Kapitel 15

Alles war still, als ich durchs Tor fuhr und den Motor abstellte. Ich sah Licht — hinter den Fenstern des Pressezimmers, eins über der Tür zum Wiegeraum, eins irgendwo hoch oben in der Tribüne. Sonst war es stockdunkel, eine klare Nacht, mondlos.

Ich ging zum Pressezimmer, um mich zu erkundigen, ob etwas vorgefallen sei.

Die Streifen hatten nichts zu berichten, denn alle vier schliefen fest.

Wütend schüttelte ich den ersten. Sein Kopf wackelte hin und her, er wachte nicht auf. Er saß zusammengesunken auf seinem Stuhl. Ein anderer hatte die Arme auf den Tisch und den Kopf daraufgelegt. Der dritte saß auf dem Boden, mit hängenden Armen. Der vierte lag mit dem Gesicht nach unten an der Wand.

Diese Narren, dachte ich wütend. Ehemalige Polizisten, die sich einschläfern lassen wie kleine Kinder! Man hätte es nicht für möglich gehalten. Eine der wichtigsten Regeln war, daß sie sich Essen und Trinken selbst mitbrachten und von Fremden nichts annahmen.

Ich ging zu einem der Telefone und nahm den Hörer ab, kein Zeichen. Ich versuchte es bei den anderen drei Apparaten. Alle Leitungen waren tot.

Ich mußte zurück nach Seabury und von dort aus anrufen. Ich verließ das Pressezimmer, als ich im Licht eine Gestalt auf mich zukommen sah.

«Wer ist da?«wurde ich angerufen.

Ich erkannte die Stimme: Captain Oxon.

«Ich bin’s, Sid Halley«, rief ich.»Sehen Sie sich das an!«

Er kam heran, und ich trat zur Seite, um ihn einzulassen.

«Du meine Güte. Was ist denn da los?«

«Schlaftabletten. Auch die Telefone funktionieren nicht. Sie haben niemanden gesehen, der nicht hierher gehört?«

«Nein. Ich habe auch nichts gehört als Ihren Wagen. Ich wollte gerade nachsehen.«

«Wie viele Stallburschen übernachten heute hier? Könnten wir ein paar auf Streife schicken, während ich bei meiner Firma anrufe und noch ein paar Leute besorge?«

«Die machen sicher mit«, sagte er.»Es sind fünf Mann. Wahrscheinlich schlafen sie noch nicht. Wir gehen hinüber und fragen sie, und Sie können dann von meiner Wohnung aus telefonieren.«

«Danke«, sagte ich,»sehr schön.«

Ich sah die schlafenden Männer an.

«Vielleicht sollte ich lieber noch nachsehen, ob einer von ihnen versucht hat, ein paar Worte aufzuschreiben. Es dauert nicht lange.«

Er wartete geduldig, während ich nachsah. Niemand hatte auch nur nach einem Bleistift gegriffen.

Ich zuckte die Achseln, sah mir die Überbleibsel ihres Abendessens an. Halbverzehrte belegte Brote, Kaffeereste in Tassen und Thermosflaschen, ein paar Äpfel, eine Banane.

«Haben Sie etwas gefunden?«fragte Oxon.

Ich schüttelte den Kopf.

«Nichts. Sie werden schreckliche Kopfschmerzen haben, wenn sie aufwachen. Geschieht ihnen ganz recht.«

«Ich verstehe, daß Sie sich ärgern«, begann er.

Aber ich hörte nicht mehr richtig zu. Über einer Stuhllehne hing ein braunes Fernglasfutteral, und auf den Deckel waren drei Anfangsbuchstaben geprägt: L. E. O.

Leo!

«Ist etwas?«fragte Oxon.

«Nein. «Ich lächelte ihn an und deutete auf das Futteral.

«Gehört das Ihnen?«

«Ja. Die Männer baten mich um ein Fernglas, für morgen früh.«

«Sehr freundlich von Ihnen.«

«Ach, das ist nicht der Rede wert. «Er hob die Schultern und ging hinaus.»Am besten rufen Sie zuerst an. Dann sprechen wir mit den Stallburschen.«

Ich hatte nicht die geringste Lust mehr, seine Wohnung zu betreten.»In Ordnung«, sagte ich.

Wir traten ins Freie, und ich machte die Tür hinter mir zu.

Eine vertraute Stimme sagte, vor Zufriedenheit triefend:»Sie haben ihn also, Oxon. Gut.«

«Er kam. «begann Oxon wütend.

«Nein«, sagte ich, drehte mich um und raste zu meinem Wagen.

Als ich kaum zehn Meter entfernt war, schaltete jemand die Scheinwerfer ein — die Scheinwerfer meines eigenen Wagens. Ich blieb stehen.

Hinter mir schrie einer der Männer, und ich hörte schnelle Schritte. Ich stand nicht direkt im Licht, zeigte mich den anderen aber als Silhouette. Ich lief nach rechts, Richtung Tor. Drei Schritte in dieser Richtung, und von dort blendeten auch Scheinwerfer auf. Das Licht stach mir genau in die Augen.

Wieder hörte ich Rufe, diesmal aus der Nähe. Oxon und Kraye!

Ich drehte mich um und sah sie kommen. Der Wagen am Tor rollte an. Zur gleichen Zeit brummte der Motor meines Wagens auf.

Ich stürmte in die Dunkelheit. Die zwei in Bewegung befindlichen Autos fingen mich wieder mit den Scheinwerfern ein. Kraye und Oxon verfolgten mich.

Ich wurde wie ein Hase hin- und hergejagt. Die Scheinwerfer fingen mich immer wieder ein, und die beiden Männer blieben mir auf den Fersen.

Quer über den Paradeplatz, unter dem Geländer des Absattelplatzes hindurch und entlang der Wand des Wiegeraums. Manchmal nur einen halben Meter von ausgestreckten Fingern entfernt, einmal kaum einen Meter von einer Stoßstange.

Aber ich schaffte es. Ich stand keuchend in der Dunkelheit im Speiseraum der Trainer, drehte mich um und rannte in die Küche. Von dort aus lief ich durch einen weiteren Speisesaal, hastete durch eine Tür in einen breiten Korridor, der das ganze riesige Gebäude wie ein Tunnel durchschnitt, und lief eine steile Steintreppe hinauf, die direkt auf die Tribüne führte. Die Verfolger blieben zurück. Ich ließ mich in dem schwarzen Schatten nieder, wo die niedrige Holzwand die Tribüne in zwei Hälften teilte. Auf der Mauer verhinderte ein Drahtgitter das Überklettern.

Unten an der Treppe erstreckte sich Rasen bis zu einem weiten, brusthohen Drahtzaun, dahinter lag die Rennbahn. Ein Kilometer war es von hier bis zur Straße nach London, wobei noch der große Zaun zu überwinden war. Zu weit. Ich wußte, daß ich es nicht schaffen konnte. Früher vielleicht, mit zwei Händen und einem gesunden Körper, aber nicht jetzt. Obwohl ich immer schnell gesund geworden war, hatte ich erst vor zwei Wochen kaum den kurzen Spaziergang zu Andrews Leiche schaffen können.

Es gab nicht viele Möglichkeiten. Nur wenn ich die Flucht ergriff, mußte ich Erfolg haben. Ein Königreich für ein Pferd! dachte ich. Jeder vernünftige Cowboy hätte >Revelation< in der Nähe bereitgehalten, wäre in den Sattel gesprungen und davongedonnert.

Ich hatte einen Sportwagen, der zweihundert Kilometer in der Stunde schaffte — leider saß ein anderer am Steuer.

Die Flucht zu ergreifen und erwischt zu werden, würde nichts einbringen.

Also blieb nur eine Wahl.

Man hatte die Angehörigen der Streife nicht umsonst betäubt. Kraye war nicht in Seabury, um seine Gesundheit zu pflegen. Man wollte diese Nacht weiteren Schaden anrichten. Vielleicht war es schon geschehen. Wenn ich blieb und vorsichtig war, bestand die Chance, daß ich dahinterkam, bevor man mich fand. Natürlich!

Eine halbe Stunde später war das grausame Spiel noch immer im Gange. Mein Wagen stand jetzt auf der anderen Seite, wo sonst die Buchmacher ihren Platz hatten. Die aufgeblendeten Scheinwerfer richteten sich auf die Tribüne. Seit der Wagen dort stand, hatte ich mich auf dieser Seite nicht mehr aufhalten können.

Der andere Wagen parkte vor dem Tor, beleuchtete die Vorderseite von Wiegeraum, Bar, Kantinen, Garderoben und Büros. Wenn ich davon ausging, daß in jedem Wagen noch jemand saß, blieben nur Kraye und Oxon, um mich einzufangen. Langsam wurde mir aber klar, daß drei Personen hinter mir her waren. Vielleicht stand eins der Autos leer. Aber welches?

Ich suchte das ganze, riesige Gebäude ab. Ich wußte nicht, was ich suchte, das war das Dumme. Es konnte alles mögliche sein, von einer Plastikbombe an abwärts. Wenn man nach den bisherigen Geschehnissen gehen durfte, mußte es sich um etwas handeln, das nach einem Unfall aussah.

Ohne einen Fachmann konnte ich nicht sicher sein, daß am folgenden Tag unter dem Gewicht der Zuschauer nicht ein Teil der Tribüne einstürzen würde, aber ich fand keine offensichtlichen Schäden, und die Kerle hatten auch nicht viel

Zeit gehabt. Fünf oder sechs Stunden waren es erst her, seit die Rennveranstaltung beendet war.

In der Küche gab es nicht viele Essensvorräte. Die Pächter schienen das meiste mitgenommen zu haben. Ein riesengroßer Kühlschrank war abgesperrt. Kraye schien also nicht mit einer Nahrungsmittelvergiftung in großem Maßstab vorgehen zu wollen.

Alle Feuerlöscher waren an den Plätzen, nirgends lagen glimmende Zigarettenstummel. Ein weiterer Brand, so kurz nach der Vernichtung der Stallungen, wäre zu auffällig gewesen.

Ich ließ keine Vorsichtsmaßregel außer acht, sicherte mich bei jedem Schritt, starrte zuerst um jede Ecke, zwängte mich durch Türen, weil ich ständig fürchtete, jeden Augenblick von hinten überfallen zu werden.

Sie wußten, daß ich noch da war, weil sie, wo sie auch hinkamen, das Licht anknipsten und ich nichts Eiligeres zu tun hatte, als es sofort wieder auszumachen. Die Tür eines beleuchteten Raumes auf einen dunklen Gang zu öffnen bedeutete, sich direkt ins Rampenlicht zu begeben, deshalb knipste ich überall das Licht aus, bevor ich eine Tür öffnete. Im Flur gab es drei Lampen, die ich aber gleich zu Anfang mit einem Besenstiel zerschlagen hatte.

Als ich mich einmal im Flur befand und von der Herrentoilette zur Tattersallbar schlich, tauchte Kraye am anderen Ende auf und kam auf mich zu. Er war vom Licht der Scheinwerfer geblendet und konnte mich nicht sehen. Ein großer Schritt und ich war auf der anderen Seite. Als einziges Versteck boten sich die Gerätschaften an, die von den Buchmachern über Nacht hier abgestellt wurden: Leichtmetalltische, zusammengeklappte große Sonnenschirme, Kisten und Hocker, auf denen sie zu stehen pflegten — wenig genug. Ich kauerte mich nieder und konnte nur hoffen, daß ich nichts umstoßen würde.

Krayes Schritte scharrten hohl, als er auf mein unsicheres

Versteck zukam. Er blieb zweimal stehen, öffnete Türen und schaute in die Lagerräume, die unter den Tribünenstufen eingebaut waren. Sie waren meistens leer oder doch fast leer und boten keinen Schutz. Sie waren zu klein und hatten keinen zweiten Ausgang. Wenn man mich in einem davon erwischte, war mir der Fluchtweg abgeschnitten.

Die Tür des Ausschankraumes, zu der ich unterwegs gewesen war, öffnete sich plötzlich, und helles Licht fiel auf den Flur. Oxons Stimme sagte wütend:»Er kann nicht entwischt sein!«

«Natürlich nicht, Sie Narr«, brüllte Kraye wütend.»Wenn Sie nur so schlau gewesen wären, Ihre Schlüssel mitzubringen, dann hätten wir ihn längst.«

Ihre Stimmen hallten durch den Korridor.

«Es war ja Ihre Idee, möglichst wenig abzusperren. Ich kann sie ja holen.«

«Dann hat er eine zu große Chance, uns zu entwischen. Und so kommen wir nicht weiter. Wir fangen methodisch von hier aus an und kämmen das ganze Gebäude durch.«

«Das haben wir doch schon gemacht«, beschwerte sich Oxon,»ohne Erfolg. Ich hole die Schlüssel. Dann können wir alle Türen hinter uns absperren und verhindern, daß er plötzlich wieder hinter uns auftaucht.«

«Nein«, sagte Kraye entschieden.»Wir sind zuwenig Leute. Sie bleiben hier. Wir gehen zum Wiegeraum zurück und fangen gemeinsam an.«

Sie entfernten sich. Die Tür zum Ausschank stand offen, und das Licht strömte in den Korridor, was mir nicht paßte. Wenn jemand von der anderen Seite kam, mußte er mich sehen.

Ich kroch an der Wand entlang, um mich besser zu verstecken. Eines der metallenen Stative rutschte dabei herunter und fiel klappernd auf den Boden. Ich hörte die Rufe der beiden weiter unten im Flur.

«Das ist er! Los!«

Ich stand auf und rannte.

Die nächste Öffnung in der Wand war eine Treppe zu ein paar Zimmern über dem Wiegeraum und dem Speisesaal der Rennklubmitglieder. Ich zögerte den Bruchteil einer Sekunde und hastete daran vorbei. Im Stockwerk darüber lagen die Zimmer und Büros der Direktoren. Ich kannte mich dort oben nicht aus, im Gegensatz zu Oxon. Er war sehr im Vorteil, weil er ja hier zu Hause war. Ich brauchte ihm nicht noch zu helfen.

Ich lief weiter, vorbei an den Garderoben, und erreichte die letzte Tür zu einem langen, schmutzigen Saal, in dem es nach Bier roch. Auch hier wurde offenbar ausgeschenkt, wenn viel Betrieb war. Im Augenblick enthielt der Raum nur eine lange Theke und leere Regale. Ich wäre beinahe über einen Eimer mit Kronenkorken gestürzt, den jemand fahrlässig hatte stehenlassen, und vergeudete wertvolle Sekunden, weil ich umkehrte und den Eimer unmittelbar vor die Tür stellte.

Kraye und Oxon kamen angerannt. Ich knipste das Licht aus, aber schon hatte ich keine Zeit mehr, durch die Hintertür auf den Sattelplatz zu gelangen, wo mich sowieso die Wagenscheinwerfer empfangen würden. Ich duckte mich hinter die Theke.

Die Tür wurde aufgerissen. Poltern, Klirren, ein Schrei, ein Aufprall, dann wurde das Licht wieder angeknipst, wobei ich sah, wie winzig mein Versteck in Wirklichkeit war. Zwei Kronenkorken rollten bis vor meine Füße.

«Verdammt noch mal!«schrie Kraye wütend.»Sie Idiot! Stehen Sie auf, stehen Sie auf!«

Er stürmte zur Hintertür. Dem Klirren, Fluchen und Klappern nach zu schließen, hatte Oxon einige Mühe, sich von den wegrutschenden Korken zu lösen und Kraye zu folgen. Wenn es nicht so gefährlich gewesen wäre, hätte man lachen müssen.

Kraye riß die Außentür auf, trat hinaus und schrie fragend, wohin ich gerannt sei? Ich spürte mehr, als ich sah, daß Oxon ihm nachhastete.

Ich kroch um die Theke herum, raste zu der Tür, durch die ich hereingekommen war, knipste das Licht wieder aus, knallte die Tür zu und lief wieder den Flur entlang.

Ich hörte Kraye brüllen, wie er sich in den dunklen Raum zurücktastete, und lange, bevor sie den Korridor wieder erreichten, wobei die Kronenkorken in alle Richtungen flogen, war ich in einem kleinen Vorraum neben der Küche in Sicherheit.

Die Küchen waren noch die sicherste Zuflucht, weil es da viele gute Verstecke und Ausgänge gab. Aber es hatte wenig Sinn, dort zu bleiben, weil ich ja weitersuchen wollte.

Die Räume, die ich noch nicht besichtigt hatte, wurden immer weniger. Im Heizungsraum war es mir ziemlich mulmig geworden, weil von dort aus nur ein Durchschlupf in einen Lagerraum führte, der, soweit ich sehen konnte, nichts als riesige Öltanks mit Rohrleitungen und Ventilen enthielt. Sie standen alle an der Wand, nirgends ein Versteck. Der Boiler war in vollem Betrieb, weil die Zentralheizung die ganze Nacht hindurch funktionierte.

Im Wiegeraum war es noch schlimmer, wegen der Größe und des Mangels an Verstecken. Er enthielt nichts außer den gebräuchlichen Dingen: Tische, Stühle, Anschläge an der Wand und die Waage. Dahinter, im Umkleideraum, eine Reihe von Haken mit Sätteln daran, ein glühender Koksofen in der Ecke und ein großer, geflochtener Korb mit Sturzhelmen, Stiefeln und anderen Ausrüstungsgegenständen. Eine Tasse und ein Unterteller, beide schmutzig, ein Magazin, ein paar Regenmäntel. Hier und dort ein Renndreß. Eine Reihe frischgewaschener Reithosen, zum Trocknen aufgehängt. Hier fühlte ich mich am ehesten zu Hause, hier wäre ich am liebsten geblieben. Aber es gab auf der anderen Seite nur noch den

Waschraum — eine Sackgasse.

An den Wiegeraum schloß sich auf der anderen Seite der Sitzungssaal der Rennleitung an, wo bei Einsprüchen gegen die betroffenen Jockeys verhandelt wurde. Auch hier nur ein großer Tisch, Stühle, Bilder an der Wand, ein kleiner abgetretener Teppich.

Hier und dort waren ein paar Türen abgesperrt, obwohl Oxon seine Schlüssel in der Wohnung liegengelassen hatte. Wie üblich steckte der Bund Nachschlüssel in meiner Tasche. Keuchend verschaffte ich mir Zugang in einen abgesperrten Raum nahe der für die Klubmitglieder bestimmten Bar. Hier wurden die Alkoholika gelagert: kistenweise Schnaps,

Champagner, Wein und Bier — vom Boden bis zur Decke und ein Rollwagen für den Transport. Es war eine Versuchung, mich dort einzusperren und zu warten, bis ich am Morgen befreit würde. Hinter dieser Tür würde mich Oxon keinesfalls vermuten.

Ich würde dort in Sicherheit sein — nicht aber der Rennplatz.

Widerstrebend verließ ich den Raum wieder, verlor aber keine Zeit mit Absperren. Da die Verfolger nicht in Sicht waren, riskierte ich einen Sprung nach oben. Es war warm und still, alle Lampen brannten. Ich knipste sie nicht mehr aus, weil die Beobachter in den Autos sonst genau wußten, wo ich mich befand.

Alles schien in Ordnung zu sein. Auf der einen Seite eines großen Vorraums befand sich der Saal, wo die Direktoren ihre Sitzungen abhielten und zu Mittag aßen. Auf der anderen Seite gab es eine Art Wohnraum mit Sesseln, dahinter Garderoben. Vorn konnte man durch Glastüren eine Loge hoch oben auf der Tribüne erreichen. Das war die Privatloge für Direktoren und vornehme Gäste, mit großartigem Blick über den ganzen Rennplatz.

Ich ging nicht hinaus. Auf diese Loge würde sich ein Anschlag bestimmt nicht richten. Außerdem konnte man mich dort oben von meinem Wagen aus sehen.

Ich kehrte um, marschierte durch das Sitzungszimmer und erreichte einen Abstellraum, in dem es einen kleinen Servierlift zur Küche gab. Kraye und Oxon befanden sich genau unter mir. Ihre wütenden Stimmen drangen durch den Schacht herauf, dazwischen wurde eine leisere Stimme hörbar, man schien sich zu streiten. Da ich zur Abwechslung einmal wußte, wo sich alle aufhielten, ging ich wieder hinunter. Aber ich machte mir Sorgen. Im Hauptgebäude schien nichts Unrechtes im Gange zu sein. Wenn sie irgendwo draußen auf der Rennbahn Schaden anrichten wollten, konnte ich das kaum verhindern.

Während ich noch ziellos den Flur entlangging, öffnete sich die Küchentür, das Licht flutete heraus, und ich hörte Kraye reden. Ich sprang zur nächsten Tür und schloß sie hinter mir.

Ich entdeckte, daß ich mich in der Damentoilette befand, wo ich noch nicht gewesen war. Es gab hier keinen zweiten Ausgang. Eine Doppelreihe von Kabinen, alle Türen offen, eine Reihe von Waschbecken, Spiegel an den Wänden, ein paar Stühle und eine Theke wie in der Bar — dahinter eine lange Stange, an der Kleiderhaken hingen.

Draußen wurden auf dem Flur schwere Schritte laut. Ich versteckte mich unter der Theke und drückte mich in eine Ecke. Die Tür ging auf.

«Hier wird er nicht sein«, sagte Kraye,»das Licht brennt noch.«

«Ich habe auch erst vor fünf Minuten hineingeschaut«, meinte Oxon. Die Tür schloß sich, und die Schritte verklangen. Ich wagte wieder zu atmen, und mein hämmerndes Herz beruhigte sich. Aber nur ein paar Sekunden lang. Drüben auf der anderen Seite hustete jemand. Ich erstarrte. Ich konnte es nicht glauben. Der Raum war leer gewesen, als ich hereingekommen war, das stand für mich fest. Weder Kraye noch Oxon hatten ihn betreten.

Ich lauschte angestrengt.

Wieder ein Husten, ein leises, kurzes Husten. Sosehr ich mich auch anstrengte, ich konnte sonst nichts hören. Keine Atemzüge, keine Bewegung. Das begriff ich nicht. Wenn jemand in diesem Raum wußte, daß ich mich hinter der Theke versteckte, warum unternahm er nichts? Und wenn man es nicht wußte, warum verhielt ich mich so still? Ich nahm mich zusammen und stand langsam auf.

Der Raum war leer.

Einen Augenblick danach wurde wieder gehustet. Ich fuhr herum. Jetzt wurde mir auch klar, woher das Geräusch kam. Auch dort war niemand.

Ich durchquerte den Raum und starrte in das Waschbecken. Aus einem der Hähne tropfte Wasser. Während ich davorstand, war der Laut wieder zu vernehmen — ein kurzes, trockenes Husten. Ich hätte beinahe vor Erleichterung aufgelacht, streckte die Hand aus und drehte den Hahn zu.

Das Metall war sehr heiß. Überrascht öffnete ich den Hahn wieder. Das Wasser spritzte aus dem Hahn, voller Luftblasen und dampfend heiß. Albern, dachte ich — während ich wieder abdrehte —, daß das Wasser um diese Zeit noch so heiß ist.?

Um Gottes willen — der Boiler!

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