es auch bleiben. Wir haben keine brauchbare Spur.«

«Was für eine Spur haben Sie?«fragte ich.

Er zögerte.

«Seine Schwester hat uns etwas erzählt. Sie wohnt in Islington, und er verbrachte den Abend, bevor er in Ihrem Büro einbrach, bei ihr. Er zeigte ihr den Revolver. Sie behauptete, er sei sehr stolz darauf gewesen. Offenbar war er ein bißchen bekloppt. Zu ihr sagte er nur, ein großer Mann habe ihm die Waffe geliehen, weil er etwas holen müßte, und er sollte alle niederschießen, die sich ihm in den Weg stellten. Sie glaubte ihm nicht. Sie sagte, er habe immer alles mögliche erfunden. Sie fragte ihn auch nicht nach dem großen Mann, oder wo er hinwollte.«

«Ein bißchen eigenartig«, sagte ich,»mit einem geladenen Revolver vor Augen.«

«Den Nachbarn zufolge war sie mehr an Männern interessiert als an den Dingen, die ihr Bruder trieb.«

«Die lieben Nachbarn.«

«Klar. Wir haben jedenfalls bei allen Leuten nachgefragt, die Andrews in der Woche, bevor er auf Sie schoß, gesehen haben. Da war nirgends die Rede von einem Revolver oder einem großen Mann oder einem Auftrag für die Cromwell Road.«

«Er ist nachher nicht mehr zu seiner Schwester gegangen?«

«Nein, sie sagte ihm, sie erwarte einen Gast.«

«Um ein Uhr früh? Die Nachbarn haben doch recht. Bei den Rennplätzen haben Sie auch herumgefragt?«

«Andrews ist dort recht gut bekannt als eine Art Laufbursche. Alle schienen überrascht zu sein, daß eine so harmlose Person ermordet worden ist.«

«Harmlos!«

«Wenn Sie ihn nicht für harmlos gehalten hätten, wären Sie vorsichtiger gewesen.«

«Sie haben ja recht«, sagte ich.»Jetzt sehe ich in jedem braven Bürger einen Schurken. Das ist sehr unangenehm.«

«Die meisten sind auch Schurken, auf die eine oder andere Weise«, meinte Cornish fröhlich.»Jedenfalls haben wir genug zu tun. Was halten Sie übrigens von Sparkies Chancen im Hennessy-Rennen?«

Als ich endlich auflegte, riß mir Dolly das Telefon weg und bat das Mädchen am Klappenschrank, ihr drei Ferngespräche hintereinander zu geben, und zwar >ohne daß mir Halley dazwischen kommtc. Ich grinste, nahm die Fotografien aus der Schublade und sah sie noch einmal durch. Sie verrieten mir nicht mehr als vorher.

Als Dolly mit ihren Anrufen fertig war, nahm ich ihr den Hörer aus der Hand und rief meine Bank an.

«Mr. Hopper! Hier ist Sid Halley. Ja, gut, danke. Und Sie? Gut. Könnten Sie mir sagen, wie mein Kontostand ist?«

«Gar nicht übel«, erwiderte er in seiner Baßstimme.»In letzter Zeit sind ein paar Dividenden eingegangen. Wenn Sie sich ein bißchen gedulden, lasse ich mir die genauen Zahlen bringen. «Er sprach mit einem Mann im Hintergrund, dann wieder mit mir:

«Es wird Zeit, daß Sie einen Teil erneut anlegen.«

«Das hatte ich auch vor«, meinte ich.»Ich wollte mit Ihnen darüber sprechen. Ich möchte diesmal von einem Börsenmakler Aktien kaufen, nicht über die Bank. Bitte glauben Sie nicht, daß ich unzufrieden bin, ganz im Gegenteil. Es hängt mit meiner Arbeit bei Radnor zusammen.«

«Verstehe. Und was wollen Sie?«

«Sie als Referenz angeben«, sagte ich.»Er wird Sie sicher verlangen, aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ganz unpersönlich bleiben würden. Erwähnen Sie bitte weder meinen früheren noch meinen jetzigen Beruf. Das ist sehr wichtig.«

«In Ordnung. Noch etwas?«

«Nein. Das heißt, ja. Ich habe mich bei ihm als John Halley angemeldet. Würden Sie bitte darauf achten, wenn er sich mit Ihnen in Verbindung setzt.«

«Gerne. Ich hoffe, daß Sie mir später einmal erzählen, worum es gegangen ist. «Die tiefe Stimme klang amüsiert.»Ah, hier kommen die Zahlen. «Er nannte die Gesamtsumme, die zur Abwechslung einmal größer war, als ich erwartet hatte.

Ich gab Dolly mit einer ironischen Verbeugung das Telefon zurück und ging zur Abteilung Bona Fides hinauf. Copelands lehmfarbener Pullover war in nicht ganz passender Farbe gestopft worden.

«Wißt ihr schon etwas über Kraye?«fragte ich.»Oder komme ich zu früh?«

«George hat, glaube ich, schon etwas.«

Ich trat an Georges Schreibtisch. Auf einem Blatt Papier hatte er Kurznotizen verewigt. >Ges. verh., 2 J., 2 fr., 1 Sch., 1 Selbstm., Gr.< hieß es dort, dahinter eine Reihe von Namen und Daten.

«So?«sagte ich.

«Ja. «Er grinste.»Kraye schloß vor zwei Jahren mit Doria Dawn geborene Easterman die gesetzliche Ehe. Vorher war er schon zweimal verheiratet. Die eine Frau brachte sich um, die andere ließ sich wegen seelischer Grausamkeit scheiden.«

George wies auf die Namen und Daten.

«Ganz klar«, meinte ich,»wenn man sich auskennt.«

«Wenn Sie nicht so ungeduldig wären, bekämen Sie einen ausführlichen Bericht. Aber weil Sie schon da sind. «Er überflog die Seite.»Bei den Geologen gilt er als exzentrisch. Der Wert der Kristalle ist oft gering, weil sie sehr häufig vorkommen, mit Ausnahme der Halbedelsteine. Aber Kraye kauft alles, was ihm ins Auge sticht. Im Geologiemuseum kennt man ihn recht gut. Aber kein Hauch von unsauberen Dingen. In den Klubs — er gehört diesen dreien an — ist er nicht maßlos beliebt, aber die meisten halten ihn für einen patenten Burschen, weil er sich gut ausdrücken kann. Er spielt bei Croxfords, aber keine größeren Gewinne oder Verluste. Er reist stets erster Klasse, meist mit dem Schiff. Kein Beruf, auch in keinem Universitätsregister zu finden. Man nimmt an, daß er von Börsenspekulationen lebt. Nicht besonders beliebt, gilt aber bei den meisten als kluger, kultivierter Mann, bei ein paar als heuchlerischer Angeber.«

«Von unsauberen Machenschaften ist nirgends die Rede?«

«Nein. Sollen wir ein bißchen tiefer schürfen?«»Wenn das zu machen ist, ohne daß er es merkt?«

George nickte.»Wollen Sie ihn beschatten lassen?«

«Nein, ich glaube nicht. Jedenfalls vorerst nicht. Keine Angaben über seine Vergangenheit?«

George schüttelte den Kopf.»Nichts. Keiner seiner Bekannten kennt ihn länger als ungefähr zehn Jahre. Er ist entweder nicht hier geboren oder hieß bei der Geburt nicht Kraye. Keine Angehörigen zu finden.«

«Sie haben ja wahre Wunder geleistet, George. Das alles an einem Tag!«

«Beziehungen, sehr viele Telefonate, ein paar Besuche in Lokalen, Unterhaltungen mit Geschäftsleuten — nichts dabei.«

Jack sah mich über seine Brille an und erklärte, ein Vorbericht über Bolt wäre noch nicht lieferbar, weil Carter, der den Fall bearbeitete, noch nicht angerufen habe.

«Sagen Sie mir Bescheid, wenn er sich meldet?«bat ich.»Ich bin für halb vier zu Bolt bestellt und möchte vorher gern Bescheid wissen.«

«Okay.«

Die Firma >Charing, Street and King< umfaßte zwei Räume in einem großen Bürohaus und bestand nur aus Bolt, einem Büroangestellten und einer Sekretärin.

Man zeigte mir die Tür des Vorzimmers, und ich betrat einen düsteren Raum mit kaltem Neonlicht und Aussicht auf die Feuerleiter durch das schmutzige Fenster. An der rechten Wand saß eine Frau am Schreibtisch vor dem Fenster, mit dem Rücken zu mir. Hinter ihrem Stuhl befand sich eine Tür. Auf der Milchglasscheibe stand >Ellis Bolt<. Ich hatte den Eindruck, daß sie sehr unpraktisch saß, aber vielleicht machte es ihr Spaß, ständig Aussicht auf Zugluft zu haben und sich jedesmal umdrehen zu müssen, wenn jemand ins Zimmer kam.

Sie drehte sich aber nicht um. Sie bewegte nur den Kopf ein bißchen zur Seite und fragte:»Ja?«

«Ich bin für halb vier zu Mr. Bolt bestellt«, antwortete ich.

«Ah ja, Sie sind Mr. Halley. Nehmen Sie Platz. Ich sehe nach, ob Mr. Bolt frei ist.«

Sie wies auf einen Sessel und drückte auf eine Taste an ihrem Sprechgerät. Während ich zuhörte, wie sie Mr. Bolt von meinem Eintreffen unterrichtete, hatte ich Zeit zu sehen, daß sie Ende Dreißig war, schlank, aufrecht in ihrem Stuhl saß und glattes dunkles Haar hatte, das ihr Gesicht halb verdeckte. Sie trug keine Ringe, und ihre Nägel waren unlackiert, dazu dunkle schlichte Kleidung. Es hatte den Anschein, als gäbe sie sich Mühe, unattraktiv zu erscheinen. Als sie aber den Kopf halb drehte und mir sagte, Mr. Bolt wäre jetzt frei, zeigte sie ein hübsches Profil. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf ein braunes Auge, das schnell gesenkt wurde, die Andeutung eines Lächelns um blasse Lippen, dann wandte sie mir wieder den Hinterkopf zu.

Ein wenig erstaunt öffnete ich die Tür zu Bolts Arbeitszimmer und trat ein. Auch hier kein erhebender Anblick. Das Zimmer war zwar größer und verfügte über einen grünen Teppich, aber die Wände waren in Grau gehalten und verliehen dem Ganzen eine düstere Note. Wenn die unauffällige Einrichtung mit Solidität gleichzusetzen war, mußte Bolt als ehrlicher Geschäftsmann gelten. Er stand hinter seinem Schreibtisch mit ausgestreckter Hand. Ich drückte sie, er bot mir einen Sessel und eine Zigarette an.

«Nein, danke, ich rauche nicht.«

«Sie Glücklicher!«sagte er jovial und setzte sich.

Sein Gesicht war überall rund — große runde Nase, runde Backen, rundes dickes Kinn. Er hatte buschige Augenbrauen, dicke Lippen und machte ein selbstzufriedenes Gesicht.

«Also, Mr. Halley, ich bin dafür, daß wir gleich zur Sache kommen. Was kann ich für Sie tun?«

Er hatte eine einschmeichelnde Stimme und schien sich selbst gern zu hören.

«Eine Tante hat mir etwas Geld gegeben, statt es mir im Testament zu vermachen. Ich möchte es anlegen.«

«Aha. Und warum kommen Sie zu mir? Haben Sie eine Empfehlung?«

Er verstummte einladend und beobachtete mich mit Augen, die mir verrieten, daß er kein Dummkopf war.

«Tja. «Ich zögerte und lächelte schüchtern, um zu zeigen, daß ich ihn keineswegs beleidigen wollte,»ich habe Sie buchstäblich mit einer Nadel gefunden. Ich kenne keine Börsenmakler und wußte nicht, wen ich nehmen sollte, deshalb suchte ich mir das Branchenadreßbuch heraus, steckte eine Nadel hinein, und die Wahl ist auf Sie gefallen.«

«Ah«, sagte er in väterlichem Ton und vermerkte den schlechten Sitz von Chicos zweitbestem Anzug, den ich mir für diese Gelegenheit ausgeborgt hatte.

«Können Sie mir helfen?«fragte ich.

«Ich denke schon. Wie groß ist denn das — äh — Geschenk?«

Seine Stimme klang ein wenig herablassend und gelangweilt. Er argwöhnte, daß ich nur gekommen war, ihm die Zeit zu stehlen.

«Fünfzehnhundert Pfund.«

Sein Gesicht hellte sich etwas auf.»Ja, damit können wir schon etwas anfangen. Kommt es Ihnen auf Wachstum oder auf hohen Ertrag an?«

Ich sah ihn verständnislos an. Er erklärte mir den Unterschied, ohne mir zum einen oder zum anderen zu raten.

«Na, dann Wachstum«, sagte ich.»Machen Sie ein Vermögen daraus, für das Alter.«

Er lächelte schwach und zog ein Blatt Papier heran.

«Kann ich bitte Ihren vollen Namen haben?«

«John Halley — John Sidney Halley«, sagte ich wahrheitsgemäß.

«Anschrift?«

Ich nannte sie.

«Und Ihre Bank?«

Ich gab ihm auch darüber Auskunft.

«Und ich brauche eine Empfehlung.«

«Sind Sie mit dem Geschäftsführer der Bank einverstanden?«fragte ich.»Ich habe dort seit zwei Jahren ein Konto. Er kennt mich ziemlich gut.«

«Ausgezeichnet. «Er schraubte seinen Füllhalter zu.»Haben Sie bereits eine Vorstellung, welche Aktien in Frage kommen, oder überlassen Sie das mir?«

«Ach, das überlasse ich Ihnen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich verstehe nämlich nichts davon. Ich möchte nur das Geld nicht einfach so herumliegen lassen.«

«Durchaus verständlich. «Er langweilte sich.»Sagen Sie, Mr. Halley, was für einen Beruf haben Sie?«

«Oh. Hm. Ich arbeite in einem Einzelhandelsgeschäft, Herrenkleidung, sehr interessant.«

«Zweifellos. «Er schien ein Gähnen zu unterdrücken.

«Ich habe Aussichten, nächstes Jahr Zweiter Einkäufer zu werden.«

«Wunderbar. «Er hatte genug, stand auf und führte mich zur Tür.»Also gut, Mr. Halley, ich lege Ihr Geld in soliden Papieren an und schicke Ihnen zu gegebener Zeit die Unterlagen zur Unterschrift. Sie hören in acht bis zehn Tagen von mir. Einverstanden?«

«Ja, Mr. Bolt, recht herzlichen Dank«, erwiderte ich respektvoll. Er schloß die Tür hinter mir.

Im Vorzimmer befanden sich jetzt zwei Personen. Die Frau, immer noch mit dem Rücken zu mir, und ein magerer älterer Mann mit schmalen Lippen. Er schien sich hier zu Hause zu fühlen und betrat nach einem kurzen Seitenblick auf mich Bolts Büro — wohl ein Angestellter.

Die Frau tippte Adressen auf Briefumschläge. Ein Stapel fertiger Umschläge lag links neben ihr, rechts schrieb sie von einer Namenliste ab. Ich blickte über ihre Schulter und riß die Augen auf. Es war eine Liste der Aktionäre des Rennplatzes Seabury.

«Wünschen Sie etwas, Mr. Halley?«fragte sie höflich, zog einen Umschlag aus der Schreibmaschine und spannte den nächsten ein.

«Tja-äh-ja.«

Ich wollte um den Schreibtisch herumgehen und stellte fest, daß das nicht ging. Ein großer altmodischer Tisch mit wulstigen Beinen füllte den Raum zwischen Schreibtisch und Wand aus. Ich begann zu begreifen.

«Vielleicht wären Sie so nett und würden mir verschiedenes über die Investierung von Kapital erklären. Ich wollte Mr. Bolt nicht zu sehr belästigen, er hat viel zu tun.«

«Tut mit leid, Mr. Halley. «Ihr Kopf war abgewandt und über die Liste gebeugt.»Ich habe zu tun, wie Sie sehen. Warum lesen Sie nicht die Börsenseite in der Zeitung oder besorgen sich ein Buch?«

Ich hatte schon ein Buch — die >Grundzüge des Gesellschaftsrechts<. Zumindest eines hatte ich daraus erfahren, daß nur Börsenmakler Rundschreiben an Aktionäre versenden durften. Bei Privatpersonen galt das als ungesetzlich. Kraye durfte also keine Rundbriefe an die Aktionäre des Rennplatzes schicken. Bolt durfte es.

«Mit den Büchern ist das nicht so einfach«, meinte ich.

«Wenn Sie jetzt beschäftigt sind, dürfte ich vielleicht später zurückkommen und Sie zum Essen einladen? Ich wäre Ihnen sehr dankbar.«

Sie fröstelte ein wenig.»Tut mir leid, Mr. Halley, aber das geht nicht.«

«Wenn Sie mich anschauen, damit ich Ihr Gesicht ganz sehen kann«, sagte ich,»frage ich Sie noch einmal.«

Sie zuckte zusammen, drehte sich aber schließlich um und sah mich an. Ich lächelte.»Schon besser. Darf ich Sie heute abend einladen?«

«Sie haben es erraten?«

Ich nickte.»An der Art, wie Sie die Möbel aufgestellt haben. Einverstanden?«

«Sie wollen immer noch?«

«Selbstverständlich. Wann sind Sie fertig?«

«Gegen sechs.«

«Ich hole Sie unten ab.«

«Also gut«, sagte sie,»wenn Sie es wirklich ernst meinen, danke. Ich habe sonst nichts vor.«

Jahre hoffnungsloser Einsamkeit prägten die Worte — heute nichts vor und sonst auch nicht. Dabei war ihr Gesicht nicht so schrecklich anzusehen; bei weitem nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte. Sie hatte ein Auge verloren und trug ein gläsernes. Man sah die Spuren einer umfangreichen Verbrennung und zweifellos auch von Brüchen der Gesichtsknochen, aber durch kosmetische Operationen war der Schaden im wesentlichen behoben worden, und außerdem schien das alles sehr lange her zu sein. Die Narben waren alt. Nur die innere Wunde hatte nicht heilen können.

Ja. Davon verstand ich selbst etwas, in kleinerem Maßstab.

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